Ersatzreligionen

Re: Ersatzreligionen

Beitragvon stine » Di 2. Aug 2011, 13:18

ganimed hat geschrieben:Geh ins Dorf und hol geeignetere Argumente.
In allen Dörfern, die ich kenne, ist die Bevölkerung noch viel religiöser, als es durchschnittlich in den größeren Städten der Fall ist. In den Dörfern herrschen noch Traditionen und es gibt wenig Nichteinheimische, wenn überhaupt, deshalb ist das nicht vergleichbar mit der Großstadt.
1von6,5Milliarden hat geschrieben:Ein humanistisches Gymnasium z. B. ist kein Gymnasium welches die Werte des Humanismus' vermittelt sondern einfach eine Schulform die sich (ursprünglich) gerne auf das klassische Altertum, die Antike bezieht und deshalb Latein und Altgriechisch bevorzugt unterrichtet. Andere Ausprägungen der Gymnasien wären neusprachlich oder mathematisch-naturwissenschaftlich.
Das ist schon klar, weil der Humanismus als solches eben keine Werte zu vermitteln hat. Und genau davon spreche ich die ganze Zeit.
1von6,5Milliarden hat geschrieben:Die Gegend macht es eher, nicht die Schulform. Und aber auch die Schulleitung, ganz unabhängig von einer religiösen Ausrichtung.
Und genau in den Gegenden wo es Probleme gibt, wäre eine Schule, die auch auf das Verhalten der Schüler Einfluss nimmt besonders notwendig. Und Schulleiter, die eher der sozialdemokratischen Seite angehören lassen es besonders gerne schleifen. :wink:
1von6,5Milliarden hat geschrieben:Klerikale Schulen wie auch andere Privatschulen suchen sich ihre Schüler schon aus, da herrscht gerne noch (Un)Zucht und Ordnung, egal ob katholisch, waldörflerisch oder säkular.
Umso wichtiger ist es doch, auch auf öffentliche Schulen Einfluss zu nehmen, damit sich die Gesellschaft nicht noch mehr spaltet. Die Flucht des Großbürgertums auf Privatschulen ist ungebrochen und war noch nie so groß wie heute, das wird schon seine Gründe haben, ganz egal, ob ich das halbwissenschaftlich sehe oder nicht.
ganimed hat geschrieben:stine, dann bist du also eigentlich eher der Meinung, dass wir noch viel mehr Religion brauchen? Dass es also hauptsächlich an der Säkularisierung liegt, wenn in Schulen Missstände aufkommen?
Wir brauchen nicht mehr Religion, wir brauchen einen Ersatz, wenn wir sie langsam einschlafen lassen. (Ich kann diesen Satz gerne gebetsmühlenartig in Xanders Argumentationssoftware einbauen, wenn diese erst mal angegangen wird :schlafen: )
Es liegt nicht an der Säkularisierung an sich, sondern an der Lücke die entsteht, wenn auf Werte nicht mehr eingegangen wird und menschliches Verhalten keinerlei Regeln mehr unterworfen ist. Man kann sich nicht darauf verlassen, dass alles schon automatisch funktionieren wird. Juristische Sanktionen sind kein Ersatz für eine Verhaltenslehre.
ganimed hat geschrieben:Das nenne ich mal eine coole Meinung hier im Brights-Forum.
Wo sonst, würde man darüber nachdenken wollen? Gerade der Naturalist, sofern er nicht nur Naturalist ist, weil er Religionen hasst, müsste erkennen, dass natürliches Verhalten immer animalisch egoistisch ist, des Menschen Natur aber darüber hinaus, auch eine geistige Erfüllung sucht.

Prinzipiell könnte ich mir die Flucht in die Philosophie als eine gute Alternative vorstellen. Eine Analyse menschlichen Verhaltens über Jahrhunderte, anhand überlieferter Schriften (jeglicher coleur) und daraus resultierend einen Verhaltenskodex für heute erarbeiten, diesen aber auch bei den Schülern einfordern.

