Warum glauben intelligente und gebildete Menschen?

Re: Warum glauben intelligente und gebildete Menschen?

Beitragvon Myron » Fr 1. Aug 2008, 19:56

Fisherman's Fellow hat geschrieben:Aber auch wenn diese Theorie gut belegt ist, bedeutet sie noch nicht, dass sie "wahr" ist - allenfalls in dem aspektischen sinne, dass ich einfach annehme, dass meine Prämissen stimmen.


Die Wissenschaftler nehmen eben nicht einfach so an, dass ihre Hypothesen stimmen.
Wenn es etwas gibt, das einen Wissenschaftler unzufrieden macht, dann sind es empirisch unbestätigte ontologische Setzungen, die als rein theoretische Objekte im Raum schweben.
(Nehmen wir die ominöse Dunkle Energie als Beispiel. Jetzt scheint der Nachweis ihrer Existenz gelungen zu sein: http://www.spiegel.de/wissenschaft/welt ... 25,00.html)
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Re: Warum glauben intelligente und gebildete Menschen?

Beitragvon Myron » Fr 1. Aug 2008, 20:05

Fisherman's Fellow hat geschrieben:Daraus folgt, dass empirische Forschung nicht die Erkenntnis hinsichtlich des (an sich) Seienden erweitert, sondern nur die Erkenntnis hinsichtlich wissenschaftlicher Theorien.


Das ist, mit Verlaub, Quatsch!
Du willst die Physik zu ihrer eigenen "Meta-Physik" machen, die nur sich selbst, aber nicht die Wirklichkeit berührt.

Fisherman's Fellow hat geschrieben:Denn wenn ich nur einmal gründlich an den Prämissen drehe, ändert sich - empirisch betrachtet - die ganze Welt in ihren Grundfesten.


Die Realität ist keine theoretische Konstruktion!
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Re: Warum glauben intelligente und gebildete Menschen?

Beitragvon Fisherman's Fellow » Fr 1. Aug 2008, 22:22

Myron hat geschrieben:Leider kann ich damit nichts anfangen. Du willst ja wohl kaum sagen, dass Gott persönlich sei, weil er eine Maske trage, oder?

Doch: Indem er - für uns - eine mediokre Maske anlegt und in seinem Wort so erfahrbar wird, dass es uns nicht gleich wegext. "Uns" - das sind natürlich die Glaubenden.

Myron hat geschrieben:
Fisherman's Fellow hat geschrieben:
Von Person kann man im naturwissenschaftlichen Bereich ohnehin kaum sprechen; sie löst sich zunächst in neurophysiologische, dann in chemische, schließlich in physikalische Prozesse auf.


Personen sind selbstbewusste und denkfähige Lebewesen, und als solche der naturwissenschaftlichen Betrachtung durchaus zugänglich.

Das ist keine naturwissenschaftliche Definition:
1. ist nicht klar, worin "Selbstbewusstein" überhaupt besteht.
2. ist nicht klar, was "denkfähig" bedeutet. Sind Spinnenmännchen denkfähig?

Myron hat geschrieben:Alle natürlichen Personen sind materieller Natur, wohingegen der Theismus mit Gott eine übernatürliche und damit immaterielle Person setzt. Aber auch als eine immaterielle Person bleibt Gott ein selbstbewusstes und denkfähiges Lebewesen. Davon geht der Theismus aus.
(Ob der Begriff einer immateriellen Person überhaupt logisch haltbar und sinnvoll verwendbar ist, ist eine andere Frage. Aber als Theist hat man keine andere Wahl, als daran festzuhalten. Denn wenn man diesen Begriff aufgibt, gibt man den gesamten Theismus auf.)

Ich werde zu Deinem Privatvergnügen, Dich in Menschen hineinzuversetzen, die an etwas glauben, von denen Du aufgrund einer verkehrten Theismus-Definition meinst, dass sie es wirklich täten, nicht mehr äußern. Du kennst meine Meinung.

Myron hat geschrieben:
Fisherman's Fellow hat geschrieben:
Im täglichen Leben verfügst Du durchaus noch über ganz andere Erfahrungsgrundlagen als das wissenschaftliche Be-Greifen, aber diesen Umstand gestehst Du Dir nicht ein.


Ich bin ja gar kein Wissenschaftler; aber ich weiß zumindest eines: ich habe natürliche Sinne, einen natürlichen Verstand und eine natürliche Sprache, mithilfe deren ich die Wirklichkeit zu begreifen suche. Von ganz anderen Erfahrungs- oder Erkenntnisgrundlagen weiß ich nichts.

Zu all dieser Hardware gehört aber auch eine Software, welche steuert, wie die Hardware eingesetzt wird (die Sprache ist streng genommen schon Teil der Software, denn die ist Dir ja nicht naturgegeben und fällt bei jedermann unterschiedlich aus). Nun verwendetst Du im Leben je nach Lebenssituation unterschiedliche Software. So "erfährst" Du im Straßenverkehr Wirklichkeit ganz anders als im Geschlechtsverkehr: Es sind andere Sinne aktiviert, es geht um völlig verschiedene Dinge: Du hast irgendwann von der Erfahrungsgrundlage "Traffic" auf die Erfahrungsgrundlage "Umgang mit der Liebsten" umgeschaltet und dafür im Hirn ein anderes Programm gestartet - so steht zumindest zu hoffen.
Wissenschaftliches Denken stellt auch eine solche Erfahrungsgrundlage dar, welche man Dir in langen Jahren des Schulbankdrückens anerzogen hat, und eben religiös-mythologisches Denken wiederum eine andere.

Myron hat geschrieben:
Fisherman's Fellow hat geschrieben:
Da empirische Sätze immer von apriorischen Prämissen ausgehen, sind sie ebenfalls nicht objektiv, woraus folgt, dass die physikalistische Ontologie, ebenso wie jede andere, kontingent ist und insofern nicht "objektiv" genannt werden darf.


Die Physikalisten geben die Kontingenz ihres Standpunktes gerne zu. Sie räumen ein, dass es mögliche Welten gibt, in denen der Physikalismus falsch ist. Sie bestreiten lediglich, dass unsere wirkliche Welt eine ist, in der er falsch ist. Ob sie damit recht haben oder nicht, darüber entscheiden objektive Tatsachen.

An die man allerdings nicht herankommt. Nur an empirische Aussagen kommt man heran, die ja von Prämissen abhängig sind und allenfalls einen Nützlichkeitswert, aber keinen Wahrheitswert besitzen. Insofern gibt es für uns Menschen keine Tatsachen, die ontologisch "objektiv" entscheidbar sind.
"Objektiv wahr" sind nur rein theoretische, formallogische Aussagen.

Myron hat geschrieben:Im Übrigen darf "apriorisch" (im Sinne von "nicht aus der Erfahrung abgeleitet") nicht mit "(epistemisch) nichtobjektiv" gleichgesetzt werden. Auch die Wahrheit apriorischer Annahmen hängt von objektiven Tatsachen ab.

Falls es diese überhaupt gibt, was nicht entscheidbar ist. Aber selbst vorausgesetzt, es gibt sie, dann kennen wir sie trotzdem nicht, weil wir stets nur unsere Theorie davon kennen, die sich aufgrund wissenschaftlicher Paradigmenwechsel immer wieder ändern.
Das Wort 'objektiv' taugt nur für logische Aussagen innerhalb einer Theorie und hilft im Hinblick auf das Verhältnis der Theorie zur "objektiven Wirklichkeit" nicht weiter.

Myron hat geschrieben:Außerdem können apriorische Annahmen durchaus im Lichte empirischer Erkenntnisse revidiert werden; denn dass etwas nicht aus der Erfahrung (aus empirischen Basissätzen) abgeleitet ist, bedeutet nicht, dass es gegen empirisches Wissen prinzipiell immun ist.

Da stimme ich zu. Nutz-lose Prämissen sind ganz schnell vom Tisch.
Der Nutzen entscheidet in der Naturwissenschaft. Nicht der Wirklichkeitsbezug!

Myron hat geschrieben:
Fisherman's Fellow hat geschrieben:
... wie die Lehre des Buddhismus zB besagt, dass es keinen Kausalzusammenhang gibt.


Soweit ich weiß, geht der Buddhismus sehr wohl von einem kosmischen Kausalzusammenhang aller Dinge aus.

Nein. Maya! Das scheint nur so:

Kausales Denken (Die Situation A ist Ursache der Situation B) hat nur dann eine denkökonomische, der
Wissenschaft dienliche Dimension, wenn die Kausalität nicht für Einzelsituationen ausgesprochen wird,
sondern wenn kausale Zusammenhänge in der Form „Liegt eine Situation der Klasse A vor, so folgt daraus
eine Situation der Klasse B.“ gegeben sind. In diesem Sinne fusst die Kausalität auf der Begriffsbildung
durch Klassenbildung und somit auf der Verwendung von Begriffen. Fälschlich wird der Buddhismus als
eine kausale Philosophie bezeichnet. Richtig ist vielmehr die Interpretation im Sinne von Hansjörg Pfister17,
welche es erlaubt, die vermeintlich im frühen Buddhismus angesprochene Kausalität als Konditionalnexus
(paticca-samuppada) zu enttarnen. Dadurch wird die Verwendung der Kausalität als ein philosophisches, an
die Zeit gebundenes (und dadurch gerichtetes) Prinzip unnotwendig und kann durch ein Auftreten von
(eventuell symmetrisch) vergemeinschafteten Erscheinungen ersetzt werden

Roman Liedl, Die Buddhistische Leere aus moderner Sicht

Myron hat geschrieben:
Fisherman's Fellow hat geschrieben:
Hübner: "(...) Zusammengefasst: Es gibt im Bereich der exakten empirischen Wissenschaften überhaupt keine absoluten, allein durch Erfahrung und formale Logik bestimmte Verifikationen oder Falsifikationen."


Will er damit sagen, dass es keine wissenschaftlich definitiv verifizierten oder falsifizierten Aussagen gibt?

