Ist der Glaube an Gott vernünftig?

Re: Ist der Glaube an Gott vernünftig?

Beitragvon pinkwoolf » Mo 13. Okt 2008, 23:02

Qubit hat geschrieben:Nun, dann sollte man einfach den Religionslehrer fragen, was er hören möchte, um eine gute Note zu bekommen.

Ich kenne übrigens Religionslehrer, die kritisches Denken fördern und tumben Glauben nicht mögen, geschweige denn gute Noten dafür verteilen. Der Lehrplan in unserem Lande lässt eine Glaubensnote gar nicht zu; aber das dürfte die christlichen Ayatollahs nicht davon abhalten, eine solche zu verhängen.

Als ich noch Schüler war, hatten wir ein Jahr lang einen widerlichen Pastor als Religionslehrer. Bei dem hatte ich eine Fünf; das war aber auch schon damals nicht versetzungsrelevant.

Welchen Anteil heutzutage in den Schulen religionsanalytische Pädagogen gegenüber glaubenseifernden Hirten haben, vermag ich nicht zu sagen. Das Verhältnis ist, jedenfalls hier im Norden, sicherlich besser als in den 1960er Jahren.

Übrigens halte ich Religionsunterricht als kulturkundliche Übung für eine gute, ja geradezu notwendige Sache. Ließe sich zweifellos auch in andere Fächer integrieren; aber die Diskussionen in den Lehrplan-Gestaltungs-Gremien wären fürchterlich.

:gott:
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Re: Ist der Glaube an Gott vernünftig?

Beitragvon 1von6,5Milliarden » Di 14. Okt 2008, 08:20

pinkwoolf hat geschrieben:Übrigens halte ich Religionsunterricht als kulturkundliche Übung für eine gute, ja geradezu notwendige Sache.
Ob notwendig, darüber ließe sich streiten, notwendig wäre m.E. in Grundzügen richtig Schreiben zu können und einen aktiven Wortschatz in mindestens höherer dreistelliger Zahl zu haben (und dies auch schriftlich und korrekt), Grundrechnen, soziale und politische (wer Wählen will, sollte eine Grundkompetenz haben) Bildung u.ä.

Religionsunterricht ist heute meist die Unterrichtung von Religionen, dies ist unnötig, zumindest an öffentlichen Schulen, Unterrichtung über Religionen erachte allerdings auch ich als wichtig und für weiterführende Schulen unabdingbar. => Geschichte und Ethik
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Re: Ist der Glaube an Gott vernünftig?

Beitragvon Rivfader » Di 14. Okt 2008, 10:24

1von6,5Milliarden hat geschrieben:
Rivfader hat geschrieben:Der Glaube an oder die Entscheidung für etwas Nichtexistentes ist wohl nicht vernünftig.
würde ich jetzt ad hoc nicht so unterschreiben. Der Glaube an ein nicht vorhandenes Ideal ("das Gute im Menschen"), wenn es alle oder eine große Mehrheit tun bzw. täten, kann einen (alle) näher an das Ideal heranbringen.

Du meinst, man kann es als sinnvoll betrachten, wenn ein Großteil der Menschheit an etwas glaubt , von dem man selbst überzeugt ist, dass es nicht der Realität entspricht? Das ist doch schon fast so etwas wie Manipulation! Zumindest für einen selbst ist es doch ausgeschlossen, außer man lügt sich selber in die Tasche.
Und dein Beispiel ist nicht ganz glücklich gewählt. Wenn viele an das "Gute" im Menschen glauben und sich danach verhalten, dann gibt es dieses "Gute" doch auch! Das würde ich dann als Gesellschaftsvertrag ansehen.


1von6,5Milliarden hat geschrieben:
Rivfader hat geschrieben:Es ist schon erstaunlich, wie sehr Menschen versuchen, ihren Handlungen und Ansichten nachträglich Vernunft einhauchen wollen, um sie zu legitimieren.