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Re: Ersatzreligionen

Beitragvon Arathas » Di 2. Aug 2011, 13:20

stine hat geschrieben:Prinzipiell könnte ich mir die Flucht in die Philosophie als eine gute Alternative vorstellen. Eine Analyse menschlichen Verhaltens über Jahrhunderte, anhand überlieferter Schriften (jeglicher coleur) und daraus resultierend einen Verhaltenskodex für heute erarbeiten, diesen aber auch bei den Schülern einfordern.


Gute Idee! Das ganze könnte man dann Ethik nennen. :^^:

Ach, moment. Gibt's das nich schon ...? :mg:
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Re: Ersatzreligionen

Beitragvon stine » Di 2. Aug 2011, 13:25

Ja, das gibt es schon, wird aber 1. nur halbherzig angeboten und ist 2. in etwa so was, wie der Wehrersatzdienst. Wenn es das Fach Religion nicht mehr gibt, dann entfällt auch der Ethikunterricht, vermute ich mal...

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Re: Ersatzreligionen

Beitragvon mat-in » Di 2. Aug 2011, 14:08

Und auf einem Sprachlichen Gymnasium werden dann Französische und russische Gesellschaftswerte vermittelt? :lachtot:
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Re: Ersatzreligionen

Beitragvon 1von6,5Milliarden » Di 2. Aug 2011, 14:22

Vergiss es, stine redet sich immer irgendwie raus.

Und Ethik ist (vorallem im schwarzen Bayern) nur so halbherzig umgesetzt, weil die schwarzen Katholen dafür gesorgt haben, eine vernünftige und sinnvolle Unterrichtsentwicklung verhindert haben.
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Re: Ersatzreligionen

Beitragvon Gernot Back » Di 2. Aug 2011, 15:21

Hallo Stine!

stine hat geschrieben:Das ist schon klar, weil der Humanismus als solches eben keine Werte zu vermitteln hat. Und genau davon spreche ich die ganze Zeit.

Wie kommst du denn auf diese Idee? Mir fällt im Gegenteil keine Religion ein, die irgendwelche Werte zu vermitteln hätte! Es sei denn man hielte Fremdbestimmung für einen Wert!

Der Humanismus steht demgegenüber für Selbstbestimmtheit; selbstbestimmtes Leben, selbstbestimmten Glauben, selbstbestimmte Sexualität und Partnerwahl, selbstbestimmte Schwangerschaft, selbstbestimmtes Sterben; mit einem Wort: eben für all das, wofür Religionen gerade nicht stehen.

Die Binsenwahrheit "Was du nicht willst, das man dir tu, das füg auch keinem anderen zu!" ist auch keine religiöse Erfindung, sondern eine ethische Universalie der Menschheit.

Nimm doch spaßeshalber einfach mal die zehn Gebote aus der Bibel, Stine: Welches davon stellt einen besonderen Wert dar, wenn es sich nicht aus dieser einen Binsenweisheit ableiten lässt? Nenne mir eines, nur ein einziges! Selbst die Gebote, die darüber hinaus auf Jesus zurückgehen sollen ("Liebe deinen Nächsten wie dich selbst", "Wenn dich einer auf die linke Wange schlägt, " etc.) zeugen nur von absoluter Weltfremdheit und Selbstverleugnung. Worin soll da der Wert bestehen? Zu Recht hält die moderne Psychologie derlei "Werte" im Gegenteil für therapiebedürftig!

