Harter atheistischer Determinismus

Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon ice » Mo 20. Jan 2014, 10:54

AgentProvocateur hat geschrieben:
ice hat geschrieben:Ja, ich erkenne aber im Alltag durchaus, wenn nur eine direkte Ursache oder eine Ursachenkette vorliegt - und gehe mit einer "Schuld"-Zuweisung dementsprechend vorsichtig um.

Welche Kriterien legst Du dabei an? Die üblichen (z.B. jemand hat etwas absichtlich und kontrolliert gemacht) oder noch andere, die irgendwie was mit Determinismus zu tun haben?


Ich habe zwar den Gedanken des Determinismus meistens im Hinterkopf, aber im Alltag lege ich wohl nur die üblichen Kriterien an: wenn jemand zB etwas absichtlich/kontrolliert zerstört, was mir etwas bedeutet, dann werde ich ihn eher moralisch/ethisch "verurteilen" als wenn jemand nur aus Unachtsamkeit unabsichtlich etwas zerstört. Es mag zwar unausweichlich festgestanden sein, dass etwas zerstört wurde - aber ich lege da zusätzlich keinen Sinn/keine Bedeutung in die Angelegenheit hinein.

AgentProvocateur hat geschrieben:Noch was: Verantwortung kann nach üblicher Auffassung auch dann vorliegen, wenn jemand nicht Teil einer Kausalkette war, d.h.: keine (direkte oder indirekte) Ursache für ein Geschehen war. Ich möchte nun keine exakte Definition für Kausalität und Ursache vorlegen, es reicht hier, wenn wir uns darauf einigen können, dass eine kausale Ursache nur etwas sein kann, das in der Kausalkette notwendig vorkommt; anders (und abstrakt) gesagt: X kann keine kausale Ursache für das Auftreten des Ereignisses E sein, falls E genauso auch aufgetreten wäre, falls - ansonsten alles gleich - es X nicht gegeben hätte.

Konkretes Beispiel: P lässt einen unmündigen Schutzbefohlenen S, der sich nicht selber versorgen kann, verhungern. In dem Falle wäre P weder eine direkte noch eine indirekte kausale Ursache für den Hungertod von S. Dennoch aber würde man P als moralisch verantwortlich für den Tod von S ansehen.

Würdest das in einem solchen Falle anders sehen als gewöhnlich: dass P nicht moralisch verantwortlich für den Tod von S wäre, weil P kein Teil der Kausalkette war, die zu S Tod geführt hat?


Bei diesem Beispiel kommt es meiner Ansicht nach darauf an, wo man die "Systemgrenzen" zieht, um festzustellen, ob es sich um eine direkte/indirekte kausale Ursache für den Hungertod von S handelt oder nicht. Wenn P sich um S kümmern musste, dann gehört er mE zum "System PS" dazu und ist auch indirekte Ursache für den Hungertod von S. Auf jeden Fall ist P moralisch/juristsich verantwortlich für den Tod von S, auch wenn er nicht die direkte/indirekte Ursache dafür ist.
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Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon Vollbreit » Mo 20. Jan 2014, 11:24

AgentProvocateur hat geschrieben:
Vollbreit hat geschrieben:Und doch identifizieren wird uns ja nicht nur, mit unserem jetzigen Ich, sondern habe auch ein Gefühl für eine historische Kontinuität.

Ich identifiere mich nicht mit einem jetzigen "Ich", ich identifiziere mich mit (bestimmen Aspekten von) mir. (Mit anderen weniger.)

Und ich würde sagen: "der Junge auf dem Foto bin ich", (oder: "sieh mal, das bin ich, als ich 2 Jahre alt war"). Und ich habe zwar ein Gefühl für eine Kontinuität von mir, aber keinerlei Gefühl für eine Kontinuität eines zu mir irgendwie zusätzlichen, von mir verschiedenen "Ichs".

Das verlangt doch auch keiner, warum beißt Du Dich so daran fest? Mein „Ich“ sehe ich auch diese „Ich bin...“ „Ich will (nicht)...“ „Ich mag (nicht) ...“ Mischung, plus Körper und soziale Rollen.


AgentProvocateur hat geschrieben:
Vollbreit hat geschrieben:Die Geschichte des Ichs [...]

Ich würde sagen: "meine Geschichte". (Oder: "die Geschichte von Willi.")
Hier meinte ich aber wirklich die Geschichte des Dings, was jemand hat und haben muss, wenn er „Ich will“ sagen kann (und versteht, was er damit aussagt, was ja für diese Zombieduiskussionen relevant ist).

AgentProvocateur hat geschrieben:
Vollbreit hat geschrieben:Nicht alle entwickeln sich hübsch parallel, einige sehr unabhängig von anderen, Körperkoordination und mathematisches Verständnis korrelieren nicht so stark, Selbstbild und Moral schon stärker.

Hier würde ich auch nicht sagen: "nicht alle [Ichs] entwickeln sich hübsch parallel", sondern: "nicht alle Menschen entwickeln sich hübsch parallel".

Nein, das war hier nicht gemeint, hier ging es um einige sogenannte Entwicklungslinien, die einzelne Stränge des Ichs darstellen, wie z.B. Kogntion, Emotionen, Ästhetik, Moral und so weiter.

AgentProvocateur hat geschrieben:Und ich würde z.B. sagen: "die Körperkoordination von Willi ist unterdurchschnittlich ausgeprägt." Ich würde niemals sagen: "die Körperkoordination des Ichs von Willi ist unterdurchschnittlich ausgeprägt." Und auch nie sagen: "das Ich von Willi ist noch wenig ausgeprägt", sondern "Willi kann das und das noch nicht so gut, verglichen mit anderen Kindern in seinem Alter".
(Wobei "das und das" hier für beliebige Eigenschaften/Fähigkeiten von Willi stehen kann, Selbstvertrauen, Abstraktionsfähigkeit, soziales Verhalten, mathematisches Auffassungsvermögen, was auch immer.) Es gibt mE schlicht keinen Grund, hier zusätzlich ein "Ich" von Willi einzuführen.

Kann ich an der Stelle gut akzeptieren und es würde mir kein Problem bereiten mich da umzustellen, aber Psychologen machen ziemliches Aufsehen um dieses „Ich“ und ich will mal am Alltagsbeispiel die Stelle skizzieren, die ich meine.
Willi ist verheiratet und spielt gerne Skat. Bei seiner Frau, die die Hosen anhat, ist er ein braver Mann und ein wenig kleinlaut, aber die beiden verstehen sich gut.
Bei den Skatfreunden ist Willi ein wenig aufschneidend und zotig bis anzüglich in seinen Beermerkungen.
Ein klein wenig steckt, auf die eine oder andere Art, in jedem von uns ein Willi, aber was, wenn die Skatbrüder den Willi zu Hause besuchen? Menschen, die in Rollen aufgehen – was erst mal eine Fähigkeit ist -, spielen diese mitunter sehr konsistent und gut, nur fallen sie je nach Situation immer nur in Rollen, diejenigen, von denen sie glauben, dass diese gerade von ihrer Umgebung erwartet werden. Die Rolle des Skatbruders Willi passt nicht sonderlch gut zu der des Ehemanns Willi und das Zusammentreffen führt zu einem anstrengenden oder ent-täuschenden Abend. Jeder wird diese oder ähnliche Situationen kennen.
Ein reifes Ich, was Psychologen so als Ziel im Blick haben (und im Grunde auch so nennen), wäre eines, dem ein völliges Abrutschen in Rollen so nicht (mehr) passiert.
Das heißt in allen Rollen, die man auch weiterhin spielt, schimmert so ein immer wiedererkennbarer Wesenskern durch, der den unverwechselbaren Willi ausmacht.
Der opportunistische Rollenspieler Willi wäre dann überwunden, wenn Willi sich trauen würde, vor der Ehefrau, den Skatbrüdern, dem Firmenchef, seiner Mutter und anderen die annähernd gleichen Überzeugungen zu vertreten, anstatt jedesmal umzufallen und sein Fähnchen nach dem Wind zu drehen.
Klar könnte man sagen, Willi sei etwas opportunistisch oder habe Schwierigkeiten zu seinen Überzeugungen zu stehen, aber m.E. sind das alles Einzelphänomene, die zwar stimmen, aber so fragmentatisch daherkommen und in der Gefahr stehen, die Botschaft dahinter, dass Willi nämlich kein reifes Ich hat, aus dem Blick zu verliefen.
Ich habe vielleicht gerade das entgegngesetzte Problem, dass, wenn man auf die zusammenführnede Botschaft verichtet, oft mit den Schultern gezuckt und gesagt wird: „Ja, ist doch nicht so schlimm.“

Letztlich geht es hier wie da, vermutlich darin, wie geschickt man übersetzen kann.

AgentProvocateur hat geschrieben:
Vollbreit hat geschrieben:Manche Entwicklungen stagnieren, andere laufen immer weiter, die Mixtur macht auch hier unsere Individualität und Einzigartigkeit aus, die Chomsky schon allein auf der Ebene der Sprache erkennt.

Was entwickelt sich hier: ein Mensch oder das Ich dieses Menschen?
Ich würde das trennen, denn Ute ist für ihr Alter weit entwickelt, kann heißen, dass sie mit 12 große Brüste hat und das muss ja nicht immer gemeint sein.

AgentProvocateur hat geschrieben:Z.B. nun zu sagen: "Willi hat keine gute Körperkoordination, aber ein gutes mathematisches Verständnis" erscheint mir unproblematisch und völlig ausreichend. Der Zusatzbegriff "das Ich" (von Willi) kann hier nichts außer Verwirrung und Missverständnissen hinzufügen.

Wer oder was hat hier bestimmte Fähigkeiten (und andere nicht): Willi oder sein Ich? Doch wohl Willi und aber nicht sein Ich.

