Die sieht u.a.so aus, dass gesagt wird, es gibt eine kulturell akzeptierte Scheinwelt, die der Unterhaltungsindustrie und dann gibt es die „echte“ Welt, vermittelt durch Nachrichten, Wissenschaft, Wirtschaft, Politik und das reale Leben.
Durch diese und jene Möglichkeiten hinter die Kulissen zu schauen, im größeren oder kleineren Stil, gewinnt man den Eindruck, dass die mediale und allgemein etablierte Darstellung, zumindest nicht durchgehend stimmt.
provinzler hat es am Beispiel Fußball erwähnt. Er hat, so schrieb er, einige Einblicke gewonnen, die reichen aus, um ihn hinreichend skeptisch zu machen. Aber im Grunde interessiert das keine Sau. Es gibt eine erstaunliche Bereitschaft, oft wider besseres Wissen, bestimmte Illusionen des realen Lebens aufrecht erhalten zu wollen, z.B. die Illusion vom an sich sauberen Sport, in dem es böserweise sehr seltene Fälle von Betrügern und Dopern gibt. Ansonsten sei alles in Ordnung.
Im Angesicht der frei zugänglichen Kenntnisse um Dopingmittel, um Skandale in der FIFA auf höchster Ebene, auf Erkenntnisse um Wetten und Schiebereien von der Kreisklasse bis zur WM ist es grenzenlos naiv an sauberen Sport zu denken.
http://www.n-tv.de/sport/Der-deutsche-S ... 75101.html
Sport mag man ja noch zur Scheinwelt rechnen, aber auf dem Gebiet der Politik, der Medizin, der Wissenschaft, der Wirtschaft, der Erziehung, der Pflege sieht es ja nicht viel besser aus.
Illusionäre Konstrukte die mitunter so dermaßen verlogen sind, dass man es nicht glauben will, werden uns als Wahrheit präsentiert.
Und ich will jetzt nicht der 1000sten Lästerthread, wie schlecht doch die Welt ist, eröffnen, ich frage mich nur, wie man mit diesen Erkenntnissen umgehen soll.
Aufklären wäre gut, nur allzu schnell wird man in die Ecke des Extremisten, des Spinners oder einfach des Spielverderbers gestellt und ehrlich gesagt, ich kann diese Sicht verstehen. Menschen wollen mit zu viel Wahrheit nicht belästigt werden. Es ist schön in einer vermeintlich heilen Welt zu leben, in der es sauberen Sport gibt, an dem wir uns erfreuen; nette Ärzte, die nur darauf warten, dass sie uns helfen können; Politiker, die sich Sorgen um die Welt machen; eine Industrie, die sich fragt, wie sie unser Leben erleichtern und die Welt ein Stück komfortabler machen kann; Finanzexperten oder auch nur Autoverkäufer, die ein Interesse daran haben, dass wir das beste Produkt bekommen und für uns gesorgt ist; Altenheime, die liebevoll unsere Großeltern, Eltern und später uns betreuen und so weiter.
Nach 8 Stunden Arbeit, will man sich vorgekaut über Pferdefleisch erregen, aber nichts sonst. Manche schalten gleich auf Volksmusik, Tatort oder Spielfilme und DSDS um. Und die Erregungsindustrie ist ja inzwischen auch ein eigenes System. Männliche, pensionierte Akademiker, die zur Modelleisenbahn keinen Zugang haben organisieren und inszenieren Proteste, denen sonst kaum jemand folgt. Wir schnappen kurz Luft, sagen „Gibt's doch wohl nicht“, doch Konsequenzen werden völlig abgespalten. Vielleicht weil es auch zu viele wären. Es bleibt beim Vorsatz: „Da müsste doch jemand was tun.“
Wen will man aufklären, wenn es eigentlich kaum jemand wissen will? Die einen versteigen sich in krude Verschwörungsideen, die anderen in Zynismus, die nächsten betonen man könne ja doch nichts ändern und resignieren. „Die da oben“, wie schön, dass es diese entlastende Projektionsfläche gibt. „Da machse nix.“ Alles kommt an, was uns zum Stillehalten animiert. Eine lustige Allianz. Die da oben, machen ja doch was sie wollen, was soll ich da ändern? Abgesehen davon, entscheide ja nicht ich, sondern mein Gehirn.
Oder die Linken. Da hilft nur die Revolution. Darunter läuft nichts, bedient alles nur das Schweinesystem. Das ist systematischer Dummenfang und die intelligenten Linken wissen haargenau, dass die Revolution auch die nächsten 200 Jahre ausfallen wird. Darum ist das ja so ein bequemer Standpunkt.
Aber was ist die Strategie gegen systematisches Desinteresse? „Man müsste mal die Preispolitik der Discounter und Supermärkte überdenken.“ Klar, wird ja auch gemacht. Aufsplittung des Marktes in Produkte zur Gewissensberuhigung für 5% der Menschen und immer billigere Produkte, für die restlichen 95%. Es war zwar das Gegenteil gemeint, aber das wird nicht gemacht.
