Ken Wilber

Re: Ken Wilber

Beitragvon Vollbreit » Mo 12. Dez 2011, 08:36

Teh Asphyx hat geschrieben:Meinst Du das Sein oder das Seiende?


Ich hatte Marx im Hinterkopf, aber bei der Frage müsste ich sagen, das Seiende.

Teh Asphyx hat geschrieben:Auf jeden Fall ist da was dran, ich denke zum Beispiel, dass die Frauenbewegung zu einem Großteil auch den technischen Möglichkeiten der Zeit zu verdanken ist. Aber dass die Frau unterdrückt war hat nichts damit zu tun, dass es diese technischen Möglichkeiten vorher nicht gab, da es schon früher mehrere Matriarchate gab (nicht nur personell sondern auch strukturell). Auch sehe ich die Frauenbewegung nicht so sehr als Befreiung aus patriarchalen Strukturen, sondern nur als Bewegung zu der Möglichkeit, dass Frauen ebenso an diesen Herrschaftsverhältnissen teilhaben dürfen.


Ist glaube ich was dran. Mit dem technischen Fortschritt ist die Bedeutung der Muskelkraft nahezu verschwunden.

Teh Asphyx hat geschrieben:Der westliche Kapitalismus hat da ganz eigene interessante Formen dieser Herrschaft entwickelt, die vielleicht die perverseste Form ist, die die Welt je gesehen hat, indem einem die Illusion gegeben wird, man würde sich selbst verwirklichen und seinem Begehren nachgehen, um einen letztlich die Möglichkeit zu rauben, tatsächlich seinem Begehren nachzugehen. Und mein Kritikpunkt an spirituelle Bewegungen (allen voran der Buddhismus) und Esoterik ist nicht wie bei den Skeptikern, dass es sich dabei um Spinner halten würde (was eben nicht der Fall ist), sondern dass sie ohne es zu wissen, obwohl sie sich für alternativ halten, genau in dieses Verhältnis reinspielen und ebenso dazu dienen diese Illusion aufzubauen. Deswegen sprechen alle davon, dass jeder Mensch nach Glück streben würde.
Für mich stellt sich immer noch die Frage in Bezug auf diesen Thread, ob Ken Wilber da einen Weg raus sucht, oder einen gefunden hat, der da genau wieder reinführt.


Wie schon mal zitiert, ist Wilber der Auffassung, dass man Rollen auf ablegen, über die hinauswachsen kann. In langen Fußnote in EKL geht er auf dasVerhältnis von Oberflächen und Tiefe ein und behandelt dort auch diese Frage.

Teh Asphyx hat geschrieben:Dagegen, dass Precht versucht, für den Normalsterblichen verständlich zu sein, habe ich nichts. Die Grenzwertigkeit betrifft seine Inhalte. Da habe ich das wohl missverstanden.
Was die Riege der Kollaborateure … äh … Mainstream-Akademiker zu jemanden sagt, interessiert mich eher herzlich wenig, bzw. sehe ich es schon fast als Hinweis auf Qualität, wenn da einer abgelehnt wird.


Och, die sind mitunter schon außerordendlich gut. Aber es gibt Philosophen, die geben sich nicht mal im Ansatz Mühe von Normalsterblichen verstanden werden zu können.

Teh Asphyx hat geschrieben:Ich finde ihn da auch etwas unklar, weil er auf der anderen Seite auch behauptet, ein Interesse an dem Bedürfnis nach Transzendenz zu haben (irgendwo habe ich das Gerücht vernommen, dass er selbst mal Zen praktiziert hätte). Da gleichzeitig so abwertend zu sein scheint mir etwas paradox.


Jetzt habe ich den Faden verloren und weiß grad nicht mehr von wem die Rede ist.

Teh Asphyx hat geschrieben:Selbst wenn es ein Durchbruch zu den Triebwünschen ist, ist es ja interessant. Allerdings weigern sich manche doch sehr vehement gegen eine solche Auffassung, weil sie unbedingt wollen, dass es etwas echt übernatürliches war.
Aber ich kenne halt auch Menschen – deswegen meine These des dritten Typen –, die tatsächlich über einen anderen auf solche Erfahrungen kommen, also dadurch dass man sich selbst so sehr wünscht, dass der andere eine spirituelle Erfahrung hat (zum Beispiel bei gemeinsamer Meditation) bekommt die andere Person auch für den, der es wünscht, diese Erfahrung.
Dieses Phänomen scheint mir überhaupt erst ausschlaggebend dafür zu sein, dass Menschen mit Interesse an Spiritualität sich ganz oft eine Gruppe gleich gesinnter suchen, nicht anders bei Religion. Das hieße, dass auch der Glaube und die Spiritualität keine Sache im Menschen selbst sind, sondern eine intersubjektive Erfahrung, etwas, was eigentlich auf der Beziehungsebene stattfindet. Und wer das als Transzendenz des Ich auffasst, liegt auch nicht falsch damit, denn es ist dann ja das pure Erlebnis dessen, dass das Ich immer auch im Anderen ist.


Ich glaube es ist beides. Dem Löwenanteil macht man glaube ich schon im stillen Kämmerlein, aber dann kann es auch Phasen geben, wo man mit anderen zusammen was erlebt.

Teh Asphyx hat geschrieben:Ich erlebe diese Transzendenz übrigens regelmäßig durch die Musik.
Ich finde, eine sehr einfache Art, eine Transzendenz des Ich zu erleben (und das ist auch mein stärkster Einwand gegen einen radikalen Konstruktivismus) ist, irgendetwas anzusehen und festzustellen, dass die Wahrnehmung dieses Etwas nicht in mir, sondern außerhalb von mir stattfindet. Wenn ich gerade beim Schreiben den Bildschirm betrachte, dann ist meine Wahrnehmung im Bildschirm und nicht in meinen Augen oder in meinem Gehirn (trotz dessen, dass da biologisch gerade etwas passiert). Nicht ich konstruiere, dass etwas um mich herum ist, sondern da ist etwas, außerhalb von mir, was mein Bewusstsein bewirkt. Mein Bewusstsein befindet sich also immer zwischen mir und den Dingen, die ich wahrnehme und ist somit selbst eine Beziehung, die die biologischen Vorgänge in meinem Gehirn bewirkt.


Da kann man sich endlos drüber streiten, aber ein wichtiger Punkt (den der frühe Wilber mal schön abgehandelt hat) ist in der Tat, zu was von sich man eigentlich „Ich“ sagt.
Hat man das Gefühl Gehirn zu sein und der Körper ist nur so eine Art Lasttier? Gibt es Bereiche der Psyche zu denen man „Ich“ sagt und dann zu anderen nicht? Fühlt man sich mit dem ganzen Körper eins und sagt zu ihm „Ich“? Und so weiter, ist schon sehr aussagekräftig.

Teh Asphyx hat geschrieben:Du sprichst konkret von Achtsamkeits-Meditation, richtig? Es gibt ja auch Energie-Meditation aus dem Tao Yoga, damit hab ich mich nämlich mehr (praktisch) befasst und da gibt es doch ein paar signifikante Unterschiede.
Das Problem bei mir, als ich Achtsamkeits-Meditation ausprobiert habe, war, dass ich da fast eine Panik-Attacke bei bekommen habe, weil da alles durcheinander lief und kein Fokus da war.


Was ich jetzt meinte, was Zen, aber die sind ja sehr ähnlich, die Disziplinen.
Zen hat den Vorteil, dass man die Augen auf hat, das erdet und in einer sehr struktuierten Umgebung ist. Wenn Dir das Schwierigkeiten dieser Art bereitet, würde ich es aber lassen oder nur unter Aufsicht und nicht zu lange praktizieren.

Teh Asphyx hat geschrieben: Mich erinnerte das sehr an den Effekt von THC oder Alkohol, möglich dass es auch deswegen gut in der Schmerz- und Stress-Therapie zu gebrauchen ist, stellt dann aber letztlich nichts weiter als eine Ersatzdroge dar. Es lag allerdings auch klar an der Anleitung, dass das so aus dem Ruder lief (nicht an der Person, die es angeleitet hat, sie hat es nach bestem Gewissen gemacht, sondern an völlig falsch gelehrten Techniken).


Eigentlich ist Meditation das genaue Gegenteil von Droge, sie soll ja die Klarheit und Wachheit steigern.

Teh Asphyx hat geschrieben:Die Beschreibung erinnert mich auch an einen THC-Rausch, von meiner Erfahrung her (ist schon sehr lange her, dass ich so was zu mir genommen habe, der Grund, dass ich ganz schnell damit aufgehört habe, hat was damit zu tun, dass ich gemerkt habe, dass der Rausch nur eine Illusion war, der mich echte transzendente Erfahrungen über die Musik sogar verbaut hat).


Mich hat das ehrlich gesagt in keiner Weise an einen THC-Rausch erinnert.

Teh Asphyx hat geschrieben:Ich kann verstehen, dass so eine Erfahrung etwas faszinierendes, anziehendes und auch süchtig machendes hat, aber ich weiß nicht … irgendwas wurmt mich da (was wie gesagt auch mit eigener Erfahrung und weniger mit intellektueller Herablassung zu tun hat).


Naja, eine Panikattacke ist nichts was man will, kann ich gut verstehen, insofern wäre ich da auch vorsichtig, aber süchtig machend ist Meditation nun nicht.
Es gibt andere Techniken die LSD ähnliche Erfahrungen ermöglichen, aber Meditation der genannten Form, ist eigentlich recht stabiliserend und öde.

Teh Asphyx hat geschrieben:Vor allem habe ich das Gefühl, dass die meisten ihr Ich aufgeben wollen, bevor sie sich selbst überhaupt entdeckt haben.


Das Gefühl hast Du völlig zurecht und es ist ein großes Problem!

Teh Asphyx hat geschrieben:Das ist dann am Ende mehr Selbsttäuschung als Erleuchtung (ich weiß nicht, ob das nur Zufall ist, aber fast alle Buddhisten, die ich kennengelernt habe, die sich so nannten, hatten einen starken Hang zum Alkohol). Da will man wohl irgendwie gleich das Kind mit dem Bade ausschütten. Das ist wahrscheinlich auch ein Problem daran, dass man diese Erfahrungen, die es anzustreben gilt, nicht intersubjektiv ausdrücken kann (und das oft auch ausdrücklich ablehnt).


Doch, man kann sie ausdrücken, nur nicht aufsagen, das ist ein Unterschied.

Teh Asphyx hat geschrieben:Hm, ich hatte eigentlich immer den Eindruck, dass es eher darum geht, solche Werturteile gar nicht mehr zu haben.


Das ist irgendwann draus gemacht worden.

Teh Asphyx hat geschrieben:Ich denke nur, dass das am Problem in der jetzigen Gesellschaft vorbei zielt, da die Menschen gar nicht Ego-Fixiert sind, sondern auf einen nicht existenten Anderen, wobei aber die Fixierung ein Handeln auslöst, das aussieht wie reine Egomanie. Ich sehe das Problem viel eher darin, dass es so wenig Empathie gibt, weil es kein richtiges Ego mehr gibt und ein weiterer Versuch, vom Ego wegzukommen, ist da eher kontraproduktiv. „Ego cogito, ergo sum“ und „Life is real only then, when ‚I am’“.”


Hier bin ich Deiner Meinung. Empathiemangel ist ja geradezu ein Synonym für Egofixiertheit, aber ich stimme Dir zu, sich dem anderen gegenüber zu öffnen, heißt immer auch sich selbst gegenüber zu öffnen.. Dass man hier so schroff unterschieden hat ist auch eher eine Note, die durch die westliche Interpretation reingekommen ist. Die Buddhisten (hier auch die, für die der Buddhismus nicht Volksreligion ist, die genauso konventionell interpretiert, wie andere Religionen auch) wollen Leid verringern und wenn man selbst leidet, wendet man sich dem zu, leiden „andere“ wendet man sich ihnen zu und das eigentlich in ganz einfacher und direkter Weise.
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Re: Ken Wilber

Beitragvon Teh Asphyx » Mo 9. Jan 2012, 22:28

Vollbreit hat geschrieben:
Teh Asphyx hat geschrieben: Das halte ich auch gerne dem ganzen Bildungswahn entgegen, ich meine nämlich, dass Bildung völlig überschätzt wird, wenn Leute ernsthaft behaupten, dass eine flächendeckende „gute“ Bildung dazu führen würde, dass keiner mehr „dumme“ Gedanken hätte (oder es keine Ideologie mehr gäbe). Man würde die „dummen“ Gedanken einfach nur viel komplexer artikulieren.


Lustig, hab eben nen link bekommen, indem jemand dasselbe vorträgt.


Liegt auch daran, dass Bildung an sich schon die völlig falsche Motivation darstellt. Wichtiger wäre es, Entwicklung zu fördern, indem man Ressourcen (materiell und ideell) zur Verfügung stellt und Gedanken, Gefühle und Wünsche auffängt und reflektiert, also eigentlich vor allem einen Menschen möglichst wenige Barrieren in den Weg stellt.

Vollbreit hat geschrieben:
Teh Asphyx hat geschrieben:Dann unterstelle ich ihm da [Deleuze/Guattari – V.] einen wirklich bedeutenden Mangel. Ich halte die Holon-Theorie im Sinne einer Baumhierarchie zwar für einen interessanten, aber überholten Ansatz, das Rhizom scheint mir weitaus realistischer, weil es in alle Richtungen offen ist.


Mag sein, ich kenne es ehrlich gesagt auch nicht.


Ich kann es Dir ja mal kurz und bündig zusammenfassen:
Die klassische Baum-Hierarchie geht davon aus, dass es Holone gibt, die über- und untergeordnete Holone gibt, aber eben ein Holon auch in sich etwas abgeschlossenes darstellt.
Beim Rhizom gibt es nichts abgeschlossenes, da prinzipiell alles mit allem an jeder Stelle verbunden sein kann, es gibt also keine klar getrennten Systeme oder Holone, wobei sich trotzdem Grenzen definieren lassen, die aber eben immer unscharf sind. Hier sehe ich auch eine deutliche Parallele zur Quantenphysik.

Hier denke ich, ist es bedeutsam, die richtige Gratwanderung zu machen, indem man zwar von einem universalistischen Kategoriendenken weg kommt, ohne sich aber in einem totalen Relativismus zu verlieren (denn das Rhizom ist kein totaler Relativismus).
Vor allem ist dazu aber viel Bewusstseinsarbeit erforderlich, da umzudenken, weil man so daran gewöhnt und sozialisiert ist, in Kategorien zu denken und einem die Welt dadurch schon tatsächlich so vorkommen kann.

Vollbreit hat geschrieben:Doch, verstehe ich, ist ziemlich genau die Sicht von Wittgenstein und seinem Käfer in der Kiste.
Ist aber m.E. nicht zu Ende gedacht, was aber von Thema wegführt und entsetzlich viel Schreibkram ergibt, können wir ja mal im Hinterkopf behalten.


Gerne, ich denke auch nicht, dass wir damit schon am Ende sind, aber als grober Leitfaden dafür, was man als objektiv bezeichnen kann, ist es schon nützlich.

Vollbreit hat geschrieben:
Teh Asphyx hat geschrieben: Ich weiß nicht genau, wie ich das sprachlich erklären kann, aber ich habe irgendwann die Erkenntnis gehabt, dass ein Mensch seinen Wert dadurch hat, dass „er ist“.


Vielleicht so: Die Würde des Menschen in unantastbar.


Das präzisiert es nicht genug, finde ich. Außerdem muss das als tiefes Erkennen funktionieren, solch ein einfacher Satz hilft da nicht unbedingt (es wird die Würde der Menschen ja auch viel zu oft angetastet, oder Menschen sogar immer mehr dahin getrieben, ihre Würde „freiwillig“ aufzugeben).

Vollbreit hat geschrieben:Eine nicht ganz unberechtigte Frage, aber es gibt da schon Kriterien, nämlich wirklich am Text zu bleiben. Richtig toll erklärt hat das mal Rainer Stach, im ersten Teil seiner großartigen Kafka Biographie (um mal bei der freien Assoziation zu bleiben).


Da bleibt er aber auch. Hegel ist wirklich ziemlich verworren, ich finde es gerade da schwierig, die eine richtige Interpretation haben zu wollen. Außerdem geht es Žižek da auch um etwas anderes, er bringt ja viele Dinge in neuen Kontext, um dadurch auf neue Erkenntnisse zu kommen, er lässt quasi seine Gedanken ständige dialektische Antagonismen austragen, um mit neuen Synthesen voranzukommen, er verwendet Hegel also viel weniger inhaltlich als eher strukturell und das macht er meines Erachtens völlig richtig. Natürlich führt das auch dazu, dass er Hegel mit Hegel und gegen sich selbst neu liest.
Wie weit bist Du eigentlich mit „Die Tücke des Subjekts“? Ich habe es inzwischen durch und finde es ziemlich genial (obwohl es da auch ein paar Kleinigkeiten gibt, mit denen ich nicht ganz einverstanden bin, aber es sind wirklich nur Kleinigkeiten).

Vollbreit hat geschrieben:Was kannst Du denn von Gurdjeff empfehlen, ich habe „Begegnungen mit bemerkenswerten Menschen“ hier, aber bei den zwei drei Versuchen das zu lesen, ist der Funke nie übergesprungen.