Doch, die gibt es. Aber diese Aussagen beziehen sich nicht auf das Verhältnis zur Wirklichkeit, sondern auf die interne Stimmigkeit des naturwissenschaftlichen Theoriegebäudes.

Myron hat geschrieben:Wenn ja, muss ich ihm widersprechen. Zwei Beispiel: Dass sich Wasser aus zwei Wasserstoffatomen und einem Sauerstoffatom zusammensetzt, ist zweifelsfrei bewiesen, und dass sich die Sonne um die Erde dreht, ist zweifelsfrei widerlegt.

Du erklärst eine theoretische Aussage (indem Du Wasser als H2O betrachtest) mit einem anderen theoretischen Aussage: Das sinnlich wahrnehmbare Wasser im Glas vor mir setzt sich aus viel mehr zusammen, und ich fürchte, es ist nicht nur H und O drin.
Was ich damit ausdrücken will: Solange man innerhalb des Theoriegebäudes bleibt, sind empirische Erkenntnisse möglich. Aber letztlich ersetzt man nur ein Bild durch ein anderes, ohne zu wissen, was da draußen wirklich los ist.

Myron hat geschrieben:
Fisherman's Fellow hat geschrieben:
Hübner: "Es gibt ebenso wenig eine empirische Widerlegung der mythischen Ontologie wie es eine empirische Begründung der wissenschaftlichen Ontologie gibt. (...) Der wissenschaftstheoretische Vergleich zwischen der wissenschaftlichen und mythischen Ontologie lässt sich nun verallgemeinern: Ontologien der bezeichneten Art sind prinzipiell gleichberechtigt. (...) Wenn es nämlich behauptet, dass man die Wirklichkeit gleichberechtigt einmal unter dem Gesichtspunkt dieser, ein andermal unter dem Gesichtspunkt jener Ontologie betrachten kann, weil sie alle gleichberechtigt sind, so besagt das doch, dass man sie einmal unter dem Aspekt dieser, dann wieder jener Ontologie betrachten kann, dass also die Wirklichkeit einen aspektischen Charakter hat."


Was meint Hübner mit "mythische Ontologie"?

Das, was ein Philosoph als "Wahrheits-" oder "Seinswissen" aus einer Mythologie ableiten kann.
Das Problem liegt darin, dass der Mythos der Philosophie nicht den Gefallen tut, Allgemeinbegriffe zu verwenden, die bei einer (rationalen) Ontologie erforderlich sind, sondern ganz anderen Gesetzen gehorcht. Wenn man jedoch die Eigenheiten des Mythos respektiert und die speziellen formalen Aspekte (zB Arché-Denken, Einzelfallbezogenheit, Subjektbezogenheit, Wahrheit als A-Letheia, dh "Unverborgenheit" der Gottheit, usw) berücksichtigt, dann lässt sich eine Ontologie konstruieren, die die im Mythos vermittelte Weisheit einigermaßen gut abbildet und den Vorteil hat, dass sie unseren Denkgewohnheiten mehr entspricht als der reine Mythos.

Myron hat geschrieben:Ich denke dabei spontan an die Setzung spiritueller Substanzen wie Götter, Teufel, Engel, Dämonen und Menschenseelen (oder auch an animistische Vorstellungen).

Das gehört dazu. Aber auch die gesamte Formensprache, sozusagen die Grammatik der Ontologie.
Mehr dazu in K. Hübner, Die Wahrheit des Mythos

Myron hat geschrieben:Er selbst schreibt:

"Es sei gefragt: War der Mythos nicht eine paradigmatische Alternative zur wissenschaftlichen Ontologie und in welchem Verhältnis stand er zu ihr? Es zeigte sich in der Tat, dass er ebenfalls wie diese ein Erfahrungssystem darstellt, und dass man die Punkte aufzählen kann, die ihn einerseits als ein solches kennzeichnen und andererseits den analogen Zusammenhang zwischen der mythischen und der wissenschaftlichen Ontologie erkennbar machen. Es sind hauptsächlich die folgenden:
1. Für den Mythos bilden im Gegensatz zur Naturwissenschaft das Ideelle und das Materielle eine unlösliche Einheit. Alles Ideelle nimmt sogleich eine materielle Gestalt an.
2. Was in der Naturwissenschaft die Naturgesetze sind, sind im Mythos die Archaí, also Ursprungsgeschichten. In ihnen wird jeder regelmäßige, sich stets wiederholende Ablauf im Naturgeschehen auf ein ursprüngliches, nicht datierbares Urereignis zurückgeführt.
3. Der Mythos unterscheidet nicht, wie die Naturwissenschaft, den allgemeinen Begriff von dem ihn repräsentierenden Gegenstand."


ad 1) Verstehe ich nicht. Was genau soll das heißen?

Dass es im Mythos keine Transzendenz gibt. Mythische Substanzen sind allesamt sinnlich erfahrbar. Wenn es morgens hell wird, ohne dass schon Sol, der Sonnengott, den Tag beleuchtet, ist Aurora, seine Schwester, die Göttin der Morgenröte am Werk. Dh, die Morgenröte wird von Aurora nicht repräsentiert, sondern in ihr ist die Göttin gegenwärtig: Frühaufsteher, zu denen ich nicht gehöre, die vom anbrechenden Tag wachgeküsst werden, haben es direkt mit dieser Göttin zu tun. Oder wenn ein Schmied schmiedet, dann wirkt durch ihn Hephaistos, und zwar um so stärker, je kunstvoller und technisierter seine Arbeit ist. In einem ähnlichen Sinn wird im Lukasevangelium von Jesus gesagt, dass er bis oben hin "voll des Heiligen Geistes" war (und sich diesem Sinne "Gottes Maske" - obwohl das jetzt theologisch nicht sauber formuliert ist, weil ich zwei sehr unterschiedliche Positionen vermische).

Myron hat geschrieben:ad 2) Es gibt auch eine wissenschaftliche Kosmogonie, die den vorwissenschaftlichen Weltentstehungsmythen Konkurrenz macht.

Kann sie gar nicht, weil beide aufgrund von Kontingenz und aus anderen Gründen nicht miteinander vergleichbar sind. Auch hierzu hat Hübner ein Buch geschrieben, aber ich will Dich nicht langweilen.

Myron hat geschrieben:ad 3) Die logische Unterscheidung zwischen Begriffen und darunter fallenden Gegenständen ist von grundlegender Wichtigkeit. Wer sie verwischt oder gar aufhebt, der hört im Grunde auf zu denken und denkt nur noch, dass er denkt.

Eben diese Meinung ist illusionär. Es geht auch anders, was viele Generationen unserer Vorfahren bewiesen haben und bis heute viele Kulturen beweisen, die laut Umfrage zu den glücklicheren auf der Erde zählen. Mehr noch: Ohne uns dessen bewusst zu sein agieren wir oft im Rahmen mythischer Erfahrungsgrundlagen (zB in der Politik), was zu "irrationalen" Überraschungen führen kann. Wer das naiver Weise übersieht und sich nicht ernsthaft mit den Erfahrungsgrundlagen mythisch-religiösen Denkens befasst, tappt im Dschungel der realen Einzelfälle wie ein Blinder durch ein Minenfeld.

Myron hat geschrieben:
Fisherman's Fellow hat geschrieben:Daraus folgt, dass empirische Forschung nicht die Erkenntnis hinsichtlich des (an sich) Seienden erweitert, sondern nur die Erkenntnis hinsichtlich wissenschaftlicher Theorien.


Das ist, mit Verlaub, Quatsch!
Du willst die Physik zu ihrer eigenen "Meta-Physik" machen, die nur sich selbst, aber nicht die Wirklichkeit berührt.

Nö. Weder Physik noch Meta-Physik. Man nennt die Disziplin "Wissenschaftstheorie".

Myron hat geschrieben:
Fisherman's Fellow hat geschrieben:Denn wenn ich nur einmal gründlich an den Prämissen drehe, ändert sich - empirisch betrachtet - die ganze Welt in ihren Grundfesten.


Die Realität ist keine theoretische Konstruktion!

Die Realität nicht, aber die Physik (und die gesamte Wissenschaft)!

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Re: Warum glauben intelligente und gebildete Menschen?

Beitragvon Fisherman's Fellow » Fr 1. Aug 2008, 23:15

El Schwalmo hat geschrieben:Niemand kann heute behaupten, dass er weiß, dass diese Evolution ohne Eingriffe eines Schöpfers erfolgt ist.

Hey, Mann! Lass Dich nicht von diesen Kreationisten übern Tisch ziehen! "Eingriffe" eines Schöpfers zerstören die Grundlagen der Wissenschaft; das muss man diesen Kreationisten mal ganz klar machen, denn dann sollten sie ihren Compi, der aufgrund seiner Architektur murphymäßig viele göttliche Eingriffsmöglichkeiten bietet, besser verschrotten und auf die Bäume zurückkehren. Tatsächlich sind die meisten Kreationisten total technikvernarrt und wollen auf die theoretische Grundlage ihrer Spielzeuge ganz bestimmt nicht verzichten.

Wenn man dies den Kreationisten vorhält, bekommt man normalerweise zu hören: "Ja Moment mal, Gott greift ja nicht ständig ein, sondern tat es nur dort, wo es in der Bibel geschrieben stand (und vielleicht hie und dort, wo ein Fernsehprediger an einem Abend 6 Millionen Dollar abkassiert)."

Diese Argumentation ist zwar aus der Sicht der Fundis nicht zu knacken, wirkt aber auf jeden anderen sehr verdächtig:
1. ist offensichtlich, dass die Kausalität nicht aus wissenschaftlichen Gründen geopfert wird, sondern sozusagen ferngesteuert - damit heilige Schriften wahr werden.
2. ist, wie Du schon schriebst, ein Szenario, dass vor knapp 6000 Jahren eine Entstehung der Welt nach Gen 1 abgelaufen sei, wissenschaftlich kaum zu erklären, so dass selbst viele "Evolutionsgegner" zu merkwürdigen (ID-)Hilfshypothesen greifen, dass Gott wenigstens das Leben und die Chordata auf übernatürliche Weise erschuf - obwohl solche "Lösungen" von der Bibel gar nicht gedeckt sind und möglicherweise immer noch um den Preis einer homogenen Kausalität erkauft sind.
3. fragt sich natürlich, was das für ein allmächtiger Gott ist, der seine eigenen Gesetze brechen muss.

