Frei von mystischen Elementen?

Frei von mystischen Elementen?

Beitragvon HF******* » Fr 4. Mai 2007, 12:02

Rundumschlag gegen die Vermischung der drei Bereiche einer jeden Weltanschauung:

1. Bereich der Vorstellung von der Welt, Maßstäbe der Wahrheitserkenntnis: Naturalismus
2. Moralisch/Ethischer Bereich: Menschenrechte, Strafrechtsnormen, weitere Grundregeln des friedlichen Zusammenlebens
3. Kultur, Kunst, Musik, Entwicklung des Menschen und der Menschheit, das Wesen des Menschen.
(Nachträgliche Anmerkung: Wegen möglicher Missverständisse habe ich den Bereich Nr. 3 zusammengestrichen).

_______________________________________________________________________________________
Entstanden ist diese Trennung aus kruden Diskussionen im FGH, die nur erahnen lassen, was man für ein Weltbild halten kann.

Vor einigen Wochen (Jan. 07) hatte ich eine recht heftige Diskussion im FGH mit einigen ansich naturalistisch denkenden Menschen über die Frage, inwiefern metaphysische Elemente Teil des Weltbildes sein können: Ich habe das strikt abgelehnt und wurde dafür noch heftiger angegriffen. Mittlerweile habe ich mir Gedanken gemacht, was unter Metaphysik zu verstehen ist und wie dies mit dem Naturalismus im Einklang stehen kann.

Das Missverständnis in der Diskussion lag einerseits darin, was ein Weltbild zu umfassen hat: Nach Auffassung mehrerer Personen umfasst das Weltbild nicht nur die Erkenntnis der Welt, sondern auch eine der Religion vergleichbare subjektive Wertung im moralisch/ethischen Bereich und eine Anerkennung und ein „Ausleben“ metaphysischer und mystischer Elemente:

Die moralischen und mystisch-kultischen Elemente sind dabei allerdings streng zu trennen von der Frage, wie die wahre Welt zu erkennen ist, bzw. welche Maßstäbe an die Methoden zur Erkenntnis der Wirklichkeit gelegt werden: Letzteres betrifft den (von der Natur) vorgegebenen Bereich, von dem man als Naturalist sagt: Es geht alles mit rechten Dingen zu! Eben dieser Bereich ist aber in gewissem Sinne eiskalt, Erkenntnis und Wahrheit mit Rationalität, also mit der Wissenschaft und mit dem Verstand sind Bereiche, die ansich so wenig emotional besetzt sind wir die Mathematik.

Der Bereich der Moral und Ethik ist der Bereich der Gerechtigkeit, der Regeln des Zusammenlebens, die sich nach bestimmten Zielen der Gesellschaftsform richten, nach Toleranz oder Unterdrückung, nach Frieden oder Krieg, nach Gleichbehandlung oder Ungleichbehandlung

Der Bereich Nr. 3 aber ist der dem Wesen des Menschen wichtigste Bereich: Untrennbar verbunden mit dem Wesen des Menschen ist das Gefühl, die Emotion, nicht nur im Sinne körperlicher Wahrnehmung, sondern im Sinne des Selbstverständnisses, dass abweichend von Nr. 1 in aller Regel verzerrt ist und auch sein darf. Eben hierher gehört es, wenn sich Richard Dawkins für die Vielfalt und Schönheit der Natur begeistert, die möglicherweise sogar Antrieb für sein Handeln ist. Dieser Bereich beinhaltet die Ursachen des Antriebs allen menschlichen Handelns.
Der Mensch kann im Sinne des Naturalismus erkennen, dass er ein Tier ist, ein Menschenaffe, aber er kann sich in einem Akt subjektiver Wertung und Verzerrung der Realität anders beurteilen und gefühlt anders verstehen. Er kann den freien Willen als solchen behandeln, weil er ihn so empfindet, unabhängig von naturalistischer Erkenntnis.
Insofern besteht eine Kluft zwischen der naturalistischen Realtität und der gefühlten und subjektiv hochgehaltenen Realität, die keine Realität ist. Letztere wird von Religiösen gern als Glaubenswahrheit bezeichnet und dehnt sich bei diesen teilweise auch über die tatsächliche Erkenntnis der Realität hinaus aus.
Zuletzt geändert von HF******* am Mi 13. Jun 2007, 12:19, insgesamt 2-mal geändert.
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Re: Frei von mystischen Elementen? Die Metaphysik

Beitragvon Rolli Devise » Di 12. Jun 2007, 17:26

HFRudolph hat geschrieben:Mittlerweile habe ich mir Gedanken gemacht, was unter Metaphysik zu verstehen ist und wie dies mit dem Naturalismus im Einklang stehen kann.