Gruß Gernot
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Re: Ersatzreligionen

Beitragvon 1von6,5Milliarden » Di 2. Aug 2011, 16:19

Gernot Back hat geschrieben:Es sei denn man hielte Fremdbestimmung für einen Wert!
Natürlich ist dies ein Wert. Was du machst ist eine subjektive Wertung der Werte.
Machismus, Homophobie, Rassismus uvm. sind auch Werte und auch Werte die gerne mit einer Religion (aber in keiner Richtung zwangsweise verkoppelt) vermittelt werden. Nur weil diese Werte eventuell dir und/oder mir nicht gefallen (nicht gefallen ist eine Wertung) sind es nicht doch Werte.
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Re: Ersatzreligionen

Beitragvon stine » Di 2. Aug 2011, 22:39

Gernot Back hat geschrieben:Der Humanismus steht demgegenüber für Selbstbestimmtheit; selbstbestimmtes Leben, selbstbestimmten Glauben, selbstbestimmte Sexualität und Partnerwahl, selbstbestimmte Schwangerschaft, selbstbestimmtes Sterben; mit einem Wort: eben für all das, wofür Religionen gerade nicht stehen.
Es ist egal, für was der Humanismus steht. Der Humanismus ist kein Schulfach, @Gernot.

1von6,5Milliarden hat geschrieben:Vergiss es, stine redet sich immer irgendwie raus.
Ich rede mich immer rein, @1von6,5Mrd.
:wink:

Manchmal kommt mir vor, als ob meine Worte sogar erhört werden. Man scheint jetzt auch offiziell erkannt zu haben, dass das Handwerk mehr vor späterer Arbeitslosigkeit schützt, als ein Studium. Ob die das hier von mir gelesen haben?

:mg: stine
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Re: Ersatzreligionen

Beitragvon 1von6,5Milliarden » Mi 3. Aug 2011, 07:02

stine hat geschrieben:Manchmal kommt mir vor, als ob meine Worte sogar erhört werden. Man scheint jetzt auch offiziell erkannt zu haben, dass das Handwerk mehr vor späterer Arbeitslosigkeit schützt, als ein Studium. Ob die das hier von mir gelesen haben?
Ich will dir ja nicht weh tun, aber ich glaube dein Beitrag zu dieser "neuen" Erkenntnis dürfte jetzt nicht alleine ausschlaggebend gewesen sein. Aber fast. :mg:
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Re: Ersatzreligionen

Beitragvon Darth Nefarius » Di 22. Nov 2011, 18:05

Ich denke, dass man erstmal feststellen muss, was eine Ersatzreligion überhaupt ersetzen sollte, oder was die zu erfüllenden Bedürfnisse sind:
1.Unsterblichkeit (denn man will ja nicht sterben, oder kann es sich schlichtweg nicht vorstellen tot zu sein).
2.Friede, Freude,Eierkuchen
3.Einen Typen, der dir sagt, was du tun sollst und dich ggf. belohnt mit obigem (unter Umständen der "Sinn").
4.eine Erklärung der Welt, sodass sie jeder versteht, egal, wie logisch und fundiert diese Erklärung ist.
Ich denke, dass ein solcher Ersatz nicht besser als eine "tatsächliche" Religion ist. Vielmehr muss der Mensch lernen, was er warum will und vielleicht die Sinnlosigkeit, Unerfüllbarkeit, oder Gefahr dieser Bedürfnisse zu verstehen und evtl. sie zu überwinden. :kopfwand:
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Re: Ersatzreligionen

Beitragvon ganimed » Di 22. Nov 2011, 19:15

Darth Nefarius hat geschrieben:1.Unsterblichkeit (denn man will ja nicht sterben, oder kann es sich schlichtweg nicht vorstellen tot zu sein)

Ich glaube, die meisten Menschen wollen eigentlich doch keine Unsterblichkeit. Ich diskutierte in einem anderen Forum mal, wie schön es doch wäre, wenn wir 500 Jahre Lebenserwartung hätten. Die meisten wollten das nicht und fürchteten, dass dies zu öder Langeweile führen würde. Ich glaube inzwischen, dass der Mensch einfach nur Angst hat vor dem Tod und den Gedanken nicht mag, dass das alles sinnlos sein soll.
Ein Religionsersatz müsste also die Angst vor dem Tod nehmen und ihnen die Sinnlosigkeit schmackhaft machen. Und das geht mit dem Naturalismus. Sinnlosigkeit befreit nämlich und man darf sich dann einen temporären, nicht ganz so wichtig zu nehmenden eigenen Sinn selbst suchen. Eigentlich eine schöne Sache. Und die Angst vor dem Tod könnte man, so überlege ich manchmal, durch mehr Beschäftigung damit sicher auch mindern. Tod dürfte halt irgendwie kein Tabuthema mehr sein.