Wenn man schon gegen die Evolution ist, dann sollte man sich eine Lösung einfallen lassen, bei denen man seinen Compi nicht auf den Müll zu werfen braucht.

El Schwalmo hat geschrieben:Ich gehe davon aus, dass kein Schöpfer eingegriffen hat (genauer, ich hoffe das, denn der Gedanke, was ein Wesen, das hinieden so dilettiert hat, in einem ewigen Jenseits alles nicht gebacken bekommen bekommt, ängstigt mich). Aber wir sind meilenweit davon entfernt, mechanismisch erklären zu können, wie bestimmte Strukturen entstehen. Schlappe 150 Jahre nach Darwin ist das auch nicht weiter verwunderlich.


Dein Statement enthält zwei unterschiedliche Pointen. Eine gefällt mir gut, die andere weniger.

1. Der "eingreifende" Schöpfer: Siehe oben.
Aber es besteht gar kein zwingender Grund, einen solchen "eingreifenden" Schöpfer anzunehmen. Man kann einen "schaffenden" Schöpfer annehmen.

2. der hienieden so dilletierende Schöpfer: Nun - um mit Werner Koczwara zu reden: Ist Gott dazu da, uns das Geschirr abzuspülen?

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Re: Warum glauben intelligente und gebildete Menschen?

Beitragvon El Schwalmo » Sa 2. Aug 2008, 07:10

Fisherman's Fellow hat geschrieben:
El Schwalmo hat geschrieben:Niemand kann heute behaupten, dass er weiß, dass diese Evolution ohne Eingriffe eines Schöpfers erfolgt ist.

Hey, Mann! Lass Dich nicht von diesen Kreationisten übern Tisch ziehen!

diese Aussage mache ich als Mensch, der sich seit Jahrzehnten mit Evolutionsbiologie beschäftigt.

Fisherman's Fellow hat geschrieben:"Eingriffe" eines Schöpfers zerstören die Grundlagen der Wissenschaft; das muss man diesen Kreationisten mal ganz klar machen,

Hast Du vergessen, das als Ironie zu taggen?

Fisherman's Fellow hat geschrieben:denn dann sollten sie ihren Compi, der aufgrund seiner Architektur murphymäßig viele göttliche Eingriffsmöglichkeiten bietet, besser verschrotten und auf die Bäume zurückkehren. Tatsächlich sind die meisten Kreationisten total technikvernarrt und wollen auf die theoretische Grundlage ihrer Spielzeuge ganz bestimmt nicht verzichten.

Kreationisten erkennen 'operational science' an. Bei Evolution handelt es sich um 'historical science'. Es ist ein Thread, die Struktur eines Systems zu untersuchen, eine vollkommen andere, dessen Genese.

Fisherman's Fellow hat geschrieben:Wenn man dies den Kreationisten vorhält, bekommt man normalerweise zu hören: "Ja Moment mal, Gott greift ja nicht ständig ein, sondern tat es nur dort, wo es in der Bibel geschrieben stand (und vielleicht hie und dort, wo ein Fernsehprediger an einem Abend 6 Millionen Dollar abkassiert)."

Diese Argumentation ist zwar aus der Sicht der Fundis nicht zu knacken, wirkt aber auf jeden anderen sehr verdächtig:
1. ist offensichtlich, dass die Kausalität nicht aus wissenschaftlichen Gründen geopfert wird, sondern sozusagen ferngesteuert - damit heilige Schriften wahr werden.


Wenn Du YEC meinst, sieht das anders aus, als wenn Du ID meinst. Im ersten Fall hast Du bedingt Recht, im zweiten nicht.

Fisherman's Fellow hat geschrieben:2. ist, wie Du schon schriebst, ein Szenario, dass vor knapp 6000 Jahren eine Entstehung der Welt nach Gen 1 abgelaufen sei, wissenschaftlich kaum zu erklären, so dass selbst viele "Evolutionsgegner" zu merkwürdigen (ID-)Hilfshypothesen greifen, dass Gott wenigstens das Leben und die Chordata auf übernatürliche Weise erschuf - obwohl solche "Lösungen" von der Bibel gar nicht gedeckt sind und möglicherweise immer noch um den Preis einer homogenen Kausalität erkauft sind.

Das geht sogar noch weiter: ID beruft sich nicht auf die Bibel.

Fisherman's Fellow hat geschrieben:3. fragt sich natürlich, was das für ein allmächtiger Gott ist, der seine eigenen Gesetze brechen muss.

ID geht nicht von einem allmächtigen Gott aus. Dazu kommt, dass sich Design problemlos im Zufall verstecken kann. Mal ein Gamma-Quant hier, ein Meteorit dort, und eine Mutation ist erfolgt oder eine Gruppe ist ausgestorben.

Fisherman's Fellow hat geschrieben:Wenn man schon gegen die Evolution ist, dann sollte man sich eine Lösung einfallen lassen, bei denen man seinen Compi nicht auf den Müll zu werfen braucht.

Das schafft YEC genauso leicht wie ID.

Aber nochmals: mein Punkt waren Erklärungslücken. Nicht Plädoyer für einen Schöpfer.

Fisherman's Fellow hat geschrieben:
El Schwalmo hat geschrieben:Ich gehe davon aus, dass kein Schöpfer eingegriffen hat (genauer, ich hoffe das, denn der Gedanke, was ein Wesen, das hinieden so dilettiert hat, in einem ewigen Jenseits alles nicht gebacken bekommen bekommt, ängstigt mich). Aber wir sind meilenweit davon entfernt, mechanismisch erklären zu können, wie bestimmte Strukturen entstehen. Schlappe 150 Jahre nach Darwin ist das auch nicht weiter verwunderlich.


Dein Statement enthält zwei unterschiedliche Pointen. Eine gefällt mir gut, die andere weniger.

1. Der "eingreifende" Schöpfer: Siehe oben.
Aber es besteht gar kein zwingender Grund, einen solchen "eingreifenden" Schöpfer anzunehmen. Man kann einen "schaffenden" Schöpfer annehmen.

Oder, wie Dembski unter Berufung auf IIRC Irenäus sagt: ein Musiker, der auf dem Weltall spielt wie ein Flötenspieler auf seiner Flöte. Der nutzt das Potenzial seines Instruments, um das hervorzubringen, was ihm gefällt.

Fisherman's Fellow hat geschrieben:2. der hienieden so dilletierende Schöpfer: Nun - um mit Werner Koczwara zu reden: Ist Gott dazu da, uns das Geschirr abzuspülen?

Nö, aber in meinem Bild gesprochen lässt er es uns aus der Hand gleiten.
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Re: Warum glauben intelligente und gebildete Menschen?

Beitragvon Fisherman's Fellow » Sa 2. Aug 2008, 10:44

El Schwalmo hat geschrieben:Kreationisten erkennen 'operational science' an. Bei Evolution handelt es sich um 'historical science'. Es ist ein Thread, die Struktur eines Systems zu untersuchen, eine vollkommen andere, dessen Genese.

Das ändert nichts daran, dass 'operational science' auf Grundlagen beruht, die auf die Historie übertragbar sein müssen. Auch Kreationisten erkennen an, dass die Welt eine Geschichte hat, und wenn die Welt auf eine andere Weise entstanden ist als sie jetzt funktioniert, dann hat die Struktur einen Bruch. Das kann man nicht mit dem Sündenfall wegerklären.
Aber es geht mir gar nicht darum, irgendwelche Fundis zu überzeugen, sondern zu beleuchten, auf welchem meschuggenem Wissenschaftskonzept der Kreationismus beruht.

El Schwalmo hat geschrieben:
Fisherman's Fellow hat geschrieben:Wenn man dies den Kreationisten vorhält, bekommt man normalerweise zu hören: "Ja Moment mal, Gott greift ja nicht ständig ein, sondern tat es nur dort, wo es in der Bibel geschrieben stand (und vielleicht hie und dort, wo ein Fernsehprediger an einem Abend 6 Millionen Dollar abkassiert)."

Diese Argumentation ist zwar aus der Sicht der Fundis nicht zu knacken, wirkt aber auf jeden anderen sehr verdächtig:
1. ist offensichtlich, dass die Kausalität nicht aus wissenschaftlichen Gründen geopfert wird, sondern sozusagen ferngesteuert - damit heilige Schriften wahr werden.


Wenn Du YEC meinst, sieht das anders aus, als wenn Du ID meinst. Im ersten Fall hast Du bedingt Recht, im zweiten nicht.


Man muss sehr genau auf die Einzelfälle schauen. Es gibt nur wenige ID'ler (vor allem im katholischen Bereich), die ganz ohne "Fernsteuerung" auskommen. Bei vielen, die vor der Hand die Integrität wissenschaftlichen Denkens betonen, kommt der Schöpfer "eingriffsweise" doch wieder durch die Hintertür spaziert und erzeugt einen Systembruch nach dem Motto: "Es gibt kein Naturgesetz, welches besagt, dass ein allmächtiger Gott das nicht kann". Siehe unten.

El Schwalmo hat geschrieben:
Fisherman's Fellow hat geschrieben:2. ist, wie Du schon schriebst, ein Szenario, dass vor knapp 6000 Jahren eine Entstehung der Welt nach Gen 1 abgelaufen sei, wissenschaftlich kaum zu erklären, so dass selbst viele "Evolutionsgegner" zu merkwürdigen (ID-)Hilfshypothesen greifen, dass Gott wenigstens das Leben und die Chordata auf übernatürliche Weise erschuf - obwohl solche "Lösungen" von der Bibel gar nicht gedeckt sind und möglicherweise immer noch um den Preis einer homogenen Kausalität erkauft sind.

Das geht sogar noch weiter: ID beruft sich nicht auf die Bibel.

