Ken Wilber

Zitiererei

Beitragvon 1von6,5Milliarden » Do 1. Dez 2011, 14:18

Bitte beschränkt das Zitieren auf das wirklich notwendige.
Bei jedem Zitat ist die Quelle, die zitierte Person (der Forenname) mit einzufügen. Dies ist nicht optional, sondern zwingend so zu halten.
Mehrere Zitatebenen bitte nur, wenn dies ausnahmsweise für das Verständnis notwendig ist. Wenn aber mehrere Ebenen zitiert werden, dann ist die Ebenstruktur auch zu erhalten.
Also nicht
Hans Huber hat geschrieben:
Max Müller hat geschrieben:Dies wäre jetzt das Zitat zweiter Ebene

Dies ist das Zitat erster Ebene.


sondern
Hans Huber hat geschrieben:
Max Müller hat geschrieben:Dies wäre jetzt das Zitat zweiter Ebene
Dies ist das Zitat erster Ebene.


Korrekte Zitatebenen erhält man durch die Nutzung der Zitierfunktion oder "per Hand" durch korrekten BB-Code-Einsatz:
Code: Alles auswählen
[quote="Hans Huber"]
[quote="Max Müller"]Dies wäre jetzt das Zitat zweiter Ebene[/quote]
Dies ist das Zitat erster Ebene.[/quote]


also Zitatanfang (welcher Ebene auch immer) durch: [ quote = " Name_der_zitierten_Person " ] Zitierter Text
Zitatende der jeweiligen Ziatatebene durch: [ / quote ]
Jeweils ohne die Leerzeichen in den Befehlen.

Achtung, Fehler, wie vergessene schließenede eckige Klammer oder "Tag" zum Beenden des jeweiligen Zitats, versucht das System selber zu korrigieren und schafft dies nicht immer sinnvoll.
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Re: Ken Wilber

Beitragvon Myron » Do 1. Dez 2011, 14:49

[MOD]Ich habe das Zitat-Chaos nachträglich korrigiert, was sehr mühselig war. In Zukunft muss es klappen![/MOD]
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Re: Ken Wilber

Beitragvon Teh Asphyx » Do 1. Dez 2011, 16:27

Vollbreit hat geschrieben:Ja, das ist ein eigenes Thema und ich sehe Alice Miller selbst sehr kritisch.
Das Hauptproblem bei ihr ist, dass man in den Sog einer Doppelbindung gerät. Entweder man konfrontiert seine eigene Misshandlung oder man verleugnet sie, dass eine Kindheit ohne Misshandlung abgelaufen sein könnte, ist bei Miller nie vorgesehen.
Das ist mindestens mal problematisch, weil nicht zu falsifizieren.


Darüber hatte ich dann gestern Abend auch noch nachgedacht. Das ist in der Tat ein großer Schwachpunkt, den ich auch irgendwie versuchen möchte, zu umgehen, denn nichtsdestoweniger denke ich, dass sie im Grunde recht hat, nur sollte es nicht durch etwas, was als Immunisierungsstrategie gelten könnte, belegt sein. Das Problem hat ja auch Popper schon bei der Psychoanalyse festgestellt, wobei er auch meinte, dass die Psychoanalyse an sich deswegen nicht abgelehnt werden sollte (was Skeptiker dann ganz gerne mal übersehen, wenn sie sich da auf Popper berufen), sie sei nur noch keine Wissenschaft in seinem Sinne.
Der große Impact, der mich dazu bewogen hat, in ihrem Sinne zu merken, kam eigentlich auch schon, als ich „Beelzebubs Erzählungen für seinen Enkel“ von Gurdjieff gelesen habe, auf Alice Miller kam ich erst viel später, aber das hat das noch mal aufgewärmt und dadurch, dass ich gerade angefangen hatte sie zu lesen, als ich aus meiner alten Umgebung raus war, kam sehr viel hoch und es hat mich von einigen Dingen befreit, weil ich sie mir bewusst gemacht habe.

Vollbreit hat geschrieben:Das ist das riesige Problem, mit dem alle zu kämpfen haben.
Ist das, was z.B. in der Mediation erfahren wird a) kommunizierbar und hat es, falls nicht, da wir diskursive Wesen sind b) irgendeinen Wert?
Und natürlich ist es eine pauschale und bilige Ausrede sich immer darauf herauszureden, dass man da was ganz Einzigartiges erfahren hat, was aber dummerweise nicht kommunizierbar ist, das zu erleben sich aber unbedingt lohnt, sonst hat man sein Leben verpfuscht.