Darth Nefarius hat geschrieben:2.Friede, Freude,Eierkuchen

Das würde ich übersetzen mit dem Bedürfnis, religiöse Gemeinschaft zu erleben. Das ist nicht ganz so einfach zu ersetzen. Man braucht allgemein akzeptierte Rituale und Traditionen. Das gemeinsame Hinsetzen, über Sinnfragen nachdenken, singen, musizieren, Erbauliches genießen. Da fallen mir am ehesten noch Pop-Konzerte oder das Fußballstadion ein. Gemeinsam Singen und Mitgröhlen, Rituale ausführen und sich verbunden fühlen in Freud und Leid.

Darth Nefarius hat geschrieben:3.Einen Typen, der dir sagt, was du tun sollst und dich ggf. belohnt mit obigem (unter Umständen der "Sinn").

Ich vermute eher, dass jeder eigentlich schon sehr genaue Vorstellungen davon hat, was gut und richtig ist. Man möchte das höchstens noch mit den anderen, mit der Gesellschaft, mit dem etablierten Ansichten abgleichen und sich bestätigt fühlen. Solide Werte, mit denen sich jeder identifizieren kann und ein paar kluge Ratschläge für den Alltag, das gibt es in tausenden Ratgeber-Büchern und Ratgeber-Sendungen. Da ist die Religion schon sehr gut ersetzt. An dieser Stelle finde ich deshalb das Gefasel von christlichen Werten als Kompass für irgendwas einfach nur nervend. Großer Unsinn.

Darth Nefarius hat geschrieben:4.eine Erklärung der Welt, sodass sie jeder versteht, egal, wie logisch und fundiert diese Erklärung ist.

Eine Erklärung wie genau die Welt funktioniert wird vom Pfarrer niemand mehr erwarten, da hat die Wissenschaft ihren Hoheitsanspruch längst durchgesetzt. Ich glaube, im Glauben geht es eher um eine Erklärung, wie und warum die Welt entstanden ist und woher wir kommen. Und das ist wiederum nur die Frage nach dem Sinn. Und da kann es keinen wirklichen Ersatz geben. Ich sehe jedenfalls keinen. Ein großer Sinn hinter allem, den gibt es eben einfach nicht. Da muss man ersatzlos streichen und umschwenken auf den individuellen Lebenssinn für jeden einzelnen.

Als Fazit ergibt sich für mich ein Rezept, wie ein Gläubiger gottlos wird, in nur drei Schritten:
1) Mehr über den Tod nachdenken und Hospize besuchen. Und den Film "Hunde, wollt ihr ewig leben" auswendig lernen.
2) Sich selbst einen Lebenssinn definieren und ansonsten die Sinnlosigkeit als Befreiung sehen.
3) Jeden Samstag ins Fußballstadion gehen statt Sonntags in die Kirche. Bier und Bratwurst statt Messwein und Oblate.
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Re: Ersatzreligionen

Beitragvon mat-in » Di 22. Nov 2011, 19:48

Ich denke beim "sich selbst was definieren" scheitert es bei den allermeisten. Ein Teil kann das nicht leisten und ein Teil der Leute die es könnten will es nicht... daher hab ich hier ja über was vorgefertigtes nachgedacht...
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Re: Ersatzreligionen

