Erstmal allgemein: Mir gefällt deine Betonung der gemeinschaftlichen gesellschaftlichen Nutzung der Plätze. Zentral sollte es sein, Zweifel an der anscheinend kritiklos tradierten Auffassung zu säen, dass die Kirche ein Sonderrecht bei der Gestaltung öffentlichen Raumes hat, das außerhalb und über den demokratischen Prinzipien steht.
Peter hat geschrieben:Vielen Dank, Zappa, für deine Anregung. Ich bin mir aber nicht ganz sicher, ob ich den Absatz wirklich rausnehmen soll. Wenn ja, wirds tatsächlich etwas schwach und allgemein und offen-multikulti. Der Absatz betont ja nur, dass man "Kirche" auch anders sehen kann...
Jeder kann dir hier nur seine Meinung sagen, die Entscheidung musst du am Ende selbst treffen. Meine ist diese:
Ich stimme Zappa weitestgehend zu, dass dieser Absatz riskant ist. Durch direkte Kirchenkritik gibst du dir eine sehr offene argumentatorische Flanke. Die leistet man sich nur, wenn man entweder genug Reserven in der zweiten Reihe hat, um diese Blöße zu decken (etwa politische Verbündete, die einen gegen Kritik in Schutz nehmen), oder wenn man eine Falle stellen will (etwa, indem man jemanden etwas verteidigen lässt, was durch später ins Spiel gebrachte Argumente völlig nicht mehr haltbar sein wird, was die Gegenseite aber nicht auf dem Schirm hat). Auch ist so eine Kritik schon tausendfach formuliert worden, die Gegenargumente sind hinreichend bekannt und erprobt.
Ich will hier gar nicht darauf eingehen, ob man "Kirche" auch anders sehen kann oder ob die Assoziation des Kreuzes mit unmenschlichen Taten gerechtfertigt ist. Dem Kruzifix wurde bei der Entstehung der Welt ja keine verbindliche Gebrauchsanweisung beigelegt, es ist ein Symbol, das eine hohe Bandbreite an Interpretationen zulässt. Wie der gesellschaftliche Mainstream es bewertet, wird im öffentlichen Diskurs immer wieder neu ausgehandelt. Nun hat sich in gewissen Kreisen (kirchenkritische säkulare oder fundamentalreligiöse nicht-christliche Milieus) zwar eine eher negative Konnotation durchgesetzt, aber andere gesellschaftliche Gruppen sehen das möglicherweise fundamental anders. Das schadet erstmal nicht, außer, wenn bei den Herrschenden (hier: dem Gemeinderat) eine bestimmte Deutung vorherrscht und eine andere eine tabuähnliche Natur hat. Es kann dann leicht passieren, dass das Unverständnis darüber, dass jemand das Kruzifix derart "abwegig" interpretiert, alle anderen Impulse überlagert. Die Verantwortlichen werden wahrscheinlich auf offensive Begriffe wie "Hexenverbrennungen" anspringen und sich dann reflexhaft daran festbeißen. Vielleicht hast du Glück und es sitzen verständnisvolle Menschen im Gemeinderat, die in der Lage sind, über die implizite Anklage hinwegzusehen, aber meiner Erfahrung nach wird eher ein gruppendynamischer Prozess dafür sorgen, dass der Gemeinderat sich gegen dich als Angreifer in einem Verteidigungsreflex zusammenrottet. Ist es erstmal soweit, wird es für beide Seiten unheimlich schwer, von ihren prinzipiellen Positionen zurückzurudern, ohne einen Gesichtsverlust zu riskieren.
Aaaaber: Lies nicht, was sie über dich schreiben, miss es in Zentimetern! Ein Aufreger kann auch helfen, ein Gefühl für die Ernsthaftigkeit des Konflikts zu schaffen. Den Vorwurf eines Bürgers, der Gemeinderat würde einem menschenverachtenden Symbol bereitwillig viel Raum einräumen, kann man schlechter wegputzen als einen wachsweichen Toleranzaufruf. Mit einem Bürger in einen Zermürbungskrieg mit entsprechender Aufmerksamkeit der regionalen oder gar irgendwann nationalen Presse hineingezogen zu werden kann genau das sein, was ein provinzieller Gemeinderat fürchtet, womit er vielleicht, ganz simpel gedacht, auch keine Arbeit haben will. Es könnte also auch so ausgehen, dass eine Auseinandersetzung geführt wird, in deren Rahmen das ein oder andere Gemeinderatsmitglied sich näher mit dem Thema beschäftigt und eine neue Sichtweise gewinnt.