Nicht wortwörtlich. Aber mittelbar schon.

El Schwalmo hat geschrieben:
Fisherman's Fellow hat geschrieben:3. fragt sich natürlich, was das für ein allmächtiger Gott ist, der seine eigenen Gesetze brechen muss.

ID geht nicht von einem allmächtigen Gott aus. Dazu kommt, dass sich Design problemlos im Zufall verstecken kann. Mal ein Gamma-Quant hier, ein Meteorit dort, und eine Mutation ist erfolgt oder eine Gruppe ist ausgestorben.

Solch eine Position, die vor allem im katholischen Bereich beliebt ist und die, nebenbei, die Myronsche und Dawkins'sche Theismusdefinition konterkariert, ist in der Tat nicht "wissenschaftsschädlich", weil sie voraussetzt, dass der Logos schon strukturell am Wirken ist, was aufgrund des methodischen Atheismus der Wissenschaften jedoch ausgeblendet wird.
Problematisch sind daran nur zwei Punkte:
1. die Annahme, dass "eine Intelligenz" am Wirken sei: Das ist biblisch nicht gedeckt, weil "Intelligenz" keine annähernd zureichende Beschreibung der göttlichen Weisheit ist, die so hoch über der menschlichen Vernunft steht wie der Himmel über der Erde.
2. die verdächtige Vorgehensweise, dass man sich bestimmte Ereignisse herauspickt (Entstehung des Lebens, usf), an denen man Gottes Wirken dann doch gezielt lokalisiert, obwohl er doch eigentlich, gemäß Voraussetzung, allezeit am Wirken ist.

El Schwalmo hat geschrieben:
Fisherman's Fellow hat geschrieben:Wenn man schon gegen die Evolution ist, dann sollte man sich eine Lösung einfallen lassen, bei denen man seinen Compi nicht auf den Müll zu werfen braucht.

Das schafft YEC genauso leicht wie ID.

"Einmal kräftig mit dem Hammer auf das axiomatische Gerüst der Wissenschaften gehauen, und schon springt der Kasten an." Siehe oben.
Dabei begehen die Kreationisten ironischerweise denselben Fehler wie die Naturalisten, indem sie empirisch erkanntes Wissen als "objektives Sein" und demzufolge Wissenschaft als eine Art Fabrik zur Enthüllung von Seiendem betrachten, die man ohne Schaden umbauen kann (oder - zum höheren Wohl der Menschen - sogar umbauen muss). Dass es sich dabei aber um etwas rein Theoretisches handelt, welches ganz und gar an erfahrungsunabhängingen Prämissen hängt, die durch die kreationistische Hammer-Methode bis zur Unbrauchbarkeit in ihren Erklärungsmöglichkeiten eingeschränkt wird, begreifen sie nicht.

El Schwalmo hat geschrieben:Aber nochmals: mein Punkt waren Erklärungslücken. Nicht Plädoyer für einen Schöpfer.

Die gibt es, aber selbst wenn sie groß genug wären, um die Theorie zu Fall zu bringen, dann ist das noch ein geringerer Schaden als wenn man mit dem Vorschlaghammer das axiomatische Gerüst, auf dem alle Erfahrungswissenschaften beruhen, zerschlägt.

El Schwalmo hat geschrieben:
Fisherman's Fellow hat geschrieben:2. der hienieden so dilletierende Schöpfer: Nun - um mit Werner Koczwara zu reden: Ist Gott dazu da, uns das Geschirr abzuspülen?

Nö, aber in meinem Bild gesprochen lässt er es uns aus der Hand gleiten.

Dein Bild setzt schon ein Bild von einem Gott voraus. Darin liegt das Problem.

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Re: Warum glauben intelligente und gebildete Menschen?

Beitragvon Fisherman's Fellow » Sa 2. Aug 2008, 11:09

emporda hat geschrieben:Wirklich beeindruckend aber trotzdem verwunderlich, hat doch nicht ein Theologe oder Philosoph einen noch so winzigen Beitrag zu naturwissenschaftlichen Erkenntnis geleistet.

Ich merke grad, dass hier noch keiner Einspruch erhoben hat.
Abgesehen von dem Detail, dass Theologen und Philosophen keine Naturwissenschaftler sind und andere Aufgaben haben - und dass es auch in neuerer Zeit dennoch immer mal wieder Theologen (zB John Kerr, William Whiston, O. Kleinschmidt) und Philosophen (Leibnitz uva) gegeben hat, die sich auf dem Felde der Naturwissenschaft hobbymäßig oder nebenberufsmäßig verdient gemacht haben, möchte ich darauf verweisen, dass die Erfindung von Logik und Mathematik, welche in irgendwelchen Tempelpyramiden ihren Anfang nahm und von griechischen Philosophen fortentwickelt wurden, empirische Wissenschaft überhaupt erst ermöglichten.

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Re: Warum glauben intelligente und gebildete Menschen?

Beitragvon folgsam » Sa 2. Aug 2008, 13:50

Deine Ausführungen jedoch lassen jede Hoffnung schwinden, Philosophen oder Theologen zumindest deines Schlages, könnten jemals wieder einen substantiellen Beitrag zur naturwissenschaftlichen Erkenntnis leisten.

Wissenschaftliches Wissen mag nicht die Realität vollständig abbilden, doch zeigt ihr durchschlagender praktischer Erfolg zumindest eine teilweise Deckungsgleichheit mit der Welt-an-sich auf.

Theologische und philosophische "Erkenntnisse" jenseits jeder Naturwissenschaft haben neben einem warmen Gefühl in den Gedärmen jedoch wenig Nutzen gebracht oder ihre Tauglichkeit als Wege der Realitätswahrnehmung aufgezeigt.
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Re: Warum glauben intelligente und gebildete Menschen?

Beitragvon Fisherman's Fellow » Sa 2. Aug 2008, 14:01

folgsam hat geschrieben:Wissenschaftliches Wissen mag nicht die Realität vollständig abbilden, doch zeigt ihr durchschlagender praktischer Erfolg zumindest eine teilweise Deckungsgleichheit mit der Welt-an-sich auf.

Ach, tatsächlich?
Wie ist die Welt-an-sich jenseits aller sinnlicher Wahrnehmung und jenseits aller erfahrungsunabhängiger wissenschaftlicher Prämissen denn so?
:smoker:

fragt
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Re: Warum glauben intelligente und gebildete Menschen?

Beitragvon emporda » Sa 2. Aug 2008, 14:03

folgsam hat geschrieben:Deine Ausführungen jedoch lassen jede Hoffnung schwinden, Philosophen oder Theologen zumindest deines Schlages, könnten jemals wieder einen substantiellen Beitrag zur naturwissenschaftlichen Erkenntnis leisten.

Wissenschaftliches Wissen mag nicht die Realität vollständig abbilden, doch zeigt ihr durchschlagender praktischer Erfolg zumindest eine teilweise Deckungsgleichheit mit der Welt-an-sich auf.

Theologische und philosophische "Erkenntnisse" jenseits jeder Naturwissenschaft haben neben einem warmen Gefühl in den Gedärmen jedoch wenig Nutzen gebracht oder ihre Tauglichkeit als Wege der Realitätswahrnehmung aufgezeigt.
Danke für die Feststellung. Als Abhilfe gegen den geistigen Dünnpfiff im Gedärm empfehle ich einen 40 Jahren alten Calvados, das hilft fast immer.
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Re: Warum glauben intelligente und gebildete Menschen?

Beitragvon Myron » Sa 2. Aug 2008, 16:15

Fisherman's Fellow hat geschrieben:Problematisch sind daran nur zwei Punkte:
1. die Annahme, dass "eine Intelligenz" am Wirken sei: Das ist biblisch nicht gedeckt, weil "Intelligenz" keine annähernd zureichende Beschreibung der göttlichen Weisheit ist, die so hoch über der menschlichen Vernunft steht wie der Himmel über der Erde.


Dann nennen wir Gott halt "superintelligent".

Fisherman's Fellow hat geschrieben:2. die verdächtige Vorgehensweise, dass man sich bestimmte Ereignisse herauspickt (Entstehung des Lebens, usf), an denen man Gottes Wirken dann doch gezielt lokalisiert, obwohl er doch eigentlich, gemäß Voraussetzung, allezeit am Wirken ist.


Im Theismus gilt das Dogma der "creatio continua", der fortgesetzten Schöpfung. Gott erhält die Natur und alles, was darin kreucht und fleucht, in jedem Zeitpunkt aktiv im Sein.
Das heißt, Gott ist nicht nur einmal bei der ursprünglichen "creatio ex nihilo" schöpferisch tätig gewesen, sondern er ist es weiterhin ohne Unterbrechung. Dieser Glaube unterscheidet den Theismus vom Deismus.
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Re: Warum glauben intelligente und gebildete Menschen?

Beitragvon Fisherman's Fellow » Sa 2. Aug 2008, 18:03

Myron hat geschrieben:
Fisherman's Fellow hat geschrieben:Problematisch sind daran nur zwei Punkte:
1. die Annahme, dass "eine Intelligenz" am Wirken sei: Das ist biblisch nicht gedeckt, weil "Intelligenz" keine annähernd zureichende Beschreibung der göttlichen Weisheit ist, die so hoch über der menschlichen Vernunft steht wie der Himmel über der Erde.


Dann nennen wir Gott halt "superintelligent".

Das wäre eine Steigerung menschlicher Intelligenz, und insofern ist der Begriff falsch gewählt.

Aber die Weisheit [Gottes], wo lässt sie sich finden? Welches ist der Ort der Einsicht [des Glaubens]?
Ein Menschlein kennt nicht ihren Wert. Im Lande der Lebendigen wird sie nicht gefunden.
Der Urwirbel spricht: "In mir ist sie nicht". Und das Meer spricht: "Nirgends bei mir." [...]
Die Verlorenheit und der Tod sprechen: "Mit unseren Ohren hörten wir ein Hörensagen von ihr".
Gott ist's, der den Weg zu ihr vermerkt. Er ist's, der ihren Ort kennt.

