Die Freireligiösen

Re: Die Freireligiösen

Beitragvon lorenz » Fr 8. Mai 2009, 16:09

stine hat geschrieben:Religiöse Gefühle kann jeder haben.

Sogar Tiere. Meine Katze (Gott der Katzen, sei ihrer Seele freundlich gesinnt!) hatte immer so einen "betenden Ausdruck", wenn sie Leberkäse entdeckte. Ich würde wetten, das waren genau solche "religiösen Gefühle".

Man könnte sagen: Meine Katze war freireligiös.
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Re: Die Freireligiösen

Beitragvon Myron » Fr 8. Mai 2009, 17:13

stine hat geschrieben:Religiöse Gefühle kann jeder haben.


Statt "religiöses Gefühl" kann man genauso gut "metaphysisches Gefühl" sagen, wenn kein Gott im Spiel ist.
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Re: Die Freireligiösen

Beitragvon smalonius » Fr 8. Mai 2009, 17:39

HFRudolph hat geschrieben:->Religion muss immer etwas Unsinniges oder Irrationales enthalten.
->Wenn das fehlt, ist es eine Weltanschauung.
Konfuzianismus?

Ich werde ein weiteres Gegenbeispiel liefern. Wollte zwar keinen neuen Thread aufmachen, solange ich noch was zu einem meiner alten zu sagen habe, aber was soll's.

stine hat geschrieben:Religiöse Gefühle kann jeder haben.

Ludwig Feuerbach schreibt dazu:

"Das Abhängigkeitsgefühl des Menschen ist der Grund der Religion; der Gegenstand dieses Abhängigkeitsgefühls, das, wovon der Mensch abhängig ist und abhängig sich fühlt, ist aber ursprünglich nichts anderes, als die Natur. Die Natur ist der erste, ursprüngliche Gegenstand der Religion, wie die Geschichte aller Religionen und Völker sattsam beweist."
Ich gehe da anders mit der Sache. Eine Religion, die nur Gefühle hervorruft, wäre mir zu wenig. Ein bißchen "Weißheit" sollte schon auch darin stecken. Wenn Wissenschaft dazu da ist, Wissen zu erzeugen, dann könnte Religion dazu da sein, unsere Vorurteile und Dogmen zu zerschlagen.

Wie gesagt, Beispiel kommt.
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Re: Die Freireligiösen

Beitragvon 1von6,5Milliarden » Fr 8. Mai 2009, 18:05

stine hat geschrieben:Wenn ich also in den nächtlichen Sternenhimmel schaue und mir dadurch meiner winzigen Existenz bewusst werde, dann kann dies durchaus ein religiöses Gefühl bewirken. Egal, auf was ich das dann gerade projeziere.
Wenn das bei euch nicht so ist, dann tschuldigung |) , ist vielleicht dann doch eher Typsache.
Dies ist nicht unbedingt Typsache sondern falsche Wortwahl. Wenn ich in den Sternenhimmel sehe und mich gegenüber den unendlichen Weiten die der Mensch noch nie betreten hat, klein vor komme und die subjektive Schönheit des funkelnden Lichtermeeres mir ansehe, dann habe ich keine religiösen Gefühle, denn ich bringe das ganze nicht auch nur im entferntesten damit im Zusammenhang, ich möchte mir ja auch nicht die Schönheit des Augenblicks verderben.

Wenn ich wie lorenz' Katze Leberkas anbete, dann denke ich auch nicht daran, was da alles drin sein kann - okay, ich bin jetzt nicht der Leberkas-Freak, deshalb erzähle ich doch ganz gerne die Geschichte von der Ratte die den Sprung über den Kutter nicht geschafft hat und vermengt wurde ... :santagrin:

Aber den Sternenhimmel betrachte ich am liebsten ganz in Ruhe, ohne dass jemand anfängt mit irgendwelcher Feierabendphilosophie (dies ist dann wohl eher Typsache)
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Re: Die Freireligiösen

