Die Entstehung der Mystik und der Religionen

Die Entstehung der Mystik und der Religionen

Beitragvon Joe » Do 15. Feb 2007, 17:31

Zu jeder Zeit, in jeder Kultur haben die Menschen eine bestimmte Form von Religion entwickelt. Sie glauben an Götter, Geister und Dämonen, sie verehren ihre Ahnen, fürchten sich vor Kobolden und bewundern Engel und Elfen. Sie pflegen Rituale und entwickeln unterschiedliche Vorstellungen davon, was nach dem Tod geschehen könnte. Sie versuchen, unsichtbare Mächte günstig zu stimmen oder durch Schadenszauber ihnen missliebige Mitmenschen Leid anzutun. Die Frage nach dem Warum, dem Woher und dem Wohin beschäftigt die Menschen seit jeher so sehr, dass sie, bedingt durch diese Fragen, Werke schufen, welche die Bezeichnung "Weltwunder" mehr als verdienen. Wir verdanken die Existenz der Pyramiden, der antiken Tempel, der mittelalterlichen Kathedralen diesen nie versiegenden Fragen, die wohl jeden Menschen seit zehntausenden von Jahren beschäftigt haben. Aber was bringt den Menschen dazu, soviel Energie, soviele Recourcen aufzuwenden, wo doch der praktische Erfolg der religiösen Lebensweisen durchaus bezweifelt werden darf? Denn Religion hat nicht nur zu der Entstehung von Weltwundern, sondern auch zu Krieg, Ausgrenzung und Gewalt geführt.

Der Mensch ist ein soziales Wesen. Er ist, auf sich allein gestellt, völlig hilflos. Der Mensch war in der Urzeit zahlreichen Gefahren ausgesetzt. Wilde Tiere streiften durch die Wälder, Wind und Wetter machten ihm das Leben schwer. Es galt, täglich Nahrung zu besorgen, entweder durch Sammeln oder durch Jagen. Diese Widrigkeiten des Lebens zu meistern, gelang nur im Verbund einer Gruppe. Es war Arbeitsteilung und Kommunikation nötig, es war erforderlich, dass der Einzelne, wenn nötig, seine Interessen zu Gunsten der Interessen der Gruppe zurücksteckte. Dadurch hatte er zwar kurzfristig Nachteile zu verkraften, konnte aber längerfristig am Erfolg der Gruppe teilhaben und dessen Früchte genießen, die weitaus üppiger ausfielen, als wenn der Einzelne alleine seine Ziele verfolgt hätte. Der Mensch hat sich als Herdentier entwickelt, und hat dieses Verhalten auch in der späteren Zeit nie abgelegt. Wie wichtig andere Menschen für ihn sind, beweist die Komplexität der Sprache, die er zur Kommunikation mit seinesgleichen entwickelte, der Reichtum der Kunstschätze, egal ob in Architektur, Lyrik, Musik oder in den bildenden Künsten, alles geschaffen, um andere Menschen zu erfreuen bzw. um anderen zu gefallen. Seine ganzen Denkweisen, seine Gefühle, sein Handeln und seine Wünsche ergeben nur Sinn, wenn andere Individuen in irgend einer Form mit involviert sind. Die hohe Intelligenz und die Fähigkeit zum abstrakten Denken, ermöglichen es allerdings auch, manchen Intentionen eines Menschen einen individuellen Sinn zu geben, wenn die Involvierung nur gedacht wird. Menschen sind sehr gut darin, die Absichten anderer zu erkennen oder zu interpretieren, da sie selbst mit allen Handlungen irgendwelche Absichten verfolgen.