Hiob 28

Myron hat geschrieben:
Fisherman's Fellow hat geschrieben:2. die verdächtige Vorgehensweise, dass man sich bestimmte Ereignisse herauspickt (Entstehung des Lebens, usf), an denen man Gottes Wirken dann doch gezielt lokalisiert, obwohl er doch eigentlich, gemäß Voraussetzung, allezeit am Wirken ist.


Im Theismus gilt das Dogma der "creatio continua", der fortgesetzten Schöpfung. Gott erhält die Natur und alles, was darin kreucht und fleucht, in jedem Zeitpunkt aktiv im Sein.
Das heißt, Gott ist nicht nur einmal bei der ursprünglichen "creatio ex nihilo" schöpferisch tätig gewesen, sondern er ist es weiterhin ohne Unterbrechung. Dieser Glaube unterscheidet den Theismus vom Deismus.

Erstens gibt es weder im Christentum, noch im Theismus - sondern nur in einzelnen Kirchen - Dogmen (aber in meiner zum Bleistift nicht), zweitens ist die Unterscheidung zwischen creatio continua und creatio ex nihilo eine scheinbare, weil sie ja nur in der Wahrnehmung von Menschen besteht. Glaubende erleben Gott als präsentisch wirksam oder nehmen axiomatisch an, dass die Welt zu jedem Zeitpunkt erneuert wird. Aber El Schwalmo hat schon darauf hingewiesen, dass dieser Eindruck keineswegs ausschließt, dass ein sehr - sozusagend allwissend - cleveres Programm abläuft, das schon bei der creatio ex nihilo fix und fertig war. Calvin und viele Reformierte haben diese Position bereits im 16. Jahrhundert vertreten. Die Unterscheidung wird vollends irrelevant, wenn man, wie zB Du, Gott als außerhalb der Schöpfung (dh auch der Raumzeit) stehendes Geistwesen ansieht, für den das komplette Universum und was noch alles dazugehört, als Gesamtkunstwerk von seinem zeitlichen Anfang bis zum Ende auf dem Seziertisch "offen daliegt".

Aber das sind nur Gedankenspielereien, die zwar in Deiner Theismusdefinition bedeutsam sind, dem wirklichen Glauben jedoch nur als unerhebliche Zuckerbäckereien und Glasperlenspiele erscheinen.

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Re: Warum glauben intelligente und gebildete Menschen?

Beitragvon folgsam » Sa 2. Aug 2008, 20:26

Das dein Glauben ohne Dogmen auskommt, halte ich für ein Gerücht.

Sündenfall, Erlösung durch die Kreuzigung Jesu, Auferstehung und Himmelfahrt und schließlich ein Jenseits sind die Minimalvoraussetzungen um sich ohne rot zu werden Christ nennen zu dürfen.

Und schließlich die Existenz deines halbpersönlichen, nicht-intelligenten (aber irgendwie doch) Gottes, der nicht in seine Schöpfung einzugreifen braucht um dennoch immer präsent zu sein, ein Gott, von dem man sich keine Begriffe machen kann aber dennoch ausführlich darüber geschwurbelt werden kann und wird.
Wenn das kein Dogma ist, bin ich Christ.

Das warme, flauschige Gefühl: "Da ist irgendwas und es liebt mich" wurde wohl selten in soviel heisse Luft gepackt.
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Re: Warum glauben intelligente und gebildete Menschen?

Beitragvon Fisherman's Fellow » Sa 2. Aug 2008, 23:39

folgsam hat geschrieben:Sündenfall, Erlösung durch die Kreuzigung Jesu, Auferstehung und Himmelfahrt und schließlich ein Jenseits sind die Minimalvoraussetzungen um sich ohne rot zu werden Christ nennen zu dürfen.

Kennst Du den Unterschied zwischen einem Dogma und einer Perspektive?

Eine Perspektive sieht zB so aus:
Der Herr (Jesus) ist der Geist; wo aber der Geist des Herrn ist, da ist Freiheit.
(2. Kor 3)

Für jemanden, der bewußt und aufmerksam glaubt, ist der Geist sinnlich erfahrbar und somit eine Tatsache. Er berührt ihn und verwandelt ihn. Er kann ihm neue Perspektiven und ungeheure Freiheit verschaffen, wenn man den Mut aufbringt, sich auf ihn einzulassen.
Darum geht es, und nicht darum, das man an die Erbsenlehre oder an eine bestimmte Lehre von Erlösung glaubt. Der Buchstabe hat seine eigene Ausstrahlung, aber er ist tot. Der Geist jedoch macht lebendig, und insofern gibt es in meiner Kirche keine Dogmen.
Apropos, zur Klarstellung:

Unter einem Dogma (griech. δόγμα, dógma, „Meinung, Denkart, Lehrsatz“; Plural Dogmen oder seltener nach dem Griechischen Dogmata) versteht man eine festlegende Definition, um einem Glauben, eine Übereinstimmung mit der Wirklichkeit voraussetzend, einen unumstößlichen Wahrheitsgehalt zuzuschreiben.
(Wikipedia)

Dogmen sind also Lehrsätze - aber im Christentum geht es nicht darum, an Lehrsätze zu glauben, sondern auf Gott zu vertrauen und Jesus nachzufolgen.

Ein Dogma scheint mir vielmehr hier drin zu stecken:
Wissenschaftliches Wissen mag nicht die Realität vollständig abbilden, doch zeigt ihr durchschlagender praktischer Erfolg zumindest eine teilweise Deckungsgleichheit mit der Welt-an-sich auf.
(folgsam)

Da wird nämlich gelehrt, dass der Erfolg wissenschaftlichen Wissens eine Deckungsgleichheit mit der Welt-an-sich aufweise.
Beweisen lässt sich der Satz nicht, sondern vielmehr widerlegen (siehe oben, Hübner); das ist eine wissenschaftstheoretische Binsenweisheit. Wenn man trotzdem daran glaubt, dann ist man entweder (a) schlecht informiert, oder (b) nicht in der Lage, diesen rein logischen Beweis nachzuvollziehen, oder (c) voll dogmatisch drauf.

folgsam hat geschrieben:Und schließlich die Existenz deines halbpersönlichen, nicht-intelligenten (aber irgendwie doch) Gottes, der nicht in seine Schöpfung einzugreifen braucht um dennoch immer präsent zu sein, ein Gott, von dem man sich keine Begriffe machen kann aber dennoch ausführlich darüber geschwurbelt werden kann und wird.
Wenn das kein Dogma ist, bin ich Christ.

Willkommen im Club! :2thumbs:

Jetzt aber noch die Details erläutern:
1. Gott ist nicht halbpersönlich, sondern er hat sich "ganz persönlich" in Jesus Christus geoffenbart. Dies aber im Rahmen einer religiös-mythischen Erfahrungsgrundlage (in der es, streng genommen, gar keine Lehrsätze gibt, sondern allenfalls Ratschläte, Ermahnungen oder Gebote). Auf einer rein rationalen Erfahrungsgrundlage wird Gott schon apriorisch ausgeschlossen; darum brauchen wir hier nicht darüber zu grübeln, ob Gott "in Wirklichkeit" ganz-, halb- oder unpersönlich sei.

2. Die Sache mit der creatio continua und der creatio ex nihilo ist Myrons Teekännchen. Es ist ganz unterhaltsam, darüber Spekulationen anzustellen, hat aber nichts mit Glauben zu tun. Denn solche Überlegungen setzen das Unmögliche voraus: dass man sich von Gott ein Bild machen könne bzw sich schon eins gemacht hat.

3. Ja, "schwurbeln" ist möglich, insofern Gott sich denen geoffenbart hat, die an ihn glauben. Natürlich hat er nicht geschwurbelt, sondern als Schwurbelei kommt es bei Dir nur an, weil Dir als Nicht-Glaubender das Verständnis dafür fehlt.

folgsam hat geschrieben: Das warme, flauschige Gefühl: "Da ist irgendwas und es liebt mich" wurde wohl selten in soviel heisse Luft gepackt.

So leicht lässt sich Glaube in den Wechselfällen des Lebens leider nicht verpacken. Vor allem liegst Du mit der Vermutung "Gefühl" falsch. Glaube hängt, wie ich hier mich gerne wiederhole, nicht an Gefühlen , sondern an (mythisch-religiösen) Erfahrungsvoraussetzungen.

Grüßle,
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Re: Warum glauben intelligente und gebildete Menschen?

Beitragvon Myron » So 3. Aug 2008, 00:48

Fisherman's Fellow hat geschrieben:Doch: Indem er - für uns - eine mediokre Maske anlegt und in seinem Wort so erfahrbar wird, dass es uns nicht gleich wegext.


"in seinem Wort erfahrbar", was bedeutet das?
Du kannst die Bibel lesen und darin (angeblich) etwas über Gott erfahren.
Was in der Bibel über Gott zu lesen ist, ergibt nur unter der Voraussetzung einen Sinn, dass er eine Person, d.i. ein selbstbewusstes und vernunftbegabtes Lebewesen ist, das zielgerichtet handeln kann. Das heißt, die Personalität Gottes ist nicht nur eine "Maske", hinter der sich irgendein unpersönliches Dingsbums verbirgt, sondern Teil des göttlichen Wesens.

Fisherman's Fellow hat geschrieben:
Myron hat geschrieben:Personen sind selbstbewusste und denkfähige Lebewesen, und als solche der naturwissenschaftlichen Betrachtung durchaus zugänglich.

Das ist keine naturwissenschaftliche Definition:
1. ist nicht klar, worin "Selbstbewusstein" überhaupt besteht.
2. ist nicht klar, was "denkfähig" bedeutet. Sind Spinnenmännchen denkfähig?


Natürlich könnten wir jetzt einen neuen Diskussionsstrang zu den Begriffen "Selbstbewusstsein" und "Denkfähigkeit" eröffnen, doch das ist nicht nötig, da auch du mit Sicherheit über eine Grundverständnis dieser beiden Begriffe verfügst, mit dem wir hier auskommen dürften.
Nur ein Wort zu "Denkfähigkeit": Ein Lebewesen ist nur dann im engeren Sinne denkfähig, wenn es fähig ist, sprachliche Gedanken zu haben.

