Die Süddeutsche Zeitung hat heute auf S.11 (erste Seite des Feuilletons) einen recht langen Artikel von Andreas Zielcke zu dem Thema gebracht, der auch online eingesehen werden kann:
Die billige Münze der PolemikIch finde, dass der Artikel im Großen und Ganzen richtig liegt. Den Papst wegen "Verbrechen gegen die Menschlichkeit" anzuklagen, ist fernab der Realität, da es nicht um systematische Verbrechen gegen die soziale Gruppe "Kinder" geht. Für eine Anklage wegen Beihilfe fehlt, das wird weiterhin korrekt moniert, der Vorsatz und es wäre auch nicht möglich, den Papst dafür so zu verfolgen, wie es Dawkins, Hitchens und ihr Staranwalt Robertson planen.
Die Kirche hat unheimlich viele Verbrechen zu verantworten und Ratzinger ist auch nicht gerade das Unschuldslamm, das er nach dem Konstrukt der eigenen Lehre als Oberchrist sein sollte, aber die Anklage geht an der Realität weit vorbei und eröffnet einen Schaukampfplatz, der den Fundamentalisten in der Kirche ideale Propagandamunition liefert, mit dem sie die Ankläger in den eigenen Reihen übertönen und vom eigenen Versagen ablenken können. Hitchens und Dawkins setzen sich zudem der Gefahr aus, als Opportunisten angesehen zu werden, weil sie einen Fall, der sich auf ein Spezialproblem in einem religiösen Umfeld beschränkt, lautstark für ihre allgemeine Religionskritik einsetzen. Das Ganze sieht schon ziemlich nach unkoordiniertem Dreinschlagen bei jeder sich bietenden Gelegenheit aus und es ist nicht das, was ich von dem unaufgeregten und souveränen Richard Dawkins erwartet hätte. Bei Hitchens wundert es einen auch und zwar insofern, als das der SZ-Artikel auch auf seine brilliante Anklageschrift gegen Henry Kissinger aufmerksam macht, wo Hitchens sich wesentlich mehr Mühe mit einer stringenten und unanfechtbaren Darlegung seiner Argumentation gemacht hat.
Insgesamt ist die Aktion meiner Meinung nach ein Schuss in den Ofen, der sich von der Kirche prima ausschlachten lässt und zur Mobilisierung der eigenen radikalen Anhänger genutzt werden kann (und wird!), womit erstmal Ablenkung eintritt und der Druck zu Reformen abgelenkt wird auf so einen Stellvertreterschauplatz.
Ich kann die Kirche ja auch nicht leiden, aber was die beiden da veranstalten erinnert an einen schmutzigen Trick und wird nur auf beiden Seiten unnötig Emotionen hochkochen lassen. Wenn ich an die Opfer denke, so kann ich mir kaum vorstellen, dass denen eine Ideologisierung der Debatte von Nutzen sein wird.
Überhaupt erinnert das an den Werdegang des Wortes "Terrorismus". Seit 9/11 ist alles plötzlich jeder ein "Terrorist", egal ob Dissident in einem diktatorischen Regime, Widerstandskämpfer gegen eine fremde Besatzungsmacht, einfach jeder, der gebrandmarkt werden soll und wo die Öffenlichkeit jede Spur von Mitleid angesichts brutaler Verfolgung verlieren soll. Der Effekt ist natürlich der, dass der eigentliche Terrorismus banalisiert wird und in ideologischen Grabenkämpfen zerschlissen wird und ganz ähnlich kann es der Anklage "Verbrechen gegen die Menschlichkeit" gehen, wenn noch mehr Leute auf die Idee kommen, jeden, den sie nicht ausstehen können und der irgendwann mal mit Dreck in Berührung kam, gleich mit der menschenrechtlichen Superkeule zu bedrohen. Sie erweisen dieser Anklageform einen Bärendienst, indem sie sie für ihre Zwecke einspannen. Daraus kann nur ein Schwarz-Weiß-Denken werden, eines, das die Welt in solche einteilt, die Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen haben und solche, die es nicht tun. Ratzinger ist, das ist den beiden wohl klar, aber nicht im Sinne eines Genozids oder sytematischer Folter oder Vergewaltigung von Bevölkerungsgruppen schuldig. Ratzinger ist "bloß" ein verantwortungsloser, verstockter alter Mann und so sehr man ihn ablehnen kann, darf man nicht die ultimative aller Anklagen entwerten, indem man sie ihm um die Ohren haut um mediale Aufmerksamkeit zu erhalten.
Ich kann die beiden ehrlich gesagt nicht verstehen. Dass Gläubige angesichts solcher Aktionen von atheistischen Hetzern sprechen, kann ich da nachvollziehen, auch wenn ich Religion für potentiell verheerend und den Vatikan für eine mafiöse Struktur halte. Bei Dawkins und Hitchens kann man aber nun schon fast selbst eine religiöse Überhöhung ihres Feindbildes Religion erkennen, ein Zug, den ich bisher zumindest bei Dawkins so nicht wahrgenommen habe.
Man würde sicherlich eine ganze Menge Dinge finden, wofür man Kirchenvertreter in jeder Hinsicht ordentlich anklagen kann, da sollte man lieber das tun.