Wozu dient der Gottesbegriff?

Re: Wozu dient der Gottesbegriff?

Beitragvon Lumen » Mo 16. Jul 2012, 23:35

laie hat geschrieben:was versteht man unter "religiöser Moderation"?


Dennett meint damit Leute, die zwar selber nicht unbedingt glauben, aber an "Glauben glauben" also dem Glauben oder der Religion eine positive Wirkung zuschreiben. Leute mit dieser Position sind gelegentlich päpstlicher als der Papst und verdrehen bisweilen religiöse Aussagen, oder spielen sie herunter, damit Religion oder Glaube nicht im falschen Licht erscheint. In Deutschland sind das oft Leute die sich für besonders tolerant halten und auf keinen Fall engstirnig, verbohrt oder intolerant herüber kommen wollen. Diese Leute werfen sich dann reflexartig zwischen die Fronten, beschimpfen Kritiker von Religionen als fremdenfeindlich und so weiter. Überhaupt ist Fremdenfeindlichkeit ihr Standard-Feindbild sodass sie sich über die Abgrenzung identifizieren. Entweder wollen sie, dass Deutschland besonders positiv erscheint und sind sozusagen eine noch finstere Inkarnation des deutschen Schrebergärtners oder das Gegenteil, hassen alles deutsche. Sie bilden also das ab, was Winston Churchill in einem Satz über die Deutschen sagte: "Germans are either at your throat or at your feet". International taucht der Typus natürlich auch auf.

Aktuell gibt es diese Position auch bei der Diskussion zum Beschneidungsurteil. Das sind treffsicher die Leute, die dann mit medizinischen oder hygienischen Vorteilen der Beschneidung daherkommen weil sie wohlmeinend den Religiösen unter die Arme greifen wollen. Dabei spielen diese Dinge für religiöse gar keine Rolle, sondern eben die Religion. Für Religiöse ist es auch egal, ob die Behandlung bei Kindern effektiver ist, als bei 16 oder 18 Jährigen. Juden wollen die Beschneidung im Kleinkindesalter aus religiösen Gründen, nicht weil es dann besonders effektiv ist. Ich will jetzt nicht den Beschneidungsthread hier fortsetzen, sondern die "dritte Position" darstellen.

laie hat geschrieben:Und du meinst, daß der 11. September der Auslöser war für die Radikalisierung der theistischen wie atheistischen Bewegungen? Geht das nicht schon zurück auf Huntingdon, clashes of civilisation?


Die "atheitische Bewegung" war vorher nicht nennenswert, daher würde ich nicht unbedingt von Radikalisierung sprechen (käme auf den Maßstab an, den du meinst). Die Thesen vom Kampf der Kulturen kenne ich nur oberflächlich, kann ich also nicht beantworten, ob es das trifft.

Die Gründe sind meiner Ansicht nach sehr vielschichtig. Ich versuche mal ein paar Punkte aufzuführen:

  1. Leitkultur und 11. September: 9/11 hat eigentlich erst den sog. "religiösen Fundamentalismus" ins breite Bewusstsein geholt. Dabei hat die Bush Administration die Welt in gute Christen und böse Moslems aufgeteilt (Axis of Evil) und es wurde auch in Deutschland versucht, die Leute dazu zu bewegen sich unter dem Christenkreuz als "Leitkultur" zu versammeln. Die Opposition, vor allem die Grünen haben mit dem Multi-Kulti Schlagwort dagegen gehalten. Jedenfalls war Religion wieder ein Thema. Als Sahnehäubchen behauptete der letztes Bundespräsident Christian Wulff, dass Judentum, Christentum und Islam zu Deutschland dazu gehörten. Von Konfessionslosen, der Aufklärung und ähnlichen Dingen war überhaupt keine Rede.

  2. Ratzinger wird Papst, oder nach Bild "Wir sind Papst". Hat ebenfalls Religion in die Schlagzeilen geholt.

  3. Skandale um Kirchen und Kirchenvertreter (Käßmann fährt betrunken Auto, Priester vergehen sich an Kindern, Bischöfe decken Missbrauch ...) haben Kirchen und ihre Rolle als moralische Instanz wieder zum Thema gemacht. Es kamen da eventuell empörende Vergünstigungen zur Sprache, jene Millionen die jedes Jahr stillschweigend aus Steuermitteln überwiesen werden. Andere kritisierten die Kirchen oder Vertreter zwar scharf in der Sache sind aber wie o.g. daran interessiert, dass die Institution an sich positiv davon kommt und so werden Artikel zu Trunkenheit am Steuer dann Werbetexte für religiöse Personen, die auch nur Menschen seien usw.