"Selbstbewußtsein ist, als Korrelat des Außenweltsbewusstseins, das Bewusstsein des eigenen Selbst, des Ich als des einheitlichen, permanenten, mit sich identischen, aktionsfähigen Subjekts individueller Erlebnisse."
(http://www.textlog.de/5079.html)

Fisherman's Fellow hat geschrieben:Ich werde zu Deinem Privatvergnügen, Dich in Menschen hineinzuversetzen, die an etwas glauben, von denen Du aufgrund einer verkehrten Theismus-Definition meinst, dass sie es wirklich täten, nicht mehr äußern. Du kennst meine Meinung.


Wenn du weiterhin glaubst, ich hätte dir eine "gefälschte" Theismus-Definition untergeschoben, dann weißt du einfach nicht, was der Theismus beinhaltet.

Fisherman's Fellow hat geschrieben:So "erfährst" Du im Straßenverkehr Wirklichkeit ganz anders als im Geschlechtsverkehr: Es sind andere Sinne aktiviert; es geht um völlig verschiedene Dinge: Du hast irgendwann von der Erfahrungsgrundlage "Traffic" auf die Erfahrungsgrundlage "Umgang mit der Liebsten" umgeschaltet und dafür im Hirn ein anderes Programm gestartet - so steht zumindest zu hoffen.


Klar, die Sinne sind in verschiedenen Lebenssituationen verschiedentlich relevant. Zum Beispiel spielt der Geschmackssinn im Straßenverkehr keine Rolle. Aber es sind immer nur Sinne aus der Gruppe der natürlichen Sinne beteiligt und nie irgendein übernatürlicher "sechster" Sinn.

Fisherman's Fellow hat geschrieben:Wissenschaftliches Denken stellt auch eine solche Erfahrungsgrundlage dar, welche man Dir in langen Jahren des Schulbankdrückens anerzogen hat, und eben religiös-mythologisches Denken wiederum eine andere.


"Hübners These ist, daß die
mythische Weltsicht auf einem axiomatischen System beruht, welches bestimmt, was als
Wirklichkeit erscheint – nicht anders, als es in der naturwissenschaftlichen Weltsicht der
Fall ist. Diese axiomatischen Voraussetzungen und apriorischen Formen der Erkenntnis
erläutert er wie folgt:

a) Ideelles und Materielles bilden eine Einheit; die Natur wird als belebt und beseelt
erfahren;
b) Individuelles und Allgemeines, Abstraktes und Konkretes bilden eine Einheit;
c) Wirklichkeit entsteht aus der Einheit von Subjekt und „Objekt“, das heißt: Mensch und
Natur sind durch „Partizipation“ aufeinander bezogen und miteinander verflochten;
d) Gott bzw. die Götter wirken auf die Psyche des Menschen; in der Liebe z.B. ergreift ihn
Aphrodite, beherrscht ihn;
e) Mythische Raumerfahrung; profaner und heiliger Raum;
f) Mythische Zeiterfahrung: Die Rolle der Archai, der Ursprungsgeschichten."


(Quelle: http://www.germlit.rwth-aachen.de/index ... 97&uid=433)

Die mythische, d.i. pansymbolistisch-panpsychistisch-animistisch-theistische, Ausdeutung der Naturerscheinungen ist Ausdruck phantastischen Denkens. Sie ist naiv und primitiv.
Unseren Urahnen mache ich keinen Vorwurf, dass sie zu ihrer Zeit so dachten und wohl auch nicht anders denken konnten. Doch wenn ein Mensch im Jahre 2008 immer noch so denkt, dann entschuldige ich das nicht. Ich habe überhaupts nichts dagegen, wenn die alten Mythen als literarische Fiktionen wertgeschätzt werden; doch wenn sie als realistisch verkauft und auf dieselbe Stufe wie wissenschaftliche Theorien gestellt werden, erhebe ich Einspruch.

Fisherman's Fellow hat geschrieben:An die man allerdings nicht herankommt. Nur an empirische Aussagen kommt man heran, die ja von Prämissen abhängig sind und allenfalls einen Nützlichkeitswert, aber keinen Wahrheitswert besitzen. Insofern gibt es für uns Menschen keine Tatsachen, die ontologisch "objektiv" entscheidbar sind.
"Objektiv wahr" sind nur rein theoretische, formallogische Aussagen.


Nein!
Erstens ist das Wahrsein bzw. Falschsein einer Aussage nicht davon abhängig, ob wir es feststellen können; und zweitens hat die Wissenschaft de facto die Wahrheitswerte einer Vielzahl von empirischen Aussagen erfolgreich ermittelt.
(Wir wissen z.B. heute, dass die Sonne sich nicht um die Erde dreht.)

Fisherman's Fellow hat geschrieben:Der Nutzen entscheidet in der Naturwissenschaft. Nicht der Wirklichkeitsbezug!


Nein! Das einzige, auf das es in der Wissenschaft ankommt, ist der Wirklichkeitsbezug bzw. der Wahrheitsgehalt ihrer Theorien. Dort, wo sich dieser durch die empirisch-experimentelle Methode (noch) nicht her- bzw. feststellen lässt, bleiben die Naturwissenschaften (vorläufig) das, was sie ursprünglich waren: Naturphilosophie.
(Zum Beispiel ist die Stringtheorie für viele Physiker gegenwärtig noch eher eine naturphilosophische als eine naturwissenschaftliche Theorie, weil es den Stringtheoretikern noch nicht gelungen ist, einen konkreten Bezug zur experimentellen Physik herzustellen, der eine Testung ihrer Theorie ermöglichen würde.)

Fisherman's Fellow hat geschrieben:
Myron hat geschrieben:Soweit ich weiß, geht der Buddhismus sehr wohl von einem kosmischen Kausalzusammenhang aller Dinge aus.

Nein. Maya! Das scheint nur so:

"(...) Richtig ist vielmehr die Interpretation im Sinne von Hansjörg Pfister17,
welche es erlaubt, die vermeintlich im frühen Buddhismus angesprochene Kausalität als Konditionalnexus (paticca-samuppada) zu enttarnen. Dadurch wird die Verwendung der Kausalität als ein philosophisches, an die Zeit gebundenes (und dadurch gerichtetes) Prinzip unnotwendig und kann durch ein Auftreten von (eventuell symmetrisch) vergemeinschafteten Erscheinungen ersetzt werden

(Roman Liedl, Die Buddhistische Leere aus moderner Sicht)


Der "Konditionalnexus" der buddhistischen Lehre von der abhängigen Entstehung (paticca-samuppada) ist ein kosmisches System kausaler Abhängigkeiten von Ereignissen, zumindest in folgendem Sinne: Wenn A eintritt, tritt B ein; und wenn A nicht eintritt, tritt B nicht ein.

Fisherman's Fellow hat geschrieben:Aber diese Aussagen beziehen sich nicht auf das Verhältnis zur Wirklichkeit, sondern auf die interne Stimmigkeit des naturwissenschaftlichen Theoriegebäudes.


Logische Kohärenz ist eine notwendige Voraussetzung, aber worauf es letztendlich ankommt, ist die Korrespondenz einer Theorie mit der Wirklichkeit. Ein Theoriegebäude kann in sich vollkommen stimmig und trotzdem falsch sein.

Fisherman's Fellow hat geschrieben:Was ich damit ausdrücken will: Solange man innerhalb des Theoriegebäudes bleibt, sind empirische Erkenntnisse möglich. Aber letztlich ersetzt man nur ein Bild durch ein anderes, ohne zu wissen, was da draußen wirklich los ist.


Du entwirfst ein Zerrbild der Wissenschaft, wenn du behauptest, ihr eigentlicher Gegenstand wäre nicht die Realität, sondern ihre Theorien der Realität.

Fisherman's Fellow hat geschrieben:Wenn man jedoch die Eigenheiten des Mythos respektiert und die speziellen formalen Aspekte (zB Arché-Denken, Einzelfallbezogenheit, Subjektbezogenheit, Wahrheit als A-Letheia, dh "Unverborgenheit" der Gottheit, usw) berücksichtigt, dann lässt sich eine Ontologie konstruieren, die die im Mythos vermittelte Weisheit einigermaßen gut abbildet und den Vorteil hat, dass sie unseren Denkgewohnheiten mehr entspricht als der reine Mythos.


... dann lässt sich eine phantastische Hermeneutik konstruieren, mittels deren allerlei Scheinweisheiten zutage gefördert werden.
Die religiösen Mythen mögen heutzutage noch der ästhetischen Erbauung dienen, aber für bare Münze können sie beileibe nicht mehr genommen werden.

Fisherman's Fellow hat geschrieben:Dass es im Mythos keine Transzendenz gibt. Mythische Substanzen sind allesamt sinnlich erfahrbar. Wenn es morgens hell wird, ohne dass schon Sol, der Sonnengott, den Tag beleuchtet, ist Aurora, seine Schwester, die Göttin der Morgenröte am Werk. Dh, die Morgenröte wird von Aurora nicht repräsentiert, sondern in ihr ist die Göttin gegenwärtig: Frühaufsteher, zu denen ich nicht gehöre, die vom anbrechenden Tag wachgeküsst werden, haben es direkt mit dieser Göttin zu tun. Oder wenn ein Schmied schmiedet, dann wirkt durch ihn Hephaistos, und zwar um so stärker, je kunstvoller und technisierter seine Arbeit ist. In einem ähnlichen Sinn wird im Lukasevangelium von Jesus gesagt, dass er bis oben hin "voll des Heiligen Geistes" war (und sich diesem Sinne "Gottes Maske" - obwohl das jetzt theologisch nicht sauber formuliert ist, weil ich zwei sehr unterschiedliche Positionen vermische).


Im Mythos wird das Weltgeschehen allenthalben von personifizierten "numinosen" Mächten, sprich von göttlichen oder gottähnlichen Geistern, beeinflusst und gelenkt.
Wir wissen heutzutage, dass diese Sichtweise falsch ist!
(Dass sich das noch nicht überall herumgesprochen hat, ist eine andere Sache.)

