Religionsfreie Zone

Re: Religionsfreie Zone

Beitragvon Myron » Mi 8. Apr 2009, 09:07

ujmp hat geschrieben:Aber obwohl ich mich von der religiösen Last befreit fühle, vermisse ich manche soziale Rituale.


Das alljährliche Aufstellen eines Weihnachtsbaumes kann einem doch auch noch dann Freude bereiten, wenn man nicht mehr an die Auferstehung Jesu und an Marias Jungfrauengeburt glaubt, oder nicht? (Stichwort "kulturelles Christentum"—selbst Dawkins bekennt sich dazu!)
Benutzeravatar
Myron
Mitglied des Forenteams
Mitglied des Forenteams
 
Beiträge: 4808
Registriert: So 1. Jul 2007, 17:04

Re: Religionsfreie Zone

Beitragvon Myron » Mi 8. Apr 2009, 09:11

stine hat geschrieben:Den oft zitierten und beschriebenen Naturalismus kann ich logisch nachvollziehen, was dazu führt, dass ich mich dabei fast ein bisschen "bright" fühle.


Werte Stine, was an Dir ist eigentlich noch "unbright", d.h. supernaturalistisch?
Bist Du im Laufe der Zeit nicht längst zu einer von uns geworden? :liebe:
Benutzeravatar
Myron
Mitglied des Forenteams
Mitglied des Forenteams
 
Beiträge: 4808
Registriert: So 1. Jul 2007, 17:04

Re: Religionsfreie Zone

Beitragvon Myron » Mi 8. Apr 2009, 09:18

apostat hat geschrieben:Aber auch, wenn man Religionen auf die reine Privatebene zurückdrängen würde könnten sie noch durchaus Problempotentiale bieten.


Die Rede von der Religion oder der Weltanschauung allgemein als einer "Privatsache" ist buchstäblich weltfremd, da der Mensch nun einmal ein gesellschaftliches Wesen ist, das den Zusammenschluss mit seinesgleichen sucht. Das gilt ja auch für uns Brights.
Benutzeravatar
Myron
Mitglied des Forenteams
Mitglied des Forenteams
 
Beiträge: 4808
Registriert: So 1. Jul 2007, 17:04

Re: Religionsfreie Zone

Beitragvon Schrödingers Kater » Mi 8. Apr 2009, 10:11

stine hat geschrieben:Ansonsten mag ich weiterhin zu bedenken geben, dass wir in einer christlich geprägten Kultur leben. Immer noch. Auch wenn das nicht gerne zugegeben wird.

Da müsstest du schon erklären, was das für dich konkret bedeutet. Keine Frage: ich kann Dante, Caravaggio oder Händel nur verstehen, wenn ich die religiösen Anspielungen verstehe, aber das gilt auch für die Ilias, ohne dass sich daraus die Notwendigkeit ergibt, Zeus Brandopfer dazubringen.
Wenn diese 'christliche Prägung' aber dazu führt, einem Zellhaufen eine Seele zuzusprechen und - wenn ich als Politiker die Macht dazu habe - damit die Stammzellforschung zu blockieren, oder wenn sich eine Mutter Theresa in ihren Hospizen gegen den Einsatz von Schmerzmitteln aussprach, weil uns das Leiden Gott näher bringt, halte ich eine etwaige christliche Prägung der Kultur durchaus für einen Zustand, der zu überwinden ist...

stine hat geschrieben:Kirchliche Machtstrukturen zu hinterfragen ist legitim, nützlich und richtig, Religion aber deswegen als prinzipiell schlecht hinzustellen ist sicher übertrieben

Es geht - zumindest mir - nicht darum, Religion als 'prinzipiell schlecht' hinzustellen. Sie ist sowohl biologisch als auch kulturell (memetisch) ein Ergebnis der Evolution und Moralurteile über Ergebnisse der Evolution sind albern.
Allerdings wissen wir inzwischen, dass solche Ergebnisse der Evolution uns heute in Schwierigkeiten bringen können: es machte in der Frühzeit der menschlichen Entwicklung durchaus Sinn, den Geschmack von Süßem genetisch positiv zu verankern, um eine genügende Energiezufuhr durch Obst zu gewährleisten. Umweltmäßig war halt die Gefahr, sich mit Milka und Marsriegeln Diabetes anzufressen, eine zu vernachlässigende...

stine hat geschrieben:Der Glaube macht den Menschen frei.(Ich weiß, dass das hier niemand nachvollziehen kann =) )

Verzeih mir den Zynismus: bisher dachte ich immer, dass Arbeit frei macht...

stine hat geschrieben:Warum sonst aber, sollten totalitäre Machthaber Religion ablehnen? Doch nur, weil dann nicht mehr sie selbst, sondern ein imaginärer Gott angebetet wird. Etwas so "vollkommen Reines" wie ein Gott ist als Vorbild und Ideal für ein Volk sicher mehr wert, als jeder Diktator; und als gläubig Programmierter erkennt man auch sofort die menschlichen Fehler eines solchen.
Also so ganz unsinnig ist eine christlich religiöse Weltsicht sicher auch nicht.