Klar, ich sagen auch „Ich bin müde“ und nicht „Mein Ich ist müde“, aber andererseits habe wir ja doch auch im Alltag die Fähigkeiten Dinge nicht nur zu zerfleddern, sonden auch zusammenzufassen: Wenn jemand in eine neue Firma kommt und fragt: „Der Chef hier, wie ist der denn so?“, dann weiß doch im Grunde jeder, dass man nichts über seinen Cholesterienspiegel und die Fähigkeit sein Gleichgeweicht zu halten hören will, sondern vielleicht ob er ein Choleriker ist oder welchen Themen man bei ihm besser nicht anschneidet.
Das heißt, wir Menschen wissen in der Regel, wann man ins Detail gehen sollte und wann eine grobe Skizze, welches Thema betreffend, reicht.
Mehr ist doch bei der Rede von Ich auch nicht gefordert, als die Fähigkeit situationsadäquat zu sprechen.
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Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon ice » Mo 20. Jan 2014, 17:21

Vollbreit hat geschrieben:(...), mich interessiert obendrein die Obergrenze: Gibt es einen Weg aus dem Wollen heraus und was würde das bedeuten?
Einen Rückfall auf die Tierstufe? Ich weiß, das ist nicht Dein Thema, darum erwähne ich es nur kurz, mich fasziniert hier seit langem die Antwort der Mystiker, die sinngemäß sagen, der Gipfel der Freiheit und der Zufriedenheit liege darin, das (egozentrische) Wollen zu überwinden und sozusagen mit seiner Bestimmung/Determination eins zu werden.


Paul Watzlawick hat in einem Interview einmal das Bild einer Magnetnadel beschrieben. Er empfinde sich manchmal ganz bescheiden als eine vibrierende, in einem Magnetfeld ruhende Magnetnadel, die sich einfach einspielen will auf "höhere" Kräfte, die der Magnetnadel vollkommen unverständlich sind. Die Magnetnadel spielt sich ein, steht dann - und es stimmt. Er versuchte damit eine Beziehung der Harmonie zwischen sich und der Welt auszudrücken. Auf das Erlebnis dieses "Stimmens" komme es an. Er erwähnte dann noch Wittgenstein, der in seinem Tractatus geschrieben hat: "Die Lösung des Problems des Lebens merkt man am Verschwinden dieses Problems."
Wenn man jetzt unter "höhere" Kräfte nicht etwas Übernatürliches versteht, sondern den harten natürlichen Determinismus der Lebenswelt, dann kann die ruhende Magnetnadel auch als Sinnbild für den Gipfel der Freiheit und Zufriedenheit stehen.

Vollbreit hat geschrieben:Nun ist ein harter Determinismus auch zu naturalistischen Beduingungen zu haben, allein ich glaube nicht an einen starren „Seit dem Urknall läuft unerbittlich die Uhr ab und dass ich mich jetzt am Kopf kratze steht seit Milliarden Jahren fest“-Determinismus, auch wenn der meine Freiheit nicht kassieren würde.


Also ich fühle mich mit dem harten Determinismus zu naturalistischen Bedingungen sehr wohl, seit ich erkannt habe, dass ich gleichzeitig auch frei und verantwortlich bleiben kann ;-)
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Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon AgentProvocateur » Mo 20. Jan 2014, 19:36

@Vollbreit

Du magst nun irgendwie den Begriff "das Ich" und ich habe keine Verwendung dafür. (Und glaube immer noch, dass dieser Begriff in der Alltagssprache nicht auftaucht).

Ich bin mir nun allerdings noch nicht sicher, ob da nur unterschiedliche Sprachgefühle aufeinandertreffen, sondern auch unterschiedliche Konzepte.

Vollbreit hat geschrieben:Die Buddhisten haben dieses keine Entität Denken ja früh auf die Spitze getrieben und versucht das Bild darzustellen, was uns heute wieder begegnet. Nur interagierende Einzelteile ohne Zentrum, nennen wir es mal so. Aber das ist Problematisch bis falsch, denn irgendwen muss man ja ansprechen um ihm Übungen der Ichlosigkkeit zu zeigen und irgendwer muss ja beurteilbare Fortschritte auf dem Weg machen.

Hm, die buddhistische Forderung, man solle sich von seinem Ich lösen, habe ich bisher ganz anders verstanden. Das hat mE wenig bis nichts nichts mit der Annahme eines agierenden Zentrums zu tun, sondern, sich von seinen Trieben, Begierden, Bewertungen, Interessen zu lösen, alle eigenen Bedürfnisse von sich zu werfen und so dann irgendwie eins mit dem Universum zu werden. Oder so.

Die Annahme, es gäbe irgendwie ein Steuerzentrum in Personen, halte ich für falsch. Außerdem glaube ich auch nicht, dass das eine landläufige Auffassung ist, siehe oben meinen verlinkten Text dazu, wie sich Leute selber sehen. Das ist - je nach Kontext/Situation (bzw.: im Text "zoom in" und "zoom out" genannt) - sehr unterschiedlich, wie sie das von sich tun. Man stellt sich zwar vielleicht ein "virtuelles" Zentrum vor, aber kein reales, (ich jedenfalls nicht). Ich halte das Bild eines zentralen "Ich", ein Steuerzentrum, das Entscheidungen, Gedanken und Handlungen steuere, für falsch. Für eine Reifikation.

Vollbreit hat geschrieben:[...] dass man mit jedem „Ich will x“eben doch auf ein Zentrum rekurriert und sich auch meint, [...]

Ja, man meint sich, aber nicht was Zusätzliches.

Vollbreit hat geschrieben:Auch Brandom hält das für äußerst relevant:
Robert Brandom hat geschrieben:„Diese Neigung von der Gemeinschaft so zu reden, dass sie irgendwie Einstellungen hat und Performanzen hervorbringt, wie sie eher mit Einzelnen assoziiert werden, ist weder Ausdruck von Nachlässigkeit noch harmlos. [...]

Brandom hat hier mE völlig recht, es ist ein Fehler, einer Gemeinschaft Einstellungen zu unterstellen, falls das bedeuten soll, das sei etwas Zusätzliches, was über die Einstellungen der Mitglieder hinausgeht. Aber was hat das mit dem "Ich" zu tun? So wenig, wie ein "Wir" Einstellungen haben kann, kann ein "Ich" Einstellungen haben. Du hast Einstellungen, ich habe Einstellungen, manche sind gleich, andere sind unterschiedlich.

Vollbreit hat geschrieben:Da mir das gerade noch mal in den Sinn kommt, Kernberg hat mal als humorisitische Anekdote von einer Frau mit einer multiplen Persönlichkeit erzählt, die über 20 verschiedene Perssönlichkeiten oder Iche beherbegte.

An der Stelle tillt mein Sprachgefühl wieder mal. Damit, zu sagen, die Frau habe 20 verschiedenene Persönlichkeiten, habe ich kein Problem, aber damit, zu sagen, die Frau habe 20 verschiedene Iche, habe ich ein großes Problem.

Der Begriff "Persönlichkeit" scheint mir hier viel besser und passender als der Begriff "Ich".

Vollbreit hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:Ich würde sagen: "meine Geschichte". (Oder: "die Geschichte von Willi.")
Hier meinte ich aber wirklich die Geschichte des Dings, was jemand hat und haben muss, wenn er „Ich will“ sagen kann [...]

So ein Ding gibt es meiner Ansicht nach nicht. Daher würde ich hier nach den Fähigkeiten und der Geschichte von Jemandem fragen, nicht nach den Fähigkeiten und der Geschichte seines Ichs.

Vollbreit hat geschrieben:Ein reifes Ich, was Psychologen so als Ziel im Blick haben (und im Grunde auch so nennen), wäre eines, dem ein völliges Abrutschen in Rollen so nicht (mehr) passiert.

Hier würde ich wieder "Persönlichkeit" statt "Ich" sagen.

Vollbreit hat geschrieben:Klar könnte man sagen, Willi sei etwas opportunistisch oder habe Schwierigkeiten zu seinen Überzeugungen zu stehen, aber m.E. sind das alles Einzelphänomene, die zwar stimmen, aber so fragmentatisch daherkommen und in der Gefahr stehen, die Botschaft dahinter, dass Willi nämlich kein reifes Ich hat, aus dem Blick zu verliefen.

Hier auch.

Vollbreit hat geschrieben:Klar, ich sagen auch „Ich bin müde“ und nicht „Mein Ich ist müde“, aber andererseits habe wir ja doch auch im Alltag die Fähigkeiten Dinge nicht nur zu zerfleddern, sonden auch zusammenzufassen: Wenn jemand in eine neue Firma kommt und fragt: „Der Chef hier, wie ist der denn so?“, dann weiß doch im Grunde jeder, dass man nichts über seinen Cholesterienspiegel und die Fähigkeit sein Gleichgeweicht zu halten hören will, sondern vielleicht ob er ein Choleriker ist oder welchen Themen man bei ihm besser nicht anschneidet.

Natürlich. Man will in diesem Zusammenhang wissen, wie der Chef drauf ist, was er für Macken und Vorlieben und Ansichten hat, wie er sich in bestimmten Situationen verhält. Damit man sein zukünftiges Verhalten besser einschätzen kann. Aber niemand würde diese Frage doch so formulieren: "wie ist das Ich des Chefs so?"

Vollbreit hat geschrieben:Mehr ist doch bei der Rede von Ich auch nicht gefordert, als die Fähigkeit situationsadäquat zu sprechen.

Tut mir leid, aber ich kann mit dem Begriff "das Ich" immer noch nichts anfangen. Im alltäglichen Gebrauch gibt es mE dafür bessere und verständlichere Synonyme, z.B. "Persönlichkeit" oder "Bewusstsein", (je nach Kontext). Selbst wenn es hier nur um unterschiedliche Sprachgebräuche ginge und nicht auch um unterschiedliche Konzepte, dann habe ich mE immer noch ein gutes Argument dafür, auf diesen Begriff zu verzichten: der ist kein Bestandteil der Umgangssprache, daher ist erst mal unverständlich, was damit gemeint ist, wenn er in der Umgangssprache verwendet wird. Bin mir aber nun, wie gesagt, nicht sicher, ob da nicht auch unterschiedliche Konzepte dahinterstecken, siehe oben.
Zuletzt geändert von AgentProvocateur am Mo 20. Jan 2014, 19:57, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon AgentProvocateur » Mo 20. Jan 2014, 19:56

ice hat geschrieben:Bei diesem Beispiel kommt es meiner Ansicht nach darauf an, wo man die "Systemgrenzen" zieht, um festzustellen, ob es sich um eine direkte/indirekte kausale Ursache für den Hungertod von S handelt oder nicht. Wenn P sich um S kümmern musste, dann gehört er mE zum "System PS" dazu und ist auch indirekte Ursache für den Hungertod von S.