Beitragvon lorenz » Sa 9. Mai 2009, 17:07

Die Sache mit den "religiösen" Gefühlen und dem Sternenhimmel scheint mir etwas mit Kontamination zu tun zu haben.
Wenn ich - beim Anblick der Milchstraße auf Kreta (wahnsinnig toll, die Nacht ist viel schwärzer als hierzulande!) oder beim Hören bestimmter Musik - Gefühle habe, die "an den Anschlag meiner emotionalen Kapazität" gehen, dann hat das ja erstmal nix mit dem Geschwätz irgendwelcher Sandalenprediger aus dem antiken Palästina usw. zu tun. Aber unsere Kultur hat uns so geprägt, dass das bei uns zwangsläufig vermischt zu sein scheint. Der gesellschaftlich verordnete Aberglaube scheint sich wie Holzwürmer überall rein zu bohren. Keine "reinen" und "großen" Gefühle, ohne dass ein aufdringlicher Pfaffe um die Ecke gerannt kommt und auf sein verschimmeltes Holzkreuz zeigt. An allem scheint der grauschwarze Grind irgendwelcher Priester zu kleben. Manche retten sich angeekelt in die "reine Vernunft", weg von dem ganzen emotionalen Zeug. Eigentlich schade drum. Man sollte vielleicht anfangen, den Religiösen ihr uraltes Gewohnheitsrecht auf "religiöse Gefühle" strittig zu machen!
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Re: Die Freireligiösen

Beitragvon stine » Sa 9. Mai 2009, 21:27

lorenz hat geschrieben:...uraltes Gewohnheitsrecht auf "religiöse Gefühle" strittig zu machen!
Ich denke, du hast das begriffen! :up:
LG stine
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Re: Die Freireligiösen

Beitragvon Mark » Sa 9. Mai 2009, 21:59

Myron hat geschrieben:Statt "religiöses Gefühl" kann man genauso gut "metaphysisches Gefühl" sagen, wenn kein Gott im Spiel ist.


Sprache soll ja vermitteln. Ich fühle mich eben doch eher an die Mechanismen und Effekte verinnerlichter Religion erinnert, als an wasweissichwas man sich unter einem "metaphysischen Gefühl" vorzustellen vermag.
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Re: Die Freireligiösen

Beitragvon platon » Sa 9. Mai 2009, 22:04

smalonius hat geschrieben:Wenn Wissenschaft dazu da ist, Wissen zu erzeugen, dann könnte Religion dazu da sein, unsere Vorurteile und Dogmen zu zerschlagen.

Den Nachweis hat bisher noch keine Religion angetreten. Und wenn Du das weltfremde Gefasel meinst, das in einigen Religionen steckt (Feindesliebe etc.), so hat das bisher noch bei keiner Religion funktioniert. Im Gegenteil, es sind die Religionen, die Vorurteile und Dogmen geradezu aufhäufen, weil sie in ihrem hysterischen Bestreben, sich von den "Nichtgläubigen" abzugrenzen, für Ihre Mitglieder Regeln und Glaubenssätze aufstellen müssen, die nur über den Weg des Dogmas dem gläubigen Pöbel (aufzu)oktroyiren sind.
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Re: Die Freireligiösen

Beitragvon fritz-ferdinand » Mo 17. Aug 2009, 15:21

Hallo Leute,

ich bin neu hier und da ich ein Freireligöser BIN, und zwar von den Pfälzern, habe ich natürlich gleich einmal die Suchfunktion aktiviert. (Kleine Bemerkung: bei der Vorstellung von Ragnarr kommt die Geschichte vor, er sei bei den Freireligösen mit der Bibel traktiert worden. Das kann ich fast nicht glauben, vielleicht war es eine Freikirche. Freireligiöse sind NICHT christlich, besser gesagt, nicht mehr, zu Beginn im 19. Jahrundert war das wohl noch so).

Ich habe mit Interesse diesen Thread verfolgt, insbesondere die Meinung, das sei alles Wischiwaschi, was die Freireligiösen glauben, weil ja sowieso alles "erlaubt" sei. Nun, für mich ist diese Freiheit durchaus etwas Positives. Knallharte, klare nicht-wischiwaschi-Ansagen findet man bei den anderen Religionen genug, aber wir dürften uns hier alle einig sein, dass es gerade das ist, was wir NICHT wollen.