Meinst Du Mediation oder Meditation (beides würde ja irgendwie einen Sinn ergeben)? Mit dieser Ausrede arbeiten ja die meisten Gurus auch. Und wenn man es dann nicht erfährt, dann liegt es nicht daran, dass es nicht funktioniert, sondern daran, dass man es nicht richtig gemacht hat und nicht fest genug davon überzeugt war … eben das gleiche Problem wie bei Alice Miller oben erwähnt, wobei die Kindheit ja zumindest zum Großteil kommunizierbar ist.

Vollbreit hat geschrieben:Ich kenne etliche der Bücher von Alice Miller und mein Einwand ist hier, dass sie den primären Narzissmus der Kindheit vollkommen falsch interpretiert und ihrerseits idealisiert.
Wo bei Miller Misshandlung beginnt, da kann ich nur den Kopf schütteln: Du kennst das Beispiel mit dem Paar und dem Eis man Stil? Gewiss, sie hat ihre Stärken, dort wo sie die Praktiken der schwarzen Pädagogik aufdeckt, finde ich sie gut, aber gleich beim nächsten Buch „Du sollst nicht merken“ frage ich mich, wie lange man denn die Wut und das Nichtverzeihen mit sich herumtragen soll?
Psychotherapie ist dazu da, die Traumatisierungen a) aufzudecken und b) dann aber auch hinter sich zu lassen und nicht sie zu kultivieren, dann kommt man nämlich schnell in so eine Opferidentität und lamentiert ständig, was alles hätte werden können, wären nur die Eltern nicht so grässlich gewesen.
Der beste Weg, nie erwachsen zu werden.


Ich bin gerade echt froh, mich mal mit jemanden unterhalten zu können, der ihre Bücher kennt. Für die meisten ist das Thema eher abschreckend (was man natürlich auch wieder schön mit dem Schutz vor der eigenen Konfrontation mit der Kindheit begründen könnte – und wahrscheinlich auch in vielen Fällen nicht ganz unrecht hat).
Das Beispiel musste ich gerade erstmal raussuchen, weil ich das noch nicht kannte (ich habe bisher nur drei Bücher von ihr gelesen und einige der Briefe auf ihrer Homepage). In ihren ersten drei Büchern hat sie sich noch sehr auf die Sprache der Psychoanalyse gestützt, was – wie sie auch selbst dann gemerkt hat – ein Fehler war. Es ist meiner Ansicht nach weniger relevant festzustellen, ob jetzt der Narzissmus des Kindes oder sein oraler Triebwunsch gekränkt wurde, wichtig ist, dass von Seiten der Eltern nicht viel Mühe aufkam, festzustellen, was das Bedürfnis des Kindes war und das Kind sogar verspottet wurde (an solche Kränkungen erinnere ich mich auch noch sehr gut). Das Problem ist ja, dass das Kind mit zwei Jahren nur sehr eingeschränkt dazu in der Lage ist, sich zu artikulieren und ich sehe es schon als Aufgabe der Eltern an, dies einem Kind zu erleichtern.
„Du sollst nicht merken“ habe ich zwar hier liegen, aber noch nicht vollständig gelesen, deswegen weiß ich gerade nicht, wie weit sie da geht. Von späteren Äußerungen her, scheint sie aber der Ansicht gewesen zu sein, dass diese Gefühle nachlassen, wenn sie erstmal bewusst (zugeordnet) sind. Man solle jedenfalls nicht den Fehler begehen, gleich den „religiösen Akt der Verzeihung“ durchzuführen.

Das mit der Opferidentität sehe ich auch als Gefahr. Letztendlich ist es ja inzwischen auch ein bisschen in Mode gekommen, sich mit der eigenen schweren Kindheit zu entschuldigen, was aber irgendwie nur heuchlerisch sein kann, wenn man es genau nimmt, denn wenn jemand sich tatsächlich über seine Kindheit in dem Maße bewusst wäre, dass er sein Verhalten tatsächlich darauf zurückführen kann, dann sehe ich eigentlich nicht, warum sich die Person noch destruktiv verhalten sollte. Man kann es sich also auch zu einfach machen …
Auf der anderen Seite gibt es Leute wie Breivik, die sagen, sie hätten tolle, liebevolle Eltern gehabt und wären bestimmt nicht deswegen gewalttätig, nur kann das ja auch wiederum eine Idealisierung sein, weil man nicht merken durfte …

Für mich ist die Sache relativ klar, dass ich nicht irgendwem die Schuld gebe, für das, was ich jetzt bin, aber für meine Probleme die Ursachen jetzt recht klar sehe und mich dadurch dazu in der Lage fühle, an mir zu arbeiten und das selbstbestimmt, ohne dass ich versuche, irgendein Ideal zu entsprechen – soweit das denn möglich ist.

