Warum glauben intelligente und gebildete Menschen?

Re: Warum glauben intelligente und gebildete Menschen?

Beitragvon Qubit » So 10. Aug 2008, 17:13

Fisherman's Fellow hat geschrieben:Da Du schon diesen neuen Begriff einführst, solltest Du ihn auch erläutern: Was sind denn die apriorischen Voraussetzungen mythisch-märchenhafter Erfahrung (im Gegensatz zu mythisch-religiöser, metaphysischer, wissenschaftlicher usw Erfahrung)?

Die "apriorischen Voraussetzungen" sind wesensidentisch und bestehen in reinen (arche-)psychischen Zuständen, die in einer Selbsttäuschung auf die "ausserpsychischen" Erfahrungen projiziert werden und mithin gleichsam "verdinglichte Selbsterfahrungen" repräsentieren.
Während die "mythisch-märchenhaften Erfahrungen" eher gesellschaftliche Erfahrungen repräsentieren, wurzeln die "mythisch-religiösen" in der "Naturerfahrung". Beide sind insofern "selbstbeseelte" Chimären menschlicher Fantasie.

Fisherman's Fellow hat geschrieben:Für mich bezeugt diese Äußerung nach dieser langen Debatte, dass Du nicht willens oder in der Lage bist, Deine eigenen Erfahrungsvoraussetzungen zu reflektieren und diese Unfähigkeit auf andere projizierst.

Es reicht hierfür eine gemeinsame Basis kritisch-rationalen Denkens. Bist du hierzu im Stande?

Fisherman's Fellow hat geschrieben:Naja, es bestand halt schon immer ein Unterschied zwischen denen, die eine Sprache nur sprechen konnten und denen, die auch ihre grammatikalischen Regeln verstanden.

Und es bestand auch immer schon ein Unterschied zwischen denen, die vermeinten, die "grammatikalischen Regeln" verstanden zu haben und denen, die sie wirklich verstanden.
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Re: Warum glauben intelligente und gebildete Menschen?

Beitragvon Fisherman's Fellow » So 10. Aug 2008, 18:06

Myron hat geschrieben:Daraus, dass die wissenschaftliche Forschung nicht voraussetzungslos, d.h. nicht theoriefrei ist, folgt nicht, dass sie grundsätzlich außerstande ist, zu objektiv gültigen Urteilen über die Wirklichkeit zu gelangen, wie schwierig es praktisch auch sein mag, dahin zu kommen.

Doch, das folgt daraus, denn die Wirklichkeit ist nicht dasselbe wie ihre "Repräsentation" in menschlichen Hirnen. Selbst eine noch so gute Theorie bleibt nicht mehr als ein System von Sätzen, und alles, was sie an Beobachtungen verwertet, wird auf die Gleise ihrer Prämissen gezwungen und kann nur solche Weichen zur Erkenntnis verwenden, welche ihnen die Theorie mit ihren Axiomen vorgegeben hat.

Nirgendwo gibt es eine Schnittstelle, die "objektiv gültige Urteile über die Wirklichkeit" zulässt.

Myron hat geschrieben:Außerdem ist es nicht so, dass alle apriorischen Annahmen grundsätzlich irrational sind und auf völlig willkürlichen, rein subjektiven Glaubensakten beruhen.

Nein, apriorische Annahmen sind nicht irrational, sondern auf Nützlichkeit hin orientiert. Insofern ist es falsch, von Willkür zu sprechen.
Ja, sie beruhen auf subjektiven Glaubensakten, insofern diejenigen Axiome verwendet werden, die der betreffende Wissenschaftler für glaubhaft hält (siehe zB die Diskussion um den EPR-Effekt) - dh die Vorstellung des Wissenschaftlers, was Wirklichkeit sei, bestimmt die apriorischen Grundlagen der Theorie.

Myron hat geschrieben:Analytisch-logische Erkenntnisse sind sicher nicht kontingent

Auch sie sind kontingent, denn es gibt unterschiedliche formale Systeme, und die jeweils zugrundeliegende Logik ist nur ein Konstrukt menschlicher Vernunft.
Wir haben keine Ahnung, in welchem Maß sie objektive Wirklichkeit abbildet, falls überhaupt.

Myron hat geschrieben:Zwei einander widersprechende Theorien können nicht beide die Wirklichkeit zutreffend beschreiben.

Wie willst Du diesen Satz beweisen? Du hast "Wirklichkeit" nur als apriorische Grundannahme und glaubst einfach nur, dass sich Wirklichkeit eindeutig beschreiben ließe.

Myron hat geschrieben:Und die angebliche empirische Bewährung der theistischen Metaphysik besteht in der Berufung auf angebliche mystisch-religiöse Erfahrungen, deren Wahrhaftigkeit und Zuverlässigkeit, gelinde gesagt, höchst fraglich ist.

Mythisch-religiöse Erfahrungsvoraussetzungen ermöglichen nicht nur "religiöse Erfahrungen", sondern auch Erfahrungen mit der alltäglichen Welt, aufgrund derer religiöse Weisheit ihre Gültigkeit erweist... seit Jahrtausenden.

Myron hat geschrieben:Außer rein subjektiven, rein anekdotischen Erlebnisschilderungen haben die Theologen nichts anzubieten. An die intersubjektiv gültige Methodik der Wissenschaften und deren Grad an Zuverlässigkeit kommen jene nicht annähernd heran.

Ich sehe einmal mehr, dass Du über die Innenperspektive Deines Physikalismus nicht hinausgelangst.

Grüßle,
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Re: Warum glauben intelligente und gebildete Menschen?

Beitragvon Fisherman's Fellow » So 10. Aug 2008, 18:21

Qubit hat geschrieben:Die "apriorischen Voraussetzungen" sind wesensidentisch und bestehen in reinen (arche-)psychischen Zuständen, die in einer Selbsttäuschung auf die "ausserpsychischen" Erfahrungen projiziert werden und mithin gleichsam "verdinglichte Selbsterfahrungen" repräsentieren.
Während die "mythisch-märchenhaften Erfahrungen" eher gesellschaftliche Erfahrungen repräsentieren, wurzeln die "mythisch-religiösen" in der "Naturerfahrung". Beide sind insofern "selbstbeseelte" Chimären menschlicher Fantasie.