Fisherman's Fellow hat geschrieben:Ohne uns dessen bewusst zu sein agieren wir oft im Rahmen mythischer Erfahrungsgrundlagen (zB in der Politik), was zu "irrationalen" Überraschungen führen kann. Wer das naiver Weise übersieht und sich nicht ernsthaft mit den Erfahrungsgrundlagen mythisch-religiösen Denkens befasst, tappt im Dschungel der realen Einzelfälle wie ein Blinder durch ein Minenfeld.


Dass auch noch im 21. Jahrhundert mythische Denkmuster gar nicht selten vorkommen, ist eine hochinteressante psychologisch-soziologische Tatsache. Ein Psychiater findet die Wahngedanken seiner Patienten auch hochinteressant und erforscht sie deshalb neugierig en détail, ohne aber auch nur eine Sekunde zu glauben, dass sie der Wirklichkeit entsprechen.

Fisherman's Fellow hat geschrieben:
Myron hat geschrieben:Die Realität ist keine theoretische Konstruktion!

Die Realität nicht, aber die Physik (und die gesamte Wissenschaft)!


Geschenkt, als eine soziale Institution ist die Physik freilich nicht vom Himmel gefallen.
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Re: Warum glauben intelligente und gebildete Menschen?

Beitragvon emporda » So 3. Aug 2008, 04:37

Myron hat geschrieben:Geschenkt, als eine soziale Institution ist die Physik freilich nicht vom Himmel gefallen.
Was ist an der Physik bitte sozial

Es ist eine Wissenschschaft, die Vorgänge und Gesetztmäßigkeiten der Realität beschreibt. Sie ist weder sozial noch asozial, weder böse noch lieb und erfüllt keine sonstigen Attribute wie auch immer. Ob sie jemand als nüchern, kalt usw. empfindet, das hat was mit dessen persönlichet Empfindung zu tun und nicht mit der Wissenschaft

Wieso kommt es nur, dass hinter allem und jedem in der Natur und Realität persönliche Eigenschaften mitsamt einem fiktiven Lenker und Obersteuermann vermutet wird. Sind die Menschen zu feige, unfähig oder gar mental zu gestört natürliche und reale Sachen nüchtern als das zu sehen, was sie sind.
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Re: Warum glauben intelligente und gebildete Menschen?

Beitragvon Myron » So 3. Aug 2008, 12:34

emporda hat geschrieben:Was ist an der Physik bitte sozial?
Es ist eine Wissenschschaft, die Vorgänge und Gesetztmäßigkeiten der Realität beschreibt. Sie ist weder sozial noch asozial, weder böse noch lieb und erfüllt keine sonstigen Attribute wie auch immer.


Mit "sozial" meine ich einfach wertneutral "gesellschaftlich". Das hat nichts mit Moral zu tun.
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Re: Warum glauben intelligente und gebildete Menschen?

Beitragvon emporda » So 3. Aug 2008, 12:53

Myron hat geschrieben:Mit "sozial" meine ich einfach wertneutral "gesellschaftlich". Das hat nichts mit Moral zu tun.
Zwar verstehe ich Deinen Einwand, aber wenn ich mir einen Satz Formeln oder ein thermodynamisches Gesetz, eine elektromagnetische Feldgleichung anschaue, dann finde ich darin nichts was "gesellschaftlich" wäre. Es ist schlicht ein wissentschaftlicher Ausdruck unser Realität im mathematischen Kleid

Ich habe in meinem vorherigem Text gerade jede moralische oder sonstige Interpretation wissenschaftlicher Diziplinen verneint. Wenn ein Forscher seine Ergebnisse fälscht, schlampig arbeitet und/oder dergleichen, dann hat das doch nichts mit der Wissenschaft zu tun, sondern mit dem Charakter des Beteiligten.

Versuche Dir vorzustellen was eine soziale oder moralische Wissenschaft bedeuten würde. Legionen von moralischen Schaumschlägern würden diese Wissenschaft für ihr Anliegen beschlagnahmen, ohne eine Ahnung zu haben worum es in der Sache geht. Das ist doch genau das, was die religiösen Spinner mit der Evolution machen - zum Glück so ungeschickt und dämlich, das es nicht einmal zum Lachen reicht.

Auch hier gibt es ausführliche Diskusionen um ein gekrümmtes Universum mit viel Masse ohne jede Schwerkraft oder um einen stellaren Raum, der sich um die Erde als ewig festes Zentrum feht. Hier reicht zum Glück ignorieren.
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Re: Warum glauben intelligente und gebildete Menschen?

Beitragvon Myron » So 3. Aug 2008, 14:11

emporda hat geschrieben:Zwar verstehe ich Deinen Einwand, aber wenn ich mir einen Satz Formeln oder ein thermodynamisches Gesetz, eine elektromagnetische Feldgleichung anschaue, dann finde ich darin nichts was "gesellschaftlich" wäre.


Dass die Physik eine soziale Institution ist, bedeutet natürlich nicht, dass sie sich mit sozialen Phänomenen befasst.
Dafür sind die Sozialwissenschaften zuständig, die wie alle Wissenschaften auch soziale Institutionen sind. (Entsprechenderweise gibt es sogar eine Soziologie der Soziologie.)

emporda hat geschrieben:Ich habe in meinem vorherigem Text gerade jede moralische oder sonstige Interpretation wissenschaftlicher Diziplinen verneint. Wenn ein Forscher seine Ergebnisse fälscht, schlampig arbeitet und/oder dergleichen, dann hat das doch nichts mit der Wissenschaft zu tun, sondern mit dem Charakter des Beteiligten.


Für moralische Fragen im Zusammenhang mit der wissenschaftlichen Praxis ist die Wissenschaftsethik zuständig.
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Re: Warum glauben intelligente und gebildete Menschen?

Beitragvon Fisherman's Fellow » So 3. Aug 2008, 14:17

Myron hat geschrieben:
Fisherman's Fellow hat geschrieben:Doch: Indem er - für uns - eine mediokre Maske anlegt und in seinem Wort so erfahrbar wird, dass es uns nicht gleich wegext.


"in seinem Wort erfahrbar", was bedeutet das?
Du kannst die Bibel lesen und darin (angeblich) etwas über Gott erfahren.

Gottes Wort ist nicht gleichzusetzen mit dem Wort der Bibel (auch wenn einige christliche Denominationen das behaupten). "Gottes Wort" ist, ins Unreine gesprochen, der inhaltliche Aspekt einer spirituellen Erfahrung. Die Schöpfung ist Gottes Wort, insofern ich sie geistlich erfahre; Jesus Christus "ist" das fleischgewordene Wort Gottes. ("Christus" steht für den kerygmatischen Aspekt, dh es bedeutet: "Jesus, insofern man ihn als Meister und Retter anerkennt und ihm nachfolgt".)

Myron hat geschrieben:Was in der Bibel über Gott zu lesen ist, ergibt nur unter der Voraussetzung einen Sinn, dass er eine Person, d.i. ein selbstbewusstes und vernunftbegabtes Lebewesen ist, das zielgerichtet handeln kann. Das heißt, die Personalität Gottes ist nicht nur eine "Maske", hinter der sich irgendein unpersönliches Dingsbums verbirgt, sondern Teil des göttlichen Wesens.

Diese Interpretation trägt dem biblischen Befund nicht ausreichend Rechnung. Das "Bild" eines selbstbewussten Wesens, welches sich aus der "Maske", dh der speziellen, an Menschen gerichteten Offenbarung ergibt, steht anderen Statements in der Bibel gegenüber, in denen die völlige Unerkennbarkeit/Fremdheit/Transzendenz Gottes betont wird:
Gottes Wesen ("an sich") ist uns unbekannt, aber er teilt sich uns personal mit. Diese Selbstmitteilung beginnt bereits mit der Schöpfung und erfährt im Auftreten Jesu Christi eine einmalige Verdichtung. "Amen" kommt von "aman", "glauben, festhalten", und im Gegensatz zum kontingenten Rest der Wirklichkeit ist im Kontext religiöser Erfahrungsvoraussetzungen diese Selbstoffenbarung Gottes das Einzige, was uns als feste Einsicht (hebr: binah) bleibt. Sie ist aber auf menschliche Empfänger zugespitzt; Gott offenbart sich als Immanuel, "Gott mit uns", nicht als "Gott an sich" - und es geht uns nichts an, ob Gott sich den Katzen und Hunden anders oder in gleicher Weise mitgetteilt - wenn überhaupt.

Myron hat geschrieben:Wenn du weiterhin glaubst, ich hätte dir eine "gefälschte" Theismus-Definition untergeschoben, dann weißt du einfach nicht, was der Theismus beinhaltet.

Ich unterstelle Dir keine gefälschten Definitionen, sondern ich konstatiere, dass Du mit einer unbrauchbaren, weil auf dogmatische Aspekte bezogene und auch noch empirisch widerlegten Definition operierst.

Myron hat geschrieben:Klar, die Sinne sind in verschiedenen Lebenssituationen verschiedentlich relevant. Zum Beispiel spielt der Geschmackssinn im Straßenverkehr keine Rolle.

Zu den Sinnen gehört auch ein ganz bestimmtes Denken. Das lässt sich neurophysiologisch sicherlich verorten.

Myron hat geschrieben: Aber es sind immer nur Sinne aus der Gruppe der natürlichen Sinne beteiligt und nie irgendein übernatürlicher "sechster" Sinn.

Muss ja auch nicht.

Myron hat geschrieben:"Hübners These ist, daß die
mythische Weltsicht auf einem axiomatischen System beruht, welches bestimmt, was als
Wirklichkeit erscheint – nicht anders, als es in der naturwissenschaftlichen Weltsicht der
Fall ist.

