Die "schöne Seele"

Re: Die "schöne Seele"

Beitragvon Pia Hut » Mo 2. Feb 2009, 14:41

Folgenden Faden will ich noch mal aufnehmen.

JustFrank hat geschrieben:Von wessen Moral sprichst du hier? Moral basiert immer auf den Festlegungen der vorherrschenden Gesellschaft. Im Mittelalter war es keineswegs unmoralisch irgendwen als Hexe zu denuzieren und dann zu Tode zu foltern. Heute sehen wir das aus der Moral unserer Gesellschaft heraus ganz anders.


xander1 hat geschrieben:Es war keineswegs moralisch ok eine Hexe zu verbrennen. Das waren Tyrannen, die das vermeintlich Übersinnliche für sich missbraucht haben, und durch die Übersinnliche Legimitation eine Schreckensherrschaft etablieren konnten.


xander in deinem Urteil o.k. ist doch deine „subjektive“ Moral (erst mal dahingestellt, von wo sie kommt) der Maßstab der Beurteilung. Du billigst der Moral „an sich“ einen Wert zu. Ich vermute, du meinst, man könne ohne Moral keine menschenfreundliche Haltung einnehmen. Ich halte jetzt erst nur dagegen, dass logische Schlussfolgerungen allein dazu völlig ausreichen. Wenn wir Begrifflichkeiten der Moral und Ethik verwenden, bekommen wir mE im Diskurs immer sofort das Problem, dass jeder seine individuellen Wertigkeiten als Maßstab in die Debatte wirft. Und niemand weiß mehr so recht, wie er entscheiden soll, ob er sich auf die eine oder doch eher andere Seite schlagen möchte, das läuft im Ergebnis dann ziemlich auf persönliche Vorlieben hinaus. Weil wir kein Entscheidungskriterium mehr haben.

JustFrank hat geschrieben:Gegen den Glauben kann man etwas sehr Gutes machen: Ihn durch möglichst viel Wissen ersetzen.


Und jeder der sich mal für „die Wissenschaft“ hat einnehmen lassen (besser weiß ich´s jetzt nicht zu sagen), dem ist auch irgendwie bekannt geworden, dass nur im wertneutralen Urteilen zu „halbwegs“ objektiven Erkenntnissen zu kommen ist.

Aber Peter Scholl-Latour würde ich nicht in den meisten Fällen recht geben. Ja, wenn man sehr „letztendlich“ denkt, lässt sich wohl Alles auf Religion zurückführen und noch sehr viel weiter zurück. Mir scheint das Blickfeld dabei zu sehr eingeengt.
Sofern jemand um den Glauben als seine sehr persönliche Vorliebe (evtl. hilfreiche Lebenskrücke) weiß und ihn nicht dadurch zu beweisen sucht, dass er ihm massenhafte Anhängerschaft zuführen muss, komme ich mit ihm gut klar. Woran ich das zu erkennen meine? Indem er sich selbstironisch verhält.
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Re: Die "schöne Seele"

Beitragvon JustFrank » Mo 2. Feb 2009, 21:18

Pia Hut hat geschrieben:
Aber Peter Scholl-Latour würde ich nicht in den meisten Fällen recht geben. Ja, wenn man sehr „letztendlich“ denkt, lässt sich wohl Alles auf Religion zurückführen und noch sehr viel weiter zurück. Mir scheint das Blickfeld dabei zu sehr eingeengt.


Ich stimme dir in der Bewertung der Moral und Ethik sowie deren Rolle in unserer Diskussion durchaus zu. Was den zitierten Auszug angeht, habe ich allerdings ein kleines Problem.

Wie komme ich denn zur wirklichen Ursache eines Zustandes, wenn ich nicht "letztendlich" denke? Wie komme ich zu einer richtigen Bewertung, wenn ich auf halbem Wege aufhöre und mich einfach damit zufrieden gebe?

