Naturalismus ist Grundlage einer Religion

Naturalismus ist Grundlage einer Religion

Beitragvon Nathan » Mi 27. Feb 2008, 20:55

Der Atheismus selbst ist zwar keine Religion, aber der Naturalismus kann die Grundlage einer Religion werden. In dem folgenden Essay habe ich versucht in zusammen zu fassen, was ich unter "Naturmystik" verstehe. Die Namensgebung erklärt sich dann von selbst:

Die Religion der Deutschen

Die Säkularisierung des Abendlandes scheint eine Tatsache zu sein. Von den einen wird sie begrüßt, von den anderen bedauert. Es wird diskutiert, wie weit sie sich bereits entwickelt hat, welche Auswirkungen sie haben mag und wie man sich darauf einstellen sollte. Aber niemand fragt, ob es sie überhaupt gibt. Die Abkehr vom Christentum ist nicht automatisch die Hinwendung zur Religionslosigkeit.
In diesem Artikel vertrete ich die These, dass eine neue Religion an die Stelle des Christentums getreten ist, eine Religion, die sich ihrer selbst noch nicht bewusst und doch jedem vertraut ist.

Ihre Wurzeln liegen in der Romantik, sie erfuhr in der Wandervogelbewegung und dann vor allem im Nationalsozialismus eine Renaissance und lebt in der Wählerschaft der „Grünen“ bis heute weiter.

Da es keine anerkannte Definition für den Begriff „Religion“ gibt, wähle ich zu ihrem Nachweis einen induktiven Weg: im Folgenden werde ich verschiedene Elemente der Religion beschreiben. Am Ende dieses Überblicks dürfte klar sein, dass die dargestellte Religion fast jeder Definition genügt. Und es wird ebenfalls klar sein, weshalb ich sie als „Naturmystik“ bezeichne.

Was ist „Naturmystik“?
Die Naturmystik ist eine Religion, in deren Zentrum die Natur steht und deren Heilserwartung an die Vereinigung (daher „Mystik“) mit der Natur gebunden ist. Was dies bedeutet, soll im Folgenden entfaltet werden.

Die Natur im Urzustand
Der Natur werden im Wesentlichen alle Eigenschaften eines Gottes zugeschrieben: sie hat alles aus sich hervorgebracht, gleichsam aus dem Nichts (so genau weiß man das nicht). Sie hat alles in Schönheit und Harmonie geordnet. Sie ist gut und vollkommen.

Der Fall
Durch diese positive Sicht der Natur stellt sich die Frage nach der „Theodizee“: Wie konnte es dazu kommen, dass die Erde ein so unwirtlicher Raum ist und wir uns so schlecht fühlen und benehmen?
Als Antwort verweist der Naturmystiker auf unsere „Entfremdung“ von der Natur. Der Mensch ist als Körper eigentlich ein Teil von ihr und hat daher Anteil an ihren guten Eigenschaften. Er kann eigentlich im Einklang mit den anderen Lebewesen leben und ist wie sie Glied in einem Ökosystem. D.h. nicht, dass er keine geistigen Fähigkeiten entwickelt hat. Aber so lange er eine Einheit mit der Natur bildete, war auch sein geistiges und sogar religiöses Leben von den gleichen harmonisierenden Kräften der Natur geleitet. Der Mensch entwickelte zwar Kulte und („Natur“-)Religionen, aber er lebte mit unterschiedlichen Vorstellungen friedlich zusammen (harmonisch wie in einem Ökosystem).

Dieses sensible System wurde vordergründig durch die Technisierung des Alltags gestört, diese aber wiederum durch den Monotheismus hervorgebracht, der als der eigentliche Störer des geistigen Ökosystems angesehen wird. Seit die Menschen an den einen Gott glauben, duldeten sie keine anderen Religionen mehr. Sie entfremdeten sich untereinander, sie entfremdeten sich von der Natur, weil sie nach unnatürlichen Geboten leben mussten und das alles, weil sie durch diesen Glauben von sich selbst entfremdet wurden. Selbst- und Nächstenliebe sowie Umweltschutz hängen in der Naturmystik unauflöslich zusammen. Denn da der Natur heilsam-synchronisierende Kräfte zugeschrieben werden, führt wahre Selbstliebe nicht nur automatisch zur Nächstenliebe, sie ist sogar der einzige Weg dorthin! „Zu sich selbst zu finden“ ist der einzige Weg um zu meinem Nächsten und auch der Natur zu finden .
„Sich selbst“ meint hier vor allem den eigenen Körper. Die Menschen entfremdeten sich von ihrem Körper durch Vorstellungen, die ihrem Körper nicht entsprachen und erlebten ihren Körper als Feind, den sie beherrschen mussten. Ähnlich fremd wurde ihnen auch die Natur, die sie nun zu beherrschen versuchten. Durch diesen Bruch wurde die Technisierung des Abendlandes möglich und machte die Natur zur fremden Urlaubswelt.

Die Erlösung
Ein Ausweg aus diesem Schlammassel besteht negativ darin, sich die eigene Entfremdung, insbesondere die christlichen Einflüsse, bewusst zu machen und den Kontakt zu sich selbst, d.h. dem eigenen Körper, den eigenen Wünschen und Bedürfnissen und der Natur wiederherzustellen. Dies geschieht äußerlich über die Anwendung einer Ethik, von der der Gläubige denkt, dass sie das Ergebnis eines natürlichen Lebens sei.
Noch wichtiger aber ist die innere Entwicklung: der Gläubige versucht, sich seinen als natürlich vorgestellten Trieben so weit wie möglich zu fügen und sie nicht zu unterdrücken („leibfeindlich“ zu sein ist ein schwerer Vorwurf). Tut er das nicht, unterdrückt er also seine Triebe, kann es zu „Triebstau“ kommen, „Verklemmungen“, div. psychischen und in der Folge auch körperlichen Gebrechen.
Der Geist hat die Aufgabe, sich der Einheit mit der Natur wieder bewusst zu werden. Das ist ein Prozess der Bewusstseinsentwicklung aber auch der Gewöhnung, die „Stimme“ des Körpers wieder deutlicher wahr zu nehmen und ihr zu folgen.
Erst wenn der Geist nicht mehr als getrennt vom Leib, nicht mehr im Verhältnis von Diener und Herr verstanden und empfunden wird, ist der Mensch geheilt und leidet nur noch unter den Auswirkungen des Falls bei den anderen Menschen.