Komm, jetzt argumentierst du unter deinem Niveau! Die Weltgeschichte ist durch alle Epochen und Kulturen voll von Beispielen, wie 'totalitäre Machthaber' prima mit Religion auskommen! Nur weil Bin Laden nicht deine liberale Kuschelvorstellung von Religion teilt, macht ihn das nicht areligiös, und in aller Regel gilt: Es ist gut, deine Macht- und Herrschaftsansprüche religiös zu legitimieren. Dass du eine andere Vorstellung von Religion hast (die natürlich die wahre und richtige ist, während die pösen Potentaten Religion nur 'mißbrauchen'... :mg: ), bedeutet nicht, dass ich dem geneigten Diktator absprechen kann, sich subjektiv als aufrechter Anhänger und Verteidiger seines jeweiligen Glaubens zu empfinden.
Benutzeravatar
Schrödingers Kater
 
Beiträge: 37
Registriert: So 5. Apr 2009, 09:57

Re: Religionsfreie Zone

Beitragvon 1von6,5Milliarden » Mi 8. Apr 2009, 16:49

apostat hat geschrieben:
1von6,5Milliarden hat geschrieben:Ja, auch das wöchentliche oder tägliche Saufen am Stammtisch ist exakt so, wer es nicht kennt, wird es nicht vermissen.


Stimmt, sowas ähnliches wollte ich auch gerade schreiben: Religiosität erinnert mich immer ein wenig an eine Sucht. Wenn man erstmal drin steckt, dann glaubt man, man könne ohne sie nicht mehr leben. Hat man sie jedoch nie wirklich ernsthaft ausprobiert, dann vermisst man sie auch nicht.

Wobei ich in meinem Fall ja durchaus als Kind mit der "Droge Religion" konfrontiert worden bin, aber irgendwie hat mein Körper bzw. mein Gehirn anders reagiert als normalerweise, nämlich mit einer Art von "Abstoßungsreaktion".
Ich hatte da gar nicht primär den Suff aka Alkohol am Stammtisch im Visier (war nur ein netter "Nebeneffekt"). Auch ein Stammtisch ist eine soziale Gemeinschaft, auch Stammtischbrüder vermissen (auch bei Ersatzalkohol aus anderer Quelle) zumindest eine Zeit lang dieses explizite soziale Umfeld, auch Stammtischbrüder kümmern sich um ihre Gruppe, rufen an wenn einer fehlt, tauschen Gedanken und (vermeintliche) Probleme aus, habe "tolle" Lösungen für echte und unechte Probleme, "ihnen fehlt was", wenn sie ihre Gemeinschaft nicht mehr haben etc. pp.
(Nicht umsonst ist in einem bayerisch-katholischen Dorf neben der Kirche immer mindestens ein Wirtshaus und früher(?) hat der Weg von der Kirche meistens direkt dorthin geführt.)
Die (meisten) Menschen sind soziale Wesen, sie mögen tatsächlich Gruppen, aber prinzipiell sind diese Gruppen austauschbar, für den Sozialbedarf des Menschen reicht "Gruppe". Der Vorteil einer Religion diesbezüglich ist teilweise positive Image zumindest in größerem Rahmen und weitgefächrte Verfügbarkeit von Gruppenmitgliedern. Dies hat aber alles mit einem vorgeblichen Gott nichts zu tun, selbige Mechanismen haben auch andere ganz große Rattenfänger ausgespielt und ausgenutzt.
Benutzeravatar
1von6,5Milliarden
Mitglied des Forenteams
Mitglied des Forenteams
 
Beiträge: 5236
Registriert: Sa 25. Nov 2006, 15:47
Wohnort: Paranoia

Re: Religionsfreie Zone

Beitragvon Myron » Do 9. Apr 2009, 05:01

Myron hat geschrieben:Werte Stine, was an Dir ist eigentlich noch "unbright", d.h. supernaturalistisch?
Bist Du im Laufe der Zeit nicht längst zu einer von uns geworden? :liebe:


Aber sei gewarnt:

"Atheismus, das Läugnen des Daseins eines Gottes, das größte Unglück, welches den Menschen treffen kann, der sich dadurch von allem Höheren, aller Gnade lossagt und es tollkühn unternimmt, mit der eignen, schwachen Kraft durch das Leben zu gehen."