Das wäre so, als ob die Klimaforscher 1960 gesagt hätten "Wisst ihr Leute, wir beobachten die Entwicklung des Klimas jetzt seit 245 Jahren. Wir wissen jetzt alles und hören auf damit!"
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Re: Die "schöne Seele"

Beitragvon Pia Hut » Mi 4. Feb 2009, 15:33

Ich habe ein gewisses Problem mit der ausschließlichen Verwendung von Kausalitätsketten. Da ich im Moment über sehr begrenzte Zeit verfüge, zunächst nur ein kurzer Anhaltspunkt: Um aus Kausalitäten nicht in Tautologien zu gelangen, kommt es sehr auf die konkrete Fragestellung an. Jede physikalische („mechanische“ oder „chemische“) Erklärung ist eingebunden in den Zusammenhang des instrumentellen Handelns und des Interesses an bedingten Prognosen.

Spannender finde ich es jedoch, inwieweit wir uns mit der Erklärung von „Glauben“ einig wären.
- Ich sehe kein qualitatives Kriterium, dass Glauben und Aberglauben scheidet. Der Unterschied liegt in der Quantität: man darf es Glauben nennen, wenn es zum Massenphänomen geworden ist. (Einwände?)
- Um in der Erklärung des Glaubens voranzukommen, würde ich daher auch mit seiner archaischen Form (dem Aberglauben) beginnen, der noch nicht den Fortgang der Religion mit ihren vielen Verästelungen (Spielarten) genommen hat……..
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Re: Die "schöne Seele"

Beitragvon JustFrank » Mi 4. Feb 2009, 19:19

Was Glaube (oder auch Aberglaube) ist, kann man aus unterschiedlichen Blickwinkeln betrachtet sicher ganz unterschiedlich definieren.

Was mich angeht, hänge ich der Definition von Richard Dawkins an:

Glaube ist eine psychische Erkrankung mit der Kindern von ihren Eltern damit zwangsinfiziert werden.

Damit ist Glaube umfassend erklärt, denn noch nie ist ein Kind als Moslem, Christ oder Hindu geboren worden. Alle wurden dazu gemacht.

Damit wird auch klar, dass Glaube ein menschengemachtes, absolut künstliches Phänomen ist.
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Re: Die "schöne Seele"

Beitragvon stine » Mi 4. Feb 2009, 19:38

Menschen saßen schon immer dem Aberglauben auf.
Sogar "neutral" Erzogene hängen ihr Leben oft an einen Fetisch.
Da wären sie mit dem "lieben Gott" noch besser dran, denn den kann man nicht (zB) auf der Autobahnraststelle vergessen. :mg:
Glaubt nur nicht, dass lediglich religiöse Erziehung den Menschen zum Aberglauben treibt.

Interessant wäre in dem Zusammenhang, ob es zB atheistische Wünschelrutengänger gibt.
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Re: Die "schöne Seele"

Beitragvon Peter Janotta » Mi 4. Feb 2009, 20:59

stine hat geschrieben:Interessant wäre in dem Zusammenhang, ob es zB atheistische Wünschelrutengänger gibt.

Davon ist leider auszugehen.
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Re: Die "schöne Seele"

Beitragvon ganimed » Mi 4. Feb 2009, 21:08

Pia Hut hat geschrieben:Spannender finde ich es jedoch, inwieweit wir uns mit der Erklärung von „Glauben“ einig wären.
- Ich sehe kein qualitatives Kriterium, dass Glauben und Aberglauben scheidet. Der Unterschied liegt in der Quantität: man darf es Glauben nennen, wenn es zum Massenphänomen geworden ist. (Einwände?)

Einwände! Beim Glauben sehe ich auch mehr "Qualität". Zum Beispiel ein mehr oder weniger konsistentes Gesamtbild. Fängt meist an mit einer Schöpfungsgeschichte, enthält oft einen Gott mit einer Absicht, erklärt die Welt oder gibt ihr zumindest einen Sinn, gibt dem Menschen Sinn, verspricht meist auch ne Extrabelohnung über den Tod hinaus, definiert Moral und Werte, macht Vorschläge für entsprechendes Verhalten. Das alles kriegt man beim Aberglauben nicht.

Pia Hut hat geschrieben:Um in der Erklärung des Glaubens voranzukommen, würde ich daher auch mit seiner archaischen Form (dem Aberglauben) beginnen, der noch nicht den Fortgang der Religion mit ihren vielen Verästelungen (Spielarten) genommen hat

Klingt vernünftig. Und da fällt mir sofort das Beispiel mit den Tauben ein (war das nicht in einem hiesigen Thread irgendwo?). Tauben, die zufällig Futter bekommen und daraus falsche Regelmäßigkeiten ablesen. Später führen sie dieselben Bewegungen aus, wie jene, die sie beim letzten Futtererfolg zufällig ausführten, in der falschen Annahme, dass die Bewegung eine Ursache für Futter war.