Um einen Eindruck von dem Themenbereich zu gewinnen, den die zeitgenössische Metaphysik abdeckt, ist es hilfreich, einen Blick auf die Inhaltsverzeichnisse zweier im englischsprachigen Raum viel benutzter Lehrbücher zu werfen, die derzeit wohl die besten ihrer Art sind:

* Lowe, E. J. A Survey of Metaphysics. Oxford: Oxford University Press, 2002.

Contents:
1. Introduction: The nature of metaphysics
Part I Identity and Change
2. Identity over time and change of composition
3. Qualitative change and the doctrine of temporal parts
4. Substantial change and spatiotemporal coincidence
Part II Necessity, Essence, and Possible Worlds
5. Necessity and identity
6. Essentialism
7. Possible worlds
Part III Causation and Conditionals
8. Conterfactual conditionals
9. Causes and conditions
10. Conterfactuals and event causation
Part IV Actions and Events
11. Event causation and agent causation
12. Actions and Events
13. Events, things, and space-time
Part V Space and Time
14. Absolutism versus relationalism
15. Incongruent conterparts and the nature of space
16. The paradoxes of motion and the possibility of change
17. Tense and the reality of time
18. Causation and the direction of time
Part VI Universals and Particulars
19. Realism versus nominalism
20. The abstract and the concrete


(Quelle: http://www.oup.com/uk/catalogue/?ci=9780198752530)

* Loux, Michael J. Metaphysics: A Contemporary Introduction. 3rd ed. New York: Routledge, 2006.

Contents:
Introduction
1. The Problem of Universals. Metaphysical Realism
2. The Problem of Universals. Nominalism
3. Concrete Particulars. Substrata, Bundles and Substances
4. Propositions and their Neighbours
5. The Necessary and the Possible
6. Causation
7. The Nature of Time
8. Concrete Particulars 2: Persistence through Time
9. The Challenge of Anti-Realism

(Quelle: http://tinyurl.com/3688px)
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Re: Frei von mystischen Elementen? Die Metaphysik

Beitragvon Rolli Devise » Di 12. Jun 2007, 17:40

HFRudolph hat geschrieben:Die moralischen und metaphysischen Elemente sind dabei allerdings streng zu trennen von der Frage, wie die wahre Welt zu erkennen ist, bzw. welche Maßstäbe an die Methoden zur Erkenntnis der Wirklichkeit gelegt werden: Letzteres betrifft den (von der Natur) vorgegebenen Bereich, von dem man als Naturalist sagt: Es geht alles mit rechten Dingen zu! Eben dieser Bereich ist aber in gewissem Sinne eiskalt, Erkenntnis und Wahrheit mit Rationalität, also mit der Wissenschaft und mit dem Verstand sind Bereiche, die ansich so wenig emotional besetzt sind wir die Mathematik.


Auch die (analytische) Metaphysik wird mit kühlem Kopf betrieben!
Die Realität, mit der sie sich befasst, ist dieselbe wie diejenige der Physiker.
Wenn man allerdings nicht nur in Bezug auf Konkreta, sondern auch auf Abstrakta Realist ist, dann ist die Welt der Metaphysik umfassender als diejenige der Physik. Strikt nominalistisch eingestellte Metaphysiker erkennen die reale Existenz von Abstrakta jedoch nicht an; und die meisten Naturalisten sind wohl Nominalisten.

"People who are not familiar with metaphysics are apt to have a false, or at least a somewhat distorted, conception of what it involves. Sometimes they think it has something to do with mysticism or magic, which is completely mistaken."

"[Metaphysics'] central concern is with the fundamental structure of reality as a whole."