("Atheismus." In Neuestes Damen-Conversations-Lexikon: Ein Inbegriff des Gesammtwissens für die Frauenwelt, Erster Band: Aach-Blöde, herausgegeben unter Mitwirkung der bedeutendsten Frauen der Gegenwart. Leipzig: Roßberg, 1856. S. 163)

;-)
Benutzeravatar
Myron
Mitglied des Forenteams
Mitglied des Forenteams
 
Beiträge: 4808
Registriert: So 1. Jul 2007, 17:04

Re: Religionsfreie Zone

Beitragvon HF******* » Do 9. Apr 2009, 16:47

Schade, bis ich das Datum gelesen habe, hatte ich mich schon auf die „bedeutendsten Frauen der Gegenwart“ gefreut…
HF*******
 
Beiträge: 2651
Registriert: Do 19. Okt 2006, 11:59

Re: Religionsfreie Zone

Beitragvon ujmp » Do 9. Apr 2009, 17:25

Hallo Leute, was haltet Ihr davon auf der Startseite eine Hauptthema einzurichten, das sich mit "Kirchenaustritt" (nur Arbeitstitel) beschäftigt. Ich lese gerade Richard Dawkins' Gotteswahn, er beschreibt sehr gut, die (ich nenne es mal so) schweigende atheistische Mehrheit. (Es gibt im Web auf Kirchenseiten ab und zu den Link "Wiedereintritt", "Kirchenaustritt" natürlich nicht. )

Ich halte das deswegen für gut, weil man durch den Haupttitel eher angeregt wird, etwas zu speziell diesem Thema einzubringen. Unter den anderen Punkten verliert sich das ziemlich. Ich gebe zu, dass dies gerade mein eigenes Thema ist, vermute aber dass es auch für andere, besonders für zufällige Gäste sehr reizvoll wäre.

Als Titel könnte ich mir "Ich war mal relgiös" vorstellen.
Benutzeravatar
ujmp
 
Beiträge: 3108
Registriert: So 5. Apr 2009, 19:27

Re: Religionsfreie Zone

Beitragvon pinkwoolf » Do 9. Apr 2009, 23:37

ujmp hat geschrieben:Hauptthema ..."Kirchenaustritt"

Ich bin auch vor nicht allzu langer Zeit - viel zu spät - ausgetreten und freue mich einen Keks; aber was sollte man unter solch einem Hauptthema denn diskutieren?

Ich finde das Thema "Religion" schon ganz passend.

Zugegeben, es ist schon seltsam, dass sich die Brights anscheinend mehr Gedanken über die Religion machen als die meisten Religiösen. Oder auch nicht seltsam. Die Religiösen glauben vielleicht einfach nur, fern jeder Gedankentätigkeit.
Oder sie glauben, dass sie glauben.
Benutzeravatar
pinkwoolf
 
Beiträge: 947
Registriert: Mo 17. Sep 2007, 18:58

Re: Religionsfreie Zone

Beitragvon Mark » Fr 10. Apr 2009, 00:49

pinkwoolf hat geschrieben:[
Zugegeben, es ist schon seltsam, dass sich die Brights anscheinend mehr Gedanken über die Religion machen als die meisten Religiösen. Oder auch nicht seltsam. Die Religiösen glauben vielleicht einfach nur, fern jeder Gedankentätigkeit.
Oder sie glauben, dass sie glauben.


Wir wissen, daß wir alles nur glauben. Wir werden dadurch aber zu besseren "Gläubigen" als die Religiösen. Natürlich nicht nach deren Interpretation der Begriffe... Aber wohl nach "unserer".
Benutzeravatar
Mark
 
Beiträge: 1683
Registriert: Do 30. Nov 2006, 18:19
Wohnort: München

Re: Religionsfreie Zone

Beitragvon platon » Fr 10. Apr 2009, 23:59

stine hat geschrieben:Ich möchte, auch wenn ich die dogmatische Sicht der gängigen Religionen ablehne, weiterhin nach dem was ich mir unter "Gott" vorstellen kann suchen und vielleicht auch finden dürfen!


Wozu braucht der Mensch etwas, was er sich unter Gott vorstellen kann?
Die Vorstellung, dass wir alle, die wir auf dieser Erde rein zufällig leben, damit aber unendlich privilegiert gegenüber all denen sind. die nie geboren wurden, ist so grandios, dass es ganz selbstverständlich ist, die Zufälligkeit unseres Daseins zu akzeptieren. Die Entstehung des Universums, der Erde und des Lebens in ihrer heutigen Form brauchte keinen Schöpfer - sondern nur eine unermessliche Folge von Zufällen und daraus resultierenden zwangsläufigen Prozessen.
Wer das einmal akzeptiert hat, verzweifelt nicht mehr im Angesicht von Katastrophen oder unvorstellbaren menschlichen Abgründen, fragt nicht, warum der "Schöpfer" dies und jenes nicht verhindert oder nicht getan hat, sondern weiß, dass Dinge deshalb geschehen, weil sie geschehen können. Atheist zu sein, bedeutet, sein Leben sehr entspannt und sehr bewußt zu leben, in der sicheren Gewissheit: Wenn wir es vermasseln, war's das, denn wir haben kein weiteres in der Schublade.
Benutzeravatar
platon
 
Beiträge: 1634
Registriert: Fr 10. Apr 2009, 21:49

Re: Religionsfreie Zone

Beitragvon ujmp » Sa 11. Apr 2009, 09:45

platon hat geschrieben: ...die Zufälligkeit unseres Daseins zu akzeptieren...

