Warum glauben intelligente und gebildete Menschen?

Re: Warum glauben intelligente und gebildete Menschen?

Beitragvon Fisherman's Fellow » Di 8. Jul 2008, 00:01

Myron hat geschrieben:Nichtsdestominder stellt die Theologie die Wirklichkeit betreffende Tatsachenbehauptungen auf, die stimmen oder eben nicht.

Sie wirken falsch, wenn man sie von einer naturwissenschaftlichen Erfahrungsgrundlage her betrachtet. Aber vieles ergibt einen Sinn und widerspricht auch den Tatsachen nicht, wenn man sie von einer mythisch-religiösen Erfahrungsgrundlage her liest bzw hört.

Schlimm wird es dann, wenn es "übergreifend" oder pseudowissenschaftlich formuliert ist.

Myron hat geschrieben:
Fisherman's Fellow hat geschrieben:Ein (von seinem Sein her) "persönlicher Gott" wäre, wie Dawkins richtig feststellte, nicht das Ende des Regresses, weil er von irgendetwas anderem abgeleitet sein müsste.


Wieso denn?
Dass alles eine Ursache seines Seins hat, scheint mir keine logisch notwendige Wahrheit zu sein.

Dawkins bezog sich auf Ockhams Rasiermesser. Eine so komplexe, übernatürliche Intelligenz wäre eher als Ergebnis einer langen evolutionären Entwicklung anzusehen als als deren Ursache.

Myron hat geschrieben:An der Idee eines ewigen, unverursachten "Urgrundes", sei er nun ein göttliches Wesen oder nicht, ist nichts widersprüchlich. Ein solches Naturfundament ohne Seinsursache kann es durchaus geben.

Klar kann man sich auch ein über die Maßen komplexes, höchstes Wesen, eine Art Überperson, als Urgrund vorstellen. Aber es widerspricht irgendwie der wissenschaftlichen Ästhetik, die höchste Komplexität im Urgrund zu sehen und sich dann zu fragen, warum sich das Universum aus einfachen Anfängen durch Selektion zu immer komplizierteren Strukturen aufbaut.

Besonders überzeugend fand ich dieses "Ockham"-Argumentation nicht und schrieb an den Rand: "Wieso eigentlich?"
Aber sich einen Weltgrund vorzustellen, der - als Person! - alleine im zeitlosen Nichts herumdümpelt, "bevor" er seinen Urknall zündet, wirkt auch nicht besonders überzeugend.

Myron hat geschrieben:Ich will von den Theologen eine klare Antwort auf die Frage, ob ihr Gott im nichtmetaphorischen Sinn eine Person ist oder nicht!

Bei Vorgabe einer naturwissenschaftlich-rationalen Erfahrungsvoraussetzung: Keine Aussage möglich.
Bei Vorgabe einer christlich-spirituellen Erfahrungsvoraussetzung (dh als gläubiger Christ): Ja.

Myron hat geschrieben:Bei diesem alles entscheidenden Punkt eiern sie nämlich gerne unglaublich herum.
Da liest man dann so Sachen wie "Gott ist persönlich, aber keine Person", was ein völlig widersinniger Satz ist.
Zum Beispiel vollführt einer wie Küng konfuse rhetorische Akrobatik, um keine klare Aussage treffen zu müssen:

"Gott ist gewiss nicht Person, wie der Mensch Person ist: Der Allesumfassende und Allesdurchdringende ist nie ein Objekt, von dem sich der Mensch distanzieren kann, um über ihn auszusagen. Der Urgrund, Urhalt und das Urziel aller Wirklichkeit, das jede einzelne Existenz bestimmt, ist nicht eine Einzelperson unter anderen Personen, ist kein Über-Mensch oder Über-Ich. Auch der Personbegriff ist nur eine Chiffre für Gott: Gott ist nicht die höchste Person unter anderen Personen. Gott sprengt auch den Personbegriff: Gott ist mehr als Person! (...)
Ein Gott, der Personalität begründet, kann nicht selber apersonal sein. Gerade weil Gott keine 'Sache' ist, gerade weil er, wie im Osten betont, nicht durchschaubar, verfügbar, manipulierbar ist, ist er auch nicht unpersönlich, nicht unter-personal. Gott sprengt auch den Begriff des Unpersönlichen: Gott ist auch nicht weniger als Person!"


(Küng, Hans. Existiert Gott? Antwort auf die Gottesfrage der Neuzeit. München: dtv, 1981. S. 692)

Es sind ein paar interessante Ansätze drin wie zB, dass Personalität von Gott abgeleitet ist, so dass es schwer ist, Gottes Personhaftigkeit mit der von Menschen in Beziehung zu setzen. Aber eigentlich ist das alles ziemlich verstiegen und ergibt sich daraus, dass im Katholizismus die Trennung zwischen Sein und Offenbarung nicht mit all ihren Folgen durchgehalten wird.

Myron hat geschrieben:1. Durch den Satz "Der Allesumfassende und Allesdurchdringende ist nie ein Objekt, von dem sich der Mensch distanzieren kann, um über ihn auszusagen" sagt Küng distanzierend etwas über ihn als Denkobjekt aus, womit er sich selbst widerspricht.

Stimmt. Da auch in einer mythisch-religiösen Erfahrungsdimension die Gesetze der Logik gelten, ist dieser Satz so oder so falsch.

Myron hat geschrieben:2. Was soll man als normaler Leser mit diesem typischen Theologen-Gebrabbel anfangen?!
Gott sei nicht wirklich persönlich, aber auch nicht unpersönlich, zugleich irgendwie überpersönlich, aber auf keinen Fall unterpersönlich. Und wenn's drauf ankommt, dann ist eh alles bloß eine "Chiffre".
Das große Problem der Theologen ist, dass sie meistens einerseits nicht meinen, was sie sagen, aber andererseits außerstande sind zu sagen, was sie eigentlich mit all ihren Chiffren, Metaphern und Analogismen meinen.
All das ödet mich sehr an, ehrlich gesagt.

Es gibt schon ein paar, die zu klaren Formulierungen fähig sind bzw waren. Einer, der Dir bekannt sein dürfte, ist der derzeitige EKD-Chef Wolfgang Huber.

Myron hat geschrieben:
Fisherman's Fellow hat geschrieben:Nicht, dass dadurch grundsätzlich ausgeschlossen wäre, dass Gott ein persönlicher wäre - es ist einfach keine rationale Seinsaussage möglich.


Warum halten die Theologen dann nicht einfach ihren Mund?!

a) Weil es sich vielleicht gar nicht um eine rationale, sondern um spirituelle Aussagen handelt.
b) Warum halten die Naturwissenschaftler bei Seinsaussagen nicht den Mund? Ihre Ontologien sind allenfalls kontingent. Da nützt die Klarheit nichts. Und wenn dann noch zum anthropischen Prinzip gegriffen wird - dann ist mir ein merkwürdiger Satz von Karl Barth schon lieber.

Myron hat geschrieben:Aber du wirst nicht um die Tatsache umhinkommen, dass genau das die Kernbehauptung des Theismus ist: dass die natürliche, materielle Welt von einem übernatürlichen, außerraumzeitlichen (oder zumindest außerräumlichen), persönlichen, d.i. selbstbewussten, Geistwesen erschaffen worden sei und von diesem absolut beherrscht werde.
[...]
Nimm das doch einfach so zur Kenntnis!

Ich nehme zur Kenntnis, dass es prominente und auch viele weniger prominente Christen im angelsächsischen Raum gibt, die so denken.

Aber nimm Du bitte zur Kenntnis, dass es sich dabei nicht um alle Christen handelt; dass es also kein typisches Zeichen für das Christentum ist, dass Gott schlechterdings und in jeder Hinsicht für eine Person gehalten wird.

Myron hat geschrieben:Es muss sich doch auch jeder halbwegs intelligente religiöse Mensch die Frage stellen, ob Gott objektiv, d.i. realiter da ist oder nicht. Kein Gläubiger würde doch einen Gott anbeten, von dessen Nichtexistenz er überzeugt ist, oder?

Ich auch nicht. Aber wenn alles aus Gott als selbstevidentem Ausgangspunkt allen Denkens abgeleitet ist, dann auch Nichtexistenz. Es ist also falsch, von einem nichtexistenten Gott zu sprechen.

Myron hat geschrieben:Ich würde sagen, ein Subjekt ist ein Objekt, für das es Objekte gibt und für das es irgendwie ist, ein Objekt zu sein.

Ein Subjekt denkt, empfindet, handelt, oder wird in dieser Weise wahrgenommen. Insofern sich göttliche Offenbarung unmittelbar an das Subjekt richtet und sich auf Einzelfälle bezieht, ist sie subjektiv und nur bedingt (oder manchmal auch gar nicht) verallgemeinerbar.
Da ergeben sich schwierige Fragen, aus denen die Theologie und die Amtskirche ihre Daseinsberechtigung beziehen. Sie sind u.a. Kontrollinstanzen, die beispielsweise klarstellen, dass einer, der meint, von Gott den Auftrag zum Mord an 35 Frauen erhalten zu haben, irgendwas, nicht aber Gott vernommen haben kann.

Myron hat geschrieben:Im allgemeinsten Sinne ist jeder beliebige Gegenstand unseres Denkens ein Objekt.

Jepp.

Myron hat geschrieben:Indem in den "Urgrund des Seins" Subjektivität, Bewusstsein und Personalität hineinprojiziert wird, wird Gott als ein absoluter Geist gesetzt, dessen reale Existenz angenommen wird.

So könnte man meinen, aber das philosophische Nachdenken über einen Seinsgrund ist streng genommen die Aufrichtung eines Götzen - vor allem dann, wenn man Bewusstsein und Personalität in ihn projiziert. Nicht der Mensch findet Gott, sondern Gott findet den Menschen: Die klassische Weise, dass Menschen zum Glauben kommen, besteht darin, dass sie eine sehr individuelle und berührende Erfahrung gesammelt haben, die sie als Handeln Gottes empfinden.