Aber nach der Entrüstung sind wir doch alle sehr schnell wieder sehr konservativ. Wir sind ja gar nicht so böse, wenn wir uns vorlügen lassen, die Energiewende könne nicht klappen. Bioprodukte kosten ja auch mindestens das 80-fache der „normalen“ Produkte und überhaupt weiß man ja nicht, ob die nicht auch alle betrügen, so hört man immer wieder mal.
http://www.zeit.de/2013/08/Frank-Schirr ... des-Lebens
Gestern war Schirrmacher auch im Fernsehen, bei Beckmann. Das Buch wird allgemein gelobt, eine These ist, dass der Mensch durch die Idee des homo oeconomicus zu dem gemacht wurde, was er ist.
Die unselige Koaliton einer Wirtschaftsidee (die es im übrigen gut meinte, die nur grausam interpretiert wird) mit irgendwelchen simplen und unterkomplexen spieltheoretischen Ideen verknüpft ist (von denen selbst ihre Schöpfer sagen, man könne sie nicht auf den Menschen anwenden) und irgendwelche nicht minder kruden Biologismen, die ja oft direkt aus dieser Sicht importiert wurden. Wir sind ja alle Egoisten, so funktioniert das Spiel, maximal sind egoistisch motivierte win-win Situationen drin, entscheiden, können wir eh nicht selbst, es sind irgendwelche anonymen Programme, die in uns ablaufen.
Wir sind doch auch nur ein Bündel Algorithmen. Ja?
http://www.psyheu.de/5460/datenflut-wissen-nichtwissen/
Wir werden doch alle nur manipuliert.
Warum lässt man sich so schnell die Butter vom Brot nehmen, warum versetzt es viele sogar in Verzückung „niemand“ zu sein, außer einem Bündel Neuronen?
Christian Geyer, Herausgeber und Mitautor des Buches Hirnforschung und Willensfreiheit (Suhrkamp 2004) schrieb dazu:
Christian Geyer hat geschrieben:„Versuchshalber könnte man den Spieß natürlich auch umdrehen und der Frage nachgehen: Was macht die Idee unser Wille sei unfrei eigentlich so sexy? Welche psychischen Disposition ist nötig, um die Psyche zu verabschieden, um die Evidenz seiner Erlebens-Perspektive („Ich kann auch anders“) zu den Akten nehmen und stattdessen die Perspektive des Labors übernehmen zu wollen („Freiheit ist eine Illusion“)? Vermutlich ist es die Abstraktion selbst, die exakte Entlastung vom Konkreten, die attraktiv wirkt. Wie viele Enttäuschungen mit der Konkretion des eigenen Ichs müssen vorangegangen sein, bevor man geneigt ist, dieses Ich in den Abstraktionen der Hirnforschung zu Verschwinden zu bringen?“
(S.14)
Und etwas weiter unten:
Christian Geyer hat geschrieben:„Fragt man nach der Attraktivität der erfahrungsfreien Perspektive, dann stößt man auf die Verheißung eines umfassenden Ruhiggestelltseins. Sie ist der Witz der neurobiologischen Anthropologie und gibt ihr das Aussehen einer therapeutischen Maßnahme. Unversehens weiß man sich entlastet von den tausend Gründen, die einem täglich durch den Kopf rauschen und nun, da sie sich in neuronale Kausalbeziehungen übersetzen lassen, ihr drückendes Gewicht verlieren. Das Mentale ist bloß ein Epiphänomen des Neuronalen, so heißt dieser Entlastungsvorgang in der Sprache der Gehirnforschung. Worte, Schrift und Gedanken sind demnach ohne jede kausale Relevanz für irgendeinen Lebensvollzug. Relevant sind lediglich ihre materiellen Substrate, die Schallwellen oder Lichtfrequenzen, die als Materie auf die Neuronen wirken – gemäß den Energieerhaltungssätzen der Physik, wonach nur Materie auf Materie Energie ausüben kann. Die soziokulturelle Welt als neuronales Makrogeschehen.“
(S.14 f)
Meine These ist anders. Wir sind nicht alle Egoisten. Wir sind es zum Teil, immer auch, das sollte man nicht leugnen. Aber wir hören gerne, dass wir im Grunde nicht anders können. Wir wären gerne Egoisten, weil es auf den ersten Blick bequem ist.
Und so trennt auch Schirrmacher zwischen der Tatsachenfeststellung, dass wir alle Egoisten seien (die m.E. schon nicht stimmt) und den normativen Aufruf, es sei richtig und gut ein Egoist zu sein.
Egoisten haben immer die Tendenz, sich zu entsolidarisieren. Ein Trend der in vollem Gange ist, die Verachtung der Zurückgebleibenen.
Es ist ein ganzes Bündel an Ursachen, die hier zusammenkommen. Ich glaube, dass Schirrmacher einige richtig benennt, dass es aber nicht alle sind. Eine zu große Zahl an Egoisten ist schlicht ein kulturelles Selbsmordprogramm.
Mein Wunsch wäre, die Faktoren zu erkennen, zu benenne und etwaige Lösungssttrategien zu entwerfen. Ich glaube es gibt einen durchgehenden roten Faden, der all die Phänomene verbindet.
Vielleicht ist das ein Irrtum, aber ich glaube, es kann gelingen, diesen roten Faden sichtbar zu machen und ihn irgendwie als Idee in die Welt zu tragen.
Jetzt interessiert mich, was ihr zu dem Thema zu sagen habt.