Erfahrungsvoraussetzungen lassen sich axiomatisch formulieren. Danach hatte ich gefragt, aber davon ist in Deinen Auslassungen nichts zu finden.
Dass alle Arten von Erfahrungssystemen - rational betrachtet - in unserer Psyche wurzeln, ist eine Binsenweisheit.

Qubit hat geschrieben:
Fisherman's Fellow hat geschrieben:Für mich bezeugt diese Äußerung nach dieser langen Debatte, dass Du nicht willens oder in der Lage bist, Deine eigenen Erfahrungsvoraussetzungen zu reflektieren und diese Unfähigkeit auf andere projizierst.

Es reicht hierfür eine gemeinsame Basis kritisch-rationalen Denkens. Bist du hierzu im Stande?

Zur Unfähigkeit, die eigenen Erfahrungsvoraussetzungen zu reflektieren und sie auf andere zu projizieren? Nein, ich glaube nicht, dass man auf der Basis kritisch-rationalen Denkens einer solchen Unfähigkeit gelangt. Um so mehr wundert es mich, dass Dir anscheinend nicht bewusst ist, welche Konsequenzen sich aus unterschiedlichen Erfahrungsvoraussetzungen ergeben.

Qubit hat geschrieben:
Fisherman's Fellow hat geschrieben:Naja, es bestand halt schon immer ein Unterschied zwischen denen, die eine Sprache nur sprechen konnten und denen, die auch ihre grammatikalischen Regeln verstanden.

Und es bestand auch immer schon ein Unterschied zwischen denen, die vermeinten, die "grammatikalischen Regeln" verstanden zu haben und denen, die sie wirklich verstanden.

Und es bestand immer schon ein Unterschied zwischen kritisch reflektierenden Menschen und denen, die sich für "wirklich" im Recht hielten und dabei noch glaubten, rational zu argumentieren.

Grüßle,
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Re: Warum glauben intelligente und gebildete Menschen?

Beitragvon folgsam » So 10. Aug 2008, 18:28

FF, wir werden wohl in diesem Leben keine Einigung finden können. Du wirfst uns vor deine Erfahrungsvoraussetzungen nicht zu verstehen bzw. nicht ernst zu nehmen und wir sprechen deinen mythisch-märchenhaften/religiösen Erfahrungen jede Realität ausserhalb deiner Psyche und der deiner Glaubensgenossen ab.

Oder siehst du das anders?
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Re: Warum glauben intelligente und gebildete Menschen?

Beitragvon Fisherman's Fellow » So 10. Aug 2008, 21:37

folgsam hat geschrieben:FF, wir werden wohl in diesem Leben keine Einigung finden können.

Man muss sich ja nicht unbedingt einigen. Vielleicht kann man aus einer Debatte auch was lernen, ohne den Standpunkt der Diskussionspartner zu übernehmen. Ich habe schon ziemlich viel gelernt, glaube ich, auch wenn ich gestehe, dass sich die Diskus zur Zeit mehr und mehr im Kreise dreht. :rollsmilie3:

folgsam hat geschrieben: Du wirfst uns vor deine Erfahrungsvoraussetzungen nicht zu verstehen bzw. nicht ernst zu nehmen

Nur letzteres ist der Vorwurf. Ich werfe niemandem vor, sich nicht auf bestimmte Erfahrungsvoraussetzungen mit Haut und Haaren einzulassen, sondern im Gegenteil: Ihr tut das, indem Ihr (auch aus rationaler Sicht: fälschlicherweise) behauptet, dass naturwissenschaftliche Erfahrung der einzig verlässliche Weg zur Erkenntnis der (objektiven) Wahrheit sei.
Ich dagegen verlange nicht von Euch, dass Ihr Euch zu irgendeiner mythisch-religiösen Haltung "bekehrt", sondern drücke lediglich mein Befremden darüber aus, dass ihr eine solche Haltung diskreditiert und inkriminiert, obwohl Eure Ontologie (und damit Euer Wahrheitsbezug) genauso kontingent ist wie religiöse, weisheitliche und andere Erfahrungssysteme auch.

Gerade weil Ihr Euch auf die Vernunft beruft, wirkt das auf einen "Eindringling" wie mich bizarr, irrational, ignorant und/oder chauvinistisch.


Ich komme ganz gut mit El Schwalmos Standpunkt hin. Er hat die Kontingenz wissenschaftlicher Erfahrung festgestellt und - wie mir scheint, als einziger hier - konsequent weitergedacht. Anders als ich nimmt er einen agnostischen, konstruktivistischen Standpunkt ein und pfeift sozusagen auf die objektive Wahrheit, die wir ja doch nicht finden werden. Sein Skeptizismus scheint ihn auch davon abzuhalten, mythisch-religiöse Erfahrungssysteme in Bausch und Bogen zu verdammen, was ihn allerdings nicht hindert, bestimmte Aspekte der Religion anzugreifen.
Auch damit komme ich zurecht: Dass zB die meisten von Dawkins im "Gotteswahn" geschilderten Extremfälle ganz unerträglich und schädigend für die Menschen sind, finde ich auch. Aber das liegt an wahnhaften, feindbildverseuchten, ideologisierten Denkstrukturen, die in allen Weltanschauungen auftreten (auch bei Dawkins selbst), und nicht am Erfahrungssystem "Religion".

Qubit scheint zwar das mit der Prämissenabhängigkeit aller rationaler Erkenntnis anzuerkennen, aber dann zaubert er sich mit Hilfe einer letztlich zirkulären Denkfigur die objektive Wahrheit in seinen Rationalismus hinein, so dass ihm das gelingt, was selbst der Papst nicht schafft: Sich an die unmittelbare Wahrheit heranzuschwurbeln.

Myron verteidigt etwas, was auch ich gerne gegen El Schwalmo verteidigen mag: Die Bedeutung und Wichtigkeit der objektiven Wirklichkeit und den Willen, die Wahrheit zu finden. Aber letztlich diktiert ihm sein Glaube, was er doch erst herausfinden will: Dass nämlich die Wahrheit physikalischer Natur sei. Myrons Erklärungen sind faszinierend einleuchtend und griffig - aber, wie sich bei genauerer Betrachtung herausstellt: Zu einfach. Bei genauerer Betrachtung zerfließen angeblich gesicherte Erkenntnisse und überall tun sich Risse auf zwischen den verschiedenen Erfahrungssystemen (zB auch zwischen sinnlicher Alltags- und wissenschaftlicher Erfahrung), welche sich weder überbrücken noch miteinander vergleichen lassen.

