Fisherman's Fellow hat geschrieben:Jesus Christus "ist" das fleischgewordene Wort Gottes. ("Christus" steht für den kerygmatischen Aspekt, dh es bedeutet: "Jesus, insofern man ihn als Meister und Retter anerkennt und ihm nachfolgt".)
"
kerygmatisch", das Wort kannte ich noch gar nicht.
In der Christologie wird also zwischen einem historischen und einem kerygmatischen Jesus unterschieden. Letzterer ist dann der zu einer mythischen Gestalt verklärte reale Mensch Jesus.
Welchen wörtlichen Sinn Sätze wie "Jesus Christus ist das fleischgewordene Wort Gottes" eigentlich ergeben sollen, ist mir schleierhaft.
Fisherman's Fellow hat geschrieben:Diese Interpretation trägt dem biblischen Befund nicht ausreichend Rechnung. Das "Bild" eines selbstbewussten Wesens, welches sich aus der "Maske", dh der speziellen, an Menschen gerichteten Offenbarung ergibt, steht anderen Statements in der Bibel gegenüber, in denen die völlige Unerkennbarkeit/Fremdheit/Transzendenz Gottes betont wird:
Gottes Wesen ("an sich") ist uns unbekannt, aber er teilt sich uns personal mit. Diese Selbstmitteilung beginnt bereits mit der Schöpfung und erfährt im Auftreten Jesu Christi eine einmalige Verdichtung.
Die christliche Theologie ist im Kern durch und durch unlogisch.
Wenn Gott das unerkennbare "ganz Andere" ist, dann muss die Theologie schweigen und ihren Laden dichtmachen; doch das tut sie ja nicht.
Ein sich personal offenbarender Gott muss auch ein Person
sein. Alles andere ergibt überhaupt keinen Sinn.
Das ganze offenbarungstheologische Gerede setzt immer mehr oder weniger stillschweigend voraus, dass Gott ein selbstbewusstes, zielgerichtet handelndes Lebewesen ist. Indem du dies beharrlich leugnest, zerstörst du damit das Fundament deines eigenen Glaubens!
Fisherman's Fellow hat geschrieben:Aus Deinem Urteil spricht der Glaube, in der empirischen Erkenntnis den Stein der Weisen gefunden zu haben. Dies ist nachweislich nicht der Fall.
Wo kann ich den angeblichen Nachweis finden?
Fisherman's Fellow hat geschrieben:Naiv ist der Glaube, dass mit Hilfe wissenschaftlicher Erkenntnis die objektive Wahrheit (in Bezug auf an sich Seiendes) ermittelt werden könne.
Offenkundig bist du einer derjenigen, die sich von der Kant'schen "an sich"-Phrase haben verhexen und verwirren lassen.
Dabei ist die Sache im Grunde ganz einfach.
Hier noch einmal ein von mir schon dargebotenes Zitat:
"Does one need to defend the phrase 'as it is in itself', when one uses it in philosophy? I fear one does, for some think (incoherently) that it is somehow incoherent. Still, it is easy to defend. The supposition that reality is in fact a certain way, whatever we can manage to know or say about it, is obviously true. To be is to be somehow or other. Nothing can exist or be real without being a certain way at any given time. And the way something is just is how it is in itself.""Muss man die Phrase 'wie es an sich ist' verteidigen, wenn man sie innerhalb der Philosophie gebraucht? Ich fürchte, man muss, denn einige denken (unstimmigerweise), dass sie irgendwie unstimmig sei. Sie lässt sich dennoch leicht verteidigen. Die Annahme, dass die Wirklichkeit in einer bestimmten Weise beschaffen ist, was immer sich darüber erfolgreich wissen oder sagen lässt, ist offenkundig wahr. Sein heißt soundso oder anders sein. Nichts kann existieren oder real sein, ohne zu jeder Zeit in einer bestimmten Weise beschaffen zu sein. Und die Weise, wie etwas beschaffen ist, ist genau die Weise, wie es an sich ist." [meine Übers.]
(Strawson, Galen. "Real Materialism."
http://www.rdg.ac.uk/AcaDepts/ld/Philos ... homsky.htm)
Kurzum, An-sich-soundso-sein ist dasselbe wie Tatsächlich-soundso-sein.
Fisherman's Fellow hat geschrieben:Myron hat geschrieben:(Wir wissen z.B. heute, dass die Sonne sich nicht um die Erde dreht.)