Hm, aber dann keine kausale Ursache, sondern vielleicht könnte man dann sagen: eine "soziale Ursache".

ice hat geschrieben:Auf jeden Fall ist P moralisch/juristsich verantwortlich für den Tod von S, auch wenn er nicht die direkte/indirekte Ursache dafür ist.

Eigentlich wollte ich aber nur das wissen, danke.
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Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon AgentProvocateur » Mo 20. Jan 2014, 22:39

Noch ein Link: Ansgar Beckermann: Es gibt kein Ich, es gibt nur mich.

(Würde man auf die Begriffe "das Ich" und "das Selbst" verzichten, dann hätte z.B. Metzinger sein Buch "Der Ego-Tunnel" wohl nicht schreiben können, (siehe dazu auch dort). )
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Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon Vollbreit » Di 21. Jan 2014, 10:13

ice hat geschrieben:Paul Watzlawick hat in einem Interview einmal das Bild einer Magnetnadel beschrieben. Er empfinde sich manchmal ganz bescheiden als eine vibrierende, in einem Magnetfeld ruhende Magnetnadel, die sich einfach einspielen will auf "höhere" Kräfte, die der Magnetnadel vollkommen unverständlich sind. Die Magnetnadel spielt sich ein, steht dann - und es stimmt. Er versuchte damit eine Beziehung der Harmonie zwischen sich und der Welt auszudrücken. Auf das Erlebnis dieses "Stimmens" komme es an. Er erwähnte dann noch Wittgenstein, der in seinem Tractatus geschrieben hat: "Die Lösung des Problems des Lebens merkt man am Verschwinden dieses Problems."
Wenn man jetzt unter "höhere" Kräfte nicht etwas Übernatürliches versteht, sondern den harten natürlichen Determinismus der Lebenswelt, dann kann die ruhende Magnetnadel auch als Sinnbild für den Gipfel der Freiheit und Zufriedenheit stehen.
Danke Dir, für diese Erläuterung, sie stimmt exakt mit dem überein, was die Mystiker (oft durch ihre Zeit und Kultur geprägt) erzählen.


ice hat geschrieben:
Vollbreit hat geschrieben:Nun ist ein harter Determinismus auch zu naturalistischen Beduingungen zu haben, allein ich glaube nicht an einen starren „Seit dem Urknall läuft unerbittlich die Uhr ab und dass ich mich jetzt am Kopf kratze steht seit Milliarden Jahren fest“-Determinismus, auch wenn der meine Freiheit nicht kassieren würde.


Also ich fühle mich mit dem harten Determinismus zu naturalistischen Bedingungen sehr wohl, seit ich erkannt habe, dass ich gleichzeitig auch frei und verantwortlich bleiben kann ;-)
Das hat mit wohl fühlen nichts zu tun, ich finde einfach, dass das nicht aufgeht, da steht die Quantephysik im Weg und sonst noch was. Aber das ist Zukunftsmusik und es konnte ja schon einges geklärt werden.
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Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon Vollbreit » Di 21. Jan 2014, 16:26

AgentProvocateur hat geschrieben:@Vollbreit

Du magst nun irgendwie den Begriff "das Ich" und ich habe keine Verwendung dafür. (Und glaube immer noch, dass dieser Begriff in der Alltagssprache nicht auftaucht).

Ich bin mir nun allerdings noch nicht sicher, ob da nur unterschiedliche Sprachgefühle aufeinandertreffen, sondern auch unterschiedliche Konzepte.

Könnte sein, dass es unterschiedliche Konzepte sind, die sich irgendwo in der Mitte treffen, es wäre nicht das erste mal, dass das passiert, mal sehen.

AgentProvocateur hat geschrieben:Hm, die buddhistische Forderung, man solle sich von seinem Ich lösen, habe ich bisher ganz anders verstanden. Das hat mE wenig bis nichts nichts mit der Annahme eines agierenden Zentrums zu tun, sondern, sich von seinen Trieben, Begierden, Bewertungen, Interessen zu lösen, alle eigenen Bedürfnisse von sich zu werfen und so dann irgendwie eins mit dem Universum zu werden. Oder so.
Eine der Erklärungsstrategien zum Erreichen dieser Egolosigkeit (die es m.E. so nicht geben kann, was ice oben mit Watzlawick beschrieb, trifft es gut), ist, dass das Ich nur ein Bündel Bedürfnisse ist und man sich das klar machen solle, aber der buddhistischen Gelehrte Nagarjuna erkannte, dass da eben immer etwas bleibt, ein Adressat – da auch ein ichloser Mensch im buddhistischen Sinne einen Termin einhalten kann, muss ein Rest-Ich bleiben, was m.E. verschwindet, ist die Egozentrik.

AgentProvocateur hat geschrieben:Die Annahme, es gäbe irgendwie ein Steuerzentrum in Personen, halte ich für falsch.
Es führt in einen Regress, wenn man den Ort der Entscheidnung einem Männchen im Kopf zuschreibt und dann nach dessen Entscheidungszentrum fragt und so weiter.
Aber wenn Du ein Glas aus dem Schrank nimmst, weil Du etwas trinken willst, geht es ja nicht immer nur um Durst, sondern vielleicht auch um Deine Vostellung von Stil oder dergleichen.

AgentProvocateur hat geschrieben:Außerdem glaube ich auch nicht, dass das eine landläufige Auffassung ist, siehe oben meinen verlinkten Text dazu, wie sich Leute selber sehen. Das ist - je nach Kontext/Situation (bzw.: im Text "zoom in" und "zoom out" genannt) - sehr unterschiedlich, wie sie das von sich tun. Man stellt sich zwar vielleicht ein "virtuelles" Zentrum vor, aber kein reales, (ich jedenfalls nicht). Ich halte das Bild eines zentralen "Ich", ein Steuerzentrum, das Entscheidungen, Gedanken und Handlungen steuere, für falsch. Für eine Reifikation.
Ich sehe ein Ich als so eine Art Fähigkeit zur Konzentration oder Verdichtung oder Bündelung der Kräfte an.
Es gibt glaube ich zwei verschiedene Arten wie man ohne Ich leben kann. Einmal irgendwo auf der Tierstufe beginnend, anhand eines vererbten, mal starreren, mal flexibleren Repertoires an Verhaltensmustern aber sehr weitgehend ohne Ich im Sinne des Bewusstseins von sich selbst. Wenn wir eingebunden sind in bestimmten soziale Muster und Automatismen ist das eine ähnliche Situation, auch wenn unsere Denkdrüse unablässig feuert und schwer zu beruhigen ist.
Die andere Situation ist das Gefühl, dass irgendwie alles stimmt. Ein Gefühl der Seligkeit, das zu oft beschrieben wurde um nicht exisiteren zu können und das man auch den Terminus „Einheitserfahrung“ oder so etwas runterbrechen kann. Gleich, ob man dabei das Gefühl hat, es sei alles Ich oder es gäbe kein (von der Welt getrenntes) Ich oder es sei irgendwie alles ein großer wunderbar geordneter Prozess, die gefühlte und vermutlich auch antrainierte Trennung von Ich und Welt fällt dabei zusammen – aber man kann noch denken. Das Ichspiel könnte weiter gespielt werden, es erscheint nur intuitiv als vollkommen absurd und unangemessen. Ich würde letzteres mystisches Erleben nennen, man kann es aber auch Magnetnadelerleben nennen.

Wie Leute sich selber sehen ist sicher kontextabhängig, keine Frage, aber was ich immer wieder beeindruckend fand, ist der Unterschied, der mache ganz in diesem Kontext gefühlter Erwartungen aufgehen lässt und manche eben nicht. Kohlberg beschreibt das Experiment, in dem Studenten unter der Angabe nichtssagender Gründe wie „Machen sie bitte weiter“ oder „Das Experiment erfordert es“ andere Menschen mit schmerzhaften bis potentiell tödlichen Stromstößen traktiert hätten, aber eben nicht alle.

Es waren tendenziell die Intelligenter, die den Versuch abbrachen, aber Intelligenz allein ist nicht ausreichend, denn auch Psychopathen können hochintellignet sein.
Lawrence Kohlberg hat geschrieben:„Zu den Fähigkeiten des Ichs, die in konsistenter Weise mit der experimentell gemessenen, bzw. geschätzten Ehrlichkeit von Kindern korrelieren, gehören die folgenden: Intelligenz (IQ); Bereitschaft, Belohnungen aufzuschieben (die größere Belohnung in der Zukunft wird der kleineren in der Gegenwart vorgezogen) und Aufmerksamkeit (Stabilität und Ausdauer der Aufmerksamkeit bei einfachen experimentellen Aufgaben).“
(L.Kohlberg, Die Psychologie der Moralentwicklung, Suhrkamp,1995, S.14)


So kommt Kohlberg später zu dem Schluss:
Lawrence Kohlberg hat geschrieben:„Intelligenz kann als eine notwendige aber noch nicht hinreichende Ursache des moralischen Fortschritts angesehen werden. Alle moralisch fortgeschrittenen Kinder sind gescheit, aber nicht alle gescheiten Kinder sind moralisch fortgeschritten“
(Kohlberg, a.a.O., S.33)


Das sind eher Qualitäten der Ich-Stärke, die man heute Impulskontrolle und Empathiefähigkeit nennen würde.
Menschen mit dieser Ich-Stärke sind in der Lage gemäß ihrer Überzeugungen auch in Stresssituation zu handeln und passen sich nicht stromlinienförmig der Umgebung und ihren (vermeintlichen) Forderungen an.
Damit will ich sagen, dass Ich-Stärke nicht einfach so ein Gefühl ist, sondern im philosophischen Sinne bedeutet, zu den eigenen Prämissen zu stehen, nicht nur theoretisch in Sonntagsreden, sondern praktisch und verbindlich – die praktische Philosophie der Moral und Ethik muss eben auch dort, im Praktischen, gelebt werden.

AgentProvocateur hat geschrieben:
Vollbreit hat geschrieben:[...] dass man mit jedem „Ich will x“eben doch auf ein Zentrum rekurriert und sich auch meint, [...]