Beitragvon Teh Asphyx » Di 22. Nov 2011, 19:52

Zu der Sache mit der Unsterblichkeit, da hatte ich in diesem Jahr so eine Art Eingebung, wo mir klar wurde, dass eigentlich eben gerade ein Bedürfnis nach dem Versprechen der Sterblichkeit da ist und deswegen der Jenseitsgedanke in Religionen auch so gut ankommt.
Ich hatte da auf einmal das Bild im Kopf, ich würde einfach durch die Leere fallen, es wäre nichts um mich herum, auch kein Boden irgendwo, auf dem ich aufschlagen könnte, einfach nur ein ständiges Fallen in der Leere. Es war eine sehr beängstigende Vorstellung. Das einzige, was da die Angst nimmt, ist die Aussicht auf einen Boden, auf den man irgendwann aufschlagen kann, damit dieses ewigen Fallen in der Leere irgendwann vorbei ist. Das Ganze ist natürlich als Analogie zu verstehen. Ich denke aber, das trifft es ganz gut.
Die Angst vor dem Tode ist nicht die Angst davor, dass es vorbei ist, sondern die Angst vor einem andauernden unerträglichen Zustand, den man einfach nicht mehr beenden kann.
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Re: Ersatzreligionen

Beitragvon Nanna » Di 22. Nov 2011, 20:11

Interessante Sichtweise. Ich finde es etwas bedauerlich, irgendwann mal sterben zu müssen. Es gibt so viel zu erleben und so viele Fragen, auch prinzipiell beantwortbare, die ich mir mangels Zeit nicht vornehmen können werde. Außerdem interessiert es mich einfach brennend, wie es mit dieser Welt hier weitergehen wird. Da Sterben ist da irgendwie eine unbefriedigende Zwangsunterbrechung. 500 Jahre Lebenserwartung fände ich total spannend, ich bin ganz ehrlich verwundert, dass anscheinend doch vielen mit der Zeit die Ideen ausgehen. Ich hoffe, das geht mir im Alter nicht ähnlich.
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Re: Ersatzreligionen

Beitragvon ganimed » Di 22. Nov 2011, 20:25

@Teh Asphyx: Verstehe ich nicht. Die Angst vor dem Tod soll die Angst vor einem nicht endenden Zustand sein? Ich dachte, mit dem Tod ist es vorbei. Also was denn nun? Angst vor dem Ende? Oder Angst vor dem nicht enden wollen?
Der Boden, auf dem man dann anlangt, hat der ein Ende? Oder liegt man dann ewig auf dem Boden? Das fände ich auch nicht so angenehm.

Die Sehnsucht nach der jenseitigen Ewigkeit, welcher Gläubige stellt sich eigentlich die Ewigkeit wirklich mal vor? Wie der Münchener im Himmel: 'Luja sog' i. Wie kann man es angesichts der Ewigkeit vermeiden, vor der endlosen Langeweile Angst zu bekommen? Ich glaube daher, dass man sich die Ewigkeit eben doch nicht oft vorstellt, nicht vorstellen kann und sie sich auch nicht wirklich wünscht. Man wünscht sich nur das Ausbleiben eines finalen, wirklichen, endgültigen Endes. Denn dieses Ende würde bedeuten, dass die paar Jahre Existenz davor so sinnvoll nicht sein können. Und da sind wir wieder bei der Sehnsucht nach Sinn. Der wahre Kern des Glaubens scheint mir die Angst vor der Sinnlosigkeit zu sein. Aber das ist schon recht schwer, darüber nachzudenken. Ich war bis vor etwa 11 Jahren selber gläubig, aber so ganz klar ist mir jetzt nicht mehr, was meine genauen Beweggründe alles waren.

Man müsste jetzt mal ein schlauen, psychologisch fundierten Fragebogen entwerfen und 100 Gläubige fragen, worum es eigentlich genau geht.
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Re: Ersatzreligionen

Beitragvon stine » Di 22. Nov 2011, 20:43

Teh Asphyx hat geschrieben:Ich hatte da auf einmal das Bild im Kopf, ich würde einfach durch die Leere fallen, es wäre nichts um mich herum, auch kein Boden irgendwo, auf dem ich aufschlagen könnte, einfach nur ein ständiges Fallen in der Leere. Es war eine sehr beängstigende Vorstellung. Das einzige, was da die Angst nimmt, ist die Aussicht auf einen Boden, auf den man irgendwann aufschlagen kann, damit dieses ewigen Fallen in der Leere irgendwann vorbei ist.