Myron hat geschrieben:Was mit "Erleben des göttlichen Subjektes/der göttlichen Person/des göttlichen Bewusstseins" gemeint sein könnte, ist mir allerdings schleierhaft. Irgendwie scheint es um eine Art übersinnlicher Wahrnehmung oder Erfahrung zu gehen, eben um komische religiös-mystische Erfahrungen, deren angeblich transzendentaler Erlebnisgehalt meines Erachtens reine Einbildung ist.

Ich sehe selbst in wunderhaften Erlebnissen nichts 'Übersinnliches', wobei natürlich - aus spiritueller Sicht - Gottes Handeln alles in Frage stellen kann; auch eherne Vernunftregeln. Manchmal sind diese Glaubenserfahrungen sehr stark, dass die Betroffenen sie für selbsterklärend halten. Oft aber steht am Ende auch die Wertung - vielleicht auch erst Wochen später: "Da hat Gott mich bewahrt" (o.ä.)
Der Unterschied zur naturwissenschaftlichen Betrachtungsweise liegt nicht in übersinnlichen Erfahrungen, Einbildungen oder Wahnvorstellungen, sondern in einer anderen Erfahrungsvoraussetzung. Unterschiedliche Prämissen/"Einstellungen" bedingen unterschiedliche Erfahrungen.

Myron hat geschrieben:Jedes Subjekt ist notwendigerweise zugleich ein Objekt, weil Subjektivität ein abhängiges Erzeugnis bestimmter objektiver Vorgänge in bestimmten Objekten, sprich Tieren, ist. Die Seele ist das "Innensein des Organismus" (W. Wundt).

Da stimme ich nicht zu.
Du hast selbst oben eine Definition gebraucht, die voraussetzt, dass ein Objekt etwas Vorgestelltes ist. Dh ein Subjekt wird nur dann zum Objekt, wenn es 'gedacht' wird. Und "Objekte" weisen keine "objektiven" Vorgänge auf, sondern allenfalls empirische.

:^^: In der Theologie kann man von objektiven Vorgängen sprechen - wenn Gott handelt.

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Re: Warum glauben intelligente und gebildete Menschen?

Beitragvon Fisherman's Fellow » Di 8. Jul 2008, 00:26

Vielem konnte ich zustimmen, anderem nicht. Hier meine wichtigsten Anmerkungen.

(1)
Qubit hat geschrieben:* Lässt sich die Natur rational begründen? Ja, insofern man die Naturgesetzlichkeiten der Naturwissenschaften verstanden hat.

Nein, denn diese Naturgesetzlichkeiten beruhen auf einer Reihe von selbstevidenten und darum irrationalen Prämissen.
Außerdem begründet empirische Wissenschaft nichts, sondern sie "bewährt sich" allenfalls.

(2)
Qubit hat geschrieben:* Sind sie deswegen als vom Menschen "real" zu betrachten? Nein, insofern sie in der "rationalen" Natur wirken sollen. Sollten sie es, könnten wir die Natur nicht "rational" verstehen. Bisher spricht nichts dafür, natürliche Phänomene lassen sich im Gegenteil rational erklären. Insofern sie "ausserhalb" der Natur wirken sollen, _können_ wir es nicht wissen und verstehen. Rational ist es nicht möglich, dies zu begründen und damit als "real" zu verstehen.

Naturwissenschaften haben den Zweck, allgemeingültige Regeln und Gesetze in der Natur zu finden. Sie ist nicht dazu da, Irrationalitäten in der Natur zu entdecken, sondern sie auszuschließen.

(3)
Qubit hat geschrieben:* Werden wir die "gesamte" Natur rational begründen können? Wir wissen es nicht. Bisher jedoch nicht.

Es ist ausgeschlossen, wegen (1).

(4)
Qubit hat geschrieben:* Warum gibt es überhaupt Menschen, die "irrationale Weltgründe" wie "Gott" für "real" betrachten? Weil sie sich zu wichtig nehmen und einer Kardinalschwäche menschlichen Daseins unterliegen: Menschliche Vorstellungen in die Welt zu projizieren und für real zu halten. Die Geschichte der "intellektuellen" Aufklärung zeigt dies recht deutlich.

Ich wollte eigentlich schreiben: "Nein, weil rationale Ontologien kontingent sind und weil sich die Natur nicht rein rational erklären lässt." Aber der eigentlich wichtige Grund ist: Weil Menschen Gott in ihrem Leben erfahren.

Grüßle,
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Re: Warum glauben intelligente und gebildete Menschen?

Beitragvon Qubit » Di 8. Jul 2008, 01:07

Fisherman's Fellow hat geschrieben:Vielem konnte ich zustimmen, anderem nicht. Hier meine wichtigsten Anmerkungen.
(1)
Qubit hat geschrieben:* Lässt sich die Natur rational begründen? Ja, insofern man die Naturgesetzlichkeiten der Naturwissenschaften verstanden hat.

Nein, denn diese Naturgesetzlichkeiten beruhen auf einer Reihe von selbstevidenten und darum irrationalen Prämissen.
Außerdem begründet empirische Wissenschaft nichts, sondern sie "bewährt sich" allenfalls.


Von hinten nach vorn ;-)
"Begründung" wird hier von mir nicht im Sinne von "Wahrheit" verstanden, sondern eher im Sinne einer "möglichen Realisierung".
Es existiert also mithin ein rationales Erklärungsmodell der Welt/Natur, das nach bestem Wissen frei von Irrationalitäten ist.
Und damit zu deinem ersten Punkt:
Ja, es gibt Prämissen, die nicht "logisch" hergeleitet werden können, klar. Sie sind jedoch als Grundlage für erwähntes rationales Erklärungsmodell "fähig" (widerspruchsfrei,..) und werden weitestgehend in den (logischen) Konsequenzen von der wissenschaftlichen "Naturbeobachtung" bestätigt.

Fisherman's Fellow hat geschrieben:(2)
Qubit hat geschrieben:* Sind sie deswegen als vom Menschen "real" zu betrachten? Nein, insofern sie in der "rationalen" Natur wirken sollen. Sollten sie es, könnten wir die Natur nicht "rational" verstehen. Bisher spricht nichts dafür, natürliche Phänomene lassen sich im Gegenteil rational erklären. Insofern sie "ausserhalb" der Natur wirken sollen, _können_ wir es nicht wissen und verstehen. Rational ist es nicht möglich, dies zu begründen und damit als "real" zu verstehen.

Naturwissenschaften haben den Zweck, allgemeingültige Regeln und Gesetze in der Natur zu finden. Sie ist nicht dazu da, Irrationalitäten in der Natur zu entdecken, sondern sie auszuschließen.


Genau das habe ich doch ausgesagt >>insofern sie in der "rationalen" Natur wirken sollen<< !?

Fisherman's Fellow hat geschrieben:(3)
Qubit hat geschrieben:* Werden wir die "gesamte" Natur rational begründen können? Wir wissen es nicht. Bisher jedoch nicht.

Es ist ausgeschlossen, wegen (1).


Deine Behauptung kannst du nicht begründen, nicht rational ;-)

Fisherman's Fellow hat geschrieben:(4)
Qubit hat geschrieben:* Warum gibt es überhaupt Menschen, die "irrationale Weltgründe" wie "Gott" für "real" betrachten? Weil sie sich zu wichtig nehmen und einer Kardinalschwäche menschlichen Daseins unterliegen: Menschliche Vorstellungen in die Welt zu projizieren und für real zu halten. Die Geschichte der "intellektuellen" Aufklärung zeigt dies recht deutlich.

Ich wollte eigentlich schreiben: "Nein, weil rationale Ontologien kontingent sind und weil sich die Natur nicht rein rational erklären lässt." Aber der eigentlich wichtige Grund ist: Weil Menschen Gott in ihrem Leben erfahren.


Deine erste Antwort hätte mir besser gefallen, dann hätte ich etwas dazu sagen können ;-)
Denn den ersten Teil deiner ersten Antwort habe ich selbst betont.
Der zweite Teil dieser deiner Behauptung ist jedoch noch unbeantwortet. Das "Tragische" dabei:
Jede rationale Antwort darauf kann nur eine Negation sein ;-)
Du kannst dich drehen und winden wie du möchtest: die Notwendigkeit für einen "irrationalen Weltgrund" lässt sich nicht rational begründen!
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Re: Warum glauben intelligente und gebildete Menschen?

Beitragvon Myron » Di 8. Jul 2008, 01:28

Fisherman's Fellow hat geschrieben:Zum Bleistift in seinem "Zur Geschichte der neueren Philosophie", wenn er sich mit Spinzas Substanz und Kants Ding an sich auseinandersetzt. Da für Kant jenes außer der Erfahrung (dh auch der Erkenntnis jeder Art inklusive der Anschauungsformen) Vorausgesetzte (wie Du gern im Hinblick auf Gott betonst, was aber zugleich für einen wie immer gearteten "Weltgrund" gilt),
F.W.J. Schelling, I,10,83 hat geschrieben:völlig zu nichts wird, sehen wir dass Kant uns am Ende eben wieder dahin bringt, wo wir zuvor waren, zu der völlig ungeklärten Erfahrung.


In Sachen Erkenntnistheorie bin ich kein Kantianer.
Seine Unterscheidung von Erscheinungen und Dingen an sich lehne ich ab.

Fisherman's Fellow hat geschrieben:Eben. Dennoch ist es Deine feste Überzeugung, dass der Weltgrund physikalischer Natür ist. Das ist ein klassischer Fall von Selbstevidenz.
(Wenn man es begründen könnte, wäre es ja nicht mehr selbstevident!)


