Wie entsteht Fundamentalismus?

Wie entsteht Fundamentalismus?

Beitragvon stine » Do 5. Jun 2008, 07:14

Meine prinzipielle theistische Einstellung dürfte hier im Forum ja nun hinlänglich bekannt sein. Ich will auch gar nicht leugnen, dass ich katholisch bin und hie und da einen Gottesdienst besuche, wo mich die feierliche Stimmung oftmals sehr bewegt.
Das ist das eine.
Das andere ist, dass ich trotzdem vieles in der katholischen und anderen Kirchen kritisch hinterfrage und mit bestimmten Verhaltensweisen auch mal nicht einverstanden bin. Und ich werde nie jemanden verurteilen, der meinen Glauben nicht teilt oder kein getaufter Christ ist.

Aber wie entsteht denn nun eigentlich Fundamentalismus?
Wo ist der Punkt, wo sich Glaube und Religionszugehörigkeit so verdichten, dass man bereit ist, sein Leben oder das Leben anderer dafür zu opfern?
Wie kommt es, dass Menschen so zu überzeugen sind, dass sie nichts anderes mehr wahr haben wollen?
Dieses Phänomen gibt es ja nicht nur im religiösem, sondern auch im politischen Gefüge. Vordenker und überzeugte Mitläufer gab es immer wieder in der Geschichte.
Wie funktioniert eine Gehirnwäsche und warum funktioniert sie?

Sind wir nicht alle gefährdet, sobald wir uns mit einer bestimmten Einstellung identifizieren, dass wir dann einen Tunnelblick bekommen? :/

LG stine
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Re: Wie entsteht Fundamentalismus?

Beitragvon 1von6,5Milliarden » Do 5. Jun 2008, 08:52

stine hat geschrieben: mich die feierliche Stimmung oftmals sehr bewegt.
Geht wohl jedem so - die Verkürzung des Zitats ist hierfür Voraussetzung, ebenso das enthaltene "oftmals".
Ein "feierliches Gelöbnis" der Bundeswehr zum Beispiel weckt in vielen ein Kribbeln in der rechten Hand. Die einen zieht es zur Faust, die anderen ausgestreckten Hand nach vorne. Den Drittens schaudert es, bei den Assoziationen die letzteres weckt und er wendet sich mit Grausen ab. Sehr bewegt stimmt trotzdem.
Gottesdienste erzeugen bei mir eher den Drang nach Bewegung (ich will hier raus) oder der totalen Unbewegtheit (wenns nicht so ungemütlich wäre, ein Moment um in sich zu gehen, auch bekannt als schlafen). Ein Gottesdienst ist bei mir das "Ideal" um die Bewegtheit einer Beerdigung temporär auszulöschen.
Soviel vorerst von mir zu diesem Teilaspekt.

stine hat geschrieben: Aber wie entsteht denn nun eigentlich Fundamentalismus?
Gute Frage. "Das Zeug mit "feierlicher Stimmung" geht schon auch in die richtige Richtung. Eine "feierliche Stimmung" ist ja immer ein von außen erzeugtes Gefühl, wenn der Rahmen groß genug ist, eine Einstimmung einer mehr oder minder großen Menschenmenge, auf ein Gefühl. Wenn man es schafft, den kritischen Geist der einzelnen auszuschalten, ist der Weg zum Fundamentalismus eigentlich nur noch eine Frage der Einstellung des jeweiligen Führers.

stine hat geschrieben:Sind wir nicht alle gefährdet, sobald wir uns mit einer bestimmten Einstellung identifizieren, dass wir dann einen Tunnelblick bekommen?
Aber natürlich! (Ein Naturgesetz *bg*)
Sobald das Verstehen, das darüber Nachdenken in distanzloses und unkritisches Glauben übergeht, ist die Gefahr riesig.Und es ist hierfür vollkommen egal
religiös oder antireligiös.
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Re: Wie entsteht Fundamentalismus?

Beitragvon emporda » Do 5. Jun 2008, 09:29

1von6,5Milliarden hat geschrieben:
stine hat geschrieben: Aber wie entsteht denn nun eigentlich Fundamentalismus?
Gute Frage. "Das Zeug mit "feierlicher Stimmung" geht schon auch in die richtige Richtung. Eine "feierliche Stimmung" ist ja immer ein von außen erzeugtes Gefühl, wenn der Rahmen groß genug ist, eine Einstimmung einer mehr oder minder großen Menschenmenge, auf ein Gefühl. Wenn man es schafft, den kritischen Geist der einzelnen auszuschalten, ist der Weg zum Fundamentalismus eigentlich nur noch eine Frage der Einstellung des jeweiligen Führers.