Beim Schlaf heisst es nicht umsonst, er wäre der kleine Bruder des Todes.
Ein ewiges Fallen wäre ein wahrnehmbares Gefühl und selbst das gibt es im Todsein nicht mehr. Wer schon mal eine Narkose erlebt hat, kann sich am besten vorstellen, was es heisst, nichts mehr mitzubekommen.
Die Zeit in der Narkose, dauert vom Einschlafen bis zum Wachwerden nur zwei bis drei Sekunden, völlig unabhängig davon, wie lange die Narkose in Wirklichkeit gedauert hat. Bis zu 8 Stunden kann eine schwierige OP dauern. Der Patient erlebt nur die Einschlaf- und die Aufwachphase.
Dazwischen ist nichts. Und wie lange das Nichts dauert, ist völlig unerheblich.

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Re: Ersatzreligionen

Beitragvon ganimed » Di 22. Nov 2011, 20:48

Nanna hat geschrieben:500 Jahre Lebenserwartung fände ich total spannend, ich bin ganz ehrlich verwundert, dass anscheinend doch vielen mit der Zeit die Ideen ausgehen. Ich hoffe, das geht mir im Alter nicht ähnlich.

Endlich sagt das mal einer. In diesem anderen StarTrek-Forum war, soweit ich mich erinnere, eigentlich niemand (außer mir) auf viel zusätzliche Lebenszeit erpicht. Vielleicht auch ein wenig deshalb, weil man sich gedanklich völlig auf diese etwa 80 bis 100 Jahre eingependelt hat und mehr Zeit einfach zu ungewohnt erscheint. Hätte ich mir ja denken können, dass in diesem Forum ein anderer Wind weht und spontan mehr Zustimmung auftaucht.
Ich fände es speziell interessant in 500 Jahren einfach mehrere Facetten meiner Existenz ausprobieren zu können. Beruflich und familiär und klimatisch und kulturell. 20 Jahre hier als Informatiker und deutsches Familienglück. Dann aber mal irgendwie wechseln und 20 Jahre dort als Single, Lebenskünstler und Musiker im swinging London. Dann wieder 20 Jahre ein betont einfaches Leben unter Palmen, wo Menschen und Natur mehr im Vordergrund stehen. Oder mal ein Landwirt sein, oder ein Goldsucher, oder ein Bergarbeiter, oder oder oder. Mit nur einem Lebensentwurf werde ich das Leben und was in ihm steckt wohl nur sehr bruchstückhaft auskosten können.

Nanna hat geschrieben:dass anscheinend doch vielen mit der Zeit die Ideen ausgehen. Ich hoffe, das geht mir im Alter nicht ähnlich.

Ich als mittelalter Zausel kann zu bedenken geben, dass einige Änderungen biochemisch eingeleitet werden und man vermutlich wenig dagegen tun kann. Mein Spieltrieb ist mir beispielsweise ziemlich abhanden gekommen in den letzten 15 Jahren würde ich sagen, ausdrücklich gegen meinen eigenen Wunsch. Auch mein Bewegungsdrang wird vermisst. Ich vermute, solche altersbedingten Schwerpunktverschiebungen machen auch vor geistigen Dimensionen nicht halt. Meine Neugierde lässt vermutlich auch schon stark nach. Interessiert mich nicht, was es alles Neues im Internet, auf Facebook und im Handyshop gibt. Aber dafür interessieren mich andere Sachen viel mehr als früher. Geschichte und alte Filme zum Beispiel. Insofern habe ich noch die kleine Hoffnung, dass ich bis zum Ende im Prinzip neugierig und das Leben spannend bleibt. Bei einem 500 Jahre Leben wären deutliche Verschiebungen im mentalen Bereich vermutlich eine zusätzliche Erfahrung einerseits, würden aber andererseits meinen naiven Plan des Lebensentwurfs-Hoppings etwas unrealistisch erscheinen lassen.
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Re: Ersatzreligionen