Und für den Übergang von Aberglauben zu Glauben muss man sicher noch speziell menschliche Bedürfnisse und Hirnverdrahtungen berücksichtigen. Die Neigung zum "Sinn" zum Beispiel. Alles muss einen Sinn haben, insbesondere das eigene Dasein. Ich nehme an, dieses menschliche Bedürfnis ist ein Keyplayer bei der Entstehung von Religion.
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Re: Die "schöne Seele"

Beitragvon stine » Do 5. Feb 2009, 09:40

Das Interessante ist, dass der Glaube niemanden gänzlich kalt lässt. Sowieso nicht jene, die sich darin wiederfinden können, noch jene, die versuchen ihn vehement zu bekämpfen. Der Götterglaube ist so alt wie die Menschheit selbst, würd ich sagen und jede Generation biegt ihn sich so, wie er zum augenblicklichen Bildungsstand am besten passt.
Selbst der Papst biegt herum, sonst würde er nicht als Letzterkenntnis zurück zur Orthodoxie schreiten wollen. Er selbst hat erkannt, dass jedes tiefere Fragen für die Religion nicht von Nutzen sein kann.

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Re: Die "schöne Seele"

Beitragvon Mark » Do 5. Feb 2009, 15:28

Peter Janotta hat geschrieben:
stine hat geschrieben:Interessant wäre in dem Zusammenhang, ob es zB atheistische Wünschelrutengänger gibt.

Davon ist leider auszugehen.


hmmm.. mit grossem Seltenheitswert, vielleicht...
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Re: Die "schöne Seele"

Beitragvon JustFrank » Do 5. Feb 2009, 19:45

Ich denke auch, dass der atheistische Wünschelrutengänger eher die Ausnahme, denn die Regel darstellt. Aber ganz unwahrscheinlich ist er nicht.

Ich kenne einen Kernphysiker, der fest an Gott, die Schöpfung und daran, dass die Erde 10000 Jahre alt ist glaubt, obwohl er es besser wissen sollte.

Mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit existieren wohl alle möglichen Kombinationen zwischen Glaube und Vernunft.
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Re: Die "schöne Seele"

Beitragvon BglBttr » Do 5. Feb 2009, 23:13

Ein "atheistischer Wünschelrutengänger" ist halt naturphilosophisch und nicht naturreligiös.
Ein "YEC-Kernphysiker" tut, was Religion immer darf. Ein Gott lässt sich immer verorten, vor den Big-Bang, als Schöpfer der Evolution oder als Fälscher von Jahrmilliarden, ein meta geht immer noch. Mit genügend Über-zeugung geht immer auch über-flüssiges. Kinder fragen immer "und dann", Erwachsene haben genug davon und fragen "und davor"...

@stine: Ich hatte mal einen schönen Kieselstein von der Küste vor Dover. Mit 30ig verlor ich ihn und begriff: "Er war ein Fetisch meiner Teeny-Jahre" und "Er ist weg und die Zeit vorbei". Wieviel mühseliger war meine Auseinandersetzung mit Religion, Ächz.

Aber- und Glaube ist wie Un- und Echter Schotte.
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Re: Die "schöne Seele"

Beitragvon Mark » Fr 6. Feb 2009, 12:53

stine hat geschrieben:Aus Mangel an einem glaubhaften Gottesbild, also keine Religion.
Aber was dann?
Wie kommt der Mensch zu seiner "schönen" Seele?
Ein Charakter ist nach Schiller schön, wenn in seinem Verhalten die Idee der Willensfreiheit und der moralischen Selbstbestimmung sozusagen anschaubar wird. Dichtung und Literatur sind hier wichtige Richtungsweiser.
Die Welt der Arbeit und funktionierenden Wirtschaft aber, macht den Menschen unfrei und drängt die Kunst an den Rand. Macht sie sozusagen selbst zur Ware.
Religion drängt dem Menschen das Innehalten auf, selbst jenen, die keinen Zugang zu den schönen Künsten haben.
Wie soll der Mensch also sein Ideal erkennen, wenn er keinen Zugang zu den Künsten oder zur Philosophie hat und ihm auch noch die Religion vorenthalten bliebe?