Emporda mag nichts von philosphischen Wissenschaftsgrundlgen hören; das ist ihm Quacksalberei. In diesem Fall kann ich nicht helfen.

Und was Dich betrifft, komme ich nicht ganz mit, weil da anscheinend ganz extreme Schwankungen bestehen zwischen annähernder Übereinstimmung im Hinblick auf die Kontingenz wissenschaftlicher Erkenntnis und völlig unrealistischen und illusionären Hoffnungen auf Entdeckungen, welche schon dem Wesen von Wissenschaft widersprechen. Da werd ich echt nicht schlau draus.


Insgesamt scheint mir, dass bei den meisten Diskussionsteilnehmern die eigene Position mehr auf Wunschdenken als auf einer reflektierten Basis beruht, und genau deshalb bin ich immer wieder hartnäckig geblieben, weil ich dachte, dass sich dies für Vertreter vernünftigen Denkens nicht ziemt.
Aber nun werde ich wirklich eine Pause einlegen.

Ich wollte schon die ganze Zeit über dem Mr. Dawkins ein kleines Feedback auf seinen 'Gotteswahn geben. Das braucht Muße und Zeit.

Bis demnächst,
FF
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Re: Warum glauben intelligente und gebildete Menschen?

Beitragvon El Schwalmo » So 10. Aug 2008, 22:25

Fisherman's Fellow hat geschrieben:Insgesamt scheint mir, dass bei den meisten Diskussionsteilnehmern die eigene Position mehr auf Wunschdenken als auf einer reflektierten Basis beruht,

wenn wir schon beim Fazit-Ziehen sind, auch noch meine 0,02 EUR.

Für mich war es interessant, inkommensurable Weltbilder aufeinander stoßen zu sehen. Es war aufschlussreich, zu erleben, dass sich jemand in einem Forum wie diesem traut, eine supranaturalistische Position zu vertreten und nicht gleich aufgibt, wenn die andere Seite mit irgendwelchen Zitaten aufwartet. Spannend war auch, wann eine Seite die Diskussion beendet.

Zu hoffen bleibt, dass gelernt wurde. Wobei ich davon ausgehe, dass Du viel weniger lernen musstest als etliche andere.
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Re: Warum glauben intelligente und gebildete Menschen?

Beitragvon Qubit » So 10. Aug 2008, 23:17

Fisherman's Fellow hat geschrieben:Qubit scheint zwar das mit der Prämissenabhängigkeit aller rationaler Erkenntnis anzuerkennen, aber dann zaubert er sich mit Hilfe einer letztlich zirkulären Denkfigur die objektive Wahrheit in seinen Rationalismus hinein


Wenn das deine Quintessenz meiner Ausführungen ist, dann tut es mir leid, dass du da deine Zeit verschwendet hast:
Du hast wesentliche Teile davon nicht verstanden!
"Objektive Wahrheit" ist mir ein Fremdwort (wo spreche ich hiervon?). Es liegt auch nichts Zirkuläres darin, seine "Prämissen" am Status Quo seines (naturwissenschaftlichen) Weltbildes zu justieren. Im Gegenteil, darin liegt ein wesentlicher Vorteil der wissenschaftlichen Methodik gegenüber der religiös-verkorksten Dogmatik. Meine - zugegebenermaßen knappen - Ausführungen zur Erkenntniskritik der naturwissenschaftlichen Methodik wird also von dir falsch wiedergegeben.
Der weitere Aspekt davon, dass es neben dieser kritischen-rationalen Methodik keine gleichmächtige "mythisch-religiöse" Erkenntnisquelle gibt, habe ich bisher nur angedeutet (in einem Forum verfasse ich keine umfangreichen Traktate ;-))
Der Ausgangspunkt ist hier der kleinste gemeinsame Nenner unserer Erfahrungen, die (alltägliche) Wahrnehmungswelt. Sie wird erfolgreich durch die naturwissenschaftliche Methodik erklärt und führt im weiteren Abstraktionsprozess zum Begriff der Natur und Naturalismus (als Ontologie). Auch hier gibt es kein den Naturwissenschaften gleichmächtiges Erklärungsmodell. Als heuristisches Prinzip resultiert hier eine "Einheit der Natur". Letzteres "naturifiziert" alles, was in der Natur wirkt und macht dieses der naturwissenschaftlichen Methodik zugänglich. "Mythisch-religiöse" Erfahrungen sind mithin für die Wirklichkeit der Natur nicht notwendig und im allgemeinen gar widersprüchlich (insofern sie Aussagen über die Natur machen).
In diesem Sinne behauptest du implizierend, dass deine "mythisch-religiöse" Erkenntnisquelle gleichsam auf einem "Schöpfer-Kanal ausserhalb der Natur auf Empfang steht". Womit du empfängst, weiss du aber selber nicht. Deutest aber an, dass dies sich nicht rational erklären liesse, nach meinen obigen Ausführungen sich also wesenhaft ausserhalb der Natur manifestiere, also "übernatürlich" wäre. Hierauf können wir uns nicht verständigen (mein Empfang ist nach deinen Darlegungen "gestört"). Andererseits ist aus naturwissenschaftlicher SIcht diese deine "mythisch-religiöse" Erkenntnisquelle durchaus "entmythisierbar", indem sie als reines psychisches Phänomen deinerseits beschreibar ist, das Prinzip der "Einheit der Natur" also erhalten und bekräftigt wird.
Bisher hast du gegenüber meinem Standpunkt keine erfolgreichen Gegenargumente ins Feld führen können, so dass mein Fazit vielmehr lautet:
Der Rationalismus im Naturalismus bleibt unangetastet, übernatürliche Erklärungselemente sind nicht notwendig sondern gar widersprüchlich!