Beitragvon fritz-ferdinand » Di 22. Nov 2011, 23:01

Darth Nefarius hat geschrieben:Ich denke, dass man erstmal feststellen muss, was eine Ersatzreligion überhaupt ersetzen sollte, oder was die zu erfüllenden Bedürfnisse sind:
1.Unsterblichkeit (denn man will ja nicht sterben, oder kann es sich schlichtweg nicht vorstellen tot zu sein).
2.Friede, Freude,Eierkuchen
3.Einen Typen, der dir sagt, was du tun sollst und dich ggf. belohnt mit obigem (unter Umständen der "Sinn").
4.eine Erklärung der Welt, sodass sie jeder versteht, egal, wie logisch und fundiert diese Erklärung ist.
Ich denke, dass ein solcher Ersatz nicht besser als eine "tatsächliche" Religion ist. Vielmehr muss der Mensch lernen, was er warum will und vielleicht die Sinnlosigkeit, Unerfüllbarkeit, oder Gefahr dieser Bedürfnisse zu verstehen und evtl. sie zu überwinden.


Ich glaube, es ist ganz einfacher. Ich habe mir auch mal überlegt, was das Allerwesentliche einer Religion ist, und bin zu dem Schluß gekommen, dass da jemand/etwas IMMER einfach FÜR DICH da ist. (Also der immer auf deiner Seite ist, dem du dich völlig anvertrauen kannst, weil er dich kennt und trotzdem mag, mit dem du jederzeit reden und innig sein kannst, der aber auch die Macht hat, eine Art Schutz zu bieten, wann immer das nötig ist, usw. usw. Also sowas wie der große Bruder.)

Ich habe da vor langer Zeit mal in einer Art privatem Kunstprojekt eine kleine kupferne Schmuckscheibe mit etwas Deko an der Wand aufgehängt und das Ding :gott: "Höchst verehrungswürdige Anwesenheit" :gott: genannt, und versucht einen regelmäßigen einfachen Ritus durchzuziehen, um mal zu sehen, wie sich das anfühlt. Leider habe ich sehr bald die Lust verloren, und das Ding ist einfach zugestaubt, darum kann ich jetzt nicht viel berichten.
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Re: Ersatzreligionen

Beitragvon stine » Mi 23. Nov 2011, 07:10

fritz-ferdinand hat geschrieben:Ich habe da vor langer Zeit mal in einer Art privatem Kunstprojekt eine kleine kupferne Schmuckscheibe mit etwas Deko an der Wand aufgehängt und das Ding :gott: "Höchst verehrungswürdige Anwesenheit" :gott: genannt, und versucht einen regelmäßigen einfachen Ritus durchzuziehen, um mal zu sehen, wie sich das anfühlt. Leider habe ich sehr bald die Lust verloren, und das Ding ist einfach zugestaubt, darum kann ich jetzt nicht viel berichten.

Es war halt doch nur ein "Ding", auch wenn du es "Höchst verehrungswürdige Anwesenheit" genannt hast.
Ein "Gott" dagegen ist so lebendig, wie der, der ihn anbetet.

:wink: stine
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Re: Ersatzreligionen

Beitragvon ganimed » Mi 23. Nov 2011, 20:18

stine hat geschrieben:Ein "Gott" dagegen ist so lebendig, wie der, der ihn anbetet

Sehr treffend formuliert, weil der Gott ja genau die Projektion des Anbetenden ist und vom Anbetenden seine Lebendigkeit erhält. Klappt mit Schmuckscheiben, auf und in die man projeziert, sicher genau so gut. Vielleicht störten ja nur ein paar Kleinigkeiten. Hing zu hoch, falsche Farbe, keine indirekte Beleuchtung. Man weiß es nicht. Aber wenn Tom Hanks in Castaway einen Baseball zum Leben erwecken kann, dann kann man auch mitfühlende Kupferscheiben erschaffen. Man muss nur psychisch keine besseren Alternativen haben, also Mitmenschen oder so was.
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