Bei den Freireligiösen isses halt so, dass jeder für seine Glaubensinhalte selber verantwortlich ist, daher das kunterbunte Bild von strengem Atheismus bis knapp vor einem Gottesglauben, obgleich ich niemanden kenne, der an einen Gott als ansprechbare PERSON glaubt. Und bei den Gemeinden und Landesgemeinden ist es halt auch so, manche haben noch richtige Feiern, und manche nur noch Vorträge und Gesprächsrunden. Das macht alles ein wenig unübersichtlich.

Ich habe auch eine Weile gebraucht, bis ich mir klar gemacht habe, was das Kennzeichnende bei den Freireligiösen ist: Es sind nicht die Inhalte, sondern die Methode, sozusagen. Jeder Freireligiöse ist aufgefordert, sich und die Welt imn Rahmen seiner Möglichkeiten genau zu BEOBACHTEN, über alles NACHZUDENKEN, zu prüfen ob er das auch von seinem BAUCHGEFÜHL her akzeptieren kann, und aus allem unter heftigester Verwendung seines VERSTANDES seine eigenen logischen SCHLÜSSE zu ziehen. Er soll glauben, was er WIRKLICH glaubt, also auch tatsächlich glauben KANN, und nicht, was vielleicht nett wäre zu glauben, insbesondere nicht, was ihm irgeneine Offenbarung einzureden versucht, oder weil alle anderen ringsherum irgendetwas bezeugen. Im Selbstverständnis sind die Freireligiösen in der Aufklärung verankert (Wage es, dich deines Verstandes zu bedienen!).

Daher gibt es stramme Atheisten genauso wie Pantheisten, die die Natur als etwas größeres Ganzes empfinden, das mehr ist als die Summe aller Teile (und in die eingebunden sie Teil dieses größeren Ganzen sind) und der eine Art Lebenskraft innewohnt, es gibt Deisten, die sich eine transzendentalen Entstehung der Welt und ihrer Naturgesetze vorstellen können, ohne dass aber in ihren Lauf etwa durch Wunder eingegriffen wird, wie auch Leute, die sich nicht ganz sicher sind, aber sich keinen großen Kopf darum machen wollen und sich eher um näherliegende Themen bemühen.

An jemand, der von außen eine Ethik oder Gebote vorgibt, und belohnt oder straft, glaubt (wohl) keiner. Auch nicht an ein Leben nach dem Tod. Es gibt für sowas in der Welt/Natur nicht wirklich erkennbare Anzeichen. Positiv glauben aber (wohl) alle, dass das Leben und die Natur etwas Gutes sind, auch über die eigene Existenz hinaus, und dass es sich lohnt, für dessen Weiterexistenz und Fortentwicklung sich einzusetzen. Daher auch die Diskussionen, welche Ethik(en) sich auf dieser Grundlage erarbeiten lassen.

Das bedeutet aber, dass man keine Verantwortung an ein höheres Wesen delegieren kann ("Gott hat gesagt ..." usw). Nicht für sich selber, aber auch nicht für seine Mitmenschen, oder die Welt in der man lebt. Jeder trägt seine Verantwortung für sich und seine Handlungsweisen selber.

Vielleicht sind das ja tatsächlich Gemeinplätze und Trivialitäten, aber ich denke, aufschreiben darf man sie ja trotzdem. Es ist manchmal erstaunlich, welche Wirkungen das Aufschreiben und Bereden von Trivialitäten erzeugt, und manches ist auch gar nicht so trivial, wie es auf den ersten Moment erscheint.