Rivfader hat geschrieben:Oder hat irgendeiner von euch rationale Argumente für seinen Musik-, Mode-, Kunst-, Essensgeschmack?
Ja. Nicht für jede Nuance, aber für viele Ausprägungen schon. Ob das rationale Argument immer stimmt ist was anderes. Aber dein Musikgeschmack (als Beispiel) ist so gut wie sicher von außen beeinflusst, es lässt sich also ein rationaler Grund dafür finden. Schwieriger wird es aber u.U. mit der Begründung, warum du auf den Einfluss so reagiert hast und nicht anders. Ein Kind Schlager und volkstümelnde Musik hörender Eltern kann z.B. einen ebensolchen Geschmack entwickeln :erschreckt: oder eventuell auf Hardcor-Punk stehen. Du wirst aber so gut wie immer Einflüsse (rationale Argumente) finden. Ob sich (fiktives Beispiel) mancher Jazz-Fan aber dazu durchringt zuzugeben, dass er (echter) Jazz-Fan geworden ist, weil er als Jugendlicher möglichst elitäre, möglichst wenig mainstreamige, Musik hören wollte, steht wieder wo anders.
Wie gesagt, es muss nicht jede Facette mit rationalen Argumenten belegbar sein, könnte aber auch einfach nur "Unfähigkeit" sein. Aber den groben Geschmack - in welcher Richtung auch immer - wirst du im Durchschnitt (einer hinreichend zahlreich seienden Gruppe) immer mit rationalen Argumenten begründen können. Auch wenn es - m.E. mangels genügend Wissens - zum großen Teil nur Erklärung des Seienden ist und je feiner du auflöst um so weniger treffsicher eine Erklärung des Kommenden ist.
Gerade Geschmack (ähnlich auch wie Glaube) ist viel Tradition, aber auch Nachahmung, Anpassung an (vorgebliche) Mehrheiten, Gruppendynamik u.ä.
Unter dem Gesichtspunkt einer Gruppenzugehörigkeit, unter dem Gesichtspunkt des persönlichen Vorteils mag ein bestimmter Geschmack ebenso von Vorteil sein, also auch vernünftig, wie der veröffentlichte und bigott vorgelebte Glaube an Gott, soweit er sich von der Zielgruppe nicht zu weit entfernt.
Danach (nach einem vorgeblichen Glauben) hat stine aber wohl nicht gefragt. Echter Glaube ist heute und bei uns unvernünftig, vorgeblicher Glaube kann aber durchaus aus rationalen Gründen vernünftig sein.


Vielleicht habe ich mich nicht so genau ausgedrückt. Man kann zwar, wie du sagst, rationale Gründe finden, warum sich ein Geschmack so entwickelt hat. Man kann aber nicht sagen, ob es vernünftig ist, diese oder jene Musik zu hören. Das einzige gültige Argument wäre, dass man dabei irrationalen Spaß (oder sonstige Empfindungen) hat, und es vernünftig ist, Spaß zu haben. Das ist aber dann persönlich, ebenso wie beim Glauben. Für einen Gläubigen ist der Glaube natürlich sinnvoll. Die Frage ist aber allgemein gestellt, also "Ist der Glauben an Gott für alle Menschen sinnvoll/vernünftig?". Für mich klingt das eben so, wie wenn ich frage, "ist es vernünftig, Metal zu hören?" Für mich ja, aber die Gründe, die ich dafür Vorbringen würde, sind mein Geschmack und für andere evtl. nicht nachvollziehbar.
Mit Religion sehe ich das ähnlich, nur kommt noch der Missionierungsgedanke dazu. Man versucht etwas, das einem selber gefällt, auf Teufel komm raus mit scheinbar rationalen Argumenten zu untermauern, um es anderen schmackhaft zu machen.
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Re: Ist der Glaube an Gott vernünftig?

Beitragvon Rivfader » Di 14. Okt 2008, 10:39

stine hat geschrieben:Ich denke es sollte darauf hinaus laufen, dass der religiöse Dogmatismus auf der einen Seite genau so schlecht ist, wie die völlige Abkehr vom Glauben, hin zur rein wissenschaftlichen Erkenntnis über den Menschen. Vielleicht ist vernünftiger Glaube die Balance zwischen den beiden Extremen.

Ich denke, damit kann das Thema vom Tisch.
Jedenfalls in diesem Forum.
LG stine


Ich denke, es sollte darauf hinauslaufen, dass Dogmatismus jeglicher Couleur schlecht ist, und kritisches Denken gefragt ist.

Vernünftiger Glaube (der m. E. nicht existiert), oder sagen wir lieber pragmatischer Glaube, kann nur eine Balance zwischen den Extremen fanatisches Christentum und fanatischer Islamismus (beispielsweise) sein.

