Körperwelten in Augsburg und die liebe Kirche

Re: Körperwelten in Augsburg und die liebe Kirche

Beitragvon Twilight » So 2. Aug 2009, 11:55

Ich war jetzt auch mal bei der Berliner Ausstellung "Der Zyklus des Lebens" und kann eigentlich nur jedem einen Besuch dort empfehlen.
Die Plastinate zeigen anatomische Details, welche in stilisierten Zeichnungen immer wegfallen. Fotos und selbst matschige Sezierobjekte (habe ich zumindest gelesen) sind nicht in der Lage, diese Details im großen Zusammenhang mit anderen Teilen des Körpers zu zeigen.

Die ganze Art der Ausstellung, in der auf die Gebrechlichkeit des menschlichen Körpers aufmerksam gemacht wird, ist sowohl interessant-aufklärend als auch ästhetisch-künstlerisch. Und niemand behauptet, Körperwelten wäre besonders für Anatomieinteressierte interessant. Für die natürlich auch, aber sie ist vor allem für die breite, grundkenntnisfreie Masse.
Die vorgeworfene Sensationslüsternheit würde ich bei den meisten Besuchern negieren. Die die da waren, sind nicht einfach mit genussvollem Schaudern hindurchgerauscht sondern haben mit Interesse die Texte auf den Schildern gelesen, oder den Audioführungen gelauscht oder miteinander über die Exponate diskutiert. Es war überhaupt eine alles in allem angenehme Atmosphäre.

platon hat geschrieben:Vermutlich die horrenden Begräbniskosten.
Viele Gläubige dürften nicht darunter sein, aber mich würde schon interessieren, ob es da noch andere Beweggründe gibt.

Vermutlich. Aber auch der Wunsch einfach ein Teil der Ausstellung zu werden, Menschen zu helfen, ihren eigenen Körper zu verstehen oder Dankbarkeit gegenüber der Wissenschaft, die einem half, schwere Krankheiten zu überstehen spielen eine Rolle.
Ich hätte selbst auch gern unterschrieben, teils um der Beerdigungsmafia eins auszuwischen, teils um die Kunst und Aufklärung zu unterstützen. Leider hat mich meine eigene Mutter mit Tränen erpresst, das nicht zu tun. :sauer:

pinkwoolf hat geschrieben:Man kann sie begraben, verbrennen oder den Geiern zum Fraß überlassen – diese zoroastrische Variante finde ich sogar ausgesprochen attraktiv. Man kann sie in eine Erdumlaufbahn katapultieren oder in alle vier Winde zerstreuen; man kann sie verspeisen oder die Asche in Ringe fassen. Man kann Mumien und Moorleichen in Museen ausstellen.
Ähnlich Argumente höre ich auch woanders. Aber warum? Was ist an, sagen wir Mumifizierung besser als an Plastination? Geht es nur darum, die Leiche zu verstecken oder anders dafür zu sorgen, dass ja niemand einen menschlichen Körper zu sehen bekommt? Wer nicht will, kann ja wegschauen.


folgsam hat geschrieben:Diejenigen haben sich für die Plastination vor ihrem Tod bereiterklärt. Da hat keiner reinzureden.

Eben. Ich halte die, die das tun für nichts anderes als Egoisten.
Einige argumentieren noch damit, dass der plastinierte Mensch, nachdem er nicht mehr benötigt wird, zum Sondermüll wird. Gut, aber wo ist da der Unterschied zum jetzigen Zustand? Prothesen, ein Leben lang mit der Nahrung aufgenommene Konservierungsstoffe, giftige Medikamente... All das belastet die Umwelt bei einer Verbrennung im Krematorium oder bei der unterirdischen Verwesung. In einer Müllverbrennungsanlage werden die Gifte wenigstens noch gefiltert und die freiwerdende Wärmeenergie lässt sich zumindest noch sinnvoll nutzen.

pinkwoolf hat geschrieben:ich werde keinen Atem sparen, von Hagens zu einem gewissenlosen Geschäftemacher zu erklären.

1von6,5Milliarden hat geschrieben:dass dieser <Selbstzensur aus rechtlichen Gründen> Geschäftemacher mit mir (meinem Körper) noch Geschäfte machte, dies würde mich deutlich stören.

Was ist jetzt so schlimm an einem Geschäft? Ich konnte nirgendwo entdecken, dass die Plastination den Toten oder die Angehörigen etwas kostet. Dafür wird allen die Kosten, der Ärger und die ganze oft unerwünschte Dramatik einer Beerdigung erspart. Und dafür, dass ein Plastinat mehrere hundert, manchmal tausende Arbeitsstunden verschlingt, halte ich es nur für fair, dass der Plastinator und seine Angestellten damit eine Verdienstmöglichkeit erhalten.

1von6,5Milliarden hat geschrieben:Hat er denn die Organe so platziert wie es bei toten oder bei lebenden Menschen ist?

Ja. Oft sind diese zwar aus dem Körper entfernt oder zumindest von ihm weg ausgebreitet, manche halten auch ein Organ in den Händen (beim "Zyklus des Lebens" nicht) aber selbst dann kann man anhand des Plastinats zurückverfolgen, in welchen Freiraum das Organ oder die Organgruppe gehört. Wo es derartige "Verfälschungen" der Natürlichkeit gibt, dienen diese dazu, Dinge anschaulich zu machen, die im natürlichen Zustand nicht sichtbar wären.

Jakob hat geschrieben:Inzwischen ist ja gerichtsfest entschieden, daß hierbei keine Verletzung der Menschenwürde vorliegt. [...] Mein Unwohlsein rührt nicht von den Plastinaten her, sondern vom Publikum. Ich mag es nicht, wie hier menschliche Überreste zum Objekt der Schaulust gemacht werden. Erinnert mich immer an Gaffer bei Autobahnunfällen.

Nun ja, jedem das Seine. Ich persönlich finde es wesentlich unwürdiger, den Menschen zu bevormunden, was die Art der Bestattung angeht. Und das Interesse der meisten Besucher gilt auch nicht den Toten selbst, also der Person und ihrer Geschichte, sondern allein den Körpern. Warum sollte das Wissen um das genaue Aussehen innerer Organe einzig und allein Medizinern vorbehalten sein? Es liegt in der Natur des Menschen, Dinge wissen zu wollen, auch wenn dieses (Halb-)Wissen nicht anwendbar ist.
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