Myron hat geschrieben:Eine Theologie, die sich keinen (widerspruchsfreien) Begriff von Gott macht, ist eine "Nihilogie", eine Lehre vom "Gott" genannten Nichts.
Die Theologie hat durchaus Begriffe von Gott - schließlich hat Gott sich selbst mitgeteilt.
Nur werden diese Selbstmitteilungen Gottes aus der Perspektive des Naturalismus nicht als solche angesehen, da dort nur naturwissenschaftliche Erkenntnisbedingungen als gültig betrachtet werden. Und aus gehend von diesem (naturwissenschaftlichen) Erfahrungsrahmen sind keine Aussagen über Gott möglich außer denen, die man axiomatisch gesetzt hat, dass er der Weltgrund sei.
Aber auch, wenn man den Begriff "Gott" weglässt und nur "Weltgrund" sagt, gilt genau dasselbe. Keine weiteren Aussagen über den Weltgrund möglich als diejenigen, welche zu seiner Setzung führten.
Myron hat geschrieben:Ja, denn deine Verneinung, dass Gott eine physische Entität ist, impliziert, dass du das Gegenteil annimmst; denn Gott ist entweder physisch beschaffen oder nichtphysisch—tertium non datur!
Klar gibt es ein Tertium.
Denn "physische Entität" ist ein abgeleiteter Begriff - aus verschiedenen Prämissen, wie wir bereits gesehen haben, und ist letztlich abgeleitet aus dem Weltgrund, dh. Gott. Ich muss also schon, um eine petitio principii zu vermeiden, die Alternative zwischen "physisch" und "nichtphysisch" für 'Gott' verneinen.
Myron hat geschrieben:Wie gesagt, es geht hier um den Begriff der Substanz im metaphysischen Sinn:
http://www.textlog.de/5131.htmlDer Einfachheit halber kann man sagen, dass mit "Gott ist eine immaterielle Substanz" gemeint ist, dass Gott eine selbstständiges Wesen ist, das körperlos ist.
Im grimmschen Wörterbuch steht unter "Substanz":
"im philosophischen sinne, der dem ursprunge des wortes und begriffes gemäsz auch im dt. am ältesten und am breitesten entwickelt ist, bedeutet 'substanz' das den wechselnden phänomenen 'unterliegende', das als beharrlich, zugleich meist als träger der eigenschaften, als selbständig für sich seiendes gedacht wird."
Wie auch immer: Indem ich "Substanz" weiter begrifflich bestimme, sie also zu einem Objekt der Erkenntnis mache, leite ich sie von anderen Begriffen ab. Sie kann also nicht der Oberbegriff für alles sein. Darum ist sie - falls es sie überhaupt so gibt, wie ich sie bestimmt habe, nur als aus dem Weltgrund abgeleitet zu betrachten.
Myron hat geschrieben:Zunächst muss man einen Begriff Gottes bestimmen, und erst danach kann man die Frage stellen, ob es etwas gibt, das unter den betreffenden, soundso inhaltlich gefüllten Begriff fällt. Man kann nicht so verfahren, dass man als Erstes das Dasein Gottes bejaht und sich erst danach Gedanken zu seinem Sosein macht. Das wäre unlogisch!
Das, was man einen "Begriff Gottes" bezeichnen kann, ergibt sich als zu setzendes Axiom aus der Setzung der Einheitlichkeit der Welt:
"
Die Einheitlichkeit der Welt, ihrer Naturgesetze, der Welterkenntnis und all ihrer Prämissen erfordert einen Weltgrund/Gott, von dem alle übrigen Gegenstände der Erkenntnis abzuleiten sind."
Auf diese Weise wird der Weltgrund funktional (sozusagen als Integral für alles) bestimmt. Aber seinsmäßig lässt sich nichts aussagen, da ja "Sein" auch aus dem Weltgrund abzuleiten ist.
Myron hat geschrieben:Das ist ja eine großartige Erwiderung ...
Wenn es jemanden gibt, der sich mit dem Theismus bestens auskennt, dann "der geborene Verlierer" Swinburne, über den Plantinga schreibt:
"[Swinburne's] work over the last 30 years or so has resulted in the most powerful, complete and sophisticated development of natural theology the world has so far seen.""Swinburnes Werk in den letzten 30 Jahren (ca.) hat zur stärksten, vollständigsten und ausgeklügelsten Entwicklung der Natürlichen Theologie geführt, die die Welt bislang gesehen hat."[meine Übers.]
