Ursprung von Religiosität ...

Ursprung von Religiosität ...

Beitragvon ernst.eiswuerfel » So 23. Sep 2007, 21:20

... ist die Interpretationsfähigkeit des Gehirns ?

Habe dazu einen spannenden aber schon etwas älteren Artikel bei Telepolis gefunden:
http://www.heise.de/bin/tp/issue/r4/dl-artikel2.cgi?artikelnr=20746&mode=print
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Re: Ursprung von Religiosität ...

Beitragvon a.stefan » So 23. Sep 2007, 21:24

siehe auch: http://de.wikipedia.org/wiki/Gottesmodul und weiterfuehrend http://de.wikipedia.org/wiki/Neurotheologie - gibts dann auch ein paar nette Links dazu.
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Re: Ursprung von Religiosität ...

Beitragvon ernst.eiswuerfel » So 23. Sep 2007, 21:40

Danke für die Link Tipps !

Das spannende an der These mit der Interpretationsfähigkeit finde ich, dass es sich mit meiner Selbstwahrnehmung deckt.

Krass finde ich in dem Artikl folgende Passage:
Dabei konnte Brugger in weiteren Experimenten zeigen, dass durch Gabe des Medikamentes L-Dopa, welches im Hirnstoffwechsel den Neurotransmitter Dopamin freisetzt, Skeptiker zu Gläubigen werden.


Das könnte ja auch bedeuten, dass man mit Dopamin Blockern die Religiosität von Menschen reduzieren kann ....
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Re: Ursprung von Religiosität ...

Beitragvon a.stefan » So 23. Sep 2007, 21:49

ernst.eiswuerfel hat geschrieben:Danke für die Link Tipps !

Das spannende an der These mit der Interpretationsfähigkeit finde ich, dass es sich mit meiner Selbstwahrnehmung deckt.

Krass finde ich in dem Artikl folgende Passage:
Dabei konnte Brugger in weiteren Experimenten zeigen, dass durch Gabe des Medikamentes L-Dopa, welches im Hirnstoffwechsel den Neurotransmitter Dopamin freisetzt, Skeptiker zu Gläubigen werden.


Das könnte ja auch bedeuten, dass man mit Dopamin Blockern die Religiosität von Menschen reduzieren kann ....


Waere ein interessanter Ansatz - die Frage ist nur (ich unterstelle dir jetzt nicht, das du darauf hinaus wolltest, nur eine spannende Frage) wollen wir das?

In einer der weiterfuehrenden Links von den Wiki-Artikeln wird auch angenommen, das manche Formen extremer Religoesitaet, Sprechen mit Gott, auf eine Mikroepilepsie im Gottesmodul zurueck geht.

Ich denk da gibts mehrere Einfluesse, ein netter Ansatz ist die Mem-Theorie, und falls die wer nicht so sehr schaetzt, andere Formen, der geistigen/sozialen Beeinflussungen - das ist eine Erklaerung, die pathologische Erklaerung ist wahrscheinlich ein anderer Einfluss.
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Re: Ursprung von Religiosität ...

Beitragvon Myron » So 23. Sep 2007, 21:51

Das Problem fängt schon bei der Definition von "Religiosität" an.
Dieser Begriff scheint mehr zu beinhalten als Göttergläubigkeit.
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Re: Ursprung von Religiosität ...

Beitragvon ernst.eiswuerfel » So 23. Sep 2007, 22:00

ein netter Ansatz ist die Mem-Theorie


Davon höre ich zum ersten Mal. Aber das was ich darüber grade im Netz gelesen habe klingt verdammt interessant. Erinnert etwas an Computer Viren, nur dass die Software in der sie sich verbreiten in unserem Kopf läuft ...
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Re: Ursprung von Religiosität ...

Beitragvon a.stefan » So 23. Sep 2007, 22:13

ernst.eiswuerfel hat geschrieben:
ein netter Ansatz ist die Mem-Theorie


Davon höre ich zum ersten Mal. Aber das was ich darüber grade im Netz gelesen habe klingt verdammt interessant. Erinnert etwas an Computer Viren, nur dass die Software in der sie sich verbreiten in unserem Kopf läuft ...


Ja, es darf nur nicht (meiner Meinung nach), der Fehler gemacht werden, den Susan Blackmore in ihren Buch " Die Macht der Meme. Oder die Evolution von Kultur und Geist" gemacht hat.
In erster Linie ein vorzuegliches Buch und Dawkins schreibt auch ein Vorwort, nur gegen Ende des Buches, meint sie, das auch das Selbstbewusstsein ein Mem-Komplex ist - soweit so gut, der Meinung bin auch - und das durch buddhistische Rituale, dieser Mem-Komplex bekaempft werden kann und unser Ziel soll das "NIchts" sein - das die buddhistischen Rituale genauso Meme sind, hat sie dabei wohl vergessen.

