Gefühle

Gefühle

Beitragvon Joe » Sa 17. Feb 2007, 19:55

Die Bedeutung von Gefühlen

Der Mensch betrachtet sich als rationales Wesen. Er ist stolz auf seine Intelligenz, auf seine technischen Errungenschaften, auf seine von ihm erfahrene Willensfreiheit und auf die Fähigkeit, bei schwierigen Situationen einen kühlen Kopf zu bewahren, um vernünftige und für die Situation angemessene Entscheidungen treffen zu können. Darin glaubt er sich von den Tieren zu unterscheiden, die lediglich ihren Instinkten folgen. Er glaubt, Entscheidungen müssen wohl überlegt sein, und auf der Basis der Vernunft erfolgen. Darauf wird vor allem in einer modernen und freiheitlichen Demokratie Wert gelegt, die von diesem Gedanken lebt. Es ist eine rechtsstaatliche Notwendigkeit, dass Richter und Beamte uneigennützig und ohne Ansehen der Person ihren Aufgaben nachkommen. Leider wird dieses hohe Ideal in der praktischen Lebensrealität nicht immer gewissenhaft erfüllt. Denn der Mensch ist ein Wesen, das Gefühle empfindet und von ihnen geleitet wird. Er pflegt Freundschaften, baut Partnerschaften auf, fühlt Lust an der Sexualität, liebt seine Kinder, hat Liebeskummer und Trennungsschmerz, ergeht seinen Hobbies und Passionen nach und sucht nach Sinn und Erfüllung. Das ganze Leben ist geprägt, ja durchdrungen von Gefühlen. Aber sind das Geleitetwerden von Gefühlen und vernunftorientierte Entscheidungen eigentlich ein Widerspruch? Was sind Gefühle?

Wir nehmen in erster Linie Veränderungen und keine Zustände wahr. So wird zum Beispiel ein gleichbleibendes Geräusch nach einer längeren Zeit nicht mehr gehört, ein Kieselstein im Schuh nach einer Weile nicht mehr gespürt und alltägliche Handlungen mit immer gleichem Ablauf kaum mehr bewusst erlebt. Gewahr werden wir uns der Sache wieder, sobald eine Veränderung des Ablaufes eintritt. Auch im lebenden Körper, der in seiner Komplexheit kaum zu überschauen ist, treten ständig Veränderungen auf. Der Blutdruck steigt und fällt wieder ab. Adrenalin und viele andere chemischen Stoffe werden ausgeschüttet, Nervenimpulse durchdringen den ganzen Körper, lassen Muskeln sich bewegen und beeinflussen die inneren Organe. Schließlich finden Berührungen und Verletzungen von außen statt. Alle Veränderungen am Körper werden von Nervensignalen ausgelöst, oder von ihnen wahrgenommen. Diese Veränderungen - im wahrsten Sinne des Wortes Emotionen - werden vom Subjekt als Gefühle wahrgenommen. Es gibt kein Gefühl, das nicht mit einer Körperveränderung einherginge, wie erhöhte Schweißproduktion, Zittern, unterlegte Stimme, Veränderungen in der Gestik und Mimik, im Magen und der Darmperistaltik, oder am Finger, wenn ihn ein Hammer trifft.
Im Laufe der Evolution wurden die Tierarten, auch der Mensch, mit Eigenschaften ausgestattet, die ihren Reproduktionserfolg optimieren. Dazu gehört auch, dass ein Wesen versucht, Vorteile zu erkennen, für sich zu nutzen und Ereignisse, die mit Nachteilen verbunden sein können, zu meiden. Ein sehr bedeutendes Gefühl ist der körperliche Schmerz. Erstens, weil der besonders intensiv und negativ wahrgenommen wird, und zweitens, weil er mit erheblichen physischen Verletzungen einhergeht, was ein in freier Wildbahn lebendes Tier in ernste Lebensgefahr bringt. Ereignisse, die Schmerzen nach sich ziehen, gilt es also, unter allen Umständen zu vermeiden.
Gefühle sind nie neutral, sie werden entweder als positiv oder negativ empfunden, abhängig davon, ob die Situation, die sie hervorgerufen hat für das Individuum normalerweise vorteil- oder nachteilhaft ist. Liebe führt zu einer partnerschaftlichen Bindung und ist die Triebkraft der Evolution, und daher nicht zufällig das wohl schönste Gefühl. Umso schmerzhafter wird der Liebeskummer empfunden, oder Trennungsschmerz von einem Menschen, der einem viel bedeutet und durchs Leben begleitet hat, was also in Zukunft mit einem großen Verlust verbunden sein wird. Egal, welches der vielfältigen Gefühle erlebt wird, es steckt immer die Absicht des Organismus dahinter, sich zu erhalten bzw. seine Gene weiterzugeben. Gefühle werden so unterschiedlich erlebt, wie es Körperzustände gibt, die sie hervorrufen, und so unterschiedlich sind auch ihre Bedeutungen für das Individuum.