LG stine


Das kleine feine Wörtchen "erkennen" machts.
Wie soll man überhaupt erkennen ? Indem man erfährt !
Was braucht ein Mensch um autark und interessiert genug zu sein um die nötige Motivation zum erfahren und erkennen zu haben ? Viele sind froh wenn man sie mit dem Sch... in Ruhe lässt. Deren Erkenntniskreis umfasst nur Schmerz und Leid und Neid und Angst und und...
und das wenig Positive, daß sie kennen, motiviert immer nur zu versuchen genau das selbe nochmal zu erreichen. Was treibt eineen Menschen über diesen Notwendigkeits-Genügsamkeits-Teufelskreis hinauszuwachsen ? Warum sind manche Menschen so Abenteuerlustig und andere nicht ? Manche so selbstbewusst und andere nicht ? Sind es die "schönen Künste" welche die Menschen in dieser Richtung beeinflussen, oder sind es diese schönen Menschen welche die schönen Künste prägen und in der Hoffnung anderen dadurch einen Weg zu zeigen im Endeffekt doch nur denjenigen den Weg erklären, die sie sowieso schon verstehen und es nicht wirklich benötigt hätten ? Aber da bemerkt man dann den Unterschied zwischen Religion und schönen Künsten...die schönen Künste werden in Freiheit geformt, die Religion formt zur Unfreiheit.
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Re: Die "schöne Seele"

Beitragvon xander1 » Fr 6. Feb 2009, 19:45

Mark hat geschrieben:Aber da bemerkt man dann den Unterschied zwischen Religion und schönen Künsten...die schönen Künste werden in Freiheit geformt, die Religion formt zur Unfreiheit.

Und die religiösen sind sich nicht einmal bewusst, dass sie sich zur Unfreiheit entwickeln. Selbst wenn sie sich in das Gegenteil entwickeln würde, als wie der Glaube das sagt, was auch der Fall sein kann, dann ist das eine Entwicklung die entgegen der Freiheit stattfindet. Man lernt durch den Glauben, aber man wird geformt. Sie wollen geformt werden. Dazu ist das Ganze ja da. Und deshalb praktizieren sie den Glauben. Aus diesem Formungsprozess heraus kann aber Perfidität als Nebenerscheinung entstehen, die die geformten Menschen ganz automatisch entwickeln, weil sie nicht in allen Punkten mit den Dogmen übereinstimmen. Letzteres ist einer der Hauptgründe warum ich dagegen bin. Jede Art organisierte Menschenformung hat als Nebenprodukt Perfidität.
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Re: Die "schöne Seele"

Beitragvon JustFrank » So 8. Feb 2009, 10:34

Religion formt ganz gezielt zur Unfreiheit. Würde sie das nicht tun, würde keine einzige davon noch existieren. Ohne eingeschränkte Wahrnehmung hätte jeder halbwegs intelligente Mensch schon vor 200 Jahren erkannt, was ihm da für ein Blödsinn vorgemacht wird. Wem aber in der Prägungsphase seiner Kindheit vermittelt wird, dass der religiöse Ramsch gut und richtig und vor allem wichtig sei, der wird das nur schwer oder gar nicht mehr los.

Und das, obwohl jede Religion im krassen Widerspruch zur beobachteten Realität steht. Das, obwohl jede Religion jeder anderen widerspricht; die Ein-Gott These also aus sich selbst heraus ad acta führt.