Dein Beispiel zeigt sehr schön, wie sehr sich bestimmte Denkmodelle der Wissenschaft in den Hirnen der Menschen festgesetzt haben, so dass sie sie für "de-facto-Wahrheitswerte" halten: In jedem Atlas, in jedem diesbezüglichen Lehrbuch finden sich hübsche Zeichnungen oder am Rechner Simualtionen, die Dir das Modell als Wirklichkeit vorgaukeln, so dass Du daraus etwas in sich Unmögliches, nämlich empirisch gewonnene, wahre Aussagen über das an-sich-Seiende zusammenphantasierst.
Jeder halbwegs schlaue Mensch kennt den Unterschied zwischen einem Modell als einer Wirklichkeitsvorstellung und der Wirklichkeit selbst. Modelle können die Realität wahrheitsgetreu treffen oder sie teilweise oder ganz verfehlen.
Fisherman's Fellow hat geschrieben:Aber erst mal zu Deinem (in sich schon falschen) Beispiel: Ob sich die Erde um die Sonne oder die Sonne um die Erde dreht, ist abhängig vom Standpunkt des Betrachters: Von der Erde aus betrachtet dreht sich die Sonne um die Erde; von der Sonne aus gesehen ist es umgekehrt, wobei ich die Erde als Standpunkt aus klimatischen Gründen vorziehe.
Von der Erde betrachtet
scheint sich die Sonne um die Erde zu drehen; doch wir wissen ja mittlerweile, dass dieser Schein trügt.
Fisherman's Fellow hat geschrieben:Nun aber kommt der gemeine Schulbucheffekt: Aus dieser auf nützlicher Bewährung (und nicht auf objektivem Sein) beruhenden Theorie werden zwecks Wissensvermittlung Modelle entwickelt, die diese Theorie veranschaulichen sollen: Modelle, bei denen sich alle Planeten um die Sonne drehen - wobei aus didaktischen Gründen all die zugrunde liegenden physikalischen Kalküle wieder eingespart werden und nur noch eine geometrische Darstellung übrigbleibt. Und schon in der Schule können wir aufgrund dieses Bombardements von anschaulichen Visualisationen kaum anders als zu glauben: Dies - dass sich die Erde um die Sonne dreht, entspricht der "objektiven Realität". Steht im Physikbuch und kommt auch noch im Fernsehen - muss also objektiv wahr sein.
Nichtsdestoweniger ist diese - geometrische (!)- Aussage falsch.
Dem ptolemäischen Modell nach ist es wahr, dass sich die Sonne um die Erde dreht. Aber dieses Modell ist nachweislich in Wirklichkeit falsch. Und was einer falschen Theorie nach wahr ist, ist eben de facto falsch.
Du willst nicht ernsthaft behaupten, dass es falsch ist, dass sich die Sonne tatsächlich nicht um die Erde dreht, sondern umgekehrt, oder?!
Fisherman's Fellow hat geschrieben:Danke, das war ein hübsches Beispiel dafür, wie sich der Wissenschaftsglaube selbst mystifiziert.
Wie meinen?
Fisherman's Fellow hat geschrieben: Wohlgemerkt: Wir bleiben bei alledem immer in der theoretischen Innenperspektive; über das Verhältnis zum "objektiven Sein" lässt sich nichts sagen.
Doch, die Hauptaufgabe der Wissenschaft besteht in der Feststellung objektiver Tatsachen.
Und dazu gibt es betreffs der konkreten Wirklichkeit keine bessere und zuverlässigere Methode als die wissenschaftliche.
Fisherman's Fellow hat geschrieben:"Wahrheitsgehalt" lässt sich nur innerhalb eines solchen Theoriegebäudes feststellen, dh: ich habe eine Rehe von Sätzen entwickelt, welche ich miteinander verknüpfe und auf ihre Widersprüchlichkeit o.ä. überprüfe. Dabei handelt es sich immer um Sätze, und niemals um "Welt".
Du scheinst die kohärenztheoretische Auffassung des Wahrheitsbegriffs zu vertreten. Doch diese ist ungenügend. Denn Widerspruchsfreiheit allein garantiert nicht Richtigkeit. Eine widerspruchsfreie Theorie ist nur dann richtig, d.h. wirklichkeitsgetreu, wenn die Welt bzw. ein Teil davon tatsächlich so beschaffen ist, wie sie ihr zufolge beschaffen ist.