Ob das Dasein zufällig ist, ist überhaupt nicht ausgemacht. Zufälligkeit bedeutet nur, dass wir keine Struktur in Ereignissen erkennen können, aber nicht, dass es keine Struktur in ihnen gibt. Das Dogma der Zufälligkeit ist damit genau so wissenschaftsfeindlich wie der Glaube an einen Gott, der nicht weiter hinterfragt werden könne.

Ich glaube nicht mehr an Gott der Bibel, und wenn es ihn gebe, würde ich ihn nicht mögen. Allerdings wird man die Religion nicht wirklich kritisieren, wenn man es sich zu einfach macht. In den Psalmen steht irgendwo: "Der das Auge gemacht hat [Gott], sollte der nicht sehen?"- Wenn also die "Schöpferin Natur" Sehen, Hören, Denken, Wollen etc. hervorgebracht, liegt es nicht so fern, dass sie selbst auch "sieht" usw. Wir führen heute das Denken und Fühlen des Menschen mehr oder weniger auf mikroskopische Elementarprozesse zurück, die man sich ohne weiteres auch makroskopisch im "Universum" vorstellen kann. Jedem kommt einmal der Gedanke, dass ein Atom ein kleines Planetensystem ist. Und den Zaun vom Universum hat auch noch keiner gestrichen. Unsere Vorstellungswelt ist also nach oben und unten so begrenzt, dass wir uns eben damit begügen müssen, nichts zu wissen. Den einen Glauben durch den anderen zu ersetzen, hilft nicht weiter.
Benutzeravatar
ujmp
 
Beiträge: 3108
Registriert: So 5. Apr 2009, 19:27

Re: Religionsfreie Zone

Beitragvon Julia » Sa 11. Apr 2009, 10:48

ujmp hat geschrieben:In den Psalmen steht irgendwo: "Der das Auge gemacht hat [Gott], sollte der nicht sehen?"- Wenn also die "Schöpferin Natur" Sehen, Hören, Denken, Wollen etc. hervorgebracht, liegt es nicht so fern, dass sie selbst auch "sieht" usw.

Was soll die 'Schöpferin Natur' denn geschöpft haben? Sich selbst? Ich glaube das ist eine irreführende Personifizierung.
Und was bedeutet es, dass die Natur sehen kann? (Mir fehlt es hier eindeutig an Phantasie.)

ujmp hat geschrieben:Wir führen heute das Denken und Fühlen des Menschen mehr oder weniger auf mikroskopische Elementarprozesse zurück, die man sich ohne weiteres auch makroskopisch im "Universum" vorstellen kann.

Ohne weiteres sicher nicht. Und selbst wenn es so eine 'makroskopische Intelligenz' gibt, die wir (noch) nicht erkennen können, muss diese doch auch durch 'Zufall und Notwendigkeit' entstanden sein, außer du willst doch wieder etwas Übernatürliches einführen.

ujmp hat geschrieben:Jedem kommt einmal der Gedanke, dass ein Atom ein kleines Planetensystem ist.

Daher sehe ich es sehr kritisch, dass viele mit dem bohrschen Atommodell von der Schule gehen. Davon abgesehen wüsste ich nicht wie man dem eine Bedeutung beimessen könnte.

ujmp hat geschrieben:Unsere Vorstellungswelt ist also nach oben und unten so begrenzt, dass wir uns eben damit begügen müssen, nichts zu wissen. Den einen Glauben durch den anderen zu ersetzen, hilft nicht weiter.

Der Glaube an eine wollende 'Schöpferin Natur' hilft sicher nicht.
Benutzeravatar
Julia
 
Beiträge: 860
Registriert: Di 24. Feb 2009, 10:57

Re: Religionsfreie Zone

Beitragvon ujmp » Sa 11. Apr 2009, 13:50

Julia hat geschrieben: Und was bedeutet es, dass die Natur sehen kann?