(Quelle: http://www.germlit.rwth-aachen.de/index ... 97&uid=433)

Eine kleine Anmerkung zum Zitat, das Hübners Position sonst ganz gut wiederzugeben scheint: Hübner betrachtet alle "Systeme" - dh wörtlicher: "Erfahrungsdimensionen" axiomatisch, indem er sie aus der metasprachlichen Außenperspektive beleuchtet.
Ein Glaubender würde (innenperspektivisch) niemals sagen: "Für meinen Glauben gelten die und die Axiome." - nur zur Klarstellung.

Myron hat geschrieben:Die mythische, d.i. pansymbolistisch-panpsychistisch-animistisch-theistische, Ausdeutung der Naturerscheinungen ist Ausdruck phantastischen Denkens.

Aus Deinem Urteil spricht der Glaube, in der empirischen Erkenntnis den Stein der Weisen gefunden zu haben. Dies ist nachweislich nicht der Fall.

Myron hat geschrieben:Sie ist naiv und primitiv.

Naiv ist der Glaube, dass mit Hilfe wissenschaftlicher Erkenntnis die objektive Wahrheit (in Bezug auf an sich Seiendes) ermittelt werden könne.

Myron hat geschrieben:Unseren Urahnen mache ich keinen Vorwurf, dass sie zu ihrer Zeit so dachten und wohl auch nicht anders denken konnten. Doch wenn ein Mensch im Jahre 2008 immer noch so denkt, dann entschuldige ich das nicht. Ich habe überhaupts nichts dagegen, wenn die alten Mythen als literarische Fiktionen wertgeschätzt werden; doch wenn sie als realistisch verkauft und auf dieselbe Stufe wie wissenschaftliche Theorien gestellt werden, erhebe ich Einspruch.

Ich stelle sie auch nicht auf dieselbe Stufe, denn das würde voraussetzen, dass man sie miteinander vergleichen könnte. Vielmehr sage ich, dass sie auch zu einer begehbaren Treppe gehören.

Myron hat geschrieben:
Fisherman's Fellow hat geschrieben:"Objektiv wahr" sind nur rein theoretische, formallogische Aussagen.


Nein!
Erstens ist das Wahrsein bzw. Falschsein einer Aussage nicht davon abhängig, ob wir es feststellen können;

Wo ist da der Widerspruch?

Myron hat geschrieben:und zweitens hat die Wissenschaft de facto die Wahrheitswerte einer Vielzahl von empirischen Aussagen erfolgreich ermittelt.
(Wir wissen z.B. heute, dass die Sonne sich nicht um die Erde dreht.)

Dein Beispiel zeigt sehr schön, wie sehr sich bestimmte Denkmodelle der Wissenschaft in den Hirnen der Menschen festgesetzt haben, so dass sie sie für "de-facto-Wahrheitswerte" halten: In jedem Atlas, in jedem diesbezüglichen Lehrbuch finden sich hübsche Zeichnungen oder am Rechner Simualtionen, die Dir das Modell als Wirklichkeit vorgaukeln, so dass Du daraus etwas in sich Unmögliches, nämlich empirisch gewonnene, wahre Aussagen über das an-sich-Seiende zusammenphantasierst.

Aber erst mal zu Deinem (in sich schon falschen) Beispiel: Ob sich die Erde um die Sonne oder die Sonne um die Erde dreht, ist abhängig vom Standpunkt des Betrachters: Von der Erde aus betrachtet dreht sich die Sonne um die Erde; von der Sonne aus gesehen ist es umgekehrt, wobei ich die Erde als Standpunkt aus klimatischen Gründen vorziehe.

Ich weiß zwar, was Du sagen willst: Du spielst darauf an, dass es doch physikalische Effekte gibt, die die Erde auf eine um die Sonne herum verlaufende Geodäte zwingen. Hinter dieser theoretischen Aussage verbergen sich allerdings eine ganze Latte von Prämissen/Axiomen, von denen man letztlich nicht wissen kann, ob sie stimmen; immerhin haben sie sich bewährt (--> Nutzen!!), und darum setzen wir auf ihre Vertrauenswürdigkeit.
Nun aber kommt der gemeine Schulbucheffekt: Aus dieser auf nützlicher Bewährung (und nicht auf objektivem Sein) beruhenden Theorie werden zwecks Wissensvermittlung Modelle entwickelt, die diese Theorie veranschaulichen sollen: Modelle, bei denen sich alle Planeten um die Sonne drehen - wobei aus didaktischen Gründen all die zugrunde liegenden physikalischen Kalküle wieder eingespart werden und nur noch eine geometrische Darstellung übrigbleibt. Und schon in der Schule können wir aufgrund dieses Bombardements von anschaulichen Visualisationen kaum anders als zu glauben: Dies - dass sich die Erde um die Sonne dreht, entspricht der "objektiven Realität". Steht im Physikbuch und kommt auch noch im Fernsehen - muss also objektiv wahr sein.
Nichtsdestoweniger ist diese - geometrische (!)- Aussage falsch.

Danke, das war ein hübsches Beispiel dafür, wie sich der Wissenschaftsglaube selbst mystifiziert.

Myron hat geschrieben:
Fisherman's Fellow hat geschrieben:Der Nutzen entscheidet in der Naturwissenschaft. Nicht der Wirklichkeitsbezug!


Nein! Das einzige, auf das es in der Wissenschaft ankommt, ist der Wirklichkeitsbezug bzw. der Wahrheitsgehalt ihrer Theorien.

Wirklichkeitsbezug und Wahrheitsgehalt sind zwei paar Schuhe. Der Wirklichkeitsbezug wird durch die empirische Bewährung von Theorien hergestellt, wobei niemals festgestellt werden kann, dass die Theorie wahr ist. Man kann allenfalls feststellen, dass sie noch nicht empirisch falsifiziert wurde. Wohlgemerkt: Wir bleiben bei alledem immer in der theoretischen Innenperspektive; über das Verhältnis zum "objektiven Sein" lässt sich nichts sagen.
"Wahrheitsgehalt" lässt sich nur innerhalb eines solchen Theoriegebäudes feststellen, dh: ich habe eine Rehe von Sätzen entwickelt, welche ich miteinander verknüpfe und auf ihre Widersprüchlichkeit o.ä. überprüfe. Dabei handelt es sich immer um Sätze, und niemals um "Welt".

Myron hat geschrieben:
Fisherman's Fellow hat geschrieben:
Myron hat geschrieben:Soweit ich weiß, geht der Buddhismus sehr wohl von einem kosmischen Kausalzusammenhang aller Dinge aus.

Nein. Maya! Das scheint nur so:

"(...) Richtig ist vielmehr die Interpretation im Sinne von Hansjörg Pfister17,
welche es erlaubt, die vermeintlich im frühen Buddhismus angesprochene Kausalität als Konditionalnexus (paticca-samuppada) zu enttarnen. Dadurch wird die Verwendung der Kausalität als ein philosophisches, an die Zeit gebundenes (und dadurch gerichtetes) Prinzip unnotwendig und kann durch ein Auftreten von (eventuell symmetrisch) vergemeinschafteten Erscheinungen ersetzt werden

(Roman Liedl, Die Buddhistische Leere aus moderner Sicht)


Der "Konditionalnexus" der buddhistischen Lehre von der abhängigen Entstehung (paticca-samuppada) ist ein kosmisches System kausaler Abhängigkeiten von Ereignissen, zumindest in folgendem Sinne: Wenn A eintritt, tritt B ein; und wenn A nicht eintritt, tritt B nicht ein.

Der von Dir vorgetragene Sinn ergibt keine Kausalität. Diese erfordert Ereignisse, die in zeitlicher Reihenfolge eintreten und sich gegenseitig bedingen müssen, und genau diese Einschränkung fehlt beim Buddhismus. Gerade der Anschein von kausalen Zwängen muss von einem Buddhisten auf seinem Pfad zur Leere des Nirvana überwunden werden.

Myron hat geschrieben:
Fisherman's Fellow hat geschrieben:Aber diese Aussagen beziehen sich nicht auf das Verhältnis zur Wirklichkeit, sondern auf die interne Stimmigkeit des naturwissenschaftlichen Theoriegebäudes.


Logische Kohärenz ist eine notwendige Voraussetzung, aber worauf es letztendlich ankommt, ist die Korrespondenz einer Theorie mit der Wirklichkeit.

Die Wirklichkeit erscheint in der Wissenschaft nur in theorieimmanenter Gestalt, dh abhängig von den Prämissen, die ich meinen Beobachtungssätzen vorgeschaltet habe: Ich weiß schon vor dem Versuch, dass mir der Thermometer keine 47 km liefern wird.

Myron hat geschrieben:Ein Theoriegebäude kann in sich vollkommen stimmig und trotzdem falsch sein.

Und es kann logisch stimmig sein, mit den Messdaten übereinstimmen, in der Praxis bewährt und trotzdem falsch sein.
Sein Wahrheitsgehalt lässt sich mit keiner Methode sicher feststellen.

Myron hat geschrieben:Du entwirfst ein Zerrbild der Wissenschaft, wenn du behauptest, ihr eigentlicher Gegenstand wäre nicht die Realität, sondern ihre Theorien der Realität.

Erstens ist das kein Zerrbild und zweitens ist der eigentliche Gegenstand der Wissenschaft nicht die Realität und sind auch nicht die Theorien der Realität, sondern der sich aus ihr ergebende praktische Nutzen.

Myron hat geschrieben:Im Mythos wird das Weltgeschehen allenthalben von personifizierten "numinosen" Mächten, sprich von göttlichen oder gottähnlichen Geistern, beeinflusst und gelenkt.
Wir wissen heutzutage, dass diese Sichtweise falsch ist!

Tsts ... dogmatisch und falsch noch dazu, da dieses Dein "Wissen" unbeweisbar ist.
Es ist schlicht irrational, von einem kontigenten, rationalen Standpunkt aus irgendwelche Erfahrungsvoraussetzungen in Frage zu stellen.

Myron hat geschrieben:Geschenkt, als eine soziale Institution ist die Physik freilich nicht vom Himmel gefallen.

Ihr Nutzen ist ihr gesellschaftlicher Kredit.

Grüßle,
FF
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