Praktische Konsequenzen

Ethik
Die Ethik ergibt sich direkt aus dem Erlösungsbestreben des Menschen: Gut ist jede Handlung, die der Mensch wollen würde, wenn er nicht gefallen wäre. In der Praxis ist man bemüht entfremdende (i.W. christliche) Einflüsse zu erkennen und systematisch zu ignorieren. Stattdessen sollen die natürlichen Wünsche wieder ausgelebt werden. Ein schlechtes Verhalten wird nicht mit dem Hinweis auf Werte oder Gesetze gerügt, sondern indem es in Zusammenhang mit entfremdenden Weltanschauungen gebracht wird.
Also wenn man beispielsweise die Brandrodungen der Indianer verurteilen möchte, genügt es nicht zu zeigen, dass dadurch die Umwelt zerstört wird (was natürlich der Fall ist). Man muss zeigen, dass dieses Vorgehen beispielsweise auf den Einfluss christlicher Missionare zurückzuführen ist (was hier natürlich nicht der Fall ist). Erst dann gewinnt das Verhalten eine ethische Dimension und wird als „gefallen“ oder verdorben betrachtet. Solange dieser Nachweis nicht erbracht ist, wird der Naturmystiker bis zum Umfallen dafür argumentieren, was für ein natürliches und schonendes Verfahren die Brandrodung eigentlich ist.

Pädagogik
Bei den eigenen Kindern versucht man die Wirkungen des Falls weitestgehend fern zu halten. Die Kinder sollen sich „frei“ (immer verstanden im Sinne des Erlösungswegs) entfalten können und ihren „eigenen“ Weg gehen . Das ist das höchste Ziel des Naturmystikers. Sie sollen wissen was ihnen gefällt und sich nicht von anderen davon abbringen lassen. Trotz und Frechheit sind nicht per se schlecht, sondern zunächst einmal Ausdruck eines starken eigenen Willens.
Nun legt sich die Frage nahe, ob solche Kinder nicht zu lupenreinen Egoisten erzogen werden. Dass der Naturmystiker dies nicht befürchtet, liegt an seinem Glauben an die heilsam synchronisierenden Kräfte der Natur, also dass gerade durch die Selbstliebe alle friedlich zusammen leben.

Feminismus
Da Frauen sowohl von konservativen als auch feministischen Menschen als naturverbunden betrachtet werden (und Männer eher als geistig), wird eine Gesellschaft angestrebt, in der die Frauen herrschen. Der Feminismus hat also nichts mit Gleichberechtigung zu tun, sondern strebt eine neue Gesellschaft mit einer neuen Religion und einem veränderten Bewusstsein an.
Wen dies näher interessiert, der muss nur zum Stichwort „Matriarchat“ googlen und erhält ziemlich genau das Bild von Naturmystik, das ich bis hierhin entworfen habe.

Der Tod
Kann es eine Religion ohne Jenseitsvorstellung geben? Es kommt natürlich darauf an, wie man „Religion“ definiert und welche Ansprüche man an eine Jenseitsvorstellung stellt. Kann man im Buddhismus wirklich von einer „Jenseitsvorstellung“ sprechen, wenn das eigene Bewusstsein nicht mehr weiter besteht?
So ähnlich ist es auch in der Naturmystik. Der Mensch hört zwar als Person auf zu existieren. Er erwacht also nicht in einer anderen Welt. Aber er fühlt sich irgendwie geborgen in der Vorstellung, auch in seinem Tod Teil der natürlichen Abläufe zu sein. Der Naturmystiker beruhigt sich und andere mit dem Hinweis darauf, dass „der Tod zum Leben dazu gehört“, oder dass „das Leben nun einmal so sei“, oder auch dass er wieder „zurück kehrt“ in den „Schoß der Natur“ etc...
Der Tod wird also nicht besiegt sondern anders gedeutet. Dadurch soll ihm der Schrecken genommen werden. Der Naturmystiker träumt von der Vorstellung, ohne Todesfurcht, versöhnt mit seinem Schicksal und ergeben in die natürlichen Abläufe zu sterben.

Schöpfungsmythos
Die Evolution ist der Schöpfungsmythos der Naturmystik. Nur so kann man den energischen Kampf gegen den Kreationismus erklären.
Die Evolutionstheorie erklärt zwar nichts (wenn es kein Leben oder nur einzelliges oder ein ganz anderes gäbe, widerspräche das nicht der Evolutionstheorie), aber sie entspricht ganz dem Bild, das der Naturmystiker von der Natur hat: nämlich als einer Größe, die selbstständig und ohne fremde Eingriffe (ganz wichtig!) alles hervorgebracht und geordnet hat.
Der Naturmystiker selbst wird natürlich darauf pochen, dass es eine rein wissenschaftliche Theorie sei. Nur hat das noch jeder von seinem Schöpfungsmythos behauptet.

Mögliche Einwände
Erfahrungsgemäß schwanken die Reaktionen auf die These von der Naturmystik als neuer Gesellschaftsreligion immer zwischen zwei Vorwürfen: einerseits klingt sie vielen zu esoterisch abgedreht um als Religion einer ganzen Gesellschaft anerkannt zu sein. Andererseits klingt sie zu vertraut und kommt den Menschen so „vernünftig“ vor.