Ich behaupte nicht, dass sie es kann und ich kann es mir selbst auch nicht vorstellen. Es ist aber möglich. Unsere Wahrnehmung und Erkenntnis ist, wie wir spätestens seit Kant wissen, hardwaremäßig begrenzt. Oder wie mal ein Astronom gesagt hat (Namen hab ich vergessen): Wir sehen die Welt so wie sie ist, weil wir so sind wie wir sind. Mir schwebt unter "Sehen", oder weitergedacht unter "Person" etwas abstrakteres vor, so ähnlich, wie Schopenhauer sich die Welt als "Wille" gedacht hat, wobei er das Wort nur in Ermangelung eines abstrakteren Begriffs gewählt hat. Ich spekuliere, dass das "Leben" eines Tages als ein universales Prinzip verstanden wird und wir dann auch seine Entstehung erklären können. Aber bitte nicht falsch verstehen: Ich möchte uns nicht mit Begriffsakrobatik einen neuen Gott unterjubeln.
Julia hat geschrieben: ...Und selbst wenn es so eine 'makroskopische Intelligenz' gibt, die wir (noch) nicht erkennen können, muss diese doch auch durch 'Zufall und Notwendigkeit' entstanden sein....

Ich meine nicht, denn es ist nur konsequent, wenn man annimmt, dass es keinen Zufall gibt, auch anzunehmen, dass es keinen übergeordneten Zufall gibt.

Julia hat geschrieben: Der Glaube an eine wollende 'Schöpferin Natur' hilft sicher nicht.

Vollste Zustimmung. :2thumbs: Ich wollte damit auch nur meine agnostische Position verteidigen.
Benutzeravatar
ujmp
 
Beiträge: 3108
Registriert: So 5. Apr 2009, 19:27

Re: Religionsfreie Zone

Beitragvon Schrödingers Kater » Sa 11. Apr 2009, 14:05

Da ist mir Julia eigentlich mit so ziemlich allem zuvorgekommen, was zu sagen ist, einschließlich des Bohr'schen Atommodells, von dem meines Wissens zuletzt Science Fiction-Autoren in den 30ern und 40ern des letzten Jahrhunderts gemutmaßt haben, es sei ein Planetensystem im Kleinen...
ujmp hat geschrieben:Ob das Dasein zufällig ist, ist überhaupt nicht ausgemacht. Zufälligkeit bedeutet nur, dass wir keine Struktur in Ereignissen erkennen können, aber nicht, dass es keine Struktur in ihnen gibt. Das Dogma der Zufälligkeit ist damit genau so wissenschaftsfeindlich wie der Glaube an einen Gott, der nicht weiter hinterfragt werden könne.

Mal ganz abgesehen von dem Begriff 'Dasein', der mir persönlich entschieden zu viel heideggert: gerade weil wir Strukturen erkennen, können wir bestimmte Ereignisse (z.B. Mutationen) als zufällig begreifen; in einem völlig strukturlosen Universum würde der Begriff Zufall keinen Sinn machen. Was das mit 'Dogma' und 'wissenschaftsfeindlich' zu tun hat, erschließt sich mir nicht ganz. Dieser Vorwurf erinnert mich eher an das kreationistische 'Auch-nur-eine-Theorie'...
ujmp hat geschrieben:In den Psalmen steht irgendwo: "Der das Auge gemacht hat [Gott], sollte der nicht sehen?"- Wenn also die "Schöpferin Natur" Sehen, Hören, Denken, Wollen etc. hervorgebracht, liegt es nicht so fern, dass sie selbst auch "sieht" usw.

Ich verstehe nicht, welcher Form der Logik wir diesen wenn/dann-Schluss verdanken, selbst wenn ich einmal über pantheistische Konzepte wie 'Schöpferin Natur' hinwegsehe. Es sind ja eigentlich sogar zwei wenn/dann-Schlüsse, die dann auch noch auf die gleiche Weise miteinander in Beziehung gesetzt werden (sollen): weil in der Bibel eine - in sich schon unlogische - Aussage über Gott getroffen wird ('Wenn er...sollte er dann nicht...'), sollte (warum eigentlich?) von einer hypothetischen 'Schöpferin Natur' angenommen werden, dass bei 'ihr' der gleiche Fehlschluss gilt.
Vielleicht ist ja eher die Annahme, es könne ohne 'Seher' oder 'Denker' oder 'Woller' kein 'Sehen', 'Denken' und 'Wollen' geben, ein Überbleibsel der Religion, bei dem 'Gott' durch den Zuschauer im 'cartesianischen Theater' ersetzt wird...
Benutzeravatar
Schrödingers Kater
 
Beiträge: 37
Registriert: So 5. Apr 2009, 09:57

Re: Religionsfreie Zone

Beitragvon ujmp » Sa 11. Apr 2009, 14:24

Schrödingers Kater hat geschrieben:gerade weil wir Strukturen erkennen, können wir bestimmte Ereignisse (z.B. Mutationen) als zufällig begreifen; in einem völlig strukturlosen Universum würde der Begriff Zufall keinen Sinn machen

Frage: Folgen die Zahlen (99859, 99923, 99877, 99901, 99961) einer Regel oder sind sie zufällig, d.h. erkennst du eine Struktur? Erstmal nicht! Aber irgendwann kommst du vielleicht drauf, aber nicht wenn du "dogamtisch" von Zufall ausgehst. Dass wir Strukturen von Nichtstrukturen unterscheiden, beweist nur, dass wir manche Strukturen erkennen und manche nicht.
Schrödingers Kater hat geschrieben:Ich verstehe nicht, welcher Form der Logik wir diesen wenn/dann-Schluss verdanken...

