stine hat geschrieben:Meine Religion ist nicht meine Religion, sondern sie ist die Religion des sogenannten "Christlichen Abendlandes". Und alle meine Vorfahren, meine Anverwandten, meine Freunde und Bekannten sind geprägt von einer christlichen Grundmoral, deren Ursprung die biblischen Gebote sind. Die kann man im Erwachsenenalter zwar ablehnen, aber im Herzen trägt das jeder ein Leben lang mit sich. ...
Die Vorfahren dieser waren mutmaßlich germanische Heiden, und die Vorfahren der christlichen Lehrer und Missionare waren irgendwann der Logik folgend Juden, deren Vorfahren mutmaßlich an eine Spielart der proto-indo-iranischen Religion glaubten. Dazwischen haben mit Sicherheit persische und rómische Rechtsvorstellungen und griechische Philosophie eine größere Rolle gespielt. Das Ganze wurde dann nochmal kräftig mit der Aufklärung verrührt, die ihrerseits natürlich auf allen möglichen Traditionen aufbaute.
Meiner Meinung nach ist das eigentlich christliche dabei sogut wie "wegverdünnt" worden. Weder halten wir uns an
spezifisch christliche Verhaltensregeln, noch folgen wir spezifisch christlichen Gesetzen. Es gibt auch kein anderes Element, dass spezifisch christlich wirkt. Vielleicht kann man sagen, dass unsere Ästhetik christliche Prägung hat, denn z.B. westliche Musik und Kunst wurde durch spezifische religiöse Motive auch strukturell beeinflußt (denken wir an Harmonie-Lehren, Kirchenskalen und Chöre) aber selbst da wird bei näherem Hinsehen ein vor-christlicher Einfluß auf das Christliche deutlich. Bei Literatur ist es ebenso, wenn man exemplarisch an die heidnisch-christianisierte Arthussage denkt und ihr Einfluß in dieser Gestalt auf die Romantik und andere Strömungen.
Letzlich fallen Entwicklungen nicht einfach so vom Himmel und auch Kontexte (wie ein christlicher) haben ihrerseits Vorläufer. Das Christentum hat natürlich unsere Geschichte nachhaltig begleitet, und dabei sind viele Dinge in diesem Kontext entstanden. Es läßt sich aber schwer sagen "was wäre wenn". Vielleicht wäre die Welt ultimativ besser dran gewesen, vielleicht aber auch schlechter. Im Rückblick wird vor allem der negative Einfluß sehr deutlich durch all die "verpassten" Chancen und Behinderungen die vom christlichen Gedankengut kamen. Aber dann wieder ist das leicht zu sagen, vielleicht hätte es die Chancen garnicht erst gegeben in einer alternativen Welt oder andere wichtige Chancen wären verpasst worden. Wer weiß.
Was sicher ist: in unsere Gesellschaft wird das Christliche deutlich überbetont und die weitreichenden Beiträge durch die Aufklärer sehr stark unterbetont. Wie beim Wulff damals: die kommen zwischen Islam und Christentum mal garnicht vor. Also eine arabische Religion wird noch eher genannt als all die "Dichter und Denker" die sonst manchmal bemüht werden.
Das muss jedenfalls aufhören oder Vetreter der Ansicht "christliche Werte und/oder Leitkultur" legen mal endlich ein paarArgumente vor (oder mal eins, as Anfang), dass sie vor rund 1000 Jahren christlicher seelischer Terrorherrschaft nicht komplett lächerlich erscheinen läßt.