Übernatürlich oder was

Re: Übernatürlich oder was

Beitragvon BglBttr » Mi 19. Nov 2008, 19:08

Myron hat geschrieben:Siehe "über" im grimmschen Wörterbuch (vor allem III.C):

http://tinyurl.com/6ru7cp

Gradezu mehr als reichlich, deutsche Sprache killt Firefox-Browser (fast, meinen jedenfalls). Übernatürlich ist auch drin:

"was weder im wesen, noch in der krafft der cörper, und also nicht in ihrer natur, noch auch im wesen und der krafft der welt, und also nicht in der gantzen natur gegründet ist, das heiszet übernatürlich CHR. V. WOLFF vernünftige gedanken v. gott (1720)"

Vernünftige Gedanken, unbezahlbar...
Benutzeravatar
BglBttr
 
Beiträge: 105
Registriert: Do 13. Nov 2008, 12:58
Wohnort: nahe der 200

Re: Übernatürlich oder was

Beitragvon Myron » Mi 19. Nov 2008, 20:31

BglBttr hat geschrieben:Gradezu mehr als reichlich, deutsche Sprache killt Firefox-Browser (fast, meinen jedenfalls).


Ich verwende den gleichen Browser und habe leider dieselben Probleme mit der Online-Version des grimmschen Wörterbuchs.

BglBttr hat geschrieben:Übernatürlich ist auch drin:

"was weder im wesen, noch in der krafft der cörper, und also nicht in ihrer natur, noch auch im wesen und der krafft der welt, und also nicht in der gantzen natur gegründet ist, das heiszet übernatürlich CHR. V. WOLFF vernünftige gedanken v. gott (1720)"

Vernünftige Gedanken, unbezahlbar...


Keine schlechte Definition!

Passend dazu Kant:

"Es steht etwas unter der Ordnung der Natur, in so fern sein Dasein oder seine Veränderung in den Kräften der Natur zureichend gegründet ist. Hiezu wird erfordert erstlich, daß die Kraft der Natur davon die wirkende Ursache sei; zweitens, daß die Art, wie sie auf die Hervorbringung dieser Wirkung gerichtet ist, selbst in einer Regel der natürlichen Wirkungsgesetze hinreichend gegründet sei. Dergleichen Begebenheiten heißen auch schlechthin natürliche Weltbegebenheiten. Dagegen wo dieses nicht ist, so ist der Fall, der unter solchem Grunde nicht steht, etwas Übernatürliches, und dieses findet statt, entweder in so fern die nächste wirkende Ursache außer der Natur ist, das ist, in so fern die göttliche Kraft sie unmittelbar hervorbringt, oder zweitens wenn auch nur die Art, wie die Kräfte der Natur auf diesen Fall gerichtet worden, nicht unter einer Regel der Natur enthalten ist. Im erstern Fall nenne ich die Begebenheit materialiter, im andern formaliter übernatürlich."

(Immanuel Kant. 1763. Der einzig mögliche Beweisgrund zu einer Demonstration des Daseins Gottes. Zweite Abteilung, Dritte Betrachtung. S. 103f.)
Benutzeravatar
Myron
Mitglied des Forenteams
Mitglied des Forenteams
 
Beiträge: 4808
Registriert: So 1. Jul 2007, 17:04

Re: Übernatürlich oder was

Beitragvon BglBttr » Sa 27. Dez 2008, 19:42

Myron hat geschrieben:Passend dazu Kant:

