Über uns Brights

Re: Über uns Brights

Beitragvon Sisyphos » Fr 5. Okt 2007, 09:49

Andreas Müller hat geschrieben:Der religiöse Glaube, sofern man nicht von Pantheismus oder Deismus redet, ist immer mit moralischen Forderungen verbunden.


Die meisten Christen, mit denen ich rede, stellen keine moralischen Forderungen an mich. Allemal haben sie Verständnisfragen oder äußern Vorurteile, die sich ausräumen lassen. Wenn ich gleich immer über ihren Glauben herziehe, ist ein offenen Gespräch nicht mehr möglich. Es lässt sich auch vortrefflich über die moralsichen Forderungen, die die Kirche an die Gesellschaft stellt, diskutieren - aber nicht, wenn ich die persönliche Religiösität meines Gesprächspartners kritisiere.

Wenn du sagst, dass deiner Erfahrung nach Gläubige immer beleidigt sind, solltest du dir die Frage stellen, ob du nicht vielleicht etwas falsch machst.

Mir geht es darum, überhaupt erstmal eine Gesprächssituation zu ermöglichen, in der ich mein Anliegen vortragen kann. Wenn ich meinem gegenüber kraft meines besserwisserischen "Bright"-Seins eine Kränkung zufüge, wird es sich schwerlich dazu bereit erklären, mein Weltbild als gleichwertig anzuerkennen.
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Re: Über uns Brights

Beitragvon Sisyphos » Fr 5. Okt 2007, 10:05

ostfriese hat geschrieben:Freud hat ja nicht umsonst die drei Kränkungen der Menschheit durch Kopernikus, Darwin und seine Wenigkeit als solche beschrieben. Wahrheit kann kränkend sein, kollektiv ebenso wie individuell. Hier gilt es zu prüfen, ob das durch diese Kränkung ausgelöste Leid nicht durch einen großen Gewinn überwogen wird.

Und daran habe ich im Falle der naturalistischen und humanistischen Religionskritik keine Zweifel. Die anti-säkulare Rolle rückwärts in den USA geht einher mit zivilisatorischen Rückschritten (bis hin zum Neo-Kolonialismus), während der nord- und kerneuropäische Säkularismus uns in Richtung Verwirklichung humanistischer Werte eindeutig voran gebracht hat.


Ostfriese, ich gebe dir natürlich Recht. Doch reden wir von verschiedenen Dingen. Den gesellschaftlichen Säkularisierungsprozess voranzutreiben, setzt nicht voraus, jeden Gläubigen persönlich vor den Kopf zu stoßen. Einen Religösen können wir ohnehin nicht durch Argumente (und schon gar nicht durch Kränkungen) von seinem Glauben abbringen. Aber wir können ihn vielleicht davon überzeugen, dass es sinnvoll ist, seine Kinder selbst nach Antworten suchen zu lassen, sie also nicht zu indoktrinieren. Wir können ihn vielleicht auch überzeugen, dass es sinnvoll ist, wenn in staatlichen Schulen kein Religionsunterricht stattfindet. Aber wir werden ihn nicht um einen Teil seiner Persönlichkeit bringen können.

Ansonsten ist Aufklärung Bildungsarbeit an den nachwachsenden Generationen.
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Re: Über uns Brights

Beitragvon Falk » Fr 5. Okt 2007, 10:35

@Sisyphos
Die meisten Christen, mit denen ich rede, stellen keine moralischen Forderungen an mich.

Sagen sie meistens - glauben sie wohl auch. Ist aber dennnoch häufig falsch. Denn religiöser Glaube beeinflußt allermeistens durchaus die moralischen Grundsätze des Glaubenden, d.h. viele, wenn nicht alle Christen, werden aus ihrem Glauben Verhaltensweisen ableiten (Nächstenliebe, Mitleid, etc.). Nur der Umstand, daß sich diese Verhaltensweisen von unseren nicht nennenswert unterscheiden, macht die Illusion möglich, der religiöse Glaube sei Privatsache. Wenn derselbe aber Einfluß auf das Verhalten des Gläubigen seinen Mitmenschen gegenüber hat, dann ist er keine Privatsache.