Ich würde, so wie er es auch gedacht hatte, mit „Beelzebubs Erzählungen für seinen Enkel – Eine objektiv unparteiische Kritik des Lebens des Menschen“ anfangen. Das zieht auch wesentlich mehr in den Bann, weil das eine ziemlich eigene Erzählstruktur hat und halt als Science-Fiction-Roman geschrieben ist. Das Interessante ist, dass er halt nicht die Absicht hat, einen dort von irgendwelchen „Wahrheiten“ überzeugen zu wollen, sondern es einfach nur das kritische Denken an sich anregen soll sowie eingefahrene Denkmuster zerstören/auflösen und das ist ihm ziemlich gut gelungen (sofern man sich darauf einlässt). Danach lesen sich auch die „Begegnungen“ ganz anders.

Vollbreit hat geschrieben:Heidegger macht das Fass ja gerade andersrum auf. Der negiert das Subjekt sehr radikal, aber eben vor dem Hintergrund seiner lebensweltlichen und vorsprachlichen Eingebundenheit. Heidegger sagt die sprachliche Subjekt-Objekt-Spaltung ist das, was ein isoliertes Subjektsein überhaupt erste ermöglicht, was sonst so gar nicht gegeben ist, weil das Subjekt (Dasein) eben immer schon mit Welt umgeht und in Welt geworfen ist.


Ich hatte trotzdem nicht das Gefühl, dass das Subjekt dadurch negiert ist, ihm kommt nur eine andere Rolle zu.

Vollbreit hat geschrieben:Was mir dabei wichtig ist, ist, ob sich die Probleme dann auch tatsächlich auflösen, also psychisch erlebbar oder ob das ein semantischer Trick ist.


Ich denke das ist psychisch definitiv erlebbar. In Frankreich wird die Psychoanalyse nach Lacan durchaus angewendet und hat auch gute Ergebnisse. Die Autorin Corinne Maier hat eine solche Psychoanalyse hinter sich und hat auch ein leicht verständliches Buch über Lacan geschrieben mit dem Titel „Die Entdeckung des Begehrens – Über die Kunst, unsere Triebe und Neurosen gelassen zu betrachten“.
Man muss bei Lacan aufpassen, dass man von seiner Person (er war ein ziemlicher Selbstdarsteller) keine falschen Schlüsse auf seine Theorie schließt. Diese Selbstdarstellung hatte einen gewissen Grund, nämlich, dass er sich in seinen Seminaren selbst als Analysant betrachtete und sein anwesendes Publikum sein Analytiker war und sich über die Erfahrung auch die Methode aufgebaut hat. Das ist natürlich nach üblichen akademischen Standards eine sehr umstrittene Methode, aber ich denke auf die Psychoanalyse bezogen durchaus konsequent. Für die, die es lieber methodisch konservativ mögen gibt es ja mittlerweile mehr als genug Sekundärliteratur.
Ach ja, dazu kommt noch, dass es Lacan nicht darum ging, Menschen zu „heilen“ oder sie an die gesellschaftlichen Bedingungen anzupassen, sondern auch mehr um eine Art Bewusstseinserweiterung könnte man sagen, dies allerdings auf einer wissenschaftlichen Basis und nicht auf irgendwelche esoterische Art.
Aber gut, wir sind ja eigentlich bei Wilber … aber ich denke halt, dass es nicht schaden kann, Lacan irgendwo zumindest auch in das Wilber’sche System zu integrieren und zu schauen, welche Konsequenzen das hat. Würde mich auch mal interessieren.

Vollbreit hat geschrieben:Ja, damit bist Du nicht alleine, das ist eine der Meinungen die glaube ich momentan recht stark sind, im Grund ist es die Variante Evolution ist richtungslose Anpassung.
Ich sehe es etwas anders, bin da aber eher Außerseiter.


Ich weiß nicht, ob das einfach ein Fehler aus Unachtsamkeit ist, aber ich lese selbst von Wissenschaftlern immer wieder leichtfertige Behauptungen, dies oder jenes diene diesem oder jenem Zweck und darauf aufbauend kommen dann die abstrusesten Theorien zustande.
Ich denke, dass Evolution keinen Zweck und keine Richtung hat, sich aber trotzdem auf natürliche Weise immer komplexere Strukturen bilden. Das hat wieder viel mit Dialektik zu tun (langsam komm ich da echt rein, vor einem Jahr konnte ich damit noch nicht viel anfangen). Vielleicht sehen wir das also gar nicht so unähnlich. Ich bin jedenfalls was die Entwicklung angeht eher wertfrei, sodass ich keine Entwicklung zum „Besseren“ sehe, sondern nur zum „Komplexeren“.

Vollbreit hat geschrieben:Das hieße, wenn ich es mal überspitzen darf, dem guten Ken die Eier abzuschneiden.


Muss nicht, ich denke, dass man das, was er hat, auch umstrukturieren kann, ohne dass es wertlos wird. Es ist etwa so ähnlich wie dass ein analytischer Sprachphilosoph nichts verliert, wenn er auch mal versucht, sich auf den Poststrukturalismus einzulassen, ebenso wenig umgekehrt (wobei analytische Philosophie echt ätzend trocken und langweilig sein kann, aber das ist noch mal was anderes).

Vollbreit hat geschrieben:Der ist Hierarchie-Freak durch und durch, allerdings muss man ihm zugute halten, dass er auf Kritik, die er offensichtlich erhalten hat reagiert und nachgebessert hat. Dabei hat er immer mehr Feinheiten eingeführt, […] ich kenne Wilbers Werk glaube ich sehr gut und bin da auch nicht ungeschickt, wie auch immer, ich habe es dann wieder gelassen, weil es zu ausschweifend war und mir auch Wilberianer nicht sagen konnten, woran nun genau ich die ästhetischen Entwicklung von jemandem erkennen kann, also auch welchem Entwicklungs-Level er ist.


Genau das meine ich in Bezug auf Vereinfachung. Irgendwann artet so ein System so weit aus, produziert aber doch immer wieder neue Probleme aus sich selbst heraus, dass es zu einem endlosen Prozess wird, bis es unüberschaubar wird.
Die Kategorien, die er gefunden hat werden ja nicht ungültig, wenn man sie in ein anderes System überträgt. Das Rhizom ist so weit ich weiß auch zum ersten Mal als Idee (damals hieß es nicht so) entstanden, als Diderot und Konsorten die Enzyklopädie schreiben wollten und feststellten, dass eine Baumhierarchie der Sache nicht gerecht wird, weil es Begriffe gibt, die übergreifend in verschiedene Kategorien gehören. Das war so quasi die Entstehung der Idee zum Hypertext (dazu gibt es auch wieder von Umberto Eco wohl einiges). Websites bauen meistens auf rhizomatische Strukturen auf, bei Wikipedia ist das auch gut ersichtlich mit den ganzen Hypertextverweisen und so, da ist das schon ein ziemlich komplexes rhizomatisches System. Wäre es rein hierarchisch aufgebaut, würden ganz viele Querverweise und somit auch Zusammenhänge fehlen.
Das AQAL-Modell ist aber auch sicher nicht das schlechteste. Immerhin – und da ist Wilber wirklich weit – hat er auch damit festgestellt, dass jemand tiefe mystische oder philosophische Erfahrungen haben kann und trotzdem gleichzeitig menschenverachtendes nationalistisches Gedankengut o.ä. Nicht umsonst ist „braune Esoterik“ auch ziemlich verbreitet, obwohl man ja meinen könnte, das die spirituelle Suche eher etwas friedensstiftendes ist.

Vollbreit hat geschrieben:Das eintüten in Hierarchiesysteme und andere Schubladen ist nicht unbedingt ein Akt des Gehorsams, sondern eine Orientierung und bei Wilber ein Fetisch.


Das wollte ich damit auch nicht sagen, aber eine solche Orientierung birgt immer Gefahren mit sich, vor allem je steifer und dogmatischer die Schubladen sind.

Vollbreit hat geschrieben:Ich kenne die Vorbehalte dagegen, aber ich habe da immer wenig Bauchschmerzen. Jedes System muss zusammenfassen und wird niemals dem Einzelnen in seiner Individualität vollkommen gerecht. Das ist so, aber dafür sind es ja auch zusammenfassende Systematisierungen. Wenn ich Blutgruppe A habe, beschreibt das ja nicht mein ganzes Sosein, behauptet aber auch niemand. Aber das scheint ne Neigungssache zu sein, ich liebe den Krempel.


Um so mehr muss es die Möglichkeit geben, sich immer mehr dem Individuum anzunähern.
Und vor allem sollte man dieses Unten-Oben-Schema wirklich vermeiden, da es eine Anmaßung darstellt.

Vollbreit hat geschrieben:
Teh Asphyx hat geschrieben:Das Problem ist nur, dass sich durch diese Grenzziehung ziemlich viel Mist behaupten lässt. Wenn dann alle Medien titulieren „Die Tat eines Wahnsinnigen“, dann führt man die Menschen damit (absichtlich?) dahin, einer solchen Bedrohung machtlos gegenüber zu stehen. Und selbst die gebildetsten Menschen hier können aufgrund eine solch „unverständlichen“ und „willkürlichen“ Tat nur den Kopf schütteln und sich empören – und anschließend wiederholt sich die Geschichte einfach immer wieder.


Okay aber wir müssen uns ja die Medien nicht zum Vorbild nehmen und es gibt da eine Fülle seriöser Forscher die sich Jahrzehnte lang den Hintern aufgerissen haben auch dem Gebiet und das muss man sagen, Wilber kennt sie alle.


Das Problem ist aber auch, dass die Psychologie und die Pädagogik versuchen, solche Menschen zu pathologisieren, nicht anerkennen, dass es Gründe gibt, die nicht pathologisch sind, sondern genauso wie jedes Verhalten aus den gesellschaftlichen Bedingungen heraus entstehen. Breivik hat die gängige Ausländerpolitik einfach nur etwas konsequenter gedacht und meinte, dass er tätig werden muss, weil die „sozialistische“ Regierung es noch nicht genug wird.

Vollbreit hat geschrieben:Juoah, da könnte was dran sein. Dennoch Potenz ja, aber die Frage ist, was gelebt wird, was dominiert. Und da bin ich froh, dass es heute sehr genaue Kriterien gibt, um die Frage Psychose (auch atypische) oder nicht zu klären, das ist wirklich ungemein hilfreich.


Ich habe ein ernsthaftes Problem damit, Menschen in geistig „krank“ und „gesund“ zu unterteilen. Meines Erachtens ist das immer ein Paradigma und hängt mit gewissen, sich daraus ergebenden Interessen zusammen. Da sollte man unbedingt sehr kritisch sein. Dass es Symptome gibt, bezweifle ich dennoch nicht, aber die Ursache muss nicht unbedingt (nur) innerlich sein und da greifen die meisten psychologischen Richtungen viel zu kurz. Mit der Psychoanalyse habe ich da die wenigsten Probleme.

Vollbreit hat geschrieben:Das ist ein weites Feld. Aber wenn man gute Kriterien hat (und die hat man) und jemand macht eine mystische Erfahrung und die machen Menschen, kann man nach dem Ausschlussverfahren vorgehen und wenigstens sagen, okay, das klingt komisch, aber immerhin hat der Kerl alle Tassen im Schrank und das ist ein großer Gewinn für den Dialog.
Die andere Gefahr ist nämlich, Wilber hat das Elevationismus genannt, ist auch in EKL, dass man jeden prärationalen Mist zur spirituellen Weisheit aufbrezelt und an dieser herrlichen Verwirrung litt die Esoterik-Welle in erhöhtem Maße.


Ja, ich kenne genug Esoteriker, die alle Tassen im Schrank haben und trotzdem mit irgendwelchem prärationalen Mist hantieren. Andererseits kenne ich auch unglaublich viele „Hume’sche Verrückte“, die in einer eigenen Theoriewelt leben, die logisch in sich völlig konsistent ist, aber mit der Realität nichts zu tun hat. Dann gibt es wiederum Leute, die eigentlich sehr realistisch sind, aber gerade deswegen für verrückt gehalten werden.

Vollbreit hat geschrieben:Also, es ist natürlich etwas frech einem rennommierten Forscher, der Roth in der Tat ist, so etwas zu unterstellen, aber da wir unter uns sind … der Mann hat soviel dummes Zeug erzählt, dass er das allemal verdient hat, aber ich respektiere, dass er sich im Dialog nicht verweigert und seine Meinung geändert hat.


Ich gebe auf Titel und Renommee nicht viel und wenn, dann sind Hirnforscher wie Jean-Pierre Changeux weitaus renommierter (allein die Liste der internationalen Auszeichnungen kann sich echt sehen lassen), weil sie auch internationale Bedeutung haben und echte Entdeckungen gemacht haben.
Titel sind leider alles andere als ein Garant dafür, wirkliche Erkenntnisse zu liefern, zumal in einem System, das Schummeln und Durchsetzen gegen die Konkurrenz mehr belohnt als ehrliche Forschung.

Vollbreit hat geschrieben:Du bist da wirklich anstrengend an dem Punkt.


Mag sein, aber das ist gerade bei Leuten wie Thomas Hobbes und John Locke so was von offensichtlich.

Vollbreit hat geschrieben:Das Gespräch ist natürlich legendar in seinem surrealen Charakter, falls wir dasselbe meinen.
Wie auch immer, ich verstehe was Du meinst, aber Nida-Rümelin hatte Recht.


Das wollte ich in diesem Fall nicht mal bestreiten, mir ging es darum, dass bei dem eigentlich fatal Falschen an der Sache vorbeigeredet wird und die Diskussion sich nur um semantische Feinheiten dreht.

Vollbreit hat geschrieben:Erst haben Singer und Co. behauptet, der Mensch habe keinen freien Willen (zwischendurch auch immer wieder mal kein Ich) und darum sei das Strafrecht zu ändern. Darauf haben einige Verständlicherweise den Kopf geschüttelt die beiden denen es im Scheinwerferlicht vielleicht etwas heiß wurde ins Gebet genommen und dann hieß es, der Mensch könne zwar nichts für seine Handlungen, müsse aber dennoch bestraft werden, von wegen gesellschaftlicher Ordnung und Abschreckung und so.


Ja, das ist natürlich großer Blödsinn. Nietzsche war da konsequenter (und hatte Recht).

Vollbreit hat geschrieben:Schon da wird der wache Leser den Selbstwiderspruch erkennen, der jemand der nicht anders kann (weil der Fleischklumpen unter seiner Mütze ihn fernsteuert, der KANN eben auch nicht anders, Strafe hin oder her. Und wenn er auf Strafe reagiert, dann KANN er auch anders. Das war weder der erste noch der letzte Fehler in der Kette von Fehlern, aber das war die Situation die Du meintest.


Die andere Sache ist dann, WIE der Mensch tatsächlich auf Strafe reagiert. Dass die keinesfalls zur „Besserung“ führt, sollten mehrere tausend Jahre Geschichte mit sich kaum verändernden Alttestamentarischen Strafsystem (in Fernost ist es das in der Hinsicht recht ähnliche konfuzianische System) nun endgültig bewiesen haben. Die Konsequenzen daraus will trotzdem keiner so wirklich ziehen. Obwohl es Ansätze gab, nicht zuletzt das Neue Testament war so ein Versuch, hat aber irgendwie kaum jemand mitbekommen.

Vollbreit hat geschrieben:Schließlich kamen dann die Kompatibilisten, die ich überhaupt nicht leiden mag, aber ich habe das Thema bis zur Schmerzgrenze diskutiert und musste am Ende eingestehen, dass die Jungs richtig liegen. Nun muss ich also um der Vernunft willen dem Kompatibilismus das Wort reden, die Kritik die mich mit den Inkompatibilisten noch verbindet ist die, dass der Komp. eine Philosophie „der sicheren Seite“ ist, aber nach meinem gegenwärtigen Kenntnisstand die einzige die sich widerspruchsfrei formulieren lässt.


Ist aber immer noch vor allem ein semantisches Problem. Ich glaube, ich hab den Bogen auch langsam raus, auch wenn es nicht einfach war und werde den Kompatibilismus demnächst tatsächlich vernichtend schlagen (na ja, zumindest in kleinem Rahmen erstmal).

Vollbreit hat geschrieben:Das gute ist, es hat den Hirnforschern den Zahn gezogen, im Bezug auf ihre allzu weitreichenden Schlussfolgerung und die Frage nach dem freien Willen.


Wobei Freerk Huisken das auch ohne Kompatibilismus hinbekommen hat und auch darüber hinaus bei der ganzen Argumentation Roths nur noch einen Trümmerhaufen hinterlassen hat. Genau das ist übrigens die wissenschaftliche Strenge, die mir bei „guten“ Marxisten gefällt.
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Re: Ken Wilber

Beitragvon Teh Asphyx » Mo 9. Jan 2012, 22:29

Vollbreit hat geschrieben:Nein, darum ging es denen nicht, das liest Du da rein, auch wenn ich die Kritik, die Du an der Stelle anbringen möchtest verstehe und zum Teil sogar teile, aber denen ging es um was anderes. Es sind nicht alles klammheimliche Ideologen, da kannst Du schnell auf einen paranoiden Trip geraten.


Paranoia muss, wie Woody Allen wirklich klug angemerkt hat, nicht bedeuten, dass man keine Verfolger hätte. Ich will damit sagen, dass da trotzdem was dran ist und man nicht alles pathologisieren sollte, was aus dem Rahmen fällt. Genauso wenig wie man unabsichtlich falsche Sachen behauptet verschweigt man unabsichtlich Dinge, ob bewusst oder unbewusst sei mal dahingestellt. Es handelt sich hier definitiv um einen Pseudostreit, der dazu da ist, bestimmte Dinge zu verschweigen. Vielleicht auch, weil es besser ist, dass es so öffentlich aufgelöst wird als durch Huiskens Polemik, da diese doch eine weitaus umfassendere Kritik auch an gegebenen gesellschaftlichen Zuständen und wie gewisse Wissenschaftler ihren Beitrag dazu zu leisten versuchen darstellt.
So was sollte man nicht unterschätzen, dann lieber das Risiko eingehen, so etwas zu überschätzen.