  4. USA: Bibeltreue Christen vs. Wissenschaft: Richard Dawkins und andere Biologen, wie PZ Myers und neuerdings auch Jerry Coyne sind zwangsweise in die Bewegung rein gerutscht, da in den USA religiöse Lobbies der Evolutionstheorie den Kampf angesagt haben. Die Wissenschaftsfeindlichkeit betrifft auch Astronomen wie Lawrence Krauss. Man muss dazu verstehen, dass über 30% der Amerikaner laut Gallup "sich aufregen würden" wenn an Schulen Evolution gelehrt werden würde! Mehr als die Hälfte der Amerikaner sind Kreationisten, ein Drittel davon halten Intelligent Design für wahr. Diese Zahl ist nahezu konstant. Organisationen wie Templeton Foundation oder das Discovery Institute beeinflussen professionell die öffentliche Meinung und versuchen mit Kampagnen für religiöse Inhalte Werbung zu machen. Dabei wird auch gezielt Druck auf Lehrer aufgebaut. Die beeinflussung reicht bis in die Schulbücher hinein, z.B. über das Texas Board of Education. Das ist deshalb strategisch interessant, weil die texanischen Schulbücher, bzw. die Texte auch für weniger bevölkerungsreiche Bundesstaaten Verwendung finden. Dawkins hat eigentlich mit Selfish Gene (1976) und Extended Phenotype (1982) angefangen, und dann durch Reaktion der Kreationisten the Blind Watchmaker (1986) vorgestellt. God Delusion (2006) war dann die eigentliche Abrechnung. Bemerkenswert ist vielleicht noch, dass die "Wall of Separation" (Trennung von Kirche und Staat) in den USA einerseits sehr ernst genommen wird, dann aber auch wieder heftig getrickst wird. So gibt es Organisationen wie der "Good News Club" die versuchen gezielt Schulkinder knapp außerhalb der Schulen zu beeinflussen, oder erlaubte Nutzung der Schulräume nach der Schule durch Trickserein für die Kinder wie offiziellen Unterricht aussehen zu lassen usw. Solche Sachen haben zugenommen werden aber schneller dank Internet und Gegenöffentlichkeit bekannt, was auch wieder mobilisierend wirkt.

  5. USA: Reiche Spender, evangelikale Profiteure: Rechte und Evangelikale haben durch spendable Gönner, unter anderem Koch Industries, an politischem Einfluss gewonnen. Koch hat praktisch die Tea Party hochgezogen. Das sind bildungsferne, sehr religiöse Schichten die man auf die Straße geholt hat, weil sie mit ihren Slogans den reichen Republikanern, Öl-und-Chemie-Konzernen (wie Koch) dienlich sind. Die Wissenschaftsfeindlichkeit und "Teach the Controversy" Nonsense ist dort hilfreich um "grüne" Trends abzuwürgen, und um die öffentliche Meinung bezüglich Klimawandel zu eigenen Gunsten zu beeinflussen. Koch und auch der Ex-CEO von Halliburton Dick Cheney (Vize-Minister unter Bush) profitieren durch die zusätzliche Reibung die da entsteht. Jedenfalls, im Fahrwasser der wissenschafts- und bildungsfeindlichkeit, kamen auch stark fromme Nullnummern nach oben, sodass die heutige Republikanische Partei praktisch komplett von rechten Evangelikalen kontrolliert wird.

  6. USA: Kulturkampf: Edit. Ist mir noch eingefallen. In den USA vor allem hat sich das Land durch Bush stark ideologisch geteilt. Das hat die Dynamik stark angefeuert und zieht sich durch verschiedene Konflikte hindurch, unter anderem Verhütung, Abtreibung und Homosexuellen-Ehe. Hier haben extreme und oft auch religiöse Akteure stark an Lautstärke gewonnen, zum Beispiel die Westboro Church (skandieren mit "God Hates Fags") oder Fernsehprediger wie Pat Robertson. Das hat dazu geführt, dass sich entlang der ur-amerikanischen Bruchkante Republikaner/Demokraten nun auch Theisten/Atheisten dazu gesellen, wie man an Bill Maher oder Jon Steward sehen kann (die --früher undenkbar-- als Demokraten oder Liberale, sich nun genötigt fühlen, auch als Atheisten aufzutreten).

  7. Aufklärerisches Internet: Es hat sicherlich auch eine aufklärerische Wirkung, insbesondere auch dank Wikipedia, YouTube und Foren. Ich glaube, dass es dadurch auch einen grundlegenden Wandel gegeben hat. Über kurz oder lang setzen sich bessere Argumente durch und ein leichter und anschaulicher Zugang zu Information tut sein übriges. Wer konnte sich ohne Internet z.B. mit Quantenphysik auseinandersetzen? Jetzt kann man dazu Filme auf YouTube angucken und zumindest eine grobe Idee bekommen (als Beispiel). Umgekehrt, platzt der Lack ab, wenn Skeptics Annotated Bible/Koran/Mormon die heiligen Texte schonungslos offen legt und wie Guttenbergs Doktorarbeit ein Heer an Leuten jeden Fehler, jede Ungereimtheit aufdecken. Alles gefundene spricht sich im Netz schnell herum und auch Argumente werden sehr breit gestreut und haben viele Leute quasi bewaffnet. Religionen haben da ja nichts zu bieten, weshalb sie den Info-Krieg im Netz verloren haben (wird vor allem auf YouTube in den Kommentarspalten peinlich deutlich).

  8. Internet Organisation: Atheisten konnten sich durch das Internet nun auch besser organisieren und austauschen. Viele, wie der bekannte YouTuber AmonRa gaben an, dass sie in ihrem Umfeld früher so gut keine Atheisten kannten. Gerade in den USA rangiert Atheismus bei Beliebtheitswerten (auch ohne Dawkins) ungefähr auf dem Niveau von Kinderschändern (laut Gallup), weshalb viele sich dort nicht "outen".

Als wichtigste Gründe, zusammenfassend, würde ich den 11. September (9/11) und das Internet benennen. Durch das Internet und durch die Art der Konflikte in den USA strahlt die Situation dort aber ins "Global Village" ab. Einige der Punkte erklären auch, warum es einen neuen Gegensatz zwischen Religion und Wissenschaften gibt, den es zu Goulds Zeiten (NOMA) offenbar so noch nicht gab und auch in Europa so eher keine Rolle spielt. Das kommt wie oben ausgeführt eigentlich von den bibeltreuen Christen, und dem Einfluss, den die Gruppe erhalten hat.

