Naturalismus ist Grundlage einer Religion

Re: Naturalismus ist Grundlage einer Religion

Beitragvon Nathan » Sa 1. Mär 2008, 17:28

Klaus hat geschrieben:@Nathan, deine ganze Argumentation erinnert mich an die Desiderata. Kommen deine Auffassungen daher? Es gibt ja unter den Calvinisten etliche die naturmystische Positionen beziehen, wohl auch aus der strikten Prädestination heraus.


Sorry, wer ist "Desiderata". Und naturmystische Positionen habe ich im Calvinismus noch nie (also wirklich noch nie) gesehen. Und was hat die Naturmystik mit der Prädestination zu tun? Ich verstehe absolut nichts...

:ka:

Gruß
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Re: Naturalismus ist Grundlage einer Religion

Beitragvon Nathan » Sa 1. Mär 2008, 17:30

ostfriese hat geschrieben:Nathan, sofern das, was Du schreibst, auf Naturalisten zutrifft (z.B., dass man naturwissenschaftliche Erkenntnisse für ethisch und lebenspraktisch relevant hält), hat es mit Religion nicht das geringste zu tun. Sofern es etwas mit Religion zu tun hat, trifft es auf Naturalisten nicht zu.

Zu Deinen übrigen Ausführungen habe ich keine Einwände.


Und was ist es, das auf Naturalisten nicht zutrifft aber auf Religion. Kannst du mir dazu ein Beispiel bringen?

Gruß
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Mystik

Beitragvon molosovsky » Sa 1. Mär 2008, 17:42

Zum längeren Eröffnungs-›Essay‹ dieses Thread schreib ich jetzt nix, denn dafür ist mir der dortige Versuch zu krude und durchwachsen.

Aber zum Begriff ›Mystik‹ (Mysterium = Geheimnis) wollt ich gern was loswerden.
Damit ist mitnichten eine ›Vereinigung mit Gott‹ gemeint. Ganz allgemein versteht man darunter das Bestreben danach, eine Zwiesprache, einen bewußtes Erleben oder Einswerden mit der fundamentalsten (sprich: alles umfassenden) Wirklichkeit oder spirituellen Wahrheit oder dem (plural) Göttlichem oder (monotheistisch) GOtt. — Als von den Künsten kommender Atheist kann ich da ganz platt entgegen: seit der Erfindung der Literatur im modernen Sinne und des Buchdrucks erlebten und erleben täglich Abermillionen von Menschen diesen Zustand, indem sie sich z.B. in ›absolute Erzählerstimmen‹ versenken, sprich Romane und Erzählungen und Lyrik genießen.

Insofern ist jeder Leser ein kleiner Mystiker und heutzutage ist die Sache um so spannender, weil es eben so viele unterschiedliche Geheimnisse und Ansichten zu ihnen gibt. Was die Weltpolitik und andere heiße Eisen der öffentlich geteilten Geheimnisse angeht, kann man neumodisch statt von Mysterien auch von Verschwörungstheorien reden. Mystik oder Cospirationen haben gemein, dass nur in sie Eingeweihte (Kraft gemeinsamer Zeichen) einander als Geheimniswissende erkennen.

Markant ist nun, wie man als Gruppe unterscheidet, welche Geheimnisse Humbug sind, und welche Geheimnisse wohl wahr sind. Wissenschaft ist nix anderes, als eine durch Praxis erlangte Methode der gegenseitigen Abstimmung der Aufdeckung von (Natur-)Geheimnissen. Die Sphäre der modernen Kunst ist der Wissenschaft ziemlich ähnlich, nur dass sie sich statt um die objektivierbaren Wahrheiten der äußeren Tatsachenwelt um die subjektiven Empfindungswahrheiten kümmern.