(Lowe, E. J. A Survey of Metaphysics. Oxford: Oxford University Press, 2002. pp. 1+3)

"Metaphysics [is the] branch of philosophy that studies the ultimate structure and constitution of reality—i.e., of that which is real, insofar as it is real."

(Encylopaedia Britannica Concise: http://concise.britannica.com/ebc/article-9371973/metaphysics)

"Metaphysics [is] the philosophical study whose object is to determine the real nature of things—to determine the meaning, structure, and principles of whatever is insofar as it is."

(Encylopaedia Britannica: http://www.britannica.com/eb/article-9108718/metaphysics)
Rolli Devise
 

Beitragvon molosovsky » Di 12. Jun 2007, 22:21

Die Metaphysik, die oftmals respektierte Großphantastik vom ollen Aristoteles.

Das Problem ist ja, daß es eben Bereiche jenseits der Grenzen menschlicher Wahrnehmungsfähigkeit (selbst wenn man die Technikpseudopodien wie Mikroskop, Teleskop bedenkt), und damit jenseits der menschlichen Erkenntnis gibt.

Nun ist es meiner Meinung nach durchaus zulässig metaphysische Spekulationen zu betreiben, jedoch ziemlich gewagt, von metaphysischen Erkentnissen oder gar Wahrheiten zu sprechen.

Das bringt auf was anderes: Warum hab ich mich in letzer Zeit so wenig hier zu Wort gemeldet. Weil ich mich unwohl fühle mit dem "harten Naturalismus". Immerhin stehen Religiöse wie auch Nichtreligiöse gleichermaßen herausgefordert vor "dem Unbekannten". Mir ist die naturalistische Haltung zwar sympathsicher, denn sie trachtet nicht danach Spekulationen (oder noch schlimmer: willkürliche, subjektive Phantasmen) als Erkenntnisse zu verkaufen.

Strenggenommen kann aber ein Naturalist angesichts des noch Unbekannten nur ins wittgenstein’sche Schweigen verfallen, und das halte ich für fatal, denn über das große Unbekannte zu sinnieren ganz den anderen zu überlassen erscheint mir nicht als gute Taktik.

Was halt reinspielt in jegliche Form von Metaphysik (zu der ich Religion auch zähle) ist eben Wunschdenken. Das Gegenteil dieser Art von Wunschdenken kann man sich im Werk des Horror-Klassikers H.P. Lovecraft anschaun: da herrscht der Kosmische Schrecken, die invertierte Ehrfurcht angesichts der Größe, Unübersichtlichkeit und unpersönliche Natur der (äh) Natur.

Weil eben für Menschen alles einen Zweck und ein Ziel haben muß, wird das auf alles mögliche übertragen. Da werden dann kosmische Konstanten zum Indiz von Schöpfergott-Absicht zurechtgedeutet, weil man es im Kopf und Gemüth eben nicht aushält, sich selbst (und die Menschheit) zu einem derart gigantischen "Zufall" in Bezug zu setzten.

Eine Welt in der man sich entfalten kann und in der Versprechen nicht gebrochen werden, so hätten das wohl alle gerne. Desto älter man aber wird, desto klarer erfährt man, daß man von Grenzen beengt wird (sowohl als Einzelner als auch als Menschheit), und daß Versprechen durchaus gebrochen werden. Metaphysik und Religion sind nun zwei Arten auf diese fundamentale Lebens-Ent-Täuschung zu reagieren, wobei ich mal grob sag, daß Metaphysik ein Quäntchen mehr auf dem dem Boden zu bleiben versucht (wenn sie nicht grad von Hegel geritten wird).

Als atheistischer Phantast hab ich durchaus Respekt und meinen Gefallen an metaphysischen Spekulationen, aber ich setzte mich in vielen Debatten in die Nesseln, wenn ich gestehe, daß Metaphysik eben hauptsächlich ästhetische Reize für mich bietet. Metaphysik erzählt aber auch viel über Menschen und Kulturen und gewährt die Möglichkeit sich in ein Weltbild hineinzuempfinden/denken. Das kann — ja sollte man — auch als strenger Naturalist, wenn man denn die Konflikte und die Anderen verstehen UND bessern will, und nicht NUR bessern will.