Im Gegensatz zu den reinen Atheisten oder Humanisten sind die Freireligiösen (die durchaus mit den Unitariern hier im Lande große Überdeckungen haben) meines Erachtens milder, und auch offener, gefühlige, mystische, erhebende, besinnliche, musische usw. in ihrem Gemeindeleben aufzugreifen, statt nur auf die Weltanschauung zu pochen. Aber das kommt dann wieder auf die einzelne Gemeinde an, es gibt im Extremfall auch die Vorstellung, Freie Religion ist ein anderes Wort für linke Politik :-)

Wozu man dazu eine Gemeinschaft braucht? Das kann man doch alles selber machen? Das ist so ähnlich wie: "Wozu braucht man eine Kirche? Man kann doch auch von selber die Bibel lesen?" Zusammen geht es halt einfacher, es gibt einem auch ein Stück geistige Heimat, und auch Inspiration, sich mit z.B. ethischen Fragen intensiver zu beschäftigen, (und auszutauschen!!!), als man das alleine tun würde. Nun ja, ich empfinde sie eine nützliche und angenehme Bereicherung in meinem Leben.

Leider sind die Gemeinden überaltert, wenn auch z.B. die Gemeinde in Offenbach kürzlich einen Kindergarten eröffnet hat.

Du liebe Güte, ist das jetzt lang geworden.

Grüße an alle hier.
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Re: Die Freireligiösen

Beitragvon Zappa » Mo 17. Aug 2009, 17:48

fritz-ferdinand hat geschrieben:Bei den Freireligiösen isses halt so, dass jeder für seine Glaubensinhalte selber verantwortlich ist ...


D.h. Ihr kennt keinerlei Kriterien für wahr/unwahr bzw. gut/schlecht?

Dafür fehlt mir irgendwie das Verständnis.

Wenn es denn nur um den Zusammenhalt geht, kann man ja auch einen Skatverein oder einer Tanztruppe beitreten, oder?
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Re: Die Freireligiösen

Beitragvon fritz-ferdinand » Mo 17. Aug 2009, 18:53

Hier ist genau der Knackpunkt. Es gibt keine V'ORGEGEBENE Lehre, die jedermann sagt, was gut oder schlecht ist. Aber jeder ist aufgefordert, seine individuelle Ethik selbst zu entwickeln, zu vertreten, und zu verantworten, unter dem Grundgedanken, dass jeder mit einigen Überlegungen durchaus fähig ist, das auch zu bringen.

Und so vorbereitet kann dann z.B. eine Vollversammlung eine Resolution beschließen, dass jeder Mensch das Recht haben soll, über seinen Tod selbst zu entscheiden. Was ja gerade eine große Diskussion im Lande war.

Und wenn einer sich seine Überzeugung begründen kann, dass das so nicht sein darf, dann stehen halt zwei Überzeugungen nebeneinander, und er wird deswegen nicht weggebissen, wie z.B. in einer katholischen Kirche oder bei den Evangelikalen. Das wichtigste ist, dass er ehrlich dahinter steht, und sich das offenen Auges genau überlegt hat.

Und natürlich ist nichts gegen einen Skatverein zu sagen, aber wenn man seine Lebensprinzien herausfinden, sich darüber austauschen, und sie umsetzen üben will, ist das nicht notwendig der geeigneste Platz. oder? Im übrigen kloppen auch manche FRe Skat oder tanzen. Es gibt auch viele Verbindungen z.B. zu den Naturfreunden.

Klar, dass, wenn man schon in die FR-Gemeinde hineingeboren wurde, muss man als Siebzigjähriger ( bin ich noch nicht :-) ) nicht mehr viel Prinzipiensuche betreiben. Das ist nicht anders wie in anderen Gemeinschaften.
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Re: Die Freireligiösen

Beitragvon Myron » Mo 17. Aug 2009, 20:13

fritz-ferdinand hat geschrieben:Ich habe auch eine Weile gebraucht, bis ich mir klar gemacht habe, was das Kennzeichnende bei den Freireligiösen ist: Es sind nicht die Inhalte, sondern die Methode, sozusagen. Jeder Freireligiöse ist aufgefordert, sich und die Welt imn Rahmen seiner Möglichkeiten genau zu BEOBACHTEN, über alles NACHZUDENKEN, zu prüfen ob er das auch von seinem BAUCHGEFÜHL her akzeptieren kann, und aus allem unter heftigester Verwendung seines VERSTANDES seine eigenen logischen SCHLÜSSE zu ziehen. Er soll glauben, was er WIRKLICH glaubt, also auch tatsächlich glauben KANN, und nicht, was vielleicht nett wäre zu glauben, insbesondere nicht, was ihm irgeneine Offenbarung einzureden versucht, oder weil alle anderen ringsherum irgendetwas bezeugen. Im Selbstverständnis sind die Freireligiösen in der Aufklärung verankert (Wage es, dich deines Verstandes zu bedienen!).