Meine Begründung dafür, dass es sich bei dem Urgrund in keinem Fall um etwas Nichtphysisches handelt und auch nicht handeln kann, setzt bereits auf der begrifflichen Ebene an: Der Begriff eines außerraumzeitlichen/außerräumlichen, unräumlichen (d.i. nulldimensionalen), unstofflichen (d.i. aus nichts bestehenden), selbstbewussten Geistwesens mit unendlichem Wissen und unendlicher Macht, das die natürlich-materielle Welt zielgerichtet durch einen reinen Willensakt aus nichts hervorgezaubert hat und auf wundersame Weise beherrscht, erscheint mir vollkommen widersinnig und unverständlich.
Ich bezweifle, dass die Existenz eines derartigen Wesens überhaupt realiter möglich ist.

Fisherman's Fellow hat geschrieben:Mit anderen Worten: Du machst , was sich aus dem Weltengrund entwickelt hat, zu seiner eigenen Voraussetzung. Das ist zirkulär.


Was ist daran zirkulär, wenn ich alle Phänomene auf ein ewiges, unverursachtes physisches Urding zurückführe?

Fisherman's Fellow hat geschrieben:Ferner: Die Physik erklärt seiende Objekte, nicht das Subjekt des "Seins".


Die einzig möglichen Subjekte sind auf irgendwelchen Planeten lebende, tierische Objekte mit Bewusstsein.
Von einem "Subjekt des Seins" zu sprechen, ergibt keinen Sinn.

Fisherman's Fellow hat geschrieben:Aber wir wissen nicht, ob uns die Theorien der jüngeren Vergangenheit näher an die "Dinge an sich" herangebracht haben, oder ob wir nicht einen ganz gigantischen Irrweg gehen.


Irren ist menschlich, aber es sieht mitnichten so aus, als befände sich die gesamte zeitgenössische Physik auf dem Holzweg.
Und überhaupt, wenn die derzeit bestbestätigten physikalischen Theorien sich eines Tages als falsch erweisen sollten, dann werden sie halt durch andere, bessere physikalische Theorien ersetzt.

Fisherman's Fellow hat geschrieben:Ich denke, ich habe oben deutlich gemacht, dass die Physik nicht alles erklären kann (und füge hier hinzu: Auch nicht ihre eigenen Denkvoraussetzungen).


Die Physik kann deshalb nicht alles erklären, weil sich grundsätzlich nicht alles erklären lässt!
Insofern kann man ihr das auch nicht vorwerfen.
Eine physikalische "Theorie von allem", die wirklich absolut alles erklären kann, wird es nie geben.
Eine Erklärung ist üblicherweise eine Angabe von Ursachen und Wirkungsweisen. Wenn der physische Urgrund der Welt unentstanden, unverursacht ist, dann gibt es auch nichts von ihm Verschiedenes, das ihn erzeugt hat und erklärt.

"Einmal muss man von der Erklärung auf die bloße Beschreibung kommen."

(Wittgenstein: "Über Gewissheit", §189)

"Is there an explanation—known or unknown, knowable or unknowable—of why anything at all exists? Suppose we take this to be asking whether there is some explanation of why the sum total of all there is exists. Clearly, if there is some explanation, it is in terms either of something not in the sum total of all there is or of something in the total. But of course there is nothing not in the sum total of all there is, not even God. The phrase 'sum total of all there is' is or purports to be completely comprehensive, referring to everything whatever. So the explanation, if there is one, must be in terms of something in the total—some being or Being or entity or process or realm X, not necessarily 'determinate'. But this means that something about X—something in X's nature—not only explains why everything other than X exists but also why X itself does. That is, X would have to be a something (or a somewhat) that exists by a necessity of its own nature. In this sense, X would have to be a necessary being.
It follows that if the notion of a necessary being is incoherent, as some philosophers believe, there can be no explanation of why the sum total of all there is exists. The question of why there is anything at all, if construed as an explanation-seeking why question, would be based on a false presupposition and would therefore express no mystery."


"Gibt es eine Erklärung—bekannt oder unbekannt, erkennbar oder unerkennbar—dafür, warum überhaupt etwas existiert? Nehmen wir an, bei dieser Frage geht es darum, ob es eine Erklärung dafür gibt, warum die Gesamtheit alles Seienden existiert. Es ist klar, dass wenn es eine bestimmte Erklärung gibt, diese sich entweder auf etwas beziehen muss, das nicht Teil der Gesamtheit des Seienden ist, oder auf etwas, das Teil der Gesamtheit ist. Aber selbstverständlich gibt es nichts, das nicht Teil der Gesamtheit alles Seienden ist, nicht einmal Gott. Die Phrase 'Gesamtheit alles Seienden' ist von ihrer Bedeutung her völlig umfassend, und sie bezieht sich auf alles, was auch immer. Die Erklärung, falls es eine gibt, muss also auf etwas innerhalb der Gesamtheit Bezug nehmen—auf ein Wesen, eine Entität, einen Prozess oder ein Reich X, nicht unbedingt auf etwas präzise Definiertes. Aber dies bedeutet, dass etwas an X—etwas in der Natur von X—nicht nur erklärt, warum alles von X Verschiedene existiert, sondern auch, warum X selbst existiert. Das heißt, X müsste etwas sein, das durch eine in seiner eigenen Natur liegende Notwendigkeit existiert. In diesem Sinne müsste X ein notwendiges Wesen sein.
Daraus folgt, dass wenn der Begriff eines notwendigen Wesen in sich widersprüchlich ist, wie manche Philosophen glauben, es keine Erklärung dafür geben kann, warum die Gesamtheit des Seienden existiert. Die Frage, warum es überhaupt etwas gibt, würde, wenn sie als eine erklärungssuchende Warum-Frage aufgefasst wird, auf einer falschen Voraussetzung basieren und somit kein Geheimnis ausdrücken."

[meine Übers.]

(Post, John F. Metaphysics: A Contemporary Introduction. St. Paul, MN: Paragon House, 1991. p. 71)


Ein notwendiges Wesen (nehmen wir mal an, der Begriff eines solchen Wesens ist logisch stimmig) trägt den Grund seines Seins in sich.
Auf die Frage, was der Grund für das Sein eines notwendigen Wesens sei, kann man nur schlicht antworten: eben die Notwendigkeit seines Seins.

Es stellt sich in diesem Zusammenhang allerdings eine andere Frage:
Ist jede Angabe eines Seinsgrundes von etwas zugleich eine ursächliche Erklärung?
Ich denke nicht, denn man kann schlecht sagen, die Notwendigkeit eines notwendigen Wesens sei die Ursache seines Seins.
Unter einer Ursache von X wird nämlich normalerweise etwas davon Verschiedenes, Y, verstanden, das das Da- und Sosein von X ätiologisch erklärt.
Aber es soll ja das notwendige Wesen X sein, dass alle von ihm verschiedenen, nichtnotwendigen Ys erklärt, und nicht umgekehrt.
Ein notwendiges Wesen kann auch deshalb keine Ursache haben, weil es entweder immer oder nie existiert; das heißt, wenn es existiert, dann existiert es wesensnotwendig ewig.


Fisherman's Fellow hat geschrieben:Insofern ist es anzunehmen, dass es Sachen gibt, die von der Physik schlicht nicht beschrieben werden können, gerade auch insofern sie deren Denkvoraussetzungen übersteigen.


Du kannst beruhigt sein, auch ich glaube nicht an die Möglichkeit physikalischer Allwissenheit. Ich wäre schon mit einer Theorie von fast allem zufrieden.

Fisherman's Fellow hat geschrieben:
Wenn Du Gott lieber innerhalb Deines Definitionsrahmens (als Person, als immaterielle Intelligenz oder was sonst) definieren willst - bitte.
Aber es ist sinnlos. Diesen Gott bzw Götzen gibt es nicht.


Willkommen im Club der Atheisten!

Wenn "Gott" für dich nichts weiter als eine vage "Chiffre" für das Unbekannte, Unbegriffene und Unerklärte ist, dann macht dich das nicht zum Theisten.
Ja, das Unbekannte, Unbegriffene und Unerklärte gibt es auch im Bereich der Naturwissenschaften. Dass aber innerhalb oder jenseits von Raum und Zeit irgendwelche Geister leben, kann aber wohl ausgeschlossen werden.
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Re: Warum glauben intelligente und gebildete Menschen?

Beitragvon Myron » Di 8. Jul 2008, 02:12

Fisherman's Fellow hat geschrieben:Ich denke, ich habe oben deutlich gemacht, dass die Physik nicht alles erklären kann (und füge hier hinzu: Auch nicht ihre eigenen Denkvoraussetzungen). Insofern ist es anzunehmen, dass es Sachen gibt, die von der Physik schlicht nicht beschrieben werden können, gerade auch insofern sie deren Denkvoraussetzungen übersteigen.


Für die Beschreibung der seelischen Innenwelt aus der subjektiven Perspektive ist in der Tat nicht die objektivistische Physik, sondern die phänomenologische Psychologie zuständig.

Fisherman's Fellow hat geschrieben:Wenn Du Gott lieber innerhalb Deines Definitionsrahmens (als Person, als immaterielle Intelligenz oder was sonst) definieren willst - bitte.
Aber es ist sinnlos. Diesen Gott bzw Götzen gibt es nicht.


Zum Kern des Theismus gehört die Annahme eines selbstständigen, außerräumlichen und also hyperphysischen Geister- und Seelenreichs, in dem ein einzigartiger göttlicher Übergeist vorkommt.
Wenn du diese Annahme verwirfst, dann bist du Atheist und Naturalist.
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Re: Warum glauben intelligente und gebildete Menschen?