Nur für „esoterische Spinner“
Tatsächlich wird die Naturmystik quer durch die Esoterik geglaubt und ernst genommen. Aber sie tut dies in dem Bewusstsein, eine kulturelle Verschiebung zu dokumentieren, die sich ohne ihr Zutun ereignet und weit über ihren eigenen Sympathisantenkreis hinaus das Bewusstsein der Menschen formt.
Eine Religion kann sogar Menschen prägen, die diese eigentlich ablehnen! Auch unter den frühen Kritikern des Christentums zeigt sich immer wieder ein deutlicher Einfluss eben der Religion, die sie ablehnen.
Im Zusammenhang mit der Naturmystik habe ich es oft erlebt, dass Menschen den einzelnen Teilen zustimmen, aber auf Abstand gehen, wenn sie die ganze Religion am Stück vor sich sehen.

Klingt selbstverständlich
Dieses Argument ist mir natürlich ein willkommener Beweis für die große Akzeptanz der Naturmystik in unserem Kulturkreis. Dass es dennoch falsch ist, könnte durch die müßige Aufzählung anderer Religionen gezeigt werden.

Keine Bezeichnung
Dieses Kennzeichen einer Religion ist sicher am schwächsten. In der Regel wird der Name ohnedies von den Gegnern vergeben. Bis dahin nenne ich sie eben „Naturmystik“.

Keine Kirche
Jede Religion braucht einen Ort, an dem der Glaube synchronisiert wird. Strittige Fragen müssen geklärt und neue Entwicklungen beurteilt werden. Z.B. gab es nach dem 11. September einen großen Synchronisationsbedarf, damit nicht manche anfangen, sich einseitig gegen den Islam zu stellen. Dies hätte leicht zu einer differenzierten Wahrnehmung des Phänomens „Monotheismus“ führen können, die natürlich nicht erwünscht war. Mittlerweile haben die Medien es geschafft, den „Fundamentalismus“ als Feind zu entwerfen und damit ist die religiöse Ruhe wieder hergestellt.
Damit bin ich schon bei der Organisation: es ist natürlich kein Kirchengebäude des Mittelalters mehr, sondern es sind die Medien. Durch sie wurde der 11. September zu einem Akt des religiösen Fanatismus und nicht zu einem Akt des islamischen Dschihad! Durch die Medien wird der Deutsche jeden Abend mit den Informationen versorgt, die er braucht, um in seinem Glauben gestärkt zu werden. Er erfährt also von der miserablen Umweltpolitik des Christen George W. Bush. Er erfährt aber wenig über die Vernichtung der Fauna durch vermeintliche Naturvölker (die im Übrigen nichts miteinander gemein haben, als die Tatsache, dass sie vom Westen als „Naturvölker“ betrachtet und verklärt werden).
Über die Partei der „Grünen“ hat diese Religion sogar eine respektable Organisation, deren Einfluss weit über ihre tatsächliche politische Kraft hinausgeht .

„Naturmystik“ ist eigentlich das Interesse an Umweltschutz
Umweltschutz und Naturmystik haben nicht nur nichts miteinander zu tun, sie schließen sich oft sogar gegenseitig aus. Wie könnte man auch seinen Gott schützen?
- So kann man m.W. den Klimawandel wenn überhaupt nur noch durch vermehrten Einsatz von Atomkraftwerken stoppen und nicht durch Windräder. Atomkraftwerke sind aber geradezu das Sinnbild einer nicht-ökologischen Energiequelle, weil sie mit Prozessen arbeiten, die in keinen Kreislauf eingebettet sind.
- Menschen, die von Kindesbeinen an mit dem Wissen aufgewachsen sind, sich niemandem unterordnen zu müssen, sehen es nicht ein, sich auf einmal dem Umweltschutz unterzuordnen. Einschränkungen fallen den Menschen offenbar immer noch schwer, vielleicht sogar schwerer als früher, obwohl Umweltschutz schon seit Jahrzehnten ein wichtiges Thema in der Schule ist.
- Viele Menschen haben gerade durch die Naturmystik das Bedürfnis, naturnah zu wohnen. Dadurch kommt es erst recht zur Zersiedlung der Landschaft und der Abholzung von Gelände und zu langen Anfahrtswegen.
- Es sind gerade die eigenen Begierden, die ständig neue Erfindungen und Unterhaltungen nötig machen. Nicht ein natürliches Ausleben dieser Gier bringt den Menschen dazu, die Umwelt zu schonen, sondern gerade das Gegenteil: seine Selbstbeherrschung und Selbstbescheidung! Gerade die sog. „Naturreligionen“ sind ein gutes Beispiel dafür, dass der Mensch durch religiöse Scheu von der Gier abgehalten wird. Bei ihnen ist es keine Ehrfurcht vor der Natur, sondern Scheu vor Geistern und Götzen, wenn sie einen Baum nicht fällen oder einen Berg nicht betreten. Sie haben oft keine Angst vor dem Klimakollaps, sondern vor dem Zorn der Geister oder vor schädlichen Wirkungen irgendwelcher Gegenstände oder Handlungen!

Die Naturmystik kennt keinen Gott
Das stimmt. Bekanntlich gilt das aber auch für den Buddhismus und jede Form des Pantheismus. Trotzdem können wir in allen Beispielen von „Religionen“ sprechen. Vermutlich liegt das daran, dass der jeweilige Glaube das Gefühl der Hingabe kennt: Der Geist steht also nicht über den Dingen, sondern soll in ihnen aufgehen und in dem Bewusstsein der Einheit sich selbst auflösen.
Wollte man diesem Denken die Religion absprechen, würde vermutlich ein großer Teil der christlichen Mystiker religionslos.

Konsequenzen
Wenn die These von der Naturmystik als deutscher Gesellschafts-Religion trifft, ist Deutschland ein religiöser Staat, der alle anderen Religionen an den eigenen Werten misst. Es gäbe folglich keine Religionsfreiheit unter der Herrschaft der Vernunft, sondern nur die schwindende Duldsamkeit einer herrschenden Staatsreligion.
Die Grünen wären eine religiöse Partei, und viele Zeitungen bekämen ein greifbares Profil, weil sie nun einer Weltanschauung zugeordnet werden können, und nicht nur einer politischen Richtung.
Die Grenzen zwischen Entwicklungspolitik und Mission wären obsolet.
Ein Großteil der in Deutschland verkauften Bücher wäre „Erbauungsliteratur“ der Naturmystik (z.B.: Person XY ist in unterdrückenden Verhältnissen aufgewachsen und hat dann zu sich selbst gefunden).