Vollbreit hat geschrieben:Das meine ich ja. Das System funktioniert perfekt, nur leider leiden die Menschen darunter, also wir.


Zumindest ein Großteil der Menschen. Es gibt auch Profiteure und die sitzen an den längeren Hebeln. Da muss man keine Verschwörungstheorie haben, die müssen sich gar nicht verschwören, jeder wird aus seiner Position einfach sein übriges tun, um das System am Funktionieren zu halten und vieles ist längst zum Selbstläufer geworden. Da muss man nur noch bei sich andeutenden Krisen hier und da ein wenig nachhelfen und dann geht das schon.

Vollbreit hat geschrieben:Wasich bis jetzt von Nanna gelesen habe, ist aller Ehren wert, ja.


Da bleibe ich auch trotz aller Streitpunkte bei. Und auch trotz dass er sich Darth Nefarius gegenüber einmal wirklich unfair verhalten hat, aber da ich selbst genug Erfahrungen als Administrator habe und das in einem weit größeren Forum (das es leider nicht mehr gibt), weiß ich, dass so was immer passieren kann, egal wie viel Mühe man sich gibt.

Vollbreit hat geschrieben:Nein, ganz und gar nicht, weder setzt es das voraus, noch ist es Ziel.
Das Ziel ist realistischen Beziehungen eingehen zu können, statt idealisierend oder entwertend verzerrter.


Trotzdem wird mir da der Mensch als zu „Konkret“ angesehen. Als würden Beziehungen von ihm ausgehen. Das halte ich für falsch.

Vollbreit hat geschrieben:Du stößt auf Unverständnis, weil nicht alles und jedes unter der Perspektive des Herrschaftsdiskurses betrachtet werden muss, auch wenn man es so betrachten kann, nur sollte man ein Gespür für den angemessenen Kontext entwickeln. Nicht jeder, der nicht allzeit darauf anspringt ist ein unbewusster Unterdrücker.


Ich betrachte auch nicht alles und jedes so. Aber bei der Verantwortung bin ich mir sicher, weil sie nur aus der Herrschaft selbst heraus begründet werden kann (sich vor Gericht verteidigen zu können, setzt zunächst ein Gericht voraus, also eine schon vorhandene künstliche Instanz, die richtet).

Vollbreit hat geschrieben:Das ist eine sehr unheilvolle Allianz, z.B. dieser ganzen Herrschaftsdiskurs von Marx bis Miller, die einen Opferstatus zementiert, deren Tenor immer lautet: Du kommst da niemals raus und wenn du behauptest es sei anders, zeigt das in Wirklichkeit nur, wie unbewusst und verblendet du bist!
Was soll das, wieso sollte ich das glauben? Das ist schlicht eien petitio principii oder eben eine Doppelbindung, der Form: Siehst du, dass du ein ewiges Opfer bist, oder siehst du nicht mal das?
Die wirkliche Alternative, dass man kein schlimmes Trauma erlebt hat, oder es überwinden kann, dass man sich trotz Kapitalismus frei fühlt, oder es erreichen kann, wird kategorisch ausgebelndet.
Das ist Ideologie in Reinform.


Einen Opferstatus zementieren tun weder Marx noch Miller. Beide haben Hegel ausreichend verstanden, dass sie auch das mit der Negation der Negation eingebaut haben und eben nicht nur der Täterstatus, sondern auch der Opferstatus überwunden wird. Bei Marx ist das natürlich Überbau und Arbeiterklasse.
Ein Einzelner kann sich auch trotz Kapitalismus gut fühlen, aber er muss aufgrund des Systems immer schon günstige Voraussetzungen gehabt oder eine glückliche Wendung erfahren haben. Für viele ist ein solcher Zustand der Freiheit schlicht nicht herstellbar.
Das vorhandene System, das auf dem Papier Gleichheit und Gerechtigkeit herstellt, zementiert diese Verhältnisse in der Praxis. Dass das so ist, hängt stark mit dem Finanzwesen zusammen und damit, dass das Kapital Privateigentum einiger weniger ist.
Bei Alice Miller ist mein Kritikpunkt, dass sie diesen gesellschaftlichen Verhältnissen zu wenig Wert beimisst. Es kann sogar mit (in emotionaler Hinsicht) ausreichend guten Eltern passieren, dass man dennoch aufgrund der Aussichtslosigkeit, die eigenen Verhältnisse zu verbessern, trotzdem in einen Sog gerät. Und unsere ganzen gesellschaftlichen und psychologischen Theorien gehen immer mehr in die Richtung, dem Einzelnen dafür Verantwortung zuzuschreiben. Irgendwie endet das dann darin, dass als erstrebenswert gilt, seine Ansprüche möglichst niedrig zu halten und irgendwie Sinn zu stiften in dem, was man tut und keine Fragen zu stellen. Dazu kommt eine immer größer werdende Anzahl an „Glücksratgebern“ und ähnlichem Zeug.
Alice Miller geht es darum, das auf privater Ebene zu erkennen, also für sich selbst herauszufinden, wie die Verhältnisse sind und über darüber, dass man so zu Bewusstsein kommt, sich besser fühlen zu können und sein Leben auch in etwas höheres transformieren und das ist durchaus materialistisch zu betrachten (wie bei Marx auch). Bei Marx geht es mehr um die öffentliche Ebene, also das Partikularinteresse zum allgemeinen Interesse zu erklären (das heißt so viel wie zu erkennen, dass das, was einem im Weg steht auch anderen im Weg steht und deswegen an einer Lösung zu arbeiten, die allen weiterhilft) und somit gesellschaftliche Veränderungen vorzunehmen. Ich denke, dass eine Symbiose aus beidem so ziemlich das Optimum darstellen könnte.
Beides zu vereinen haben aber bisher wenige sinnvoll versucht.
Es gibt natürlich auch einen ideologischen Marxismus, aber der dürfte sich nun wirklich falsifiziert haben. Mir geht es eher um Marx’ gesellschaftswissenschaftliche Methode als um seine Inhalte, diese in der heutigen Zeit noch dogmatisch zu vertreten, finde ich genauso dumm wie jedes andere Dogma auch. Bei Alice Miller ist es ähnlich, auch da geht es mir um ihre Methode der Analyse von persönlichen Verhältnissen und nicht darum, ihre Inhalte dogmatisch zu vertreten (auch wenn die aufgrund zeitlicher Nähe noch eine größere Gültigkeit haben).

Vollbreit hat geschrieben:Das weitet den Opfermodus ja nur aus. Das Problem ist, dass es einzig und allein die Lösung zu Millers Bedingungen gibt, die zählt. Anerkenne Deinen erlebten Missbrauch oder du musst ihn an deine Kinder weitergeben.
Es muss aber nicht immer Missbrauch vorliegen und nicht jedes Trauma ist den Eltern anzulasten, es kann auch ein vereiterter Zahn oder sonst was sein.


Zum Opfermodus siehe oben (Negation der Negation).
Das mit dem Zahn ist allerdings so eine Sache. Ein schmerzender Zahn traumatisiert erst dann, wenn die Schmerzen nicht richtig artikuliert werden können, bzw. nicht richtig reflektiert werden.
Ich kann Dir ein persönliches Beispiel von mir geben: Ich hatte mit 6 oder 7 Jahren einmal fürchterliche Zahnschmerzen und meine Mutter gab mir erstmal eine halbe Schmerztablette. Irgendwann später am Abend tat es wieder höllisch weh und meine Mutter unterstellte mir aber, ich hätte keine Schmerzen, sondern würde nur eine Tablette haben wollen (weil die irgendwie süchtig machen würden, wasweißich). Erst als ich mir diese Situation wieder in vollem Ausmaß bewusst gemacht habe, konnte ich erkennen, warum ich mir später nicht zugestanden habe, Pflege anzunehmen, wenn ich krank war und immer versucht habe, es „hart“ zu nehmen.
Was meinst Du, wie viele Menschen sich an solche Begebenheiten nicht mehr zureichend erinnern und deswegen nicht drauf kommen?
Ich weiß auch, warum meine Mutter so drauf war und dass das nichts mit mir zu tun hat, aber das konnte ich als Kind nicht erkennen. Es ist also nicht bloß drauf zu achten, wo Eltern ihre Kinder verletzen (was nicht mal traumatisch sein muss, wenn es nicht in einer erzieherischen Absicht passiert und das Kind eben merken darf), sondern auch, wo sie was bestimmtes unterlassen. Es geht eben nicht darum, dass man keine Fehler machen darf, aber man muss dazu bereit sein, Fehler anzuerkennen und vor allem das Kind es merken zu lassen.

Vollbreit hat geschrieben:Aufzuheben indem sie ihn universell macht. Alles Opfer, ohne Ausnahme, die einen erkennen es, die anderen verleugnen es. Das ist ein wenig dick aufgetragen.


Nein, siehe oben.

Vollbreit hat geschrieben:Genau so, wird es ja auch nicht gemacht.


Doch, das gab/gibt es schon auch.

Vollbreit hat geschrieben:Oh doch, es gab den unseligen Trend in der Therapie eine Zeit lang jedem eine sexuellen Missbrauch ans Bein zu nageln, der einmal in seinem Leben an eine Banane gedacht hat. Die sugeestiven Effekte von Therapeuten sind nicht zu unterschätzen, so wie eine Zeit lang jeder Zweite eine multiple Persönlichkeit hatte und irgendwann mal alles ein Trauma war.


Trotzdem, die Bilder können „falsch“ sein, aber als Phantasma bleiben sie trotzdem die Fratze etwas Realem, was dahintersteckt. Das gilt es dann aufzudecken, wobei ich Dir natürlich Recht gebe, dass viele Therapeuten da leider in eine völlig falsche Richtung weitergehen.

Vollbreit hat geschrieben:Ich fürchte, die Welt wird sich auch zukünftig nicht danach richten, ob sie in Deine Normierungsvorstellungen passt. Wie sollte man denn aussehen, um vor Deinen Augen Gnade zu finden?


Zumindest sollte er keine Uniform tragen. Über Anzüge mit Kravatte lasse ich schweren Herzens noch diskutieren, weil es hier teilweise unvermeidlich ist und ich weiß, dass es Menschen gibt, die trotzdem in Ordnung sind, aber bei uniformierten Glatzköpfen hört das mit der Glaubwürdigkeit bei mir einfach auf. Das ist mir einfach eine Spur zu krass.

Vollbreit hat geschrieben:Darum geht es nicht.
Was ich meine ist folgendes: Ein Kind mit chronischen Schmerzen erlebt diese als Aggression.
Es ist die Aufgabe der Mutter den Einbruch von Aggressionen diverser Art zu verhindern, in diesem Fall kann sie es aber nicht leisten, auch wenn sie das Kind hätschelt und lieb und grenzenlos empathsich ist. Das Kind erlebt nun eine versagende, schlechte Mutter und internalisert dieses Bild, ohne dass die Mutter irgendwas falsch gemacht hätte.


Sie kann hätscheln und lieb sein und das Kind trotzdem verstören, weil sie auch damit nicht wirklich auf das Kind eingeht. Aber sie kann nicht empathisch sein und trotzdem eine solche Verstörung auslösen.
Das Problem ist viel mehr folgendes: Wenn ein Kind Schmerzen erleidet und irgendwie dabei zu spüren bekommt, dass seine Schmerzen seine Eltern belasten, dann wird es anfangen, sich schuldig zu fühlen und wird das aber nicht artikulieren können. Das, meine ich, ist wesentlich ausschlaggebender als irgendeine vermeintliche Aggression, vor der ein Kind glaubt geschützt werden zu müssen. Das hört sich ja in der Theorie zwar nett an, aber hier werden Tatsachen vernachlässigt, die tatsächlich in einer Eltern-Kind-Beziehung auftreten (siehe das Beispiel mit meiner Mutter, sie war bestimmt damals sogar so „empathisch“ aufzupassen, mich nicht von Schmerztabletten abhängig zu machen …)

Vollbreit hat geschrieben:Kinder haben die Fähigkeit sich die Welt zurechtzuerklären, aber eben nach kindlichen Maßstäben. Das ist auch nicht anders zu erwarten und ebenfalls kein Fehler, es kann nur in bestimmten Fällen zu Komplikationen führen.


Nein, Kinder erklären sich nicht so viel, sondern stellen mehr Fragen (bis man es ihnen austreibt, um sie hinterher unter Druck zum Lernen zwingen zu „müssen“, da bin ich sogar mit Piaget einverstanden, da er sagt, dass Kinder von sich aus lernen wollen), Erwachsene neigen viel mehr dazu irgendwelchen (ideologischen oder ideellen) Maßstäben sich die Welt zu erklären und übersehen dabei ziemlich leicht Fakten. Die Wahrnehmung eines durchschnittlichen Erwachsenen ist enorm selektiv, dazu gibt es auch genug Tests, die man durchführen kann, die das bestätigen. Bei Kindern ist wenigstens Potential vorhanden, bei vielen Erwachsenen habe ich fast schon das Gefühl, da wäre Hopfen und Malz verloren (obwohl ich da gerne optimistisch sein möchte).

Vollbreit hat geschrieben:Das ist richtig und darum sage ich ja auch, wer leidet, leidet und das muss man ernst nehmen und therapieren. Aber man muss schauen woran jemand in Wirklichkeit leidet und da liegt der Fokus darauf, wie realistisch oder unrealistisch Beziehungen erlebt werden.


Ja, sehe ich ja auch so. Allerdings gibt es auch Menschen, die allen Anlass haben, ihre Eltern zu hassen, da kenne ich auch einen und es ärgert auch mich da langsam, wenn jeder meint, aus Prinzip seine Eltern in irgendeiner Form in Schutz nehmen zu müssen, oder ihm zu unterstellen, er würde sich mit diesem Hass selbst schaden. Auch diese Form von Beziehung muss als realistisch anerkannt werden können und da hapert es oft, weil das für viele immer noch eine Art Tabu ist.
Eine flüchtige Bekannte von mir arbeitet beratend mit privat und beruflich pflegenden Menschen genau mit solchen Tabu-Gefühlen und da ist wirklich eine Menge, was unter der Oberfläche brodelt und unterdrückt wird, weil es „nicht sein darf“. Das kann auf Dauer enorm selbstzerstörerische Züge annehmen und auch das sollte man nicht unterschätzen.

Vollbreit hat geschrieben:Ich will Dir um Gottes Willen Deine therapeutischen Erfolge, die Du hoffentlich hattest nicht madig machen und wenn Miller Dir zusagt, will ich Dir auch sie nicht entwerten. Lockerheit kann ja auch bedeutet, keine Grenzen gesetzt zu bekommen und das kann verwirren, weil es als chronisches Desinteresse vom Kinder erlebt werden kann.


Nein, das war nicht das Problem, es gab Grenzen, nicht nur defensive, sondern auch aggressive. Meine Eltern haben sich aber zum Beispiel sehr für meine Freunde interessiert, sich mit ihnen auch sehr unverkrampft unterhalten und solche Sachen, das war dann natürlich „cool“.

Vollbreit hat geschrieben:Wer alles darf, bekommt keine Beachtung, das verwirrt und kann Panik erzeugen. Wenn Du das nun weißt, schön, aber nun liegt der Ball bei Dir.


Das weiß ich auch, ich bin ja auch kein Gegner von Grenzen, mir geht es ja um die Unterscheidung zwischen aggressiven und defensiven Grenzen. Ein zwischenmenschliche Beziehung ohne Grenzen ist niemals gesund, egal ob mit Kindern oder auch unter Erwachsenen. Grenzen sind etwas natürliches und gehören zur Persönlichkeit, sollten dementsprechend also auch artikuliert und ernst genommen werden. Auch Kinder haben Grenzen und auch diese sollten respektiert werden.
Von Rousseau’scher antiautoritären Erziehung halte ich wirklich gar nichts. Die Achtung gegenseitiger Grenzen ist ebenso wichtig wie die Freiheit.
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Re: Ken Wilber

Beitragvon Teh Asphyx » Mo 9. Jan 2012, 22:31

Vollbreit hat geschrieben:Deiner Mutter nun zu sagen: Du bist falsch!, was bringt das Dir oder ihr?


Nichts, das habe ich auch nicht vor. Allerdings erlaubt es die Situation momentan leider kaum, sich richtig aussprechen zu können, von daher muss ich das erstmal aufschieben.
Richtiger wäre zu sagen: Das und das habe ich so erlebt und empfunden und das war falsch! (sehr vereinfacht gesagt, wichtig ist, dass nicht die Person sondern immer nur eine konkrete Handlung falsch gewesen sein kann)

Vollbreit hat geschrieben:Du weißt nun, dass Du keine Beachtung bekommen hast – falls es das ist – und kompensatorisch viel brauchst – die bekommt man übrigens, wenn man betont anders ist – und es gibt ein gute Gründe, dass sich das im Laufe der Zeit auswächst, weil Du es nun weißt.


Nö, das ist es eigentlich weniger, meine Eltern (vor allem mein Vater) waren definitiv anwesend (nicht nur physisch), auch sonstige Bezugspersonen. Mangelnde Anerkennung meiner Leistungen war es wohl eher, was allerdings noch etwas tiefer liegende Zusammenhänge hatte. Da bin ich aber mit mir ganz gut im Reinen, ich weiß inzwischen, was ich kann, was ich mir erarbeitet habe und was ich damit machen kann und ich lasse mich da kaum noch in der Hinsicht verunsichern (in anderer Hinsicht habe ich noch ein paar Unsicherheiten, aber das bessert sich auch).