Mir ist Alice Miller aber ein bisschen zu fixiert auf die enge Familie gewesen, auch wenn sie im Kern recht hat, gibt es dennoch genauso auch gesamtgesellschaftliche und politische Umstände, die auch nicht ohne sind. Ihre extreme Ablehnung dem Marxismus gegenüber war vielleicht ein Fehler, wenn auch ein verständlicher, denn eine intensivere Auseinandersetzung vor allem mit den Neu-Lesungen seit Althusser hätte ihr da vielleicht noch die eine oder andere Erkenntnis darüber hinaus gebracht. Natürlich meine ich Marxismus hier auch nicht als politische Ideologie, sondern als analytische Methode. Der Begriff ist ja sehr weit gefächert, und auch teilweise mit negativen Konnotationen belegt, weswegen ich da wohl präzisieren sollte.
Ich finde es immer wieder erstaunlich, wie viele Parallelen es immer zwischen Staat-Volk und Erzieher-Kind gibt und ich nehme an, dass beides auch einen ziemlich starken gegenseitigen Einfluss hat.

Vollbreit hat geschrieben:Die Psychotherapie geht inzwischen sehr erfolgreich andere Wege.


Mich stimmt etwas bedenklich, dass die gängige Psychotherapie geistige Gesundheit oft an der Arbeitsfähigkeit ausmacht. Jedenfalls hatte ich den Eindruck sowohl bei meinem Therapeuten, als ich in Therapie war als auch, wenn ich irgendwelche Artikel in der Richtung lese.
Mein Therapeut war zum Beispiel der Ansicht, es fehle mir an Selbstdisziplin und Struktur, nur habe ich dann festgestellt, dass ich ohne das beides viel effizienter in manchen Dingen bin und auf meine Frage hin, wie er sich vorstellt, wenn er mich so einschätzt, wie ich denn dazu gekommen bin, an der Gitarre eine virtuose Spieltechnik zu kultivieren, hatte er auch keine schlüssige Erklärung.
Ein guter Soldat braucht bestimmt Selbstdisziplin, aber damit habe ich eher wenig am Hut. Natürlich kann es auch sein, dass er mich provozieren wollte, damit ich feststelle, dass ich zu dem stehen sollte, was ich richtig mache … ich staune jedenfalls öfter sehr über die Trivialität von vielen Aussagen von Psychotherapeuten und Psychiatern.
Ich hatte auch mal eine Debatte über Autismus mit ihm und habe einfach mal in Frage gestellt, dass Autisten keine Empathie besitzen würden, weil ich schon öfter erlebt habe, dass Autisten untereinander sehr wohl zu Empathie fähig sind (es gibt sogar eine selbstorganisierte Autistenkommune, wo man richtig schön beobachten könnte, wie gut das klappt), während „Neurotypische“ eben oft gar keine Empathie haben, sondern nur erlernten sozialen Regeln folgen, ohne darüber zu reflektieren und man deshalb meint, sie würden sich so gut verstehen (wobei man die Grenzen ja dann schnell sieht, sobald jemand nicht so ganz mit diesen Regeln konform geht). Er meinte, das ginge gar nicht, weil Empathie durch Sprache entsteht (wobei ich meinte, dass Sprache nur aufgrund von Empathie erlernbar sein kann – man muss sich einfühlen können, um zu den Begriff zu verstehen, der hinter einem gesprochenen Wort steckt – seiner Theorie nach müsste das Wort an sich ja schon eine Bedeutung haben). Ich will ihn jetzt aber nicht schlecht machen, ich sehe ihn trotzdem durchaus als Kompetent an, habe ihn sogar weiterempfohlen, aber dennoch gibt es da Punkte, wo ich sehr kritisch bin.