Auf der Erde geschehen merkwürdige Dinge. Manchmal scheint die Sonne, manchmal regnet es. Nachts erscheinen Mond und Sterne am Himmel. Es weht der Wind, auf dem Boden wachsen Pflanzen, plötzlich kommen Blitze, begleitet von Donner, vom Himmel, manchmal bebt die Erde oder ein Vulkan bricht aus, an der Küste gibt es Ebbe und Flut. Der Mensch, der sich von den Naturereignissen und Naturgewalten unterstützt und bedroht zugleich weiss, kann auf Grund seiner ihm eigenen sozialen Denkweise nicht anders, als diese Ereignisse auf sich selbst zu beziehen. Er, als intelligentes soziales Wesen, fühlt sich von diesen Ereignissen naturgemäß nicht nur betroffen, sondern er fühlt sich gemeint. Er bezieht diese Geschehnisse in der Natur auf sich selbst. Er stellt fest, dass nicht nur andere Menschen geboren werden und wieder sterben, sondern dass er selbst einst geboren wurde und einst sterben wird. Er kann jetzt nicht anders, als sich die Fragen nach dem Sinn des ganzen, also nach der Absicht, die dahinter steckt, zu fragen. Hier liegt wohl die Schwelle zur Religion, dem Fragen nach dem Warum, dem Glauben an irgendwelche personalen Mächte, die sämtliche Ereignisse, denen der Mensch und seine Umwelt hilflos ausgeliefert sind, steuern. Diese Mächte oder Götter wird er in jedem Ding, das in der Natur vorkommt, vermuten. Er wird bestimmte Dinge selbst für solche Mächte halten und ihnen Absichten zuschreiben. Ein gutes Beispiel ist wohl jemand, der nachts über eine Mülltonne stolpert, sich dadurch erhebliche Schmerzen zufügt, und deshalb voller Wut gegen die Mülltonne(!) tritt, oder nach dem Schuldigen sucht, der die Mülltonne so ungeschickt in den Weg gestellt hat. Als ob hier irgendwo eine Absicht vorhanden gewesen wäre, diesen Tolpatsch zu schädigen. Aber unser Tolpatsch versteht dies in diesem emotionalen Moment natürlich nicht.

Viele Naturvölker haben sich diese animistische Sicht der Dinge in ihrer Kultur bewahrt. Jedes Naturereignis birgt in ihrer Vorstellung eine Absicht in sich, Objekte werden als belebt betrachtet. Im Wasser oder in den Wäldern leben Geister, Sonne und andere Gestirne werden als Götter betrachtet, Bäume, Berge oder Felsen gelten als heilig oder werden als magische Orte angesehen, letztendlich alles, was in irgendeiner Form Eindruck auf den Menschen macht, gilt als beseelt. Dem liegt eigentlich eine logische Sicht der Dinge zu Grunde, da der Mensch auf Grund seiner Intelligenz weiss, dass nichts ohne Grund geschieht. Die religiöse Denkweise ist daher ihrem Wesen nach eher rational und nicht irrational.

Diese Denkweise geht einher mit dem Entwickeln von Ritualen. Eine große Stärke des Menschen ist seine Lernfähigkeit. Lernen bedeutet unter anderem, Erfahrungen zu machen und aus diesen Erfahrungen Rückschlüsse zu ziehen. Ein Verhalten, das zu Misserfolg geführt hat, wird mit negativen Gefühlen verbunden werden, was dazu führt, dass dieses Verhalten unter gleichen Bedingungen wohl nicht wiederholt wird. Wenn ein bestimmtes Verhalten jedoch einmal zum Erfolg geführt hat, wird es in einer ähnlichen Situation erneut durchgeführt werden. Das menschliche Gehirn kann nicht anders, als ständig zu lernen.
Wenn nach einer langen Dürre plötzlich wieder der lang ersehnte Regen fällt, wird der eine oder andere dieses glückliche Ereignis möglicherweise zum Beispiel mit dem Schlachten eines Tieres am Vortag verbinden, oder mit dem Fällen des alten knorrigen Baumes, der schon lange keine Früchte mehr getragen hatte, oder mit dem Nächtigen an einem bestimmten Felsen. Er wird dieses Verhalten bei der nächsten Dürre wiederholen, in der Hoffnung, dass es erneut zum Erfolg führen wird. Wenn nun in den nächsten Tagen wieder Regen fällt, wird er sich weiter in seinem Glauben bestärkt fühlen, dass sein Ritual erfolgreich war. Diese Art zu Denken ist unterschwellig in jedem von uns vorhanden. Wir neigen dazu, auch im Alltag Rituale zu entwickeln, also bestimmte Verhaltensweisen zu wiederholen. Das Entwickeln von Ritualen ist eng verwandt mit der Vorstellung, durch bestimmte Verhaltensweisen gewisse Zwecke zu erreichen. So wünschen wir uns "viel Glück", Menschen lassen sich segnen oder beten füreinander. Andererseits entwickelt sich auch der Fluch, durch den man erhofft, andere zu schädigen. Hand auf´s Herz! Wer hätte kein schlechtes Gewissen, wenn die gleiche Person, der man eben noch offen den Tod gewünscht hat, jetzt durch einen Unfall ums Leben käme? Dieses schlechte Gewissen ist nur durch den unterschwelligen Glauben an die Macht der Magie erklärbar, der auf der sozialen Denkweise des Menschen beruht.
Die Neigung zu Ritualen und Magie geht in der Lebenspraxis einher mit dem Glauben, dass personale Mächte auf das Leben und den Alltag des Menschen Einfluss haben. Somit werden diese Rituale darauf bezogen. Das ungute Gefühl, das empfunden wird, wenn das Ritual nicht ausgeübt wird, interpretiert der Mensch damit, dass dem Willen der Götter, Geister oder Ahnen nicht gefolgt wurde und diese darüber erzürnt sein müssen. Anders kann er sich sein schlechtes Gewissen nicht erklären.