Vollbreit hat geschrieben:Den Feinschliff kriegst Du schon hin, im Notfall noch mal mit Therapie und die klare Linie, die Dir momentan fehlt, bedeutet nichts anderes als Deine eigenen Bedürfnisse kennenzulernen, niemand will Dich da in ein Korsett zwängen, auch wenn Du das momentan noch so erlebst.


So sehe ich das auch nicht und mir fehlt auch keine klare Linie. Ich weiß sehr genau, wo ich stehe, wo ich hinwill und kenne diverse Möglichkeiten, wie ich das erreichen kann. In jeder Hinsicht wird es ein verdammt harter Kampf, aber es ist machbar und inzwischen verursacht das auch keine Panik mehr bei mir.

Vollbreit hat geschrieben:Wenn ich mich ungerecht von der Welt behandelt fühle, dann hänge ich in dieser egozentrischen Perspektive fest, egal ob die beschuldigten Mutter, Vater Staat , der Chef, der Kapitalismus oder ein sonstiger Adressat ist.


Nein, es gibt auch einfach konkrete Ungerechtigkeiten. Das kann ich auch wahrnehmen, wenn ich nicht mal so sehr selbst betroffen bin. So was sollte man eben nicht pathologisieren, sondern möglichst zum allgemeinen Problem erklären.

Vollbreit hat geschrieben:Dass ich tatsächlich mal schlecht behandelt wurde, kann sein, aber warum willst Du daran für alle Zeiten festhalten. Es ist schon gut zu weinen und zu schimpfen und aus seinem Herzen keine Mördergrube zu machen – Wohl dem, der dazu fähig ist – aber Du musst aus dem Muster raus, dass die Welt es immer schon schlecht mit Dir meinte und das ewig so weitergeht.
Ist aber hier keine Therapiestunde, darum breche ich das hier mal wieder ab.


Wäre dann auch ziemlich verfehlt (nicht böse gemeint, aber es ist halt einfach schwer, jemanden auf diese Art richtig einzuschätzen). Die Welt meinte gar nichts mit mir. Allerdings gibt es allgemeine gesellschaftliche Umstände, die es nicht nur mir, sondern vielen anderen sehr schwer macht, überhaupt an die zur einer Existenz notwendigen Ressourcen heranzukommen (viele haben es sogar noch schwerer), geschweige denn irgendwie den eigenen Status zu verbessern. Es geht alles andere als gerecht zu und die Menschheit ist in mehrere Klassen aufgeteilt. Der Wunsch zum Politischen, also die Verhältnisse verbessern zu wollen, ist nicht krankhaft, sondern das Gegenteil ist der Fall. Es zu ignorieren, es dabei belassen zu wollen, davor zu resignieren oder sogar es als krankhaft darstellen zu wollen, dies zu verurteilen, all das ist krankhaft.

Vollbreit hat geschrieben:Wenn das so bei Dir angekommen ist, ist das gut, darum geht es in der Tat.


Jetzt muss ich Dich nur noch dafür begeistern, das auch auf das Allgemeine betrachtet zu sehen. ;-)

Vollbreit hat geschrieben:Das ist bedingt richtig, das ist eine der Varianten die pathologischen Narzissmus verursacht.


Da wollte ich auch keinen Ausschließlichkeitsanspruch stellen.

Vollbreit hat geschrieben:Nein, das ist grob falsch. Die Hauptursache für path. Narzissmus ist Aggression und zwar nicht einmalige sondern chronische. Das kann chronische Missachtung sein, ein Kind das nicht als Kind geliebt wird, sondern für seine Leistungen bewundert, so ein Vorzeigepüppchen, das zeigen muss, was es kann, wenn mal Besuch da ist, es ist leider oft die Erfahrung andauernden Gewalt in Form von Schlägen, Sadismus oder Prügelszenen denen das Kind als völlig verängstigter Zeuge dauernd ausgesetzt ist.


Okay, klar, aber so ein Kind darf ja gerade nicht merken. Es muss sich auf eine ganz bestimmte Art verhalten, etwas bestimmtes leisten um die Liebe seiner Eltern zu „verdienen“ und wird einfach verinnerlichen, dass es selbst schlecht ist, wenn es dem nicht gerecht wird und dieses Leid eben verdient. Vielleicht habe ich mich da einfach schlecht ausgedrückt.

Vollbreit hat geschrieben:Das will ich gerne eingestehen und lass uns Esowatch vergessen.
Neill hat es vorgemacht und Erfolge gehabt, aber so lebt niemand und bei dem Versuch Deiner Eltenr ist ja auch was schief gegangen.


Bei meiner zwiegespaltenen Mutter ist das auch kein Wunder und mein Vater hatte auch noch so seine Problemchen, erst recht vor seiner Analyse. Die Probleme meiner Eltern haben aber ganz andere Ursachen und sind diesbezüglich nicht als Argument zu gebrauchen. Ich kenne Berichte von Familien, in denen das sehr gut klappt. Man sollte auf jeden Fall keine faulen Kompromisse vorschlagen, nur weil es schwierig ist, sich darauf einzulassen. Besser ist es herauszufinden, wie man leichter einen Zugang zu seiner solchen bewussten Einstellung seinen Kindern gegenüber kommt (hatte Wilber da nicht auch Ansätze?).

Vollbreit hat geschrieben:Das ist aber auch Kern konventioneller Erziehung, dass man dem Thorsten nicht einfach das Schüppchen über die Omme ziehen darf. Ich will diese Ansätze gar nicht klein reden, aber sie sind halt nicht sehr verbreitet.


Leider nicht, nein. Gerade deswegen rede ich ihnen gerne das Wort. Koventionelle Erziehung hat das Problem, dass es Manipulation erlaubt, auch wenn sich da in der Theorie einiges verbessert hat, stelle ich fest, dass es in der Praxis allein deshalb, dass es erlaubt ist und sich dadurch eben kein generelles Bewusstsein darüber bildet, eben auch doch viel gemacht wird, was eigentlich gar nicht gut ist (und auch nicht in modernen pädagogischen Ansätzen vorgesehen). Und vieles ist auch einfach nur totaler Quatsch, da gibt es auch ein unglaubliches Maß an Verblendung, Dogmatismus usw. Allein dass jemand wie Winterhoff so erfolgreich seine Bücher verkaufen kann, erfüllt mich dann doch eher mit großer Sorge.

Vollbreit hat geschrieben:Ja, aber Du kannst niemanden zu dieser Einsicht zwingen, der nicht will oder kann und hast auch nicht die Aufgabe die Welt zu retten, sondern erst mal nur Dich.


Ich brauche mich nicht zu retten (wovor?). Die Welt müsste schon eher gerettet werden, jedenfalls als Lebensraum vor ihrer vollständigen Zerstörung, aber auch das ist nicht mein primäres Anliegen. Mir geht es darum, etwas beizutragen, um etwas an den vorhandenen Verhältnissen tatsächlich zu verbessern. Das sollte nicht vernachlässigt werden.

Vollbreit hat geschrieben:Ich habe immer Schwierigkeiten, wenn es darum geht, den Marxismus/Kommunismus von seiner real existierenden Variante zu säubern. Aber auch das ein eigenes Thema.


Gibt da ja auch viele Strömungen. Wie gesagt ist für mich vor allem der wissenschaftliche Marx interessant, das heißt vor allem Marx’ Methode der gesellschaftlichen Analyse, wie sie in „Das Kapital“ zu finden ist, als Methode zu verwenden.
Die real existierenden Sozialismen haben damit nicht unbedingt was zu tun (bzw. nicht nur) und einer der Hauptfehler war wohl die dauerhafte Verstaatlichung der Produktionsmittel, wodurch es quasi zu einem Kapitalismus mit Staatsmonopol wurde.

Vollbreit hat geschrieben:Aber wer beurteilt, wer mit sich selbst im Reinen ist, wenn nicht man selbst?


Das ist in der Tat eine gute Frage … ich könnte schon Kategorien vorschlagen, aber letztlich würde auch ich mich dann in eine herablassende Position begeben, in der ich in diesem Fall nun wirklich nicht sein möchte.

Vollbreit hat geschrieben:Würde ich eher nicht glauben, da ein Narzisst sich nicht drauf einlassen würde, wenn, dann eher um zu manipulieren.


Indem man mit ihm so kommuniziert, nicht indem man ihn dazu versucht zu bringen, so zu kommunizieren. Es muss allerdings auch etwas Geduld dazu gehören, anfangs wird es eher auch zum Gegenteil des gewünschten Effekts kommen.

Vollbreit hat geschrieben:
Teh Asphyx hat geschrieben:Die Frage ist, inwieweit die Quantentheorie nicht doch für Alltagsphänomene zu gebrauchen wäre, da wir ja auch dort an gewisse Erklärungsgrenzen kommen, die nur von vielen Naturalisten gerne geleugnet oder runtergespielt werden.


Hm, da bin ich überfragt.


Da in etwa sehe ich meine soziologische/sozialpsychologische Arbeit ansetzen.

Vollbreit hat geschrieben:Wie schon mal zitiert, ist Wilber der Auffassung, dass man Rollen auf ablegen, über die hinauswachsen kann. In langen Fußnote in EKL geht er auf dasVerhältnis von Oberflächen und Tiefe ein und behandelt dort auch diese Frage.


Okay, dann muss das wohl warten, bis ich das gelesen habe.

Vollbreit hat geschrieben:Och, die sind mitunter schon außerordendlich gut. Aber es gibt Philosophen, die geben sich nicht mal im Ansatz Mühe von Normalsterblichen verstanden werden zu können.


Es gibt aber auch wirklich Unmengen an redundantem Zeug.

Vollbreit hat geschrieben:
Teh Asphyx hat geschrieben:Ich finde ihn da auch etwas unklar, weil er auf der anderen Seite auch behauptet, ein Interesse an dem Bedürfnis nach Transzendenz zu haben (irgendwo habe ich das Gerücht vernommen, dass er selbst mal Zen praktiziert hätte). Da gleichzeitig so abwertend zu sein scheint mir etwas paradox.


Jetzt habe ich den Faden verloren und weiß grad nicht mehr von wem die Rede ist.


Colin Goldner.

Vollbreit hat geschrieben:Ich glaube es ist beides. Dem Löwenanteil macht man glaube ich schon im stillen Kämmerlein, aber dann kann es auch Phasen geben, wo man mit anderen zusammen was erlebt.


Es kommt wirklich drauf an. Ich kenne auch genug Sachen, wo der Löwenanteil in der Gruppe stattfindet.

Vollbreit hat geschrieben:Da kann man sich endlos drüber streiten, aber ein wichtiger Punkt (den der frühe Wilber mal schön abgehandelt hat) ist in der Tat, zu was von sich man eigentlich „Ich“ sagt.
Hat man das Gefühl Gehirn zu sein und der Körper ist nur so eine Art Lasttier? Gibt es Bereiche der Psyche zu denen man „Ich“ sagt und dann zu anderen nicht? Fühlt man sich mit dem ganzen Körper eins und sagt zu ihm „Ich“? Und so weiter, ist schon sehr aussagekräftig.


Hier ist Ouspensky wirklich empfehlenswert. Ich habe jedenfalls nicht irgendeinen Teil, zu dem ich „ich“ sage, sondern bin einfach ich (ohne mich zu identifizieren), meistens jedenfalls.

Vollbreit hat geschrieben:Was ich jetzt meinte, was Zen, aber die sind ja sehr ähnlich, die Disziplinen.
Zen hat den Vorteil, dass man die Augen auf hat, das erdet und in einer sehr struktuierten Umgebung ist. Wenn Dir das Schwierigkeiten dieser Art bereitet, würde ich es aber lassen oder nur unter Aufsicht und nicht zu lange praktizieren.


Achtsamkeitsmeditation gehört ja allgemein zum Buddhismus und Achtsamkeit ist auch Bestandteil des Zen. Allerdings sind einige japanische Zen-Mönche sehr kritisch damit, wie hier mit Achtsamkeit umgegangen wird, vor allem, seitdem das Wort hier so populär geworden ist (unter anderem durch Jon Kabat-Zinn). Leute meine, irgendwas achtsam zu tun und irgendein wohl bedeutender Zen-Mönch meinte, dies sei grundsätzlich eben falsch, denn wenn man etwas tut, käme es drauf an es einfach zu tun (also mit vollem Bewusstsein). Wenn man geht, dann geht man, wenn man isst, dann isst man usw. Diese Kritik kann ich auf jeden Fall teilen.
Augen auf finde ich auch nicht schlecht. Ich finde auch wichtig, dass man eine Meditation, wenn sie erstmal etwas geübt ist, auch in jeder Situation machen kann, weil ich es als wichtig ansehe, sich nicht abzukoppeln, sondern damit im Leben zu stehen. Das kommt aber eher aus dem Tao und beim Zen ist es auch durch die taoistischen Einflüsse vorhanden.

Vollbreit hat geschrieben:Eigentlich ist Meditation das genaue Gegenteil von Droge, sie soll ja die Klarheit und Wachheit steigern.


Das können Drogen aber auch bewirken.

Vollbreit hat geschrieben:Mich hat das ehrlich gesagt in keiner Weise an einen THC-Rausch erinnert.


Kann man mal sehen, wie schwierig meditative Erfahrungen zu kommunizieren sind.

Vollbreit hat geschrieben:Naja, eine Panikattacke ist nichts was man will, kann ich gut verstehen, insofern wäre ich da auch vorsichtig, aber süchtig machend ist Meditation nun nicht.
Es gibt andere Techniken die LSD ähnliche Erfahrungen ermöglichen, aber Meditation der genannten Form, ist eigentlich recht stabiliserend und öde.


Ich kenne durchaus einige Fälle, wo man von einer Sucht sprechen könnte. Es kommt letztlich auch immer drauf an unter welchen Bedingungen man anfängt zu meditieren, ich würde es labilen Menschen jedenfalls nicht empfehlen, jedenfalls nicht ohne kompetente Betreuung (das heißt, dass die Betreuung auch psychologisch geschult sein sollte).

Vollbreit hat geschrieben:Doch, man kann sie ausdrücken, nur nicht aufsagen, das ist ein Unterschied.


Es erfordert aber dann auch ein Verständnis und eine gewisse Grunderfahrung damit beim Gegenüber.

Vollbreit hat geschrieben:
Teh Asphyx hat geschrieben:Hm, ich hatte eigentlich immer den Eindruck, dass es eher darum geht, solche Werturteile gar nicht mehr zu haben.


Das ist irgendwann draus gemacht worden.


Interessant … dachte ich mir nämlich auch.

Vollbreit hat geschrieben:Hier bin ich Deiner Meinung. Empathiemangel ist ja geradezu ein Synonym für Egofixiertheit, aber ich stimme Dir zu, sich dem anderen gegenüber zu öffnen, heißt immer auch sich selbst gegenüber zu öffnen.. Dass man hier so schroff unterschieden hat ist auch eher eine Note, die durch die westliche Interpretation reingekommen ist. Die Buddhisten (hier auch die, für die der Buddhismus nicht Volksreligion ist, die genauso konventionell interpretiert, wie andere Religionen auch) wollen Leid verringern und wenn man selbst leidet, wendet man sich dem zu, leiden „andere“ wendet man sich ihnen zu und das eigentlich in ganz einfacher und direkter Weise.


Trotzdem denke ich, dass Buddhismus hier keine Lösung ist. Ich habe auch den östlichen Buddhismus kennengelernt und es ist da fast noch schlimmer. Buddhismus zielt zu viel vom Leben weg (trotz der vielen taoistischen Einflüsse in einigen Strömungen), anstatt sich mit dem Staub zu vereinen, will es sich aus dem Staub erheben.
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Re: Ken Wilber

Beitragvon Vollbreit » Do 12. Jan 2012, 11:35

Teh Asphyx hat geschrieben:Liegt auch daran, dass Bildung an sich schon die völlig falsche Motivation darstellt. Wichtiger wäre es, Entwicklung zu fördern, indem man Ressourcen (materiell und ideell) zur Verfügung stellt und Gedanken, Gefühle und Wünsche auffängt und reflektiert, also eigentlich vor allem einen Menschen möglichst wenige Barrieren in den Weg stellt.


Vor allem, ist wichtig, dass man Entwicklung fördert.


Teh Asphyx hat geschrieben:Beim Rhizom gibt es nichts abgeschlossenes, da prinzipiell alles mit allem an jeder Stelle verbunden sein kann, es gibt also keine klar getrennten Systeme oder Holone, wobei sich trotzdem Grenzen definieren lassen, die aber eben immer unscharf sind. Hier sehe ich auch eine deutliche Parallele zur Quantenphysik.


Ich glaube so ein gewaltiger Unterschied besteht da nicht, zu Wilbers Holon-Idee.
Hier wird das Holon ja auch zum einen als Teil/Ganzes definiert, zum anderen als Agenz in Kommunikation.


Teh Asphyx hat geschrieben:
Vollbreit hat geschrieben:
Teh Asphyx hat geschrieben: Ich weiß nicht genau, wie ich das sprachlich erklären kann, aber ich habe irgendwann die Erkenntnis gehabt, dass ein Mensch seinen Wert dadurch hat, dass „er ist“.


Vielleicht so: Die Würde des Menschen in unantastbar.