Ich bin uebrigens dazu uebergegangen, die Mem-Theorie so zu erklaeren: "Das Gehirn speichert information und indem sich das Gehirn dieser Information bewusst wird, reproduziert es diese Information, dadurch wird die Information fehlerhaft kopiert. Bei einer Weitergabe dieser Information an ein anderes Gehirn (Sprache), passiert genau das gleiche: das andere Gehirn reproduziert diese Information fehlerhaft - so laeuft ein evolutionaerer Prozess ab"

Die urspruengliche Erklaerung ist, das die Information sich in Gehirne reinkopiert und von Gehirn zu Gehirn springt, das macht die Information natuerlich nicht, Dawkins hat das auch nicht so gemeint, genauso wie er einmal erwaehnt hat, das "seine" egoistischen Gene, natuerlich alles andere als eine eigene(n) Handlungs(willen) aufweisen, und nun mal unsere Sprache so aufgebaut ist, das sie unbelebten Dingen lebendige Eigenschaften zuspricht (zb "Die Sonne geht auf").

Und indem ich gleich die Version oben verwende, wuerge ich gleich einen moeglichen (und falschen) Kritikpunkt ab.

Empfehlen kann ich:
http://www.kfvr.de/memetik/
http://www.heise.de/tp/r4/artikel/2/2081/1.html
http://www.bertramkoehler.de/memetik.htm von Susan Blackmore (Kritik siehe oben)
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Re: Ursprung von Religiosität ...

Beitragvon Myron » So 23. Sep 2007, 22:18

ernst.eiswuerfel hat geschrieben:
ein netter Ansatz ist die Mem-Theorie


Davon höre ich zum ersten Mal. Aber das was ich darüber grade im Netz gelesen habe klingt verdammt interessant. Erinnert etwas an Computer Viren, nur dass die Software in der sie sich verbreiten in unserem Kopf läuft ...


"Memetik" sozusagen als Lehre der natürlichen Gedankenübertragung und -verbreitung.
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Re: Ursprung von Religiosität ...

Beitragvon a.stefan » So 23. Sep 2007, 22:18

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Re: Ursprung von Religiosität ...

Beitragvon ernst.eiswuerfel » So 23. Sep 2007, 22:45

Danke für die Infos !

gegen Ende des Buches, meint sie, das auch das Selbstbewusstsein ein Mem-Komplex ist - soweit so gut, der Meinung bin auch


Der Gedanke ist schon krass. Wobei das warscheinlich ein Grenzbereich der Memetik im menschlichen Geist ist. Das Selbstbewustsein ist ja schon ein sehr hardwarenaher Prozess im Gehirn. Und hier sind wir sicher auch stark von der physischen Evolution beeinflusst. Warscheinlich gehen auf diesem Level des menschlichen Gehirns Memetik und Genetik Hand in Hand ...
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Meme

Beitragvon Myron » So 23. Sep 2007, 23:12

Susan Blackmore:

"The meme is an evolutionary replicator, defined as information copied from person to person by imitation.
(...)
The whole point of memes is to see them as information being copied in an evolutionary process (i.e. with variation and selection)."


(http://www.susanblackmore.co.uk/cas01.html)

"About Memes:

The term meme (it's pronounced like dream or cream) was coined by Richard Dawkins, Professor of the Public Understanding of Science at Oxford University, in his 1976 book The Selfish Gene. As examples he suggested “tunes, ideas, catch-phrases, clothes fashions, ways of making pots or of building arches”.

Memes are habits, skills, songs, stories, or any other kind of information that is copied from person to person. Memes, like genes, are replicators. That is, they are information that is copied with variation and selection. Because only some of the variants survive, memes (and hence human cultures) evolve. Memes are copied by imitation, teaching and other methods, and they compete for space in our memories and for the chance to be copied again. Large groups of memes that are copied and passed on together are called co-adapted meme complexes, or memeplexes.

The word “meme” has recently been included in the Oxford English Dictionary where it is defined as follows “meme (mi:m), n. Biol. (shortened from mimeme ... that which is imitated, after GENE n.) “An element of a culture that may be considered to be passed on by non-genetic means, esp. imitation”.

According to memetics, our minds and cultures are designed by natural selection acting on memes, just as organisms are designed by natural selection acting on genes. A central question for memetics is therefore ‘why has this meme survived?’. Some succeed because they are genuinely useful to us, while others use a variety of tricks to get themselves copied. From the point of view of the “selfish memes” all that matters is replication, regardless of the effect on either us or our genes.