Zuletzt: Der Begriff Metaphysik stammt zwar von Aristoteles (besser gesagt: seinen Herausgebern), aber "Schuld" an diesem "Ideenkrieg um das Sein" ist sein Mentor Platon, dieser grimmige Fäntäsy-Mystiker. Seine Proto-Meme-Theorie ist halt — aktraktiv und verführerisch vorgebracht — Erbe der Menschheit und hat desaströse Folgen für die Erkenntnis gehabt, die bis heute gewaltige Verwerfungen zeugen.

Aber es gehört nun mal zum Naturell des Menschen, sich besonders heftig zu versteifen und reinzusteigern, desto schlimmer, umso weniger gesichert und zugänglich das Gebiet ist, um das gestritten wird. Immerhin: wer würde nicht gerne als erster das Unbekannte erforschen, ausdeuten, zähmen und nutzbar machen?

Grüße
Alex / molo
EDIT 13.vii.07: Tippfehler gemerzt, dabei um ein, zwei wörtert ergänzt.
Zuletzt geändert von molosovsky am Mi 13. Jun 2007, 12:51, insgesamt 1-mal geändert.
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Beitragvon HF******* » Di 12. Jun 2007, 22:39

Hallo molo,

… Weil ich mich unwohl fühle mit dem harten Naturalismus. …


Dafür habe ich volles Verständnis. Die Unterscheidung von hartem und weichem (?) Naturalismus halte ich eher für eine rethorische Fragestellung, als eine Definitionfrage, was man als wahr und unwahr oder real oder nicht real existierend bezeichnen kann. Tatsächlich steht aber auch der harte Naturalismus (zumindest was mich angeht) in jedem Fall unter dem Vorbehalt, dass es auch denktheoretisch - wenn auch noch so unwahrscheinlich - andere Möglichkeiten gibt. Den harten Naturalismus halte ich einfach für rethorisch praktikabler und schlagkräftiger.

Das kann natürlich nicht in jedem Wort erwähnt werden und so entsteht manchmal der Eindruck, als hielte man alles für ganz einfach, eindeutig und feststehend.

Selbst gegen Ausschmückung von Spekulationen oder sogar dem Ausleben derselben ist auch relativ wenig einzuwenden, wenn man nicht befürchten muss, dass jemand „auf dem Trip hängen bleibt“.

(wenn ich etwas nicht richtig verstanden habe, bitte nicht übel nehmen.)
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Beitragvon molosovsky » Di 12. Jun 2007, 22:50

Danke fürs Verständnis, HFR (wenn ich Dich so faul abkürzeln darf).

Es ist halt eine Gradwanderung, denn natürlich ist es nötig etwas gegen den grassierenden Irrationalismus der Religiösen zu unternehmen (EDIT: vor allem wo diese ins gesellschaftliche Grundgefüge eingreifen wollen /EDIT). Aber muß man sich deshalb gleich verleiten lassen, und in jakobinischer Leninistenmanier für sich den Besitz des Steins der Weisen beanspruchen, und sich selbst (als harter Naturalist) entsprechende Tribunalfreifahrtsscheine ausstellen? Meinem Empfinden nach nicht.

Ich denke, daß viele westliche Menschen da irgendwo in der Mitte versumpfen. Sie wissen um die Gefahren der alten Mythen und Welterklärungssysteme, bekommen es aber im eigenen Leben noch nicht gebacken, die "metaphysischen Zumutungen und Schrecken" der Moderne fruchtbar zu integieren. EDIT: Die tiefschürfenden Zumutungen sind nicht ausschließlich eine Sache der Moderne. Religionen haben sich sich eben schon in der Frühgeschiche als Bewältigungshilfe und Gruppenkitt entwickelt /EDIT.