Das präzisiert es nicht genug, finde ich. Außerdem muss das als tiefes Erkennen funktionieren, solch ein einfacher Satz hilft da nicht unbedingt (es wird die Würde der Menschen ja auch viel zu oft angetastet, oder Menschen sogar immer mehr dahin getrieben, ihre Würde „freiwillig“ aufzugeben).


Klar, jeder Satz sollte (wenn er es hergibt) innerlich erfasst und nicht nur nachgeplappert werden.

Teh Asphyx hat geschrieben:Wie weit bist Du eigentlich mit „Die Tücke des Subjekts“? Ich habe es inzwischen durch und finde es ziemlich genial (obwohl es da auch ein paar Kleinigkeiten gibt, mit denen ich nicht ganz einverstanden bin, aber es sind wirklich nur Kleinigkeiten).


Immer noch da, wo ich war. Ich habe momentan (leider) kaum Zeit zum lesen und zum zweiten lese ich eher langsam.

Teh Asphyx hat geschrieben:Ich würde, so wie er es auch gedacht hatte, mit „Beelzebubs Erzählungen für seinen Enkel – Eine objektiv unparteiische Kritik des Lebens des Menschen“ anfangen.


Danke.

Teh Asphyx hat geschrieben:Ich hatte trotzdem nicht das Gefühl, dass das Subjekt dadurch negiert ist, ihm kommt nur eine andere Rolle zu.


Kann sein, auch Heidegger kann und muss man interpretieren.
Ob Subjektfreiheit durchzuhalten ist, da bin ich eher skeptisch.

Teh Asphyx hat geschrieben:Aber gut, wir sind ja eigentlich bei Wilber … aber ich denke halt, dass es nicht schaden kann, Lacan irgendwo zumindest auch in das Wilber’sche System zu integrieren und zu schauen, welche Konsequenzen das hat. Würde mich auch mal interessieren.


Da Wilber ja ein Allintegrierer ist, könnte auch das gelingen, wäre für mich letztlich die Frage, ob es in der Praxis funktioniert.

Teh Asphyx hat geschrieben:
Vollbreit hat geschrieben:Ja, damit bist Du nicht alleine, das ist eine der Meinungen die glaube ich momentan recht stark sind, im Grund ist es die Variante Evolution ist richtungslose Anpassung.
Ich sehe es etwas anders, bin da aber eher Außerseiter.


Ich weiß nicht, ob das einfach ein Fehler aus Unachtsamkeit ist, aber ich lese selbst von Wissenschaftlern immer wieder leichtfertige Behauptungen, dies oder jenes diene diesem oder jenem Zweck und darauf aufbauend kommen dann die abstrusesten Theorien zustande.
Ich denke, dass Evolution keinen Zweck und keine Richtung hat, sich aber trotzdem auf natürliche Weise immer komplexere Strukturen bilden.


Soweit ich die Evolutionsbiologen verstehe, meinen die das auch.

Teh Asphyx hat geschrieben:Das AQAL-Modell ist aber auch sicher nicht das schlechteste. Immerhin – und da ist Wilber wirklich weit – hat er auch damit festgestellt, dass jemand tiefe mystische oder philosophische Erfahrungen haben kann und trotzdem gleichzeitig menschenverachtendes nationalistisches Gedankengut o.ä. Nicht umsonst ist „braune Esoterik“ auch ziemlich verbreitet, obwohl man ja meinen könnte, das die spirituelle Suche eher etwas friedensstiftendes ist.


Ja, da ist er in der Tat neue Wege gegangen, indem er sagte, ein Erleuchteter Meister kann auch gleichzeitig neurotisch oder narzisstisch oder sonst wie schräg sein. Erleuchtung sei zwar toll, aber elreuchtet, krank und arbeitslos dennoch Mist. Und das als einer, für den Erleuchtung nicht nur eine Floskel oder ein Synonym für prinzipiell unerreichbares ist.
Andere Kritiker haben Spiritualität und Erleuchtung auch schon immer gerne kritisiert, aber oft genug ohne den geringsten Verstand in der Sache.
„Braune Esoterik“ ist auch so ein Begriff um Diskutanten zu diskreditieren. Wenn man keine Argumente hat, stellt man jemanden schnell in die Naziecke, das zieht immer und ist ein ziemlich widerlichtes Vorgehen.
Das ist nicht Wilbers Vorgehen, er kritisiert inhaltlich und nicht ideologisch, das ist mir persönlich im Längen lieber.

Teh Asphyx hat geschrieben:
Vollbreit hat geschrieben:Das eintüten in Hierarchiesysteme und andere Schubladen ist nicht unbedingt ein Akt des Gehorsams, sondern eine Orientierung und bei Wilber ein Fetisch.


Das wollte ich damit auch nicht sagen, aber eine solche Orientierung birgt immer Gefahren mit sich, vor allem je steifer und dogmatischer die Schubladen sind.


Ja, und es gibt die unschöne Angewohnheit, sich im Kreise der weniger Begabten Integralen nur noch in Farben (Spiral Dynamics, auf das sich Wilber auch beruft, ist ein hierarchisches Entwicklungsmodell, dass die Stufen als Farbe bezeichnet) zu argumentieren. Du argumentierst ja „grün“. Das wird dann auch zum Verzicht auf Argumente und kann zur stillschweigenden Übernahme von Sichtweisen werden, die auch immer wieder geprüft gehören.

Teh Asphyx hat geschrieben:Umso mehr muss es die Möglichkeit geben, sich immer mehr dem Individuum anzunähern.
Und vor allem sollte man dieses Unten-Oben-Schema wirklich vermeiden, da es eine Anmaßung darstellt.


Finde ich in dem Moment nicht, wenn es begründet ist.
Zumal die Kritik von Wilber am Verhalten einiger spiritueller Meister ja gerade darauf zurückging, dass er sagte, sie mögen erleuchtet sein, aber dann sagte, und dennoch habe sie schwer neurotische Züge. Das schloss sich bisher aus. Wer Neurotiker war, der konnte für den Mainstream nicht erleuchtet sein und für die Anhänger war ein Erleuchteter jemand, der dann auch alles wissen und können musste und dessen absurdes Verhalten als irgendein höherer Fingerzeig gedeutet wurde.

Teh Asphyx hat geschrieben:Das Problem ist aber auch, dass die Psychologie und die Pädagogik versuchen, solche Menschen zu pathologisieren, nicht anerkennen, dass es Gründe gibt, die nicht pathologisch sind, sondern genauso wie jedes Verhalten aus den gesellschaftlichen Bedingungen heraus entstehen. Breivik hat die gängige Ausländerpolitik einfach nur etwas konsequenter gedacht und meinte, dass er tätig werden muss, weil die „sozialistische“ Regierung es noch nicht genug wird.


Nein, das halte ich schlicht für Unsinn. Fast alle Terroristen haben die gleiche psychische Struktur und dieses „nur etwas konsequenter“ sind eben die typisch paranoiden Züge. Terroristen meinen von sich (fast) immer, eigentlich auf der Seite des Guten zu stehen und halten die Normalität für krank, in Wahrheit verführt und so weiter, weil das in ihren Augen sedierte Schnarchnasen sind, unwillig oder unfähig die Dinge so konsequent durchzuziehen, wie sie selbst. Nur ist diese Konsequenz eben eine mitleidloser Extremismus, der eine Mischung als paranoid-narzisstischer Pathologie darstellt.

Teh Asphyx hat geschrieben:Ich habe ein ernsthaftes Problem damit, Menschen in geistig „krank“ und „gesund“ zu unterteilen. Meines Erachtens ist das immer ein Paradigma und hängt mit gewissen, sich daraus ergebenden Interessen zusammen. Da sollte man unbedingt sehr kritisch sein. Dass es Symptome gibt, bezweifle ich dennoch nicht, aber die Ursache muss nicht unbedingt (nur) innerlich sein und da greifen die meisten psychologischen Richtungen viel zu kurz. Mit der Psychoanalyse habe ich da die wenigsten Probleme.


Es muss begründet sein und zwar nachvollziehbar und nicht politisch, ist doch klar.
Die Kriterien die man heute benutzt, sind aber nicht politisch. Und ehrlich gesagt, wenn mir jemand erzählt, er sei Napoleon, würde ich auch nicht genauer forschen, ob er es nicht doch ist, es gibt wirklich harte Psychosen, die verlaufen nach Lehrbuch.

Teh Asphyx hat geschrieben:Ja, ich kenne genug Esoteriker, die alle Tassen im Schrank haben und trotzdem mit irgendwelchem prärationalen Mist hantieren.


Ja, siehste, das ist doch schon eine gute Differenzierung. Jemand kann durchaus nicht psychotisch (wahnsinnig) sein und dennoch narzisstischen Größenphantasien anhängen, in denen der glaubt, die ganze Welt mit Reiki ein wenig besser machen zu können.

Teh Asphyx hat geschrieben: Andererseits kenne ich auch unglaublich viele „Hume’sche Verrückte“, die in einer eigenen Theoriewelt leben, die logisch in sich völlig konsistent ist, aber mit der Realität nichts zu tun hat.


Ja, ich habe mit solchen Leuten auch schon diskutiert, die dann behauptet haben, es könne ernsthaft sein, dass – Hume und seiner Kritik am Induktionsschluss folgend – morgen alle Naturgesetze andere wären, so dass theoretisch eine tote Ziege einen Vortrage über Quantenphysik halten könnte.

Teh Asphyx hat geschrieben:Dann gibt es wiederum Leute, die eigentlich sehr realistisch sind, aber gerade deswegen für verrückt gehalten werden.


Da Problem ist nur, dass das auch derjenige von sich meint, der glaubt er sei Jesus.
Das Kriterium um zu prüfen, ob einer eine atypische Psychose hat, ist fair, vollkommen unpolitisch motiviert und einfach, bei einer typischen Psychose ist es so offensichtlich, dass man kaum nachfragen muss. Es gibt auch Menschen, die unter dem Einfluss von Medikamenten (z.B. gegen Parkinson) halluzinieren, aber noch kritikfähig sind, die sind nicht psychotisch, oder welche, zu denen man trotz aktuellem Schub mit rationalen Erklärungen noch durch dringt.
Psychotisch ist man dann, wenn man mit dem, was die Gesellschaft von einem erwartet nicht mehr empathisch sein kann. Das bedeutet, dass man im Umgang mit so einem Menschen das Gefühl haben kann, es sei irgendwas merkwürdig. Ist man Psychiater oder Psychologe fragt man taktvoll nach, ob derjenige um den es geht, das Verhalten oder die Aussage von eben erklären kann, einen selbst sie sie merkwürdig vorgekommen.
Jemand bei dem die Realitätsprüfung okay ist, der kann das erklären.
Beispiel: Ein Mann lächelt immer dann merkwürdig, wenn er von an sich traurigen Ereignissen berichtet, er redet von Tod der Mutter und lächelt, er spricht davon, wie sich die Schwester eion Bein gebrochen hat und lächelt. Der Psychiater fragt am Ende: „Als sie vorhin von … berichteten, da hatten sie immer so eine Art lächeln im Gesicht, das kam mir merkwürdig vor. Können sie verstehen, dass mir das merkwürdig vorkam?“ Wenn die Antwort lautet: „Gut, das sie das sagen, das ist eines meiner Probleme, dass ich immer lächeln muss, wenn was Schlimmes passiert, die Leute müssen ja glauben, ich sei ein Sadist.“ Ausgezeichnete Realitätsprüfung, keine Psychose.
Anderer Fall, der subtil ist. Eine Frau kommt zum Psychiater, sieht ihn zum ersten Mal, bringt einen dicken Blumenstrauß mit, überreicht ihn strahlend dem Psychiater: „Hier, nehmen sie.“ Setzt sich, macht einige merkwürdig wirkende Übungen. Der Psychiater macht sein normales Interview, kommt am Ende noch mal auf den Anfang zurück und fragt: „Als sie herienkamen, da überreichten sie mit strahlend einen Blumenstrauß, obwohl wir uns noch gar nicht kann, mich hat das verwundert. Können sie nachvollziehen, warum mich das wunderte?“ Und die Frau antwortet: „Och seien sie doch nicht so ein Trauerkloß“ und hatte eine atypische Psychose. Wie gesagt, ein subtiles Beispiel.
Noch mal deutlicher: Du kannst Dich die „verrückt“ verhalten, wie Du willst, wenn Du weißt, dass Dein Verhalten als verrückt angesehen wird und was die allgemeinen Ansichten der Gesellschaft sind, bist Du nicht verrückt. Wenn Du z.B. einen Engel siehst und sagst, Du hättest den deutlich gesehen, aber Dir sei vollkommen klar, dass Dich die Leute für verrückt halten müssen, dann mag Dich das selbst verwirren, aber verrückt bist Du nicht.
Wenn Du sagst, dass der Nachbar immer heimlich Giftgas durch Deine Steckdosen leitet, weil er beim CIA ist und Du genau weißt, dass der Nachrichtensprecher Deinem Nachbarn durch die Farbe seiner Krawatte ein geheimes Zeichen gegeben hat, Dich zu vergiften und Du selbstverständlich nicht so naiv bist, nicht zu wissen, dass der Psychiater nur Teil des Systems ist und mit dem CIA unter einer Decke steckt, ist die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, dass Du eine paranoide Schizophrenie hast.

Teh Asphyx hat geschrieben:
Vollbreit hat geschrieben:Das Gespräch ist natürlich legendar in seinem surrealen Charakter, falls wir dasselbe meinen.
Wie auch immer, ich verstehe was Du meinst, aber Nida-Rümelin hatte Recht.


Das wollte ich in diesem Fall nicht mal bestreiten, mir ging es darum, dass bei dem eigentlich fatal Falschen an der Sache vorbeigeredet wird und die Diskussion sich nur um semantische Feinheiten dreht.


Für die Philosophie sind diese Feinheiten gerade wichtig, siehe die Willensfreiheitsdiskussion.

Teh Asphyx hat geschrieben:Ja, das ist natürlich großer Blödsinn. Nietzsche war da konsequenter (und hatte Recht).


Auch Nietzsches Ansichten sind immer wieder zu prüfen, wie alle anderen auch.

Teh Asphyx hat geschrieben:Die andere Sache ist dann, WIE der Mensch tatsächlich auf Strafe reagiert. Dass die keinesfalls zur „Besserung“ führt, sollten mehrere tausend Jahre Geschichte mit sich kaum verändernden Alttestamentarischen Strafsystem (in Fernost ist es das in der Hinsicht recht ähnliche konfuzianische System) nun endgültig bewiesen haben. Die Konsequenzen daraus will trotzdem keiner so wirklich ziehen. Obwohl es Ansätze gab, nicht zuletzt das Neue Testament war so ein Versuch, hat aber irgendwie kaum jemand mitbekommen.


Sehe ich auch nicht so.
Es gibt genügend ehemalige Kleinkriminelle die sagen, dass eine schnelle harte Strafe sie von weiteren Vergehen abgeschreckt hat. Ich glaube Strafen müssen schnell und angemessen sein, dann wirken sie, wenn sie unfair sind oder nach 6 Monaten ausgesprochen werden ist das Unsinn.

Teh Asphyx hat geschrieben:
Vollbreit hat geschrieben:Das gute ist, es hat den Hirnforschern den Zahn gezogen, im Bezug auf ihre allzu weitreichenden Schlussfolgerung und die Frage nach dem freien Willen.


Wobei Freerk Huisken das auch ohne Kompatibilismus hinbekommen hat und auch darüber hinaus bei der ganzen Argumentation Roths nur noch einen Trümmerhaufen hinterlassen hat. Genau das ist übrigens die wissenschaftliche Strenge, die mir bei „guten“ Marxisten gefällt.


Das ist ja nicht die Frage, auch Stefan Schleim kritisiert Roth auf anderer Basis, in dem Sinne, dass er zu dem was er sagt, selbst a) gar nicht geforscht hat und b) die Untersuchungen aus denen er zitiert ausgesprochen verzerrt wiedergibt. Unterm Strich ist Roth für mich jemand bei dem ich größte Schwierigkeiten habe ihn ernst zu nehmen.
Aber philosophsiche Argumente, sind keine empirischen oder methodischen.

Teh Asphyx hat geschrieben:Paranoia muss, wie Woody Allen wirklich klug angemerkt hat, nicht bedeuten, dass man keine Verfolger hätte.


Das stimmt, aber andersrum stimmt es eben auch. Man kann verfolgt werden und dennoch obendrein paranoid sein.

Teh Asphyx hat geschrieben:Ich will damit sagen, dass da trotzdem was dran ist und man nicht alles pathologisieren sollte, was aus dem Rahmen fällt. Genauso wenig wie man unabsichtlich falsche Sachen behauptet verschweigt man unabsichtlich Dinge, ob bewusst oder unbewusst sei mal dahingestellt.


Pathologie heißt ja nicht Absicht, sondern Krankheit. Ich mache ja niemandem der an schwerer Paranoia leitet, das zum Vorwurf, ich würde mir halt nur nicht wünschen, von ihm regiert zu werden, verheiratet zu sein oder sonst was.

Teh Asphyx hat geschrieben:Es handelt sich hier definitiv um einen Pseudostreit, der dazu da ist, bestimmte Dinge zu verschweigen. Vielleicht auch, weil es besser ist, dass es so öffentlich aufgelöst wird als durch Huiskens Polemik, da diese doch eine weitaus umfassendere Kritik auch an gegebenen gesellschaftlichen Zuständen und wie gewisse Wissenschaftler ihren Beitrag dazu zu leisten versuchen darstellt.
So was sollte man nicht unterschätzen, dann lieber das Risiko eingehen, so etwas zu überschätzen.