Wissenschaft hat auch immer schon den Zweifel an sich selbst mit eigebaut, also macht Aussagen über die Begrenztheit einer Theorie. Das sollte man nicht mit dogmatischem Atheismus zu verwechseln und als Extremposition darstellen.
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Re: Ist der Glaube an Gott vernünftig?

Beitragvon stine » Di 14. Okt 2008, 12:02

Die Rede von Josef Ratzinger, die ich bei meiner Recherche aufgetan habe, zielt ziemlich sicher auf das Thema ab.

Er kommentiert, dass die religio ihre Rechtfertigung nicht aus der Realität des Göttlichen, dem Seinsgrund, sondern aus ihrer politischen Funktion empfängt. Religion ist eine Einrichtung, derer der Staat für seine Existenz bedarf. "Nicht die Götter haben den Staat geschaffen, sondern der Staat hat die Götter eingerichtet, deren Verehrung für die Ordnung des Staates und das rechte Verhalten der Bürger wesentlich ist. Religion ist in ihrem Wesen ein politisches Phänomen."

Das Christentum hat seinen Ursprung in der philosophischen Aufklärung und NICHT in den Religionen!
"Der christliche Glaube beruht nicht auf Poesie und Politik, diesen beiden großen Quellen der Religionen; er beruht auf Erkenntnis. Er verehrt jenes Sein, das allem Existierenden zugrunde liegt, dem "wirklchen Gott".

"Die Verschmelzung von Aufklärung und Glaube, die sich in der Entwicklung der christlichen Mission und im Aufbau der christlichen Theologie vollzog, brachte freilich auch einschneidende Korrekturen am philosophischen Gottesbild hervor, deren vor allem zwei zu nennen sind. Die erste besteht darin, daß der Gott, dem die Christen glauben und den sie verehren, im Unterschied zu den mythischen und politischen Göttern wirklich natura Deus ist; darin liegt die Deckung mit der philosophischen Aufklärung. Aber gleichzeitig gilt nun: non tamen omnis natura est Deus – nicht alles, was Natur ist, ist Gott. Gott ist seiner Natur nach Gott, aber nicht die Natur als solche ist Gott."

Interessant zu lesen, auch für Nichtchristen :wink:
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NS: Vielleicht hieß das Thema auch: Ist der christliche Glaube vernünftig? :ops:
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Re: Ist der Glaube an Gott vernünftig?

Beitragvon pariparo » Di 14. Okt 2008, 12:43

stine hat geschrieben:Die Rede von Josef Ratzinger, die ich bei meiner Recherche aufgetan habe, zielt ziemlich sicher auf das Thema ab.
...
Interessant zu lesen, auch für Nichtchristen :wink:
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NS: Vielleicht hieß das Thema auch: Ist der christliche Glaube vernünftig? :ops:


Nun hat in der Tat die Evolutionstheorie, wo sie sich zur philosophia universalis auszuweiten anschickt, auch das Ethos evolutionär neu zu begründen versucht. Aber dieses evolutionäre Ethos, das seinen Schlüsselbegriff unausweichlich im Modell der Selektion, also im Kampf ums Überleben, im Sieg des Stärkeren, in der erfolgreichen Anpassung findet, hat wenig Tröstliches zu bieten. Auch wo man es auf mancherlei Weise zu verschönern strebt, bleibt es letztlich ein grausames Ethos. Das Bemühen, aus dem an sich Vernunftlosen das Vernünftige zu destillieren, scheitert hier recht augenfällig. Zu einer Ethik des universalen Friedens, der praktischen Nächstenliebe und der nötigen Überwindung des Eigenen, die wir brauchen, ist dies alles wenig tauglich.

Der Versuch, in dieser Krise der Menschheit dem Begriff des Christentums als religio vera wieder einen einsichtigen Sinn zu geben, muß sozusagen auf Orthopraxie und Orthodoxie gleichermaßen setzen. Sein Inhalt wird heute – letztlich wie damals – im Tiefsten darin bestehen müssen, daß Liebe und Vernunft als die eigentlichen Grundpfeiler des Wirklichen zusammenfallen: Die wahre Vernunft ist die Liebe, und die Liebe ist die wahre Vernunft. In ihrer Einheit sind sie der wahre Grund und das Ziel alles Wirklichen.