Moderne Bild gebenden Tomographien ermöglichen es neuronale Prozesse intensiv zu studieren. Das menschliche Gehirn ist vielfältig täuschbar, manipulierbar und fehlbar, was dem Menschen selber abwegig erscheint. Selbst der freie Wille in Form einer bewusst getroffenen Entscheidung ist nicht frei, sondern gründet sich auf unbewusste Entscheidungsfindungen lange vorher. Wer sich an etwas erinnert, so erscheint das als sicher, exakt so geschehen aber niemals selber willkürlich fabriziert. Neurale Korrelate von richtigen und falschen Erinnerungen werden in Gehirn unterschiedlich verarbeitet und sind so eindeutig zu entlarven. Ist die mit Vertrautheit und Gefühl korrelierte frontparietale Region oberhalb der Stirn aktiviert, geht es um frei fabrizierte „Erinnerungen“ und willkürliche „Fakten“. Sind die mit realem Erkennen korrelierten medialen Temporallappen (MTL) seitlich bei den Ohren aktiviert, geht es um wirkliche Erlebnisse und Bilder. Bei komplexen Gedächtnisleistungen werden immer beide Bereiche aktiv, somit werden Täuschung, Selbstbetrug und frei fabrizierte Erinnerungen vermischt mit wirklicher Realität zu einer für den Menschen nicht mehr auflösbaren Scheinrealität.

Die Religion nutzt dies seit langem, mittels Gefühlen und Emotionen werden falsche Fakten, nicht existente Ereignisse und irreale Abläufe in die Köpfe der Gläubigen gehämmert. Vergleicht man diverse Arten der Gottesdienste, dann beeindrucken jene, die auf Gefühle und stimmungsvolle Musik setzen und damit leicht falsche Realitäten schaffen. Abstrakte Betrachtungen über Moral, Verhaltensnormen und Wissensinhalte mit Anspruch an die Intelligenz schneiden dagegen schlecht ab. Die Videos und Filme der Kreationisten mit einem Hampelmann als Prediger sind verfehlt, das feierliche Vatikan-Zeremoniell sichert eine optimale Wirkung fürs schlichte Gemüt. Gleichzeitig hemmen falsche Erinnerungen die Fähigkeit die Realität noch objektiv zu erkennen und sich aus dem Teufelskreis der Gehirnwäsche zu befreien. Bewusstseinskontrolle wirkt durch Abhängigkeit und Konformität und unterdrückt Selbstständigkeit und Individualität.

Fundamentalismus entsteht, wenn Menschen mit einem Rest an Verstand versuchen, die zusammengelogene Religionsdoktrin mit der Realität und den Erkenntnissen der Wissenschaft in Einkang zu bringen und bei den offensichtlichen Lücken der religiösen Doktrin den Vorrang gibt bzw. sie als einzige Wahrheit blind verteidigt. Dabei reichen Verstand und Vernunft schon nicht mehr zu erkennen, daß man sich mit dieser Vorgehensweise zum Vollidioten macht. Stine bezeichnet es als Tunnelblick, der alle anderen Erklärungen bis auf jene ausblendet, die man selber gerade noch versteht - gleichzeitig aber tunlichst die Motive jener Zeitgenossen übersieht, die einem den Mist eingeredet haben.
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Re: Wie entsteht Fundamentalismus?

Beitragvon Spaceman_Spiff » Do 5. Jun 2008, 14:07

emporda hat geschrieben:Fundamentalismus entsteht, wenn Menschen mit einem Rest an Verstand versuchen, die zusammengelogene Religionsdoktrin mit der Realität und den Erkenntnissen der Wissenschaft in Einkang zu bringen und bei den offensichtlichen Lücken der religiösen Doktrin den Vorrang gibt bzw. sie als einzige Wahrheit blind verteidigt. Dabei reichen Verstand und Vernunft schon nicht mehr zu erkennen, daß man sich mit dieser Vorgehensweise zum Vollidioten macht. Stine bezeichnet es als Tunnelblick, der alle anderen Erklärungen bis auf jene ausblendet, die man selber gerade noch versteht - gleichzeitig aber tunlichst die Motive jener Zeitgenossen übersieht, die einem den Mist eingeredet haben.


Das sehe ich ein wenig anders, die wenigsten Fundamentalisten werden sich je mit etwas anderem als den eigenen Texten ernsthft befasst haben. Wenn man davon überzeugt ist, dass das endlich Diesseits einzig und alleine dazu dient sich einen guten Platz im endlosen Jenseits zu sichern, braucht man sich nicht um Wissenschaft und solchen Käse zu kümmern. Denn das gibt ja keine Punkte beim Obermacker.
Ich vermute den Ursprung eher in einer gezielten geistigen Verkrüppelung von Kindern. Wenn man es hinbekommt diesen einzuimpfen, dass es unumstössliche Wahrheiten gibt und jene in [hier beliebige Quelle einfügen] niedergeschrieben wurden, werden sie sich nie mit anderen Meinungen oder Texten befassen müssen. Vermutlich ist die Pupertät der beste Zeitpunkt sich davon zu lösen. (Eltern und alles was sie je sagten ist doof) Allerdings kann der Schuss auch nach hinten los gehen. Man sehe sich dazu unsere Muslimischen Mitbürger an, bei welchen der Extremismus bei Jungen deutlich höher ist als bei Alten.
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Re: Wie entsteht Fundamentalismus?