Institutionalisierte Religionen sind nun die für mich auf dieser meiner Karte schlicht traditionelle ›Stämme‹ mit historisch gewachsener und immer inne habender Macht, inkl. ihrer spezifischen Bräuche, Rituale und geteilten Schätzkästlein an mnemotechnischen Symbol- und Zeichen-Systemen, und diese Stämme verteidigen wie alle Besitzstandswahrer ihre Pfründe mit mehr oder minder zugänglichen Argumenten. Damit will ich den Religionen (weder den althergebrachten traditionellen a la Kirche, noch den flippigen modernen a la Ufos) in toto absprechen, dass sie ihr Quentchen Nutzen zum allgemeinen Stimmungswetterzauber beitragen können.

Wenn es aber um Politik und Gesellschaft geht, haben m.E. die Argumente möglichst klar, einsichtig und für möglichst alle nachvollziehbar zu sein.

Grüße
Alex / molo
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Re: Naturalismus ist Grundlage einer Religion

Beitragvon ostfriese » Sa 1. Mär 2008, 17:45

Nathan hat geschrieben:Und was ist es, das auf Naturalisten nicht zutrifft aber auf Religion. Kannst du mir dazu ein Beispiel bringen?

Hab ich doch weiter oben schon: Naturalisten fühlen im Gegensatz zu Religiösen keine Entfremdung von einer mütterlichen oder väterlichen Gesamtheit und folglich auch keine Sehnsucht, sich mit ihr (wieder) zu vereinigen. Dies ist kein angeborenes Bedürfnis, sondern anerzogen. Sigmund Freud in allen Ehren, aber mit einer "Heimkehr" hat selbst der männliche Sexualtrieb nichts zu tun. Natürliche Bedürfnisse nach Anerkennung oder Vereinigung sind immer auf ein beschränktes Ziel (den Fortpflanzungspartner, die Familie oder den sozialen Nahbereich), dagegen nie auf eine Gesamtheit gerichtet. Wenn Religiöse kontrafaktisch unterstellen, ein solches Bedürfnis sei allen Menschen gemeinsam, dann projizieren sie ein Resultat ihrer spezifischen Prägung auf andere.
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Re: Naturalismus ist Grundlage einer Religion

Beitragvon molosovsky » Sa 1. Mär 2008, 17:55

Ah Ostfreise und Nathan.

Diese ganze Entfremdung und Heimkehrkiste ist m.E. zu komplex, um hier eine ›so oder so‹-Entscheidung zu fällen.

Universell scheint mir tatsächlich zu sein, dass alle Menschen Sehnsüchte nach Geborgenheit hegen, und alle Menschen Entfremdungs-Belastungen empfinden. Der Mensch ist nun mal kein statisch Ding, sondern ein dynamisches Wesen und macht als solches eben Auf und Ab-Bewegungen bei seinem Gefühl des In-der-Welt-Seins durch (um die lustige Heidi-Heida-degger-Sprache zu persiflieren).

Ich hänge durchaus der Phantasie an, dass wir alle noch gewisse ›vegetative Körpererinnerungen‹ an unseren Aufenthalt in der Luxus-Suite Uterus haben, und in Zeiten der Belastung wieder dorthin zurückwollen (kein Kind lacht, wenn es auf die Welt kommt; das selber-Atmen-Müssen wird mit Protestgeschrei vergolten). — Aber schimpflich m.E. die Deutungshoheits-Zampanos, die aus solchen Koordianten große Irrlichter basteln.

Wie sich Entfremdung und Heimkehr im Einzelnen zeigen, differenziert sich zu sehr in Unterschiedliches aus. Es bleibt als Gemeinsames lediglich die allen gemeinsame Tendenz, oder um Ostfriese aufzugreifen: Veranlagung.

Grüße
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Re: Mystik

Beitragvon Myron » Sa 1. Mär 2008, 18:39

molosovsky hat geschrieben:Aber zum Begriff ›Mystik‹ (Mysterium = Geheimnis) wollt ich gern was loswerden.