:skeptisch: sehr interessant... :breit:
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Re: Ist der Glaube an Gott vernünftig?

Beitragvon stine » Di 14. Okt 2008, 16:59

Der Schluß ist tatsächlich ziemlich verwirrend. :/
Aber man sollte ihn nicht alleine stehen lassen, sondern als Erkenntnis des Ganzen mit nach Hause nehmen :^^: .

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Re: Ist der Glaube an Gott vernünftig?

Beitragvon stine » Mi 15. Okt 2008, 09:22

Diese Papstrede spiegelt für mich die ganze Zerrissenheit der Christlichen Gemeinschaft wieder, die wir heute wahrnehemn können.
Obwohl wir wissen, dass Religion Kult und politisches Werkzeug ist, obwohl wir wissen, dass wir immer nur Teile des Ganzen wahrnehmen können und den Seinsgrund nicht erfahren, obwohl wir Vernunft und Glauben nicht in Einklang bringen können, sollen wir trotzdem am Bestehenden festhalten.
Sozusagen vorsichtshalber, damit nichts aus den Fugen gerät.

Ich denke, dass sich echte Christen, heute wie damals, ihre ganz eigenen Gedanken dazu machen.

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Re: Ist der Glaube an Gott vernünftig?

Beitragvon 1von6,5Milliarden » Mi 15. Okt 2008, 15:45

Ja, immer wieder interessant diese vorsätzlichen Lügen von Papst & Co.

"Survival of the fittest" bedeutet eben nicht "Sieg des Stärkeren" sondern "Überleben des am besten angepassten".
Und Darwin selber hat diesen Ausdruck auch nur als Schlagwort übernommen, im Wissen dass es eben nur ein solches ist und nicht ganz stimmt.
Aber eon Papst muss natürlich gleich mit sozialdarwinistischen Sprüchen daherlügen, obwohl er es sicher besser weiß.
Aber selbst wenn es so wäre, dann wäre die Wahrheit imer noch besser, als irgendeine verlogene Heuchelei. Abgesehen davon, dass die heutige Kirche (eigentlich seit vielen Jahrhunderten) durchaus gerne - wenn sie sich eben in der Lage des Stärkeren wähnt - nach dem Motto "der Stärkere gewinnt" verfährt.

Vernünftig ist weder der christliche noch ein anderer Glaube an einen Gott.
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Re: Ist der Glaube an Gott vernünftig?

Beitragvon stine » Mi 15. Okt 2008, 17:51

1von6,5Milliarden hat geschrieben:...obwohl er es sicher besser weiß.
Das ist meine ganz besondere Kritik. Ich halte Josef Ratzinger für einen sehr klugen Mann. Niemand hat sich höchstwahrscheinlich so intensiv mit der Kirchengeschichte und dem ewig Göttlichem so auseinandergesetzt wie er. Und dann trotzdem diese Haltung einzunehmen, ist Zeichen einer Machtlosigkeit inmitten der Mächtigen.

1von6,5Milliarden hat geschrieben:Vernünftig ist weder der christliche noch ein anderer Glaube an einen Gott.

Was noch zu beweisen wäre... :mg:

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Re: Ist der Glaube an Gott vernünftig?

Beitragvon SpiNat » Sa 18. Okt 2008, 11:17

stine hat geschrieben:Die Rede von Josef Ratzinger, ...
Das Christentum hat seinen Ursprung in der philosophischen Aufklärung und NICHT in den Religionen!
"Der christliche Glaube beruht nicht auf Poesie und Politik, diesen beiden großen Quellen der Religionen; er beruht auf Erkenntnis. Er verehrt jenes Sein, das allem Existierenden zugrunde liegt, dem "wirklchen Gott".