Beitragvon emporda » Di 8. Jul 2008, 04:40

Fisherman's Fellow hat geschrieben:Ich denke, ich habe oben deutlich gemacht, dass die Physik nicht alles erklären kann (und füge hier hinzu: Auch nicht ihre eigenen Denkvoraussetzungen). Insofern ist es anzunehmen, dass es Sachen gibt, die von der Physik schlicht nicht beschrieben werden können, gerade auch insofern sie deren Denkvoraussetzungen übersteigen.
Das sehe ich nicht so, sofern Kriterien und Fakten klar sind gibt es physikalische Erklärungen. Das von Dir gebrachte Wortgescwurbel hat nicht mit dem Thread zu tun und ist ein Wischi-Waschi mit könnte und würde. Das ist rein spekulativ und spekulative Physik gibt es noch nicht als eine naturalistische Diziplin, da stimme ich Dir zu. Deswegen liegt das Problem eher in Deiner Festlegung, es handele sich um Physik

Wie oben gesagt
"das etwas auf einer falschen Voraussetzung basiert und somit kein Geheimnis ausdrückt"

Es ist wie die Katze, die ihren eigenen Schwanz jagt und nie kriegt. Hätte der Gott eine reale Existenz, muss es physikalische und/oder chemische Existenzbeweise geben. Die gibt es nicht, also retten sie die Gottesanbeter in nicht reale Spären und Erklärungen. Die sind aber in sich unlogisch - sicher auch nicht biblisch - und somit im Ende sinnlos.
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Re: Warum glauben intelligente und gebildete Menschen?

Beitragvon stine » Di 8. Jul 2008, 07:20

emporda hat geschrieben:... also retten sie die Gottesanbeter in nicht reale Spären und Erklärungen. ...- und somit im Ende sinnlos.

Ja, ich gebe auch zu, dass Gott uns nichts anderes in die Hand gibt, als unser Leben selbst.
Als sinnlos würde ich es aber nur betrachten, wenn ich es vergeudete und mir nicht bewußt werden könnte, dass ich mich im Menschsein erfahre und die Welt um mich herum wahrnehmen kann.
So wie sie ist - mit allen Naturgesetzen und Schönheiten in der Feinabstimmung.

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Re: Warum glauben intelligente und gebildete Menschen?

Beitragvon pariparo » Di 8. Jul 2008, 09:28

...ist mir völlig rätsel- und schleierhaft :ka:
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Re: Warum glauben intelligente und gebildete Menschen?

Beitragvon El Schwalmo » Di 8. Jul 2008, 10:25

pariparo hat geschrieben:...ist mir völlig rätsel- und schleierhaft :ka:

dafür könnte es zwischen einem und drei Gründen geben:

1. Du bist kein gläubiger Mensch

2. Du bist kein intelligenter Mensch

3. Du bist kein gebildeter Mensch

und versuchst Dir daher, als Blinder Farben vorzustellen.

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Re: Warum glauben intelligente und gebildete Menschen?

Beitragvon Fisherman's Fellow » Di 8. Jul 2008, 10:41

Qubit hat geschrieben:
Fisherman's Fellow hat geschrieben:(1)
Qubit hat geschrieben:* Lässt sich die Natur rational begründen? Ja, insofern man die Naturgesetzlichkeiten der Naturwissenschaften verstanden hat.

Nein, denn diese Naturgesetzlichkeiten beruhen auf einer Reihe von selbstevidenten und darum irrationalen Prämissen.
Außerdem begründet empirische Wissenschaft nichts, sondern sie "bewährt sich" allenfalls.


Von hinten nach vorn ;-)
"Begründung" wird hier von mir nicht im Sinne von "Wahrheit" verstanden, sondern eher im Sinne einer "möglichen Realisierung".
Es existiert also mithin ein rationales Erklärungsmodell der Welt/Natur, das nach bestem Wissen frei von Irrationalitäten ist.

Wenn Du nicht auf Wahrheit bzw Sein, sondern auf "Realsiserung", dh auf den (utilitaristischen) Umgang mit Natur abhebst, stimme ich zu.
Wenn ich aber eine rationale Ontologie erstellen will, dann geht es um Wahrheit, denn dann macht sich der Naturwissenschaftler an "die letzten Dinge".

Qubit hat geschrieben:Und damit zu deinem ersten Punkt:
Ja, es gibt Prämissen, die nicht "logisch" hergeleitet werden können, klar. Sie sind jedoch als Grundlage für erwähntes rationales Erklärungsmodell "fähig" (widerspruchsfrei,..) und werden weitestgehend in den (logischen) Konsequenzen von der wissenschaftlichen "Naturbeobachtung" bestätigt.

Innerhalb des menschlichen Erfahrungshorizontes. Bei einer Ontologie geht es aber um mehr. Da stehen auch die logischen bzw irrationalen Prämissen für Wissenschaft zur Disposition. Und die sind durchaus nicht alle empirisch gedeckt, sondern wurzeln im Vorstellungvermögen, Harmoniebedürfnis, ästhetischen Grundempfinden der Menschen.
Natürlich kann man so 'nach bestem Wissen und Gewissen' eine Ontologie entwickeln, dh sie als rational ansehen in dem Bewußtsein, dass unvermeidbare Lücken bestehen.
Wie beim Sudoku-Spiel: Man hat gut die Hälfte der Felder ausgefüllt - nun geht es nicht mehr weiter. Aber man sagt sich: "Das sieht doch schon ganz gut aus." und gibt sich damit zufrieden. Schon möglich, dass das stimmt, was man geschrieben hat. Es kann aber auch alles ganz falsch sein.
Eine solche Ontologie ist gerade mal so gut wie jede andere, die logisch, aber auf nicht-rationalen Erfahrungsbedingungen beruht.

In meinen Augen ist dies darum keine Erklärung der Natur, sondern eine Arbeitshypothese bezüglich der Natur (wie - aus rationaler Perspektive - jede andere in sich schlüssige Ontologie auch).

Qubit hat geschrieben:
Fisherman's Fellow hat geschrieben:
Qubit hat geschrieben:* Sind sie deswegen als vom Menschen "real" zu betrachten? Nein, insofern sie in der "rationalen" Natur wirken sollen. Sollten sie es, könnten wir die Natur nicht "rational" verstehen. Bisher spricht nichts dafür, natürliche Phänomene lassen sich im Gegenteil rational erklären. Insofern sie "ausserhalb" der Natur wirken sollen, _können_ wir es nicht wissen und verstehen. Rational ist es nicht möglich, dies zu begründen und damit als "real" zu verstehen.

Naturwissenschaften haben den Zweck, allgemeingültige Regeln und Gesetze in der Natur zu finden. Sie ist nicht dazu da, Irrationalitäten in der Natur zu entdecken, sondern sie auszuschließen.



Genau das habe ich doch ausgesagt >>insofern sie in der "rationalen" Natur wirken sollen<< !?

Öhm .... *nochmal liest* :kaffee2: - stimmt, das hast Du geschrieben... hmmmm... :kaffee2: Was mich störte und noch immer stört, ist der Vorsatz: "Sind sie deswegen als vom Menschen "real" zu betrachten? Nein, insofern sie in der "rationalen" Natur wirken sollen [...]"
Die Natur ist nicht rational (und - nebenbei - auch nicht physikalisch). Wir sind rational und wenden Physik an. Die Natur ist Natur und beliefert uns mit Tatsachen. Alles andere ist Deutung.
Folglich sollte man nicht schreiben: "Sind sie deswegen als vom Menschen "real" zu betrachten?", sondern: "Sind sie deswegen vom rationalen Standpunkt aus als "real" zu betrachten?".

Qubit hat geschrieben:
Fisherman's Fellow hat geschrieben:(3)
Qubit hat geschrieben:* Werden wir die "gesamte" Natur rational begründen können? Wir wissen es nicht. Bisher jedoch nicht.

Es ist ausgeschlossen, wegen (1).


Deine Behauptung kannst du nicht begründen, nicht rational ;-)

Doch, sicher; siehe oben: Eine vollständige Erklärung ist keine Arbeitshypothese. Da reicht es nicht mehr, die eigenen Denkvorgaben als selbstevident gegeben hinzunehmen. Was in unserer lebensfreundlichen Nische funktioniert, muss noch lange nicht wahr sein in Bezug auf "alles". Da jedoch jede Theorie auf solchen Prämissen beruht, die "gesetzt" werden müssen, wird es niemals eine Theorie geben, die vollständig alles - eben auch ihre eigenen Voraussetzungen erklärt.
Abgesehen davon waren wir uns ja einig, dass rational nicht erklärbare Ereignisse ("Singularitäten") von den Wissenschaften nicht erklärt werden können, weil sie bestrebt sind, Einzelfälle zu Allgemeinregeln zusammenzufassen bzw zu abstrahieren. Mein Leben ist aber in vieler Hinsicht eine Kette von Einzelfällen. Dh wenn ich davon ausgehe, dass mein Leben Teil der Natur ist, dann erklären die Wissenschaften gerade das nicht, was für mich eigentlich von Bedeutung wäre.

Qubit hat geschrieben:
Fisherman's Fellow hat geschrieben:Ich wollte eigentlich schreiben: "Nein, weil rationale Ontologien kontingent sind und weil sich die Natur nicht rein rational erklären lässt." Aber der eigentlich wichtige Grund ist: Weil Menschen Gott in ihrem Leben erfahren.


Deine erste Antwort hätte mir besser gefallen, dann hätte ich etwas dazu sagen können ;-)
Denn den ersten Teil deiner ersten Antwort habe ich selbst betont.
Der zweite Teil dieser deiner Behauptung ist jedoch noch unbeantwortet. Das "Tragische" dabei:
Jede rationale Antwort darauf kann nur eine Negation sein ;-)

Logisch. Der zweite Teil geht von mythisch-religiösen Erfahrungsvoraussetzungen aus. Dazu hat die Rationalität halt nichts zu sagen. Das ändert aber nichts daran, dass dies der Grund für die meisten Menschen ist, Gott als real zu betrachten. Sie teilen dann die mythisch-religiösen Erfahrungsvoraussetzungen.

Qubit hat geschrieben:Du kannst dich drehen und winden wie du möchtest: die Notwendigkeit für einen "irrationalen Weltgrund" lässt sich nicht rational begründen!

Doch. Das ergibt sich wieder aus dem Obigen: Zwar reicht es für eine passable rationale Arbeitshypothese über die Natur, bei der man die lästigen, aber unvermeidbaren als selbstevident betrachteten Setzungen hinnimmt, aber nicht für den definiten Erweis eines rationalen Weltgrundes. Dort müsste das Münchhausen-Trilemma vermieden werden - oder aber, was auch möglich ist: Logik ist gar kein "transzendentes" Seinsprinzip, sondern einfach nur ein Resultat menschlicher Evolution. Dann wären eh alle Ontologien hinfällig.