Some memes are almost entirely exploitative, or viral, in nature, including chain letters and e-mail viruses. These consist of a “copy-me” instruction backed up with threats and promises. Religions have a similar structure and this is why Dawkins refers to them as ‘viruses of the mind’. Many religions threaten hell and damnation, promise heaven or salvation, and insist that their followers pass on their beliefs to others. This ensures the survival of the memeplex. Other viral memes include alternative therapies that don’t work, and new age fads and cults. Relatively harmless memes include children’s games, urban legends and popular songs, all of which can spread like infections.

At the other end of the spectrum memes survive because of their value to us. The most valuable of memeplexes include all of the arts and sports, transport and communications systems, political and monetary systems, literature and science.

Memetics has been used to provide new explanations of human evolution, including theories of altruism, the origins of language and consciousness, and the evolution of the large human brain. The Internet can be seen as a vast realm of memes, growing rapidly by the process of memetic evolution and not under human control.

The field of memetics is still a new and controversial science, with many critics, and many difficulties to be resolved."


(http://www.susanblackmore.co.uk/memetic ... 0memes.htm)
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Re: Ursprung von Religiosität ...

Beitragvon ernst.eiswuerfel » So 23. Sep 2007, 23:35

Religions have a similar structure and this is why Dawkins refers to them as ‘viruses of the mind’.


Dazu hab ich vorhin zufällig was passendes gepostet:
http://forum.brights-deutschland.de/viewtopic.php?f=13&t=1344
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Re: Ursprung von Religiosität ...

Beitragvon Myron » So 23. Sep 2007, 23:44

ernst.eiswuerfel hat geschrieben:
Religions have a similar structure and this is why Dawkins refers to them as ‘viruses of the mind’.


Dazu hab ich vorhin zufällig was passendes gepostet:
http://forum.brights-deutschland.de/viewtopic.php?f=13&t=1344


Dawkins' Kritiker werfen ihm ja gerade dies vor, dass er den Götterglauben pathologisiere, indem er ihn einen Wahn nenne.
Wenn man sich die Begriffsgeschichte von <Wahn> näher ansieht, dann wird man feststellen, dass dieser Begriff durchaus auch außerhalb des strikt psychiatrischen Kontextes verwendet werden kann.

Gimmsches Wörterbuch: http://tinyurl.com/2qxhls

Darin findet sich auch der Begriff <Wahnglaube>: http://tinyurl.com/2tlths

"unbegründeter, irriger, falscher glaube; das wort wird meistens auf das verhältnis des menschen zum übernatürlichen bezogen."
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Re: Ursprung von Religiosität ...

Beitragvon Ingo-Wolf Kittel » Mo 24. Sep 2007, 11:12

der ursprung von religiosität liegt viel weiter zurück, als dies gemeinhin bekannt ist. (leider ist es - auch für wissenschaftler - wesentlich leichter sich etwas auszudenken als empirische und in diesem fall sogar empirisch-psychologische forschungen anzustellen: diese erforderen nämlich arbeit und dazu auch noch arbeit besonders art.)

religionshistorisch ist nach meiner kenntnis standardwissen, dass alles 'religiös' zu nennendes denken mit der ahnenverehrung begonnen hat - und darüber die sog. 'animistischen' vorstellungen von geistern aller art entwickelt wurden, die unter-, über- und oberwelt und dort wälder, flüsse, berge usw.usf. ebenso bevölkern oder bewohnen wie die dann noch später phantasierten halb- und ganzgötter aller - und sei es noch so phantastischer oder sogar tierischer - art.

wie dies psychologisch vonstatten gegangen sein dürfte, bevor das 'reflexive denken' und insbesondere 'kritische denken' oder anders ausgedrückt: unser heutiges 'bewusstsein' ausgebildet war, hat vor gut drei jahrzehnten der mittlerweile verstorbenen princeton-psychologe julian jaynes in seinem m.E. epochalen werk 'the origin of consciousness...' zu rekonstruieren versucht (dt. komplett hier, leider ohne seitenkonkordanz mit dem original; eine art 'kurzfassung' seiner überlegungen ist hier zu finden.)