Jedenfalls haben diese vielschichtigen Gründe mich und offenbar viele andere dazu gebracht, sich stärker zu Wort zu melden.
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Re: Wozu dient der Gottesbegriff?

Beitragvon laie » Di 17. Jul 2012, 06:07

@Lumen

freundlichen Dank für die gute Übersicht. Besonders Punkt 5 und 6 hat mir doch gezeigt, wie naiv ich an manche Themen gehe. Die Feinheiten der Instrumentalisierung von Weltanschauungen sind das letzte, woran ich denke, wenn ich mich hier für eine Meinung stark mache. Aber das sind natürlich trotzdem wichtige Dinge. Das gilt natürlich auch umgekehrt: Auch Darwin läßt sich mühelos instrumentalisieren, bsp. implizit und unausgesprochen in der Wirtschaft. Gut, oftmals sind es nur Metaphern und Stichworte, aber dennoch, es wird versucht, Mißstände, die ihre Ursachen eigentlich in dem absichtsvollen, unverantwortlichen Verhalten von Menschen haben, als quasi-natürlichen Prozess darzustellen.

Daß in Amerika evangikale Christen von der Strasse dazu dienen, Strategien zum Klimawandel zu verhindern, ist wohl weniger den Inhalten des christlichen Glaubens geschuldet, as der Tatsache, daß sich - Achtung, jetzt kommt die Klischee-Keule - "der Amerikaner als solcher wenig bewegt".
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Re: Wozu dient der Gottesbegriff?

Beitragvon stine » Di 17. Jul 2012, 07:34

laie hat geschrieben:Achtung, jetzt kommt die Klischee-Keule - "der Amerikaner als solcher wenig bewegt".
Das denke ich auch.
Lumens Beispiele wären noch besser, wenn er auf unserem Kontinent bliebe. Ich kann nicht feststellen, dass der christliche Glaube hier ähnliche Blüten treibt. Vielleicht bin ich aber auch auf dem Auge blind.
Ich sehe vielmehr, dass christliche Religion und Glaube hier noch Menschen hervorbringen, denen man Vertrauen kann und die hinter dem Wort Freundschaft noch einen Verhaltenskodex sehen. Vielleicht täusch ich mach aber auch hier. Jedenfalls dachte ich mir neulich erst, dass ich es schade fände, wenn niemand mehr in die Kirche ginge und niemand mehr an den traditionellen Festen mitarbeiten würde.
Ich selbst halte mich ziemlich raus aus der ganzen traditionellen Vereinsmeierei und gehe allenfalls noch Weihnachten und Ostern in einen andachtsvollen Gottesdienst, aber was, wenn das künftig alle so machen? Oder die Festgottesdienste entfielen künftig ganz, weil niemand mehr mitmachen will?
Also mir würde da was fehlen. Der Gottesbegriff und die Erziehung innerhalb von (ja, ich sags schon wieder) traditionellen Werten, die wir hier christlich nennen, ist eine elemantare Grundvoraussetzung für eine Gesellschaft, die langfristig miteinander auskommen soll. Wo die Moral flöten geht, passieren eben solche Dinge wie sie derzeit allüberall passieren. Konzerne werden ausgeweidet, Arbeitnehmer mutieren zu Humanressources und Pornografie, wo immer man nach 22.00 Uhr im Fernsehen herumzappt.
Also mir gefällt das immer noch nicht und dabei bin ich noch nicht einmal sooooo alt.

Man mag mir vorwerfen, dass ich eine behütete Kindheit hatte oder dass es mir heute gut geht, aber das ist auch nur eine Sache des Blickwinkels. Meine Kindheit war vielleicht sogar beschwerlicher und von weniger Güte begleitet, als die jener, die sich heute so leicht aus allem lösen und über die Schulter werfen können, was andere gar nicht hatten.
Feste Regeln und eine zuverlässige Rahmenbedingung sind mE immer noch ein Fels in der Brandung gesellschaftlicher Aufbruchstimmung. Losschwimmen, das Ufer aus den Augen verlieren ohne das andere bereits erkennen zu können, halte ich für sehr gefährlich.

Lumen hat geschrieben:Dennett meint damit Leute, die zwar selber nicht unbedingt glauben, aber an "Glauben glauben" also dem Glauben oder der Religion eine positive Wirkung zuschreiben. Leute mit dieser Position sind gelegentlich päpstlicher als der Papst und verdrehen bisweilen religiöse Aussagen, oder spielen sie herunter, damit Religion oder Glaube nicht im falschen Licht erscheint.
Ich bekenne mich durchaus zu dieser Spezies, obwohl ich nicht das Gefühl habe, damit päpstlicher als der Papst zu sein.
Und als "finstere Inkarnation des deutschen Schrebergärtners" sehe ich mich damit auch nicht. :mg:

LG stine
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Re: Wozu dient der Gottesbegriff?

Beitragvon Darth Nefarius » Di 17. Jul 2012, 08:25

stine hat geschrieben:
Darth Nefarius hat geschrieben: Ich kann es euch einfach nicht recht machen, was? :(

:cuddle: Naja, ein wenig hast du dich ja schon gebessert.
Deine ersten Posts waren noch sehr viel mehr von narzistischer Eigenliebe untermalt, als die späteren. Du siehst, soziale Kontakte, auch via Internet, können einen Menschen auch freundlicher stimmen.