"In the wide sense, let us say that a ‘mystical experience,’ is:

A (purportedly) super sense-perceptual or sub sense-perceptual experience granting acquaintance of realities or states of affairs that are of a kind not accessible by way of sense perception, somatosensory modalities, or standard introspection.
(...)
In the narrow sense, more common among philosophers, ‘mystical experience’ refers to a sub-class of mystical experience in the wide sense. Specifically it refers to:

A (purportedly) super sense-perceptual or sub sense-perceptual unitive experience granting acquaintance of realities or states of affairs that are of a kind not accessible by way of sense-perception, somatosensory modalities, or standard introspection."



"Lasst uns sagen, dass eine 'mystische Erfahrung' im weiten Sinne Folgendes ist:

Eine (vorgeblich) über- oder untersinnliche Wahrnehmungserfahrung, wodurch eine direkte Kontaktaufnahme mit Wirklichkeiten oder Sachverhalten zustande kommt, die derartig sind, dass ein Zugang zu ihnen über die Sinneswahrnehmung, die somatosensorischen Modalitäten oder die normale Introspektion nicht möglich ist.
(...)
Im engen, unter den Philosophen gebräuchlicheren Sinn, bezieht sich 'mystische Erfahrung' auf eine Unterklasse der mystischen Erfahrungen im weiten Sinn. Insbesondere bezieht es sich auf Folgendes:

Eine (vorgeblich) unter- oder übersinnliche vereinigende Wahrnehmungserfahrung, wodurch eine direkte Kontaktaufnahme mit Wirklichkeiten oder Sachverhalten zustande kommt, die derartig sind, dass ein Zugang zu ihnen über die Sinneswahrnehmung, die somatosensorischen Modalitäten oder die normale Introspektion nicht möglich ist."

[meine Übers.]

(http://plato.stanford.edu/entries/mysticism)

"Mystik (von, myô, schließen, nämlich die Augen, um in die Innenwelt sich zu versenken) ist die (vermeintliche) Erfassung des Übersinnlichen, Göttlichen, Transzendente (nicht durch die Sinne, nicht durch Vernunft, sondern) durch eigenartige innere Erfahrung, durch unmittelbare (intellektuelle) Intuition (s. d.), Contemplation (s. d.), gefühlsmäßiges Erleben, liebendes Erfassen im Zustande der Ekstase (s. d.); Streben nach Versenkung in die Tiefen des eigenen Gemüts, um so der Vereinigung mit dem göttlichen Sein (»unio mystica«) auf unbegreifliche, geheimnisvolle Weise teilhaftig zu werden; die mystische Lehre, das mystische Verhalten."
(http://www.textlog.de/4495.html)
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Re: Naturalismus ist Grundlage einer Religion

Beitragvon molosovsky » Sa 1. Mär 2008, 20:22

Fein mit Zitaten (und mit richtigerer Etymologie) ergänzt, Myrnon.

Also: Mystik ist, wenn man die Klappe hält und sich mit geschlossenen Augen versenkt, bis die Lampe der Erleuchtung angeht.

Heißt es nicht, dass entsprechend gewonnenes ›Wissen‹ mit Sprache nicht wirklich wiederzugeben ist? Da bleibt übrig, entweder wissend besagte Klappe zu halten, oder mit geschickter, anregender ›Phantastik‹ anderen einen inspirativen Hauch zu wispern, auf dass sie sich selber aufmachen um mystische Einsichten zu erleben, oder eben dem harten steinigen Weg der Erkenntnis-Abgleichung zu gehen (schnatter schnatter).

Grüße
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Re: Naturalismus ist Grundlage einer Religion

Beitragvon Nathan » Sa 1. Mär 2008, 21:00

Die mystische Erfahrung ist sicher am Faszinierendsten, aber Mystik ist nicht nur Erfahrung sondern auch Lehre. Wenn Meister Eckhart keine mystischen Erfahrungen hatte, war er dennoch Mystiker und lehrte dann beispielsweise die Einheit mit Christus als Ziel des christlichen Glaubens. Und dieses Ziel kann u.U. in einer besonderen Erfahrung erlebt werden, aber auch die tatsächliche Einheit ist in der Mystik nicht nur die Ekstase, auch wenn die für einen starken Eindruck auf Menschen hinterlässt, sondern war für ihn meines Wissens keine kognitive Ausnahmeerscheinung sondern eine Form des Glaubens.