Deine Argumentation verstehe ich freilich trotzdem, ich will nichts dagegen sagen. Nur auf diese Privatsachenthese reagiere ich eher gereizt - sie ist falsch, und wird häufig apologetisch verwendet (auch daher Dennett: "Breaking the Spell").
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Re: Über uns Brights

Beitragvon Sisyphos » Fr 5. Okt 2007, 11:08

Falk hat geschrieben:[...], d.h. viele, wenn nicht alle Christen, werden aus ihrem Glauben Verhaltensweisen ableiten (Nächstenliebe, Mitleid, etc.). Nur der Umstand, daß sich diese Verhaltensweisen von unseren nicht nennenswert unterscheiden, [...].


Die moralische Forderung, ich dürfe doch vor der Ehe keinen Sex haben, weise ich natürlich zurück. Abgesehen davon hat dies noch kein Christ mir gegenüber geäußert.

Aber was ist problematisch an praktischer Nächstenliebe? Der Christ verhält sich menschlich und findet die Erklärung dafür im neuen Testament. Das bestärkt ihn sogar in diesem Verhalten. Ich selbst verhalte mich menschlich und finde die Erklärung dafür in der natürlichen Kooperation, die soziale Gruppen erst überlebensfähig macht. Das Resultat ist doch das gleiche - wie du ja selbst schreibst. Mit dem Mitleid verhält es sich ähnlich. Nächstenliebe und Mitleid als aus dem christlichen Glauben abgeleitete moralische Forderungen und Verhaltensweisen schaden mir doch nicht. Im Gegenteil: als Naturalist weiß ich, dass sie zum gegenseitigen Nutzen beitragen. Warum sollte ich die als "Nächstenliebe" bezeichnete Kooperation des Christen zurückweisen?
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Re: Über uns Brights

Beitragvon Falk » Fr 5. Okt 2007, 11:17

Du mißverstehst mich - es ging mir nur darum, daß religiöser Glaube keine Privatsache ist, nicht darum, daß Nächstenliebe und Mitleid falsch wären. Auch stellen viele Religiöse genauso wie wir moralische Forderungen - es fällt bloß nicht auf, weil die Konsequenzen unserer moralischen Überzeugungen ohnehin fast deckungsgleich sind.

Man kann sagen, diese Forderungen seien nichts Schlimmes - aber zu sagen, es gäbe sie nicht, ist deshalb noch nicht richtig.
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Re: Über uns Brights

Beitragvon Sisyphos » Fr 5. Okt 2007, 11:26

Falk hat geschrieben:Man kann sagen, diese Forderungen seien nichts Schlimmes - aber zu sagen, es gäbe sie nicht, ist deshalb noch nicht richtig.


Ich habe dich schon verstanden. Allerdings schrieb ich, dass moralische Forderungen mir gegenüber nicht geäußert wurden. Ich meinte nicht, dass es sie nicht gäbe. Insgesamt ist es sinnvoll zu differenzieren: welche dieser Forderungen - wenn sie geäußert werden - weisen wir als Bevormundung (und da hat Andreas recht) zurück? Und welche Forderungen sind unproblematisch, da sie ohnehin auf das gleiche Verhalten hinauslaufen? Während wir i.d.R. die katholische Sexualmoral begründeterweise ablehnen, müssen wir das nicht zwangläufig auch mit der Nächstenliebe tun.
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Re: Über uns Brights

Beitragvon Andreas Müller » Fr 5. Okt 2007, 12:21

Die Nächstenliebe ist doch Unsinn, vor allem verbunden mit der Feindesliebe. Wenn mich jemand schlägt, dann liebe ich den nicht, sondern schlage zurück. Feindesliebe untergräbt die gesellschaftliche Ordnung. Man kann einfach keine allgemein gültigen Moralsätze aufstellen. Echte Gläubige fordern außerdem stets die Übertragung ihrer biblischen Gesellschaftsordnung auf unsere.
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Re: Über uns Brights

Beitragvon Sisyphos » Fr 5. Okt 2007, 12:47

Andreas Müller hat geschrieben:Die Nächstenliebe ist doch Unsinn, vor allem verbunden mit der Feindesliebe. Wenn mich jemand schlägt, dann liebe ich den nicht, sondern schlage zurück.