Offensichtlich wird mein Verhalten hier schon zum Nebenthema, nun gut. :kg:
Auch zu den anderen: Ich habe mich keineswegs geändert, ihr habt euch nur an mich gewöhnt. Ich höre das, was ihr gerade schreibt immer wieder in neuen Gruppen, und irgendwie meinen alle, ich würde mich bessern. Ich halte für wahrscheinlicher, dass ihr meinen Humor langsam versteht. :respekt:
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Re: Wozu dient der Gottesbegriff?

Beitragvon Vollbreit » Di 17. Jul 2012, 10:44

@ Lumen und laie:

Lumen, mir gefällt Deine Darstellung ebenfalls, vielen Dank dafür.

Ich glaube auch, dass diese Diskussion wesentlich amerikanisch geprägt ist.
Zur „religiösen Moderation“ möchte ich noch eine Anmerkung machen. Wilber hat etwas ähnliches kritisiert unter dem Schlagwort „Boomeritis“, die politische Überkorrektheit einiger Teile der tendenziell linksliberalen Babyboomer-Generation und hat einige absurde Stilblüten aufgelistet, die ihren Höhepunkt in Gerichtsurteilen fanden, über die man nur noch den Kopf schütteln kann.

Ich kenne die gegenwärtige Situation in den Staaten nicht, aber bezogen auf eine andere Situation in Europa habe ich die 1 zu 1 Transformation der Argumente nie so ganz verstehen können, zumal es hier ja schon längst einen Trend in die Gegenrichtung gibt, bei dem es zur (mitunter wohl kalkulierten) Methode geworden ist, politisch Unkorrekt zu sein.

Henryk M. Broder, Udo Ulfkotte oder Thilo Sarrazin, um nur ein paar Protagonisten zu nennen, die Reihe ließe sich fortsetzen. Ich weiß auch nicht, wo politische Strategie, persönliche Lust an der Provokation, Wunsch nach echter Aufklärung und eine mehr oder weniger starke paranoide Einstellung jeweils dominieren und ich finde es gut, dass es diese Provokateure gibt. Broders Buch „Hurra, wir kapitulieren!“ habe ich als erste mutige Streitschrift gegen die political correctness insbesondere gegenüber dem politischen Islam gelesen, zu einer Zeit, wo sich noch kein anderer dies getraut hat. Thilo Sarrazins Buch habe ich dann nicht mehr gelesen, mir erschien er immer wie der weitaus bessere Heinsohn für die breite Masse.

Die Idee, dass Hirnforscher etwas Substanzielles zur Debatte um Willensfreiheit, Spiritualität und Religion beizutragen hätten, hat Deutschland bereits hinter sich, hier wurde über Jahre eine intensive Debatte geführt, in der die Hirnforschung nahezu vollkommen entzaubert wurde.

Dann „der Amerikaner als solcher“. Zufällig habe ich gerade gestern ein Interview mit einem Amerikakorrespondenten gehört, der jetzt nach 5 Jahren wieder nach Deutschland kommt. Sein Resümee ist, wie zu erwarten ist, gemischt. Er sagt, bspw. dass das Deutschlandbild des Durchschnittsamerikaners (Ende der Bush Ära) nie gelitten hat, die meisten fanden die Weigerung in den Krieg zu ziehen, richtig. Ihm seien, freundliche und offene Menschen begegnet, er müsse sich erst wieder dran gewöhnen, im Fahrstuhl an die Decke zu starren, statt mit anderen reden zu können und sagte, dass es in Amerika völlig normal sei, jemand Wildfremden in einem Schuhgeschäft zu sagen, dass er sich da aber ein paar hübsche Schuhe ausgesucht hätte, in Deutschland würde man dafür hingegen angestarrt als sei man irgendwie verrückt oder wolle was verkaufen.
Was ihn erschreckte bei den Amis war die Tendenz Begriffe umzudefinieren, ohne dass es große Proteste gibt. Folter wurde kurzerhand als Verhörmethode bezeichnet und die Kuh war vom Eis. Pizza wird einfach als Gemüse deklariert, damit man sie weiterhin an Schulen liefern kann und so weiter.

Das ist die Gefahr, wenn Begriffe beliebig verwendet werden und dieser Trend war (und ist) in Deutschland durchaus auch angekommen. Es reicht mitunter die richtigen Schlagworte zu kennen, diese Opfermanie war ja einige Jahre durchaus verbreitet. Egal wie man drauf war, hatte man einen jüdischen Urgroßvater der Im KZ umgekommen ist oder fühlte sich diffus verfolgt, diskriminiert oder unterdrückt, bekam man Gratifikationen und Aufmerksamkeit.

Lustigerweise hat „die Jugend“ dass mal in aller Unbedarfheit und Unkorrektheit korrigiert, indem „Du Opfer“ zu einem schlimmen Schimpfwort wurde. Bei aller Kritikwürdigkeit hat das durchaus auch seine guten Seiten, „die Intellektuellen“ haben hier nämlich mehrheitlich versagt, weil sie nicht durchschaut haben, dass jemand vor laufender Kamera ein artiges Bekenntnis zur Demokratie und zum Rechtsstaat abgeben und 5 Minuten danach, unter Seinesgleichen, zum Hassprediger mutieren konnte.

