pinkwoolf hat geschrieben:El Schwalmo hat geschrieben:Dawkins ist ein erstklassiger Popularisierer, aber er 'färbt' das, was er darstellt, doch sehr. Die Auffassung von Evolution, die er vertritt, scheint mir ihre Zeit gehabt zu haben.
Deine erste Aussage kann ich unterstützen, auch wenn das Wort "Popularisierer" zumindest in Wissenschaftskreisen immer Misstrauen erweckt. Man lässt sich nicht gern in seinen Kreisen stören.
Ich würde lieber sagen: "... versteht es, wissenschaftliche Themen auch breiteren Bevölkerungskreisen verständlich zu machen." Was ja auch sein Jobprofil ist.
okay, so kann man es auch ausdrücken.
pinkwoolf hat geschrieben:Da ich nicht vom Fach bin, interessiert es mich schon, in welchen Details Dawkins nicht mehr up to date ist.
Wenn ich es richtig sehe ist die Evolutionsbiologie in einer Art Umbruch. Zwischen etwa 1950 und 1970 gab es einen unumstrittenen Standard (die Synthetische Theorie der Evolution, STE, eine Erweiterung der Selektionstheorie Darwins), der inzwischen zwar immer noch 'Standard' ist, von dem aber kaum jemand so recht weiß, was sie eigentlich konkret aussagt, obwohl sich viele Forscher zu ihr bekennen. Dawkins ist 'Ultra-Darwinist', das bedeutet, dass er eine sehr 'reine' Selektionstheorie vertritt. Das bedeutet, dass die Evolution kleinschrittig selektionsgesteuert verläuft ('climbing Mount Improbable', indem man nicht in einem Sprung von Tal auf den Gipfel gelangt, sondern durch kleine Schritte auf einer Rampe). Inzwischen kommt aber EvoDevo immer mehr in den Vordergrund. In dieser Auffassung spielt genau das, was die STE nicht integrierte, nämlich die Ontogenese, eine entscheidende Rolle. Hier werden dann Module neu kombiniert, der entscheidene Faktor ist dann eher der Zufall und erst das, was so entstanden ist, wird der Selektion ausgesetzt. Letztendlich ist das die Frage, ob der Mutationsdruck oder der Selektionsdruck die Evolution bestimmt. Wenn ich es richtig sehe, ist Dawkins nicht intensiver auf EvoDevo eingegangen, und falls doch, immer unter dem Gesichtspunkt, dass doch letztendlich Gene in Populationen selektiert werden. Das ist zwar korrekt, geht aber an entscheidenden Punkte vorbei.
Das Problem Dawkins scheint mir letztendlich darin zu bestehen, dass er eine intelligible Evolution benötigt, um ein 'intellectually fulfilled atheist' sein zu können. Die Selektionstheorie leistet exakt das in den Bereichen, in denen Strukturen, die der Selektion ausgesetzt sind, optimiert werden. Allerdings setzt Dawkins die Anfangsstrukturen voraus. Genau deren Entstehung ist aber die zentrale Frage, und hier setzt EvoDevo ein. Aber die Mechanismen, die hier vorliegen, sind letztendlich nicht mehr intelligibel, weil eben der Zufall eine dominante Rolle spielt. Zudem sind an diesem Prozess Schritte beteiligt, die viel größer sind als die, von denen die Selektionstheorie ausgeht. Dawkins hat, unter Bezug auf Darwin, klar herausgestellt, dass derartige Schritte Wundern (und damit übernatürlichen Eingriffen) gleichzusetzen sind (ich kann Dir gerne Belegzitate posten).
Vielleicht ein konkretes Beispiel: die Zellen, aus denen wir aufgebaut sind, entstanden durch Symbiongenese. Eine Zelle, die nicht in der Lage war, unter Sauerstoffverbrauch Glucose abzubauen, hat ein Bakterium, welches das konnte, aufgenommen und nicht verdaut. Diese Wesen leben nun als Mitochondrien in unseren Zellen. Der entscheidende Schritt, eben diese Symbiose, war nicht durch Selektion gesteuert, sondern ein qualitativer Sprung. Die dann erfolgende Optimierung (beispielweise der Umstand, dass Teile des Genoms der Endosymbionten in die Wirts-DNA integriert wurden, so dass die Symbionten nur noch in Zellen lebensfähig sind) erfolgte dann eher durch die Mechanismen, die die Selektionstheorie erklären kann.
Derartige Schritte widerlegen die Selektionstheorie nicht, aber sie beschneiden deren 'Allmacht'. Und gerade das war der Anspruch der Selektionstheorie: die gesamte Evolution erklären zu können.
Das war's mal auf die Schnelle, ich kann Details gerne weiter ausführen, falls das jemanden interessieren sollte. Daneben gibt es natürlich noch spezifische Kritik an einzelnen Punkten von Dawkins Auffassungen, beispielsweise am 'Mem' oder auch am 'selfish gene', die meiner Meinung nach aber eher peripher sind.