hirnforschung kann hier so gut wie gar nichts 'erklären', jedenfalls nicht mehr als die muskelforschung: die 'entstehung' der olympischen spiele 'reduziert' bisher noch niemand auf die muskelkontraktionen, die bei der aktiven teilnahme an den wettkämpfen ohne zweifel nötig sind. wieso neuronenaktivitäten mehr 'erklären' können sollen, hat noch kein hirnforscher bisher auch nur ansatzweise irgendwo plausibel gemacht. hier liegt eine verwilderung des denkens vor, die gigantisch ist und (vielleicht sogar mehr als die) 500 seiten an korrekturen erfordert, wie sie von dem australischen synapsenforscher max r. bennett und seinem englischen kollegen, dem oxforder philosophen peter m.s. hacker in dem gemeinsamen lehrbuch 'philosophical foundations of neuroscience' vor einigen jahren bereits... vorgelegt wurden. (eine recht ausführliche besprechung dieses imposanten werks ist u.a. hier zu finden - eingearbeitet auch in diese umfänglichere besprechung desselben autors in diesem artikel; hier ist übrigens eine bemerkenswerte sammlung von artikeln aller art zur HF zu finden.)
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Re: Ursprung von Religiosität ...

Beitragvon dvrvm » Mo 24. Sep 2007, 12:24

Zum Beitrag "Neurotheologie" auf Wikipedia: Ich habe dort bei "Kritik an der frühen NT" einen Zitierhinweis eingefügt, und in der Diskussion folgenden Kommentar geschrieben:

Insbesondere zum ersten Absatz hat es keine Quellen. Abgesehen davon halte ich das Argument für falsch (die NT urteilt nicht über religiöse Inhalte, sondern über Wahrnehmungen von scheinbar oder auch tatsächlich religiösen Erfahrungen. Selbstverständlich lässt sich damit die Gottesexistenz nicht auf ontologischer Ebene widerlegen, genauso wenig wie sie sich auf irgendeine andere Art widerlegen oder beweisen lässt.) Wenn sich Quellen finden, kann man es aber natürlich drinlassen. --Dvrvm 13:21, 24. Sep. 2007 (CEST)


Ist mein Einwand soweit richtig?
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Re: Ursprung von Religiosität ...

Beitragvon ernst.eiswuerfel » Mo 24. Sep 2007, 12:44

Ingo-Wolf Kittel hat geschrieben:hirnforschung kann hier so gut wie gar nichts 'erklären', jedenfalls nicht mehr als die muskelforschung


Wie kommst Du darauf ?
Und wieso soll diese These eine "Verwilderung des denkens" darstellen ?
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Re: Ursprung von Religiosität ...

Beitragvon Ingo-Wolf Kittel » Mo 24. Sep 2007, 12:55

ernst.eiswuerfel hat geschrieben:
Ingo-Wolf Kittel hat geschrieben:hirnforschung kann hier so gut wie gar nichts 'erklären', jedenfalls nicht mehr als die muskelforschung


Wie kommst Du darauf ?
Und wieso soll diese These eine "Verwilderung des denkens" darstellen ?



na dann les mal bennett & hacker - zum beispiel.
oder den wikipedia-eintrag zu gerhard roth usw. usf.
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Re: Ursprung von Religiosität ...

Beitragvon ernst.eiswuerfel » Mo 24. Sep 2007, 13:19

Ingo-Wolf Kittel hat geschrieben:na dann les mal bennett & hacker - zum beispiel.
oder den wikipedia-eintrag zu gerhard roth usw. usf.


Über Roth habe ich schon einiges gelesen. Und Bennet & Hacker habe ich kurz überflogen.
Aber dennoch verstehe ich nicht wieso hier eine "Verwilderung des denkens" vorliegen soll ? Mir persönlich bringen diese Erkenntnisse der Hirnforschung mehr Klarheit in meiner Selbstwahrnehmung. Daher verstehe ich nicht wieso Du diese Erkenntnisse so verteufelst ?
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Re: Ursprung von Religiosität ...

Beitragvon dvrvm » Mo 24. Sep 2007, 13:22

Ingo-Wolf Kittel hat geschrieben:hirnforschung kann hier so gut wie gar nichts 'erklären', jedenfalls nicht mehr als die muskelforschung: die 'entstehung' der olympischen spiele 'reduziert' bisher noch niemand auf die muskelkontraktionen, die bei der aktiven teilnahme an den wettkämpfen ohne zweifel nötig sind. wieso neuronenaktivitäten mehr 'erklären' können sollen, hat noch kein hirnforscher bisher auch nur ansatzweise irgendwo plausibel gemacht. hier liegt eine verwilderung des denkens vor, die gigantisch ist und (vielleicht sogar mehr als die) 500 seiten an korrekturen erfordert, wie sie von dem australischen synapsenforscher max r. bennett und seinem englischen kollegen, dem oxforder philosophen peter m.s. hacker in dem gemeinsamen lehrbuch 'philosophical foundations of neuroscience' vor einigen jahren bereits... vorgelegt wurden.