Diese Methode ist generell jedem erwachsenen Menschen zu empfehlen. Etwas spezifisch Religiöses kann ich daran nicht erkennen.

fritz-ferdinand hat geschrieben:Daher gibt es stramme Atheisten genauso wie Pantheisten, die die Natur als etwas größeres Ganzes empfinden, das mehr ist als die Summe aller Teile (und in die eingebunden sie Teil dieses größeren Ganzen sind) und der eine Art Lebenskraft innewohnt, es gibt Deisten, die sich eine transzendentalen Entstehung der Welt und ihrer Naturgesetze vorstellen können, ohne dass aber in ihren Lauf etwa durch Wunder eingegriffen wird, wie auch Leute, die sich nicht ganz sicher sind, aber sich keinen großen Kopf darum machen wollen und sich eher um näherliegende Themen bemühen.


Bei den Freireligiösen treffen sich also Leute mit ganz unterschiedlichen weltanschaulichen Ansichten, um sich über Gott und die Welt auszutauschen, was ihnen dabei hilft, sich über ihre eigene Gesinnung oder/und ihr Leben klarzuwerden.

fritz-ferdinand hat geschrieben:Wozu man dazu eine Gemeinschaft braucht?


Der Mensch ist bekanntlich ein soziales Wesen und sucht die Gemeinschaft mit seinesgleichen.
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Re: Die Freireligiösen

Beitragvon fritz-ferdinand » Di 18. Aug 2009, 10:06

Myron hat geschrieben:Diese Methode ist generell jedem erwachsenen Menschen zu empfehlen. Etwas spezifisch Religiöses kann ich daran nicht erkennen.


Richtig! Machen wir! Im Prinzip seit hundertfünfzig Jahren :-)

Dass du daran nichts spezifisch Religiöses erkennen kannst, hängt damit zusammen, dass Religion im Allgemeinen mit Glauben an etwas Transzendentales, Jenseitiges verbunden wird. Man kann aber auch einen anderen Ansatz wählen. Z.B. sich fragen, wozu benutzt ein gläubiger Mensch für sich die Religion, und kann das auch eine innerweltliche, sog. säkulare Religion leisten? Etwa Welterklärung, Sinnfindung, Quelle der Ethik. Damit kommen wir zum Begriff Weltanschauung. Als Weltanschauungsgemeinschaft sind wir öffentlich-rechtlich anerkannt, und sind dem humanistischen Spektrum zuzurechnen.

Der Begriff der Freien Religion hängt damit zusammen, dass zu Gründungszeiten im 19. Jahrhundert sich Gruppen von den Evangelen und Katholen abspalteten, die die damals heftigen gegen-aufklärerischen Bemühungen der Kirchen nicht mehr mitmachen wollten, und sagten, wir lassen uns das Nachdenken nicht verbieten. Damals gab es dann durchaus noch Gottesdienste, später Feierstunden, aber die Tendenz ging sehr schnell weg von Himmels- und Gottesvorstellungen, während die Betonung auf das Recht einer individuellen, rational unverbauten Weltanschauung das Bestimmende wurde. ist doch gut so gewesen, oder?

Am Begriff Religion hat man festgehalten, aber ihn halt immer mehr umdefiniert, bzw, weiter gefasst. Das hängt auch damit zusammen, dass dem Begriff Religion unterschwellig immer die Eigenschaft von etwas Großem, Edlem und Ehrwürdigem zugeeignet wird, was anderen Begriffen wie Weltanschauung verweigert wird. Aber da den Freireligiösen ihr Ding mindestens ebenso groß, edel und ehrwürdig ist, mußten sie das ja nicht auf sich sitzen lassen. Daher hat es nicht nur historische Gründe, warum man an dem Begriff festhält.