Psychologisch kann man das erklären. Es ist ein Indiz für eine narzisstische Zeit, dass oberflächliche Beliebtheit und Beliebigkeit, die gegenseitige verbale Versicherung im Clübchen mitzuspielen und überhaupt nur Spielen zu wollen, als völlig ausreichend empfunden wird. Nachfragen wirken merkwürdig und unangemessen, man gibt den Spielverderber. Nur hält keiner mehr die Regeln, derer man sich da wechselseitig versichert mehr für so viel Wert, dass man sie auch wirklich einhält und wenn andere es auch nicht tun, ist das eigentlich auch kein größeres Drama, so wichtig ist eine Grundsatzdiskussion dann auch nicht.
Der Gegenpol ist eine paranoide Einstellung bei der grundsätzliches Misstrauen herrscht und wenn jemand tut was er sagt, wirkt er besonders suspekt, das kann nur ein Trick sein und am liebsten möchte man denjenigen noch in den privatesten Winkel verfolgen und die geheimsten Gedanken ausspionieren.
Zuletzt geändert von Vollbreit am Di 17. Jul 2012, 11:36, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: Wozu dient der Gottesbegriff?

Beitragvon Vollbreit » Di 17. Jul 2012, 10:59

@ stine

stine hat geschrieben:Ich sehe vielmehr, dass christliche Religion und Glaube hier noch Menschen hervorbringen, denen man Vertrauen kann und die hinter dem Wort Freundschaft noch einen Verhaltenskodex sehen. Vielleicht täusch ich mach aber auch hier.


Ja und nein.
Kennt jemand von euch das wirklich gute Buch „Die Vermessung des Glaubens“ von Ulrich Schnabel?
Absolut lesenswert für Atheisten und Gläubige.

Religion erzieht vor allem zum konventionellen Denken und Handeln. Menschen, die aus diesen Motiven glaubten, waren unterdurchschnittlich hilfsbereit und eben typisch konventionell. Man tut, was man muss, weil es eben alle tun und etwas Besseres fällt einem auch nicht ein.

Atheisten und strenger Gläubige waren den konventionell Gläubigen hier überlegen. (Wobei strengerer Glaube hier nicht fundamentalistischer Glaube bedeutet, sondern, dass die religiösen Praktiken mehr Relevanz im Leben haben.) Nun kann man diskutieren, ob denn dann Konventionalität überhaupt einen größeren Sinn in unserer Zeit hat. Es kommt auf den Hintergrund an, die man die gesamte Situation in Deutschland einschätzt.

Wenn man eine narzisstische Regression sieht, dann wäre eine höhere Verbindlichkeit und ein Schutz gegen schädliche Einflüsse eine vernünftige Kur. Meint man wir wären großenteils bereits weit über Konventionen hinaus, bräuchte man Religionen zum Training für die konventionelle Ebene nicht.
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Re: Wozu dient der Gottesbegriff?

Beitragvon webe » Do 19. Jul 2012, 15:09

Hier muss ich stine bepflichten, dass es durchaus liebenswerte und sozialverhaltende Religiöse gibt, mit denen man als Ungläubiger einen fairen und liebevollen Umgang pflegen kann. Dies sollte in einer Demokratie auch so möglich sein. Die Religion wird nur dann unbequem, wenn sie Machtansprüche stellt, einfordert und sich über die Menschen-, Tier- und Umweltschutzrechte stellt, undemokratische Strukturen aufbaut und Aktionen wie Kirche von "unten" ablehnt und bekämpft.
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Re: Wozu dient der Gottesbegriff?

Beitragvon Darth Nefarius » Fr 20. Jul 2012, 19:49

... also im Prinzip sie selbst ist. :applaus: Seien wir mal ehrlich, der Wunsch ist doch, dass die Leute aufhören, ihren Glauben ernst zu nehmen. Ein konsequenter Glauben ist immer fundamentalistisch.
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Re: Wozu dient der Gottesbegriff?

Beitragvon Sapereaude » Fr 7. Sep 2012, 13:57

Ich denke, dass gerade bei Goethe und Kant der Gottesbegriff auf das Streben nach Einheit verweist. Kant meint, dass der Mensch immer ausdifferenzierteres Wissen(Unterschiedlichkeit) sucht, aber zugleich auch alles immer zu einem größeren Zusammenhang(Einheit) verbinden möchte. Das führt ihn zu einem metaphysischen Gottesbegriff. Dieser ist aber nicht beweisbar oder widerlegbar und so bleibt er bei Kant ein transzendentales Ideal, eine Antwort auf die Frage: "Was darf ich hoffen?", die bei Kant auch die Ethik konstituiert. Ich für meinen Teil halte eine solche aufgeklärte Religion für möglich, sie hat freilich wenig mit einer herkömmlichen Schriftreligion zu tun, sondern ist eigentlich mehr ein holistisch-philosophischer Gedanke, doch baut er oft auf herkömmlicher Religion auf. Man denke beispielsweise an Sufis oder Meister Eckart. Die Sufis als mystische Moslems werden leider von vielen Islamisten verfolgt.
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Re: Wozu dient der Gottesbegriff?

Beitragvon Darth Nefarius » Sa 8. Sep 2012, 09:52

Sapereaude hat geschrieben:Ich denke, dass gerade bei Goethe und Kant der Gottesbegriff auf das Streben nach Einheit verweist.

Ja, deswegen halte ich die beiden für Schwätzer. Was soll "Einheit" sein? Auf welcher Ebene? Welchen Nutzen soll das haben? Besteht die nicht schon?
Kant meint, dass der Mensch immer ausdifferenzierteres Wissen(Unterschiedlichkeit) sucht, aber zugleich auch alles immer zu einem größeren Zusammenhang(Einheit) verbinden möchte.