...keiner Logik, der Psalm war nur Quelle der Inspiration.
Benutzeravatar
ujmp
 
Beiträge: 3108
Registriert: So 5. Apr 2009, 19:27

Re: Religionsfreie Zone

Beitragvon Schrödingers Kater » Sa 11. Apr 2009, 15:59

ujmp hat geschrieben:Frage: Folgen die Zahlen (99859, 99923, 99877, 99901, 99961) einer Regel oder sind sie zufällig, d.h. erkennst du eine Struktur?

Antwort: ich gehe mal davon aus, dass du nach der letzten Zahl ',...' vergessen hast, weil die (unausgesprochene) Frage - welche Zahl folgt? - nur so Sinn machen würde. In einem geschlossenen System von fünf Zahlen kann ich natürlich immer eine Regel bilden, die sie miteinander verknüpft.
Nehmen wir die Reihe 99859, 99923, 99877, 99901, 99961,... gibt es wiederum drei Möglichkeiten:
1. die Reihe wurde bewusst (und nein! - nenn mich Dogmatiker - 'die Schöpferin Natur' hat kein Bewusstsein) so gebildet, dass sie einem Algorithmus folgt
2. sie bildet eine beobachtbare Regelmäßigkeit - also eine vorhandene Struktur - ab
3. sie ist rein zufällig, und wie interpretieren nur eine Regelmäßigkeit hinein, die aber schon von der nächsten Zahl über den Haufen geschmissen werden könnte;
bei solchen Folgen kann man immer nur die [i]Wahrscheinlichkeit einer Regel feststellen, nie die Regel selbst...
ujmp hat geschrieben:Dass wir Strukturen von Nichtstrukturen unterscheiden, beweist nur, dass wir manche Strukturen erkennen und manche nicht.

Dass wir Strukturen von Nichtstrukturen unterscheiden, beweist für mich erstmal nur, dass wir Strukturen von Nichtstrukturen unterscheiden...

Lass es uns damit vielleicht gut sein. Nicht, dass ich unsere Diskussion abbrechen wollte, aber ich habe den Eindruck, dass es sich hier um eine Art Glaubensfrage handelt...
Benutzeravatar
Schrödingers Kater
 
Beiträge: 37
Registriert: So 5. Apr 2009, 09:57

Re: Religionsfreie Zone

Beitragvon edukir » Sa 11. Apr 2009, 16:49

1von6,5Milliarden hat geschrieben:
stine hat geschrieben:
edukir hat geschrieben:Die Gehirnentwicklung des Menschen nahm wohl die letzten 2.5 Millionen Jahre in Anspruch, Hinweise auf religiöse Aktivitäten sind aber nur einige 10 000 Jahre alt.
Weil Mensch dazu gelernt hat?
Nein, eher nicht. Er wollte, konnte aber noch nicht.
stine hat geschrieben:Eine Entwicklungsgeschichte?
Ja, wohl schon eher. Der Mensch wollte einfach Erklärungen für vieles (scheinbar) unerklärbare und mangels Fähigkeiten hat er sich welche gebastelt. Heute, wo wir das meiste erklären können, sind deshalb Religionen als Quelle des Wissens mehr als überflüssig. Von nicht vorhanden Hinweisen (auf religiöse Handlungen) auf Nichtexistenz zu schließen ist nicht statthaft. Genausowenig ist es aber auch nicht statthaft von jedem seltsamen Steinhaufen auf (gesicherte) religiöse Aktivitäten zu schließen.


stine hat geschrieben:
ujmp hat geschrieben:Aber obwohl ich mich von der religiösen Last befreit fühle, vermisse ich manche soziale Rituale.
Ich denke, dass diese Erkenntnis viel wichtiger ist, als mancheiner annimmt, der nie in solches eingebunden war. Kirche und Glauben bieten viel mehr soziale und gesellschaftlich, kulturelle Einbundung, als derzeit atheistische Freiheitskämpfer bieten könnten.

BItte achte beim Zitieren drauf, wem du Zitate zuschiebst! Zitatkorrektur vorgenommen * 1von6,5Milliarden


Zu lernen gab es im Zusammenhang mit den Religionen für den Menschen schon immer eine Menge - lernen ist nicht mit Verstehen gleichzusetzen - aber das nur nebenbei.