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Re: Warum glauben intelligente und gebildete Menschen?

Beitragvon Fisherman's Fellow » Di 8. Jul 2008, 12:27

Myron hat geschrieben:Meine Begründung dafür, dass es sich bei dem Urgrund in keinem Fall um etwas Nichtphysisches handelt und auch nicht handeln kann, setzt bereits auf der begrifflichen Ebene an: Der Begriff eines außerraumzeitlichen/außerräumlichen, unräumlichen (d.i. nulldimensionalen), unstofflichen (d.i. aus nichts bestehenden), selbstbewussten Geistwesens mit unendlichem Wissen und unendlicher Macht, das die natürlich-materielle Welt zielgerichtet durch einen reinen Willensakt aus nichts hervorgezaubert hat und auf wundersame Weise beherrscht, erscheint mir vollkommen widersinnig und unverständlich.
Ich bezweifle, dass die Existenz eines derartigen Wesens überhaupt realiter möglich ist.

Mag ja sein. Du kennst meine Auffassung in dieser Angelegenheit.
Aber das ist nicht die einige Alternative zu einem physikalischen Urgrund, den ich schon aus logischen Erwägungen heraus für ein Unding halte. Mal ganz abgesehen von der Frage, was "physikalisch" in diesem Kontext überhaupt bedeutet.

Myron hat geschrieben:
Fisherman's Fellow hat geschrieben:Mit anderen Worten: Du machst , was sich aus dem Weltengrund entwickelt hat, zu seiner eigenen Voraussetzung. Das ist zirkulär.


Was ist daran zirkulär, wenn ich alle Phänomene auf ein ewiges, unverursachtes physisches Urding zurückführe?

Zirkulär ist die Bedingung für den Weltgrund, etwas physikalisches zu sein. Dir imponieren die Ergebnisse und die Exaktheit der Physik als Wissenschaft. Darum hast Du sie als prima tolles Daseinsprinzip (obwohl sie eigentlich ein Erkenntnisprinzip ist) ausgemacht und setzt es vorne wieder ein, um Physik aus einem heuristischen Modell zu einem ontologischen zu machen. Das sieht mir stark nach einer petitio principii aus.
Ein Weltgrund jedoch hat voraussetzungslos zu sein, sonst ist er keiner (weil er weiterer Erklärungen und Voraussetzungen bedarf).

Das ist doch auch der Grund, warum ein rationaler Gottesbegriff nicht definibel ist.

Myron hat geschrieben:Irren ist menschlich, aber es sieht mitnichten so aus, als befände sich die gesamte zeitgenössische Physik auf dem Holzweg.

Das wird zu jeder Zeit von der herrschenden Lehrmeinung gesagt, logischerweise.

Myron hat geschrieben:Und überhaupt, wenn die derzeit bestbestätigten physikalischen Theorien sich eines Tages als falsch erweisen sollten, dann werden sie halt durch andere, bessere physikalische Theorien ersetzt.

Von denen sich aber auch nicht sagen lässt, ob nicht die verworfenen letztlich besser waren. Das war es, worauf Hübner hinauswollte: Absolute Positionsbestimmung unmöglich und darum in ontologischer Hinsicht kein Fortschritt feststellbar.

Myron hat geschrieben:
Fisherman's Fellow hat geschrieben:Ich denke, ich habe oben deutlich gemacht, dass die Physik nicht alles erklären kann (und füge hier hinzu: Auch nicht ihre eigenen Denkvoraussetzungen).


Die Physik kann deshalb nicht alles erklären, weil sich grundsätzlich nicht alles erklären lässt!
Insofern kann man ihr das auch nicht vorwerfen.
Eine physikalische "Theorie von allem", die wirklich absolut alles erklären kann, wird es nie geben.

Okay. Ich denke, ich verstehe langsam, worauf Du hinaus willst.

Myron hat geschrieben:Es stellt sich in diesem Zusammenhang allerdings eine andere Frage:
Ist jede Angabe eines Seinsgrundes von etwas zugleich eine ursächliche Erklärung?
Ich denke nicht, denn man kann schlecht sagen, die Notwendigkeit eines notwendigen Wesens sei die Ursache seines Seins.
Unter einer Ursache von X wird nämlich normalerweise etwas davon Verschiedenes, Y, verstanden, das das Da- und Sosein von X ätiologisch erklärt.
Aber es soll ja das notwendige Wesen X sein, dass alle von ihm verschiedenen, nichtnotwendigen Ys erklärt, und nicht umgekehrt.
Ein notwendiges Wesen kann auch deshalb keine Ursache haben, weil es entweder immer oder nie existiert; das heißt, wenn es existiert, dann existiert es wesensnotwendig ewig.

Auch da stimmen wir überein, wobei viel Begriffsspielerei mit drin steckt. Was bedeutet "ursächlich" und was setzt dieser Ausdruck alles voraus? Dito mit "notwendig" in diesem Zusammenhang, wo ja keine 'äußeren Notwendigkeiten' vorhanden sind.

Myron hat geschrieben:
Fisherman's Fellow hat geschrieben:
Wenn Du Gott lieber innerhalb Deines Definitionsrahmens (als Person, als immaterielle Intelligenz oder was sonst) definieren willst - bitte.
Aber es ist sinnlos. Diesen Gott bzw Götzen gibt es nicht.


Willkommen im Club der Atheisten!

Wenn "Gott" für dich nichts weiter als eine vage "Chiffre" für das Unbekannte, Unbegriffene und Unerklärte ist, dann macht dich das nicht zum Theisten.
Ja, das Unbekannte, Unbegriffene und Unerklärte gibt es auch im Bereich der Naturwissenschaften. Dass aber innerhalb oder jenseits von Raum und Zeit irgendwelche Geister leben, kann aber wohl ausgeschlossen werden.

:ops: Ich fühle mich geschmeichelt, aber die Selbstbeschränkung des 'etsi deus non daretur' der Naturwissenschaften lässt so manchen waschechten Theisten als Atheisten dastehen. Spätestens beim Beten und beim Kirchgang klärt sich das Missverständnis auf.

Trotzdem danke, :^^:
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Re: Warum glauben intelligente und gebildete Menschen?

Beitragvon Fisherman's Fellow » Di 8. Jul 2008, 12:35

emporda hat geschrieben:Das ist rein spekulativ und spekulative Physik gibt es noch nicht als eine naturalistische Diziplin, da stimme ich Dir zu. Deswegen liegt das Problem eher in Deiner Festlegung, es handele sich um Physik

Ah ja? Kannst Du mir zweifelsfrei beweisen, dass wir in einem gekrümmten Riemann-Raum leben (oder vielleicht doch eher in einem cartesischen oder ganz anders beschaffenem Raum)?
Eben.

emporda hat geschrieben:Hätte der Gott eine reale Existenz, muss es physikalische und/oder chemische Existenzbeweise geben.

Nein. Dann wäre es nicht Gott, sondern irgendein von irgendwas (zB physikalischen oder chemischen Prämissen) abgeleitetes Objekt: Ein Alien. 'Q' vielleicht. Gott mit Sicherheit nicht.
Da könnte ja jeder kommen.

Grüßle,
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Re: Warum glauben intelligente und gebildete Menschen?

Beitragvon Myron » Di 8. Jul 2008, 16:03

Fisherman's Fellow hat geschrieben:Sie wirken falsch, wenn man sie von einer naturwissenschaftlichen Erfahrungsgrundlage her betrachtet. Aber vieles ergibt einen Sinn und widerspricht auch den Tatsachen nicht, wenn man sie von einer mythisch-religiösen Erfahrungsgrundlage her liest bzw hört.


Die von den Theologen behaupteten Sachverhalte bestehen oder sie bestehen nicht.—Punkt.
Das ist keine Frage von verschiedenen Betrachtungsweisen.

Fisherman's Fellow hat geschrieben:Dawkins bezog sich auf Ockhams Rasiermesser. Eine so komplexe, übernatürliche Intelligenz wäre eher als Ergebnis einer langen evolutionären Entwicklung anzusehen als als deren Ursache.


Die göttliche Seelensubstanz kann als nulldimensionales Gebilde keine innere Komplexität aufweisen.
Zugleich wird jener absolut simplen Seelensubstanz eine komplexe Psyche zugesprochen, was die Frage aufwirft, wie so etwas möglich sein kann. Wie kann etwas absolut Simples der Träger von etwas Komplexem sein?
Zum Beispiel liegt der komplexen menschlichen Psyche entsprechenderweise eine komplexe Physis, d.h. ein komplexer Organismus zugrunde, welcher das vielfältige Seelenleben eines Menschen in sich hervorbringt.

Fisherman's Fellow hat geschrieben:Klar kann man sich auch ein über die Maßen komplexes, höchstes Wesen, eine Art Überperson, als Urgrund vorstellen. Aber es widerspricht irgendwie der wissenschaftlichen Ästhetik, die höchste Komplexität im Urgrund zu sehen und sich dann zu fragen, warum sich das Universum aus einfachen Anfängen durch Selektion zu immer komplizierteren Strukturen aufbaut.


Also irgendeine Art von dynamischer Struktur muss jeder Urgrund besitzen; denn sonst könnte er nichts evolutionär aus sich hervorbringen. Wenn der kreative Urgrund beispielsweise die Raumzeit selbst ist, dann kann diese als physische Substanz nicht ein absolut statisches, homogenes Kontinuum sein.


Fisherman's Fellow hat geschrieben:Besonders überzeugend fand ich dieses "Ockham"-Argumentation nicht und schrieb an den Rand: "Wieso eigentlich?"


Die einfachere Annahme ist nicht grundsätzlich vorzuziehen.

Fisherman's Fellow hat geschrieben:Aber sich einen Weltgrund vorzustellen, der - als Person! - alleine im zeitlosen Nichts herumdümpelt, "bevor" er seinen Urknall zündet, wirkt auch nicht besonders überzeugend.