Ja, man meint sich, aber nicht was Zusätzliches.
Es gibt ein einfaches Experiment. Man fragt Menschen, was sie jeweils als ihr Ich oder sich selbst betrachten. Wo beginnt das, wo endet das. Ist im Kopf mehr Ich als in der Kniescheibe. Sin meien Freunde, meine Überzeugungen nun Ich /ghören sie zu mir, oder nicht? Und so weiter.
Viele hatten tatsächlich die Vorstellung, sie seien irgendwie im Kopf (ihr Gehirn oder so was) und der Körper sei eine Art unten dran montierter Maschine, die mit einem selbst nicht so ganz viel zu tun hat. Unter (Gestalt)Psychologen ist die Frage wie nah oder fern einem der eiegen Körper ist. Auch immer interessant, da geht es dann auch darum den ganzen Körper bewusst in Besitz zu nehmen.
Die andere Frage ist, ob in meine rechten Arm mehr Ich/von mir steckt, als in meiner Auffassung über Menschenrechte oder meinem Musikgeschmack. Das ist ja ohnehin beides kaum noch zu verorten.

AgentProvocateur hat geschrieben:
Vollbreit hat geschrieben:Auch Brandom hält das für äußerst relevant:
Robert Brandom hat geschrieben:„Diese Neigung von der Gemeinschaft so zu reden, dass sie irgendwie Einstellungen hat und Performanzen hervorbringt, wie sie eher mit Einzelnen assoziiert werden, ist weder Ausdruck von Nachlässigkeit noch harmlos. [...]

Brandom hat hier mE völlig recht, es ist ein Fehler, einer Gemeinschaft Einstellungen zu unterstellen, falls das bedeuten soll, das sei etwas Zusätzliches, was über die Einstellungen der Mitglieder hinausgeht. Aber was hat das mit dem "Ich" zu tun? So wenig, wie ein "Wir" Einstellungen haben kann, kann ein "Ich" Einstellungen haben. Du hast Einstellungen, ich habe Einstellungen, manche sind gleich, andere sind unterschiedlich.

Eben. Du hast Einstellungen und ich und darüber können wir streiten. Je genauer wir fragen, desto näher kommen wir unserem (aktuellen) Kern, aber wie diskutietiert eine spanischen Einstellung mit einer belgischen? Ist „der Spanier“ jetzt für Stierkampf oder nicht? Wenn ich Deine Einstellung zum Stierkampf wissen möchte, würde ich Dich fragen, aber „den“ Spanier, Hirnfoscher oder Demokraten kann man nicht fragen, da werden die Unklarheiten immer größer, statt kleiner und was bedeutet es nun wenn 78% aller Spanier oder Hirnforscher von x überzeugt sind?

AgentProvocateur hat geschrieben:
Vollbreit hat geschrieben:Da mir das gerade noch mal in den Sinn kommt, Kernberg hat mal als humorisitische Anekdote von einer Frau mit einer multiplen Persönlichkeit erzählt, die über 20 verschiedene Perssönlichkeiten oder Iche beherbegte.

An der Stelle tillt mein Sprachgefühl wieder mal. Damit, zu sagen, die Frau habe 20 verschiedenene Persönlichkeiten, habe ich kein Problem, aber damit, zu sagen, die Frau habe 20 verschiedene Iche, habe ich ein großes Problem.

Der Begriff "Persönlichkeit" scheint mir hier viel besser und passender als der Begriff "Ich".
Die Frau würde es aber so erleben. Du würdest sagen, das seien Facetten Deiner Persönlichkeit, Persönlichkeitsanteile, wie sie jeder hat und damit würdest Du genau jenes solide Ich präsentieren, dass um sie Einheit seines Soseins weiß, so dass Dir alles andere sogar absurd vorkommt. Die Frau mit der multiplen Persönlichkeitsstörung erlebt sich aber nicht als Frau mikt multipler Persönlichkeitsstörung, sondern als Karin (mit eigener Geschichte), Eva, Lena, Sakia …. (alle mit eigenern Geschichte, als abgeschlossene Persönlichkeit).

Ansonsten ist es so, dass der Begriff der Person in der Psychologie manchmal die Bedeutung von weniger als das Ich hat, für Jung ergibt erst die Persona (das eigene Selbstbild) + der Schatten (das mir unbewusste) das Ich. Persönlichkeit hört man aber auch oft, kann man sagen, aber die Frage: „Was macht deine Persönlichkeit aus?“, ist ja nicht unbelasteter als „Was macht dein Ich aus?“ und man würde auch immer fragen: „Was macht sie aus? Was unterscheidet sie von anderen?“

AgentProvocateur hat geschrieben:
Vollbreit hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:Ich würde sagen: "meine Geschichte". (Oder: "die Geschichte von Willi.")
Hier meinte ich aber wirklich die Geschichte des Dings, was jemand hat und haben muss, wenn er „Ich will“ sagen kann [...]

So ein Ding gibt es meiner Ansicht nach nicht. Daher würde ich hier nach den Fähigkeiten und der Geschichte von Jemandem fragen, nicht nach den Fähigkeiten und der Geschichte seines Ichs.
Das ist irgendwie wie die Fragneranch dem Sitz von Demokratie. Sieht man Demkratie nur als Ablauf funktionaler Prozesse, es gbt Menschen die Kreuze auf Zettel machen, es gibt Menschen die regelmäßig über etwas reden, es gibt Menschen, die vor Gericht kommen und so wieter, dann kann man sich zu Tode beschreiben, verfehlt aber den m.E. entscheidenden Punkt, dass zur Demokratie Demokraten gehören und ich würde sogar noch verschärft formulieren: Menschen mit einem demokratischen Bewusstsein. Das ist keine Petitesse, sondern m.E. entscheidend, denn Versuche der Zwangsdemokratisierung scheitern nicht am Mangel an Wahlurnen, Polizisten, Schulen oder Brunnen, sondern an Menschen, die ein Bewusstsein (das wachsen muss) für Demokratie haben, was mehr als ein Lippenbekenntnis ist.
Dieses demokratischen Bewusstsein hat sicher auch kein Zentrum, im Hirn, in dem man das Grundgesetz findet (das ohnehin kaum jemand gelesen haben dürfte), sondern es ist eher ein Absorbieren der impliziten Regeln des demokratischen Spiels, das man täglich erlebt. Mitsamt der Grenzfälle: Folterdrohungen, Drohnentötungen, Flugzeuge als Waffen abzuschießen und so weiter und wie man sich zu ihnen positioniert. Sehr sehr viel Regeln des gesellschaftlichen Miteinanders sind implizit vermittelt, aber das heißt nicht, dass sie irgendwie beliebig wären.

AgentProvocateur hat geschrieben:
Vollbreit hat geschrieben:Ein reifes Ich, was Psychologen so als Ziel im Blick haben (und im Grunde auch so nennen), wäre eines, dem ein völliges Abrutschen in Rollen so nicht (mehr) passiert.

Hier würde ich wieder "Persönlichkeit" statt "Ich" sagen.
Da hätte ich kein Problem mit.

AgentProvocateur hat geschrieben:
Vollbreit hat geschrieben:Klar könnte man sagen, Willi sei etwas opportunistisch oder habe Schwierigkeiten zu seinen Überzeugungen zu stehen, aber m.E. sind das alles Einzelphänomene, die zwar stimmen, aber so fragmentatisch daherkommen und in der Gefahr stehen, die Botschaft dahinter, dass Willi nämlich kein reifes Ich hat, aus dem Blick zu verliefen.
Hier auch.
Ja, nur ist wieder in einer anderen Schule Persönlichkeit etwas umfassender als das Ich gemeint, aber die Terminologie der Pyschologie ist uneinheitlich bis zum Chaos, aus verschiedensten Gründen.

AgentProvocateur hat geschrieben:Natürlich. Man will in diesem Zusammenhang wissen, wie der Chef drauf ist, was er für Macken und Vorlieben und Ansichten hat, wie er sich in bestimmten Situationen verhält. Damit man sein zukünftiges Verhalten besser einschätzen kann. Aber niemand würde diese Frage doch so formulieren: "wie ist das Ich des Chefs so?"
Klar.
Ich habe glaube ich auch keine besondere Vorliebe für den Begriff, es scheint mir reine Gewohnheit zu sein.
Ich gebrauche es für die Instanz, die im Menschen Einstellungen hat und habe mcih nie ausgeprägt gefragt, wo die nun verortet ist. Das ist ist „nur“ ein Konzept, allerdings schon in dem Sinne, dass jemand, der diesem Konzept nicht genügt natürlich ganz praktische Probleme hat. Ich habe auch rechte genau Vorstellungen von einem Über-Ich, aber die sind nicht physikalischer Art so nach Größe, Ort, Gewicht und Farbe, sondern es reicht empirisch herzeigen zu können, was man meint, wenn man Über-Ich sagt.
Und wieder sehe ich genau deshlab das Über-Ich nicht nur als leeres Wort, sondern als Begriff in einem Spiel sprachpragmatischer Festlegungen, das Emprisiches beinhaltet.
Ich bin den sematischen Idealisten – falls es denn welche sind, ich glaube nicht – um Brandom hier näher, die die Geschichte (auch die empirische) vom Intersubjektiven aus schreiben, als den Empirisiten, deren Ansatz ist von der Wurzel aus, für verfehlt halte.

AgentProvocateur hat geschrieben:
Vollbreit hat geschrieben:Mehr ist doch bei der Rede von Ich auch nicht gefordert, als die Fähigkeit situationsadäquat zu sprechen.