Der NT/HF geht es ja nicht prinzipiell um die Entstehung des Glaubens, sondern um die nicht-religiöse bzw. physiologische Erklärung von Gotteserfahrungen, bzw. darum, zu zeigen, was wir fühlen, wenn wir religiös fühlen. Evolutionsbiologische Rückschlüsse kommen auf der zweiten oder dritten Ebene erst dazu, und diese können sehr wohl etwas erklären.
Nb. dass der Vergleich mit den olympischen Spielen nur schon darum irrig ist, weil sich ohne Muskeln nicht nur der Sport oder die olympischen Spiele, sondern unsere Bewegung überhaupt nicht denken liesse. Es ist hingegen sehr wohl plausibel, die Entstehung unserer Bewegungsarten in Verbindung mit der Entstehung unserer Muskulatur zu betrachten, genauso wie es plausibel ist, die Entstehung religiöser/allgemein spiritueller Wahrnehmungen mit diesem sogenannten Gotteszentrum zu verbinden. (Hingegen ist es natürlich hirnrissig, die konkrete Entstehung z.B. genau des Christentums oder des Buddhismus im Lichte der Neurotheologie zu betrachten. Zumindest ist es das heutzutage, es ist natürlich nicht grundsätzlich auszuschliessen, dass es physiologische Faktoren gibt, die ein "christliches Gottbild" oder ein "animistisches Gottbild" bedingen oder fördern. Nur wäre, auch wenn es diese Faktoren gäbe, die Hirnforschung noch Äonen von einer hinreichenden Präzision und Verlässlichkeit entfernt, um solche Aussagen treffen zu können.)
Hiermit kehre ich den Vorwurf von der Verwilderung des Denkens um :wink:

Edit: Ich halte hier auch den Konstruktivismus (Roth), auch wenn die Theorie selber sinnvoll ist, für einen unzureichenden Einwand. Die Argumentation würde uns aber weit off-topic führen. Bennett & Hacker muss ich noch lesen, habe erst eine Kurzzusammenfassung überflogen, aber finde die Kritik bisher nur teilweise zutreffend.
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Re: Ursprung von Religiosität ...

Beitragvon Myron » Mo 24. Sep 2007, 13:43

Ingo-Wolf Kittel hat geschrieben:religionshistorisch ist nach meiner kenntnis standardwissen, dass alles 'religiös' zu nennendes denken mit der Ahnenverehrung begonnen hat - und darüber die sog. 'animistischen' vorstellungen von geistern aller art entwickelt wurden, die unter-, über- und oberwelt und dort wälder, flüsse, berge usw.usf. ebenso bevölkern oder bewohnen wie die dann noch später phantasierten halb- und ganzgötter aller - und sei es noch so phantastischer oder sogar tierischer - art.


Nietzsche verortet den Ursprung in den Traumerfahrungen:

"Missverständniss des Traumes. — Im Traume glaubte der Mensch in den Zeitaltern roher uranfänglicher Kultur eine zweite reale Welt kennen zu lernen; hier ist der Ursprung aller Metaphysik. Ohne den Traum hätte man keinen Anlass zu einer Scheidung der Welt gefunden. Auch die Zerlegung in Seele und Leib hängt mit der ältesten Auffassung des Traumes zusammen, ebenso die Annahme eines Seelenscheinleibes, also die Herkunft alles Geisterglaubens, und wahrscheinlich auch des Götterglaubens. "Der Tote lebt fort; denn er erscheint dem Lebenden im Traume": so schloss man ehedem, durch viele Jahrtausende hindurch."
(Nietzsche: "Menschliches, Allzumenschliches", Bd. 1, "Von den ersten und letzten Dingen", §5)

Ingo-Wolf Kittel hat geschrieben:hirnforschung kann hier so gut wie gar nichts 'erklären', jedenfalls nicht mehr als die muskelforschung: die 'entstehung' der olympischen spiele 'reduziert' bisher noch niemand auf die muskelkontraktionen, die bei der aktiven teilnahme an den wettkämpfen ohne zweifel nötig sind. wieso neuronenaktivitäten mehr 'erklären' können sollen, hat noch kein hirnforscher bisher auch nur ansatzweise irgendwo plausibel gemacht.


So wie ich es verstehe, geht es der sogenannten "Neurotheologie" darum, die neurophysiologischen Korrelate außergewöhnlicher religiöser oder spiritueller Erfahrungen zu untersuchen.
Eine umfassende Natur- bzw. Kulturgeschichte des religiös-metaphysischen Denkens kann sie sicher nicht schreiben.
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