PS: Du siehst, ich habe deine Erfahrungsvoraussetzungen durchaus ernst genommen und genauso ernsthaft auf naturalistisches Fundament gestellt =)
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Re: Warum glauben intelligente und gebildete Menschen?

Beitragvon folgsam » Mo 11. Aug 2008, 00:07

Fisherman's Fellow hat geschrieben:Und was Dich betrifft, komme ich nicht ganz mit, weil da anscheinend ganz extreme Schwankungen bestehen zwischen annähernder Übereinstimmung im Hinblick auf die Kontingenz wissenschaftlicher Erkenntnis und völlig unrealistischen und illusionären Hoffnungen auf Entdeckungen, welche schon dem Wesen von Wissenschaft widersprechen.



Das beruht vielleicht auf Unkenntnis der Definition des Begriffs der technologischen Singularität.
Sie besagt nichts weiter, als dass der technische und wissenschaftliche Fortschritt, der seit beginn der konsequenten Anwendung der kritisch-rationalen Methode exponentiell zunimmt, irgendwann einen Punkt erreicht ab dem ein Mensch ohne Hilfsmittel die technologische Entwicklung nicht mehr nachvollziehen kann, der Prozess sich also selbst verstärkt und beschleunigt. Dies kann durch die Entwicklung und Etablierung künstlicher Inteligenzen oder Technologien zur Inteligenz und Leistungssteigerung eintreten. Der Futorologe Ray Kurzweil schätzt das Eintreten dieses Ereignishorizonts auf 2030, also noch zu unseren Lebzeiten. Ich dück jedenfalls beide Daumen, in dem Wissen das es sich hierbei um eine extrem optimischte Schätzung handelt.

Was deine Position angeht: Obschon ich akzeptiere, dass man die Welt auch aus Sicht deiner "mythisch-religiösen Erfahrungsvoraussetzungen" erfahren kann (ich muss an die autobiographische Kurzgeschichte aus Sicht eines steinzeitlichen Schamanenzöglings in Hermann Hesses Das Glasperlenspiel denken), verneine ich eine Gleichberechtigte Position neben der kritisch-rationalen Methode. Für mich sind dies vorwissenschaftliche Erklärungsmodelle und rein psychologische Phänomene, die unsere Welt nicht besser zu erklären vermögen.

Fisherman's Fellow hat geschrieben:Da werd ich echt nicht schlau draus.


Ich widerspreche mir selbst?
Nun gut so: Ich widerspreche mir selbst.
Ich bin groß: Ich vermag eine Menge zu fassen


- Walt Whitman

Keine Antwort die im rationalen Diskurs erlaubt ist, aber es gibt eine psychologische Ebene die ich akzeptiere :^^:
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Re: Warum glauben intelligente und gebildete Menschen?

Beitragvon Myron » Mo 11. Aug 2008, 02:39

Fisherman's Fellow hat geschrieben:Doch, das folgt daraus, denn die Wirklichkeit ist nicht dasselbe wie ihre "Repräsentation" in menschlichen Hirnen.


Daraus, dass das Repräsentierende (Namen, Prädikate, Sätze, Bilder) vom Repräsentierten (Dinge, Eigenschaften, Sachverhalte) verschieden ist, folgt nicht, dass unsere Repräsentationen nicht dazu taugen, die Wirklichkeit wirklichkeitsgetreu zu repräsentieren.

Fisherman's Fellow hat geschrieben:Selbst eine noch so gute Theorie bleibt nicht mehr als ein System von Sätzen, und alles, was sie an Beobachtungen verwertet, wird auf die Gleise ihrer Prämissen gezwungen und kann nur solche Weichen zur Erkenntnis verwenden, welche ihnen die Theorie mit ihren Axiomen vorgegeben hat.


Die Empirie, d.i. die Experimente und Beobachtungen, scheint in deinen Augen in den empirischen Wissenschaften ja keine wichtige Rolle zu spielen. Du marginalisierst sie ungerechtfertigterweise als aposteriorische Erkenntnisquelle geradezu.
Wozu brauchen wir die Empirie dann überhaupt noch, wenn letzten Endes eh alles rein theoretisch, rein apriorisch entschieden wird?!
Ich habe inzwischen den Eindruck, dass du im Grunde darauf abzielst, die Wissenschaft wieder zu bloßer spekulativer Metaphysik zu degradieren, um eine epistemologisch-ontologische Gleichberechtigung von Wissenschaft und Religion bzw. religiöser Metaphysik behaupten sowie fordern zu können, nach dem Motto: "Die Naturwissenschaft ist ja eigentlich nichts weiter als apriorisch-spekulative Philosophie mit nebensächlichem, nicht ausschlaggebendem empirischem Beiwerk; und deswegen darf sie es sich nicht anmaßen, sich zur objektiven Richterin über wahr und falsch zu ernennen!"

Fisherman's Fellow hat geschrieben:Nirgendwo gibt es eine Schnittstelle, die "objektiv gültige Urteile über die Wirklichkeit" zulässt.


Doch, als lebendiger Teil der Wirklichkeit stehst du im direkten Kontakt mit ihr.
Die "Schnittstellen" zur konkreten Wirklichkeit sind die Reizempfänger deiner Sinnesorgane.

Fisherman's Fellow hat geschrieben:Ja, sie beruhen auf subjektiven Glaubensakten, insofern diejenigen Axiome verwendet werden, die der betreffende Wissenschaftler für glaubhaft hält (siehe zB die Diskussion um den EPR-Effekt) - dh die Vorstellung des Wissenschaftlers, was Wirklichkeit sei, bestimmt die apriorischen Grundlagen der Theorie.


Die genuin metaphysischen Voraussetzungen der Naturwissenschaften sind minimal. Sie brauchen im Grunde nur eine selbstständige und geordnete, d.i. nicht völlig strukturlose, Wirklichkeit, in der ursächliche, gesetzlich geregelte Vorgänge selbsttätig ablaufen.
Hinsichtlich der Beschaffenheit der Wirklichkeit im Einzelnen ist damit praktisch noch nichts apriorisch festgelegt.

Fisherman's Fellow hat geschrieben:
Myron hat geschrieben:Zwei einander widersprechende Theorien können nicht beide die Wirklichkeit zutreffend beschreiben.

Wie willst Du diesen Satz beweisen?