Tut mir leid, aber ich kann mit dem Begriff "das Ich" immer noch nichts anfangen. Im alltäglichen Gebrauch gibt es mE dafür bessere und verständlichere Synonyme, z.B. "Persönlichkeit" oder "Bewusstsein", (je nach Kontext). Selbst wenn es hier nur um unterschiedliche Sprachgebräuche ginge und nicht auch um unterschiedliche Konzepte, dann habe ich mE immer noch ein gutes Argument dafür, auf diesen Begriff zu verzichten: der ist kein Bestandteil der Umgangssprache, daher ist erst mal unverständlich, was damit gemeint ist, wenn er in der Umgangssprache verwendet wird. Bin mir aber nun, wie gesagt, nicht sicher, ob da nicht auch unterschiedliche Konzepte dahinterstecken, siehe oben.
Ich weiß nicht inwieweit Du eher aus dem Lager der Empristen kommst, mein Grundkonzept ist vom Intersubjektiven auszugehen und das Spiel erster Wahrheiten und Gewissheiten bereits als intersubjektives zu betrachten. Das Ichbewusstsein (meine Existenz) ist dabei m.E. logisch unhintergehbar und bildet den Ausgangspunkt jeder Art von Forschung, aber das Ich/die Persönlichkeit muss m.E. im Laufe der Forschung erkennen, dass es ein entstandenes Ding ist (vielleicht mag das logisch nicht wasserdicht sein, ich glaube jedoch, dass der Solipsismus auch logisch unhaltbar ist), soweit wir das erkennen können.
Durch die Begenung mit dem anderen (sei es Welt oder Du, dem Außen) begegnet mit mein Ich/meine Persönlichkeit immer konturenreicher und so entsteht das Ich und Welt Spiel erst aus dem Intersubjektiven. So grob da würde ich Startlinie für das forschende Ich/Bewusstsein ziehen.
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Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon Zappa » Di 21. Jan 2014, 18:30

:2thumbs: Ich möchte mich einfach mal bei allen Beteiligten für diesen schönen Thread bedanken, ich hab hier viel gelernt. :2thumbs:
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Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon Lumen » Mi 22. Jan 2014, 02:07

Ich muss gestehen, ich habe der Diskussion nicht ganz gefolgt, und bezieht sich auf die Antwort von ujmp.

ujmp hat geschrieben:
Lumen hat geschrieben:also Computational Theory of Mind als Wegweiser, bzw. Society of Mind


Marvin Minsky: The Society of Mind, Seite 308 hat geschrieben:What magical trick makes us intelligent?
The trick is that there is no trick. The power of intelligence stems from our vast diversity, not from any single, perfect principle.“


Das glaube ich nun wiederum so nicht (ohne Minsky wirklich zu kennen). Die Diversität ist ja auch ohne Intelligenz gegeben. Worauf es m.E. mehr ankommt, ist die Plastizität dieses Systems. Es kommt auf Kreativität an - nämlich das Vermögen, neues Entstehen zu lassen. Und es kommt auf Kritik an, nämlich das Vermögen, die Inhalte dieses Systems zu revidieren. Das sind schon einigermaßen "perfeke" Sachen ;-).


Die wohlüberlegte Annahme ist die, dass unser Gehirn auf niedriger Ebene Muster miteinander kombiniert und damit bereits denkt, ohne das es einen Denker gibt. Wenn überhaupt, gibt es sehr viele Denker die Minsky "Agenten" nennt. Die niedrigsten sind automatisch ablaufende "dumme" Prozesse die die Information verarbeiten, indem eingehende Muster miteinander verwoben und kombiniert werden, unmysteriös nach geordneten Regeln. In Pinkers "How the Mind Works" zeigt er ein paar Beispiele für einfache logische Operatoren die mittels einfachen Nervenzell-Netzen möglich sind.

Stelle dir dazu ein Neuron vor, das an zwei weitere "Zubringer-Neuronen" angeschlossen ist (natürlich ist das wartende Neuron seinerseits ein Zubringer für andere). Angenommen, es hat eine Reizschwelle von .5. Wenn also der ankommene Impuls .5 überschreitet, dann feuert das Neuron seinerseits weiter. Ansonsten verschwindet das Signal dort (wird nicht weitergeleitet). Liefern die beiden "Zubringer" jeweils .4 feuert das .5 Neuron und das Signal geht weiter. Das ist ein UND Operator. Wären die beiden Zubringer aber so beschaffen, dass sie je eine .5 liefern wäre es egal ob eins oder beide feuern; das .5 Neuron würde immer angeregt und seinerseits feuern. Das wäre ein UND-ODER Operator.

Anderen Operatoren, wie ENTWEDER-ODER sind ebenfalls möglich, aber etwas komplizierter. Diese kann man dann wiederum weiter verschalten. Neuronen haben bestimmte Spezifikationen, die bekannt sind, und mit denen man neurale Netze simulieren kann um z.B. rauszufinden ob mit "Bordmitteln" z.B. eine Assoziationsaufgabe gelöst werden kann. Und das geht, da die Gewichtung, also die Werte .5, .4 usw. "lernfähig" gemacht werden können.

Man kann damit zeigen, dass ein Netzwerk Assoziationsaufgaben lösen, also abstrahieren kann. Es kann dann aber nicht gleichzeitig andere Aufgaben übernehmen, da dies, einfach formuliert, diese Gewichtungs-Mechanik überschreiben oder durcheinanderbringen würde. Man kommt damit auch darauf, dass es eine bestimmte Anzahl an Neuronen braucht um bestimmte Aufgaben zu lösen, und kann dann gegenrechnen, wie viele Neuronen in einem Gehirn vorhanden sind. Es gibt noch eine Menge tricks die unbekannt sind. Z.B. wo Muster sich überlagen und eine Supervenienz bilden, das Gehirn sie aber dennoch auseinanderhalten kann. Bei der Menge an Leuchtfeuer, was durch die graue Masse schwappt, ist das schon bemerkenswert. Es geht aber "im Prinzip" etwa vergleichbar vielleicht mit sich überlagernden Wellen in einem Teich durch mehrere Regentropfen, oder Steine die fast zeitgleich auf das Wasser treffen und wo wir die Wellen auch auseinanderhalten können, obwohl sie sich überlagern und ein großes "Gesamtmuster" bilden.

Jedenfalls, muss es eine ganze Vielzahl solcher "Prozesse" geben: Sortierer, die Signale von den Augen und Sehnerven "mechanisch" umwandeln, zusammenfügen, verstärken, abschwächen, bis hin zu komplexeren "Prozessen" die wiederum diese Signale aufnehmen und durch ihre "Schaltkreise" jagen. Eine gewisse Plastizität ist unumstritten, aber vielen Aufgaben sind mit vollständiger (oder hoher) Plastizität nicht machbar. Damit wendet sich das Modell gegen die von Geisteswissenschaften und bestimmten Ideologien gewünschte Ansicht, Kultur und Erziehung hätten einen großen Einfluss. Der wird überschätzt. Daher kommt dann auch der Titel eines anderen Buches von Pinker, "The Blank Slate" was sich gegen diese Ansicht wendet.

Durch Sprache und andere Versuche kann man dann wieder dem Gehirn dabei zugucken wie "höhere" Agenten am Werke sind. Pinker beschreibt dabei metaphorisch eine Art schwarzes Brett an das niedrigere Prozesse ihre Verarbeitungsprodukte ("Erkenntnisse" "Ergebnisse") heften, die aus den vielen gleichzeitig laufenden Mustern (Wellen-Leuchtfeuer von Neuronen) herauskommen. Die höheren Agenten, ihrerseits teil dieser Maschinerie (Pinker nennt sie Dämon) holen sie dort ab und verarbeiten sie auf dieselbe Weise weiter und so fort. Metaphorisch gesehen sind die beiden Zulieferer die Endpunkte von "niederen" Prozessen und das .5 Neuron ist der "höhere" Dämon, der wiederum sein Muster abfeuert. Wenn man so will ist das der Doppelklick auf die Exe-Datei.
An irgendeiner stelle werden diese Dämonen dem Menschen, der sie im Kopf mit sich herumträgt halb-bewusst. Sie stellen sich als "soll ich dies, oder jenes tun" Gedanke dar. Die Dämonen haben jeweils eigene "Interessen" da sie stur ein Programm abspulen und durch assoziative Netzwerke und ähnliche Bordmittel zu bestimmten Ergebnissen kommen (müssen). Ein wiederum höherer Dämon nimmt wiederum diese Signale auf und, mutmaßlich stur, "entscheidet" welchem Gedanken er Vorzug gibt (manche Signale versanden also, manche kommen durch, siehe Beispiel mit dem UND-ODER Operatoren).

Es gibt auch einen "letzen" zuoberst sitzenden Dämon, mutmaßlich was wir als "ich" wahrnehmen, der wieder nach eigenen, im Prinzip einfachen Regeln sagt, was jetzt passiert. z.B. wohin wir laufen sollen. Der Impuls geht denn wieder "zurück" und erzeugt eine Kaskade an Mustern die Gliedmaßen usw. in Bewegung setzen, wie es durch die Evolution über Millionen von Jahren einprogrammiert wurde.

Dieser Aufbau und damit einhergehende Vorstellung ist in Philosophen-Sprech meiner Ansicht nach kaum zu vermitteln und damit irreführend. Die Vorstellung ist falsch, dass dieser oberste Dämon "besonders" wäre. Er ist sozusagen supervenient. Man könnte sagen, jede nächsthöhere Stufe (was eine reine Modellvorstellung ist) besteht aus der nächstniederen, plus sich selbst. Der oberste Dämon besteht aus der nächstniederen Instanz mehrerer Zubringer-Dämonen, die aus der nächstniederen Instanz bestehen usw. die ganze Pyramide an Prozessen herunter bis an die Basis wo Logische Operatoren sitzen, die aus einzelnen Zellen zusammengesetzt sind. Das ganze Ding ist ein Schaltwerk aus logischen Operatoren. Dazu kommen noch Langzeit "Schalter" durch Hormone. Man kann mit diesem Aufbau, und Untersuchungen zur Sprache z.B. Kurzzeitgedächtnis erklären, was Pinkers metaphorischem Schwarzen Brett gleicht.

Noch ein paar schnelle Links:
http://en.wikipedia.org/wiki/Autoassociative_memory
http://en.wikipedia.org/wiki/Bidirectio ... ive_memory
http://en.wikipedia.org/wiki/Memory

Für den Determinismus bedeutet das, das wir auf derzeit unübersichtlichen vielen "Ebenen" Signale verarbeiten und diese in das eingehen, was wir gemeinhin Wille nennen. Manche Prozesse sortieren Flächen und Linien im Blickfeld, andere assoziieren "Raubtier", was aber auf dieser Stufe nur ein "dummer Schaltkreis" ist, der dann aktiviert wird, wenn bestimmte andere Muster zusammenkommen, d.h. es gibt hier kein "Raubtier" im Bewusstsein, wohl aber die evolutionär einprogrammierte "Information" und das ganze wird bis nach "oben" gespült, wo der obere Agent aufgrund des Musters "erkennt" dass er jetzt sofort dieses Muster weiterleiten muss, dass die Beine in Gang setzt.