Wem sagst du das! :-)

Fisherman's Fellow hat geschrieben:
Myron hat geschrieben:Ich will von den Theologen eine klare Antwort auf die Frage, ob ihr Gott im nichtmetaphorischen Sinn eine Person ist oder nicht!

Bei Vorgabe einer naturwissenschaftlich-rationalen Erfahrungsvoraussetzung: Keine Aussage möglich.
Bei Vorgabe einer christlich-spirituellen Erfahrungsvoraussetzung (dh als gläubiger Christ): Ja.


Ich kann deine Unterscheidung von "Erfahrungsvoraussetzungen" nicht nachvollziehen.
Wir alle, ob Theist oder Atheist, leben in ein und derselben allumfassenden Wirklichkeit.
Und der theistische Gott ist Teil dieser einen Wirklichkeit oder nicht.
Die Frage lautet also: "Ist Gott Teil der Wirklichkeit?"

Fisherman's Fellow hat geschrieben:Es gibt schon ein paar, die zu klaren Formulierungen fähig sind bzw waren. Einer, der Dir bekannt sein dürfte, ist der derzeitige EKD-Chef Wolfgang Huber.


Sorry, aber alle theologischen Äußerungen von "Hexe" Huber, die ich bisher medial vernommen habe, waren äußerst schwammig.

Fisherman's Fellow hat geschrieben:a) Weil es sich vielleicht gar nicht um eine rationale, sondern um spirituelle Aussagen handelt.


Was ist denn bitteschön eine "spirituelle Aussage"?
Etwa eine Äußerung ohne kognitiven Gehalt? (Eine Art "Glossolalie"?)

Fisherman's Fellow hat geschrieben:
Aber nimm Du bitte zur Kenntnis, dass es sich dabei nicht um alle Christen handelt; dass es also kein typisches Zeichen für das Christentum ist, dass Gott schlechterdings und in jeder Hinsicht für eine Person gehalten wird.


Über eines lässt sich nicht streiten:
Wer seinen Gott nicht für einen persönlichen Geist hält, der ist kein Theist und damit auch kein Christ. Die Personalität (in einem nicht völlig unverbindlichen, nicht rein metaphorischen Sinn) und die reine Spiritualität Gottes sind die Conditiones sine quibus non des Theismus!

Fisherman's Fellow hat geschrieben:
Aber wenn alles aus Gott als selbstevidentem Ausgangspunkt allen Denkens abgeleitet ist, dann auch Nichtexistenz. Es ist also falsch, von einem nichtexistenten Gott zu sprechen.


Wie meinen?
Meinst du etwas, dass Gott "jenseits von Sein und Nichtsein" ist?
Wenn ja, dann muss ich dir leider entgegenhalten, dass derartige Aussagen Nonsens sind.

Fisherman's Fellow hat geschrieben:
Nicht der Mensch findet Gott, sondern Gott findet den Menschen: Die klassische Weise, dass Menschen zum Glauben kommen, besteht darin, dass sie eine sehr individuelle und berührende Erfahrung gesammelt haben, die sie als Handeln Gottes empfinden.


Nichts für ungut, aber das sind typisch theologische Sätze, angesichts deren vor meinem inneren Augen lauter Fragezeichen auftauchen.
Vielleicht liegt es an meinem beschränkten Vorstellungsvermögen, aber ich weiß nicht, was das für Erfahrungen sein sollen, die manche als "Handeln Gottes" an ihnen deuten.

Fisherman's Fellow hat geschrieben:
Der Unterschied zur naturwissenschaftlichen Betrachtungsweise liegt nicht in übersinnlichen Erfahrungen, Einbildungen oder Wahnvorstellungen, sondern in einer anderen Erfahrungsvoraussetzung. Unterschiedliche Prämissen/"Einstellungen" bedingen unterschiedliche Erfahrungen.


Die erste Prämisse aller Theisten ist: "Gott als ein transzendenter persönlicher Geist existiert."
Nur unter dieser ergeben irgendwelche religiösen Erfahrungsinterpretationen überhaupt einen Sinn.

Fisherman's Fellow hat geschrieben:
In der Theologie kann man von objektiven Vorgängen sprechen - wenn Gott handelt.


Wie gesagt, ein handelnder Gott muss eine Person, d.i. ein selbstbewusstes Lebewesen, sein.
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Re: Warum glauben intelligente und gebildete Menschen?

Beitragvon Myron » Di 8. Jul 2008, 16:05

Fisherman's Fellow hat geschrieben:Die Natur ist nicht rational (und - nebenbei - auch nicht physikalisch). Wir sind rational und wenden Physik an.


Ich gebe dir recht, man kann nicht sagen, die Natur sei rational. Sie weist eine Ordnung auf, die sich rational erfassen lässt.
(Was der Zusatz, die Natur sei nicht physikalisch, bedeuten soll, ist mir allerdings nicht klar. Bist du Idealist?)
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Re: Warum glauben intelligente und gebildete Menschen?

Beitragvon Myron » Di 8. Jul 2008, 17:12

Fisherman's Fellow hat geschrieben:Aber das ist nicht die einige Alternative zu einem physikalischen Urgrund, den ich schon aus logischen Erwägungen heraus für ein Unding halte. Mal ganz abgesehen von der Frage, was "physikalisch" in diesem Kontext überhaupt bedeutet.


Mit "physisch" meine ich "sachlich-unseelisch".

Fisherman's Fellow hat geschrieben:Zirkulär ist die Bedingung für den Weltgrund, etwas physikalisches zu sein. Dir imponieren die Ergebnisse und die Exaktheit der Physik als Wissenschaft. Darum hast Du sie als prima tolles Daseinsprinzip (obwohl sie eigentlich ein Erkenntnisprinzip ist) ausgemacht und setzt es vorne wieder ein, um Physik aus einem heuristischen Modell zu einem ontologischen zu machen. Das sieht mir stark nach einer petitio principii aus.


Mein Materialismus orientiert sich zwar an der Physik, aber in erster Linie ist er ein metaphysischer Standpunkt.
Als Materialist verneine ich das Dasein immaterieller Substanzen wie Seelen oder Geister, zu denen Götter, Engel und Dämonen gehören.

Fisherman's Fellow hat geschrieben:Das ist doch auch der Grund, warum ein rationaler Gottesbegriff nicht definibel ist.


Wie gesagt, ein undefinierter Gottesbegriff ist ein leerer Unbegriff und Gott entsprechend ein nichtiger Gegenstand unseres Denkens, kurzum ein gedankliches Nichts.
Ist dein Gott nichts und damit ein Nichts?

Fisherman's Fellow hat geschrieben:Das war es, worauf Hübner hinauswollte: Absolute Positionsbestimmung unmöglich und darum in ontologischer Hinsicht kein Fortschritt feststellbar.


Dass wir mehr über die Natur und ihre Phänomene wissen als unsere Vorfahren, lässt sich nicht leugnen.
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Re: Warum glauben intelligente und gebildete Menschen?

Beitragvon Fisherman's Fellow » Di 8. Jul 2008, 21:40

Myron hat geschrieben:Die von den Theologen behaupteten Sachverhalte bestehen oder sie bestehen nicht.—Punkt.
Das ist keine Frage von verschiedenen Betrachtungsweisen.

Kannst Du das denn von physikalischen "Sachverhalten", bzw Sätzen behaupten?
Jede Theorie hat hypothetischen Chrarakter.
Ähnliches gilt für theologische Aussagen auf der Basis eines mythisch-religiösen Erfahrungshintergrundes. Weil spirituelle Erfahrungen weit stärker individueller, da subjektbezogener Natur sind, ist die Bandbreite an Theorien viel größer, aber sie alle beziehen sich auf Tatsachen - nicht empirischer, sondern spiritueller Natur - und sie beanspruchen, Wirklichkeitsbeschreibungen zu sein.

Myron hat geschrieben:Ich kann deine Unterscheidung von "Erfahrungsvoraussetzungen" nicht nachvollziehen.
Wir alle, ob Theist oder Atheist, leben in ein und derselben allumfassenden Wirklichkeit.

Aber wir erleben sie verschieden. Und filtern - je nach Erfahrungsgrundlage - unterschiedliche Dinge heraus - die wir als unwichtig, irrelevant, irrig oder nichtexistent halten.
Ich zB halte gar nichts von Multiversen. Das ist ein eher erheiterndes Thema für mich.

Myron hat geschrieben:Und der theistische Gott ist Teil dieser einen Wirklichkeit oder nicht.
Die Frage lautet also: "Ist Gott Teil der Wirklichkeit?"

Auf der Basis eines religiösen Erfahrungshorizontes lautet meine Überzeugung (die wohl ebenso fest ist wie die Deine, dass der Weltgrund physischer Natur ist): Ja - Gott ist wirklich (nicht 'Teil der Wirklichkeit', als wäre sie das Umgreifende; sondern die Wirklichkeit ist in Gott, so dass er sich in allem Wirklichen offenbart).

Myron hat geschrieben:
Fisherman's Fellow hat geschrieben:a) Weil es sich vielleicht gar nicht um eine rationale, sondern um spirituelle Aussagen handelt.


Was ist denn bitteschön eine "spirituelle Aussage"?
Etwa eine Äußerung ohne kognitiven Gehalt? (Eine Art "Glossolalie"?)

Glossolalie, Gesangs-, Gebetscluster, Brucknersymphonien, all das können spirituelle Äußerungen sein.
Müssen aber nicht. Es hängt - wie bei physikalischen Messungen - von einer Reihe von Vorbedingungen ab. In jedem Fall hat sie eine mythisch-religiöse Erfahrungsbedingung zur Voraussetzung.
Eine typisch spirituelle Aussage ist zB das, was Jesus den Pharisäern antwortete auf die Frage, wann das Reich Gottes komme: Das Reich Gottes kommt nicht so, dass man's beobachten kann; man wird auch nicht sagen: Siehe, hier ist es!, oder: Da ist es! Denn siehe, das Reich Gottes ist mitten unter euch.
Die beste Einführung, die ich gelesen habe, stammt von Adolf Holl und trägt den Titel: "Mystik für Anfänger". Aber es ist nicht jedermanns Sache. Gut zu lesen, aber eine echte Herausforderung für einen analytischen Philosophen.