Danke. Wirklich ein Paradebeispiel für den Sophismus à la Ratzinger: Eine philosophische Denkfigur mit völlig anderem Ursprung und Inhalt wird wie selbstverständlich mit einer christlichen identifiziert und somit die christliche parasitär aus den Argumenten für die philosophische ernährt. Das "Sein, das allem Existierenden zugrunde liegt" ist als solches ein reines Abstraktum, das mit der konkreten Vorstellung "Gott" gar nichts zu tun hat. Mit dem gleichen Recht könnte man es mit jedem Beliebigen identifizieren: den Naturgesetzen, dem Karma, dem rosa Einhorn, Michael Jackson oder Microsoft - alles der gleiche Fehlschluss, weil man es korekterweise mit gar nichts identifizieren kann. Alles irgendwie Identifizierbare wäre bereits "Seiendes", dessen Sein gewissen Bedingungen unterliegt, und nicht mehr "Sein, das allem Existierenden zugrunde liegt". Soviel zum Inhalt dieser philosophischen Denkfigur. Eine andere Frage ist, wozu sie (außer zu Sophistereien à la Ratzinger?) brauchbar sein könnte? Einen wirklichen Erkenntnisgewinn kann ich darin nicht finden.
Zweite andere Frage: Wer sagt eigentlich, dass ein "wirklicher" Gott nur einer wäre, der mit dem "Sein, das allem Existirenden zugrunde liegt" identifiziert wird? Der Begriff "Gott" hat für die verschiedenen Menschen, die einen (oder mehrere) verehren, ganz verschiedene Bedeutungen mit ganz verschiedenen Bedingungen, die ein "wirklicher" Gott erfüllen muss - mit welchem Recht lässt Ratzinger nur die Bedingung zu, die er selbst stellt?
"Die Verschmelzung von Aufklärung und Glaube, die sich in der Entwicklung der christlichen Mission und im Aufbau der christlichen Theologie vollzog, brachte freilich auch einschneidende Korrekturen am philosophischen Gottesbild hervor, deren vor allem zwei zu nennen sind. Die erste besteht darin, daß der Gott, dem die Christen glauben und den sie verehren, im Unterschied zu den mythischen und politischen Göttern wirklich natura Deus ist; darin liegt die Deckung mit der philosophischen Aufklärung. Aber gleichzeitig gilt nun: non tamen omnis natura est Deus – nicht alles, was Natur ist, ist Gott. Gott ist seiner Natur nach Gott, aber nicht die Natur als solche ist Gott."

Sorry, ich habe Ratzinger mit fremden Federn geschmückt: Das Copyright auf seinen Sophismus gehört schon den Erfindern der christlichen Theologie. Die damit erreichte Instrumentalisierung der Philosophie, die in christlichen Zeiten bekanntlich "Sklavin der Theologie" zu sein hatte, als "Verschmelzung von Aufklärung und Glaube" zu titulieren, ist allerdings ein starkes Stück. Was sich Aufklärung nennt, sollte doch zumindest ein bissel einen emanzipatorischen Anspruch haben, oder? Ales, was es davon in der "vorchristlichen" Philosohie gab, haben die Theologen ratzeputz eliminiert und durch ein Menschenbild ersetzt, das von "Gott" her definiert wird. Und wieder: Was heißt bei diesem Gott "wirklich"? Der Unterschied zu den "mythischen und politischen Göttern" besteht doch nur darin, dass der konkrete mythische und politische Gott der Bibel willkürlich mit einer philosophischen Denkfigur identifiziert wird, die ihrerseits willkürlich ausgewählt wurde. Diese Willkür aufzuzeigen, wäre eigentlich "philosophische Aufklärung". Theologie dient nur dazu, sie gekonnt zu verschleiern.
NS: Vielleicht hieß das Thema auch: Ist der christliche Glaube vernünftig? :ops:

Er ist nur das hierzulande bekanteste Beispiel. Das Thema ist, dass jeder Glaube, der sich auf diese Weise die Vernunft (bzw. ihre Methoden) dienstbar zu machen versucht, ihr nicht folgt, sondern sie missbraucht.

LG, SpiNat

(ist übrigens - Selbstironie muss sein - die Abkürzung für Spiritueller Naturalist: Ich glaube, dass sich all die Gefühle der "Bewunderung und Ehrfurcht", der "heiligen Ergriffenheit", "spirituellen Erfahrung" usw., die von den supernaturalistischen Religionen in eine jenseitige Hinterwelt ausgelagert werden, in Wirklichkeit (d.h. als reale Gefühle und Reaktionen auf real Erlebtes) auf die Natur und die Menschen selbst beziehen und wieder in die Natur zurückgeholt und den Menschen zurückgegeben werden müssen. Also mehr Harris als Dawkins. Natürlich nehme ich dabei eine subjektive Bestimmung vor, was "wirklich" spirituell ist, wie bei Ratzinger & Co, aber mit einem Unterschied: Die Natur gibt es.)
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Re: Ist der Glaube an Gott vernünftig?