Ich selbst versuche da einen entsprechend vermittelnden Weg zu gehen, so nach dem Motto: ja, elaborierte Wunschvorstellungs-Spekulationen KÖNNEN ein stärkendes Mittel sein, können (im Guten) Inspiration liefern. Aber wie Du, HRF, so schön schreibst, darf man halt nicht auf dem Tripp hängenbleiben.
Grüße
Alex / molo

EDIT: Fehler gemerzt und um einige Worte ergänzt.
Zuletzt geändert von molosovsky am Mi 13. Jun 2007, 12:55, insgesamt 1-mal geändert.
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Beitragvon HF******* » Di 12. Jun 2007, 23:02

molosovsky schrieb:
… bekommen es aber im eigenen Leben noch nicht gebacken, die "metaphysischen Zumutungen und Schrecken" der Moderne fruchtbar zu integieren. …

Das ist auch ein Problem, dass die vorhandenen „Lösungen“ eher intellektueller Natur sind und zudem meilenweite Löcher aufweisen.

Die Brights sind nur ein winziges Füllsel in diesem riesigen Vakuum.
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Beitragvon HF******* » Mi 13. Jun 2007, 12:16

@Rolli Devise:
Der Bereich Metaphysik ist einfach zu missverständlich, als dass man ihn vernünftig in die Dreiteilung aufnehmen könnte. Ich habe den Bereich daher entfernt. Es helfen nur Konkretisierungen zur Vermeidung von Missverständnissen:

Wenn jemand eine spekulative Idee reational und nüchtern ausbaut, dann weiß ich nicht recht, wie diese Idee Teil des Weltbildes werden kann: Ich könnte soetwas eher nicht unter Nr. 1 einordnen. Erst recht kann Gefühl und Emotion nicht zum allgemeingültigen Erkenntnisgewinn über die Beschaffenheit der Welt ansich führen.

Wenn sich zwei Menschen lieben dann können sie daraus für sich persönlich ableiten, dass sie möglicherweise ein glückliches Leben miteinander verbringen können, weil gewisse emotionale Voraussetzungen vorhanden sind, die wiederum im Sinne von Nr. 1 untersucht werden können. Ein allgemeingültiger Erkenntnisgewinn ist daraus allerdings schwerlich zu ziehen, etwa dass sich diese Menschen aufgrund höherer Fügung getroffen hätten.

Ebensowenig kann man aus Gefühlen im Weihnachtsgottesdienst ableiten, dass es eine Gottheit gibt. Man kann daraus allenfalls erkennen, dass man bei einer bestimmten Person mit bestimmten Einwirkungen bestimmte Emotionen auslösen kann.

Trozdem kann man wohl einsehen, dass es für die Menschen besonders wichtig ist, wen sie lieben und wann sie welche Emotionen haben - vielleicht sogar, wie sie diese Emotionen erzeugen können. Das kann in vielfältiger Hinsicht Teil des eigenen Weltbildes sein (muss es aber nicht).

Mir geht es darum, dass die unkontrollierte Vermengung und Koppelung der Bereiche Nr. 1-3 verhängnisvoll sein kann. Etwa wenn jemand meint, aus einer Emotion oder besonders plastischen Phantasie die Existenz einer Gottheit ableiten zu können (Stichwort: Weil es erfahren wurde) und dann aus der Bibel Normen ableitet, die als absolut richtig und Basis der eigenen Moral angesehen werden, weil der Gott es befohlen hat, der real existiert.

Gerade passend in einem Supernaturalistenforum gefunden, von Frater:
Bei wirklich g l ä u b i g e n Menschen sieht die Einstellung zu meiner Überzeugung schon wieder ganz anders aus. Es geht nicht um Wörter, deren Bedeutungen oder Interpretationen, sondern ganz einfach um die Einheit im Glauben. Egal welcher institutionellen Ausgestaltung. Gott zu finden bedeutet für mich vor allem, die Einheit mit dem Menschen zu suchen und nach Frieden und Glück zu streben. Das ist ein Ethos, den man in sämtlichen Religionen wiederfindet.

Eben das ist das verhängnisvolle, jeder ethisch-moralische Verstand wird abgeschaltet, um die Einheit des Systems von Gottheit und dogmatischer Moralvorstellung aufrecht zu erhalten.
Zuletzt geändert von HF******* am Do 14. Jun 2007, 10:23, insgesamt 2-mal geändert.
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Beitragvon Rolli Devise » Mi 13. Jun 2007, 16:20

molosovsky hat geschrieben:Die Metaphysik, die oftmals respektierte Großphantastik vom ollen Aristoteles.