Nun sehen wir bei Idioten wie den Taliban oder der Hamas, dass steigende Religiösität häufig mit sinkender Bildung einher geht. Das sehen wir woanders auch, aber nirgendwo so schön deutlich wie dort.

stines "schöne Seele" ließe sich von diesem Gesichtspunkt aus zwar nicht gerade einfach, aber doch stetig über eine Intensivierung der Bildung, wo immer das geht, erreichen. Denn unter gebildeten Menschen ist der Anteil derer, die so einen armseligen Müll glauben müssen, weit geringer.
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Re: Die "schöne Seele"

Beitragvon stine » So 8. Feb 2009, 14:02

JustFrank hat geschrieben:stines "schöne Seele" ließe sich von diesem Gesichtspunkt aus zwar nicht gerade einfach, aber doch stetig über eine Intensivierung der Bildung, wo immer das geht, erreichen. Denn unter gebildeten Menschen ist der Anteil derer, die so einen armseligen Müll glauben müssen, weit geringer.
Danke, dass du meine Idee richtig erkannt hast. :up:
Das Bit der gläubigen Betschwester werde ich hier nur schwer los, obwohl ich es nie gewesen bin. Theistisch zu denken und trotzdem den Religionen einen Spiegel vorzuhalten ist wirklich nicht einfach.
Leider ist es aber so, dass Gemeindearbeit außerhalb religiöser Bündnisse praktisch nicht stattfindet, allenfalls in Sportvereinen, und doch ist sie unerlässlich, wenn Jugend aufgefangen und geleitet werden soll. Das ist einer der Gründe, weshalb ich die Arbeit der Kirchen unterstütze. Es ist allerdings, auch gerade jetzt hier wieder vor Ort, eine nervenaufreibende und schwierige Aufgabe, sich als Schäfchen nicht durch die sorgsam geöffneten Gatter in den Pferch der Abhängigkeiten treiben zu lassen. Eine "schöne Seele" haftet leider auch nicht jedem hauptamtlichen Mitglied der großen Kirchen an.
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Re: Die "schöne Seele"

Beitragvon JustFrank » So 8. Feb 2009, 14:10

stine hat geschrieben:Leider ist es aber so, dass Gemeindearbeit außerhalb religiöser Bündnisse praktisch nicht stattfindet, allenfalls in Sportvereinen, und doch ist sie unerlässlich, wenn Jugend aufgefangen und geleitet werden soll.


Durch jegliche Form religiöser "Betreuung" werden Jugendliche nicht ge- sondern verleitet. Und zwar in eine fatal falsche Richtung. Das funktioniert viel besser ohne Religion.
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Re: Die "schöne Seele"

Beitragvon stine » So 8. Feb 2009, 14:20

Ich glaube, JustFrank, da muß ich dich mal ein wenig darüber aufklären, was "Jugendarbeit" vor Ort bedeutet.
Den Jugendlichen werden Räume und Konzepte zur Verfügung gestellt, sich miteinander zu treffen, zu unterhalten und gemeinsame Projekte zu organisieren. Religiöse Vorgaben spielen da nur insofern eine Rolle, als dass man sich "menschlich" verhält und nichts vorsätzlich zerstört, was die Allgemeinheit gespendet und mühevoll errichtet hat. Du kannst mir gerne glauben, dass selbst die geringen Auflagen von den Jugendlichen nur schwer erfüllt werden.

Jugendarbeit im Allgemeinen versteht sich nicht als Ministrantenarbeit. Nur hier würde ich dir recht geben, dass die religiösen Vorgaben eine erhebliche Rolle spielen. Aber Kinder und Jugendliche die sich dafür interessieren, fühlen sich dabei wohl und gut aufgehoben. (Leider immer nur bis zum nächsten Skandal :nosmile: )

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Re: Die "schöne Seele"

Beitragvon JustFrank » So 8. Feb 2009, 18:44

stine hat geschrieben:Religiöse Vorgaben spielen da nur insofern eine Rolle, als dass man sich "menschlich" verhält und nichts vorsätzlich zerstört, was die Allgemeinheit gespendet und mühevoll errichtet hat.


Ich werde dir nicht absprechen, dass Jugendarbeit eine ziemlich sensible und meist ziemlich ernüchternde Sache ist.

Was mich jedoch ein wenig irritiert, ist der Begriff Religiöse Vorgaben. Die sind doch gar nicht nötig, um Kids zu kriegen. Im Gegenteil, sobald etwas als Vorgabe daher kommt, taugt es nichts mehr. Viel besser funktioniert doch indirekte Vereinahmung. Das Diakonieplakat an der Wand, das YOU! Magazin auf der Fensterbank, die beiläufige Erwähnung, dass Gott es gut mit dir meint. Und das, so oft es geht.