"Es steht etwas unter der Ordnung der Natur, in so fern sein Dasein oder seine Veränderung in den Kräften der Natur zureichend gegründet ist. Hiezu wird erfordert erstlich, daß die Kraft der Natur davon die wirkende Ursache sei; zweitens, daß die Art, wie sie auf die Hervorbringung dieser Wirkung gerichtet ist, selbst in einer Regel der natürlichen Wirkungsgesetze hinreichend gegründet sei. Dergleichen Begebenheiten heißen auch schlechthin natürliche Weltbegebenheiten. Dagegen wo dieses nicht ist, so ist der Fall, der unter solchem Grunde nicht steht, etwas Übernatürliches, und dieses findet statt, entweder in so fern die nächste wirkende Ursache außer der Natur ist, das ist, in so fern die göttliche Kraft sie unmittelbar hervorbringt, oder zweitens wenn auch nur die Art, wie die Kräfte der Natur auf diesen Fall gerichtet worden, nicht unter einer Regel der Natur enthalten ist. Im erstern Fall nenne ich die Begebenheit materialiter, im andern formaliter übernatürlich."

(Immanuel Kant. 1763. Der einzig mögliche Beweisgrund zu einer Demonstration des Daseins Gottes. Zweite Abteilung, Dritte Betrachtung. S. 103f.)


Wurmt mich immer wieder. Nicht nur die Frage wo Kant das beobachtet hat ("Dagegen wo dieses nicht ist"). Vor allem ist es immer das Nichtnatürliche, das das Natürliche nixed. Als "nächste wirkende Ursache" oder sogar durch 'Ausrichtung der Kräfte der Natur'.

Beeinflusst das Nichtnatürliche die Natur, konstituiert es Naturgesetze und ist nicht länger nichtnatürlich.

Vielleicht weil gern übersehen wird, daß Naturgesetze nicht Gesetze sind, an die sich die Natur zu halten hat. Naturgesetze sind "Sätze" über das Verhalten der Natur.
Benutzeravatar
BglBttr
 
Beiträge: 105
Registriert: Do 13. Nov 2008, 12:58
Wohnort: nahe der 200

Re: Übernatürlich oder was

Beitragvon Myron » Sa 27. Dez 2008, 21:43

BglBttr hat geschrieben:Vielleicht weil gern übersehen wird, daß Naturgesetze nicht Gesetze sind, an die sich die Natur zu halten hat. Naturgesetze sind "Sätze" über das Verhalten der Natur.


Für die einen sind Naturgesetze "Vorschreibungen" und für die anderen bloß Beschreibungen von Regelmäßigkeiten.
Für Erstere gibt es eine Naturnotwendigkeit, die die natürlichen Abläufe in bestimmte Bahnen zwingt, und für Letzere gibt es so etwas nicht.
(Siehe dazu: http://www.iep.utm.edu/l/lawofnat.htm#H2)

"Wenn man sagte: 'Die Gesetze der Gravitation, der Trägheit, des Parallelogramms der Kräfte bewirken, dass die Erde sich so bewegt, wie sie sich bewegt', so könnte das den Abschein erwecken, als ob jene Naturgesetze die Erde, sozusagen, beim Ohre nähmen und zu pflichtmäßigem Wandel anhielten. Ein solcher Gebrauch der Wörter 'wirken', 'bewirken' wäre irreleitend. Dagegen kann man wohl sagen, dass die Sonne und die Planeten nach dem Gravitationsgesetze aufeinander wirken."

(Frege, Gottlob. "Logik." 1897. In Gottlob Frege—Schriften zur Logik und Sprachphilosophie: Aus dem Nachlass, hrsg. v. Gottfried Gabriel, 4. Aufl., 35-73. Hamburg: Meiner, 2001. S. 52)
Benutzeravatar
Myron
Mitglied des Forenteams
Mitglied des Forenteams
 
Beiträge: 4808
Registriert: So 1. Jul 2007, 17:04

Re: Übernatürlich oder was

Beitragvon BglBttr » Sa 27. Dez 2008, 22:20

Myron hat geschrieben:(Siehe dazu: http://www.iep.utm.edu/l/lawofnat.htm#H2)

Very nice resource, although I'm on a shoestring to research ATM. All those necessary and regular approaches disregard happenstance. Randomness contains more 'information' than necessity or regularity. Understanding means compression.
Benutzeravatar
BglBttr
 
Beiträge: 105
Registriert: Do 13. Nov 2008, 12:58
Wohnort: nahe der 200

Re: Übernatürlich oder was

Beitragvon gerhard » So 28. Dez 2008, 07:33

BglBttr hat geschrieben:Vielleicht weil gern übersehen wird, daß Naturgesetze nicht Gesetze sind, an die sich die Natur zu halten hat. Naturgesetze sind "Sätze" über das Verhalten der Natur.