Was die Naturmystik angeht, halte ich solche Erfahrungen wie die unio mystica durch intensive Beschäftigung mit den Grundgedanken für möglich. Aber ihre Lehre ist viel weiter verbreitet als diese Formen der intensiven Betätigung.

Dass diese Lehre notwendigerweise geheim ist, legt das Wort zwar scheinbar nahe, aber wie das Zitat von Myron schon zeigt, geht es zunächst nur um die Enthobenheit der alltäglichen Erfahrung. Gleichzeitig kann Mystik im großen Stil gelehrt und verbreitet werden (wie man an der regen Predigttätigkeit eines Meister Eckhart beispielsweise sehen kann). Weder Religion im allgemeinen Sinn noch Mystik im besonderen lassen sich sinnvoll als Geheimbünde klassifizieren. Dies würde bedeuten, dass der Unterschied zwischen innen und außen in (Geheim-)Wissen und Nichtwissen besteht. Aber tatsächlich verläuft die Grenze zwischen Glauben und Nichtglauben (auch der Teufel weiß übrigens von Gott). Die Lehre der Naturmystik wäre mir beispielsweise bekannt, aber ich glaube ihrer Lehre trotzdem nicht.

Die Mystik ist allerdings nicht so banal, dass jedes Lesen schon einer mystischen Erfahrung gleichkäme, denn es gehört ebenfalls zur Mystik, dass man den Kontakt zu dem Eigentlichen sucht, also der Wirklichkeit hinter der alltäglichen Erfahrung, die man wirklich für die Wirklichkeit hält und in die man sich nicht nur für eine Weile versinken lässt. Der Mystiker hat daher sogar den Eindruck, nicht entrückt zu sein, sondern ganz besonders klar zu erkennen und zu verstehen und die Welt so zu sehen, wie sie "wirklich" ist, und nicht wie sie dem alltäglichen Eindruck nach zu sein scheint.

Gruß
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Re: Naturalismus ist Grundlage einer Religion

Beitragvon molosovsky » Sa 1. Mär 2008, 21:17

Unter ›Einheit mit Christus‹ kann ich mir nix vorstellen (außer was Schweinisches) und ich hab mich mit Exerzitien beschäftigt.

Dass auf mein Einbringen der weltlichen Romanlektüre ein ›banal!‹ retour kommt, hab ich schwer geahnt, Nathan.

So ist das mit der Innenwelt und den dort geschauten und erlebten höheren Erkenntissen: nennt einer sie nicht bei den Begriffen, die vom jeweils bevorzugten Deutungshoheits-Amt abgesegnet wurden, dann darf man diese Erkenntnisse als banal abtun.

Grüße
Alex / molo, der seine prägenden mystischen Einheits-Erlebnisse mit Quasimodo, Claude Frollo und Esmeralda, Adson von Melk, William von Baskerville, der Weißen Rose und dem Ewigen Helden hatte, aber in der Bibel kaum mehr fand als einen Haufen Kuriositäten.
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Re: Naturalismus ist Grundlage einer Religion

Beitragvon molosovsky » Sa 1. Mär 2008, 21:22

Als alter Schopenhauerianer bin ich ja der Ansicht, dass zu erkennen wie die Welt tatsächlich tickt, eben NICHT glücklich macht, weshalb man als sensibler und / oder schlauer Mensch beizeiten anfangen sollte, sich in den Künsten der Melancholia zu üben.

Grüße
Alex / molo
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Re: Naturalismus ist Grundlage einer Religion

Beitragvon Nathan » Sa 1. Mär 2008, 21:47

molosovsky hat geschrieben:Dass auf mein Einbringen der weltlichen Romanlektüre ein ›banal!‹ retour kommt, hab ich schwer geahnt, Nathan.