Zum einen kommen wir aus dem System ja nicht heraus, zum anderen wäre ein Fatalismus ohnehin Unsinn, denn unser Gehirn ist ohne jeden geringsten Zweifel evolutionär entstanden um auf "Input" auch auf "hoher" Ebene, beispielsweise flirten zu reagieren. Philosophen-Sprech ist diesem Sinne nicht immer hilfreich, weil die vielen Kontinua dann in ein Entweder-Oder zerfallen, Post-Hegelianisches kontinentalphilosophisches Geschwurbel auf der einen Seite, hardcore Reduktionismus wo es nur Elementarteilchen gibt auf der anderen Seite.

Letzlich sind wir wandelnde Muster-Muster-Verarbeitungsmaschinen. Die Welt schickt Muster durch unsere Sinne, spült sich durch unseren Kopf, unsere Reaktion sind dieselben fortgesetzen, umgewandelten Muster, die wiederum vom nächsten Artgenossen aufgefangen werden und so weiter. Wenn die Muster blockiert werden, wir also kein Teil der Muster (mehr) sind, nennen wir das den Tod.
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Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon ujmp » Mi 22. Jan 2014, 08:28

Hallo Lumen, muss gleich los deshalb nur kurz: Ich lese grad Minsky's "Emotion Machine" (übrigens danke für die Anregung!). Ich hatte vorher das Zitat oben (von Wikipedia) missverstanden. Er redet da nämlich vermutlich nicht, wie ich dachte, von der Verschiedenheit menschlicher Individuen, sondern von der Verschiedenheit innerhalb eines Individuums. (Er nennt es nicht mehr "agents", sondern jetzt von "resources".)
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Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon Vollbreit » Mi 22. Jan 2014, 09:35

Ein an sich ganz schöner Beitrag, der aber hier
Lumen hat geschrieben:Es gibt auch einen "letzen" zuoberst sitzenden Dämon, mutmaßlich was wir als "ich" wahrnehmen, der wieder nach eigenen, im Prinzip einfachen Regeln sagt, was jetzt passiert. z.B. wohin wir laufen sollen. Der Impuls geht denn wieder "zurück" und erzeugt eine Kaskade an Mustern die Gliedmaßen usw. in Bewegung setzen, wie es durch die Evolution über Millionen von Jahren einprogrammiert wurde.
seine zentrale Schwäche hat.

Du versuchst die "es gibt kein(en) Dämon/Homunkulus/Ich" Geschichte, mit eben diesem zu erklären.
Wie wörtlich oder metaphorisch das nun gemeint ist, ist nicht das Problem, sondern, dass Du auf eine (wechel)wirkende "zuoberst sitzende" Instanz abzielst, die durch eben jene Beschreibungsebene der Reizleitung eigentlich überflüssig werden soll.

Das, was es im Grunde nicht (oder nur als eingespielte Illusion) gibt, "sagt, was jetzt passiert".
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Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon Lumen » Mi 22. Jan 2014, 16:27

Vollbreit hat geschrieben:Ein an sich ganz schöner Beitrag, der aber hier
Lumen hat geschrieben:Es gibt auch einen "letzen" zuoberst sitzenden Dämon, mutmaßlich was wir als "ich" wahrnehmen, der wieder nach eigenen, im Prinzip einfachen Regeln sagt, was jetzt passiert. z.B. wohin wir laufen sollen. Der Impuls geht denn wieder "zurück" und erzeugt eine Kaskade an Mustern die Gliedmaßen usw. in Bewegung setzen, wie es durch die Evolution über Millionen von Jahren einprogrammiert wurde.
seine zentrale Schwäche hat.

Du versuchst die "es gibt kein(en) Dämon/Homunkulus/Ich" Geschichte, mit eben diesem zu erklären.
Wie wörtlich oder metaphorisch das nun gemeint ist, ist nicht das Problem, sondern, dass Du auf eine (wechel)wirkende "zuoberst sitzende" Instanz abzielst, die durch eben jene Beschreibungsebene der Reizleitung eigentlich überflüssig werden soll.

Das, was es im Grunde nicht (oder nur als eingespielte Illusion) gibt, "sagt, was jetzt passiert".


Ich habe mich nicht ganz sauber ausgedrückt. Der obere Dämon hat keine besondere Hoheit und ist auch kein klassischer Homunkulus. Es ist ein "Schaltkreis" der, wie auch die anderen, nach bestimmten Regeln und Gewichtungen bestimmten Mustern den Vorzug gibt, was sich dann als Handlung auswirkt. Er hat z.B. die Regel, "du kannst nicht in zwei Richtungen gleichzeitig laufen" die sich implizit aus den nächstniederen Dämonen ergeben, die jeweils unterschiedliche, konkurrierende Handlungen ausführen werden, wenn sie könnten. Aber durch die gleichen Bordmittel kommen bestimmte Muster nicht durch, während andere durch o.g. "Mechanik" vom obersten Dämonen weitergeleitet werden. Es ist durch die Verdrahtung praktisch nicht möglich in zwei Richtungen zu laufen, weil das zuoberst sitzende Netzwerk (mutmaßlich) mit ENTWEDER ODER operatoren arbeitet. Der obere Dämonen ist damit im Prinzip ein logisches Operator-Netz, wie auch die niedrigeren darunter. Das "Ich" ist nicht gleich der oberste Dämon, sondern, so scheint ist, die Empfindung entsteht graduell bei den "höheren" Netzwerken, die niederen werden graduell "dunkel" und verschwinden im Unbewussten. Der Wille scheint vielmehr die Neuronen "Bahn" zu sein, durch die das Signal passieren kann, während das Signalfeuer in den anderen Teilen unterdrückt oder blockiert wird. Das Wissen der eigenen Prozesse ist offenbar "by design" denn damit kann das Netzwerk seine eigenen Handlungen, von denen es weiß, dass sie ausgeführt werden "sollen", einrechnen und wäre damit im Vorteil. An der Stelle schließt sich das Modell Hofstaedters "Strange Loop" an, eine sich selbst verstärkene Feedback Schleife.

Jedenfalls ist der höchste Dämon in keiner Weise anders als die anderen. Jeder Dämonen hat "Schaltkreise" nach denen er festlegt, in welche Bahnen das Signal laufen soll, was logischen Operationen gleichkommt. Der höchste Dämon kann auch implizit im Netzwerk sein, als eine Verdrahtung die unter Umständen X das Signal mal in die eine, mal in die Richtung weiterverarbeitet, womit er sich ebenfalls nicht von den nächst niedrigen usw. unterscheidet, die genau dasselbe machen. Scheinbar löst sich damit das ganze Mysterium in nichts auf, aber unser konventionelles Denken von Formen, Inhalten, Funktionen, Strukturen bringt uns hier nicht weiter. Das Netzwerk bildet Regeln in der Natur ab, durch die es evolutionär geformt wurde. Es konserviert Information und verarbeitet sie in einer solchen Weise, dass die Reaktion dem Träger das Überleben sichert.

Man könnte auch fragen, wenn der oberste Dämon nur der Chef des Parlament ist, der sagt, wer jetzt reden soll. Und der Redner, der reden darf repräsentiert wieder ein nächstkleineres Parlament, wo er auch nur wieder sagt, wer jetzt reden darf, was wieder dem nächstniederen Parlament entspricht, wo er nur sagt, wer reden darf, stellt sich die Frage nach "Inhalt": wer schreibt jetzt die Rede? Aber Rede und Struktur ist in diesem Reich identisch, und hängt wiederum "nur" an der Natur, wo die Muster entstehen (das ganze nochmal verkompliziert, weil das Gehirn selbst, selbst auch Natur ist).
Zuletzt geändert von Lumen am Mi 22. Jan 2014, 16:30, insgesamt 2-mal geändert.
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Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon Lumen » Mi 22. Jan 2014, 16:28

ujmp hat geschrieben:Hallo Lumen, muss gleich los deshalb nur kurz: Ich lese grad Minsky's "Emotion Machine" (übrigens danke für die Anregung!). Ich hatte vorher das Zitat oben (von Wikipedia) missverstanden. Er redet da nämlich vermutlich nicht, wie ich dachte, von der Verschiedenheit menschlicher Individuen, sondern von der Verschiedenheit innerhalb eines Individuums. (Er nennt es nicht mehr "agents", sondern jetzt von "resources".)


Du kannst ja mal berichten, wie es ist. Ich hab zwar einen riesen Stapel an Büchern, die gelesen werden wollen, aber wenn's gut ist, bekommts eine höhere Priorität. :)
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Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon Vollbreit » Mi 22. Jan 2014, 21:55

@ Lumen:

Das Problem ist m.E., dass die Analogie nicht aufgeht.
Nehmen wir die Äußerung von Dir, Du hättest noch viele Bücher zu lesen, würdest aber, je nach ujmps Urteil ggf. eines vorziehen.
Irgendwie nur eine simple wenn..., dann... Geschichte, andererseits, die Geschichte einer sehr dynamischen Hierarchisierung, die abcheckt, wie sehr Du mit ujmp auf einer Linie bist (ein Buchtipp von mir hätte andere Gewichtungen) aber egal wie diffizil der Check des sozialen Hintergrundes ist, am Ende bist Du es ja der entscheidet.

Wenn Du denkst, Dein Hirn würde entscheiden und Du bekämst das Ergebnis nur mitgeteilt (und ein paar Glückshormone sorgen dann für das gute Gefühl bei der „Entscheidung“), landest Du bei dem Dualismus den keiner haben will.
Tatsächlich entscheidest Du ja und empfindest das auch und kannst es auch begründen.

Du wägst tatsächlich an und kannst Dich dabei beobachten. ujmps Position auf Deiner internen Freud/Feind, gebildet/ungebildet Skala spielt eine Rolle, aber sind nicht die einzigen Einschätzungen, die Dir einfallen würden.