Fisherman's Fellow hat geschrieben:Die Wirklichkeit erscheint in der Wissenschaft nur in theorieimmanenter Gestalt, dh abhängig von den Prämissen, die ich meinen Beobachtungssätzen vorgeschaltet habe: Ich weiß schon vor dem Versuch, dass mir der Thermometer keine 47 km liefern wird.
Es ist völlig egal, ob ich vorab festlege, die Lufttemperatur eines Raumes in Celsius oder in Fahrenheit zu messen. In meinen Wohnzimmer sind es momentan 24°C bzw. 75,2°F.
Dass die Lufttemperatur in meinem Wohnzimmer momentan 24°C beträgt, ist ebenso eine objektive Tatsache wie dass die Lufttemperatur in meinem Wohnzimmer momentan 75,2°F beträgt. Dass den beiden Zahlenwerten unterschiedliche Maßsysteme zugrunde liegend, welche die physische Eigenschaft der Temperatur auf unterschiedliche Weise numerisch repräsentieren, ändert daran gar nichts. Das macht die Tatsachen der Welt mitnichten theorieabhängig; denn es sind nicht unsere Theorien, die bestimmen, ob sie bestehen oder nicht, sondern die Realität selbst.
Ich will an dieser Stelle John Searle zum Thema Begriffsrelativismus etwas ausführlicher zu Wort kommen lassen, da mir scheint, dass du wie viele andere daraus falsche Schlüsse ziehst:
"Die Idee der Begriffsrelativität ist alt und, wie ich glaube, korrekt. Jedes Klassifikations- oder Individuationssystem von Objekten, jedes Kategoriensystem zur Beschreibung der Welt, ja, jedes Repräsentationssystem überhaupt ist konventionell und insofern willkürlich. Die Welt teilt sich so auf, wie wir sie aufteilen, und wenn wir jemals geneigt sind zu glauben, dass unsere gegenwärtige Methode, sie einzuteilen, die richtige oder irgendwie unvermeidliche ist, können wir uns immer alternative Klassifikationssysteme ausdenken. (...) Weil jede wahre Beschreibung der Welt immer innerhalb irgendeines Vokabulars, in irgendeinem System von Begriffen gegeben werden wird, hat Begriffsrelativität die Konsequenz, dass jede wahre Beschreibung immer relativ auf ein System von Begriffen gegeben wird, das wir mehr oder weniger willkürlich für die Beschreibung der Welt ausgewählt haben. So charakterisiert scheint der Begriffsrelativismus vollständig wahr zu sein, ja geradezu platt." (S. 170f.)
"Man denke sich das Verhältnis von Realismus und Begriffsrelativismus etwa so:
Man nehme sich eine Ecke der Welt, zum Beispiel das Himalaya-Gebirge, und man denke es sich, wie es vor der Existenz menschlicher Wesen war. Nun stelle man sich vor, dass Menschen daherkommen und sich die Tatsachen auf vielfache verschiedene Weise repräsentieren. Sie haben verschiedene Vokabularien, verschiedene Systeme, sich Karten zu machen, verschiedene Systeme, Berge zu zählen, einen Berg, zwei Berge, denselben Berg usf. Als Nächstes stelle man sich vor, dass schließlich alle Menschen aufhören zu existieren, Was passiert nun mit der Existenz des Himalaya und all den Tatsachen hinsichtlich des Himalaya-Gebirges im Verlauf dieser verschiedenen Wechselfälle? Überhaupt nichts. Verschiedene Beschreibungen von Tatsachen, Objekten usf. kamen und gingen, aber die Tatsachen, Objekte usf. blieben unberührt. (Bezweifelt jemand das wirklich?)
