Jean Meslier—der erste radikale Atheist

Jean Meslier—der erste radikale Atheist

Beitragvon Myron » Do 20. Sep 2007, 15:08

Literaturtipp:

* Meslier, Jean. Das Testament des Abbé Meslier: Die Grundschrift der modernen Religionskritik. Hrsg. Hartmut Krauss. 2. Aufl. Osnabrück: Hintergrund, 2005. (Nachdruck d. 1. Aufl., Suhrkamp, 1976)

"Das Testament des Abbé Meslier: Vermächtnis der Gedanken und Ansichten von Jean Meslier, Priester, Pfarrer von Etrépigny und Balaives, über einen Teil der Irrtümer und Mißstände in der Lenkung und Leitung der Menschen, worinnen sich klare und deutliche Beweise für die Eitelkeit und Falschheit aller Gottheiten und aller Religionen der Welt finden, das nach seinem Tode seinen Pfarrkindern zukommen soll, damit es ihnen und ihresgleichen als Zeugnis der Wahrheit diene."

Noch vor d'Holbach und den anderen französischen Aufklärern kritisiert Meslier in seinem aus Sicherheitsgründen (öffentliche Religionskritik war damals lebensgefährlich [und ist es heute zum Teil wieder]) erst posthum veröffentlichten Text den Gottesglauben, die Religionen sowie die Verflechtung von Politik und Religion in zuvor nicht dagewesener Schärfe.

§59, S. 301:
"Da aber alle diese [sozialen und politischen] Missstände, wie auch die Missbräuche und Irrtümer, von denen ich bereits gesprochen habe, auf nichts anderem als dem Glauben und der Überzeugung beruhen, dass es Götter oder doch zumindest einen Gott gebe, ein höchstes Wesen, das allmächtig, unendlich gut, weise und vollkommen ist und das von den Menschen in dieser oder jener Weise verehrt werden will, und da auch die Könige und Fürsten vorgeben, ihre Macht und Autorität von einem allmächtigen Gotte erhalten zu haben, der sie in seiner Gnade eingesetzt hat, um all die anderen Menschen zu regieren und ihnen zu befehlen, so muss jetzt dargelegt und noch einmal deutlich bewiesen werden, dass sich die Menschen hierin täuschen und es kein solches Wesen gibt, das heißt, dass überhaupt kein Gott existiert und dass die Menschen folglich den Namen und die Autorität Gottes fälschlich und missbräuchlich verwenden, um die Irrtümer ihrer Religionen zu verbreiten und aufrechtzuerhalten, genauso wie die Gewaltherrschaft ihrer Könige und Fürsten."

In der Einleitung des Herausgebers ist zu lesen (V, S. 28):

"Mesliers 'Testament' zeichnet sich dadurch aus, dass hier zum ersten Mal in umfassender und systematischer Weise radikale Herrschaftskritik und radikale Religionskritik eine 'organische' Verbindung eingehen. Im Grunde beginnt mit dieser kritischen Offenlegung religiöser und gesellschaftlicher Herrschaftssynthese der 'eigentliche' sozial- und subjektemanzipatorische 'Diskurs der Moderne'. So begegnen wir bei Meslier—im Unterschied zu den meisten Autoren der späteren Aufklärungsphilosophie—weder deistischer Rückversicherung noch der Utopie einer aufgeklärten Monarchie oder aber 'grenzenloser' Fortschrittsgläubigkeit. Genaugenommen liegt mit dem 'Testament' bereits zu Beginn der Aufklärungsepoche ein radikal-atheistischer Diskurs vor, der—trotz seiner konkret-historisch bedingten Grenzen—im späteren 18. Jahrhundert nicht mehr übertroffen, sondern nur noch auszugsweise plagiiert wird."


"Die Geschichte des Atheismus in Europa beginnt aber erst wirklich im 18. Jahrhundert mit den Franzosen Jean Meslier (1664-1729), Diderot (1713-1784), Holbach (1723-1789), Naigeon (1738-1810) und Cabanis (1757-1808)."

(Hiorth, Finngeir. Atheismus—genau betrachtet: Eine Einführung. Übers. A. E. Lenz. Neustadt a. Rbge.: Lenz, 1995. S. 26)

http://www.bfg-bayern.de/ethik/Personen/Meslier.htm

http://de.wikipedia.org/wiki/Jean_Meslier
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Re: Jean Meslier—der erste radikale Atheist

Beitragvon Myron » Sa 29. Sep 2007, 23:41

"Jenes sogenannte unendlich vollkommene Wesen (.), das unsere Gottgläubigen Gott nennen, ist bloß eine Ausgeburt der Phantasie."

(Testament, Kap. 64, S. 305)

Meslier hat mit dem Schreiben seines "Testaments" ca. 1723 begonnen.
Ich kenne niemanden, der in einem vor 1723 verfassten Buch derart direkt die Existenz Gottes leugnet.
Oder kennt Ihr da jemanden?
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Re: Jean Meslier—der erste radikale Atheist

Beitragvon Selachoideus » Mo 30. Mär 2009, 10:21

Als älteste atheistische Schrift gilt Von den Drei Betrügern aus dem 16. Jhd. Di drei sind Moses, Jesus und Mohammed, die ihre Geschichten nur erfunden haben sollen, worauf Judentum, Christentum und Islam entstanden.
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Re: Jean Meslier—der erste radikale Atheist

Beitragvon lorenz » Mo 30. Mär 2009, 16:18

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Re: Jean Meslier—der erste radikale Atheist

Beitragvon Myron » Mo 30. Mär 2009, 19:56

lorenz hat geschrieben:Antiquarisch könnte man fündig werden.


Man wird auch nichtantiquarisch fündig:

http://www.meiner.de/product_info.php?products_id=826
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Re: Jean Meslier—der erste radikale Atheist

Beitragvon Myron » Mo 30. Mär 2009, 21:05

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Re: Jean Meslier—der erste radikale Atheist

Beitragvon lorenz » Di 31. Mär 2009, 10:11

Der Autor ist wohl kein Atheist, eher eine Art Pantheist. Die engl. Übersetzung ist lesbar, und ich finde sie recht interessant. Z. B. wie er einen völlig unteleologischen Gott begründet:
II, VI hat geschrieben:By this it may be seen that Nature or God does not propose any end, and that all final causes are but human fictions. A long lecture is not necessary since this doctrine takes away from God the perfection ascribed to him, and this is how it may be proved. If God acted for a result, either for himself or another, he desires what he has not, and we must allow that there are times when God has not the wherewith to act; he has merely desired it and that only creates an impotent God.
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