Zur Entstehung der Religionen:

Gerade bei den Religionen gehe ich davon aus, daß die Memetik eine zentrale Rolle bei der Entstehung dieser Überlieferungen gespielt hat. Religionen haben geschichtlich entscheidenden Anteil daran, daß Menschen sich nicht mehr so verhalten wie andere Tiere - unser Verhalten ist nicht mehr fitnessoptimiert (am maximalen Fortpflanzungserfolg orientiert). Viele religiös legitimierte moralische Gebote sind soziobiologisch nicht zu verstehen, weil die Religion ein Produkt der kulturellen Evolution ist.

Als Produkt einer evolutionären Entwicklung stecken die Religionen voller Anpassungsleistungen im Dienste der eigenen Reproduktion und Ausbreitung. Menschliche Ängste und Sehnsüchte sind nicht die Grundlage der Religionen, sondern Teil der Entwicklungsumgebung, an die Religionen sich anzupassen hatten. Die Religionen bedienen sich derartiger angeborener Universalien des Menschen aus dem gleichen Grund wie Werbefachleute - wenn man darauf setzt, erreicht man die maximale Zahl potentieller "Kunden" und es fällt leichter echte "Kundenbindung" herzustellen. Natürlich lag es in diesem Kontext auch nahe, sich als Quelle der Waisheit zu präsentieren. Durch Verkündung "absoluter Wahrheiten" über Dinge, die ausserhalb der Wahrnehmungsoptionen des normalen Sterblichen lagen konnten Religionen sich einerseits profilieren und andererseits die menschliche Neugierde befriedigen. Aber auch dies war nur ein (im Prinzip austauschbares und entbehrliches) Hilfsmittel der Religionen - nicht der Grund für deren Existenz.

Bei den sozialen Ritualen stoßen wir auf das andere Gesicht der Religionen - ihre gesellschaftliche Funktionalität. Manche Memetiker würden Religionen am liebsten als parasitäre Überlieferungssysteme abtun, die sich im Prinzip so ähnlich ausbreiten wie Viren. Dies greift deutlich zu kurz, weil Religionen sehr früh symbiotische Beziehungen zu den jeweiligen Gemeinschaften der Gläubigen aufgebaut haben.
Für den Ausbreitungserfolg der Religionen war es sehr wichtig, daß ihre Anhänger sich im Wettbewerb mit anderen Gruppen durchsetzen konnten. Moralvorstellungen hatten daher in erster Linie die Aufgabe die Gemeinschaften zu stärken und Streitigkeiten innerhalb dieser Gemeinschaften zu vermeiden oder aber zu schlichten, um zumindest eine Eskalation zu vermeiden. Auch die verschiedensten Rituale dienen häufig dem Zweck die Gemeinschaft zu Festigen. Und Menschen fühlen sich in einer intakten Gemeinschaft einfach wohler, weil sie von Natur aus nicht Einzelkämpfer, sondern Gruppentiere ist. Auch wir Atheisten täten gut daran Formen des Zusammenlebens zu entwickeln, die unserem biologischen Erbe eher gerecht werden.
Neben Anpassungen zur Festigung der Glaubensgemeinschaften nach innen haben Religionen aber auch Anpassungen entwickelt zur Stärkung und Motivation der Gemeinschaften im Kampf nach außen. und gerade hier konnten und können Religionen besonders häßlich und abstossend werden. Wir Atheisten neigen ein wenig dazu, solche negativen Seiten der Religionen zu betonen und ihre gesellschaftlichen Leistungen zu ignorieren. Ohne Religionen als evolutionären Entwicklungsschritt würden wir aber vermutlich immer noch in Horden leben und allen Fremden mit Mißtrauen und Feindseligkeit begegnen.

Ich glaube zwar auch, daß die Religionen in unserer Gesellschaft mittlerweile entbehrlich sind - aber nicht, weil die Wissenschaft inzwischen gezeigt hat, daß Religionen "erstunken und erlogen" sind, sondern weil wir in einem Rechtsstaat mit staatlichem Gewaltmonopol leben, in dem die geschichtlich wichtigsten gesellschaftlichen Funktionen der Religionen längst durch modernere und Leistungsfähigere Mechanismen ersetzt worden sind. :^^:
Zuletzt geändert von edukir am Sa 11. Apr 2009, 16:53, insgesamt 1-mal geändert.
edukir
 
Beiträge: 4
Registriert: Di 7. Apr 2009, 09:29
Wohnort: Hannover

Re: Religionsfreie Zone

Beitragvon Julia » Sa 11. Apr 2009, 16:52

ujmp hat geschrieben:
Julia hat geschrieben: Und was bedeutet es, dass die Natur sehen kann?