..weswegen sein mystisches Streben nach Einheit doch eine ziemlich sinnlose Aussage ist, oder? Er hat in diesem Fall auf den falschen Begriff einen Wert gelegt. Ein ausdifferenziertes Wissen ist nur das Ergebnis von Neugier, die Unterschiedlichkeit im Wissen ist ein Ergebnis von der Unterschiedlichkeit des "Wissbaren" (ich nenne es mal so). Das ist eine Konvergenz, kein kausaler Zusammenhang. Auf das Streben nach wissen kommt es an, dass es unterschiedlich ist, ist nur eine Beiläufigkeit.
Und der größere Zusammenhang ist der Kontext, also die Anwendbarkeit, auf die er hätte achten müssen. Ja, der Mensch versucht zu antizipieren, geht von Gleichförmigkeit der Natur aus und schlussfolgert von früheren Beobachtungen auf die Zukunft. Aber diese hergestellten Zusammenhänge haben keinen Eigenwert, sondern sind auch nur beiläufige Erscheinungen, sprachliche Verdrehungen. Es geht bei diesen Zusammenhängen um Pragmatismus, der Wille, sich in der Welt zurechtzufinden. Das schafft man über Antizipation. Wieder hat Kant eine Konvergenz als Kausalität betrachtet.
Sapereaude hat geschrieben: Das führt ihn zu einem metaphysischen Gottesbegriff.

Oh ja, das allein sollte schon Beweis genug für die Fehlerhaftigkeit sein.
Sapereaude hat geschrieben:Dieser ist aber nicht beweisbar oder widerlegbar und so bleibt er bei Kant ein transzendentales Ideal, eine Antwort auf die Frage: "Was darf ich hoffen?", die bei Kant auch die Ethik konstituiert. Ich für meinen Teil halte eine solche aufgeklärte Religion für möglich,

Was ist an diesem Unsinn denn aufgeklärt oder besser als bei den herkömmlichen Religionen?
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Re: Wozu dient der Gottesbegriff?

Beitragvon Sapereaude » Sa 8. Sep 2012, 12:07

Darth Nefarius hat geschrieben:
Sapereaude hat geschrieben:Ich denke, dass gerade bei Goethe und Kant der Gottesbegriff auf das Streben nach Einheit verweist.

Ja, deswegen halte ich die beiden für Schwätzer. Was soll "Einheit" sein? Auf welcher Ebene? Welchen Nutzen soll das haben? Besteht die nicht schon?


Nun, ich weiß nicht genau, ob Kant darauf eine Antwort gibt, man könnte hier auch von einem Abfallprodukt der Verstandestätigkeit sprechen. Aber mal unabhängig davon: Das Gefühl einer Einheit mit der Welt bedeutet eine emotionale Bindung, die dazu führt, dass man das eigene Individuum im Ethischen transzendiert, zugleich führt sie bei manchen sicher dazu, dass sie es in der Welt "aushalten". Und betrachtet man den Verstand als einzigen Richter, so wird er selbst für den Glauben an eine Gleichförmigkeit der Natur (Gesetzmäßigkeiten in der Natur), also das, was Naturwissenschaften eruiren, keine Gründe finden. (vgl. Humes Induktionsproblem). Irgendwo setzen wir an, das ist eine Methodologie, etwas "Transzendentales" und dafür gibt es genau so viele Gründe wie für den Glauben an einen Gott, nämlich keine.


Darth Nefarius hat geschrieben:
Sapereaude hat geschrieben: Das führt ihn zu einem metaphysischen Gottesbegriff.

Oh ja, das allein sollte schon Beweis genug für die Fehlerhaftigkeit sein.

Warum?
Darth Nefarius hat geschrieben:
Sapereaude hat geschrieben:Dieser ist aber nicht beweisbar oder widerlegbar und so bleibt er bei Kant ein transzendentales Ideal, eine Antwort auf die Frage: "Was darf ich hoffen?", die bei Kant auch die Ethik konstituiert. Ich für meinen Teil halte eine solche aufgeklärte Religion für möglich,

Was ist an diesem Unsinn denn aufgeklärt oder besser als bei den herkömmlichen Religionen?
[/quote]
Zunächst einmal würde ich es nicht als "Unsinn" bezeichnen. Zum Anderen ist im Rahmen des aufklärerischen Primats der Vernunft nicht etwas vernünftig, weil Gott es befiehlt, sondern Gott hält sich an die Vernunft, weil er selbst eine Art Personifizierung der Vernunft darstellt. Die Vernunft ist autonom, sie ist der oberste Richter im Ethischen. Ein Abraham, der seinen Sohn umbringen möchte, nur weil Gott es befiehlt, wäre im Rahmen einer vernünftigen Maxime bei Kant unmöglich. Besser als bei herkömmlichen Religionen ist, dass Kants Religiösität nicht mit blindem Gehorsam oder autoritärem Wahn zutun hat und dementsprechend auch nicht die Gefahr impliziert, dass aus Religiösität Verbrechen gerechtfertigt werden.
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Re: Wozu dient der Gottesbegriff?