Ich würde sagen besser ist das Risiko so oder so zu minimieren. Kommt aber immer drauf an, in welcher Welt wir uns bewegen. Eine psychologische Diagnose sollte genau und begründet sein, danach kann man immer noch schauen, ob so ein Mensch nicht auch trotz oder sogar wegen einer Pathologie der Gesellschaft gute Dienste leisten kann. Ist ja nicht so, dass das nicht schon längst Stand der Dinge wäre.

Teh Asphyx hat geschrieben:
Vollbreit hat geschrieben:Das meine ich ja. Das System funktioniert perfekt, nur leider leiden die Menschen darunter, also wir.


Zumindest ein Großteil der Menschen. Es gibt auch Profiteure und die sitzen an den längeren Hebeln.


Ja? Ich habe da immer meine Zweifel. Geht es einem eiskalten Absahner, der wissentlich seinen Reichtum oder sein Ansehen auf dem Leid anderer gründet wirklich gut? Ich möchte morgens noch mit halbwegs ruhigem Gewissen in den Spiegel schauen können, ich weiß zwar sehr gut, dass es Menschen gibt, die von keinerlei Gewissen belastet sind, aber beneiden tue ich die nicht, weil der stete Wechsel zwischen Grandiosität und gefühlter Winzigkeit nun auch kein Spaß ist.
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Re: Ken Wilber

Beitragvon Vollbreit » Do 12. Jan 2012, 11:39

Teh Asphyx hat geschrieben: Da muss man keine Verschwörungstheorie haben, die müssen sich gar nicht verschwören, jeder wird aus seiner Position einfach sein übriges tun, um das System am Funktionieren zu halten und vieles ist längst zum Selbstläufer geworden. Da muss man nur noch bei sich andeutenden Krisen hier und da ein wenig nachhelfen und dann geht das schon.


Jeder würde ich nicht sagen, die Menschen sind in ihrer Motivation doch sehr verschieden.

Teh Asphyx hat geschrieben:
Vollbreit hat geschrieben:Nein, ganz und gar nicht, weder setzt es das voraus, noch ist es Ziel.
Das Ziel ist realistischen Beziehungen eingehen zu können, statt idealisierend oder entwertend verzerrter.


Trotzdem wird mir da der Mensch als zu „Konkret“ angesehen. Als würden Beziehungen von ihm ausgehen. Das halte ich für falsch.


Die Beziehungseben ist eine sehr wichtige, wenn nicht die wichtigste geworden, für die moderne Psychologie. Dass ein Mensch nichts dazu kann, wenn seine Beziehungen schwer verzerrt sind, versteht sich doch von selbst.

Teh Asphyx hat geschrieben:
Vollbreit hat geschrieben:Du stößt auf Unverständnis, weil nicht alles und jedes unter der Perspektive des Herrschaftsdiskurses betrachtet werden muss, auch wenn man es so betrachten kann, nur sollte man ein Gespür für den angemessenen Kontext entwickeln. Nicht jeder, der nicht allzeit darauf anspringt ist ein unbewusster Unterdrücker.


Ich betrachte auch nicht alles und jedes so. Aber bei der Verantwortung bin ich mir sicher, weil sie nur aus der Herrschaft selbst heraus begründet werden kann (sich vor Gericht verteidigen zu können, setzt zunächst ein Gericht voraus, also eine schon vorhandene künstliche Instanz, die richtet).


Verantwortung ist doch keine Frage, die allein vor Gericht behandelt wird. Das ist eine tägliche Frage an sich selbst, wenn die Oma vor einem ihr Portemonnaie verloren hat und es niemand gesehen hat, wenn man beim Umzug helfen soll und zu einer „Notlüge“ greift und was weiß ich.

Teh Asphyx hat geschrieben:Einen Opferstatus zementieren tun weder Marx noch Miller.


Aber spätestens ihre Anhänger.

Teh Asphyx hat geschrieben: Beide haben Hegel ausreichend verstanden, dass sie auch das mit der Negation der Negation eingebaut haben und eben nicht nur der Täterstatus, sondern auch der Opferstatus überwunden wird. Bei Marx ist das natürlich Überbau und Arbeiterklasse.


Naja, es erscheint mir oft, sagen wir mal, gut getarnt.

Teh Asphyx hat geschrieben:Ein Einzelner kann sich auch trotz Kapitalismus gut fühlen, aber er muss aufgrund des Systems immer schon günstige Voraussetzungen gehabt oder eine glückliche Wendung erfahren haben. Für viele ist ein solcher Zustand der Freiheit schlicht nicht herstellbar.


Glaube ich dennoch nicht.

Teh Asphyx hat geschrieben:Das vorhandene System, das auf dem Papier Gleichheit und Gerechtigkeit herstellt, zementiert diese Verhältnisse in der Praxis.
Dass das so ist, hängt stark mit dem Finanzwesen zusammen und damit, dass das Kapital Privateigentum einiger weniger ist.


Nein, das hängt mit Beziehungen zusammen. Nicht die Kohle, die Herkunft entscheidet in Deutschland.

Teh Asphyx hat geschrieben:Bei Alice Miller ist mein Kritikpunkt, dass sie diesen gesellschaftlichen Verhältnissen zu wenig Wert beimisst. Es kann sogar mit (in emotionaler Hinsicht) ausreichend guten Eltern passieren, dass man dennoch aufgrund der Aussichtslosigkeit, die eigenen Verhältnisse zu verbessern, trotzdem in einen Sog gerät. Und unsere ganzen gesellschaftlichen und psychologischen Theorien gehen immer mehr in die Richtung, dem Einzelnen dafür Verantwortung zuzuschreiben.


Nö, sehe ich vollkommen anders.
Recht hast Du damit, dass es inzwischen eine reaktive Verzerrung gibt, so ein kaltes und abwertendes Beharren auf Eigenverantwortung, die einer gleichgütligen Haltung geschuldet ist. Wo „Du Opfer“ zum Schimpfwort wird, ist das eine Verhöhnung echter Opfer, die es in der Tat bis heute gibt und das ist ein ziemlich ekelhafter Zug.
Seine Geschichte hat das aber darin, dass es jahrelang die ebenso billige Variante gegeben hat, jeden und alles und vor allem gerne sich selbst zum Opfer zu stilisieren und so jede Rechtfertigung daraus abzuleiten, im Leben nun bitte auch gar nichts leisten zu müssen, aber dennoch maximale Versorgung und Rücksichtnahme einzufordern. Es ist einfach ein Unterschied ob man entführt und gefoltert wurde, oder mit 10 kein eigenes Handy bekommen hat. Ob man diskriminiert wird, weil man zu einer verfolgten Minderheit gehört oder weil man meint es wäre doch eine perfide Unterdrückung und Verfolgung, wenn man nicht zum x-ten Mal darüber diskutieren kann, ob der Holocaust nicht vielleicht doch eine Hollywood-Inszenierung war. Und so weiter.
Auch das ist eine Verhöhnung echter Opfer.

Teh Asphyx hat geschrieben:Irgendwie endet das dann darin, dass als erstrebenswert gilt, seine Ansprüche möglichst niedrig zu halten und irgendwie Sinn zu stiften in dem, was man tut und keine Fragen zu stellen. Dazu kommt eine immer größer werdende Anzahl an „Glücksratgebern“ und ähnlichem Zeug.


Ist schon okay, solange einem bewusst bleibt, dass das noch immer Jammern auf höchstem Niveau ist.

Teh Asphyx hat geschrieben:Alice Miller geht es darum, das auf privater Ebene zu erkennen, also für sich selbst herauszufinden, wie die Verhältnisse sind und über darüber, dass man so zu Bewusstsein kommt, sich besser fühlen zu können und sein Leben auch in etwas höheres transformieren und das ist durchaus materialistisch zu betrachten (wie bei Marx auch). Bei Marx geht es mehr um die öffentliche Ebene, also das Partikularinteresse zum allgemeinen Interesse zu erklären (das heißt so viel wie zu erkennen, dass das, was einem im Weg steht auch anderen im Weg steht und deswegen an einer Lösung zu arbeiten, die allen weiterhilft) und somit gesellschaftliche Veränderungen vorzunehmen. Ich denke, dass eine Symbiose aus beidem so ziemlich das Optimum darstellen könnte.
Beides zu vereinen haben aber bisher wenige sinnvoll versucht.


In Diskussionen mit Marxisten habe ich oft bemerkt, dass es ein eigenartiges Beharren auf der Position gibt, dass man bestimmte Verhältnisse überhaupt nicht ändern kann, wenn nicht durch eine Revolution. Schrittweise Anpassung an einen von Menschen gewünschten Zustand ging gar nicht, das fand ich immer etwas befremdlich, weil man für diese Variante immer warten muss, bis alle mitmachen und so nie anfangen kann sein Leben zu verbessern.

Teh Asphyx hat geschrieben:Es gibt natürlich auch einen ideologischen Marxismus, aber der dürfte sich nun wirklich falsifiziert haben. Mir geht es eher um Marx’ gesellschaftswissenschaftliche Methode als um seine Inhalte, diese in der heutigen Zeit noch dogmatisch zu vertreten, finde ich genauso dumm wie jedes andere Dogma auch. Bei Alice Miller ist es ähnlich, auch da geht es mir um ihre Methode der Analyse von persönlichen Verhältnissen und nicht darum, ihre Inhalte dogmatisch zu vertreten (auch wenn die aufgrund zeitlicher Nähe noch eine größere Gültigkeit haben).


Sicher, wie sagt Wilber immer: „Niemand ist smart genug sich 100% zu irren.“
Das ist seine Methode geworden, er fragt nicht, wer hat Recht, die oder die, sondern, wo haben beide Recht und was können wir daraus lernen?

Teh Asphyx hat geschrieben:Zum Opfermodus siehe oben (Negation der Negation).
Das mit dem Zahn ist allerdings so eine Sache. Ein schmerzender Zahn traumatisiert erst dann, wenn die Schmerzen nicht richtig artikuliert werden können, bzw. nicht richtig reflektiert werden.
Ich kann Dir ein persönliches Beispiel von mir geben: Ich hatte mit 6 oder 7 Jahren einmal fürchterliche Zahnschmerzen und meine Mutter gab mir erstmal eine halbe Schmerztablette. Irgendwann später am Abend tat es wieder höllisch weh und meine Mutter unterstellte mir aber, ich hätte keine Schmerzen, sondern würde nur eine Tablette haben wollen (weil die irgendwie süchtig machen würden, wasweißich). Erst als ich mir diese Situation wieder in vollem Ausmaß bewusst gemacht habe, konnte ich erkennen, warum ich mir später nicht zugestanden habe, Pflege anzunehmen, wenn ich krank war und immer versucht habe, es „hart“ zu nehmen.
Was meinst Du, wie viele Menschen sich an solche Begebenheiten nicht mehr zureichend erinnern und deswegen nicht drauf kommen?


Ich meine keine Situationen in denen man mit der Mutter bereits diskutieren kann.
Wenn die ersten Zähne kommen oder das Kind eine frühe Mittelohrentzündung hat, also rasende Schmerzen und Mutter, die allmächtige, den Schmerz nicht wegbekommt, wird sie als eine böse Mutter erlebt, weil das Kind das Bild im Kopf hat, Mutter könne buchstäblich alles.
Da das Kind aber nicht so weiß denken kann, sich zu sagen, ah, dann kann Mutter eben doch nicht alles, habe ich wieder was gelernt spaltet es sein Erleben in eine gute Mutter, die nach wie vor perfekt, liebevoll und immer präsent ist und eine kalte, böse, schlechte Mutter.
Diese frühe Spaltung in nur gut und nur böse finden wir immer dann vor, wenn später jemand, längst erwachsen und kognitiv auf der Höhe, emotional in allen Beziehungen zu Idealisierungen und Entwertungen neigt, die Welt nur in perfekte oder desaströse Zustände einteilt, nur schwarz oder weiß sieht und Graustufen und Ambivalenzen nicht erkennen kann.

Teh Asphyx hat geschrieben:Ich weiß auch, warum meine Mutter so drauf war und dass das nichts mit mir zu tun hat, aber das konnte ich als Kind nicht erkennen. Es ist also nicht bloß drauf zu achten, wo Eltern ihre Kinder verletzen (was nicht mal traumatisch sein muss, wenn es nicht in einer erzieherischen Absicht passiert und das Kind eben merken darf), sondern auch, wo sie was bestimmtes unterlassen. Es geht eben nicht darum, dass man keine Fehler machen darf, aber man muss dazu bereit sein, Fehler anzuerkennen und vor allem das Kind es merken zu lassen.


Klar mit älteren Kindern kann man das machen, kleine Kinder, die nicht sprechen können, wissen bei der Botschaft: „Du, Mama weiß auch keinen Rat“ aber nicht weiter.

Teh Asphyx hat geschrieben:
Vollbreit hat geschrieben:Aufzuheben indem sie ihn universell macht. Alles Opfer, ohne Ausnahme, die einen erkennen es, die anderen verleugnen es. Das ist ein wenig dick aufgetragen.


Nein, siehe oben.


Also, ich habe Miller schon so gelesen und viele andere wohl auch.

Teh Asphyx hat geschrieben:
Vollbreit hat geschrieben:Oh doch, es gab den unseligen Trend in der Therapie eine Zeit lang jedem eine sexuellen Missbrauch ans Bein zu nageln, der einmal in seinem Leben an eine Banane gedacht hat. Die sugeestiven Effekte von Therapeuten sind nicht zu unterschätzen, so wie eine Zeit lang jeder Zweite eine multiple Persönlichkeit hatte und irgendwann mal alles ein Trauma war.


Trotzdem, die Bilder können „falsch“ sein, aber als Phantasma bleiben sie trotzdem die Fratze etwas Realem, was dahintersteckt. Das gilt es dann aufzudecken, wobei ich Dir natürlich Recht gebe, dass viele Therapeuten da leider in eine völlig falsche Richtung weitergehen.


Und das ist immer dann der Fall, wenn der Therapeut nicht ideologisch neutral ist (als Therapeut, als Bürger darf er sein, wie er will), sondern um jeden Preis alles auf sein Lieblingsthema zurückführen will. Der Patient fühlt sich da meist auch noch gut aufgehoben, weil ihn ja bisher niemand verstanden hat, der Therapeut fühlt sich narzisstisch aufgewertet, weil er mal wieder was gefunden hat, was die dummen Kollegen übersehen haben und so passt das hervorragend zuusammen, nur der Patient wird dabei leider nicht erwachsen, sondern kämpft nun Seit an Seit mit dem Therapeuten gegen die „böse Welt“. Viel schlechter kann es in einer Therapie nicht laufen, weil der Therapeut sich vom Es des Patienten (dem unverstandenen Kind) hat verführen lassen und nun als guter Vater oder umsorgende Mutter seine narzisstischen Bedürfnisse erfüllt („Endlich, sie sind der erste, der mich versteht und ernst nimmt, wenn ich sie nicht gefunden hätte“ – sowas tut auch einigen Therapeuten gut) und den Patienten weiter abhängig macht, statt frei und erwachsen. Der Patient möchte natürlich lieber Kind bleiben, gehätschelt und versorgt werden, das ist sein gutes Recht, dafür ist er Patient, nur der Therapeut muss das Spiel kennen und eine bessere Methode finden, als immer zu knuddeln und die gute Mutterbrust zu reichen.

Teh Asphyx hat geschrieben:
Vollbreit hat geschrieben:Ich fürchte, die Welt wird sich auch zukünftig nicht danach richten, ob sie in Deine Normierungsvorstellungen passt. Wie sollte man denn aussehen, um vor Deinen Augen Gnade zu finden?


Zumindest sollte er keine Uniform tragen. Über Anzüge mit Kravatte lasse ich schweren Herzens noch diskutieren, weil es hier teilweise unvermeidlich ist und ich weiß, dass es Menschen gibt, die trotzdem in Ordnung sind, aber bei uniformierten Glatzköpfen hört das mit der Glaubwürdigkeit bei mir einfach auf. Das ist mir einfach eine Spur zu krass.


Was sind denn uniformierte Glatzköpfe? Skinheads, oder wer?
Es wird immer äußere Unterscheidungen geben, auch in China oder englischen Internaten mit Schuluniform, dort konnte man die Unterschiede äußerlich dann daran ablesen, wieviele Knöpfe geöffnet waren. Die Menschen wollen keinen totalitären Einheitslook und jeder hat ja das Recht sich anzuziehen, wie er will.

Teh Asphyx hat geschrieben:Sie kann hätscheln und lieb sein und das Kind trotzdem verstören, weil sie auch damit nicht wirklich auf das Kind eingeht. Aber sie kann nicht empathisch sein und trotzdem eine solche Verstörung auslösen.
Das Problem ist viel mehr folgendes: Wenn ein Kind Schmerzen erleidet und irgendwie dabei zu spüren bekommt, dass seine Schmerzen seine Eltern belasten, dann wird es anfangen, sich schuldig zu fühlen und wird das aber nicht artikulieren können. Das, meine ich, ist wesentlich ausschlaggebender als irgendeine vermeintliche Aggression, vor der ein Kind glaubt geschützt werden zu müssen. Das hört sich ja in der Theorie zwar nett an, aber hier werden Tatsachen vernachlässigt, die tatsächlich in einer Eltern-Kind-Beziehung auftreten (siehe das Beispiel mit meiner Mutter, sie war bestimmt damals sogar so „empathisch“ aufzupassen, mich nicht von Schmerztabletten abhängig zu machen …)


Du bist entwicklungspsychologisch viel zu weit. Mit 6 oder 7 Jahren sind die Weichen längst gestellt.
In der frühen vorverbalen Zeit liegt der Hund begraben. Kinder empfinden da noch keine Schuld, sie sind egozentrisch und dürfen es sein. Sie sind der Nabel der Welt und die anderen haben gefälligst dafür zu sorgen, dass die Welt auch heil bleibt und sich nur um sie dreht. Völlig legitim, wenn man Kind ist, die weitere Entwicklung ist ein schrittweiser Abschied von dieser Idee. Schuld empfindet man erst, wenn andere schon eine nicht nur versorgende Rolle spielen.
Dann stimmt es, dass Kinder denken, der Vater habe sie geschlagen oder die Eltern sich getrennt, weil sie selbst böse waren und es irgendwie verdient hätten (da es schlimmer ist und im wörtlichen Sinne noch undenkbar, andere Gründe zu begreifen) und das kann man dann nachher in dieser Weise aufarbeiten, dass man sagt, als Kind mussten sie so denken, aber heute sind sie erwachsen.