(
http://plato.stanford.edu/entries/religion-science)

Das glaube ich gern!
Ich war selber früher mal Anhänger der natürlichen Theologe (mit Brunner, gegen Barth), aber natürliche Theologie ist für die Theologie etwa das, was ein Rationalismus wäre, wenn er zu bestimmten Gelegenheiten Spiritualität und Wunder als Erfahrungsgrundlage akzeptieren würde.
Vergiß es. In der "natürlichen Theologie" werden Dinge miteinander verwurstet, die einfach nicht zusammenpassen. Benny ist ja auch so ein natürlicher Theologe.
Myron hat geschrieben:Fisherman's Fellow hat geschrieben:"Unter einem Theisten verstehe ich einen Menschen, der glaubt, dass es einen Gott gibt. Unter 'Gott' versteht er so etwas wie den Weltenschöpfer, den Beschützer und Erlöser derer, die auf ihn trauen und den gestrengen Richter all derer, die das nicht tun."
Scheint sich implizit nicht wesentlich von Swinburnes Definition zu unterscheiden; denn von einem "Weltenschöpfer", "Beschützer" und "Erlöser" kann man ja nur dann sinnvollerweise sprechen, wenn man davon ausgeht, dass es sich dabei nicht um irgendein bewusstloses, blind wirkendes Ding handelt, sondern um ein (selbst-)bewusstes, denk- und handlungsfähiges Wesen, d.i. eine Person. Und dass die göttliche Person kein physisches, raumzeitliches Wesen ist, hast du ja auch schon implizit eingeräumt.
Vorsicht - mir scheint, dass Du jetzt den gleichen Fehler begehst wie Swinburne. Dein letzter Satz klingt da außerordentlich verräterisch: Ich sagte nicht, dass Gott 'kein physisches, raumzeitliches Wesen ist' - das sind physikalische Aussagen, die sich auf der Grundlage von naturwissenschaftlicher Erfahrung verstehen. Auf dieser rationalen Grundlage sagte ich stets und sage immer noch, dass über Gott keine rationale Aussage möglich ist.
Das, was ich oben von einem Theisten gesagt habe, bewegt sich aber im Rahmen der
religiös-mythischen Erfahrungsgrundlage, und dort würde man niemals von "physischen, raumzeitlichen" Kategorien sprechen, sondern allenfalls sagen, dass Gott "abbildlos und ungeschaffen" sei - denn so ist es offenbart.
Für diese spirituellen Kategorien physikalische Äquivalente zu finden ist sozusagen "natürliche Theologie" und als solche einfach nur gaga.
Myron hat geschrieben:Ich sage nicht, dass der Kontext einer Aussage in keinem Fall relevant ist.
Aber es ist keineswegs so, dass man immer die ganze Bibel (oder den ganzen Koran) mitzitieren muss, wenn man einen Satz oder einige Sätze daraus zitiert. Viele Sätze sprechen zweifellos für sich eine deutliche Sprache und bedürfen keiner kontexualisierten Interpretation.
Du wirst in mir keinen Vertreter einer laxen und wohl gar beliebigen Bibelinterpretation finden. Da hört der Spaß auf. So einen Satz wie Deinen letzten kann ich nicht gelten lassen - zumindest muss man, wenn man einzelne Sätze herauspickt, den Kontext kennen und nachweisen können, dass sie nicht sinn- und zusammenhangentstellend gebraucht werden. Aber am besten zitiere ich selbst mal einige Regeln der Bibelauslegung, die ich vor einiger Zeit - an christliche Laien gerichtet - im Internet veröffentlicht hatte.
1. Zuverlässige Übersetzungen (Empfehlung: Zürcher Bibel 2007), ggf mit Konkordanz/Onlinebibel mit Suchfunktion oder auch mit einer Evangeliensynopse verwenden!