Indem ich dich auf die elementaren logischen Prinzipien verweise.

Fisherman's Fellow hat geschrieben:Du hast "Wirklichkeit" nur als apriorische Grundannahme und glaubst einfach nur, dass sich Wirklichkeit eindeutig beschreiben ließe.


Die Wirklichkeit kann auf unterschiedliche Weise, d.h. mittels unterschiedlicher Begriffsschemata, zutreffend beschrieben werden; aber es kann nicht vorkommen, dass zwei zutreffende Beschreibungen eines Sachverhaltes einander widersprechen.
Wenn zwei Aussagen oder zwei zusammenhängende Aussagenmengen (= Theorien), A und B, einander widersprechen, dann ist notwendigerweise entweder A falsch oder B—und zwar auch dann, wenn sowohl A als auch B in sich widerspruchsfrei sind.

Und was die angebliche Uneindeutigkeit von Wirklichkeitsbeschreibungen betrifft, so erscheinen mir wahre naturwissenschaftliche Sätze wie "Wasser ist aus zwei Wasserstoffatomen und einem Sauerstoffatom zusammengesetzt" ziemlich unzweideutig.
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Re: Warum glauben intelligente und gebildete Menschen?

Beitragvon El Schwalmo » Mo 11. Aug 2008, 06:10

Myron hat geschrieben:Wenn zwei Aussagen oder zwei zusammenhängende Aussagenmengen (= Theorien), A und B, einander widersprechen, dann ist notwendigerweise entweder A falsch oder B—und zwar auch dann, wenn sowohl A als auch B in sich widerspruchsfrei sind.

das Dumme ist nur, dass A und B falsch sein können.
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Re: Warum glauben intelligente und gebildete Menschen?

Beitragvon Myron » Mo 11. Aug 2008, 13:33

El Schwalmo hat geschrieben:
Myron hat geschrieben:Wenn zwei Aussagen oder zwei zusammenhängende Aussagenmengen (= Theorien), A und B, einander widersprechen, dann ist notwendigerweise entweder A falsch oder B—und zwar auch dann, wenn sowohl A als auch B in sich widerspruchsfrei sind.

das Dumme ist nur, dass A und B falsch sein können.


Das ist möglich, wenn es sich um konträre Aussagen handelt, aber nicht im Fall von kontradiktorischen Aussagen.
Beispiel:
— "Angela Merkels Privathaus ist (ausschließlich) weiß angestrichen." + "Angela Merkels Privathaus ist (ausschließlich) beige angestrichen."
Diese beiden Aussagen sind konträr, weil ein Haus nicht sowohl (ausschließlich) weiß als auch (ausschließlich) beige angestrichen sein kann. Doch es ist möglich, dass das Haus weder weiß noch beige angestrichen ist.
— "Angela Merkels Privathaus ist (ausschließlich) weiß angestrichen." + "Angela Merkels Privathaus ist (ausschließlich) nicht weiß angestrichen."
Diese beiden Aussagen sind kontradiktorisch, und eine der beiden muss wahr sein, da gilt: A v ~A
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Re: Warum glauben intelligente und gebildete Menschen?

Beitragvon Myron » Mo 11. Aug 2008, 14:08

Fisherman's Fellow hat geschrieben:Nur letzteres ist der Vorwurf. Ich werfe niemandem vor, sich nicht auf bestimmte Erfahrungsvoraussetzungen mit Haut und Haaren einzulassen, sondern im Gegenteil: Ihr tut das, indem Ihr (auch aus rationaler Sicht: fälschlicherweise) behauptet, dass naturwissenschaftliche Erfahrung der einzig verlässliche Weg zur Erkenntnis der (objektiven) Wahrheit sei.
Ich dagegen verlange nicht von Euch, dass Ihr Euch zu irgendeiner mythisch-religiösen Haltung "bekehrt", sondern drücke lediglich mein Befremden darüber aus, dass ihr eine solche Haltung diskreditiert und inkriminiert, obwohl Eure Ontologie (und damit Euer Wahrheitsbezug) genauso kontingent ist wie religiöse, weisheitliche und andere Erfahrungssysteme auch.


"Kontingent" bedeutet nicht "falsch", sondern "nicht notwendigerweise wahr". Wir Naturalisten behaupten in der Tat, dass das mythisch-religiöse Weltbild de facto falsch ist, und dass die sogenannten mythisch-mystisch-religiösen Erfahrungen keine echte Erkenntnisquelle sui generis darstellen, die Wissen über "numinose", d.i. göttliche spirituelle Substanzen ermöglicht, sondern auf Missinterpretationen außergewöhnlicher, aber ganz natürlicher Seelenzustände zurückzuführen sind.
Es mag andere Welten geben, in denen der Naturalismus (Materialismus) falsch und der Theismus wahr ist. Aber wir Naturalisten vertreten die Ansicht, dass Letzterer zumindest in unserer Welt tatsächlich falsch ist.
Unsere Welt ist vollkommen götter- und seelenfrei, und es gibt keine guten Gründe, das Gegenteil anzunehmen.
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Re: Warum glauben intelligente und gebildete Menschen?

Beitragvon El Schwalmo » Mo 11. Aug 2008, 15:58

Myron hat geschrieben:
El Schwalmo hat geschrieben:
Myron hat geschrieben:Wenn zwei Aussagen oder zwei zusammenhängende Aussagenmengen (= Theorien), A und B, einander widersprechen, dann ist notwendigerweise entweder A falsch oder B—und zwar auch dann, wenn sowohl A als auch B in sich widerspruchsfrei sind.

das Dumme ist nur, dass A und B falsch sein können.


Das ist möglich, wenn es sich um konträre Aussagen handelt, aber nicht im Fall von kontradiktorischen Aussagen.
Beispiel:
— "Angela Merkels Privathaus ist (ausschließlich) weiß angestrichen." + "Angela Merkels Privathaus ist (ausschließlich) beige angestrichen."
Diese beiden Aussagen sind konträr, weil ein Haus nicht sowohl (ausschließlich) weiß als auch (ausschließlich) beige angestrichen sein kann. Doch es ist möglich, dass das Haus weder weiß noch beige angestrichen ist.
— "Angela Merkels Privathaus ist (ausschließlich) weiß angestrichen." + "Angela Merkels Privathaus ist (ausschließlich) nicht weiß angestrichen."
Diese beiden Aussagen sind kontradiktorisch, und eine der beiden muss wahr sein, da gilt: A v ~A

was in unserem Kontext interessiert sind interpretierte Kalküle. Wenn Du gar nicht weißt, ob das Haus überhaupt angestrichen ist, sind Überlegungen wie die, die Du gerade angestellt hast, nicht besonders hilfreich.
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Re: Warum glauben intelligente und gebildete Menschen?

