ostfriese hat geschrieben:El Schwalmo, Dawkins führt keine "negativen Gottesbeweise". Er redet von der -- im Zuge unseres Verständnisses evolutionärer Prozesse wachsenden -- Unwahrscheinlichkeit der Existenz eines Schöpfergottes, und das mit Recht (was ich in diesem Zusammenhang unter Wahrscheinlichkeit verstehe, hab ich Dir im anderen Thread beantwortet).
ich glaube nicht, dass es Dir gelingen wird, irgendeinen Beleg zu finden, dass ich irgendwann irgendwo geschrieben habe, dass Dawkins einen negativen Gottes
beweis führen will.
Im Rahmen meiner Vorbereitungen für eine Rezension zum bislang meines Wissens einzigen deutschen Buch zu ID
Rammerstorfer, M. (2006) 'Nur eine Illusion? Biologie und Design' Marburg, Tectum
habe ich mich (wieder) intensiver mit Dawkins befasst und einige ältere Arbeiten nachgelesen. Ich bilde mir ein, sehr genau zu wissen, wofür Dawkins welches Argument vorbringt.
Und auf der Basis dessen plädiere ich dafür, Evolutionsbiologie möglichst aus solchen weltanschaulichen Diskussionen herauszuhalten, vor allem, wenn es um ID geht. Ich habe die Diskussion, beispielsweise um Behe, aufmerksam verfolgt und mich sehr massiv eingelesen. Glaub' mir, eine Menge Kritiker hätten große Probleme, wenn sie gezwungen würden, vor einem 'neutralen' Publikum (sollte es so etwas geben) ihre Argumente gegen ID gegen einen etwas beleseneren Evolutionsgegnern verteidigen zu müssen.
ostfriese hat geschrieben:Dass Dawkins die Design-Hypothese für legitim hält, sobald ein Objekt auftaucht, welches kein Produkt natürlicher Evolution sein kann, ist m.E. nur eine taktische Position: Er ist sich sehr sicher, dass dieser Fall erst mit einer hinreichenden Komplexität evolvierender Gehirne auftreten kann, deshalb kokettiert er damit.
Davon habe ich noch nie geschrieben. Mir ging es ganz konkret um die Verbindung von Evolution in der mechanismischen Form, wie Dawkins sie vertritt, mit der Argumentation gegen Design.
ostfriese hat geschrieben:An anderer Stelle macht er deutlich, dass er von der Design-Hypothese grundsätzlich nichts hält: Sie ist unbefriedigend (ohne echten Erklärungswert), wenn nicht zugleich die Frage beantwortet werden kann, wie der Designer entstand (bzw. wer ihn schuf).
Selbstredend, und innerhalb der Wissenschaft ist ID deshalb ein Non-Starter, kein Thema. Mein Punkt ist etwas diffiziler: man muss genau lesen, was ID-ler behaupten, und untersuchen, wie Menschen aus unserem Lager dagegen argumentieren.
'Der Kaiser ist nackt', also 'ID ist unbefriedigend ...' oder 'im Rahmen der derzeitigen Wissenschaftstheorie ist ID bestenfalls ein fünftes Rad am Wagen, das nicht stört' ist ein Thread, vollkommen legitim.
Aber es gibt Menschen, Dawkins gehört dazu, die wollen 'mehr'. Und dann wird es sehr schwierig, wenn man unsere
Standards nicht voraussetzen darf. Das heißt dann ganz konkret, dass man über 'Kleider' diskutiert. Aber dann muss man genau checken, was der Kaiser denn nun behauptet, anzuhaben. Strohmännchen abfackeln kommt dann schlecht.
ostfriese hat geschrieben:Man riskiert also nicht, Kreationisten automatisch Recht geben zu müssen, wenn sich die gegen ID in Stellung gebrachte Evolutionstheorie als korrekturbedürftig herausstellen sollte.
Es sei denn, man macht es so, wie Dawkins es meiner Meinung nach macht: bestimmte
mechanismische Auffassungen von Evolution einsetzen. Dann kann es nämlich passieren, dass die Karawane weiter zieht, und man merkt, dass Mutation und Selektion nicht alles ist, Genauer: so allgemein, dass es nichts mehr erklärt, sondern ex post factu immer und überall angewendet werden kann. Selbst wenn man unter 'Mutation' einen Design-Eingriff fasst.
ostfriese hat geschrieben:Die Annahme von Mutation und Selektion als evolutionären Mechanismen hat auf allen möglichen Gebieten der Philosophie ihre intellektuelle Fruchtbarkeit unter Beweis gestellt. Auf die hierbei gewonnenen Einsichten und Argumente sollte man nicht verzichten.
Natürlich nicht, aber man sollte checken, was Analogien und was Einsichten sind. 'conjectures and refutations' klingt nicht nur auf den dritten Blick wie 'Mutation und Selektion'. Aber der Teufel steckt im Detail: schau Dir mal an, wie heute Evolution angeblich funktioniert. 'Generation von Variation' und 'Auslese innerhalb derselben' ist immer irgendwie anwendbar. Aber 'Selektionstheorie' ist noch etwas präziser formuliert. Die spannende Frage beispielsweise angesichts von EvoDevo besteht darin, ob nicht irgendwann 'Generation von Variation' in Richtung 'Mutationsdruck' geht, und dann ist plötzlich die Rolle der Selektion irgendwie nicht mehr das, was die Theorie fordert. Es wäre eine interessante Aufgabe für eine Dissertation, zu untersuchen, ob der Zusammenhang zwischen Selektions
theorie (tm) und bestimmten Positionen nicht nur noch darin besteht, dass der Begriff 'Selektion' in diesen Arbeiten auftaucht.
Nur ein Beispiel. Schau Dir mal
Nilsson, D.-E.; Pelger, S. (1994) 'A Pessimistic Estimate of the Time Required for an Eye to Evolve' Proceedings of the Royal Society of London B 256:53-58
an. Fast schon ein Klassiker, genau so, wie Dawkins und vor ihm schon Darwin argumentiert, Selektionstheorie at its best, die Rolle der Selektion exakt herausgearbeitet, wird sehr oft zitiert, zu Recht.
Vergleiche das mit
Matzke, N. (2003) 'Evolution in (Brownian) space: a model for the origin of the bacterial flagellum'
URL:
http://www.talkdesign.org/faqs/flagellum.html letzter Zugriff: 22.10.2007
Schau mal, welche Rolle Selektion dort spielt. Nach meiner Einschätzung trennen beide Arbeiten Welten. Trotzdem werden beide von denselben Menschen als Argument für die gleiche 'Theorie' verwendet. Ich kann mir das nur damit erklären, dass sich kaum ein aktiver Forscher dafür interessiert, in welchen theoretischen Rahmen die eigene Arbeit eingebettet ist.
Kann sein, dass es in der Biologie eines Äquivalents der Entwicklung der Quantenmechanik bedarf. Wenn ich richtig informiert bin, entstand die moderne Wissenschaftstheorie in diesem Kontext: die alten Vorstellungen (wie absoluter Raum, absolute Zeit) erwiesen sich als problematisch. Immer wieder liest man in evolutionstheoretischen Arbeiten, dass der Status der Selektionstheorie den der newtonschen Mechanik teilen könnte: eine Untertheorie einer umfassenderen Theorie.
Kein Hoffnungsschimmer für ID oder sonstige Supranaturalisten, aber in meinen Augen ein Argument, Evolution ein wenig aus weltanschaulichen Kabbeleien herauszuhalten.