Nanna hat geschrieben:"Moralisch verkommen" impliziert, dass es um die Moral früher besser stand. Meintest du das aber auch?
Nein. Ich vermute eher, dass ich eigentlich "moralisch tiefstehend" meine. Als Maßstab sehe ich dabei unsere eigenen moralischen Ansprüche an uns. Ich muss dabei beispielsweise an die eine oder andere Diskussion hier über die Todesstrafe denken. Wie vehement wurde da von einigen die zugegebenermaßen etablierte moralische Sichtweise in Europa vertreten, dass man ein Leben nicht so einfach riskieren darf, weil ja zum Beispiel Restzweifel bleiben und der Angeklagte unschuldig sein könnte. Erst um das einzelne Leben eines möglicherweise für schlimme Dinge verantwortlichen Wind machen und dann bei Tausenden von Afrikanern mit den Schultern zucken? Das könnte man, in diese zeitliche Abfolge gebracht, dann vielleicht auch weiterhin moralisches Verkommen im Sinne von Absinken nennen.
1von6,5Milliarden hat geschrieben:Von sonstiger Faulheit hast nur du geredet, wenn "Afrika" durch subventionierte Nahrungsmittel seine eigene Landwirtschaft zerstört wird
Ja stimmt. Ich hatte den Beitrag von mat-in etwas frei interpretiert.
mat-in hat geschrieben:Und ich höre immer wieder Schauergeschichten von "nachhaltigen" Projekten, bei denen das Dorf um das man sich mühevoll gekümmert hat ein Jahr später wie vorher da hockt, weil sie es nicht eingesehen haben nach der ernste was aufzuheben als Saatgut, und weil es unnötig ist jetzt zu arbeiten, denn man hat ja gerade Essen.
Ich will nicht ausschließen, dass möglicherweise in einigen Ländern und Landstrichen eine unproduktive Mentalität anzutreffen ist. Aber egal wie die Menschen dort nun genau drauf sind: es wäre unmoralisch ihnen die Hilfe zu verweigern, weil sie angeblich ja selbst schuld sind. Schuld gibt es meiner Meinung nach nicht, sondern erstmal nur materielle Not und Elend, und den Notleidenden muss ohne Ansehen ihrer sonstigen charakterlichen Eigenschaften geholfen werden. Es ist in meinen Augen daher unmoralisch, mit dem Hinweis auf afrikanische Kurzsichtigkeit Hilfe zu verweigern. Kurzsichtigen muss doch erst recht geholfen werden.
Arathas hat geschrieben:Ich sach mal: Menschen können völlig unterschiedliche Prioritäten setzen - ein Umweltaktivist von Greenpeace, der sich auf lebensgefährliche Walrettungsmissionen begibt, wird vermutlich lieber dafür sorgen, dass es Tieren besser geht und weniger Gedanken an das Wohl der menschlichen Gesellschaft verschwenden.
Ich muss da gar nicht mit Moral kommen. Unsere Gesetze drücken das auch bereits aus. Wobei es ja nicht um das Wohl einer Gesellschaft geht, zumindest meinte ich es viel konkreter, es geht um die Rettung von verhungernden Afrikanern. Und da gibt es bei uns doch den Tatbestand der unterlassenen Hilfeleistung. Insofern sind wir also offenbar moralisch so verkommen, dass wir gegen unsere eigenen Gesetze verstoßen. Selbst wenn wir als Ersatzhandlung ein paar Robben oder ähnliches retten.
Arathas hat geschrieben:Die Frage ist nur, wie man ein Volk dauerhaft vor dem Verhungern retten kann. Sicherlich nicht dadurch, dass man es einfach nur durchfüttert.
Das sind billige Ausflüchte. Das Problem verallgemeinern und dann bequemerweise darauf verweisen, dass es keine allgemeine, perfekte Lösung gibt. Und dann implizit schließen: dann muss ich auch gar nichts machen. Nee, nee, das ist unmoralisch. Es geht nicht darum, irgendwelche Völker dauerhaft vor dem Verhungern zu retten. Es geht erstmal konkret darum, bestimmte Menschen zu retten. Und das müsste doch möglich sein. Wenigstens ein paar. Wenigstens einen. Wenigstens versuchen.
Lumen hat geschrieben:Du kannst in deiner Freizeit aber nicht mal eben die Welt retten. ... Es wäre sinnvoller sich darauf zu verlegen, große Ketten mittels organisiertem Boykott zum handeln zu zwingen, als selbst immer wieder kleinste Tröpfchen auf heiße Steine zu träufeln.
Auch hier sehe ich dieselbe Ausweichstrategie. Statt konkret zu helfen einfach erstmal über die ganz großen Fragen lamentieren mit dem Fazit: die perfekte Lösung gibt es nicht, also drehe ich Däumchen.
Nur um das klarzustellen. Diese moralische Besserwisserei ist mir schon ein wenig unangenehm aber es hilft ja nichts. Ich gebe hier aber nur den Advocatus Diaboli. Selber bin ich mindestens ebenso moralisch verkommen und mache in Sachen Afrika nichts besonderes. Also gebt schon zu, dass ich in der Sache völlig recht habe und schon bin ich still :) Wenn wir alle schon nichts tun und diese grausigen Widersprüche zwischen Arm und Reich auf der angeblich globalisierten Welt existieren, dann will ich verdammt nochmal wenigstens, dass wir Reichen ein schlechtes Gewissen haben und zugeben, wie moralisch verkommen wir sind.