Die zeitgenössischen analytischen Metaphysiker, deren Texte ich lese, machen überhaupt nicht den Eindruck, als wären sie "Großphantasten". Mit dem Großen und Ganzen beschäftigen sie sich allerdings sehr wohl — aber genauso mit diffizilen Einzelfragen.

molosovsky hat geschrieben:Nun ist es meiner Meinung nach durchaus zulässig metaphysische Spekulationen zu betreiben, jedoch ziemlich gewagt, von metaphysischen Erkentnissen oder gar Wahrheiten zu sprechen.


Einer der bedeutendsten (wenn nicht der bedeutendste) Metaphysiker des 20. Jh.s, der Amerikaner David Lewis, ist sich dessen voll bewusst. Für die Metaphysik wie für die Philosophie allgemein gilt:

"Philosophy is as shaky as can be."

(Lewis, David. "Mathematics is Megethology." In Papers in Philosophical Logic, Vol. 1, 203-230. Cambridge: Cambridge University Press, 1998. p. 218)

Ich spreche nicht von metaphysischen Erkenntnissen oder metaphysischem Wissen, sondern nur von metaphysischen Einsichten. Doch selbst bei dieser Ausdrucksweise ist Folgendes zu beachten:

"Our 'intuitions' are simply opinions; our philosophical theories are the same. Some are commonsensical, some are sophisticated; some are particular, some are general, some are more firmly held, some less. But they are all opinions, and a reasonable goal for a philosopher is to bring them into equilibrium. Our common task is to find out what equilibria there are that can withstand examination, but it remains for each of us to come to rest at one or another of them. If we lose our moorings in everyday common sense, our fault is not that we ignore part of our evidence. Rather, the trouble is that we settle for a very inadequate equilibrium. If our official theories disagree with what we cannot help thinking outside the philosophy room, then no real equilibrium has been reached. Unless we are doubleplusgood doublethinkers, it will not last. And it should not last, for it is safe to say that in such a case we will believe a great deal that is false.
Once the menu of well-worked-out theories is before us, philosophy is a matter of opinion. Is this to say that there is no truth to be had? Or that the truth is of our own making, and different ones of us can make it differently? Not at all. If you say flatly that there is no god, and I say that there are countless gods but none of them are our worldmates, then it may be that neither of us is making any mistake of method. We may each be bringing our opinions to equilibrium in the most careful possible way, taking account of all the arguments, distinctions, and counterexamples. But one of us, at least, is making a mistake of fact. Which one is wrong depends on what there is.


(Lewis, David. Philosophical Papers. Vol. 1. New York: Oxford University Press, 1983. x+xi)

Dass philosophische/metaphysische Theorien im Grunde Meinungen darstellen, bedeutet keineswegs, dass alle gleichwertig sind. Denn es gibt gute, d.i. argumentativ gut begründete, und schlechte, d.i. argumentativ schlecht oder gar nicht begründete. Doch selbst wenn die schlechten Theorien aussortiert sind, bleiben immer noch mehrere konkurrierende übrig, die gleichermaßen bestens ausgeklügelt sind, und bezüglich deren deshalb keine objektive Entscheidung mehr getroffen werden kann. Die besten Theorien, die sich intern sowie sowohl mit dem Common Sense als auch mit den wissenschaftlichen Erkenntnissen im Gleichgewicht befinden, stehen damit gleichberechtigt nebeneinander. Wir können also praktisch nicht umhin, nolens volens mit einem Meinungspluralismus in der Philosophie und insbesondere in der Metaphysik zu leben.

"Wenn die Angebotsliste der wohlausgeklügelten Theorien einmal vor uns liegt, wird die Philosophie zur Meinungssache." (David Lewis)

Lewis war übrigens Atheist:

"I think of this world we live in as entirely godless."

(Lewis, David. Philosophical Papers. Vol. 1. New York: Oxford University Press, 1983. xi, fn. 4)

molosovsky hat geschrieben:Strenggenommen kann aber ein Naturalist angesichts des noch Unbekannten nur ins wittgenstein’sche Schweigen verfallen, und das halte ich für fatal, denn über das große Unbekannte zu sinnieren ganz den anderen zu überlassen erscheint mir nicht als gute Taktik.