Myron hat geschrieben:Über eines lässt sich nicht streiten:
Wer seinen Gott nicht für einen persönlichen Geist hält, der ist kein Theist und damit auch kein Christ.

"Gott" - nicht "Geist". Es gibt kein Surrogat für 'Gott'. Unter "Geist" versteht man in der Theologie das, was auf die Welt wirkt, was sie gestaltet und überhaupt hervorbringt. Wie 'Geist' und 'Gott' zueinander stehen, entzieht sich jeder Reflexion. Die alte Kirche hat hierfür den Ausdruck "Hypostase" verwendet. Sie gelten, zusammen mit dem Logos, als ungeschaffen.

Myron hat geschrieben:Die Personalität (in einem nicht völlig unverbindlichen, nicht rein metaphorischen Sinn) und die reine Spiritualität Gottes sind die Conditiones sine quibus non des Theismus!

Die Personalität ergibt sich aus der Selbstoffenbarung Gottes (als Subjekt) an das menschliche Subjekt; und nicht weil Gott "an sich" so ist, sondern weil er sich so offenbart, besteht für den Glaubenden die Gewissheit eines personalen Gottes.
Die "Spiritualität Gottes" ist ein mir neuer Begriff; ich halte ihn für nicht glücklich gewählt, weil er suggeriert, dass Gott ein immaterielles Geistwesen sei. Wissen wir nicht! Jesus sagte laut Johannesevangelium: "Gott ist Geist" - aber das bedeutet nicht, dass Gott 'an sich' ein Geistwesen sei, sondern verweist auf die dritte Hypostase, denn durch den Geist - "spirituell" - wird Gott erfahren.

Wenn das jemand für Kauderwelsch oder so hält, nebbich - sind halt theologische Aussagen auf der Basis einer ganz anderen Erfahrungsmöglichkeit: Faithtalk. Muss man als Naturalist nicht verstehen können. :^^:

Myron hat geschrieben:
Fisherman's Fellow hat geschrieben:
Aber wenn alles aus Gott als selbstevidentem Ausgangspunkt allen Denkens abgeleitet ist, dann auch Nichtexistenz. Es ist also falsch, von einem nichtexistenten Gott zu sprechen.


Wie meinen?
Meinst du etwas, dass Gott "jenseits von Sein und Nichtsein" ist?
Wenn ja, dann muss ich dir leider entgegenhalten, dass derartige Aussagen Nonsens sind.

Wenn Gott - oder auch der Weltgrund - nicht wirklich alles übrige in sich schließt ("Jenseits" ist da auch falsch - es fehlen schlicht die Worte), alle Begriffe und auch die Regeln, sie anzuwenden - dann ist es kein "Grund", sondern nur ein Dummy, ein Götze, ein Strohmann. Dann denkt man immer noch in einer zu anthropomorphen Weise über die Grundlage seiner selbst.

Myron hat geschrieben:Nichts für ungut, aber das sind typisch theologische Sätze, angesichts deren vor meinem inneren Augen lauter Fragezeichen auftauchen.
Vielleicht liegt es an meinem beschränkten Vorstellungsvermögen, aber ich weiß nicht, was das für Erfahrungen sein sollen, die manche als "Handeln Gottes" an ihnen deuten.

Die Erfahrungen sind total unterschiedlich. Zwei Beispiele: Ich habe aus einer Vielzahl von Einzelereignissen vermittelt bekommen, dass Gott amoralisch ist (dh keine bestimmten ethischen Regeln abfordert), sondern dass es in die Richtung geht von 'ama et fac quod vis', und diese Erfahrungen im Neuen Testament bestätigt gefunden. Eine ganz andere Erfahrung machte mein (nicht besonders religilöser) Onkel. Er hatte um sein Haus einen zwei Meter tiefen Drainageschacht ausgehoben, und, weil es ans Befüllen ging, die Stützen schon entfernt. Der Schacht war aber prima stabil. Der Onkel entdeckte am Hausfundament, dort wo die Stützbalken gesessen hatten, ein paar Stellen, die er noch ausbessern wollte. Also kletterte er aus der Grube, um die benötigten Werkzeuge zu holen. Er war keine Minute draußen, da machte es hinter ihm "schwoff". Der Schacht stürzte ein und verschüttete die Stelle, an der er vorher gestanden hatte, vollständig. Später sagte er zu mir: "... da wurde mir klar, dass die da oben mich noch nicht haben wollten."

Myron hat geschrieben:Die erste Prämisse aller Theisten ist: "Gott als ein transzendenter persönlicher Geist existiert."
Nur unter dieser ergeben irgendwelche religiösen Erfahrungsinterpretationen überhaupt einen Sinn.

Ich würde es so formulieren: "Gott, der himmlische Vater hat die Welt erschaffen und alles, was darin ist. Er ist mir freundlich zugeneigt und achtet auf mich."
Reine Existenzaussagen (über Gott) sind unwichtig.

Myron hat geschrieben:Wie gesagt, ein handelnder Gott muss eine Person, d.i. ein selbstbewusstes Lebewesen, sein.

Zu anthropomorph gedacht. Als Schöpfer von allem, von dem alles Leben ausgeht, steht es ihm allerdings zu, 'lebendiger Gott' genannt zu werden. (All dies ist wiederum 'Faithtalk' - es ergibt sicher keinen Sinn, diese Sätze unter der Vorgabe einer rational-wissenschaftlichen Erfahrungsbasis zu deuten.

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Re: Warum glauben intelligente und gebildete Menschen?

Beitragvon Fisherman's Fellow » Di 8. Jul 2008, 22:10

Myron hat geschrieben:Ich gebe dir recht, man kann nicht sagen, die Natur sei rational. Sie weist eine Ordnung auf, die sich rational erfassen lässt.
(Was der Zusatz, die Natur sei nicht physikalisch, bedeuten soll, ist mir allerdings nicht klar. Bist du Idealist?)

Sagen wir so: Wenn ich Atheist wäre, dann wären unsere Auffassungen wohl ziemlich identisch und eine Diskussion ziemlich langweilig. :wink:

Myron hat geschrieben:Mit "physisch" meine ich "sachlich-unseelisch".

Und die physikalische Naturordnung als Potential irgendwie in sich begreifend, nehme ich an.

Myron hat geschrieben:Mein Materialismus orientiert sich zwar an der Physik, aber in erster Linie ist er ein metaphysischer Standpunkt.
Als Materialist verneine ich das Dasein immaterieller Substanzen wie Seelen oder Geister, zu denen Götter, Engel und Dämonen gehören.

Es sei denn, sie ließen sich wissenschaftlich nachweisen:
Bezüglich Gottes bzw des Seinsgrundes ist dies zwar unmöglich, aber vielleicht Dämonen oder Engel ...?
Oder würdest Du solchen Wesen auch nach einem solchen Nachweis keine Realtiät zubilligen?

Myron hat geschrieben:
Fisherman's Fellow hat geschrieben:Das ist doch auch der Grund, warum ein rationaler Gottesbegriff nicht definibel ist.


Wie gesagt, ein undefinierter Gottesbegriff ist ein leerer Unbegriff und Gott entsprechend ein nichtiger Gegenstand unseres Denkens, kurzum ein gedankliches Nichts.
Ist dein Gott nichts und damit ein Nichts?


Was alles andere bestimmt, kann selbst nicht bestimmt werden.

Ist das nicht eine zwingende Schlußfolgerung?
Darum sagt Schelling, dass dieser Seinsgrund überhaupt kein Objekt (der wissenschaftlichen Erkenntnis) sein kann.
Und sie gilt nicht nur für einen wissenschaftlichen Gottes-"Begriff" - sie gilt mE auch für jeden rationalen (materialistischen, idealistischen, wie auch immer bestimmten) Seinsgrund.

Myron hat geschrieben:
Fisherman's Fellow hat geschrieben:Das war es, worauf Hübner hinauswollte: Absolute Positionsbestimmung unmöglich und darum in ontologischer Hinsicht kein Fortschritt feststellbar.


Dass wir mehr über die Natur und ihre Phänomene wissen als unsere Vorfahren, lässt sich nicht leugnen.

Sicher. Die Anzahl der Basissätze in jeder Naturwissenschaft hat sich stramm erhöht. Auch das Netzwerk an Sätzen ist viel größer als früher. Das könnte als indirekter Hinweis auf einen echten ontologischen Fortschritt deuten. Aber wenn nur eine wichtige Grundprämisse (über Raum, Zeit, Wirkungsquantum, was weiß ich) durch eine völlig andere Größe ersetzt werden muss, dann muss das ganze Netzwerk umgeschrieben werden, und es erweist sich, dass der schiere Umfang des Wissens ein sehr trügerisches Indiz für Fortschritt ist.

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Re: Warum glauben intelligente und gebildete Menschen?

Beitragvon emporda » Mi 9. Jul 2008, 03:05

Fisherman's Fellow hat geschrieben:
Myron hat geschrieben:Die von den Theologen behaupteten Sachverhalte bestehen oder sie bestehen nicht.—Punkt.
Das ist keine Frage von verschiedenen Betrachtungsweisen.

Kannst Du das denn von physikalischen "Sachverhalten", bzw Sätzen behaupten?
Jede Theorie hat hypothetischen Chrarakter.
Ähnliches gilt für theologische Aussagen auf der Basis eines mythisch-religiösen Erfahrungshintergrundes. Weil spirituelle Erfahrungen weit stärker individueller, da subjektbezogener Natur sind, ist die Bandbreite an Theorien viel größer, aber sie alle beziehen sich auf Tatsachen - nicht empirischer, sondern spiritueller Natur - und sie beanspruchen, Wirklichkeitsbeschreibungen zu sein.