Das ist heute nicht mehr so der Fall. Etliche Freireligöse Gemeinschaften, die Freie Religion als "frei von Religion" uminterpretiert haben, haben sich den Humanisten angeschlossen (z.B. Württemberg), andere aber haben das explizit nicht getan (z.B. Mainz). Der Unterschied ist hauptsächlich, dass die "religiöseren" nicht nur die rational-philosophischen und politischen, sondern auch andere Seiten des Menschtums pflegen, etwa die naturverbundenen, handfesten, musischen oder innigen, je nach Gemeinde. Es gibt z.B. auch freireligiöse Feiern zur Geburt, Jugendweihe (das haben die FREIRELIGIÖSEN erfunden), Hochzeit, und Begräbnis.

Myron hat geschrieben:Bei den Freireligiösen treffen sich also Leute mit ganz unterschiedlichen weltanschaulichen Ansichten, um sich über Gott und die Welt auszutauschen, was ihnen dabei hilft, sich über ihre eigene Gesinnung oder/und ihr Leben klarzuwerden.


Klar! Ist doch schön, dass es solche Gruppen gibt. Was war es für mich einen Erleichterung, als ich
endlich diesbezüglich wohlwollende Leute gefunden hatte, mit denen ich mich hemmungslos über lebensphilosophische Fragen austoben konnte, ohne dass im Hintergrund ein Grenzen setzender Gott oder sowas drohte. Und das gemeinschaftliche kommt auch nicht zu kurz.

Bin übrigens kein Skatspieler, mach ich nicht so gerne. Dafür anderes.
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Re: Die Freireligiösen

Beitragvon Myron » Mi 19. Aug 2009, 02:59

fritz-ferdinand hat geschrieben:Dass du daran nichts spezifisch Religiöses erkennen kannst, hängt damit zusammen, dass Religion im Allgemeinen mit Glauben an etwas Transzendentales, Jenseitiges verbunden wird. Man kann aber auch einen anderen Ansatz wählen. Z.B. sich fragen, wozu benutzt ein gläubiger Mensch für sich die Religion, und kann das auch eine innerweltliche, sog. säkulare Religion leisten? Etwa Welterklärung, Sinnfindung, Quelle der Ethik.


Religion ist zweifellos eine menschliche Institution mit mehreren Dimensionen, was es ja für die Religionswissenschaftler so schwierig—wenn nicht praktisch unmöglich—macht, den Begriff <Religion> klar und einheitlich zu definieren.

"According to Ninian Smart, religions have the following 'seven dimensions'. (...):
1. Practical and Ritual
2. Experiential and Emotional
3. Narrative and Mythic
4. Doctrinal and Philosophical
5. Ethical and Legal
6. Social and Institutional
7. Material [churches, temples, works of art, statues, sacred sites, and holy places like pilgrimage sites]"


(Keown, Damien. Buddhism: A Very Short Introduction. Oxford: Oxford University Press, 2000. p. 5)

Im Vordergrund meiner Betrachtungen steht Punkt 4, d.h. das dogmatisch-philosophische Grundgerüst einer Religion.

Diese sieben Dimensionen schließen die Möglichkeit einer nichtsupernaturalistischen, nichttranszendentalistischen Art von Religion nicht aus. Es gibt sogar eine Richtung, die sich "religiöser Naturalismus" nennt (siehe: http://www.religiousnaturalism.org oder "What is Religious Naturalism?"). Allerdings stellt sich insbesondere innerhalb des naturalistischen Kontextes die Frage nach der Bedeutung des Begriffs <Religiosität>. (Dabei ist vielleicht zwischen diesem Begriff und dem Begriff <Religion> zu unterscheiden, sodass man von einer "Religiosität ohne Religion" sprechen könnte. Auch der bedeutungsnahe Begriff <Spiritualität> ist in diesem Zusammenhang zu erwähnen.)

fritz-ferdinand hat geschrieben:Damit kommen wir zum Begriff Weltanschauung. Als Weltanschauungsgemeinschaft sind wir öffentlich-rechtlich anerkannt, und sind dem humanistischen Spektrum zuzurechnen.