Dies führt in der sozialen Gemeinschaft dazu, dass sich mit der Zeit eine Institutionalisierung der Religion entwickelt. Es geht einher mit der Bildung einer Hierarchie in diesem Bereich, da sich manche Menschen darauf spezialisieren, und daher eine besondere Verbindung zur Religion - und in ihrem Glauben zu den Göttern oder Ahnen - aufbauen werden. Diese Schamanen oder Priester werden, wegen ihrer eingehenden Beschäftigung mit Religion, anfangen, System in den Glauben zu bringen. Sie werden, wie alle Menschen, versuchen, Einfluss auf die Gesellschaft zu nehmen, was ihnen im allgemeinen auch gelingt, da sich die Menschen danach sehnen, Antworten auf ihre Fragen zu bekommen. Es beginnt sich dann, eine Theologie zu entwickeln, die sich allerdings, wegen der Spezialisierung der Theologen, von den tatsächlichen religiösen Empfindungen der breiten Masse fortbewegen wird. So entsteht eine Volksfrömmigkeit, die sich von der offiziellen Theologie stets unterscheidet, egal in welcher Kultur.

In der modernen, säkularen, aufgeklärten und durch wissenschaftlichen Fortschritt geprägten Zivilisation gibt es immer mehr Naturalisten, deren Weltbild frei von übersinnlichen Elementen ist. Sie glauben daran, dass sie Teil einer Natur sind, die sich wissenschaftlich erforschen lässt. Sie haben gelernt, dass der Mensch sich über Jahrmillionen im Laufe der Evolution aus dem Tierreich herausentwickelt hat, dass seine Verhaltensweisen sich daraus erklären. Diese Tiere, von denen der Mensch abstammt, waren Teil einer langen Kette von unzähligen Tierarten, die durch die natürliche Selektion bei der Fortpflanzung entstanden und wieder ausgestorben sind. Alle heute lebenden Wesen sind Nachkommen von einfachsten Organismen, die sich vor etwa vier Milliarden Jahren durch den Prozess der Biogenes bildeten. Dieser Prozess geschah auf der Erde, einen von acht Planeten, die um die Sonne kreisen. Die Sonne ist einer von ca. 100 Milliarden Sternen in der Milchstraße, und unsere Milchstraße ist nur eine von etwa 300 Milliarden Galaxien im sichtbaren Teil des Universums, das vor etwa 13,7 Milliarden Jahren beim Urkann geboren wurde. Der Mensch un dieses ganze Universum bestehen aus Elementarteilchen, die beim Urkall oder in späteren Zeiten im Inneren von Sternen und Sternexplosionen erbrütet wurden.
Ein jeder ist damit Teil dieser großarigen, ja gigantischen Natur, und jedesmal, wenn ich Naturalist daran denke, beschleicht mich das Gefühl, eine religiöse Erfahrung zu machen.
Joe
 
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