Was spricht dagegen, statt Nichtnatürlichkeiten, die hier als Grundlage eines Aberglaubens diskutiert werden, genau diese "Sätze" im Rahmen einer Glaubensreorm als ewige kreative=schöpferische Vernunft bzw. lebendiges "Wort" (über das an Weihnachten in der Kirche so viel gesprochen wurde) verstehen zu wollen, um sich auf menschliche Weise daran zu halten?

Nachdem ich mir gerade eine DVD über die völlige Unvernunft, die wir bei der Welternährung betreiben, reingezogen habe, mir gezeigt wurde, wie wir im Wissen und Können um das, was welt- bzw. zukunftsverünftig wäre, "die Welt fressen", statt die Möglichkeiten zu nutzen und die gesamte Menschheit zu ernähren, Zukunft vernichten, kann ich an die menschliche Vernunft allein nicht mehr "glauben".

Vor wenigen Tagen habe ich in einer aktuellen Pressezusammenschau einen Artikel über die Unvernunft der Finanzwirtschaft bzw. der Weltökonomie verfasst, in dem deutlich wurde, wie sich gerade jetzt zeigt, wie auch im freien Markt, der nur von Kapitel- und Konsumegoismus regiert wird, funktionsfähige weltökonomische Vernunft nicht zu machen ist, auch die rein kommunikative Vernunft von Habermaß & Co. versagt.

Ich will Naturalisten nicht zu Ökologen oder Weltökonomen machen, nicht Brights zu Begründern einer neuen Naturreligion. Doch greift die naturalistische Aufklärung als Abstreiten von Übernatürlichkeiten bei Glaubensvorstellungen nicht zu kurz? Hatten Religionen, die heute in ihrer Buchstäblichkeit nur noch Un- bzw. Übernatürlichkeiten nachlaufen, von Anfang nicht den Nutzen, die Menschen für eine Ordnung zu begeistern, nach der Al Gore ruft, wenn er davor warnt, dass wir untergehen, wenn wir deren Regeln nicht beachten?

Wenn heute deutlich ist, dass allein die kurzsichtig-egoorientierte menschliche Vernunft im evolutionären Kampf ums Überleben nicht taugt, damit weder Markt, noch wahre Lebensmittel zu machen sind, wäre es dann nicht not-wendig weiterzusuchen?

Warum muss mit Spinozas bzw. Einsteins abstrakter bzw. einer pantheistischen Gottesvorstellung Schluss sein, wenn heute nachweislich wäre, dass das offenbarende "Wort", dessen weltlich Präsenz an Weihnachten gefeiert wurde, die menschliche Ausformung einer Logik, Information, kreativen (also schöpferischen) Vernünftigkeit ist, die wir heute im Fluss des evolutionären Werdens empirisch wieder beobachten, es über einen "Übernatürlichen" sonst nichts mehr zu sagen gibt?
gerhard
 
Beiträge: 242
Registriert: Mo 28. Mai 2007, 15:54
Wohnort: Gommersheim

Re: Übernatürlich oder was

Beitragvon BglBttr » So 28. Dez 2008, 18:58

gerhard hat geschrieben:
BglBttr hat geschrieben:Vielleicht weil gern übersehen wird, daß Naturgesetze nicht Gesetze sind, an die sich die Natur zu halten hat. Naturgesetze sind "Sätze" über das Verhalten der Natur.