So ist das mit der Innenwelt und den dort geschauten und erlebten höheren Erkenntissen: nennt einer sie nicht bei den Begriffen, die vom jeweils bevorzugten Deutungshoheits-Amt abgesegnet wurden, dann darf man diese Erkenntnisse als banal abtun.


Also das "Deutungshoheitsamt" waren in diesem Fall einfach ein paar ziemlich liberale (auch nicht-christliche) Lexika. Ich wollte auch gar nicht deine Erlebnisse in Frage stellen, sondern habe nur bestritten, dass jedes Lesen einer mystischen Erfahrung gleichkommt. Und das finde ich nach wie vor übertrieben. Nicht, weil meine Religion mir verbieten würde, unter "Mystik" etwas anderes zu verstehen, sondern weil der Begriff meines Erachtens dann schlicht überdehnt wird.
Ich selbst bin übrigens kein Mystiker, auch kein christlicher.

Gruß
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Re: Naturalismus ist Grundlage einer Religion

Beitragvon ostfriese » Sa 1. Mär 2008, 22:22

Außergewöhnliche Bewusstseinszustände sind kein Privileg von Mystikern, Religiösen oder Drogensüchtigen. Naturalisten würden allerdings nicht auf die Idee kommen, solche Erfahrungen als unmittelbares Wirklichkeitserleben zu missdeuten. Das beliebte "Alles-ist-eins"-Gefühl rührt lediglich von einer partiellen oder totalen Aufhebung der sonst den Wachzustand dominierenden Ich-Ilusion bzw. von einer Erweiterung des Bewusstseins, welche uns die dramatische Riesenhaftigkeit und Lebendigkeit unserer Innenwelt erahnen lässt.
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Re: Naturalismus ist Grundlage einer Religion

Beitragvon Myron » So 2. Mär 2008, 02:50

molosovsky hat geschrieben:Also: Mystik ist, wenn man die Klappe hält und sich mit geschlossenen Augen versenkt, bis die Lampe der Erleuchtung angeht.


Mystische Literatur ist ja eigentlich ein Widerspruch in sich, da es sich dabei um den Versuch des Aussprechens des Unaussprechlichen handelt.
Für mich ist sie auf illusorischen Erfahrungen basierende metaphysische Poesie.
Als solche hat sie ihren kulturellen Wert, aber nicht als vermeintlich wirklichkeitsgetreue Wiedergabe realer Bekanntschaften ("Einswerdungen") mit dem Übersinnlich-Übernatürlichen oder Göttlichen.
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Re: Naturalismus ist Grundlage einer Religion

Beitragvon Myron » So 2. Mär 2008, 02:56

ostfriese hat geschrieben:Außergewöhnliche Bewusstseinszustände sind kein Privileg von Mystikern, Religiösen oder Drogensüchtigen. Naturalisten würden allerdings nicht auf die Idee kommen, solche Erfahrungen als unmittelbares Wirklichkeitserleben zu missdeuten.


Jeder psychisch Kranke erlebt und erleidet außergewöhnliche Bewusstseinszustände.

Aus "Mir scheint, dass ich mit etwas Übersinnlich-Übernatürlichem in Kontakt stehe" folgt freilich nicht "Es ist tatsächlich so, dass ich mit etwas Übersinnlich-Übernatürlichem in Kontakt stehe".
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Re: Naturalismus ist Grundlage einer Religion

Beitragvon Myron » So 2. Mär 2008, 03:03

molosovsky hat geschrieben:Als alter Schopenhauerianer bin ich ja der Ansicht, dass zu erkennen wie die Welt tatsächlich tickt, eben NICHT glücklich macht, weshalb man als sensibler und / oder schlauer Mensch beizeiten anfangen sollte, sich in den Künsten der Melancholia zu üben.