Eine Gefahr sehe ich allerdings, jetzt weniger vom strategischen als ethischen Standpunkt gesehen: Natürlich setzt du mit einer derartigen Rhetorik dem perversen Geschwafel von "verletzten Kinderseelen" auch etwas entgegen, was moralisch ähnlich rigoros ist. Man könnte auch sagen, es steht dann Totschlagargument gegen Totschlagargument. Man kennt den Effekt aus Nazidiskussionen, wo es extrem schnell rigoristische Phrasen ausgetauscht werden, bei denen es in 90% der Fälle nicht mehr um den Inhalt geht, sondern nur darum, sich gegenseitig wegen der Verletzung tiefsitzender Tabus anzuklagen ("Man wird ja wohl noch sagen dürfen... beleidigt die Opfer... Hitler hat ja auch die Autobahnen gebaut... Holocaustleugner... Nestbeschmutzer... usw.). Sowas führt schnell zu einer sehr dichotomischen Sichtweise. Es gibt dann keine Kompromisse oder Graustufen mehr, sondern nur das Bekenntnis zu Gut oder Böse, wobei beide Seiten das genau diametral vertauscht sehen. Wenn die Diskussion erstmal da ankommt, was tust du dann? Der Pfarrer beharrt auf seiner Empörung wegen "der armen Kinder" und du beharrst auf deiner bezüglich der "Gräueltaten"? Ok, aber wem nützt das? Und vor allem, wie kommt man da wieder weg?
Fazit: Riskante Äußerung. Kann dir Aufmerksamkeit sichern, aber auch ganz böse und möglicherweise unrettbar nach hinten losgehen.
Entscheidend ist meiner Meinung nach im Kern nach wie vor, dass eine bestimmte, nicht-staatliche oder mittlerweile auch nicht mehr durchgängig mehrheitsrepräsentierende Organisation mit einer bestimmten leidlich disputablen Weltsicht ohne nennenswerten Widerstand zu provozieren eine Landmarke ohne erkennbaren künstlerischen Wert und Anspruch errichten kann. Bunt angemalte Kreuze dienen keinerlei selbstkritischer Betrachtung der Kirchen und wären selbst dann nicht unbedingt dort aufzustellen, wo sie gerade stehen. In dieser Form kann ich kaum einen anderen Zweck in ihnen sehen, als Werbung für die Kirche zu betreiben. Es fragt sich, warum die Kirchen dafür nicht einfach bestehende Werbeflächen mieten sollten.
Mal ein modifizierter, etwas geschliffenerer Vorschlag:
*******************************************************************************************************************************
An den Gemeindevorstand
Antrag auf Entzug der Genehmigung zum Aufstellen von drei Kreuzen auf dem Gelände der Gemeinde
Sehr geehrte Damen und Herren,
hiermit beantrage ich, die der Evangelischen Kirchengemeinde erteilte Erlaubnis zum Aufstellen von Holzkreuzen am Bruchsee, auf dem Rodelplatz am Brühl und am Fernwanderweg in den Wingerten zurückzunehmen.
Die Kreuze können stattdessen besser und zweckgebundener auf kirchlichem Grund und Boden aufgestellt werden.
Begründung:
Bei den drei genannten Stellen handelt es sich um von den Menschen in der Gemeinde stark frequentierte, bisher in keiner Weise religiös oder anderweitig genutzte öffentliche Plätze. Jene Bürger, die einen neutralen öffentlichen Raum schätzen, sind nun gezwungen, eine auffällige Markierung dieser Plätze durch religiöse Symbole zu dulden. Die Präsenz der Kreuze kann nicht einfach ignoriert werden, sie definiert diese Plätze als religiöse Orte und schafft den Eindruck, die Kirche hätte ein vorrangiges Recht auf deren Gestaltung und Nutzung.
Im Rahmen einer offenen, freizügigen und multikulturellen Nutzung dieser Plätze ist es aber kontraproduktiv, diese Orte einseitig religiös zu markieren und zu besetzen.
Bedenken Sie bitte, dass nicht alle Bürger religiös sind oder aber einem nicht-christlichen Bekenntnis anhängen. Auch ist das Kreuz aufgrund zahlreicher Ereignisse der Kirchengeschichte sowie jüngerer Enthüllungen ein Symbol, das mittlerweile für viele Menschen negativ besetzt ist. Ist es wirklich nötig und gerechtfertigt, dass diese Menschen auf jedem Spaziergang oder auf jedem Gang in den Ort daran erinnert werden?
Der öffentliche Raum sollte ein angenehmer, gleichberechtigter Aufenthaltsort für alle Bürger sein. Eine Aufstellung der Kreuze in der Nähe der Evangelischen Kirche oder auf anderen kircheneigenen Grundstücken würde die Neutralität des öffentlichen Raumes nachdrücklich achten und damit der Pluralität und der kulturellen und demokratischen Vielfalt der Gemeinde viel besser zu Gesicht stehen.
Mit freundlichen Grüßen
*************************************************************************************************************************************************
Falls du dicker auftragen möchtest, argumentiere besser nicht allgemein mit kirchlichen Verfehlungen herum. Je allgemeiner, wolkiger und historischer der Vorwurf, desto leichter ist er zurückzuweisen. Argumentiere stattdessen in die Richtung, dass die Kreuze deine alltägliche Lebensqualität einschränken und dass du deinen bürgerlichen Anspruch auf einen auch für dich nutzbaren öffentlichen Raum bedroht siehst, wenn gleich mehrere wichtige Plätze im Ort mit religiösen Symbolen "besetzt" werden.