2. Die Bibel legt sich (an vielen Stellen) selbst aus. (Unklare Textstellen werden oft durch klare Textstellen verständlich)
3. Biblische Begriffe sind im biblischen Kontext zu verstehen. (ZB sind rationalistische Allmachtsvorstellungen aus dem 17. Jahrhundert in Bezug auf den biblischen "allmächtigen Gott" fehl am Platz)
4. Verboten: Der Gebrauch isolierten Bibelversen, wenn sie aus ihrem Zusammenhang gerissen werden.
5. Verboten: Mehr (Aussagen) in den Bibeltext hineinzulegen, als in ihm geschrieben stehen. (1. Kor 4,6)
6. Werden alle textlichen Feinheiten (grammatikalische und semantische Details) ausgeschöpft?
7. Spannungen im Text und Widersprüche nicht harmonisieren, sondern differenzieren.
8. Zusammenhänge erkennen:
- innerhalb der Textstelle
- innerhalb eines biblischen Buches
- inhaltliche Zusammenhänge (historische Hintergrundinformationen zum geschilderten Geschehen, "Sitz im Leben" (für wen wurde der betreffende Bibeltext ursprünglich geschrieben? zB Johannesoffenbarung als Trostschreiben für verfolgte Christengemeinden))
- ggf strukturelle Zusammenhänge erkennen
- sofern bekannt: innerhalb der literarischen Tradition, von der die Stelle gebracht wird
- sofern bekannt: überlieferungsgeschichtliche Zusammenhänge - wie wurde der Text im Lauf seiner Geschichte umgedeutet?
- sofern bekannt: text- und literarkritische Zusammenhänge
8. Hilfreich für die Auslegung: Die Bibel als Zwiebel: Zentrum: Vaterunser - Bergpredigt - Evangelium - NT - alles.
10. Jesus lebt -> Gottes Offenbarung ist nicht statisch!
Darum geht die Freiheit in der Auslegung und der praktischen Umsetzung im Leben über eine sklavische, gesetzeshafte Abhängigkeit vom 'toten' Bibeltext.
Wichtig ist, dass man bei der Auslegung überprüft: Ist sie begründbar? Folgt sie Jesus nach? Geschieht sie 'im Geist'?
Myron hat geschrieben:Das Problem der christlichen Offenbarungstheologie ist, dass ihr zentrales Dogma der Trinität durch und durch widersprüchlich ist: Ein einziger Gott kann nicht drei Personen sein und drei Personen können nicht ein einziger Gott sein.
Natürlich steckt im Athanasianum schon ein gerüttelt Maß an theologischer Spekulation drin, und Athanasius war auch wohl ein ziemlich wüster Kirchenpolitiker, der seine Lehrmeinung teils mit mafiösen Methoden auf Synoden durchzusetzen sichte. Aber, ich glaube, ich schrieb es schon einmal - alle damaligen Kontrahenten (auch Arius - der Gegenspieler des Athanasius) waren sich darin einig, dass diese Überlegungen die Grenzen der menschlichen Vernunft überstiegen - ähnlich, wie wenn heute die Quantenphysiker einfach versuchen, ihre Formeln korrekt weiterzutreiben, ohne sich wirklich vorstellen zu können, was das "ist", was sie berechnen, und was dabei herauskommt.
Damals einigte man sich schließlich auf eine paradoxe Formulierung.
Aber im Grunde genommen ist das trinitarische Modell recht einfach: Stell Dir vor, Dein Nachbar will Dir etwas offenbaren. Er kommt zu Dir und redet: Damit Dich seine Rede erreicht, muss er selber da sein, seine Worte müssen einen Sinn ergeben, und es braucht Schallwellen, um seine Worte von ihm zu deinem Ohr zu transferieren. Und eine ähnliche Aufteilung weist die Trinität auf: Gott - Subjekt der Offenbarung; Logos - Inhalt der Offenbarung; Geist - Medium der Offenbarung. Diese drei Aspekte bilden eine Einheit, die man mit dem rationalen Weltengrund vergleichen könnte.
Myron hat geschrieben:Tue ich nicht!
Ob man Gott nun als ein geistiges oder geistliches Wesen bezeichnet, ist gehupft wie gesprungen, weil diese beiden Adjektive sehr wohl synonym gebraucht werden können und auch lange Zeit so gebraucht worden sind. Heutzutage dominiert aber bei "geistlich" die Bedeutung "kirchlich"/"nichtweltlich", und als ein kirchliches Wesen möchte ich Gott nicht verstanden wissen. Deshalb schreibe ich lieber "(rein) geistiges Wesen".
"Geistig" macht eine Art Substanzaussage, dass etwas eben nicht von materieller, sondern geistiger Substanz sei.
"Geistlich" macht keine Substanzaussage, sondern signalisiert nur, dass etwas mit dem Heiligen Geist in Zusammenhang steht.
Myron hat geschrieben:Mein Problem ist, dass ich keinerlei Vorstellung davon habe, was ein "Gotterlebnis" überhaupt sein soll.
Was erlebt jemand in dem Moment, in dem er von sich behauptet, Gott zu erleben/erfahren?