Die Tatsache, dass alternative begriffliche Schemata verschiedene Beschreibungen derselben Wirklichkeit zulassen und dass es keine Beschreibungen der Wirklichkeit außerhalb aller begrifflichen Schemata gibt, hat nicht die geringste Auswirkung auf die Wahrheit des Realismus." (S. 174)
"Aus der Tatsache, dass eine Beschreibung nur relativ auf eine Menge linguistischer Kategorien gemacht werden kann, folgt nicht, dass die beschriebenen Tatsachen/Objekte/Sachvergalte etc. nur relativ auf eine Menge von Kathegorien bestehen können. Richtig verstanden ist Begriffsrelativismus eine Darstellung der Art und Weise, wie wir die Anwendungen unserer Ausdrücke festlegen. Was als eine richtige Anwendung des Ausdrucks 'Katze' oder 'Kilogramm' oder 'Canyon' (oder 'Klörg') zählt, hängt von unserer Entscheidung ab und ist insofern willkürlich. Aber wenn wir die Bedeutung swolcher Ausdrücke in unseren Vokabular durch willkürliche Definitionen einmal festgelegt haben, dann beruht es nicht länger auf irgendeiner Art Relativismus oder Willkür, ob repräsentationsunabhängige Eigenschaften der Welt diesen Definitionen genügen, weil die Eigenschaften der Welt, die den Definitionen genügen oder nicht, unabhängig von diesen oder anderen Definitionen existieren. Wir definieren das Wort 'Katze' willkürlich auf die und die Art; und nur relativ auf solche und solche Definitionen können wir sagen 'Das ist eine Katze'. Aber sobald wir einmal die Definitionen gemacht haben und sobald wir einmal die Begriffe relativ auf das Definitionssystem angewendet haben, ist es nicht länger willkürlich oder relativ, ob etwas unserer Definition genügt oder nicht. Dass wir das Wort 'Katze' in der Weise benutzen, wie wir es tun, liegt bei uns; dass es ein Objekt gibt, das unabhängig von diesem Gebrauch existiert und diesem Gebrauch genügt, beruht einfach auf einer (absoluten, immanenten, geistesunabhängigen) Tatsache. Im Gegensatz zu Goodman machen wir nicht 'Welten'; wir machen Beschreibungen, die auf die wirkliche Welt passen oder nicht. Aber all dies impliziert, dass es eine Wirklichkeit gibt, die unabhängig von unserem Begriffssystem existiert. Ohne eine solche Wirklichkeit gibt es nichts, auf das der Begriff angewendet werden kann." (S. 176)
(Searle, John R.
Die Konstruktion der gesellschaftlichen Wirklichkeit. Übers. M. Suhr. Reinbek: Rowohlt, 1997.)
Fisherman's Fellow hat geschrieben:Sein Wahrheitsgehalt lässt sich mit keiner Methode sicher feststellen.
"Die Wahrheit ist objektiv und absolut: Das ist die Idee, die Alfred Tarski gegen den Relativismus verteidigt hat. Aber wir können niemals ganz sicher sein, dass wir die Wahrheit, die wir suchen, gefunden haben. Wir dürfen die Wahrheit nicht mit der Sicherheit, mit ihrem sicheren Besitz verwechseln. Die absolute Wahrheit wird manchmal erreicht; die Sicherheit nie: Die Suche nach Sicherheit ist verfehlt; aber wir können unsere Theorien immer strenger überprüfen." (Popper, Karl R.
Objektive Erkenntnis. Ein evolutionärer Entwurf. Hamburg: Hoffmann und Campe, 1993. Vorwort zur 4. Aufl.)
Daraus, dass wir fehlbar sind, folgt nicht, dass wir immer fehlgehen und so stets die Wirklichkeit verfehlen!
Fisherman's Fellow hat geschrieben:Erstens ist das kein Zerrbild und zweitens ist der eigentliche Gegenstand der Wissenschaft nicht die Realität und sind auch nicht die Theorien der Realität, sondern der sich aus ihr ergebende praktische Nutzen.
Wahrheit und Nutzen sind zweierlei Sachen!
Fisherman's Fellow hat geschrieben:Es ist schlicht irrational, von einem kontigenten, rationalen Standpunkt aus irgendwelche Erfahrungsvoraussetzungen in Frage zu stellen.
In den Augen des pankritischen Rationalismus sind alle Voraussetzungen, alle Festsetzungen kritisierbar und gegebenenfalls revidierbar.
"Ein Rationalist wird charakterisiert als jemand, der alle seine Positionen—einschließlich der Standards, Ziele, Entscheidungen, sogar einschließlich seiner grundlegenden Weltanschauung—der Kritik offenhält; als jemand, der nichts vor der Prüfung und Kontrolle durch rationale oder irrationale Rechtfertigung schützt; als jemand, der keiner Instanz verpflichtet, an nichts gebunden ist."(Bartley, William Warren. "Rationalität." In
Handlexikon zur Wissenschaftstheorie, hrsg. v. Helmut Seiffert u. Gerard Radnitzky, 282-287. München: dtv, 1992. S. 286)
Das heißt, keine Theorie und kein Mythos sind sankrosankt und gegen Kritik immun.