Beitragvon tore354 » Do 23. Okt 2008, 04:36

Naja… obwohl ich Atheist bin: wenn man Wikipedia’s Definition der Vernunft hernimmt (i.e. ‚das den Verstand kontrolliert‘) dann ja. Ich finde, wenn man seinen gesunden Verstand verwendet, ist klar, dass es nicht sehr klug ist, zu glauben. Wenn man aber entscheidet, hier setze ich meinem Verstand mit meiner Vernunft die Grenze, hier hat mein Verstand nichts mehr zu suchen, hier entscheide ich mich mit meiner Vernunft zu glauben …. Dann ist es vernünftig.
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Re: Ist der Glaube an Gott vernünftig?

Beitragvon gerhard » Sa 25. Okt 2008, 09:44

Hallo Stine,

du wirst doch nicht plötzlich der "schöpferischen Vernunft" verfallen? Die objektive Vernunft, an der sich die menschliche Vernunft auszurichten hat, ist mein ständiges Thema. Doch diese "kreative Vernünftigkeit" will ich nicht im metaphysischen Neben belassen, sondern genau dort wahrnehmen, wo Naturalisten die Welt erklären.

Wenn ich - nach jahrzehntelangem Lesen und Lernen - nicht gewiss wäre, dass der christliche Glaube in Wirklichkeit auf die von die von Dir zum Thema gemachte "objektive Vernunft" gründet, die philosophisch nachvollziehbar ist und vor 2000 Jahren unter dem Namen Jesus in jüdischer Tradition Personifziert wurde, wäre ich wahrscheinlich noch nicht ausgetreten, würde aber vom christlichen Glaube kaum mehr halten als die meisten hier.

Wenn es Dich interessiert, auf der angegebenen Homepage, unter "Auf-verstehung" habe ich versucht deutlich zu machen, warum der Papst - ohne dass es bemerkt wurde - das Paradigma der "schöpferischen Vernunft" eröffnet hat. Auch wenn er noch nicht bereit ist, diese objektive Vernunft, auf die er sich ständig beruft, in evolutionärer Welterklärung wahrzunehmen, sondern sie im Dunkel der Dogmen belässt, so als Rückfall in alte Metaphysik oder persönliche Spiritualität gesehen wird. (Doch die griechische Philosophie, die den Reformgrund des Monotheismus lieferte, war alles Andere als spirituelle Spielerei, persönliche Phantasterei, sondern baute auf rationale Welterklärung. Auch wenn wir heute dabei etwas empirischer sind.)

Ob der Glaube an Gott vernünftig ist, hängt danach vom Glaube ab. Er kann auch ganz und gar unvernünftig sein. Die "schöpferische Verunft" in menschlicher Person wurde nicht durch antiken Atheismus verurteilt. Es waren die Gesetzesdiener, die das Volk aufgewiegelt haben zu rufen "kreuziget ihn".

Nur schade immer, dass auch die Diener der naturalistischen Welterklärung nicht über die alten Denkmuster hinausgehen, eine heutige Höherführung der natürlichen "kreativen Vernünftigkeitkeit" nicht wahrhaben wollen.

Grüße vom Paradigma der ganz natürlichen "schöpferischen Vernunft"
(nach meiner Gewissheit von einem aufgeklärten christlichen Glauben)
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Re: Ist der Glaube an Gott vernünftig?

Beitragvon stine » Sa 25. Okt 2008, 11:12

Lieber gerhard,

solltest du jemals aus meinen Zeilen gelesen haben, dass ich ein Befürworter der wörtlichen Bibel bin, dann muß ich mich ziemlich unklar ausgedrückt haben. Die ganze Welt wäre voller Statisten, wenn einzig das auserwählte Volk den Zugang zu Gottes Wort hätte :mg: .

Das kann nicht sein!

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Re: Ist der Glaube an Gott vernünftig?

Beitragvon gerhard » Sa 25. Okt 2008, 16:04

Entschuldige Stine,

wenn ich Dich angegriffen habe. Dies war nicht meine Absicht. Schon gleich gar nicht die Unterstellung, dass Du die Bibel wörtlich nehmen würdest.

Nur mit der Hoffnung auf einen aufgeklärten Glaube, der sich logisch in einer in der Evolutionslehre nachvollziebaren "schöpferischen Vernunft" als lebendiges Wort begründen lässt, gleichzeitig die alten Bilder mit neuem Leben füllt, war ich bisher weitgehend allein.