Teh Asphyx hat geschrieben:
Vollbreit hat geschrieben:Kinder haben die Fähigkeit sich die Welt zurechtzuerklären, aber eben nach kindlichen Maßstäben. Das ist auch nicht anders zu erwarten und ebenfalls kein Fehler, es kann nur in bestimmten Fällen zu Komplikationen führen.


Nein, Kinder erklären sich nicht so viel, sondern stellen mehr Fragen (bis man es ihnen austreibt, um sie hinterher unter Druck zum Lernen zwingen zu „müssen“, da bin ich sogar mit Piaget einverstanden, da er sagt, dass Kinder von sich aus lernen wollen), Erwachsene neigen viel mehr dazu irgendwelchen (ideologischen oder ideellen) Maßstäben sich die Welt zu erklären und übersehen dabei ziemlich leicht Fakten.


Fragen stellen, ist doch der Versuch sich die Welt zu erklären, sonst stellt man keine, außer als Test in der „Warum?“-Phase.

Teh Asphyx hat geschrieben:Die Wahrnehmung eines durchschnittlichen Erwachsenen ist enorm selektiv, dazu gibt es auch genug Tests, die man durchführen kann, die das bestätigen. Bei Kindern ist wenigstens Potential vorhanden, bei vielen Erwachsenen habe ich fast schon das Gefühl, da wäre Hopfen und Malz verloren (obwohl ich da gerne optimistisch sein möchte).


Ja, sicher, wir nehmen nur wahr, was uns als relevant erscheint, mitunter hat das groteske Züge, wenn eine Mehrzahl von Studenten einen Menschen in Gorillamaske, der quer und winkend über ein Spielfeld geht, nicht sieht. Kann aber auch ganz angenehm sein, nicht mehr alles mitzubekommen und konzentriert zu sein, statt auf alle Reize zu reagieren. Hat alles seine zwei Seiten.

Teh Asphyx hat geschrieben:
Vollbreit hat geschrieben:Das ist richtig und darum sage ich ja auch, wer leidet, leidet und das muss man ernst nehmen und therapieren. Aber man muss schauen woran jemand in Wirklichkeit leidet und da liegt der Fokus darauf, wie realistisch oder unrealistisch Beziehungen erlebt werden.


Ja, sehe ich ja auch so. Allerdings gibt es auch Menschen, die allen Anlass haben, ihre Eltern zu hassen, da kenne ich auch einen und es ärgert auch mich da langsam, wenn jeder meint, aus Prinzip seine Eltern in irgendeiner Form in Schutz nehmen zu müssen, oder ihm zu unterstellen, er würde sich mit diesem Hass selbst schaden. Auch diese Form von Beziehung muss als realistisch anerkannt werden können und da hapert es oft, weil das für viele immer noch eine Art Tabu ist.


Was Dich ärgert, sind Deine Projektionen, ist eine einfache und sichere Grundregel.

Teh Asphyx hat geschrieben:Von Rousseau’scher antiautoritären Erziehung halte ich wirklich gar nichts. Die Achtung gegenseitiger Grenzen ist ebenso wichtig wie die Freiheit.


Das wärst Du mit Wilber auf einer Linie.

Den eher therapeutischen Teil überspringe ich mal.

Teh Asphyx hat geschrieben:
Vollbreit hat geschrieben:Wenn ich mich ungerecht von der Welt behandelt fühle, dann hänge ich in dieser egozentrischen Perspektive fest, egal ob die beschuldigten Mutter, Vater Staat , der Chef, der Kapitalismus oder ein sonstiger Adressat ist.


Nein, es gibt auch einfach konkrete Ungerechtigkeiten. Das kann ich auch wahrnehmen, wenn ich nicht mal so sehr selbst betroffen bin. So was sollte man eben nicht pathologisieren, sondern möglichst zum allgemeinen Problem erklären.


Ja, die gibt es und da sollte man was tun. Die Frage ist nur, ob man es mit der Perspektive Hilfe zur Selbsthilfe tut, oder daraus eine Daueralimentierung macht, das war durchaus das deutsche Modell über viel zu lange Zeit. Inzwischen hat sich der Wind schon aus wirtschaftlicher Not gedreht.

Teh Asphyx hat geschrieben:Allerdings gibt es allgemeine gesellschaftliche Umstände, die es nicht nur mir, sondern vielen anderen sehr schwer macht, überhaupt an die zur einer Existenz notwendigen Ressourcen heranzukommen (viele haben es sogar noch schwerer), geschweige denn irgendwie den eigenen Status zu verbessern. Es geht alles andere als gerecht zu und die Menschheit ist in mehrere Klassen aufgeteilt. Der Wunsch zum Politischen, also die Verhältnisse verbessern zu wollen, ist nicht krankhaft, sondern das Gegenteil ist der Fall. Es zu ignorieren, es dabei belassen zu wollen, davor zu resignieren oder sogar es als krankhaft darstellen zu wollen, dies zu verurteilen, all das ist krankhaft.


Es hilft überhaupt nicht weiter das eine oder das andere zu pathologisieren. Darum ist Diagnostik, die ideologisch motiviert ist immer abzulehnen.
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Re: Ken Wilber

Beitragvon Vollbreit » Do 12. Jan 2012, 11:40

Teh Asphyx hat geschrieben:
Vollbreit hat geschrieben:Nein, das ist grob falsch. Die Hauptursache für path. Narzissmus ist Aggression und zwar nicht einmalige sondern chronische. Das kann chronische Missachtung sein, ein Kind das nicht als Kind geliebt wird, sondern für seine Leistungen bewundert, so ein Vorzeigepüppchen, das zeigen muss, was es kann, wenn mal Besuch da ist, es ist leider oft die Erfahrung andauernden Gewalt in Form von Schlägen, Sadismus oder Prügelszenen denen das Kind als völlig verängstigter Zeuge dauernd ausgesetzt ist.


Okay, klar, aber so ein Kind darf ja gerade nicht merken. Es muss sich auf eine ganz bestimmte Art verhalten, etwas bestimmtes leisten um die Liebe seiner Eltern zu „verdienen“ und wird einfach verinnerlichen, dass es selbst schlecht ist, wenn es dem nicht gerecht wird und dieses Leid eben verdient. Vielleicht habe ich mich da einfach schlecht ausgedrückt.


Ja, das gibt es. Die Vorzeigekinder, die immer rausgeholt werden um die Eltern in gutem Licht dazustellen und ansonsten keine Beachtung bekommen.

Teh Asphyx hat geschrieben:Ich kenne Berichte von Familien, in denen das sehr gut klappt. Man sollte auf jeden Fall keine faulen Kompromisse vorschlagen, nur weil es schwierig ist, sich darauf einzulassen. Besser ist es herauszufinden, wie man leichter einen Zugang zu seiner solchen bewussten Einstellung seinen Kindern gegenüber kommt (hatte Wilber da nicht auch Ansätze?).


Wilber ist da eher konventionell unterwegs, was Kindererziehung angeht.

Teh Asphyx hat geschrieben:Koventionelle Erziehung hat das Problem, dass es Manipulation erlaubt, auch wenn sich da in der Theorie einiges verbessert hat, stelle ich fest, dass es in der Praxis allein deshalb, dass es erlaubt ist und sich dadurch eben kein generelles Bewusstsein darüber bildet, eben auch doch viel gemacht wird, was eigentlich gar nicht gut ist (und auch nicht in modernen pädagogischen Ansätzen vorgesehen). Und vieles ist auch einfach nur totaler Quatsch, da gibt es auch ein unglaubliches Maß an Verblendung, Dogmatismus usw. Allein dass jemand wie Winterhoff so erfolgreich seine Bücher verkaufen kann, erfüllt mich dann doch eher mit großer Sorge.


Erziehung ist Manipulation, ohne jede Frage.
Winterhoff oder Bueb sind ja auch nur Figuren, die populär werden konnten, weil der andere Ansatz so grandios gescheitert ist. Wäre alles damit getan, dass man die Kinder nur machen lässt, wäre es ja einfach, die Versuche hat es ja in zahlreichen Wohnungen gegeben, mal ideologisch, mal einfach so.

Teh Asphyx hat geschrieben:Ich brauche mich nicht zu retten (wovor?). Die Welt müsste schon eher gerettet werden, jedenfalls als Lebensraum vor ihrer vollständigen Zerstörung, aber auch das ist nicht mein primäres Anliegen. Mir geht es darum, etwas beizutragen, um etwas an den vorhandenen Verhältnissen tatsächlich zu verbessern. Das sollte nicht vernachlässigt werden.


Dich musst Du vor der Idee retten, den Kopf voller guter Ideen zu haben, die Du nicht umgesetzt bekommst. Ist übrigens reiner Wilber. Du willst die Welt retten? Prima. Bring Dich in Ordnung, dann die Beziehung zu Deinen Lieben, dann die zu Deinen Nachbarn, Deine Wohnung du wenn dann noch Zeit und Energie übrig ist, viel Spaß beim Welt retten.
Häufig wollen aber Menschen die Welt retten, die schon mit der eigenen Freundin überfordert sind und ihre Küche nicht in den Griff bekommen.


Teh Asphyx hat geschrieben:
Vollbreit hat geschrieben:Aber wer beurteilt, wer mit sich selbst im Reinen ist, wenn nicht man selbst?


Das ist in der Tat eine gute Frage … ich könnte schon Kategorien vorschlagen, aber letztlich würde auch ich mich dann in eine herablassende Position begeben, in der ich in diesem Fall nun wirklich nicht sein möchte.


Siehste. Wer meint, dass es ihm schlecht geht, der kann auch heute schon zur Therapie, zum Sozialarbeiter, Ernährungsberater, spirituellen Lehrer oder sonst wohin gehen.

Teh Asphyx hat geschrieben:
Vollbreit hat geschrieben:Würde ich eher nicht glauben, da ein Narzisst sich nicht drauf einlassen würde, wenn, dann eher um zu manipulieren.


Indem man mit ihm so kommuniziert, nicht indem man ihn dazu versucht zu bringen, so zu kommunizieren. Es muss allerdings auch etwas Geduld dazu gehören, anfangs wird es eher auch zum Gegenteil des gewünschten Effekts kommen.


Narzissten müssen nicht doof sein, die sind nur narzisstisch und manipulieren lieber selber. ;-)


Teh Asphyx hat geschrieben:
Vollbreit hat geschrieben:
Teh Asphyx hat geschrieben:Ich finde ihn da auch etwas unklar, weil er auf der anderen Seite auch behauptet, ein Interesse an dem Bedürfnis nach Transzendenz zu haben (irgendwo habe ich das Gerücht vernommen, dass er selbst mal Zen praktiziert hätte). Da gleichzeitig so abwertend zu sein scheint mir etwas paradox.


Jetzt habe ich den Faden verloren und weiß grad nicht mehr von wem die Rede ist.


Colin Goldner.


Ah danke. Ja, man weiß nie, was in manchen Menschen vorgeht, er verdient auf jeden Fall sein Geld damit, dass er Dauerkritiker ist und kommt ins Fernsehen, manchen reicht das schon.

Teh Asphyx hat geschrieben:
Vollbreit hat geschrieben:Ich glaube es ist beides. Dem Löwenanteil macht man glaube ich schon im stillen Kämmerlein, aber dann kann es auch Phasen geben, wo man mit anderen zusammen was erlebt.


Es kommt wirklich drauf an. Ich kenne auch genug Sachen, wo der Löwenanteil in der Gruppe stattfindet.


Muss ja nicht, man kann sich den Laden ja aussuchen, in den man geht.

Teh Asphyx hat geschrieben:Hier ist Ouspensky wirklich empfehlenswert. Ich habe jedenfalls nicht irgendeinen Teil, zu dem ich „ich“ sage, sondern bin einfach ich (ohne mich zu identifizieren), meistens jedenfalls.


Ja, und dann ist es eben noch mal ein gewaltiger Unterschied, das als intellektuelles Spiel draufzuhaben oder wirklich zu empfinden.

Teh Asphyx hat geschrieben:Achtsamkeitsmeditation gehört ja allgemein zum Buddhismus und Achtsamkeit ist auch Bestandteil des Zen. Allerdings sind einige japanische Zen-Mönche sehr kritisch damit, wie hier mit Achtsamkeit umgegangen wird, vor allem, seitdem das Wort hier so populär geworden ist (unter anderem durch Jon Kabat-Zinn). Leute meine, irgendwas achtsam zu tun und irgendein wohl bedeutender Zen-Mönch meinte, dies sei grundsätzlich eben falsch, denn wenn man etwas tut, käme es drauf an es einfach zu tun (also mit vollem Bewusstsein). Wenn man geht, dann geht man, wenn man isst, dann isst man usw. Diese Kritik kann ich auf jeden Fall teilen.


Ja, ich glaube, dass der Mönch da in jedem Fall recht hat.
Nicht die totale Kontrolle ist das worum es geht, sondern kopfüber ins Leben zu springen.

Teh Asphyx hat geschrieben:Augen auf finde ich auch nicht schlecht. Ich finde auch wichtig, dass man eine Meditation, wenn sie erstmal etwas geübt ist, auch in jeder Situation machen kann, weil ich es als wichtig ansehe, sich nicht abzukoppeln, sondern damit im Leben zu stehen. Das kommt aber eher aus dem Tao und beim Zen ist es auch durch die taoistischen Einflüsse vorhanden.


Darum geht es ja auch, ist aber sauschwer. Es meint einfach präsent zu sein, oft genug ist man es nicht.

Teh Asphyx hat geschrieben:
Vollbreit hat geschrieben:Eigentlich ist Meditation das genaue Gegenteil von Droge, sie soll ja die Klarheit und Wachheit steigern.


Das können Drogen aber auch bewirken.


Da hast Du natürlich auch wieder recht, nur THC halt nicht unbedingt.

Teh Asphyx hat geschrieben:
Vollbreit hat geschrieben:Mich hat das ehrlich gesagt in keiner Weise an einen THC-Rausch erinnert.


Kann man mal sehen, wie schwierig meditative Erfahrungen zu kommunizieren sind.


Ach, ich denke, dass das schon geht, vielleicht macht man aber auch einfach nicht die selben Erfahrungen, das tut man ja auch nicht, wenn man das gleiche Buch liest.

Teh Asphyx hat geschrieben:Ich kenne durchaus einige Fälle, wo man von einer Sucht sprechen könnte. Es kommt letztlich auch immer drauf an unter welchen Bedingungen man anfängt zu meditieren, ich würde es labilen Menschen jedenfalls nicht empfehlen, jedenfalls nicht ohne kompetente Betreuung (das heißt, dass die Betreuung auch psychologisch geschult sein sollte).


Ja, bei labilen Menschen ist Vorsicht geboten.

Teh Asphyx hat geschrieben:Trotzdem denke ich, dass Buddhismus hier keine Lösung ist. Ich habe auch den östlichen Buddhismus kennengelernt und es ist da fast noch schlimmer. Buddhismus zielt zu viel vom Leben weg (trotz der vielen taoistischen Einflüsse in einigen Strömungen), anstatt sich mit dem Staub zu vereinen, will es sich aus dem Staub erheben.


Nein, warum denn das? Klar wird das im Osten konventionell angegangen, aber gerade im Buddhismus geht es in oft radikaler Weise nicht darum sich aus dem Staub zu machen.
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Re: Ken Wilber

Beitragvon Bunte Kuh » So 5. Feb 2012, 22:43

Wilber spielt im akademischen philosophischen Diskurs keine Rolle, da er eben kein akademischer Philosoph ist, sondern Esoteriker. Seine Holontheorie sollte aber durchaus in philosophischen Seminaren als anschauliches Beispiel für typische Mechanismen der Esoterik - und damit genau dem Gegenteil von Philosophie - besprochen werden; die Vereinnahmung von wissenschaftlichen und philosophischen und bei Wilber insb. psychologischen Begriffen um den Anschein von Seriosität zu erwecken; einem Mischmasch aus Allem, von Abiogenese bis Zeitsoziologie, von Albert bis Zizek der nur dadurch verdaulich gemacht werden kann, indem man seriöse Modelle und Denker bis zur Unkenntlichkeit entstellt, also den Boden von seriöser Interpretation verlässt und im Dampfplauderland landet. Wenn etwa ein Zoowärter das mit einem Pinguin machen würde, was Wilber mit Piaget gemacht hat, würde er nicht einmal mehr die Sanitären Anlagen dort putzen dürfen. Am Ende stehen dann diese ominösen Holins: und was der nicht alles von ihnen weiß, so ganz ohne empirische Grundlage dazu: die haben sie Tendenz sich selbst zu erhalten, können sich Anpassen und durchaus auch Kommunizieren, können sich selbst transzendieren (dazu sein göttliches Beispiel: Wasserstoff + Sauerstoff = Wasser. Und GENAU SO ähnlich ist das mit den Holons auch. Irgendwie.). Auflösen können sie sich auch noch. Und zwar in - obacht! - ja: in SUBholons. Klingt stimmig. So geht es dann weiter.