Vollbreit hat geschrieben:Um aber auf die Frage nach dem erkenntnistheoretischen Wert zurückzukommen, will ich mal versuchen, einen langen Weg abzukürzen, weil eigentlich alle Diskussionen, die ich mit, mitunter sehr intelligenten Skeptikern dazu geführt habe, auf folgenden Punkt hinausliefen:
[…]
Keineswegs, würde Wilber sagen, ist spirituelle Praxis ein egozentrisch-mürrischer Rückzug ins Private, sondern viel mehr ist es so, dass ein immer reiferes Individuum den Blick erweitert, komplexe Zusammenhänge immer mehr durchschaut und so viel effektiver dazu beitragen kann, dass die Welt ein lebenswerterer Ort ist. Wie oben schon erwähnt, nimmt Wilber also das Individuum in die Verantwortung, aber zu Wohle des Ganzen.


Ich muss sagen, dass ich auch bei vielen Menschen, die sich selbst als spirituell sehen, bemängle, dass sie das Intellektuelle zu sehr abwerten. So stark wie bei vielen da die Abneigung ist, während auf der anderen Seite ein total dogmatisches Verbohrt sein in ihren spirituellen Weg da ist, scheint mir das Naheliegendste tatsächlich zu sein, dass die sich vor unangenehmen Wahrheiten verstecken.
Das führt letztendlich oft dazu, dass diese Menschen, die meinen, damit einen alternativen Lebensweg zu gehen, sich eigentlich noch stärker in das System verschranken, gerade dadurch, dass sie sich davon auf diese Art vermeintlich distanzieren, wodurch aber die Möglichkeit zu einer richtigen kritischen Auseinandersetzung unterbunden wird. Das trifft aber auch auf viele Skeptiker zu, die sich in ihrer naturwissenschaftlichen oder anderer intellektueller Verschachtelung letztlich oft vor der Konfrontation mit sich selbst, mit den inneren Dämonen verstecken. Sie suchen also ihr Heil in der Erkenntnis äußerer Dinge, ignorieren dabei aber die Beziehungen (deswegen muss man zur objektiven, also richtigen, Beobachtung auch die größtmögliche Distanz zu den Dingen haben), die ich aber – auch Bezug nehmend auf die Quantenphysik – für wesentlich realer halte.
Na ja, Quantenphysik scheint ja ohnehin bei Szientizisten als geduldeter „Humbug“ zu gelten, solange man nicht versucht, damit irgendwelche Dinge zu erklären, dann ist es natürlich sofort Quantenmystik … natürlich gibt es da aber andererseits auch einen Missbrauch seitens der Esoterik, das lässt sich aber schnell durchschauen.
Ich fand die Kernaussage von „Star Trek - The Next Generation“ ziemlich gut, wenn man den roten Faden mit Q von Anfang bis Ende verfolgt, wo er am Ende dann Picard klar macht, dass die Menschen zwar enorme Fortschritte gemacht haben, die Welt außerhalb von sich selbst zu entdecken, zu erforschen und zu entwickeln, es aber gleichzeitig keinerlei innere Entwicklung gegeben hat und der Mensch nur einen Bruchteil seiner Fähigkeiten kennt.

Vollbreit hat geschrieben:Wilber ist da irgendwie auf einem privaten Kreuzzug gegen das mean green meme, der irgendwie überspannt, wenn auch im Kern berechtigt auf mich wirkt.

Mir stellt sich da immer die Frage, inwieweit die Unterscheidung solcher Meme und die spezifische Trennung nicht selbst wieder ein Mem sind, aber das nur am Rande.
Ich musste mich gerade selbst erst informieren, was es damit auf sich hat und habe jetzt das hier als Quelle.
Gut finde ich erstmal, dass keine Stufen definiert werden, die noch nicht erreicht sind. Das sehe ich nämlich durchaus öfter mal bei esoterischen Bewusstseinsstufensystemen und finde das immer etwas bedenklich, dass jemand meint, etwas so genau erklären zu können, was er noch gar nicht erfahren hat, was dann einen Scharlatanerieverdacht in mir auslöst.
Bedenklich finde ich die Jahreszahlen. Die Einschätzung des Bewusstseins der Menschen zu früheren Zeiten basiert ja zum Großteil nur auf Vorstellungen davon und Interpretationen alter Texte aus der jetzigen Sicht heraus. Däniken hat auch den Fehler gemacht, die kognitiven Fähigkeiten der Menschen früherer Zeiten völlig zu unterschätzen und begründet damit irgendwelche Theorien, dass Außerirdische irgendwas gemacht hätten. Letztlich wissen wir überhaupt nichts darüber, zu welch komplexen sozialen Systemen die Menschen früher fähig waren und es gibt immer wieder überraschende neue Erkenntnisse. Ich denke zum Beispiel, dass das Gemeinschaftliche, was erst im grünen Mem so auftaucht, etwas völlig Grundlegendes ist und auch schon im frühesten Stadium vorhanden gewesen sein müsste.
Opferbereitschaft und Holismus passen für mich überhaupt nicht zusammen. Oder es ist mit „Opfer“ nicht „Opfer“ gemeint, sondern irgendetwas, was einfach nicht nur primär dem Eigennutz dient. Das scheint mir aber auch schon wesentlich älter zu sein.