Es sind nicht Vorgaben, die weich machen. Es sind die regelmäßigen, kleinen Dosen des immer gleichen Giftes.
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Re: Die "schöne Seele"

Beitragvon stine » Di 10. Feb 2009, 08:02

JustFrank hat geschrieben:Es sind die regelmäßigen, kleinen Dosen des immer gleichen Giftes.
Wenn du es Gift nennst, freundlich zu jedermann zu sein...
Und das auch noch zu verbreiten...
Dann gebe ich dir vollkommen recht.
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Re: Die "schöne Seele"

Beitragvon Pia Hut » Do 12. Feb 2009, 16:31

Leider kann ich wegen Zeitmangel dieser für mich sehr interessanten Diskussion nur selten folgen. Ich versuche mich mal an einem kurzen Überblick, eure Ideen aufnehmend und wieder beim Aberglauben beginnend.

Nicht erst bei Menschen (siehe hierzu den Thread „Glaube an Gott angeboren“ http://www.forum.brights-deutschland.de/viewtopic.php?f=6&t=2641)sondern bereits bei Tieren (z.B. Taubenexperiment) scheinen mir die Voraussetzungen für den Aberglauben biologisch angelegt. Tiere lernen aufgrund der Wirksamkeit der Reaktion. Ähnliches Ereignis führt zu ähnlichem Ergebnis (Korrektur findet noch nicht statt) – (einfacher Kausalschluss: Hund beißt –alle Hunde beißen). Weitere Formen des Lernens basieren auf Prozessen der Berichtigung durch Versuch und Irrtum. (Reaktion und Nicht-Reaktion) um die spezifische Wirksamkeit der Reaktion zu erhöhen. (Prozess der Gewöhnung, klassische und operante Konditionierung) Im Pawlowschen Experiment z. B. schließen Hunde vom zeitlichen Ertönen eines Signals und dem kurz darauffolgenden unangenehmen Ereignis darauf, dass Signal sei die Ursache. Sie sind nicht in der Lage den eigentlichen Verursacher (Experimentator) zu identifizieren. Ähnlich kann es auch Menschen gehen, wenn ihnen ausreichende Informationen über komplexere Zusammenhänge fehlen, sie machen logische Fehlschlüsse, wenn sie sich allein am zufälligen Zusammentreffen und der zeitlichen Abfolge von Ereignissen orientieren.

Auch der Begriff des Zufalls scheint mir in dem Zusammenhang sehr wichtig. Mensch (u. Tier) ist zum Überleben darauf angewiesen, gewisse Kausalschlüsse zu ziehen, um überhaupt handeln zu können. (Wegrennen, wenn der Tiger kommt) und es scheint für den Organismus lebenswichtig, überhaupt Reaktionsmöglichkeiten zu besitzen, Ohnmachtsgefühle führen zu starken gesundheitlichen Beeinträchtigungen (Stichwort „erlernte Hilflosigkeit“).

Die Existenz des Zufalls bringt uns dabei in arge Erklärungsnotstände. Nehmen wir einen urtümlichen Stamm an: der Blitz schlägt im Dorf in der Hütte eines Bewohners ein. Wenn man noch nicht die geringste Ahnung von der Möglichkeit von Blitzableitern hat - um dem Zufall ein Schnippchen schlagen zu können - kommen sinnsuchende Erklärungszusammenhänge zustande, um der Sache doch irgendwie praktisch begegnen zu können. Der Mensch in dessen Hütte der Blitz eingeschlagen hatte, hat sich z. B. am Vortag in sehr unfreundlicher Weise über den Medizinmann geäußert, also war der Blitz wohl die Strafe dafür. Das Erklärungsangebot wird dummerweise auch noch sehr gerne angenommen (nur nicht von dem dessen Hütte es betraf), da niemandem etwas Besseres einfällt, scheint hier ja eine gewisse Chance zu bestehen, durch mein Handeln (Ehrfurcht vorm Medizinmann) das Ereignis abzuwenden. Die einzige Möglichkeit, die ich sehe nicht in diese Falle zu tappen, scheint mir darin zu bestehen, die Existenz des Zufalls nicht zu leugnen. Aber mittels Naturwissenschaft und Empirie, ist man dennoch in der Lage sein „grausames“ Zuschlagen zu begrenzen.
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