Nun kann man sich wieder streiten, ob es gsetzte Hierarchisierungen gibt, bspw. der berühmte (evolutionäre) Nutzen den jedes Individuum von einer Äußerung oder Handlung haben soll. Würde ein Individuum sagen, es täte jemandem einen Gefallen einfach aus Mitleid oder weil jemand ein netter Kerl ist oder weil es einem gerade gut geht und man Zeit hat, würde diese Gründe, die ja recht primär sind, von einem Evolutionsbiologen sofort kassiert, mit dem Argument, das sei alles ganz anders, über die wahren eigene Motive wisse man natürlich nichts.

Der Philosoph Markus Gabriel kontert das mit einem Argument das nicht ohne Reiz ist, denn er kritisiert den Verstoß gegen das Gebot minimaler theoretischer Ökonomie, Ockhams Messer. Robert Brandom würde Anmerken, dass es so eien Sache ist, einem Subjekt so mir nichts, dir nichts die prima facie Berechtigungen zu Aussagen über sein ureigenstes Hoheitsgebiet abzusprechen.
Etwas einfacher formuliert, diese Erklärungen sind umständlich und unüberzeugend und leben obendrein von dem stillschweigend unterstellen Glauben, dass es massive Einwände gegen sowas wie das Ich gäbe, aber genau das müsste sich eben argumentativ erweisen, dafür reicht das, was Du bisher geschrieben hast m.E. nicht aus, mal sehen, was die anderen dazu sagen.
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Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon Lumen » Do 23. Jan 2014, 23:04

Vollbreit hat geschrieben:Wenn Du denkst, Dein Hirn würde entscheiden und Du bekämst das Ergebnis nur mitgeteilt (und ein paar Glückshormone sorgen dann für das gute Gefühl bei der „Entscheidung“), landest Du bei dem Dualismus den keiner haben will. Tatsächlich entscheidest Du ja und empfindest das auch und kannst es auch begründen. [...]


Der Dualismus wird hier von dir eingebracht. Mir wird nichts vorgegaukelt, denn was da passiert bin ja "ich". Das Empfinden ist nur kleiner als das, was tatsächlich passiert, vielleicht etwa vergleichbar mit dem sonstigen Körperempfinden, wo wir sehr genau wissen, was unsere Gliedmaßen machen; etwas weniger merken, was unsere Atmung und Herzschlag machen; Konzentration brauchen um zu fühlen was die Zehnspitzen und Unterbauch machen (außer wenn's dringlich ist); und wo uns das meiste komplett entgeht und einfach vor sich abläuft. So scheint es, in etwa, auch im Hirn zu sein. Dazu kommen dann Untersuchungen zum System 1 und System 2 Denken (Kahnemann), wo das nochmal gestützt wird, allerdings wieder eine andere Warte. Die Warte von den Philosophen, die du nennst, scheint mir gänzlich unbrauchbar zu sein. Sie trägt nichts zur Klärung bei.

Denn am Ende kann das ganze Beiwerk weggelassen werden und die Zentrale Frage offengelegt werden, was eigentlich die Aufgabe des Philosophen sein sollte (und nicht dessen Verschleierung): erhebt sich ein wie auch immer beschaffener "Geist" über die Materie und greift in die Naturgesetze ein, ob der sich nun als ein aus dem "Nichts" kommendes Elektron zeigt, was gewünschte Denk-Kaskaden anstößt, oder ein "oberer Homunkulus" ist oder sonstwie -- oder ist es ein Prozess, der den Naturgesetzen folgt, wie eine Art "künstliche Intelligenz", nur eben ungleich komplexer als das, was wir derzeit programmieren können. Ich tendiere zu letzterem. Aber da ich mich eher dem Compabilitismus zurechne, sehe ich das nicht als "nur Automat" an. Ich glaube unsere Intuitionen sind einfach verklärt, wir haben romantische Vorstellungen vom "natürlichen" was quasi magisch funktioniert, und vom kalten, technischen, was "nur" ein Automat ist. Ich glaube, das diese Sachen zusammengehen.

Wenn ich mir z.B. die Frage nach dem "Sinn" oder dem "Zweck" anschaue, die sich durch die Philosophie (und Theologie) zieht, und das mit dem aktuellen Stand vergleiche, wird dort deutlich, das man sehr wohl die falschen Fragen stellen kann und damit nur Verwirrung stiftet. Ich stehe rein philosophischen Annäherungen daher extrem skeptisch gegenüber. Es kann ja sein, dass am Ende, mit dem ganzen Philsophischen Gedankengebäude nach 15 Jahren Studium Hegels, Derridas, Haberas und Konsorten dann ganz plötzlich "Heureka!" macht. Ich habe da aber so meine Zweifel.

Woher weiß ich, dass Gabriel, Brandom und Co. (die ich nur von deinen Darstellungen kenne), nicht auch so eine "Sinn" / "Zweck" Ente ist, die Leute seit Jahrhunderten planlos an der Nase herumführt?
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Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon Nanna » Do 23. Jan 2014, 23:51

Du neigst zum Kompatibilismus und greifst einen Kompatibilisten an, der kompatibilistische Philosophen anführt. Ich komm grad nicht ganz mit: Was ist der Streitpunkt genau?
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Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon Vollbreit » Fr 24. Jan 2014, 11:25

Lumen hat geschrieben:Der Dualismus wird hier von dir eingebracht. Mir wird nichts vorgegaukelt, denn was da passiert bin ja "ich".
Wenn Du das Empfnden einer eigenverantwortlichen Existenz hast, ist ja alles in Butter.

Lumen hat geschrieben:Das Empfinden ist nur kleiner als das, was tatsächlich passiert, vielleicht etwa vergleichbar mit dem sonstigen Körperempfinden, wo wir sehr genau wissen, was unsere Gliedmaßen machen; etwas weniger merken, was unsere Atmung und Herzschlag machen; Konzentration brauchen um zu fühlen was die Zehnspitzen und Unterbauch machen (außer wenn's dringlich ist); und wo uns das meiste komplett entgeht und einfach vor sich abläuft. So scheint es, in etwa, auch im Hirn zu sein.

Du scheinst es nicht zu merken, aber der Satz: „Ich weiß genau, was meine Gliedmaßen machen“ ist im Kern dualistisch.
Sind Du und Deine Gleidmaßen denn zwei? Scheinbar ja, denn nun veruschst Du nach und nach immer mehr Eigenleben der zweiten Entität Gehirn einzuführen.
Ich weiß zwar noch, was mein Arm so macht, aber nicht mehr so genau, was mein Gehirn vorhat. Wenn etwas Dualismus ist, dann das.

Lumen hat geschrieben:Dazu kommen dann Untersuchungen zum System 1 und System 2 Denken (Kahnemann), wo das nochmal gestützt wird, allerdings wieder eine andere Warte. Die Warte von den Philosophen, die du nennst, scheint mir gänzlich unbrauchbar zu sein. Sie trägt nichts zur Klärung bei.
Warum jetzt noch mal? Was ist denn „deren Warte“ und was kritisierst Du, aus welchen Gründen, daran?

Lumen hat geschrieben:Denn am Ende kann das ganze Beiwerk weggelassen werden und die Zentrale Frage offengelegt werden, was eigentlich die Aufgabe des Philosophen sein sollte (und nicht dessen Verschleierung): erhebt sich ein wie auch immer beschaffener "Geist" über die Materie und greift in die Naturgesetze ein, ob der sich nun als ein aus dem "Nichts" kommendes Elektron zeigt, was gewünschte Denk-Kaskaden anstößt, oder ein "oberer Homunkulus" ist oder sonstwie -- oder ist es ein Prozess, der den Naturgesetzen folgt, wie eine Art "künstliche Intelligenz", nur eben ungleich komplexer als das, was wir derzeit programmieren können.
Du baust hier den inkompatibilistisen (Schein-)Widerspruch zwischen Determinismus und Freiheit auf.
Die kompatibilsitische Position integriert beides, vielleicht solltest Du den Thread doch noch mal aufmerksam lesen.

Lumen hat geschrieben:Ich tendiere zu letzterem. Aber da ich mich eher dem Compabilitismus zurechne, sehe ich das nicht als "nur Automat" an.
Den kannst Du unmöglich verstanden haben, denn wie Nanna völlig zurecht sagt, argumentierst Du gegen den Kompatibilismus, um Dich dann zu ihm zu bekennen.

Lumen hat geschrieben:Ich glaube unsere Intuitionen sind einfach verklärt, wir haben romantische Vorstellungen vom "natürlichen" was quasi magisch funktioniert, und vom kalten, technischen, was "nur" ein Automat ist. Ich glaube, das diese Sachen zusammengehen.
Siehst Du und Kompatibilisten glauben das nicht nur, die können es haarklein beweisen. Wie gesagt, die Threadlektüre würde Dir gut tun.

Lumen hat geschrieben:Wenn ich mir z.B. die Frage nach dem "Sinn" oder dem "Zweck" anschaue, die sich durch die Philosophie (und Theologie) zieht, und das mit dem aktuellen Stand vergleiche, wird dort deutlich, das man sehr wohl die falschen Fragen stellen kann und damit nur Verwirrung stiftet.
Momentan liegt die Verwirrung ganz offensichtlich auf Deiner Seite.

Lumen hat geschrieben:Ich stehe rein philosophischen Annäherungen daher extrem skeptisch gegenüber.
Aja, und der Kompatibilsmus, ist jetzt noch mal was für eine Position? Doch nicht etwa eine philosophische?