Gruß
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Re: Naturalismus ist Grundlage einer Religion

Beitragvon Klaus » Mi 27. Feb 2008, 21:06

Frage: Gehst du hier auf Stimmenfang für die Grünen,
hre Wurzeln liegen in der Romantik, sie erfuhr in der Wandervogelbewegung und dann vor allem im Nationalsozialismus eine Renaissance und lebt in der Wählerschaft der „Grünen“ bis heute weiter.

Und wo haste denn so ein Zeug her, zum Naturalismus komme ich später nochmal zurück, aber das ist historisch völlig irrational.
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Re: Naturalismus ist Grundlage einer Religion

Beitragvon Nathan » Mi 27. Feb 2008, 21:21

Nein, ich gehe beim besten Willen nicht für die Grünen auf Stimmenfang... :lachtot:

Der historische Abriss ist keineswegs besonders eigenwillig, sondern wird in der Form m.W. auch in dem neuen Buch von Safranski über die Romantik so vollzogen.

Gruß
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Re: Naturalismus ist Grundlage einer Religion

Beitragvon Andreas Müller » Mi 27. Feb 2008, 22:02

Es gibt sicherlich naturmystische Strömungen unter den Grünen, es gibt dort aber auch viele Biologen und Chemiker, die eine nüchternere Sicht auf die Lage haben. Obwohl sie bei einigen Fragestellungen noch immer am Rad drehen, sind sie inzwischen vernünftiger geworden.
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Re: Naturalismus ist Grundlage einer Religion

Beitragvon folgsam » Do 28. Feb 2008, 01:07

Klaus hat geschrieben:Und wo haste denn so ein Zeug her, zum Naturalismus komme ich später nochmal zurück, aber das ist historisch völlig irrational.



was ist denn daran so total absurd ?

Die späte deutsche Klassik und darauffolgend die Romantik haben die Naturmystik und das Irrationale in der Natur doch erst wiederbelebt. Den Sprung zu den Nazis und von dort zu den Grünen ist uhm...gewagt, um es mal höflich auszudrücken. Ein bisschen starker Tobak für einen kümmerlichen Satz.
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Re: Naturalismus ist Grundlage einer Religion

Beitragvon Myron » Do 28. Feb 2008, 02:10

Nathan hat geschrieben:Die Naturmystik ist eine Religion, in deren Zentrum die Natur steht und deren Heilserwartung an die Vereinigung (daher „Mystik“) mit der Natur gebunden ist.


Eine mystisch verklärte Naturverbundenheit mit dem erhofften Ziel einer "Einswerdung" mit der Natur ist dem rationalen Naturalisten eher zuwider.

Nathan hat geschrieben:Der Natur werden im Wesentlichen alle Eigenschaften eines Gottes zugeschrieben: sie hat alles aus sich hervorgebracht, gleichsam aus dem Nichts (so genau weiß man das nicht). Sie hat alles in Schönheit und Harmonie geordnet. Sie ist gut und vollkommen.


Wir sprechen zwar metaphorisch von "Mutter Natur", aber wörtlich genommen muss man sich hüten, die Natur zu personifizieren. Sie ist in Wirklichkeit keine Sie, sondern ein Es—ein bewusstlos wirkendes Es.

Nathan hat geschrieben:Als Antwort verweist der Naturmystiker auf unsere „Entfremdung“ von der Natur. Der Mensch ist als Körper eigentlich ein Teil von ihr und hat daher Anteil an ihren guten Eigenschaften.


Der Witz ist, dass eine physische Entfremdung von der Natur unmöglich ist.
Unsere Körper, die Träger all unserer geistig-seelischen Eigenschaften, sind wesentlich Teil der Natur und auf Gedeih und Verderb den unpersönlichen Naturgesetzen unterworfen.

Nathan hat geschrieben:
Er kann eigentlich im Einklang mit den anderen Lebewesen leben und ist wie sie Glied in einem Ökosystem. D.h. nicht, dass er keine geistigen Fähigkeiten entwickelt hat. Aber so lange er eine Einheit mit der Natur bildete, war auch sein geistiges und sogar religiöses Leben von den gleichen harmonisierenden Kräften der Natur geleitet. Der Mensch entwickelte zwar Kulte und („Natur“-)Religionen, aber er lebte mit unterschiedlichen Vorstellungen friedlich zusammen (harmonisch wie in einem Ökosystem).


Das klingt wirklich sehr romantisch.
Wer seine Augen ganz öffnet, wird erkennen, dass in der Natur nicht nur konstruktiv-harmonische Kräfte, sondern auch destruktiv-disharmonische walten.

Nathan hat geschrieben:
Der Geist hat die Aufgabe, sich der Einheit mit der Natur wieder bewusst zu werden.


Gegen eine ganzheitliche Sichtweise hat ein Naturalist sicher nichts einzuwenden.
Alles ist Teil des natürlichen Weltganzen, einschließlich unserer Körper mitsamt ihren "Geistern" und "Seelen".

Nathan hat geschrieben:
Der Mensch hört zwar als Person auf zu existieren. Er erwacht also nicht in einer anderen Welt. Aber er fühlt sich irgendwie geborgen in der Vorstellung, auch in seinem Tod Teil der natürlichen Abläufe zu sein. Der Naturmystiker beruhigt sich und andere mit dem Hinweis darauf, dass „der Tod zum Leben dazu gehört“, oder dass „das Leben nun einmal so sei“, oder auch dass er wieder „zurück kehrt“ in den „Schoß der Natur“ etc...
Der Tod wird also nicht besiegt sondern anders gedeutet. Dadurch soll ihm der Schrecken genommen werden. Der Naturmystiker träumt von der Vorstellung, ohne Todesfurcht, versöhnt mit seinem Schicksal und ergeben in die natürlichen Abläufe zu sterben.