Beitragvon darwin upheaval » Di 12. Aug 2008, 16:08

Fisherman's Fellow hat geschrieben:Ich werfe niemandem vor, sich nicht auf bestimmte Erfahrungsvoraussetzungen mit Haut und Haaren einzulassen, sondern im Gegenteil: Ihr tut das, indem Ihr (auch aus rationaler Sicht: fälschlicherweise) behauptet, dass naturwissenschaftliche Erfahrung der einzig verlässliche Weg zur Erkenntnis der (objektiven) Wahrheit sei.
Ich dagegen verlange nicht von Euch, dass Ihr Euch zu irgendeiner mythisch-religiösen Haltung "bekehrt", sondern drücke lediglich mein Befremden darüber aus, dass ihr eine solche Haltung diskreditiert und inkriminiert, obwohl Eure Ontologie (und damit Euer Wahrheitsbezug) genauso kontingent ist wie religiöse, weisheitliche und andere Erfahrungssysteme auch.

Gerade weil Ihr Euch auf die Vernunft beruft, wirkt das auf einen "Eindringling" wie mich bizarr, irrational, ignorant und/oder chauvinistisch.


Ich komme ganz gut mit El Schwalmos Standpunkt hin. Er hat die Kontingenz wissenschaftlicher Erfahrung festgestellt und - wie mir scheint, als einziger hier - konsequent weitergedacht. Anders als ich nimmt er einen agnostischen, konstruktivistischen Standpunkt ein und pfeift sozusagen auf die objektive Wahrheit, die wir ja doch nicht finden werden. Sein Skeptizismus scheint ihn auch davon abzuhalten, mythisch-religiöse Erfahrungssysteme in Bausch und Bogen zu verdammen, was ihn allerdings nicht hindert, bestimmte Aspekte der Religion anzugreifen.
Auch damit komme ich zurecht: Dass zB die meisten von Dawkins im "Gotteswahn" geschilderten Extremfälle ganz unerträglich und schädigend für die Menschen sind, finde ich auch. Aber das liegt an wahnhaften, feindbildverseuchten, ideologisierten Denkstrukturen, die in allen Weltanschauungen auftreten (auch bei Dawkins selbst), und nicht am Erfahrungssystem "Religion".


Man kann die Diskussion aber auch sehr sachlich auf dem Boden einer reflektierten naturalistischen Philosophie führen. Dazu muss man sich keinen wachsweichen Agnostizismus aneignen, der ohnehin nur eine palliative Funktion zu haben scheint, insofern als man die intellektuellen Spannungen gerne überbrückt sehen möchte. Am konsequentesten erscheint mir immer noch ein hypothetisch-ontologischer Naturalismus. (Vor diesem Hintergrund würde mich vor allem interessieren, mit welcher intellektuellen Legitimation man Religion als "Erfahrungssystem" bezeichnen kann.)

Nur für den Fall, dass Dich meine Argumente interessieren, muss ich Dich noch etwas vertrösten. Kann sein, dass mein Standpunkt in Form einer Replik in einer philosophischen Zeitschrift erscheinen wird.
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Re: Warum glauben intelligente und gebildete Menschen?

Beitragvon darwin upheaval » Di 12. Aug 2008, 16:50

Fisherman's Fellow hat geschrieben:
Myron hat geschrieben:Daraus, dass die wissenschaftliche Forschung nicht voraussetzungslos, d.h. nicht theoriefrei ist, folgt nicht, dass sie grundsätzlich außerstande ist, zu objektiv gültigen Urteilen über die Wirklichkeit zu gelangen, wie schwierig es praktisch auch sein mag, dahin zu kommen.

Doch, das folgt daraus, denn die Wirklichkeit ist nicht dasselbe wie ihre "Repräsentation" in menschlichen Hirnen. Selbst eine noch so gute Theorie bleibt nicht mehr als ein System von Sätzen, und alles, was sie an Beobachtungen verwertet, wird auf die Gleise ihrer Prämissen gezwungen und kann nur solche Weichen zur Erkenntnis verwenden, welche ihnen die Theorie mit ihren Axiomen vorgegeben hat.

Nirgendwo gibt es eine Schnittstelle, die "objektiv gültige Urteile über die Wirklichkeit" zulässt.


Ich finde es immer bemerkenswert, wenn Christen wie radikale Konstruktivisten argumentieren, um den Eindruck zu erwecken, es herrsche ein argumentatives Patt: der Naturalist müsse im gleichem Maße wie der Theist von etwas ausgehen, was er nicht beweisen kann. Dagegen spricht allerdings das Argument der Begründungslast. Derjenige, der die Existenz des umfassenderen Seinsbereichs behauptet, trägt die argumentative Stützungslast. Der Naturalist bezieht insofern die sparsamere Position, als er nicht mehr behauptet, als zum Verständnis des Gesetzesnetzes der Natur unbedingt erforderlich ist. Er braucht Gott nicht zu widerlegen, sondern kann abwarten, bis der Theist seine guten Gründe für dessen Existenz vorbringt. Solange weder ein empirisches Moment noch ein Theorem für dessen Existenz auf dem Tisch liegt, existiert (auch und gerade aus Sicht des methodischen Skeptizismus) die behauptete Entität aus naturalistischer Sicht nicht. Da der Naturalismus revidierbar ist, läuft der an dieser Stelle immer wieder vorgebrachte Ideologievorwurf ins Leere. Er ist aufgrund seiner ontologischen und methodischen Sparsamkeit besser kritisierbar als jede außerweltliche Ontologie.
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Re: Warum glauben intelligente und gebildete Menschen?