Aber anscheinend nicht nur dem atheistisch-naturalistischen Humanismus, oder?

fritz-ferdinand hat geschrieben:Am Begriff Religion hat man festgehalten, aber ihn halt immer mehr umdefiniert, bzw, weiter gefasst.


Dabei besteht die Gefahr, dass er irgendwann zu einer leeren Worthülse verkommt, die schön klingt, aber eigentlich nichts mehr besagt.

fritz-ferdinand hat geschrieben:Das hängt auch damit zusammen, dass dem Begriff Religion unterschwellig immer die Eigenschaft von etwas Großem, Edlem und Ehrwürdigem zugeeignet wird, was anderen Begriffen wie Weltanschauung verweigert wird.


Ich habe seit längerem den Verdacht, dass "Spiritualität" im Grunde nur ein Synonym von "Sublimität" ist. Vielleicht verhält es sich mit "Religiosität" genauso.

fritz-ferdinand hat geschrieben:Das ist heute nicht mehr so der Fall. Etliche Freireligöse Gemeinschaften, die Freie Religion als "frei von Religion" uminterpretiert haben, haben sich den Humanisten angeschlossen (z.B. Württemberg), andere aber haben das explizit nicht getan (z.B. Mainz).


Zwischen den Lesarten "frei in der Religion" und "frei von der Religion" besteht in der Tat ein relevanter Unterschied (es sei denn, man spielt mit dem Begriff einer "religionslosen Religiosität").

Myron hat geschrieben:Klar! Ist doch schön, dass es solche Gruppen gibt. Was war es für mich einen Erleichterung, als ich
endlich diesbezüglich wohlwollende Leute gefunden hatte, mit denen ich mich hemmungslos über lebensphilosophische Fragen austoben konnte, ohne dass im Hintergrund ein Grenzen setzender Gott oder sowas drohte. Und das gemeinschaftliche kommt auch nicht zu kurz.


Wenn Menschen zusammenkommen, um frank und frei miteinander zu diskutieren, zu feiern oder sonstige Gemeinschaftserlebnisse zu haben, dann ist das an sich natürlich völlig in Ordnung, weil eben zutiefst menschlich.
Nichtsdestotrotz kommt es mir so vor, als könntet ihr eigentlich auf die Wörter "religiös" und "Religion" gänzlich verzichten und euch einfach "die Freigeister", "die Freidenker" oder vielleicht "die Freifühler" nennen.
Der Ursprung des Freireligiösentums liegt zwar in bestimmten fortschrittlichen Strömungen des Christentums, aber davon habt ihr euch doch mittlerweile—zumindest was die traditionellen Dogmen desselben angeht—äußerst weit entfernt, um nicht zu sagen vollständig gelöst.
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Re: Die Freireligiösen

Beitragvon Mark » Mi 19. Aug 2009, 12:18

fritz-ferdinand hat geschrieben:Hallo Leute,
...Ich habe auch eine Weile gebraucht, bis ich mir klar gemacht habe, was das Kennzeichnende bei den Freireligiösen ist: Es sind nicht die Inhalte, sondern die Methode, sozusagen. Jeder Freireligiöse ist aufgefordert, sich und die Welt imn Rahmen seiner Möglichkeiten genau zu BEOBACHTEN, über alles NACHZUDENKEN, zu prüfen ob er das auch von seinem BAUCHGEFÜHL her akzeptieren kann, und aus allem unter heftigester Verwendung seines VERSTANDES seine eigenen logischen SCHLÜSSE zu ziehen. Er soll glauben, was er WIRKLICH glaubt, also auch tatsächlich glauben KANN, und nicht, was vielleicht nett wäre zu glauben, insbesondere nicht, was ihm irgeneine Offenbarung einzureden versucht, oder weil alle anderen ringsherum irgendetwas bezeugen. Im Selbstverständnis sind die Freireligiösen in der Aufklärung verankert (Wage es, dich deines Verstandes zu bedienen!)...