Dass nicht der Tod selbst, sondern unsere falschen Gedanken über den Tod den Schrecken in uns auslösen, haben schon die alten griechischen Naturphilosophen gelehrt.

Nathan hat geschrieben:
Keine Bezeichnung
Dieses Kennzeichen einer Religion ist sicher am schwächsten. In der Regel wird der Name ohnedies von den Gegnern vergeben. Bis dahin nenne ich sie eben „Naturmystik“.


Man kann auch nüchterner von "Naturphilosophie" sprechen, ohne Bezugnahme auf irgendwelche kultischen, mystisch-religiösen Rituale oder Praktiken.

Nathan hat geschrieben:
Über die Partei der „Grünen“ hat diese Religion sogar eine respektable Organisation, deren Einfluss weit über ihre tatsächliche politische Kraft hinausgeht.


Bei den Grünen tummeln sich zwar allerlei "Romantiker", doch ich denke nicht, dass eine ökologische Ethik, ein "naturpflegerisches Bewusstsein" einer mystisch-religiösen Verklärung bedarf.

Nathan hat geschrieben:
Die Naturmystik kennt keinen Gott.


Oder mit den Worten Spinozas: deus sive natura
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Re: Naturalismus ist Grundlage einer Religion

Beitragvon StefanK » Do 28. Feb 2008, 08:56

Hallo Nathan,
ich finde den von Dir beschriebenen Ansatz sehr gut! Es gibt bereits einige Gruppen im sagen wir atheistisch/pantheistischen Umfeld oder der integralen Philosophie und vielen andern mehr, die deinem Ansatz sehr Nahe kommen. Ich glaube, dass viele der genannten Punkte genau dem entsprechen, was viele Menschen tatsächlich glauben, unabhängig davon welcher Konfession sie dann angehören, was oftmals ja einfach nur das Fortsetzen einer Familientradition ist. Der Ansatz ist dann vor allem für diejenigen geeignet, die nicht nur denken sondern auch fühlen und erleben wollen. Die Philosophie wird aufgrund ihrer einseitigen Verkopftheit nie zu einer großen Sammlungsbewegung werden, auch wenn sie letztlich unverzichtbar ist. Dummerweise ist die ganze "Szene", die diesen Ansatz vertreten sehr zersplittert und damit faktisch bedeutungslos. Er bedürfte einer charismatischen Figur oder Bewegung, die es schafft alle "Gläubigen" hinter sich zu versammeln. Das wird schwierig, weil die meisten, die ihren eigenen Kopf benutzen, ungern andern folgen und lieber neue Gruppen gründen. Ich würde mich sehr freuen, wenn aus deinen vorgestellten Ideen eine starke Bewegung entstehen würde, und dabei jeder einzelne seine Individualität und private Mystik nicht verliert.
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Re: Naturalismus ist Grundlage einer Religion

Beitragvon Falk » Do 28. Feb 2008, 10:15

Uh, kruder Text.

Erstens vermengst du weltanschaulichen Naturalismus mit der Ökobewegung, ohne klar darauf hinzuweisen, geschweige denn aufzuzeigen, wie eine solche Verstrickung aussehen könnte.
Zweitens zählst du jede Menge Thesen aus diesen beiden Bereichen auf und unterstellst ihnen Religionsartigkeit, ohne zu sagen, warum. Von der "induktiven Vorgehensweise", die am Anfang angekündigt wird, ist leider nichts zu sehen. Es bleibt schon völlig unklar, was du mit "Religion" meinst, und dementsprechend auch, was Naturalismus und Ökobewegung damit zu tun haben sollen. Hättest du dich darauf beschränkt, darauf hinzuweisen, daß beides Ideologie sein kann, hätte man dir wohl folgen können - aber Religion? Warum, weshalb, wieso?
Drittens bleibt, selbst wenn man dir deine Theorie als solche abkauft, die Frage, wozu sie gut sein soll. Hat sie irgendeinen Erklärungswert? Ist irgendetwas gewonnen, wenn wir derlei ökologisch ausgerichtete Bewegungen religiös nennen?
Viertens wird nicht klar, worauf du zielst. StefanK interpretiert deinen Essay augenscheinlich so als wolltest du deinen Ansatz tatsächlich verfolgen. War das so gemeint? Oder sollte es bloß eine Analyse des Status Quo sein?

Etwas mehr Klarheit wäre äußerst hilfreich.
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Re: Naturalismus ist Grundlage einer Religion

Beitragvon Nathan » Do 28. Feb 2008, 11:04

Ich möchte zunächst nur darauf hinweisen, dass ich selbst kein "Naturmystiker" bin sondern Christ. Die Naturmystik beschäftigt mich jedoch schon seit längerer Zeit aus Interesse an gesellschaftlichen Entwicklungen.

@Myron
Myron hat geschrieben:Eine mystisch verklärte Naturverbundenheit mit dem erhofften Ziel einer "Einswerdung" mit der Natur ist dem rationalen Naturalisten eher zuwider.

Nathan hat geschrieben:Als Antwort verweist der Naturmystiker auf unsere „Entfremdung“ von der Natur. Der Mensch ist als Körper eigentlich ein Teil von ihr und hat daher Anteil an ihren guten Eigenschaften.


Der Witz ist, dass eine physische Entfremdung von der Natur unmöglich ist.
Unsere Körper, die Träger all unserer geistig-seelischen Eigenschaften, sind wesentlich Teil der Natur und auf Gedeih und Verderb den unpersönlichen Naturgesetzen unterworfen.