Das ist ganz unterschiedlich. Ich habe ja schon ein paar Beispiele genannt.
Myron hat geschrieben:Woher will die betreffende Person überhaupt wissen, dass der vermeintliche Gegenstand des religiös-mystischen Erlebnisses real und nicht bloße Einbildung infolge einer (unbewussten) kognitiven Missinterpretation bestimmter seelischer Zustände ist?
Das ergibt sich aus der Bedeutung, die das Erlebnis für die betreffenden Personen beinhaltet. Es kann auch (gemessen an spirituellen Kriterien) missinterpretiert werden - Adolf Holl hat in der "Mystik für Anfänger" in diesem Zusammenhang dem Mord an Sharon Tate eine in meinen Augen theologisch wichtige Betrachtung gewidmet.
Aber auch sonst funktioniert die innerkirchliche Kontrolle in Bezug auf "Schwärmer" eher zu gut als zu schlecht.
Myron hat geschrieben:Ich verstehe einfach nicht, was religiöse Menschen damit zum Ausdruck bringen wollen.
Es geht ja eher darum, was sie erfahren, nicht darum, was sie zum Ausdruck bringen wollen.
Die meisten religiösen Erfahrungen sind Stärkung, Vorschuss auf verheißene Seligkeit.
Myron hat geschrieben:Es tut mir schon wieder leid, aber ein Satz wie "Gott ist die Liebe" ist blanker Unsinn!
Das stammt vom gleichen Autor, der auch schrieb: "Gott ist Geist". Da allerdings entnimmst Du ganz ernsthaft, dass jetzt alle Christen Gott für ein geistiges Wesen halten müssten. Das mag für die Plantoniker unter den Christen stimmen, bei weitem aber nicht für alle.
Myron hat geschrieben:"Das Beten, als ein innerer förmlicher Gottesdienst und darum als Gnadenmittel gedacht, ist ein abergläubischer Wahn (ein Fetischmachen); denn es ist ein bloß erklärtes Wünschen, gegen ein
Wesen, das keiner Erklärung der inneren Gesinnung des Wünschenden bedarf, wodurch also nichts getan, und also keine von den Pflichten, die uns als Gebote Gottes obliegen, ausgeübt, mithin Gott wirklich nicht gedient wird."
[aus Kant: "Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft" (Reclam-Ausgabe, S. 259)/ (Original S. 302)]
In meinen Augen ist Kant kein Christ gewesen. Er hat sich in seiner Kritik um die brenzligen Fragen herumgemogelt, so dass er auch als Agnostiker bei seinem König lieb Kind sein konnte.
Myron hat geschrieben:Ich benötige theoretisch keinen zusätzlichen transzendenten Untergrund unter dem immanenten Grund der natürlichen Welt.
Das verlange ich ja auch gar nicht von Dir. (Wär ja noch schöner, wenn Transzendenz dem Weltgrund überzuordnen wäre)
Myron hat geschrieben:Ich fürchte nur, dass diese angebliche spezifisch religiöse Erfahrungsgrundlage in Wirklichkeit nur phantasmagorisch ist.
Das lässt sich aufgrund der Kontingenz allen Wissens nicht feststellen. Ich weiß nur, das sie vielen Menschen unglaublich hilft und nützt.
Und es gibt, wie ich mich gleich beeile hinzuzufügen, natürlich auch Gruppen, wo sie enorm schädliche Auswirkungen hat ("Gottesvergiftung", etc).
Die Wurzel des Problems liegt aber nicht an der Religiosität, denn auch atheistische Terrorgruppen (RAF) wiesen ganz ähnliche Zwang-Strukturen auf. Selbst die zirkulären, wirklichkeitsimmunisierenden "Mems" gab es dort zur Genüge.
Myron hat geschrieben:Fisherman's Fellow hat geschrieben:
Die schlechte Nachricht: Physikalisch ist der Weltgrund mit Sicherheit nicht, sondern allumfassend und ansonsten nicht bestimmbar.
Also postulierst du doch eine zweite, hyperphysische Wirklichkeitssphäre, d.h. ein Geisterreich.
Nein, denn so wie Du das beschreibst, wäre es wiederum definitorisch begründet, was ja im Widerspruch zu jedem Weltgrund stünde.
Grüßle,
FF
PS: Falls ich auf die Antwort auf dieses Postings nicht mehr reagieren sollte, liegt das daran, dass ich im Urlaub bin!
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