Ich mutmaße, dass der Mensch aufgrund seines sehr hohen geistigen Entwicklungsstandes eine angeborene Neigung zum Philosophieren und damit auch zum transempirischen Spekulieren hat.
Die analytische Philosophie hat ihre antimetaphysische Phase längst überwunden. Man verdammt die Metaphysik nicht mehr als ein Unding, ein Ding der Unmöglichkeit (man verneint allerdings spätestens seit Kant die Möglichkeit einer wissenschaftlichen M.), sondern man widmet sich ihr wieder wie zu den Zeiten der alten Griechen — mit dem Unterschied, dass heutzutage an die metaphysischen Themen wesentlich logischer und analytischer herangegangen wird, und überdies die Erkenntnisse der Wissenschaften dabei stets in Betracht gezogen werden.
Es geht also gar nicht mehr um "Metaphysik: Ja oder Nein?", sondern um "Gute Metaphysik vs. schlechte Metaphysik".

molosovsky hat geschrieben:Was halt reinspielt in jegliche Form von Metaphysik (zu der ich Religion auch zähle) ist eben Wunschdenken.


Dass die metaphysischen Präferenzen einer Person nicht nur rein theoretischer Natur sind, scheint wahrscheinlich.
Emotionale Faktoren spielen dabei wohl eine mehr oder minder große, mehr oder minder bewusste Rolle, was nicht heißen soll, dass es in metaphysischen Angelegenheiten für die Ratio generell unmöglich ist, die Oberhand zu behalten.

molosovsky hat geschrieben:Als atheistischer Phantast hab ich durchaus Respekt und meinen Gefallen an metaphysischen Spekulationen, aber ich setzte mich in vielen Debatten in die Nesseln, wenn ich gestehe, daß Metaphysik eben hauptsächlich ästhetische Reize für mich bietet.


Da kommt mir ein schönes Zitat in den Sinn:

"Hatte Diotavelli die Arithmetik in Religion verwandelt oder die Religion in Arithmetik? Vielleicht beides. Oder vielleicht war er nur ein Atheist, der mit der Ekstase eines höchsten Himmels flirtete."

(Umberto Eco, zitiert in J. D. Barrow: "Ein Himmel voller Zahlen: Auf den Spuren mathematischer Wahrheit")

molosovsky hat geschrieben:Zuletzt: Der Begriff Metaphysik stammt zwar von Aristoteles (besser gesagt: seinen Herausgebern), aber "Schuld" an diesem "Ideenkrieg um das Sein" ist sein Mentor Platon, dieser grimmige Fäntäsy-Mystiker.


Platons Haupthinterlassenschaft ist die Zwei-Welten-Theorie, die besagt, dass es einen mundus sensibilis, d.i. eine sinnliche erfahrbare Welt, und einen mundus intelligibilis, d.i. eine übersinnliche, nur der reinen Vernunft zugängliche Welt, gibt.

molosovsky hat geschrieben:Aber es gehört nun mal zum Naturell des Menschen, sich besonders heftig zu versteifen und reinzusteigern, desto schlimmer, umso weniger gesichert und zugänglich das Gebiet ist, um das gestritten wird. Immerhin: wer würde nicht gerne als erster das Unbekannte erforschen, ausdeuten, zähmen und nutzbar machen?


Eines meiner Lieblingszitate von Hegel:

"Die natürlichen Dinge sind beschränkt, und nur natürliche Dinge sind sie, insofern sie nichts von ihrer allgemeinen Schranke wissen, insofern ihre Bestimmtheit nur eine Schranke für uns ist, nicht für sie. Als Schranke, Mangel wird etwas nur gewußt, ja empfunden, indem man zugleich darüber hinaus ist."