Das reflexhafte Zurückschlagen ist im Falle eines Konfliktes meist genauso schwachsinnig wie naive Feindesliebe. Es kommt schon auf die Situation an, welches Konfliktverhalten zu einem sinnvollen Ergebnis führt. Manchmal habe ich das Gefühl, das du die Welt genauso schwarz-weiß malst, wie du es denen unterstellst, gegen die du antrittst.

Andreas Müller hat geschrieben:Echte Gläubige fordern außerdem stets die Übertragung ihrer biblischen Gesellschaftsordnung auf unsere.


Der Anteil an Fundamentalisten unter den Gläuben, diese Forderungen erheben, ist in Europa relativ klein. Es wäre falsch, deren Intentionen allen anderen ebenfalls zu unterstellen. Das liefe darauf hinaus, jeden Gläubigen pauschal als biblisch inspirierten Gesellschaftsreformer hinzustellen.

Ausnahmslos alle Christen, die ich kenne, sind vorzügliche Menschen und überzeugte Demokraten - auch wenn es gelegentlich zu Meinungsverschiedenheiten über die Ausgestaltung des Verhältnisses von Staat und Religion kommt.

Das ist im Übrigen der Grund, weshalb ich in diesem Thread überhaupt mitdiskutiere. Meine empirischen Erfahrungen widersprechen dem Bild, das wir uns pauschal von Gläubigen machen.
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Re: Über uns Brights

Beitragvon Andreas Müller » Fr 5. Okt 2007, 12:52

Tja, das sind halt keine Gläubigen. Die sind sich offenbar nicht sicher, wirklich das Wort Gottes zu kennen.

Das reflexhafte Zurückschlagen ist im Falle eines Konfliktes meist genauso schwachsinnig wie naive Feindesliebe. Es kommt schon auf die Situation an, welches Konfliktverhalten zu einem sinnvollen Ergebnis führt.


Das ist schon klar, aber ich würde das Zurückschlagen nicht ausschließen. Meiner Schul-Erfahrung nach bin ich eigentlich doch eher fürs Zurückschlagen. Es geht nicht an, dass solche Leute straffrei ausgehen und das würden sie, wenn alles mit unfähigen 68er-Pädagogen zugekleistert ist. "Ja, Kinder schlagen sich halt mal."
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Re: Über uns Brights

Beitragvon Klaus » Fr 5. Okt 2007, 12:56

Ich bin doch nicht gegen Glaeubige, genau genomme ist mir das voellig egal, was die glauben. Ich bin gegen Religion als Ideologie, als politisches Machtkalkuel, ebenso weigere ich mich zu akzeptieren, dass es vom Popanz aus Rom Enzyklika geben muss, die dann Eingang finden in unsere Gesetze. Religion als sozial-politisches Element muss bekaempft werden.
Nimm den anerkannten Reli-Gemeinschaften ihre Privilegien weg und du wirst sehen, wie demokratisch sie weiter sind. Nur die Abschaffung des Reichskonkordats, weg mit diesem ganzen alten Mist. Die verschleierten Staatsausgaben fuer die Kirchen und und. Der Glaeubige ist da doch uninteressant.
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Re: Über uns Brights

Beitragvon Andreas Müller » Fr 5. Okt 2007, 13:01

Angesichts dessen, dass all dies Resultat eines bestimmten Glaubens ist, bin ich natürlich auch gegen den Glauben. Ich will nicht nur die Symptome, sondern auch die Ursache bekämpfen. Dass dies verhältnismäßig und mit Einbezug des Einzelfalles geschehen muss, ist klar.
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Re: Über uns Brights

Beitragvon Falk » Fr 5. Okt 2007, 13:18

Ich habe dich schon verstanden. Allerdings schrieb ich, dass moralische Forderungen mir gegenüber nicht geäußert wurden. Ich meinte nicht, dass es sie nicht gäbe. Insgesamt ist es sinnvoll zu differenzieren: welche dieser Forderungen - wenn sie geäußert werden - weisen wir als Bevormundung (und da hat Andreas recht) zurück? Und welche Forderungen sind unproblematisch, da sie ohnehin auf das gleiche Verhalten hinauslaufen?