Beitragvon Caliga » Mi 13. Aug 2008, 00:25

darwin upheaval hat geschrieben:Ich finde es immer bemerkenswert, wenn Christen wie radikale Konstruktivisten argumentieren, um den Eindruck zu erwecken, es herrsche ein argumentatives Patt: der Naturalist müsse im gleichem Maße wie der Theist von etwas ausgehen, was er nicht beweisen kann. Dagegen spricht allerdings das Argument der Begründungslast. Derjenige, der die Existenz des umfassenderen Seinsbereichs behauptet, trägt die argumentative Stützungslast. Der Naturalist bezieht insofern die sparsamere Position, als er nicht mehr behauptet, als zum Verständnis des Gesetzesnetzes der Natur unbedingt erforderlich ist. Er braucht Gott nicht zu widerlegen, sondern kann abwarten, bis der Theist seine guten Gründe für dessen Existenz vorbringt. Solange weder ein empirisches Moment noch ein Theorem für dessen Existenz auf dem Tisch liegt, existiert (auch und gerade aus Sicht des methodischen Skeptizismus) die behauptete Entität aus naturalistischer Sicht nicht. Da der Naturalismus revidierbar ist, läuft der an dieser Stelle immer wieder vorgebrachte Ideologievorwurf ins Leere. Er ist aufgrund seiner ontologischen und methodischen Sparsamkeit besser kritisierbar als jede außerweltliche Ontologie.


Ich finde es immer bemerkenswert, wenn Leute davon ausgehen, dass eine Ansicht automatisch richtig wird, wenn die andere falsch oder unbewiesen ist. Man kann Gott nicht beweisen. Er ist ja schließlich per Definition außerhalb des Erforschbaren.

Wissenschaftliche Theorien lassen sich dagegen überprüfen. Man könnte zum Beispiel herausfinden, dass verschiedene Methoden zur radiometrischen Altersbestimmung um bis zu 40% abweichende Ergebnisse liefern. Man könnte auch die Zulässigkeit solcher Messungen im gesamten in Frage stellen, da sie nur dann gültige Ergebnisse liefern können, wenn die vermessenen Isotope ausschließlich aus dem zugrunde gelegten Zerfall stammen. (Um nur eine Voraussetzung zu nennen). Man könnte auch untersuchen, wie 'junge' Fossilien in 'alte' Schichten gelangten. Man könnte auch Berechnungen zur Wahrscheinlichkeit des Lebens anstellen.

Man könnte natürlich auch hinterher weiterhin an der Meinung festhalten, das Leben durch Zufall entstehen kann. Was das aber mit rationalem Denken zu tun hat, bleibt mir schleierhaft.

Der Zweifler bezieht insofern die sparsamere Position... Er braucht den Naturalismus nicht zu widerlegen, sondern kann abwarten, bis selbiger eine schlüssige Theorie vorbringt.

Zur ursprünglichen Frage:
Alle Menschen glauben. Und welcher Glaube der 'rationalste' ist, hängt wohl in erster Line vom persönlichen Vor-Wissen und den persönlichen Vor-Urteilen ab.
Ich persönlich halte den Glauben an 'magische Steine', Horoskope und ähnliche Scharlatanerie für am irrationalsten.
Den Glauben an eine Schöpfermacht halte ich dagegen nicht für irrational. Auch aus Mangel an schlüssigen Alternativen.

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Re: Warum glauben intelligente und gebildete Menschen?

Beitragvon folgsam » Mi 13. Aug 2008, 00:36

Die Gotteshypothese erklärt rein gar nichts, auch nicht in der Frage der Entstehung des Lebens. Es stellt sich viel mehr die Frage: Wer hat den Schöpfer erschaffen? Ein wahrlich unknackbares Problem!

Dagegen mutet die Entstehung einfacher reproduzierender Strukturen mit fähigkeit zur Evolution fast trivial an.
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Re: Warum glauben intelligente und gebildete Menschen?

Beitragvon Caliga » Mi 13. Aug 2008, 01:20

folgsam hat geschrieben:Die Gotteshypothese erklärt rein gar nichts, auch nicht in der Frage der Entstehung des Lebens. Es stellt sich viel mehr die Frage: Wer hat den Schöpfer erschaffen? Ein wahrlich unknackbares Problem!

Dagegen mutet die Entstehung einfacher reproduzierender Strukturen mit fähigkeit zur Evolution fasst trivial an.


Ich habe andersherum argumentiert: Ich meinte, die Unzulänglichkeit der gängigen Entstehungstheorien machen Alternativen erforderlich.
Könntest du bitte näher ausführen warum die... äh... 'Gotteshypothese', also die Annahme, dass es einen Schöpfer gibt, die Schöpfung nicht plausibel macht?

Wenn für dich schon die die Schöpfung des Schöpfers ein unknackbares Problem ist, wie ist es dann damit:
Wer hat den Urknall erschaffen?
Der Unterschied zwischen den beiden Fragen liegt darin, dass der Urknall selbst Teil dieser Wirklichkeit ist (wäre). Das Ursache-Wirkung-Prinzip gilt auch für ihn. Man kann das Problem zwar in philosophische Elfenbeintürmchen verlagern indem man annimmt, der Urknall entstand durch die Kollision zweier Branes in höheren Dimensionen (o.ä.). Damit verschiebt man aber das eigentliche Problem mit der Henne nur an einen anderen Ort.
Wenn die Gotteshypothese aber beinhaltet, dass Gott außerhalb der Schöpfung steht, kann man ihn nicht in die Gesetze von Raum und Zeit hineinzwängen, die er selbst geschaffen hat.
Was ewig ist, hat auch keine Herkunft. Das mag zwar noch schwerer zu begreifen sein als Strings, Branes und die elfte Dimension, ist deswegen aber nicht automatisch unwahrscheinlicher.

Nun finde ich mich hier schon wieder in der Rolle des Apologeten, obwohl mein eigentliches Argument doch war, dass die naturalistischen Theorien mir auf zu offensichtlich wackeligen Beinen stehen.
Na gut, vielleicht auch nicht offensichtlich.
Oder wie kommst du zu der Auffassung, dass die Entstehung sich selbst reproduzierbarer Strukturen trivial sei?
Ich möchte dich ermutigen, nachzurechnen wie groß die Wahrscheinlichkeit für die Entstehung einfachen Lebens ist. Du darfst dabei gerne einige Vereinfachungen vornehmen.
Alternativ akzeptiere ich natürlich auch einen Link, der die postulierte Trivialität anschaulich und sachlich darlegt.