Was spricht dagegen, statt Nichtnatürlichkeiten, die hier als Grundlage eines Aberglaubens diskutiert werden, genau diese "Sätze" im Rahmen einer Glaubensreorm als ewige kreative=schöpferische Vernunft bzw. lebendiges "Wort" (über das an Weihnachten in der Kirche so viel gesprochen wurde) verstehen zu wollen, um sich auf menschliche Weise daran zu halten?


Dagegen spricht, das uns aus der Natuwissenschaft kein Tammuz zulaufen wird, ist ein feature selbiger.

gerhard hat geschrieben:Nachdem ich mir gerade eine DVD über die völlige Unvernunft, die wir bei der Welternährung betreiben, reingezogen habe, mir gezeigt wurde, wie wir im Wissen und Können um das, was welt- bzw. zukunftsverünftig wäre, "die Welt fressen", statt die Möglichkeiten zu nutzen und die gesamte Menschheit zu ernähren, Zukunft vernichten, kann ich an die menschliche Vernunft allein nicht mehr "glauben".


So many souls to change, maybe one too many.

gerhard hat geschrieben:Vor wenigen Tagen habe ich in einer aktuellen Pressezusammenschau einen Artikel über die Unvernunft der Finanzwirtschaft bzw. der Weltökonomie verfasst, in dem deutlich wurde, wie sich gerade jetzt zeigt, wie auch im freien Markt, der nur von Kapitel- und Konsumegoismus regiert wird, funktionsfähige weltökonomische Vernunft nicht zu machen ist, auch die rein kommunikative Vernunft von Habermaß & Co. versagt.

Ich will Naturalisten nicht zu Ökologen oder Weltökonomen machen, nicht Brights zu Begründern einer neuen Naturreligion. Doch greift die naturalistische Aufklärung als Abstreiten von Übernatürlichkeiten bei Glaubensvorstellungen nicht zu kurz? Hatten Religionen, die heute in ihrer Buchstäblichkeit nur noch Un- bzw. Übernatürlichkeiten nachlaufen, von Anfang nicht den Nutzen, die Menschen für eine Ordnung zu begeistern, nach der Al Gore ruft, wenn er davor warnt, dass wir untergehen, wenn wir deren Regeln nicht beachten?


"Ökologen oder Weltökonomen" eins davon wäre schon _schweres_ Machen...
"Brights zu Begründern einer neuen Naturreligion" würd' ich auch nicht.
Al ,hi, thanks for the intertubes. Jolly good show, calling Ralph too?

gerhard hat geschrieben:Wenn heute deutlich ist, dass allein die kurzsichtig-egoorientierte menschliche Vernunft im evolutionären Kampf ums Überleben nicht taugt, damit weder Markt, noch wahre Lebensmittel zu machen sind, wäre es dann nicht not-wendig weiterzusuchen?

Warum muss mit Spinozas bzw. Einsteins abstrakter bzw. einer pantheistischen Gottesvorstellung Schluss sein, wenn heute nachweislich wäre, dass das offenbarende "Wort", dessen weltlich Präsenz an Weihnachten gefeiert wurde, die menschliche Ausformung einer Logik, Information, kreativen (also schöpferischen) Vernünftigkeit ist, die wir heute im Fluss des evolutionären Werdens empirisch wieder beobachten, es über einen "Übernatürlichen" sonst nichts mehr zu sagen gibt?


'Wenn, wäre, würde, könnte', wurde nur _Präsentiert_ zu Wncht, empirisch beobachtet wurde Regen vom Radar.

Für alle die kein campus-english sprechen, 'call Ralph' heißt: :kotz:
Benutzeravatar
BglBttr
 
Beiträge: 105
Registriert: Do 13. Nov 2008, 12:58
Wohnort: nahe der 200

Vorherige

Zurück zu Religion & Spiritualität

Wer ist online?

Mitglieder in diesem Forum: 0 Mitglieder und 23 Gäste