Gebote & Rituale - Was nichts kostet, ist weniger wert

Gebote & Rituale - Was nichts kostet, ist weniger wert

Beitragvon Pyrion » Mo 14. Apr 2008, 08:53

Michael Blume hat einen schönen Artikel geschrieben über Erfolgsmethoden von Religionen:

http://www.wissenslogs.de/wblogs/blog/n ... ichts-wert

Der Einfachheit halber hier der Text: (Im Original sind allerdings einige Links und Bilder)

Gebote & Rituale - Was nichts kostet, ist weniger wert
von Michael Blume, 12. April 2008, 23:36

Religiöse Rituale sind oft teuer, manchmal (z.B. Initiationsriten) gar mit Schmerzen und Gefahren verbunden. Religiöse Gebote verbieten ihren Anhängern verschiedene Speisen, schreiben ihnen öffentlich abweichendes Verhalten oder Kleidung vor. Doch der israelisch-amerikanische Anthropologe Richard Sosis hat beschrieben, warum teure Gebote und Rituale evolutionär erfolgreich sein können.

Leser des Wissenslogs "Natur des Glaubens" wissen es schon: Der gemeinsame Glaube an übernatürliche Akteure (Ahnen, Götter, Gott) fördert Kooperation und Vertrauen zwischen den Anhängern, nicht zuletzt zwischen Mann und Frau (Gretchenfrage) - und führt damit zu durchschnittlich deutlich mehr Reproduktionserfolg.

Aber wie kann A sicher sein, dass B den Glauben nicht nur spielt, um sich genau diesen Vertrauensvorteil zu erschleichen?

Richard Sosis, ebenfalls Mitstreiter der Evolutionary Religious Studies, entdeckte eine überzeugende Antwort: Glaubende überprüfen einander anhand kostspieliger Signale - teure Gebote und Rituale schaffen Vertrauen zwischen den Praktizierenden (costly signaling).

Richard SosisWer teure, vor allem bei der Initiation in die Gemeinschaft auch manchmal schmerzhafte Kosten auf sich nimmt, zeigt damit an: Seht her, ich handele wirklich aus Glauben. Wer sich Prüfungen, Speise-, Zeit- und Kleidungsgeboten unterwirft, Spott und verfolgungen erträgt und mancherlei Vergnügungen entsagt, meint es mit höherer Wahrscheinlichkeit ernst. Sprache allein ist billig (nicht umsonst sprechen wir eher abfällig von "Lippenbekenntnissen"), Handlungen und Verhaltensweisen aber "sprechen für sich".

An der vergleichenden Langlebigkeit religiöser und säkularer Gemeinschaften in den USA des 19.Jahrhunderts konnten Sosis und Bressler aufzeigen: Religiöse Gemeinschaften sind dann wettbewerbsfähiger, wenn sie ihren Mitgliedern kostspielige Gebots- und Ritualpflichten (costly requirements) auferlegen.

Im religiösen Markt haben verbindliche Gemeinschaften damit einen Wettbewerbsvorteil, wogegen freundlich-liberale Gründungen, die ihre Anforderungen vermeintlich "rational" abgebaut haben - eher unterliegen. Auch in der Religion gilt: Was nichts kostet, ist weniger wert - hier: schafft weniger Vertrauen und Gemeinschaft.

Die Folgen von Verstaatskirchlichung

Auch die Ergebnisse von Sosis bestätigen im übrigen, dass ein sicherer Weg, Religionen zu ruinieren, in ihrer Verschmelzung mit dem Staat besteht. Wenn beispielsweise die Speise- oder Kleidungsgebote nicht mehr aus Glauben befolgt werden, sondern per Gesetz allen vorgeschrieben werden - verlieren sie ihre Wirksamkeit! Denn sie signalisieren ja nicht mehr notwendig ehrliche Überzeugungen und werden also zu Recht bald von den Menschen als sinnlos, hohl und belastend empfunden.

So gilt der Iran kaum eine Generation nach der Islamischen Revolution als "Land der leeren Moscheen", das Ansehen des politisch herrschenden Klerus, Glaubenspraxis, Familienstrukturen und Geburtenraten sind eingebrochen. Dagegen können Diskriminierung, Druck und Verfolgung religiöse Gemeinschaften sogar zusammenschweißen - wer dabei bleibt, genießt Vertrauen und Bewunderung.

Die Geschichte der Juden in der antiken, christlichen und islamischen Welt, der frühen Christen vor Konstantin, der Protestanten in Frankreich und der Katholiken in England, der Bahai im Iran, der Buddhisten in Tibet sowie teilweise der Muslime im heutigen Europa zeigt dagegen auf - immer wieder haben vermeintliche schwache, religiöse Minderheiten über Verleumdung und Diskriminierung triumphiert.

Freiwilligkeit & Sekundärnutzen

Rituale und Gebote funktionieren also umso besser, umso stärker sie mit Freiwilligkeit verbunden sind.

Dass sie häufig als teure Signale fungieren bedeutet im übrigen nicht, dass sie nur diesen Nutzen haben müssen. Denkbar sind auch weitere Vorteile etwa gesundheitlicher Art - Speisegebote können beispielsweise einen bewussten Umgang mit Nahrungsmitteln mit sich bringen, die Sorge um rituelle Reinheit Hygiene fördern u.ä. Auch sind Entwicklungen denkbar und häufig: So steht am Anfang etwa von Speise- oder Trankopfern oft das Verbrennen oder Verschütten als kostspieliges Signal, bevor schließlich auch rituelle Wege gefunden werden, die Opfergaben Bedürftigen zukommen zu lassen (und so wiederum den Gemeinschaftszusammenhalt zu stärken).

Auch auf dem Gebiet der Gebote und Rituale werden Evolution und Wettbewerb der Religionen noch manche Überraschung mit sich bringen. Und die Evolutionsforschung zur Religiosität geht weiter...
Benutzeravatar
Pyrion
 
Beiträge: 26
Registriert: Do 3. Apr 2008, 11:31

Re: Gebote & Rituale - Was nichts kostet, ist weniger wert

Beitragvon Mark » Mo 14. Apr 2008, 09:38

hehe, das ist auch eine gute Sichtweise, siehe Thread "Enthaltsamkeit".
Aber : eigentlich eine triviale Erkenntnis. Jeder der "Sie nannten ihn Pferd" sah, versteht das intuitiv ;-)
Benutzeravatar
Mark
 
Beiträge: 1683
Registriert: Do 30. Nov 2006, 18:19
Wohnort: München


Zurück zu Religion & Spiritualität

Wer ist online?

Mitglieder in diesem Forum: 0 Mitglieder und 21 Gäste

cron