Beitragvon ujmp » Sa 8. Sep 2012, 14:15

Sapereaude hat geschrieben:Nun, ich weiß nicht genau, ob Kant darauf eine Antwort gibt, man könnte hier auch von einem Abfallprodukt der Verstandestätigkeit sprechen. Aber mal unabhängig davon: Das Gefühl einer Einheit mit der Welt bedeutet eine emotionale Bindung, die dazu führt, dass man das eigene Individuum im Ethischen transzendiert, zugleich führt sie bei manchen sicher dazu, dass sie es in der Welt "aushalten". Und betrachtet man den Verstand als einzigen Richter, so wird er selbst für den Glauben an eine Gleichförmigkeit der Natur (Gesetzmäßigkeiten in der Natur), also das, was Naturwissenschaften eruiren, keine Gründe finden. (vgl. Humes Induktionsproblem). Irgendwo setzen wir an, das ist eine Methodologie, etwas "Transzendentales" und dafür gibt es genau so viele Gründe wie für den Glauben an einen Gott, nämlich keine.

Für den Glauben an die Gleichförmigkeit der Natur gibt es sehr wohl einen Grund, nämlich, dass sie gleichförmig zu sein scheint, denn diese Gleichförmigkeit erlaubt zutreffende Vorhersagen. Für den Glauben an Gott gibt es demgegenüber nicht einmal den Anschein eines Grundes. Oder was scheint deiner Meinung nach ein Hinweis auf die Existenz eines Gottes zu sein? - Das macht den Unterschied an Vernunftgehalt beider Positionen aus.
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Re: Wozu dient der Gottesbegriff?

Beitragvon Darth Nefarius » So 9. Sep 2012, 16:12

Sapereaude hat geschrieben:Das Gefühl einer Einheit mit der Welt bedeutet eine emotionale Bindung, die dazu führt, dass man das eigene Individuum im Ethischen transzendiert, zugleich führt sie bei manchen sicher dazu, dass sie es in der Welt "aushalten".

Der letzte Punkt ist wohl richtig, wenngleich diese Art Philosophie den gleichen Zweck wie Musikantenstadl erfüllt. Wenn man von Streben spricht, muss ich als angehender Naturwissenschaftler an Triebe denken, und da gibt es, wenn man alles runterbricht, nur einen: Selbsterhaltungstrieb. Ein Streben nach Einheit und Transzendenz kann man nur durch den Umweg der Angst vor dem Tod ableiten.
Sapereaude hat geschrieben:Und betrachtet man den Verstand als einzigen Richter, so wird er selbst für den Glauben an eine Gleichförmigkeit der Natur (Gesetzmäßigkeiten in der Natur), also das, was Naturwissenschaften eruiren, keine Gründe finden.

Na, eigentlich schon: Es ist die einfachste Lösung, die auch noch zufällig meist hinhaut. Die Annahme des gleichförmigen Universums konnte sich doch nur entwickeln, weil es auch irgendwie gleichförmig ist (im weitesten Sinne kausal). Wenn die Erwartungshaltung in überwiegendem Maße mit der Realität deckt, kann man von Gleichförmigkeit zurecht ausgehen, es ist rational.
Sapereaude hat geschrieben: Irgendwo setzen wir an, das ist eine Methodologie, etwas "Transzendentales" und dafür gibt es genau so viele Gründe wie für den Glauben an einen Gott, nämlich keine.

Da will ich widersprechen: Beides hat Gründe, letzteres nur sehr schlechte (oder Gute, wenn man die Rationalität außer Acht lässt). Das Ansetzen, also Annahmen zu haben, zu antizipieren, halte ich nicht für einen transzendentalen Vorgang, es ist etwas, dass jedes halbwegs intelligentes Tier bei der Jagd oder sonstwann hinbekommt. Schließlich sind es Prozesse, die an Materie gebunden sind, an ein Gehirn, Neurotransmitter, Ionen, Elektronen. Das ganze entspringt nicht aus dem Nichts.
Sapereaude hat geschrieben:
Darth Nefarius hat geschrieben:
Sapereaude hat geschrieben: Das führt ihn zu einem metaphysischen Gottesbegriff.

Oh ja, das allein sollte schon Beweis genug für die Fehlerhaftigkeit sein.

Warum?

Ich halte den Gottesglauben für eine Illusion, ich halte die Metqaphysik für Unfug. Es lässt sich alles grundsätzlich mit realen Phänomenen erklären. Aber das ist keine Antwort auf die Frage, in diesem Forum wirst du die vielfältigsten Antworten von verschiedenen Personen erhalten. Verzeih, dass ich mir nicht die Mühe mache, diese Fragestellung in einem Kommentar ausreichend zu beantworten, da doch dieses ganze Forum sich irgendwie darum dreht.
Sapereaude hat geschrieben:Zunächst einmal würde ich es nicht als "Unsinn" bezeichnen. Zum Anderen ist im Rahmen des aufklärerischen Primats der Vernunft nicht etwas vernünftig, weil Gott es befiehlt, sondern Gott hält sich an die Vernunft, weil er selbst eine Art Personifizierung der Vernunft darstellt.

Aha, und was ist Vernunft? Sag nicht Gott! Das reicht mir nicht. Kannst du sie beobachten? Existiert ein objektives Maß dafür? Bei Kant habe ich selbst nur von einem mystischen "guten Willen" gelesen, der dies halbwegs bewerkstelligen soll. Aber dann führt das zur Frage, was gut ist und man dreht sich schon im Kreis. Seine Definition von gutem Willen widerspricht in einem Originaltext einem Absatz, der kurz darauf folgt: Der gute Wille ist gewollt. Dann spricht er aber von einem bösen Willen. Ist der nicht gewollt? Du merkst, ich bin kein Freund von Kant, aber nicht durch Unwissen.
Sapereaude hat geschrieben: Die Vernunft ist autonom, sie ist der oberste Richter im Ethischen.