Beitragvon 1von6,5Milliarden » Do 5. Jun 2008, 14:27

Spaceman_Spiff hat geschrieben:bei welchen der Extremismus bei Jungen deutlich höher ist als bei Alten.
Und? Dies ist doch eher normal. Junge Leute sind meistens (also nicht immer) extremer als ältere Personen. Viele aufmüpfige Radikale von früher sind heute "spießige Mitläufer". Mal mag es Lebenserfahrung sein, mal Resignation, mal ganz einfach das Ende pubertären oder spätpubertären Aufbegehrens.

Auch wenn die heutigen jungen Türken in D (also die dritte Generation) viel aufmüpfiger und radikaler ist, als es die zweite Generation jemals war. Aber die 2. Generation musst halt noch unter starker Fuchtel der 1. stehend funktionieren. Die dritte Generation konnte und kann Freiheit nutzen, die halt auch manchmal negativen Einflüssen den Zugang öffnet.
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Re: Wie entsteht Fundamentalismus?

Beitragvon emporda » Do 5. Jun 2008, 17:30

Spaceman_Spiff hat geschrieben:[Das sehe ich ein wenig anders, die wenigsten Fundamentalisten werden sich je mit etwas anderem als den eigenen Texten ernsthft befasst haben. Wenn man davon überzeugt ist, dass das endlich Diesseits einzig und alleine dazu dient sich einen guten Platz im endlosen Jenseits zu sichern, braucht man sich nicht um Wissenschaft und solchen Käse zu kümmern. Denn das gibt ja keine Punkte beim Obermacker.
Da könnte etwas dran sein, denn Dummheit lebt länger

http://www.spiegel.de/wissenschaft/natu ... 32,00.html
Intelligenz ist nicht immer von Vorteil - jedenfalls bei Fliegen: Schweizer Forscher haben herausgefunden, dass klügere Fliegen um etwa ein Drittel kürzer Leben als dümmere Artgenossen. Der Grund: Die erhöhte Hirnaktivität kostet die Tiere wertvolle Energie.
Lausanne - Ihr geräuschvolles und zielloses Umherschwirren kann einem den letzten Nerv rauben und macht beim menschlichen Betrachter keinen besonders intelligenten Eindruck. Dass die Gehirne von Fliegen nicht sonderlich hoch entwickelt sind, hat aber offenbar einen tieferen Grund.
Die Wissenschaftler Tadeusz Kawecki und Joep Burger von der Universität Lausanne fanden heraus, dass intelligente Fliegen nicht älter als 50 bis 60 Tage werden. Normalintelligente Artgenossen bringen es auf immerhin 80 bis 85 Tage.

Folglich werden die Kreationisten sich schneller vermehren als intelligente Zeitgenossen, überstehen leichter negative Einflüsse durch Katastrophen und sind auch unter den Politikern weiter verbreitet. Leute hört auf nachzudenken, es bringt Euch nur schnell ins Grab :lachtot:
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Re: Wie entsteht Fundamentalismus?

Beitragvon pinkwoolf » Do 5. Jun 2008, 18:01

emporda hat geschrieben:Intelligenz ist nicht immer von Vorteil - jedenfalls bei Fliegen: Schweizer Forscher haben herausgefunden, dass klügere Fliegen um etwa ein Drittel kürzer Leben als dümmere Artgenossen. Der Grund: Die erhöhte Hirnaktivität kostet die Tiere wertvolle Energie.

Der Artikel hat mich auch sogleich mitgerissen, als ich ihn las. Habe darauf gleich einen doppelten Whisky getrunken.
Das Ungerechte an der Sache ist nur, dass der Erfolg des Menschen auf unserem Planeten doch wohl größtenteils auf seine erhöhte Hirnaktivität zurückzuführen ist. Allgemein betrachtet.
Im Einzelfall führt ein sparsamer Umgang mit den mentalen Ressourcen zweifellos oft zu einem Wettbewerbsvorteil - egal ob man nun amerikanischer Präsident werden oder eine besonders attraktive Frau an Land ziehen will.
:santagrin:
Schade, dass wir so wenig Frauen im Forum haben, die jetzt empört über mich herfallen könnten.
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