Leider ist es in der Tat nicht so, dass die realistische Einstellung per se glücklich macht.

REALITY IS MURDER! :kettensaege2:

(Zum Glück bin ich längst Doktor der Melancholie: Dr. mel. ...)
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Re: Naturalismus ist Grundlage einer Religion

Beitragvon Nathan » Mo 3. Mär 2008, 11:26

ostfriese hat geschrieben:Außergewöhnliche Bewusstseinszustände sind kein Privileg von Mystikern, Religiösen oder Drogensüchtigen. Naturalisten würden allerdings nicht auf die Idee kommen, solche Erfahrungen als unmittelbares Wirklichkeitserleben zu missdeuten. Das beliebte "Alles-ist-eins"-Gefühl rührt lediglich von einer partiellen oder totalen Aufhebung der sonst den Wachzustand dominierenden Ich-Ilusion bzw. von einer Erweiterung des Bewusstseins, welche uns die dramatische Riesenhaftigkeit und Lebendigkeit unserer Innenwelt erahnen lässt.


Also das verstehe ich jetzt aber überhaupt nicht: wenn du sagst, dass Naturalisten nicht auf die Idee kommen, "solche Erfahrungen als unmittelbares Wirklichkeitserleben zu missdeuten", wieso sprichst du denn dann von einer "Ich-Illusion bzw. von einer Erweiterung des Bewusstseins"? Damit erklärst du doch diese erlebte Einheit eben doch zur Wirklichkeit, oder?

Gruß
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Re: Naturalismus ist Grundlage einer Religion

Beitragvon Nathan » Mo 3. Mär 2008, 11:30

Myron hat geschrieben:Mystische Literatur ist ja eigentlich ein Widerspruch in sich, da es sich dabei um den Versuch des Aussprechens des Unaussprechlichen handelt.
Für mich ist sie auf illusorischen Erfahrungen basierende metaphysische Poesie.
Als solche hat sie ihren kulturellen Wert, aber nicht als vermeintlich wirklichkeitsgetreue Wiedergabe realer Bekanntschaften ("Einswerdungen") mit dem Übersinnlich-Übernatürlichen oder Göttlichen.


Letztlich ist es eine Frage um Begriffe, aber auch hier wäre es eine sehr eigenwillige Verwendung des Begriffes "Mystik", weil man der ganzen mystischen Literatur ihre Zugehörigkeit zur Mystik abspricht, nur weil sie keine "wirklichkeitsgetreue Wiedergabe realer Bekanntschaften ("Einswerdung") mit dem Übersinnlich-Übernatürlichen oder Göttlichen" ist.
Mystische Literatur gibt es ebenso wie die Lehre von Mystikern. Wäre das nicht so, könnten sich ohnehin nur Menschen mit mystischen Extremerfahrungen darüber unterhalten.
Nur weil jemand also die gewünschte unio mystica nicht erreicht, heißt das noch nicht, dass er kein Mystiker ist, so wie ein Buddhist auch dann Buddhist bleibt, wenn er sein Leben lang vergeblich auf eine Erleuchtung wartet.

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Re: Naturalismus ist Grundlage einer Religion

Beitragvon Nathan » Mo 3. Mär 2008, 11:36

Myron hat geschrieben:Aus "Mir scheint, dass ich mit etwas Übersinnlich-Übernatürlichem in Kontakt stehe" folgt freilich nicht "Es ist tatsächlich so, dass ich mit etwas Übersinnlich-Übernatürlichem in Kontakt stehe".


Diese Erfahrungen spielen übrigens in vielen Ausprägungen des Christentums genau aus diesem Grund auch keine Rolle. Für Mystiker aber i.d.R. schon. Für die Naturmystik dürfte sie zumindest sehr willkommen sein, weil es hier keine Offenbarung gibt, sondern der Erkenntnisgewinn über die Entwicklung des Gefühlslebens, der Innenschau und das Nachdenken erreicht wird.

Gruß
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