Die angestrebte Natureinheit muss gar nicht unbedingt mystisch oder kitschig daherkommen. Auch der permanente Versuch, "unnatürliche" Einflüsse - in der Regel sind damit christliche Einflüsse gemeint - bei sich zu entlarven und zu bekämpfen, drückt die Sehnsucht nach einem heilen Zustand aus. Man kann zwar als Atheist sagen, dass die Entfremdung keine tatsächliche sondern nur eine eingebildete ist, aber dennoch empfinden viele sie. Sie machen sich deswegen ihre empfundene Fremdheit bewusst und versuchen genau die von dir formulierte Ansicht über unseren Körper auch zu verinnerlichen. Die Veränderung, die sie dadurch an sich vollziehen, verstehen sie als Befreiung, weil sie zu dem "eigentlichen" oder eben "natürlichen" Zustand zu gelangen glauben - und natürlich nie erreichen...

Myron hat geschrieben:
Nathan hat geschrieben:
Der Mensch hört zwar als Person auf zu existieren. Er erwacht also nicht in einer anderen Welt. Aber er fühlt sich irgendwie geborgen in der Vorstellung, auch in seinem Tod Teil der natürlichen Abläufe zu sein. Der Naturmystiker beruhigt sich und andere mit dem Hinweis darauf, dass „der Tod zum Leben dazu gehört“, oder dass „das Leben nun einmal so sei“, oder auch dass er wieder „zurück kehrt“ in den „Schoß der Natur“ etc...
Der Tod wird also nicht besiegt sondern anders gedeutet. Dadurch soll ihm der Schrecken genommen werden. Der Naturmystiker träumt von der Vorstellung, ohne Todesfurcht, versöhnt mit seinem Schicksal und ergeben in die natürlichen Abläufe zu sterben.


Dass nicht der Tod selbst, sondern unsere falschen Gedanken über den Tod den Schrecken in uns auslösen, haben schon die alten griechischen Naturphilosophen gelehrt.


Auch Tiere fürchten den Tod!

Myron hat geschrieben:
Man kann auch nüchterner von "Naturphilosophie" sprechen, ohne Bezugnahme auf irgendwelche kultischen, mystisch-religiösen Rituale oder Praktiken.


Eine Philosophie, die das ganze Leben eines Menschen beeinflusst? Die seine stärksten Sehnsüchte und Hoffnungen bündelt? Eine Philosophie, die Gefühle der Hingabe und Verehrung kennt? Wie kann man dann noch zwischen Philosophie und Religion unterscheiden?

Gruß

Nathan
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Re: Naturalismus ist Grundlage einer Religion

Beitragvon Nathan » Do 28. Feb 2008, 11:37

@Falk und Stefan
Sorry, ich wollte niemanden in die Irre führen. Also wie ich schon an Myron geschrieben habe bin ich selbst kein Naturmystiker sondern Christ und habe tatsächlich versucht den - wie du formulierst - "status quo" zu beschreiben.

Nun noch einmal zu der Frage, was eine Religion ist:
Das korrekte wissenschaftliche Vorgehen wäre eine Definitin der Art "Eine Definition ist eine Weltanschauung, die das Element X enthält". Dann würde man in einer Weltanschauung das Element X nachweisen und hätte den Nachweis erbracht. Das Problem im Fall der Religion besteht nur darin, dass es zwar durchaus eine recht klare Vorstellung davon gibt, was eine Religion ist, aber keine allgemeingültige Definition.
Ich habe daher versucht, einen Weg zu finden, der das Empfinden der Menschen, eine Religion vor sich zu haben, anspricht, indem ich sie einfach beschreibe.

Und ich denke, wer sieht, mit wieviel Hingabe die Menschen ihr Leben von dem Grundgedanken der Naturmystik regieren lassen und wieviele Bereiche des Lebens davon erfasst werden, wird schwerlich etwas anderes als eine Religion darin erkennen können - sofern er den Begriff "Religion" überhaupt noch verwenden möchte. Die Einen sind davon stärker beeindruck als die Anderen, aber das war auch im Christentum nie anders.

Nun zu der Frage, was die Qualifizierung einer Weltanschauung als "Religion" nützt:
Was würde sich denn deiner Meinung nach ändern? Vielleicht ist das schon der Nutzen...

Gruß
Nathan
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Re: Naturalismus ist Grundlage einer Religion

Beitragvon Peter Janotta » Do 28. Feb 2008, 12:04

Nathan hat geschrieben:Der Natur werden im Wesentlichen alle Eigenschaften eines Gottes zugeschrieben: sie hat alles aus sich hervorgebracht, gleichsam aus dem Nichts (so genau weiß man das nicht). Sie hat alles in Schönheit und Harmonie geordnet. Sie ist gut und vollkommen.

Wer sich anschaut wie sich gerade sogenannte "Naturvölker" gegenseitig abmätzeln, dem fällt es schwer von einer "guten Natur" zu sprechen. Auch hat man mittlerweile auch erkannt, das Umweltschutz auch darin besteht, die Natur vor sich selbst zu schützen. Wobei dein Verständnis, auf das ich mich im ersten Satz bezog von dem der Wissenschaft und der meisten hier im Forum in einem entscheidenden Punkt abweicht: Der Mensch und das Menschgemachte ist nach meiner Auffassung selbst Teil der Natur und steht diesem nicht gegenüber.

Die Natur ist in den Augen der Wissenschaft weder gut noch böse sondern neutral. Alles entwickelt sich nach Naturgesetzen, die wir aus der Beobachtung ableiten können, ohne das ein höherer Sinn von nöten wäre.

Nathan hat geschrieben:Als Antwort verweist der Naturmystiker auf unsere „Entfremdung“ von der Natur.

Wie schon Myron beschrieben hat kann sich der Mensch als Teil der Natur nicht von ihr entfremden.

Nathan hat geschrieben:Die Ethik ergibt sich direkt aus dem Erlösungsbestreben des Menschen: Gut ist jede Handlung, die der Mensch wollen würde, wenn er nicht gefallen wäre. In der Praxis ist man bemüht entfremdende (i.W. christliche) Einflüsse zu erkennen und systematisch zu ignorieren. Stattdessen sollen die natürlichen Wünsche wieder ausgelebt werden.