Der Organismus wird in der Natur und ganz allgemein, im Leben, ständig Situationen ausgesetzt, auf die er reagieren muss. Das bedeutet, es müssen Entscheidungen getroffen werden. Um für die jeweilige Situation die richtige Entscheidung treffen zu können, benötigt es stets ein Kriterium dafür. Und dieses Kriterium ist die Wahrnehmung des Körpers, des eigenen Ichs, des eigenen Bewusstseins. Die Gewahrwerdung des Ichs ist ohne Gefühle, ohne die Wahrnehmung des Körpers, genauer, ohne die Sinne nicht vorstellbar. Gefühle prägen das Ich nicht nur, sie bringen es durch ihre Zusammenwirkung hervor. Jedes Lebewesen hat einen starken Selbsterhaltungstrieb. Es wird daher nach Situationen suchen, die in irgend einer Form vorteilhaft sind und wird Situationen aus dem Weg gehen, die es schädigen. Jede Tierart wurde im Laufe der Evolution so geprägt, dass es vorteilhafte Verhaltensweisen oder Erlebnisse mit Lust, und nachteilhafte Ereignisse mit negativen Gefühlen erlebt. Und genau dies sind die Kriterien , anhand derer Entscheidungen getroffen werden, egal ob bei Tieren oder beim Menschen.
Wenn ein Mensch eine schwierige Entscheidung treffen muss, sollte er dies auf vernünftiger Grundlage tun. Das bedeutet, alle möglichen Konsequenzen dieser Entscheidung miteinander abzuwägen. Dies gelingt im aber nur, wenn er in der Lage ist, diese Konsequenzen zu bewerten, also zu wissen, ob er sie für sich positiv oder negativ empfindet, und vor allem, wie stark positiv und wie stark negativ. Diese Bewertung geschieht mittels der Gefühle, die er bei einem jeweiligen Gedanken hat. Es ist nicht möglich, eine Entscheidung treffen zu wollen, ohne Gefühle dabei zu haben, welche sich auf die Folgen dieser Entscheidung beziehen.
Der Mensch verhält sich so, wie er von der Evolution geprägt wurde. Er sucht sein Leben und seine Gesundheit zu erhalten, er verliebt sich und baut Partnerschaften auf um sich fortzupflanzen, ist fürsorglich gegenüber seinem Nachwuchs, er pflegt Freundschaften mit anderen Menschen, die ihm durchs Leben helfen, unterstützt seine Verwandten, welche ähnliche Gene haben wie er selbst, er identifiziert sich mit bestimmten Gruppen, deren Wünsche sich mit den seinen decken. Aber auch die scheinbar uneigennützigen Absichten und hohen Ideale wie Humanität, Demokratie und Naturschutz haben lauter Ziele, von denen auch der Einzelne profitiert. Selbst der Altruismus hat im Grunde genommen nur einen einzigen Zweck, nach dem sich jeder Mensch sehnt, nämlich gemocht und anerkannt zu werden. Wer anderen hilft und dadurch Anerkennung und Zuneigung erwirbt, dem wird, falls er in Schwierigkeiten gerät, gerner geholfen, als jemandem, der sich in der Vergangenheit wenig kooperativ gezeigt hat.
Es werden im Laufe des Lebens zahlreiche Erfahrungen gemacht, und jede Erfahrung ist für das Subjekt mit Gefühlen verbunden, die manchmal stärker und manchmal schwächer sind, je nachdem, welche Bedeutung diese Erlebnisse für die Person haben. Die Erinnerung an Erlebnisse wird stets mit den damals erlebten Gefühlen verbunden, anhand derer das Erlebnis bewertet wird. Diese Bewertung ist ein unverzichtbarer, ja elementarer Bestandteil des Lernprozesses.

Die Persönlichkeit des Menschen besteht nicht nur als bewussten Inhalten, sondern zum Großteil aus unbewussten Elementen. Die meisten Erinnerungen sind nicht mehr im Bewusstsein vorhanden, können sich jedoch über die Gefühle bemerkbar machen. Bei vielen Geschehnissen haben wir ein entweder gutes oder ein ungutes Gefühl, obwohl wir meist nicht sagen können, warum. In den Tiefen des Gehirns sind jedoch die Bewertungen der zahlreichen, bereits vergessenen Erlebnisse gespeichert und beeinflussen die Entscheidungsfindung des Individuums, das damit gute Chancen hat, die richtige Entscheidung zu treffen. Gefühle beeinflussen die Entscheidungsfindung nicht nur, sich bestimmen sie. Ohne Empfindung von Gefühlen kann keine Bewertung stattfinden, auch nicht in den banalsten Situationen. Gefühle stehen einer rationalen Entscheidungsfindung nicht entgegen, sondern sind Voraussetzung dafür, denn ein Wesen, das keine Gefühle kennte, wäre willenlos. Auch ein Bewusstsein des Selbst wäre ohne Wahrnehmung des Körpers mit seinen Emotionen kaum denkbar.
Joe
 
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