Ich behaupte nicht, dass sie es kann und ich kann es mir selbst auch nicht vorstellen. Es ist aber möglich. Unsere Wahrnehmung und Erkenntnis ist, wie wir spätestens seit Kant wissen, hardwaremäßig begrenzt. Oder wie mal ein, Astronom gesagt hat (Namen hab ich vergessen): Wir sehen die Welt so wie sie ist, weil wir so sind wie wir sind.

'Möglich' ist wohl alles, die Frage die für mich interessant ist, ist aber eine andere, nämlich wie wahrscheinlich etwas ist und welchen Wert es hat, also die Frage ist, ob es etwas erklären kann oder ob wir ohne diese Vorstellung nicht besser dran sind (siehe Occam's Razor). In die letzte Kategorie fällt Gott, imho.
Man kann sich auch fragen warum wir so sind, wie wir sind, da spielt die Umgebung ja auch wieder eine Rolle, in einem Universum ohne elektromagnetische Wellen würde sich evolutionär kein menschliches Auge entwickeln. Dass wir allerdings nicht geschaffen wurden um die Welt zu begreifen wird jedem klar der versucht sich vier oder mehr Dimensionen vorzustellen oder sich mit Quantenphysik anzufreunden. ;)

ujmp hat geschrieben:Mir schwebt unter "Sehen", oder weitergedacht unter "Person" etwas abstrakteres vor, so ähnlich, wie Schopenhauer sich die Welt als "Wille" gedacht hat, wobei er das Wort nur in Ermangelung eines abstrakteren Begriffs gewählt hat. Ich spekuliere, dass das "Leben" eines Tages als ein universales Prinzip verstanden wird und wir dann auch seine Entstehung erklären können.

Dazu fehlt mir dann wieder die Phantasie. ;)

ujmp hat geschrieben:
Julia hat geschrieben: ...Und selbst wenn es so eine 'makroskopische Intelligenz' gibt, die wir (noch) nicht erkennen können, muss diese doch auch durch 'Zufall und Notwendigkeit' entstanden sein....

Ich meine nicht, denn es ist nur konsequent, wenn man annimmt, dass es keinen Zufall gibt, auch anzunehmen, dass es keinen übergeordneten Zufall gibt.

Ich denke aber, dass sich das Problem nur verschiebt. Meine Argumentation ist eigentlich, dass das Vorhandensein von Intelligenz so lange als absolut unwahrscheinlich gelten muss, bis man einen Mechanismus zur Entstehung dieser Intelligenz beschreiben kann. Für die Entstehung menschlicher Intelligenz wäre das zum Beispiel die Evolution, unabhängig davon ob alle Details geklärt sind oder nicht. Wenn hinter dieser Evolution jetzt ein intelligentes Wesen steckt, das nicht übernatürlich sein soll (sonst wäre es ja ein Gott, den wir nicht untergejubelt kriegen wollen), dann muss man sich Fragen woher diese Intelligenz stammt, deren Existenz alles andere als einleuchtend ist. Wie soll es eine 'naturalistische' Intelligenz geben, die ohne Zufall entsteht?

lg Julia
Benutzeravatar
Julia
 
Beiträge: 860
Registriert: Di 24. Feb 2009, 10:57

Re: Religionsfreie Zone

Beitragvon ujmp » Sa 11. Apr 2009, 17:21

Schrödingers Kater hat geschrieben:Lass es uns damit vielleicht gut sein. Nicht, dass ich unsere Diskussion abbrechen wollte, aber ich habe den Eindruck, dass es sich hier um eine Art Glaubensfrage handelt...

Nein, nein es ist eine wissenschaftstheoretische Frage. Die Tücken der "Strukturerwartung" sind mir bekannt (z.b. können (1 2 3 4 5) zufällige Zahlen sein). Dennoch ist die Suche nach Strukturen das Wesen der Wissenschaft, also gerade der Zweifel an Zufälligkeit. "Zufall" bedeutet nicht mehr als "ich erkenne keine Struktur". Ob es Strukturlosigkeit gibt, können wir nicht mit Sicherheit feststellen. Es ist m.E. auch nicht so wichtig, interessanter sind Theorien über Strukturen, aus denen wir Prognosen ableiten können. Ich habe mich nur gegen eine dogmatische Anahme von Zufälligkeit gewandt, wobei es durchaus sein kann, dass es so etwas gibt. Aber vielleich verstehe ich ja "Zufälligkeit" falsch.
Benutzeravatar
ujmp
 
Beiträge: 3108
Registriert: So 5. Apr 2009, 19:27

VorherigeNächste

Zurück zu Religion & Spiritualität

Wer ist online?

Mitglieder in diesem Forum: 0 Mitglieder und 10 Gäste