Wie viele erfolgreiche Esoteriker ist er natürlich sehr gebildet, hat ungeheuere Wissensbestände aus allen Wissenschaften (nur leider ebenso breit, wie sie flach sind) und ist bestimmt ein kluger Kopf. Schad' drum.
Daß er Verteidiger findet ist dennoch verständlich. Irgendwas muss ja dran sein. Nunja. Bestimmt. Aber irgendwas ist ja immer.
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Re: Ken Wilber

Beitragvon Vollbreit » So 5. Feb 2012, 23:08

Bunte Kuh hat geschrieben:Wilber spielt im akademischen philosophischen Diskurs keine Rolle, da er eben kein akademischer Philosoph ist, sondern Esoteriker.


Was genau ist denn ein Esoteriker?

Bunte Kuh hat geschrieben:Seine Holontheorie sollte aber durchaus in philosophischen Seminaren als anschauliches Beispiel für typische Mechanismen der Esoterik - und damit genau dem Gegenteil von Philosophie - besprochen werden; die Vereinnahmung von wissenschaftlichen und philosophischen und bei Wilber insb. psychologischen Begriffen um den Anschein von Seriosität zu erwecken; einem Mischmasch aus Allem, von Abiogenese bis Zeitsoziologie, von Albert bis Zizek der nur dadurch verdaulich gemacht werden kann, indem man seriöse Modelle und Denker bis zur Unkenntlichkeit entstellt, also den Boden von seriöser Interpretation verlässt und im Dampfplauderland landet.


Ich finde eigentlich, dass Wilber insbesondere von Psychologie viel versteht.
Wie meinst Du denn das mit Albert und Zizek?
Meinst Du, dass Wilber sich auf sie bezieht?

Bunte Kuh hat geschrieben: Wenn etwa ein Zoowärter das mit einem Pinguin machen würde, was Wilber mit Piaget gemacht hat, würde er nicht einmal mehr die Sanitären Anlagen dort putzen dürfen.


Ja, ist angekommen.

Bunte Kuh hat geschrieben: Am Ende stehen dann diese ominösen Holins: und was der nicht alles von ihnen weiß, so ganz ohne empirische Grundlage dazu: die haben sie Tendenz sich selbst zu erhalten, können sich Anpassen und durchaus auch Kommunizieren, können sich selbst transzendieren (dazu sein göttliches Beispiel: Wasserstoff + Sauerstoff = Wasser. Und GENAU SO ähnlich ist das mit den Holons auch. Irgendwie.). Auflösen können sie sich auch noch. Und zwar in - obacht! - ja: in SUBholons. Klingt stimmig. So geht es dann weiter.


Wilber verkauft seine Holontheorie ja als Theorie.
Ich halte sie im übrigen auch für gescheitert, aber die Beispiele die Du da bringst sind eher schwach und nicht mal im Ansatz das, was Wilbers Holons in Schwierigkeiten bringt.

Bunte Kuh hat geschrieben:Wie viele erfolgreiche Esoteriker ist er natürlich sehr gebildet, hat ungeheuere Wissensbestände aus allen Wissenschaften (nur leider ebenso breit, wie sie flach sind) und ist bestimmt ein kluger Kopf. Schad' drum.
Daß er Verteidiger findet ist dennoch verständlich. Irgendwas muss ja dran sein. Nunja. Bestimmt. Aber irgendwas ist ja immer.


Ja, klär uns doch mal näher auf.
Warum ist nichts dran? Wo ist dass zentrale Problem der Holon-Theorie?
Was ist so kastastrophal falsch an Wilbers Piaget Darstellung?
Was genau ist esoterisch an Wilber und was genau ist überhaupt Esoterik?
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Re: Ken Wilber

Beitragvon Bunte Kuh » Mo 6. Feb 2012, 03:46

Was genau ist denn ein Esoteriker?


Aber das ist doch völlig klar. Ein Esoteriker ist jemand, der die spirituellen, mystischen und religiösen Bedürfnisse der Menschen vermarktet. Insbesondere vermarktet er Mystik, Spiritualität und Religion des fernen Ostens für Menschen aus westlichem Kulturkreis, die weder die fernöstlichen Kulturen aus eigenem Erleben kennen, noch auch nur deren Sprachen beherrschen. Die Esoterik vermarktet fernöstliche Weisheit vor allem für diejenigen, die, ob bewusst oder unbewusst, frustriert darüber sind, daß sie ihre spirituellen, mystischen und religiösen Bedürfnisse hier nicht (mehr) ausleben können bzw. diese nicht mehr gestillt werden. Natürlich ist Keny-boy auch einer dieser frustrierten Bengel, der sich nun allerlei zusammenreimt, zugleich vermarktet er den ganzen Schlamassel aber auch und um dem ganzen die Krone aufzusetzen verbindet er es mit einem psychotherapeutischem Anspruch. Er ist daher ein Vorzeigeesoteriker.

Warum ist nichts dran? Wo ist dass zentrale Problem der Holon-Theorie?


Das zentrale Problem ist, daß sie in einer Metaphysik für dumme Kerle fundiert und zudem als esoterische Buchstabensuppe nicht auf Vernünftgründe rekurieren kann. Es handelt sich bei der Holon-Idee (es kann ja per Definition keine wissenschaftliche Theorie sein, da es sich um Esoterik handelt) um das, was ich an der Esoterik für so gefährlich halte: um ein unbekömmliches Allerlei; um die bewusste oder unbewusste synkretistische Vereinnahmung, Umdeutung, Fehldeutung und Verzerrung von dem, was Wissenschaftler und Philosophen gesagt haben.
Die wichtigste Grundanforderung für Philosophie ist es, daß ihre Ergebnisse von jedem vernünftigen Wesen zumindest prinzipiell nachvollzogen werden können (auch wenn man das Ergebnis vielleicht nicht teilt), weil es ausschließlich rationale Gründe sein sollten, die angeführt werden, die aber natürlich unterschiedlich gewichtet werden können. Das ist eine grundsätzliche, methodische Rationalitätsanforderung. Hiergegen verstoßen einzelne Philosophen zwar immer mal wieder, aber dafür kann ja die Philosophie als Geisteswissenschaft nichts. Steiner, Chopra und – ja auch er - Wilber verstoßen gegen diese Anforderung umfassend, weshalb sie eben nicht als Philosoph bezeichnet werden können und sie deshalb auch im akademischen Seminaren an Hochschulen zurecht nicht besprochen werden. Streng genommen zieht sich Wilber seine Holontheorie aus dem Allerwertesten, so wie ein Steiner sich den Altantismythos und Chopra seine unsterbliche Seele. Er tut es vielleicht geschickter und mißbraucht mehr wissenschaftliche Quellen, kaschiert seine Gehaltlosigkeit also gut genug um auch gebildete Leute (insbesondere auch sich selbst) zu täuschen und auf den Arm zu nehmen - dennoch beziehen sie sich auf Offenbarungswissen. Wilber weiß ganz einfach, daß seine Behaupteten Holons diese und jene Eigenschaft haben.
Offenbarungswissen ist ein exklusives Wissen desjenigen, der die Offenbarung hat, so wie Steiner oder die spaßige Engelsfrau von Nebenan. Über die Qualität der Ergebnisse hier wie dort ist damit streng genommen noch nichts gesagt. Es ist aber klar, daß Esoterik keine Philosophie ist.

Über einzelne Punkte möchte ich nicht diskutieren, ich bin morgen schon wieder zeitlos. Wenn Du wissen möchtest, was es etwa mit Piaget auf sich hat, dann würde ich einfach den Primärtext von Pigaet über die Symbolfunktionen lesen. Was Wilber daraus gemacht hat, ist dir bereits bekannt. Während Wilber also seine hohen Verblendungszusammenhänge kultiviert, muss ich nämlich in die niederen Ebenen der Rubikonmodelle und dem sonstigen motivationspsychologischen Allerlei hinabgleiten.

Grüße
Bunte Kuh
 
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Re: Ken Wilber

Beitragvon Vollbreit » Mo 6. Feb 2012, 10:33

Bunte Kuh hat geschrieben:
Was genau ist denn ein Esoteriker?


Aber das ist doch völlig klar. Ein Esoteriker ist jemand, der die spirituellen, mystischen und religiösen Bedürfnisse der Menschen vermarktet. Insbesondere vermarktet er Mystik, Spiritualität und Religion des fernen Ostens für Menschen aus westlichem Kulturkreis, die weder die fernöstlichen Kulturen aus eigenem Erleben kennen, noch auch nur deren Sprachen beherrschen.


Vermarkten ist ja schon so ein wertender Begriff.
Esoterik kommt doch eigentlich aus der griechischen Tradition, wie kann da das Augenmerk auf fernöstliche Mystik und Religion gelegt werden?
Warum ist es wichtig, als Mystiker oder Esoteriker die Sprache oder den Kulturkreis zu kennen?
Können nur Japaner Zen machen?

Bunte Kuh hat geschrieben:Die Esoterik vermarktet fernöstliche Weisheit vor allem für diejenigen, die, ob bewusst oder unbewusst, frustriert darüber sind, daß sie ihre spirituellen, mystischen und religiösen Bedürfnisse hier nicht (mehr) ausleben können bzw. diese nicht mehr gestillt werden.


Das ist sicher ein Anteil, ich glaube eher, dass es eine Zeit lang chic war, sich damit zu befassen und eher den narzisstischen Bedürfnissen nach herausragender, aber bislang unentdeckter, Bedeutung geschuldet war, als einer spirituellen Sehnsucht, die ich aber durchaus auch anerkenne.

Bunte Kuh hat geschrieben:Natürlich ist Keny-boy auch einer dieser frustrierten Bengel, der sich nun allerlei zusammenreimt, zugleich vermarktet er den ganzen Schlamassel aber auch und um dem ganzen die Krone aufzusetzen verbindet er es mit einem psychotherapeutischem Anspruch. Er ist daher ein Vorzeigeesoteriker.


Ah, die kurze Psychoanalyse im Vorbeigehen, leider auch hier ohne hinreichende Kenntnis.
Trennt nicht gerade Wilber die Psychotherapie recht scharf von der Spiritualität? Ich meine ja. Wie deutest Du seine Aussage, Psychotherapeuten seien „die Zuhälter des Samsara“?
Damit meint er, dass Psychotherapie ein Weg ist, mit dem es sich das Ich in der Welt gemütlich machen kann, während Spiritualität der Weg ist, das Ich zu überwinden.


Bunte Kuh hat geschrieben:
Warum ist nichts dran? Wo ist dass zentrale Problem der Holon-Theorie?


Das zentrale Problem ist, daß sie in einer Metaphysik für dumme Kerle fundiert und zudem als esoterische Buchstabensuppe nicht auf Vernünftgründe rekurieren kann. Es handelt sich bei der Holon-Idee (es kann ja per Definition keine wissenschaftliche Theorie sein, da es sich um Esoterik handelt) um das, was ich an der Esoterik für so gefährlich halte: um ein unbekömmliches Allerlei; um die bewusste oder unbewusste synkretistische Vereinnahmung, Umdeutung, Fehldeutung und Verzerrung von dem, was Wissenschaftler und Philosophen gesagt haben.


Soweit die Diagnose, wo sind die Belege?
Deine Begründung entspricht bisher einer petitio principii: Wilber ist Esoteriker. Seine Begründungen sind daher nicht rational, da er Esoteriker ist und Esoteriker nie rational sind. Ein hübscher Zirkel, leider genau so fade und ohne Gehalt, wie Du es Wilber unterstellen möchtest.

Bunte Kuh hat geschrieben:Die wichtigste Grundanforderung für Philosophie ist es, daß ihre Ergebnisse von jedem vernünftigen Wesen zumindest prinzipiell nachvollzogen werden können (auch wenn man das Ergebnis vielleicht nicht teilt), weil es ausschließlich rationale Gründe sein sollten, die angeführt werden, die aber natürlich unterschiedlich gewichtet werden können. Das ist eine grundsätzliche, methodische Rationalitätsanforderung.


Stimmt.

Bunte Kuh hat geschrieben:Hiergegen verstoßen einzelne Philosophen zwar immer mal wieder, aber dafür kann ja die Philosophie als Geisteswissenschaft nichts. Steiner, Chopra und – ja auch er - Wilber verstoßen gegen diese Anforderung umfassend, weshalb sie eben nicht als Philosoph bezeichnet werden können und sie deshalb auch im akademischen Seminaren an Hochschulen zurecht nicht besprochen werden.


Das wird nun etwas redundant.
Lass doch bitte Steiner und Chopra aus dem Spiel und uns über Wilber reden.
Wo begeht er denn seine Fehler?
Was genau ist falsch, an der Holon-Theorie?

Bunte Kuh hat geschrieben: Streng genommen zieht sich Wilber seine Holontheorie aus dem Allerwertesten, so wie ein Steiner sich den Altantismythos und Chopra seine unsterbliche Seele.


Super Begründung, vor allem so rational für jeden nachvollziehbar.

Bunte Kuh hat geschrieben:Er tut es vielleicht geschickter und mißbraucht mehr wissenschaftliche Quellen, kaschiert seine Gehaltlosigkeit also gut genug um auch gebildete Leute (insbesondere auch sich selbst) zu täuschen und auf den Arm zu nehmen - dennoch beziehen sie sich auf Offenbarungswissen. Wilber weiß ganz einfach, daß seine Behaupteten Holons diese und jene Eigenschaft haben.


Offensichtlich kaschiert Wilber so gut, dass es zumindest Dir nicht gelingt, überhaupt nur die Überschrift zu liefern, an der die Holon-Theorie auf Grund läuft. Denn, wie Wilber auf seine 20 Grundaussagen kommt, das erklärt er doch eigentlich lang und breit, daran finde ich nichts sonderlich kritikwürdig, dass er sich dabei explizit auch auf die Wissenschaft beruft, ist nichts was man ihm vorwerfen könnte.


Bunte Kuh hat geschrieben:Offenbarungswissen ist ein exklusives Wissen desjenigen, der die Offenbarung hat, so wie Steiner oder die spaßige Engelsfrau von Nebenan. Über die Qualität der Ergebnisse hier wie dort ist damit streng genommen noch nichts gesagt. Es ist aber klar, daß Esoterik keine Philosophie ist.


Wo in der Holon-Theorie beruft Wilber sich auf Offenbarungswissen?
Bisher hattest Du kritisiert, dass sein Begriff von transzendieren Dir nicht passt.
Du fandest es lächerlich, dass transzendieren bedeuten soll, dass z.B. aus Sauerstoff und Wasserstoff Wasser wird. Dabei hat Wilber ja einen Transzendenzbegriff vor Augen, der von unten nach oben alles bedienen soll, also nicht auf eine Jenseitigkeit rekurriert.
Es meint einfach, dass aus bestimmten Einheiten (Holons) die gleichzeitig Teile (von größeren Einheiten) und Ganzes (von kleineren Einheiten – Subholons) sind, sich immer wieder, in Emergenzsprüngen neue Einheiten herausbilden, die wieder Teile inkorporieren und irgendwann mit anderen Holons zu neuen Holons transzensieren. Das ist im Grunde das, was jeder stinknormale Naturwissenschaftler annimmt.
Du kannst Wilber an der Stelle vorwerfen, dass er einen etwas undifferenzierten Emergenzbegriff verwendet (Stichwort: starke und schwache Emergenz), aber „Emergenz“ ist auch gar nicht so gut zu fassen, vielleicht der Begriff für „Wunder“, in der Welt der Naturwissenschaften.

Bunte Kuh hat geschrieben:Über einzelne Punkte möchte ich nicht diskutieren, ich bin morgen schon wieder zeitlos.


Oh, wer hätte das gedacht.
Erst mal in den Brunnen kacken und dann wenn’s anstrengend wird, nix wie weg.

Bunte Kuh hat geschrieben:Wenn Du wissen möchtest, was es etwa mit Piaget auf sich hat, dann würde ich einfach den Primärtext von Pigaet über die Symbolfunktionen lesen. Was Wilber daraus gemacht hat, ist dir bereits bekannt. Während Wilber also seine hohen Verblendungszusammenhänge kultiviert, muss ich nämlich in die niederen Ebenen der Rubikonmodelle und dem sonstigen motivationspsychologischen Allerlei hinabgleiten.


Es ist Wilbers explizites Vorgehen, zu dem er auch mehrfach Stellung bezogen hat, mit dem was er „Orientierunsgverallgemeinerungen“ nennt, zu arbeiten. Wilber versucht seit eh und je alles zusammenzubringen und irgendwie zu vereinheitlichen, dabei fallen auf der einen Seite notgedrungen Details über den Rand – und manche Details sind ausgesprochen wichtig – dafür erhält man, so Wilber im Gegenzug eine recht umfassende Landkarte – das könnte ebenfalls sehr wichitig sein. Man muss dieses Vorgehen nicht mögen, aber daran ist eigentlich nichts falsch oder verwerflich.
Man kann einem Molekularbiologen schlecht vorwerfen, er würde sich nicht um die Verkehrsbelastung in indischen Großstädten oder die Bedeutung des Kontrapunktes in Bachs Werken kümmern.
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