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Re: Warum glauben intelligente und gebildete Menschen?

Beitragvon Myron » Mi 13. Aug 2008, 02:35

darwin upheaval hat geschrieben:(Vor diesem Hintergrund würde mich vor allem interessieren, mit welcher intellektuellen Legitimation man Religion als "Erfahrungssystem" bezeichnen kann.)


Bis vor kurzem kannte ich nur den Begriff der religiösen oder mystischen Erfahrung.
Dann lernte ich durch Fisherman den Begriff der mythischen Erfahrung kennen.

"Mythische Erfahrung kommt zustande, indem numinose Substanz in den Menschen eindringt, und dann kann diese Erfahrung in Basissätzen, die also von der Arché bestimmt sind, ausgesprochen werden."

(Kuhn, Dieter. Metaphysik Und Geschichte: Zur Theologie Ernst Lohmeyers. Berlin: de Gruyter, 2005. S. 61)

Wie ein Mensch spüren kann, dass eine "numinose Substanz", also irgendein göttliches Wesen in ihn eingedrungen ist, ist mir absolut schleierhaft. Der ganze Begriff einer derartigen Erfahrung erscheint mir völlig abstrus und letztlich absurd.

Zum Begriff der mystischen Erfahrung:

"In the wide sense, let us say that a ‘mystical experience,’ is:

A (purportedly) super sense-perceptual or sub sense-perceptual experience granting acquaintance of realities or states of affairs that are of a kind not accessible by way of sense perception, somatosensory modalities, or standard introspection.
(...)
In the narrow sense, more common among philosophers, ‘mystical experience’ refers to a sub-class of mystical experience in the wide sense. Specifically it refers to:

A (purportedly) super sense-perceptual or sub sense-perceptual unitive experience granting acquaintance of realities or states of affairs that are of a kind not accessible by way of sense-perception, somatosensory modalities, or standard introspection."


"Lasst uns sagen, dass eine 'mystische Erfahrung' im weiteren Sinne Folgendes ist:

Eine (vorgeblich) über- oder untersinnliche Wahrnehmungserfahrung, wodurch eine direkte Kontaktaufnahme mit Wirklichkeiten oder Sachverhalten zustande kommt, die derartig sind, dass ein Zugang zu ihnen über die Sinneswahrnehmung, die somatosensorischen Modalitäten oder die normale Introspektion nicht möglich ist.
(...)
Im engeren, unter den Philosophen gebräuchlicheren Sinn, bezieht sich 'mystische Erfahrung' auf eine Unterklasse der mystischen Erfahrungen im weiteren Sinn. Insbesondere bezieht es sich auf Folgendes:

Eine (vorgeblich) unter- oder übersinnliche vereinigende Wahrnehmungserfahrung, wodurch eine direkte Kontaktaufnahme mit Wirklichkeiten oder Sachverhalten zustande kommt, die derartig sind, dass ein Zugang zu ihnen über die Sinneswahrnehmung, die somatosensorischen Modalitäten oder die normale Introspektion nicht möglich ist."

[meine Übers.]

(http://plato.stanford.edu/entries/mysticism)


"Mystical experience, an experience alleged to reveal some aspect of reality not normally accessible to sensory experience or cognition. The experience—typically characterized by its profound emotional impact on the one who experiences it, its transcendence of spatial and temporal distinctions, its transitoriness, and its ineffability—is often but not always associated with some religious tradition. In theistic religions, mystical experiences are claimed to be brought about by God or by some other superhuman agent. Theistic mystical experiences evoke feelings of worshipful awe. Their content can vary from something no more articulate than a feeling of closeness to God to something as specific as an item of revealed theology, such as, for a Christian mystic, a vision of the Trinity. Non-theistic mystical experiences are usually claimed to reveal the metaphysical unity of all things and to provide those who experience them with a sense of inner peace or bliss."

"Mystische Erfahrung, eine Erfahrung, in der angeblich ein bestimmter Aspekt der Realität zum Vorschein kommt, welcher nicht auf normalem Wege der Sinneserfahrung oder dem rationalen Erkenntnisvermögen zugänglich ist. Die Erfahrung—typischerweise gekennzeichnet durch den tiefen emotionalen Eindruck, den sie bei demjenigen hinterlässt, der sie erlebt, ihre Überwindung räumlicher und zeitlicher Unterschiede, ihre Kurzzeitigkeit und ihre Unaussprechlichkeit—steht oft, aber nicht immer in Verbindung mit einer bestimmten religiösen Tradition. In den theistischen Religionen wird behauptet, dass mystische Erfahrungen von Gott oder einem anderen übermenschlichen Akteur hervorgerufen werden. Theistische mystische Erfahrungen lösen ein Gefühl von verehrungsvoller Ehrfurcht aus. Ihr Inhalt kann zwischen etwas schwanken, das so unbestimmt ist wie ein Gefühl von Gottesnähe, und etwas, das so spezifisch ist wie ein Punkt der Offenbarungstheologie, wie beispielsweise für einen christlichen Mystiker eine Vision der Dreifaltigkeit. Von nichttheistischen mystischen Erfahrungen wird üblicherweise behauptet, dass sich in ihnen die metaphysische Einheit aller Dinge offenbare, und dass sie denjenigen, die sie erleben, ein Gefühl von innerem Frieden oder Seligkeit verschaffen."
[meine Übers.]

(Audi, Robert, ed. The Cambridge Dictionary of Philosophy. 2nd ed. Cambridge: Cambridge University Press, 1999.)
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Re: Warum glauben intelligente und gebildete Menschen?

Beitragvon Myron » Mi 13. Aug 2008, 02:49

folgsam hat geschrieben:Wer hat den Schöpfer erschaffen? Ein wahrlich unknackbares Problem!


Als Theologe würde ich antworten: Niemand, denn Gott ist wesensnotwendig ("essentialiter") ewig und somit unerschaffen.
(Das ist ausnahmsweise eine Antwort, die ich den Theologen durchgehen lasse.)
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