Die Verleugnung und Unterdrückung von evolutionär entwickelten Trieben kann in vielen Fällen tatsächlich zu schweren psychischen Qualen führen. Andere Triebe lassen sich dagegen leichter beherrschen und führen insgesamt zu einem erfüllteren Leben, da man z.B. nicht dauernd um sein Leben fürchten muss. Im Zentrum einer naturalistischen Ethik sollte daher nicht die blose Konformität mit den Trieben stehen, sondern die Optimierung des Glücks, sowohl für das INdividuum als auch für die Gesellschaft. Mit Religion hat das aber nichts zu tun, denn diese Ethik kann wegen seiner Berücksichtigung des Individuums von keiner dogmatischen Gestalt sein.
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Re: Naturalismus ist Grundlage einer Religion

Beitragvon Nathan » Do 28. Feb 2008, 13:54

Hallo Peter,

dass es in der Naturmystik eigentlich keine Entfremdung gibt ist m.E. richtig. Aber sie wird,nach allem was ich gehört und gelesen habe, von vielen empfunden, die sie ja gerade deswegen als Problem empfinden, weil sie sich eigentlich als Teil der Natur verstehen!

Die Optimierung des Glücks ist natürlich an sich keine Religion, das wäre etwas zu weit gefasst. Aber die Frage ist, mit welchen Mitteln jemand das Glück zu optimieren versucht. Und wenn ich dich richtig verstehe, spielt für den Naturalisten hier der gekonnte Umgang mit den Trieben durchaus eine zentrale Rolle. Wenn dies dann mit dem Kampf gegen christliche Einflüsse im Naturalisten selbst (!) einhergeht, dann hat man die entscheidenden Größen, von denen das religiöse Empfinden eines Naturmystikers bestimmt wird.
Denn auch der Naturmystiker ist um das Glück seines Körpers besorgt und arbeitet an seinen Prägungen, die ihm seiner Einschätzung nach dabei noch im Wege stehen.
Das zugrundeliegende Konzept der "guten Natur" muss dabei keineswegs bewusst geglaubt werden! Aber es ist m.W. die derzeit beste Möglichkeit, um diese beiden Elemente sinnvoll zu erklären.
Und dass man auch von einem Denken beeinflusst sein kann, das auf Abfrage eigentlicht nicht vertritt, hat vermutlich schon jeder bei sich erlebt. Jeder von uns ist Kind seiner Zeit und seiner Umwelt und hat zumindest eine Ahnung davon, welche Gewalt "Einflüsse" auf uns haben können.

Gruß
Nathan
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Re: Naturalismus ist Grundlage einer Religion

Beitragvon ostfriese » Do 28. Feb 2008, 15:15

Hallo Nathan,

meine Weltanschauung, den Naturalismus, vertrete ich ausschließlich mit dem Verstand. Es mag sein, dass Deine theistische Prägung Dir einflüstert, als Antidot gegen die "Entfremdung" müsse uns die Liebe zur Natur das sein, was euch die "Liebe zu Gott" ist. Doch so ist es nicht. Mein Hauptmotiv, mich dem Naturalismus anzuschließen, war die Liebe zur Wahrheit, denn kein anderes philosophisch-wissenschaftliches System konnte mich bisher nachhaltiger überzeugen. Der Natur selbst stehe ich, je nach Situation, ungefähr so liebend oder hassend gegenüber wie jeder durchschnittliche Homo Sapiens. Ich kann ihre Schönheit poetisch preisen, aber ich muss die Natur nicht heilig sprechen, nur weil außer ihr nichts existiert.

Richtig ist, dass es z.B. bei den Grünen solche und solche gibt: Die einen befürworten Naturschutz und Nachhaltigkeit aus ethischen, also vernünftigen Gründen, die anderen aus quasireligiöser naturmystischer Bewegtheit. Dass beides nicht dauerhaft zusammengeht, trat ja im Streit zwischen Realos und Fundis von Anfang an offen zu Tage. Immerhin haben es einige fundamentalistische Positionen geschafft, die offizielle Parteilinie zu markieren -- so z.B. die irrationalen Haltungen zu Gentechnologie oder Stammzellenforschung.
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Re: Naturalismus ist Grundlage einer Religion

Beitragvon Myron » Do 28. Feb 2008, 16:01

Nathan hat geschrieben:Man kann zwar als Atheist sagen, dass die Entfremdung keine tatsächliche sondern nur eine eingebildete ist, aber dennoch empfinden viele sie.


Ich habe eher den Eindruck, dass es die supernaturalistischen, insbesondere die theistischen Ideen sind, die wirklichkeits- und naturentfremdend wirken.

Nathan hat geschrieben:
Auch Tiere fürchten den Tod!


Bestenfalls die am höchsten entwickelten; und auch das ist nicht sicher.

(Im Übrigen kann ich nicht von mir behaupten, dass ich den Gedanken daran, dass die Natur meinen Leichnam "recyclen" wird, besonders tröstlich finde.)

Nathan hat geschrieben:
Eine Philosophie, die das ganze Leben eines Menschen beeinflusst? Die seine stärksten Sehnsüchte und Hoffnungen bündelt? Eine Philosophie, die Gefühle der Hingabe und Verehrung kennt? Wie kann man dann noch zwischen Philosophie und Religion unterscheiden?


Die leidenschaftliche Hingabe an moralisch wertvolle gesellschaftliche Aufgaben kann durchaus philosophisch motiviert sein.
Mit kultischer Verehrung hat ein rationalistischer Naturphilosoph dagegen wohl nicht viel am Hut.
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Re: Naturalismus ist Grundlage einer Religion

Beitragvon Myron » Do 28. Feb 2008, 16:16

ostfriese hat geschrieben:meine Weltanschauung, den Naturalismus, vertrete ich ausschließlich mit dem Verstand.


Ich ehrlich gesagt nicht.
Ich bezweifle auch, dass irgendjemand ausschließlich aus reinen Verstandesgründen einer bestimmten Philosophie anhängt.
Emotionale Faktoren spielen immer eine gewisse Rolle, auch wenn man sich deren nicht bewusst ist.
So ungern ich es zugebe, aber in jedem von uns steckt zumindest ein kleiner Fideist.