Also in dem Sinne : "Sei Deine eigene lebendig evolvierende Religion" ?
Das ist cool, unterbewusst mache ich ja seit jeher nichts anderes, und bewusst möchte ich auch künftig nichts anderes mehr tun ;-)

Aber was sind denn die üblichen Strukturen die das Leben eines Freireligiösen durch seine "Mitgliedschaft" erfährt ? (Feiern, Treffen, Hilfen welche die Gemeinschaft für die Mitglieder anbietet, Armenhilfe etc ?)
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Re: Die Freireligiösen

Beitragvon fritz-ferdinand » Mi 19. Aug 2009, 15:29

@Myron

nicht NUR dem atheistisch-naturalistischen Humanismus, da hast du recht. Aber das kommt wieder auf den jeweils Einzelnen/Gruppe an. Die Unterschiede sind nicht besonders groß, insbesondere gibt es auch bei den "allerreligösesten" bei uns niemanden, der eine Autorität akzeptieren würde, die ihre Gebote und Prinzipien oder Zukunftspläne aus dem Jenseits auf die zu gehorchende Menschheit herabschleudern würde. Das "göttlichste" ist praktisch nur die Natur als eine Ganzheit, oder eine Vorstellung z.B. irgendeiner unpersonalen (Lebens-)Kraft, durch die das Universum samt Naturgesetzten in die Existenz explodiert ist, sozusagen. Insofern sind die Freireligösen eine Religion ohne Überraschungen wie Wunder oder Erscheinungen. Aber wie gesagt, das sind manche.

Die atheistischeren sind halt durchaus auch geneigt, den Begriff Religion aufzugeben (frei von Religion) und z.B. zum Humanistischen Verband überzutreten, der da ja die "reine" atheistische Lehre vertritt. Aber diejenigen, die am Begriff Religion festhalten, sind halt nicht nur sengend rational und prinzipiell ausgerichtet, sondern wollen auch schöne, kulturelle, naturfreudige, oder auch besinnliche, betrachtende Elemente im Gemeindeleben eingebunden wissen. Die dann vielleicht auch etwas für Veranstaltungen mit Kerzen und Blumen und Musik übrighaben, usw. Man darf die sinnliche Seite dabei nicht unterschätzen, auch wenn das bloß nach äußerer Form aussieht. Das meinte ich mit "milderer" Ausrichtung. Aber naja ....

Mit Freidenker, Freigeister usw. hast du da nicht unrecht, von der Ferne her stehen alle diese Richtungen ziemlich enge beieinander, aber je näher sich Gruppierungen sind, desto schärfer bestehen sie auf unterscheidende Nuancen :-)

Freifühler ist übrigens ein GANZ TOLLES Wort, Vielen Dank

@ Mark

"Sei Deine eigene lebendig evolvierende Religion". Damit triffst du es ziemlich genau. Allerdings heißt frei hier auch nicht willkürlich, sondern "frei, zu seinen eigenen Schlüssen zu kommen". Insbesondere auch die wissenschaftlichen Erkenntnisse zu verfolgen. Wenn du also daran glauben würdest, die Erde würde auf vier großen Schildkröten durch das Weltall getragen, fändest du kein Verständnis. Auch nicht, wenn du an Engel oder den Einfluß der Sterne glauben würdest. Andrerseits wäre eine ernsthafte These die Weiterentwicklung der Welt durch immer größere geordnete Komplexität. Wenn das tatsächlich eine ansteigende und nicht nur eine wellenförmige Entwicklungslinie ist, was noch aufzuzeigen wäre.

Was die freireligösen Strukturen betrifft, da googlest du dich am besten unter dem Stichwort Freireligiöse mal nach, in Bayern ist glaube ich der bund für geistesfreiheit (eher atheistisch) der nächste Verwandte. Guck aber nicht nur eine Homepage an, sondern mehrere, und dann auch die Links, wo die alle Mitglied sind (Dachverbände will ich nicht sagen). Leider (ich sage leider) sind, wie gesagt, die Freireligiösen etwas überaltert, du solltest dich da vielleicht beeilen, seufz.
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