(Hegel: "Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften", §60)

Man könnte hier vom "Paradox der Transzendenz" sprechen:
Wer sich der Grenzen seines Verstandes bewusst ist, der hat sie damit überschritten.
Einerseits können wir unsere Verstandesgrenzen qua Grenzen nicht überschreiten, und andererseits können wir es doch!
Rolli Devise
 

Beitragvon Rolli Devise » Mi 13. Jun 2007, 16:50

HFRudolph hat geschrieben:Ebensowenig kann man aus Gefühlen im Weihnachtsgottesdienst ableiten, dass es eine Gottheit gibt. Man kann daraus allenfalls erkennen, dass man bei einer bestimmten Person mit bestimmten Einwirkungen bestimmte Emotionen auslösen kann.
(...)
Mir geht es darum, dass die unkontrollierte Vermengung und Koppelung der Bereiche Nr. 1-3 verhängnisvoll sein kann. Etwa wenn jemand meint, aus einer Emotion oder besonders plastischen Phantasie die Existenz einer Gottheit ableiten zu können (Stichwort: Weil es erfahren wurde) und dann aus der Bibel Normen ableitet, die als absolut richtig und Basis der eigenen Moral angesehen werden, weil der Gott es befohlen hat, der real existiert.


Schon Nietzsche mokiert sich über den, wie er es nennt, "Beweis der Kraft" bzw. "Beweis der Lust":

"Es scheint, wenn anders ich mich nicht verhört habe, dass es unter Christen eine Art Kriterium der Wahrheit gibt, das man den "Beweis der Kraft" nennt. "Der Glaube macht selig: also ist er wahr."— Man dürfte hier zunächst einwenden, dass gerade das Seligmachen nicht bewiesen, sondern nur versprochen ist: die Seligkeit an die Bedingung des "Glaubens" geknüpft,—man soll selig werden, weil man glaubt ... Aber dass tatsächlich eintritt, was der Priester dem Gläubigen für das jeder Kontrolle unzugängliche "Jenseits" verspricht, womit bewiese sich das?— Der angebliche "Beweis der Kraft" ist also im Grunde wieder nur ein Glaube daran, dass die Wirkung nicht ausbleibt, welche man sich vom Glauben verspricht. In Formel: "ich glaube, dass der Glaube selig macht;—folglich ist er wahr."— Aber damit sind wir schon am Ende. Dies "folglich" wäre das absurdum selbst als Kriterium der Wahrheit.— Setzen wir aber, mit einiger Nachgiebigkeit, dass das Seligmachen durch den Glauben bewiesen sei—nicht nur gewünscht, nicht nur durch den etwas verdächtigen Mund eines Priesters versprochen: wäre Seligkeit,—technischer geredet, Lust jemals ein Beweis der Wahrheit? So wenig, dass es beinahe den Gegenbeweis, jedenfalls den höchsten Argwohn gegen die "Wahrheit" abgibt, wenn Lustempfindungen über die Frage "was ist wahr?" mitreden. Der Beweis der "Lust" ist ein Beweis für "Lust,"—nichts mehr; woher um alles in der Welt stünde es fest, dass gerade wahre Urteile mehr Vergnügen machten als falsche und, gemäss einer prästabilierten Harmonie, angenehme Gefühle mit Notwendigkeit hinter sich drein zögen?— Die Erfahrung aller strengen, aller tief gearteten Geister lehrt das Umgekehrte. Man hat jeden Schritt breit Wahrheit sich abringen müssen, man hat fast alles dagegen preisgeben müssen, woran sonst das Herz, woran unsre Liebe, unser Vertrauen zum Leben hängt. Es bedarf Grösse der Seele dazu: der Dienst der Wahrheit ist der härteste Dienst.— Was heisst denn rechtschaffen sein in geistigen Dingen? Dass man streng gegen sein Herz ist, dass man die "schönen Gefühle" verachtet, dass man sich aus jedem Ja und Nein ein Gewissen macht! — — — Der Glaube macht selig: folglich lügt er ..."

(Nietzsche: "Der Antichrist", §50)

Sehr viele Gläubige scheinen sich in der Tat einzubilden, dass allein die Kraft ihres Glaubens und ihre Inbrunst das Geglaubte wahr machen.
Rolli Devise
 

Beitragvon HF******* » Mi 13. Jun 2007, 17:04

Rolli Devise schrieb:
Sehr viele Gläubige scheinen sich in der Tat einzubilden, dass allein die Kraft ihres Glaubens und ihre Inbrunst das Geglaubte wahr machen.


Ja, schizophren. Aber so viele sind das gar nicht, das ist eher der radikale Randbereich …
HF*******
 
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