Lumen hat geschrieben:Es kann ja sein, dass am Ende, mit dem ganzen Philsophischen Gedankengebäude nach 15 Jahren Studium Hegels, Derridas, Haberas und Konsorten dann ganz plötzlich "Heureka!" macht. Ich habe da aber so meine Zweifel.
Die darfst Du haben, aber ich vermute mal, dass Du das Problem vieler Deines Schlages teilst.
Du überschätzt Dich selbst. Du bist ein Getriebener, der begierig wie ein Schwamm Wissen aufsaugt, sicher auch ne Menge weiß, aber letzten Endes merkt man Dir an, dass Du sehr emotional unterwegs bist und es kaum einen Beitrag von Dir gibt (außer denen, in denen Du gönnerhaft anderen die Welt erklärst, was Du übrigens sehr gut machst, bei aller kommunikativen Asymmetrie, die Du kaum je überwindest) in dem Du auf Entwertungen verzichten kannst. Kann sein, dass Du sehr intelligent bist, aber Deine Emotionalität versaut Dir vieles, weil Du anderen in paranoider Weise (ob Du wirklich ein Paranoiker bist, weiß ich nicht und will ich auch nicht behaupten, ich meine hier nur die Art der Herangehensweise, hier skizziert: http://www.psyheu.de/6527/narzissmus-und-paranoia/) notorisch Unaufrichtigkeit (Trickserei, Vernebelung, Verschleierung) unterstellst oder Dummheit (oh Hilfe, die glauben das wirklich), so hast Du die Wahl zwischen Pest und Cholera, kannst Dich aber auch als Aufklärer fühlen, der den Gutwilligen die Aufklärung bringt und die Bösen enttarnt.

Philosophisch kommst Du damit aber keinen Schritt weiter, weil Du in einen Clinch Deiner Feindbilder und Lieblinge kommst. Du findest Philosophie in Gänze irgendwie doof, weil Du gelernt hast (das ist zwar falsch, aber Deine Gewohnheit), sie hätte eine größere Nähe zur Theologie und stünde irgendwie konträr zur Naturwissenschaft und sei im Wesentlichen nur Wortklauberei. Dann kommt noch Deine persönliche Note rein, dass natürlich auch Philosophen chronisch was verschleiern wollen.
Andererseits, auch wenn Du die Brights inzwischen auf der Standspur überholst und im radikalen Atheismus vielleicht Deine gestige Heimat gefunden hast, wirst Du den Kompatibilismus deshalb gut finden, weil Dennett ihn gut findet. Deine eigenen Kompetenzen in der Philosophie sind nicht ausreichend, um ohne Orientierung da durch zu kommen und da ist Dennett jemand der in vielerlei Hinsicht nach Deinem Geschmack ist. Verstanden hast Du den Kompatibilismus jedenfalls erkennbar nicht.

Lumen hat geschrieben:Woher weiß ich, dass Gabriel, Brandom und Co. (die ich nur von deinen Darstellungen kenne), nicht auch so eine "Sinn" / "Zweck" Ente ist, die Leute seit Jahrhunderten planlos an der Nase herumführt?
Du könntest Dir von Gabriel den podcast anhören, den ich verlinkt habe. Ein ebenso lockerer, wie selbstbewusster Typ, der hier mit Moderatoren über dies und das plaudert, was unverkrampft ist, ohne niveaulos zu sein.
http://www.podcastdirectory.com/episode ... 07431.html

Brandom kann ich Dir nicht ernsthaft empfehlen, da Du ihn nicht verstehen würdest.
Es gibt aber schöne Annährungen, die ein wenig in das Denken von Brandom einführen:
http://parapluie.de/archiv/unkultur/kul ... index.html
http://www.zeit.de/2001/29/200129_brandom_xml

Der erste Rat zuletzt. Fang an Dir Dein eigenes Urteil zu bilden und aus Deinem „Cui Bono?“ Denkteufelskreis herauszukommen.
Philosophie fragt nicht wer etwas sagt und welchen Zweck der damit verfolgt, sondern untersucht noch in ihrer zwanghaften Kümmerversion was gesagt wurde. Sie klärt Begriffe und legt das was gesagt wurde auf den immer gleichen Labortisch logischer Folgerichtigkeit.
Die Philosophie kann die Stimmigkeit von Argumenten prüfen, darin ist ist unübertroffen, die Güte der Prämissen, die als Basis der Argumentationen dient, ist mitunter (aber nicht immer) Aufgabe der empirischen Wissenschaften.
Die absoluten Grundfragen, z.B. die, nachder ersten Gewissheit, ist keine Aufgabe der emprischen Wissenschaft, sondern am Anfang steht das forschende Subjekt.
Es ist kein Satz formulierbar der mein eigene Existenz negiert, ohne gleichzeitig genau diese Existenz vorauszusetzen, das ist ein simples Spiel, aber die erste Gewissheit.
„Ich bin“, oder „Es gibt mich“.
Sind wir erkenntnisfähige Wesen? Die Philosophie gibt die Antwort: Ja, sind wir. Denn der radikale Erkenntnispessimist steht vor den Problem, dass seine Gegenbehauptung, dass der Mensch nicht zur Erkenntnis fähig sei, entweder keine Erlenntnis ist … dann ist es einfach etwas Dahergesagtes, wie „Mir ist kalt“ oder „lirum larum Löffelstil“ und warum sollte man diesen Satz beachten oder es benspaucht doch eine Erkenntnis zu sein, dann ist es ein Selbstwiderspruch. So ist der Anfang und so geht es eigentlich auch weiter, letzten Ende kann daraus eine komplexe theoretische Architektur entstehen.

Ein halbes Dutzend logischer Fehlschlüsse sollte man kennen, petitio principii (Karl-Otto Apel ist eine lebende petitio principii Suchmaschine, bei ihm kannst Du das super sehen), der argumentative und performative Selbstwiderspruch (findest Du in praktisch allen Argumenten der Hirnforscher zum Ich und zum freien Willen), Regresse, Äquivokationen, Non sequitur, das sind die wichtigen. In Deinen Kreisen kennt man gewöhnlcih wenige Spezialfehlschlüsse (wie „Berufung auf Autoitäten“), aber es fehlt an den Basics. Intellektuell steht Dir da nichts im Wege, wenn Du willst hast Du eine gute Empathiefähigkeit (und katastrophale Aussetzer), hier könntest Du mehr Klarheit reinbringen, dann kannst Du auch besser abchecken, wem man, warum, vertrauen kann.

Philosophie ist irgendwie sehr kühl und unaufgeregt. Leute mit hohem Errregungslevel müssen sich da wirklich disziplinieren, sonst geht das schief. Man kann auch über die Sympathie und Freund/Feind-Schiene daran, ist aber eine heikle Geschichte, versuchs einfach, wird eh Dein Weg sein. Ich kann Dir da nur insofern eine Hilfe anbieten, als ich Dir ehrlich spiegeln kann, wie ich Dich empfinde und es bleibt Dir überlassen, ob und inwieweit Du das annehmen kannst und willst, dass ich Dir notorisch suspekt bin, ist mir dabei voll bewusst.
Wenn Du meine gelegentlichen Deutungsversuche nur als Ärgernis, Übergriff oder versteckte Attacke empfindest (so ist es von mir nicht beabsichtigt), musst Du das nur kurz sagen und ich werde fortan rein auf der Sachebene bleiben, ich habe hier versucht beides zu trennen.

PS: Habe den Fehler, beim erstem Brandom Link inzwischen korrigiert, sollte jetzt klappen.
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Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon Lumen » Fr 24. Jan 2014, 12:38

Bei deiner Argumentation wäre Dennett kein Philosoph (falsch) und Software und Hardware wäre ein klassischer Dualismus (falsch). Vielleicht passt das Vokabular (Stichwort dein Beharren auf dem “Ich”) nicht zusammen. Darüberhinaus widersprichst du Nanna, wobei ihr beide so tut, als wärt ihr euch einig.

Deine psychologische Deutung sagt mehr über dich selbst (und deine Wahrnehmung voriger Diskussionen) aus, als über mich. Das kommt daher, dass du in den Anfangstagen eine Kreationisten-Schiene gefahren bist (Evolution sei zweifelhaft, Paradigmenwechsel, nicht richtig wissenschaftlich da angeblich keine Vorhersagen möglich), dann warst du mal als Mystiker unterwegs (Meister Eckart etc.), und hattest du zwischendurch die postmoderne Nebelmaschine bevorzugt. Ferner seien naturalistische Ansichten in Zweifel geraten. Da war ich jeweils anderer Ansicht.

Darüberhinaus ist mir der Zweck deiner psychologisch begründeten ad hominems nicht ganz klar. Du unterstellst mir alle möglichen Sachen, vermeidest es aber zu schreiben, was du dir davon erhoffst. Bist du mit ignore (wieder) glücklicher? Du kannst den Knopf auch deinerseits bedienen. Soll ich lieber inaktiv werden? Nicht auf jenen Teil der Diskussion antworten, in dem ich eingestiegen bin? Erhoffst du dir, dass ich aufgrund meiner “Emotionalität” verletzt bin, mich in meiner Ehre gekränkt fühle? Kurzum, mir ist der Sinn der Sache nicht klar.

Woher stammt deine Ansicht, das meine eigenen Gedaken fehlten? Insbesondere wo ich von Anfang an klargestellt habe, keine feste Ansicht zu haben und alles noch recht lose ist. Schließlich dient das Aufschreiben auch dem Ordnen und Klarwerden für mich selbst, mit impliziertem Wunsch das andere das kritisieren und kommentieren können—zumal für jemanden wie mich (Stichwort: Persönlichkeitstest). Und warum stellt es ein Problem dar, dieses Mal ein paar Namen mit zugehörigen Gedankengebäuden genannt zu haben, was ich nun eher nicht so oft mache (zumal im Vergleich zu dir). Die sind durchaus unterschiedlich, wenn auch (aus meiner Sicht) kompatibel und müssten mit etwas Spucke noch sauber verflochten werden, was aber wohl kaum mal eben in einem Forum passiert. Ist das hier dein Anspruch?

Ich denke schon das du eher (Tendenz) ein Obskurantist bist, mit Neigung zum esoterischen. Die Welt, das Ich, das Ganze, der große philosophische Reigen. Ich fand einige Beiträge neulich von dir gut, z.B. die der Ritt durch die Philosophiegeschichte. Ich habe dich auch hier nicht angegriffen, deinen Einwand beispielsweise damit kommentiert, dass ich selbst mich stellenweise unklar ausgedrückt hatte. Was ja stimmte.

Manche (auch ich) sind für dich offenbar gleichsam Stellvertreter, an denen du dich abarbeitest. Ich hab so meine Idee, was dich frustriert, aber das führt zu nichts.
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Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon Vollbreit » Fr 24. Jan 2014, 17:23

@ Lumen:

Vergessen wir's einfach.
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