Und wäre es nicht geradezu unnormal, wenn meine eigene Weltanschauung mich buchstäblich kalt lassen würde?

Ja, ich bekenne offen, dass ich auch aus Leidenschaft Materialist bin! :cuinlove:
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Re: Naturalismus ist Grundlage einer Religion

Beitragvon ostfriese » Do 28. Feb 2008, 17:03

Myron hat geschrieben:Ich bezweifle auch, dass irgendjemand ausschließlich aus reinen Verstandesgründen einer bestimmten Philosophie anhängt. Emotionale Faktoren spielen immer eine gewisse Rolle, auch wenn man sich deren nicht bewusst ist.

Ich bin mir ja der emotionalen Faktoren voll bewusst: meiner starken Liebe zu leichtgängigen Gehirnen und dem, was sie hervorbringen, sowie meiner existenziellen Furcht vor Lüge und Dummheit.

Darüber hinaus spielte anfangs sicherlich die gewinnende Persönlichkeit des Gerhard Vollmer eine gewisse Rolle. Aber wesentlich entscheidender war in jedem Fall die überzeugende Klarheit seiner Argumente...
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Re: Naturalismus ist Grundlage einer Religion

Beitragvon StefanK » Do 28. Feb 2008, 17:50

Myron hat geschrieben:[
Nathan hat geschrieben:
Auch Tiere fürchten den Tod!


Bestenfalls die am höchsten entwickelten; und auch das ist nicht sicher.


Tiere haben genauso Emotionen wie Menschen. Der Unterschied ist letztlich nicht so groß wie wir uns einbilden.
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Re: Naturalismus ist Grundlage einer Religion

Beitragvon Nathan » Do 28. Feb 2008, 18:13

Myron hat geschrieben:
Nathan hat geschrieben:Man kann zwar als Atheist sagen, dass die Entfremdung keine tatsächliche sondern nur eine eingebildete ist, aber dennoch empfinden viele sie.


Ich habe eher den Eindruck, dass es die supernaturalistischen, insbesondere die theistischen Ideen sind, die wirklichkeits- und naturentfremdend wirken.


Genau das habe ich als einen zentralen Gedanken der Naturmystik beschrieben: der Vorwurf an den Monotheismus, den Menschen der Natur zu entfremden.

Myron hat geschrieben:
Nathan hat geschrieben:
Eine Philosophie, die das ganze Leben eines Menschen beeinflusst? Die seine stärksten Sehnsüchte und Hoffnungen bündelt? Eine Philosophie, die Gefühle der Hingabe und Verehrung kennt? Wie kann man dann noch zwischen Philosophie und Religion unterscheiden?


Die leidenschaftliche Hingabe an moralisch wertvolle gesellschaftliche Aufgaben kann durchaus philosophisch motiviert sein.
Mit kultischer Verehrung hat ein rationalistischer Naturphilosoph dagegen wohl nicht viel am Hut.


Mit Leidenschaft hat das gar nicht so viel zu tun, sondern eher mit Hingabe und Verehrung, also einer Haltung, die man sich nicht frei wählen kann, sondern von der man ergriffen wird. Den Naturmystiker stelle ich mir nicht als einen Menschen vor, der sich eine Theorie ausdenkt, lehrt und vergnügt oder leidenschaftlich lebt, sondern jemanden, der schlichtweg die Sorge hat, sich zu verlieren, oder etwas im Leben zu verpassen, wenn er die schädlichen Einflüsse in seinem Leben nicht aufdecken und beseitigen kann, der von Herzen glaubt, dass seine Wiedereingliederung in die Natur ihn glücklich macht. Er mag dies alles vielleicht auch intellektuell begründen und eine Philosphie entwickeln. Aber die folgt der Verehrung seines Gottes nach.

Ab wann würdest du denn von einer Religion sprechen?

Gruß
Nathan
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Re: Naturalismus ist Grundlage einer Religion

Beitragvon Myron » Do 28. Feb 2008, 18:15

StefanK hat geschrieben:Tiere haben genauso Emotionen wie Menschen. Der Unterschied ist letztlich nicht so groß wie wir uns einbilden.


Es ist um die besondere Angst vor dem Tod gegangen, nicht um Emotionen im Allgemeinen.
Um Angst vor dem Tod haben zu können, muss man meines Erachtens selbstbewusst und imstande sein, eine Vorstellung von der Zukunft zu bilden. Diese Voraussetzungen erfüllen bestenfalls die Menschenaffen und vielleicht noch manch andere hochentwickelte Säugetiere.
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Re: Naturalismus ist Grundlage einer Religion

Beitragvon ostfriese » Do 28. Feb 2008, 18:38

Todesfurcht ist ein uns und vielen Tieren evolutionär zugewachsener Überlebensvorteil, rational ist sie nicht. Denn was nach dem Tod liegt, betrifft ja den Toten nicht mehr. Begründet ist nur die Angst vorm -- langwierigen, schmerzhaften -- Sterben und Abschiednehmen.

Oben ging es aber nicht um die unvermeidliche, angeborene Todesfurcht, sondern um unser Nachdenken über den Tod. Und hier dürfen Religiöse nicht unzulässig von sich auf andere schließen: Denn der Tod verliert seinen Schrecken nicht (erst) dadurch, dass man ihn als Rückkehr in den Schoß der Natur betrachtet. Da ich mich von der Natur weder entbunden noch entfremdet fühle, tröstet es mich auch kein bisschen, dass ich "dorthin" zurückkehre.

Insgesamt bleibt festzuhalten, dass der Threadtitel zurückzuweisen ist, da er in irreführender Weise Naturmystiker mit Naturalisten in Verbindung bringt. In Wahrheit sind die meisten Ökoreligiösen mindestens Deisten oder Pantheisten, wenn nicht christlich geprägte Kreationisten.

Der Naturalismus ist jedenfalls weiter als jede andere Weltanschauung davon entfernt, religiöse Züge zu tragen.
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