Autonomie existiert in einem kausal funktionerendem Universum nicht.
Sapereaude hat geschrieben:Ein Abraham, der seinen Sohn umbringen möchte, nur weil Gott es befiehlt, wäre im Rahmen einer vernünftigen Maxime bei Kant unmöglich.

Nur der goldenen Regel wegen. Wenn man es aber wie einige Natzverbrecher aufzieht und "Mensch" einfach anders definiert, ist es wieder möglich. Dem alttestamentarischem Gott waren übrigens auch ganze Städte egal, sodass er nicht zögerte, sie untergehen zu lassen, oder Völker, die ihm nicht dienten, durch sein auserwähltes Volk vertreiben und umbringen zu lassen. Wenn das die Ergebnisse der Vernunft sind, ist Vernunft gleich Wahnsinn.
Sapereaude hat geschrieben:Besser als bei herkömmlichen Religionen ist, dass Kants Religiösität nicht mit blindem Gehorsam oder autoritärem Wahn zutun hat und dementsprechend auch nicht die Gefahr impliziert, dass aus Religiösität Verbrechen gerechtfertigt werden.

..Aber aus einer perversen Vernunft heraus. Auch mit Kants Philosophie ist Wahnsinn möglich, da er das Problem nur verschiebt: auf die Vernunft. Ein Wahnsinniger kann sich auch als vernünftig einstufen. Das Problem bleibt durch die Subjektivität.
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Re: Wozu dient der Gottesbegriff?

Beitragvon ujmp » So 9. Sep 2012, 20:35

Darth Nefarius hat geschrieben:Es lässt sich alles grundsätzlich mit realen Phänomenen erklären.

Nein, z.B. nicht, was "Realität" ist.
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Re: Wozu dient der Gottesbegriff?

Beitragvon Darth Nefarius » Mo 10. Sep 2012, 10:20

Unter Realität wird als die Welt in Abwesenheit von Illusionen betrachtet. Die Wissenschaft hat eine klare Position zur Realität, hier ein Ausschnitt:
Wikipedia hat geschrieben:Bei Aussagen der Wissenschaft über die Realität ist heute kaum noch umstritten, dass

sie die Wirklichkeit in Symbole (mathematische Zeichen und eine Theoriesprache) übersetzt und
die wissenschaftlichen Daten aufgrund von Theorien entstehen (theoriebeladen sind) und interpretiert sind.

Es LÄSST sich alles mit realen Phänomenen erklären.
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Re: Wozu dient der Gottesbegriff?

Beitragvon ujmp » Mo 10. Sep 2012, 18:17

Das ist aber eben eine metaphysische Erklärung. Begriffe wie "Realität" ,"Wirklichkeit" oder "Wahrheit" sind metaphysisch.
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Re: Wozu dient der Gottesbegriff?

Beitragvon Darth Nefarius » Mo 10. Sep 2012, 18:30

Warum soll Mathematik oder die Antizipazion irgendetwas mit Metaphysik zu tun haben?
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Re: Wozu dient der Gottesbegriff?

Beitragvon ujmp » Mo 10. Sep 2012, 18:56

Erklär doch mal "Realität" physisch!
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Re: Wozu dient der Gottesbegriff?

Beitragvon Darth Nefarius » Mo 24. Sep 2012, 12:53

Wie im Kindergarten: Was man sehen und anfassen kann, sowie über unterschiedlichste Nachweismethoden zum gleichen Ergebnis führt. Oder wie es in Wikipedia steht:
Wikipedia hat geschrieben:Um ihrem Selbstverständnis zu genügen, bedürfen die Naturwissenschaften eines Realitätsbegriffs, der Entitäten und die Möglichkeit von Messungen als wahr unterstellt, da ansonsten Regelmäßigkeiten nicht zu beobachten und Prognosen nicht ausführbar wären. Dabei reicht aber die Möglichkeit der Auffassungen von einem strengen metaphysischen Realismus bis hin zu der Sichtweise, dass die Objekte der Wissenschaft Abstraktionen sind. Bei Aussagen der Wissenschaft über die Realität ist heute kaum noch umstritten, dass

sie die Wirklichkeit in Symbole (mathematische Zeichen und eine Theoriesprache) übersetzt und
die wissenschaftlichen Daten aufgrund von Theorien entstehen (theoriebeladen sind) und interpretiert sind.

Dementsprechend kann man vom Gegenstand der Naturwissenschaften ebenso von möglichen Naturen sprechen, wie die Philosophie von möglichen Welten spricht.

Eine besondere Spielart ist der Wissenschaftliche Realismus, der auch nicht beobachtbare Sachverhalte wie Neutronen oder Röntgenstrahlen für etwas Reales hält, weil diese theoretischen Gegenstände empirisch überprüfbare Auswirkungen haben. Ein prominenter Vertreter des Entitätsrealismus ist Ian Hacking, der aber Theorien keine eigenständige Realität zuspricht.
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Re: Wozu dient der Gottesbegriff?

Beitragvon Nanna » Mo 24. Sep 2012, 23:33

Darth Nefarius hat geschrieben:[...]
Wikipedia hat geschrieben:sie die Wirklichkeit in Symbole (mathematische Zeichen und eine Theoriesprache) übersetzt und
die wissenschaftlichen Daten aufgrund von Theorien entstehen (theoriebeladen sind) und interpretiert sind.

Lies besonders diesen Absatz nochmal genau durch und erklär dann bitte nochmal von vorn, was daran jetzt physisch erklärt sein soll.
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