Myron hat geschrieben:Ich kann deine Unterscheidung von "Erfahrungsvoraussetzungen" nicht nachvollziehen.
Wir alle, ob Theist oder Atheist, leben in ein und derselben allumfassenden Wirklichkeit.

Aber wir erleben sie verschieden. Und filtern - je nach Erfahrungsgrundlage - unterschiedliche Dinge heraus - die wir als unwichtig, irrelevant, irrig oder nichtexistent halten.
Ich zB halte gar nichts von Multiversen. Das ist ein eher erheiterndes Thema für mich.
Dabei geht vollkommen unter, dass - Atheist oder Theist - seine realen Erinnerung mit eingebildeten Eindrücken und Empfindungen zu einem Konstrukt im Gedächtnis verwebt, welches mit der Wirklichkeit nur noch wenige Gemeinsamkeiten hat.

Es sind besonders emotionaln Eindrücke, die hier wirken und z.B. bei Zeugenaussagen Dinge sehen lassen, die ganz sicher nicht da waren usw. Das geht so weit, dass die Menschen vollkommen von ihrer selbst manupulierten Einbildung überzeugt sind, sie haben mit Gott gesprochen, die Jungfrau ist ihnen erschienen, die Engel haben sie gewarnt und dergleichen mehr. Täuschung, Selbstbetrug und frei fabrizierte Erinnerungen vermischt mit bildhaft erlebter Realität werden zu einer nicht mehr erkennbaren und auflösbaren Scheinrealität. Diesen Vorgang kann man an Tomographen verfolgen, denn beide Teile der späteren Scheinrealtität werden in unterschiedlichen Gehirnarealen bearbeitet.

Es ist vollkommen sinnlos solche Menschen mit logischen Argumenten von Inhalten und Fakten überzeugen zu wollen, die ihrer Gehirnwäsche zu wider laufen. In welchem Umfang und ob dies bei besonders veranlagten Menschen dies weniger oder mehr aufttritt, kann nich nicht sagen, das bleibt der Neurologie vorbehalten. Bewusstseinskontrolle wirkt durch Abhängigkeit und Konformität und unterdrückt Selbstständigkeit und Individualität.

Menschen bei den ZJ, die gezielt abgeschottet werden und denen Kontakt mit der "Außenwelt" nur in bemessener Dosis erlaubt wird, die sind geisitg komplett weggetreten. Die gleichen Mechanismen wirken bei Selbstmordattentätern, die sind absolut sicher sind etwas für Allah zu tun und auf ihre 77 Jungfrauen zu treffen. Wie sonst konnte man einem 14-jährigen nach Jahren intensiver Koranschule erzählen, die Expolsion überlebt er ganz sicher, denn er steht unter Allahs Schutz wenn er Ungläubige vernichtet.

Ich persönlich bin überzeugt, dass Theisten eher zu solcher Gehinrwäsche neigen, eben weil sie genau so zu absolut überzeugten Gläubigen wurden
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Re: Warum glauben intelligente und gebildete Menschen?

Beitragvon stine » Mi 9. Jul 2008, 06:40

Fisherman's Fellow hat geschrieben:Später sagte er zu mir: "... da wurde mir klar, dass die da oben mich noch nicht haben wollten."

Der Ungläubige sagt das ist nichts, als Zufall; der Gläubige begreift, dass es ihm zu-fällt.
Genau solche Erfahrungen sind es aber letztlich, die den Glauben stärken.
Entweder man "sieht" solches oder man sieht es nicht.

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Re: Warum glauben intelligente und gebildete Menschen?

Beitragvon Fisherman's Fellow » Mi 9. Jul 2008, 10:59

emporda hat geschrieben:Dabei geht vollkommen unter, dass - Atheist oder Theist - seine realen Erinnerung mit eingebildeten Eindrücken und Empfindungen zu einem Konstrukt im Gedächtnis verwebt, welches mit der Wirklichkeit nur noch wenige Gemeinsamkeiten hat.

Es sind besonders emotionaln Eindrücke, die hier wirken und z.B. bei Zeugenaussagen Dinge sehen lassen, die ganz sicher nicht da waren usw. Das geht so weit, dass die Menschen vollkommen von ihrer selbst manupulierten Einbildung überzeugt sind, sie haben mit Gott gesprochen, die Jungfrau ist ihnen erschienen, die Engel haben sie gewarnt und dergleichen mehr. Täuschung, Selbstbetrug und frei fabrizierte Erinnerungen vermischt mit bildhaft erlebter Realität werden zu einer nicht mehr erkennbaren und auflösbaren Scheinrealität. Diesen Vorgang kann man an Tomographen verfolgen, denn beide Teile der späteren Scheinrealtität werden in unterschiedlichen Gehirnarealen bearbeitet.

Nunja - jede Erfahrung wird in unterschiedlichen Hirnarealen verarbeitet, und zwar individuell unterschiedlich. Je nachdem, welche Voraussetzungen bei einem Menschen vorhanden sind, werden von verschiedenen Individuen die gleichen Erfahrungen unterschiedlich verarbeitet. Daran ist nichts Schlechtes, und ich glaube nicht, dass Du sehr glücklich darüber wärst, wenn der Staat bestimmte neurologische Muster für normal erklären würde und alle anderen für paranoid. Dann würden hienieden fast nur Straftäter und Geisteskranke unterwegs sein.
Überhaupt: Es ist schon der Anfang des Totalitarismus, wenn einer bestimmten Institution oder gar Person die Deutungshoheit zuerkennt, welches die "realitätsbezogenen" neurologischen Muster sind und welche nicht. Und wie Du am Anfang sehr richtig festgestellt hast, gibt es überhaupt kein Gedächtniskonstrukt, welches die Wirklichkeit objektiv adäquat abbildet.

Darum ist es ein sehr schwieriges Unterfangen zu beurteilen, welcher Mensch in der "richtigen" Realität und welcher in einer Scheinrealität lebt. Das entscheidet sich doch am ehesten in den Auswirkungen seines Handelns. Und diesbezüglich spielt mE der tägliche, im Schnitt vierstündige Konsum der Verblödungsglotze eine erheblich größere Rolle als der wöchentliche Kirchgang.

emporda hat geschrieben:Es ist vollkommen sinnlos solche Menschen mit logischen Argumenten von Inhalten und Fakten überzeugen zu wollen, die ihrer Gehirnwäsche zu wider laufen. In welchem Umfang und ob dies bei besonders veranlagten Menschen dies weniger oder mehr aufttritt, kann nich nicht sagen, das bleibt der Neurologie vorbehalten. Bewusstseinskontrolle wirkt durch Abhängigkeit und Konformität und unterdrückt Selbstständigkeit und Individualität.

Menschen bei den ZJ, die gezielt abgeschottet werden und denen Kontakt mit der "Außenwelt" nur in bemessener Dosis erlaubt wird, die sind geisitg komplett weggetreten.

So schlimm kann es nicht sein, denn ich kenne einige Ex-ZJ's, und bei denen ist die geistige Beweglichkeit und Wachheit sowie eine sehr kritische bzw selbstkritische Haltung stark ausgeprägt. Mit anderen Worten: Was auch immer aufgrund von Zwang, Kontrolle, Manipulation und 'schleifenförmigen Realitäts-Immunisierungs-Mems' geistig wegtrat - es kehrte bereits wieder zurück, bevor die Trennung vom Wachtturmsverlag überhaupt vollzogen war. (Die Attributierung der ZJ's als "Verlag mit monströsem Marketingkonzept" habe ich auch von Ex-ZJ's)

emporda hat geschrieben:Ich persönlich bin überzeugt, dass Theisten eher zu solcher Gehinrwäsche neigen, eben weil sie genau so zu absolut überzeugten Gläubigen wurden

Sehe ich - logischerweise :^^: - ganz anders: Das ist kein spezifisches Merkmal des Theismus und kommt in atheistischen Weltanschauungen ebensogut vor.
Auch der Gedanke, dass bestimmte Dinge von vornherein nicht passieren können, weil sie dann ja bestimmten Regeln zuwiderlaufen würden, ist in meinen Augen solch eine Irrealitätsfalle. Nicht, dass ich jetzt den 'supranaturalen Durchbrechen von Naturgesetzen' das Wort rede. Aber diese von Menschen formulierten Regeln müssen sich an Erfahrungen bewähren, und nicht umgekehrt, die Erfahrungen an den Regeln, nach dem Motto: "Dogma: Geht nicht".
Klar gibt es religiöse Gruppen, die sich massiv solcher "Irrealitätsfallen" ausliefern, aber auch zB im atheistischen Sozialismus gab es (und gibt es) das - und offen gesagt, wenn hier im Forum im Zusammenhang mit spirituellen Erfahrungen gleich von Wahnvorstellungen und ähnlichem gesprochen wird, dann scheint auch da die objektive Wahrheit gepachtet worden zu sein, was eine dieser Irrealitätsfallen darstellt.

Es hängt nicht an der Religion. Meiner Meinung nach entsteht die gedankliche Basis für das von Dir (imho zurecht) als schädlich dargestellte Phänomen immer, wenn man ein metaphysisches oder quasi-metaphysisches Feindbild entwickelt - ganz gleich, ob man diesen Feind nun Satan, Kapitalist, Bolschewik, Antichrist, Gott, oder auch 'böses Mem' nennt.
Man wittert den Feind überall; durch jede Ritze kann er schleichen, und eh man sichs versieht, hat er wieder ein Stück der Gehirne der gesamten Bekanntschaft verseucht. Also 'kämpft man mit Speeren und Schwertern gegen Geister', und im Bewußtsein des Ungenügens dieser Methode steigert sich die Paranoia weiter.

Nur so kann ich es mir erklären, dass man diese seine eigene Zwangsvorstellung zum größten Problem der Menschheit erhebt, während es doch, nüchtern betrachtet, viel größere und vor allem dringendere gibt.

Grüßle,
FF
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