Sollten die Forderungen nicht auf das gleiche Verhalten hinauslaufen, würden sie auch geäußert - ist Bevormundung also nur dann gegeben, wenn das Verhalten zufällig nicht identisch ist? Das ist eine seltsame Definition von "Bevormundung".
Ich persönlich denke ähnlich wie Andreas, daß eine Welt ohne Religion besser wäre als eine mit. Moralische Grundsätze sollten auf rationalen Überlegungen fußen, nicht auf religiösen. Der Zufall, daß beide hierzulande oft deckungsgleich sind, macht die religiöse Begründung nicht besser.
Dennoch stimmen wir wohl im Grunde überein, daß es unser Anliegen sein muß, auf die religiösen Verhaltensweisen einzugehen, die nicht mit unseren übereinstimmen. Mit angewandter Nächstenliebe kann auch ich gut leben.

In der Sache sind wir uns wohl grob einig, formal wohl nicht. Aber die Sache ist freilich wichtiger.
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Re: Über uns Brights

Beitragvon Sisyphos » Fr 5. Okt 2007, 13:39

Falk hat geschrieben:Sollten die Forderungen nicht auf das gleiche Verhalten hinauslaufen, würden sie auch geäußert - ist Bevormundung also nur dann gegeben, wenn das Verhalten zufällig nicht identisch ist? Das ist eine seltsame Definition von "Bevormundung".


Formal gebe ich dir recht. Forderungen, die das Verhalten anderer zum Ziel haben, können - unabhängig vom Inhalt der Forderungen - generell als Bevormundung verstanden werden.

Es liegt wohl in meinem subjektiven Ermessen, ob ich eine bestimmte Forderung als Bevormundung empfinde oder nicht. Im Falle der sogenannten Nächstenliebe muss ich die Forderung nicht empört zurückweisen. Statt dessen erkläre ich dem Gläubigen lieber, aus welchem Grund die meisten Menschen (Ungläubige wie Gläubige der verschiedensten Religionen) sich ohnehin so verhalten und weshalb menschliche Kooperation nichts mit christlicher Moral zu tun hat, weshalb seine moralische Forderung also überflüssig ist.
Zuletzt geändert von Sisyphos am Fr 5. Okt 2007, 13:49, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: Über uns Brights

Beitragvon Sisyphos » Fr 5. Okt 2007, 13:48

Klaus hat geschrieben:[...] Nimm den anerkannten Reli-Gemeinschaften ihre Privilegien weg und du wirst sehen, wie demokratisch sie weiter sind. Nur die Abschaffung des Reichskonkordats, weg mit diesem ganzen alten Mist. Die verschleierten Staatsausgaben fuer die Kirchen und und. [...]


Es gibt in der Tat - unabhängig von den politischen Forderungen der Institionen (Kirchen) - viele Christen, die kein Problem mit einer konsequenteren Trennung von Staat und Religion hätten. Solche Leute lassen ihren Kindern z.B. auch die freie Entscheidung, den Ethikunterricht anstelle des Religionsunterrichts zu besuchen.
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Re: Über uns Brights

Beitragvon Klaus » Fr 5. Okt 2007, 13:54

Sisyphos, I agree with you. Mir geht es um institutionalisierte Religionen, nicht um den Glaeubigen. Unsere ganze Gesellschaft ist religioes durchseucht. Das ist das Problem. Wenn die Wissenschaften z.b. die Deutungshoheit verlieren wuerden, und diese Gefahr ist z.B. bei Kreationismus/ID gegeben, haben wir das Mittelalter zurueck. Dann schreiben die Religionen vor, was wir wissen sollen und duerfen und die letzten Jahrhunderte der Aufklaerung waeren umsonst.
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Re: Über uns Brights

Beitragvon Sisyphos » Fr 5. Okt 2007, 15:54

Klaus hat geschrieben:Sisyphos, I agree with you. Mir geht es um institutionalisierte Religionen, nicht um den Glaeubigen. ...


Dann sind wir uns ja einig. :^^:
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Re: Über uns Brights

Beitragvon Andreas Müller » Fr 5. Okt 2007, 18:09

Wenn ihr nicht die Wurzel der Probleme behandelt, dann wird sich nichts Grundlegendes ändern, sondern es bleibt ein ewiges Hin und Her.
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