In weiterer Hoffnung auf ein aufgeklärtes Verständnis dessen, was einst als schöpferisches Wort verstanden wurde.

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Re: Ist der Glaube an Gott vernünftig?

Beitragvon stine » Sa 25. Okt 2008, 16:24

Keine Sorge, ich fühlte mich nicht angegriffen.

Ich verfolge deine Sicht der Dinge schon eine ganze Weile und bin der Meinung, dass wir beide bei den Brights gut aufgehoben sind, obgleich mancheiner hier das anders sehen mag :mg: .
Ich kann mich mit dem Deismus oder mit dem Pantheismus, selbst mit den Unitariern gut identifizieren.
Religiöse Glaubensgemeinschaften ergeben nur dann Sinn, wenn man die Geschichte der Menschen und ihre Versuche sich friedlich zusammenzurotten bis in die Steinzeit verfolgt.

In der Person Jesus sehe ich den Aufklärer seiner Zeit. Er war der erste, der Religionsgemeinschaften kritisiert hat. Dass er damit aber den Grundstein für eine neue Kirche setzen würde, die dies dann zum Inhalt macht und damit ein neues Imperium aufbaut, das konnte er freilich nicht voraus sehen.

Wer oder was immer unser Leben verursacht hat, ich finds auf jeden Fall spannend!

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Re: Ist der Glaube an Gott vernünftig?

Beitragvon gerhard » So 26. Okt 2008, 07:51

Hallo Stine,

dann doch ein Angriff? Denn was Du in Jesus siehst, ist genau das, was m.E. letztlich einem "vernünftigen" Glauben im Weg steht. Wenn die griechisch denkenden Glaubensaufklärer vor 2000 Jahren das Leben eines Reformjuden beschrieben, den verherrrlicht hätten, den alle Welt für historisch hält, dann müsste ich die Haltung gegenüber dem Glauben einnehmen, den die Meisten hier haben, alle Rede von Auferstehung und wundersamen Dingen für gestriges Gestammel persönlicher Glaubenvorstellungen halten, völlig unbedeutend für die aufgeklärte Welt. Den Glauben an eine gemeinsame Sinngebung könnte ich nicht denkerisch begründen und schon gleich gar nicht in einer universellen kreativen=schöpferischen Vernunft, die m.E. auch am Anfang des Monotheismus stand, ich nur in zeitgemäßer Weise zum Ausdruck bringen will.

Nachdem ich mich mit "Übergepäck" unter der andalusischen Sonne bzw. unter dem dort hell leuchtenden Sternenhimmel erneut zwei Wochen mit christlicher Urgeschichte, den frühen Apologeten... und griechischer Philosophie auseinander setzen, den Weg der christlichen Dogmatik sowie von einer philosophischen Reformsekt zur Glaubensweise der westlichen Welt verfolgen konnte, bin ich mir sicher, dass wir vor einem echten Paradigmenwechsel stehen. In einem neuen Vorspann zu "Auf-verstehung" (wo es um das Verständnis des historischen Jesus in naturalistischer Welterklärung, insbesondere der evolutionsbiologischen Beschreibung als aktueller Universalerklärung geht) habe versucht kurz zu verdeutlichen, warum der Papst eigentlich diesen Paradigmenwechsel zur Frage nach einer universalen kreativen=schöpferischen Vernunft als dem wahren christlichen Glaubens-gründer eingeleitet hat. Ohne ihn allerdings selbt konsequent gehen zu können.

Wenn ich wieder Zeit habe, werde ich in meine Urlaubsaufzeichnungen aufgreifen und versuchen in einem Dialog mit Sokrates (dem Sprachrohr der Logik, logischer Welterklärung, griechischer Glaubensaufklärung, der bereits die Vernunft als Gottessohn sah, darauf eine Verhaltenslehre gründen wollte, ebensowenig wie Jesus ein einfacher Mensch/Lehrer/Reformer, sondern vernünftige Personifikation war) den Papst in logischen Schlüssen seiner eigenen wissenschaftlichen bzw. biblischen Auswertung zur schöpferischen Vernunft/dem Grund seines christlichen Glaubens zu bekehren, nach der Naturalisten die Welt erklären. Johannes als Vertreter eine philosophischen Erkenntnis von universaler Vernuft, der gleichzeit deren kulturgerechte Personifikation zur Volksvermittlung vertritt, wird dabei auch mitwirken.

In einem Paradigma, das der Papst eigentlich angestoßen hat, indem er das Christentum als Weiterführung griechischer Natur-Philosophie und den biblischen, d.h. den einzigen geschichtlichen Jesus als ewiges schöpferisches Wort/Vernunft auswertet (auch wenn er dies im metaphysichen Dunkel, die Welt im Glaube lässt, es ginge doch wieder um einen kirchlich gesetzten Gottmenschen...) wird aus Deismus, Pantheismus und letzlich Naturalismus der Grund eines müdigen Glaubens, der in die menschliche Vernunft in schöpferische Verant-wort-ung nimmt.

In der Hoffnung,
dass sich die Menschen für die natürliche kreative Vernüfntigkeit allen evolutionären Werdens begeistern,
hier das "Wort" hören, das ihre Väter auf einen gemeinsamen Gott schließen ließ
und sich so durch die bekannten Kultformen in mündiger Weise befähigen lassen, nach kreativer=schöpferischer Vernunft zu leben. (War wir bitter nötig haben. Wie sich nicht erst im Zusammbruch des Kapitalegoismus zeigt, der dem Kommunismus ohne höhere Sinngebung folgt und noch deutlich in der globalen Zerstörung von Zukunft - statt kreativer-schöpferischer Weiterentwicklung - wird.)

Gerhard

(Auch in der Hoffnung, dass dies nicht als Missionierungsversuch, sondern als Denkanstoß verstanden wird, gerade für Naturalisten.)
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Re: Ist der Glaube an Gott vernünftig?

Beitragvon stine » So 26. Okt 2008, 12:20

@gerhard:

stine hat geschrieben:In der Person Jesus sehe ich den Aufklärer seiner Zeit. Er war der erste, der Religionsgemeinschaften kritisiert hat. Dass er damit aber den Grundstein für eine neue Kirche setzen würde, die dies dann zum Inhalt macht und damit ein neues Imperium aufbaut, das konnte er freilich nicht voraus sehen.
In der bildhaft beschriebenen Person Jesus sehe ich die Aufklärung der Zeit vor ca. 2000 Jahren. Durch das Niederschreiben seiner Geschichte wurden erstmals die Religionsgemeinschaften kritisiert. Dass damit aber auch der Grundstein für eine neue Kirche gesetzt würde, die dies dann zum Inhalt macht und damit ein neues Imperium aufbaut, das konnten die Schreiber der Geschichte freilich nicht voraus sehen.


Besser so?

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Re: Ist der Glaube an Gott vernünftig?

Beitragvon gerhard » So 26. Okt 2008, 14:00

Herzlich willkommen bei der schöpferischen Vernunft in menschlicher Person-ifizierung,

doch die sog. gottesfürchitgen Philosophen der Zeitenwende, deren Glaubensgegenstand wir in der Person Jesus kennen, waren nicht die ersten Glaubensaufklärer. Bereits die Propheten - analog auch die vormaligen griechischen Philosophen - haben sich gegen den Aberglaube gewandt und hierin das eigentliche Problem gesehen.

Doch der Knackpunkt der evoluionären Weiterentwicklung scheint es immer wieder zu sein, den vorhandenen Kultbau (Kirche) nicht einfach abzureißen, sondern kreativ weiterzubauen.

Wenn ich mich daher an die Kirche bzw. den Papst selbst wende, dann ist dies der Grund.

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Re: Ist der Glaube an Gott vernünftig?

Beitragvon Mark » Mi 5. Nov 2008, 15:07

Es mag zwar eine irgendwie einigermaßen brauchbare Definition von "Vernunft" geben, aber das heisst noch lange nicht, daß sich das Wörtchen "vernünftig" direkt von der Definition von "Vernunft" ableiten lässt.
Eine Entscheidung wird mit der Vernunft (unter anderem) gefällt, aber unter "vernünftig" stellt man sich ja nicht vor, daß eine Entscheidung irgendwie mit der Vernunft gefällt wurde, denn das werden alle mehr oder weniger, und quantisieren ist da schlecht drin. Also wird es im Volks-Sprachgebrauch mehr als "sinnvoll" benutzt, und damit zweckgebunden.
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