Was genau wäre denn die pathologische Ausartung des green meme? Ich hab da noch keine konkrete Vorstellung.

Vollbreit hat geschrieben:Nein, das ist er schon. Aber des Ego von Wilber ist vermutlich groß genug sich da nicht unterordnen zu wollen, zumal die Liebe nicht auf Gegenseitigkeit beruht.
Dennoch glaube ich nicht dass sich Wilber da zu stellvertretender Abneigung hinreißen lässt, das wäre auch etwas albern.


Das mit dem Ego nehme ich auch an. Ich denke, dass man sich da auch durchaus unbewusst zu hinreißen lassen kann, einfach dadurch, dass jemand, den man schätzt, auf der Gegenseite ist. Wobei ich schon in erster Linie denke, dass Ken Wilber da vor allem eine Konkurrenz oder Gefahr für seine eigene Theorie drin sieht. Er schrieb da ja selbst, dass die im Ansatz sehr gut sind, letztendlich dann aber doch nicht, weil die dann in eine ganz falsche Richtung gehen und deswegen reicht es völlig, wenn man das mitnimmt, was Wilber gütigerweise selbst schon extrahiert hat (das war die Wirkung, die es auf mich hatte beim Lesen).
Ich denke, dass eine Auseinandersetzung mit Foucault und Derrida weiterhin sehr sinnvoll sein kann und man da ruhig sich selbst ein Bild von machen und seine eigenen Schlüsse ziehen sollte.
Bei Autoren wie Umberto Eco, Peter Sloterdijk oder Slavoj Žižek, die ich gerne lese (und die mit Sicherheit auch kein kleines Ego haben), habe ich eher das Gefühl, dass es mir erlaubt ist, auch andere zu lesen, bei Wilber hat mich (wobei ich da zugegeben bisher weitaus weniger gelesen habe) das Gefühl beschlichen, nur das sei wertvoll, was er schon integriert hat, alles andere könne man sich getrost sparen. Und ich denke da durchaus, dass er sich schon mehr als nur ein wenig daran erfreut, dass seine „Jünger“ ihm zu Füßen liegen, ungeachtet dessen, dass natürlich dennoch wertvolle Erkenntnisse in seinen Werken sein können (ich werde mich da auch noch intensiver mit auseinander setzen, er ist für mich also nicht einfach abgestempelt). Dass dann manche seiner „Jünger“ so diskutieren, wie hier (insbesondere dieser Demetrius Dеgеn), kann für Leute wie mich tatsächlich dann sehr abschreckend wirken. Dabei geht es dort ja nicht mal darum, Wilber in Frage zu stellen, sondern nur um die Frage, ob er im strengen Sinne Philosoph ist oder nicht.
Allerdings habe ich ähnlichen Schwachfug auch schon von Alice-Miller-Fanboys erlebt (so meinte mal einer in einer feministischen Diskussion den Feministinnen erklären zu müssen, dass sie alle in Wirklichkeit Probleme aus der Kindheit verdrängen würden, nur weil Miller das über eine einzige Frau gesagt hat, wo es auch konkreten Anlass dazu gab und den Verdacht geäußert hat, dass es durchaus bei einigen Feministinnen auch so sein kann), schätze ihre Werke aber trotzdem.

Peinlich finde ich es, wenn es wie in den Amazon-Rezensionen zu Colin Goldners Buch über den Dalai Lama, dann so kommt, dass Buddhisten, die sich gekränkt fühlen, weil jemand darauf hinweist, dass sie nicht immer so friedfertig sind (jedenfalls in Tibet), dann gleich total aggressiv reagieren (einer wurde sogar von Amazon gesperrt wegen unbeherrschten Tonfalls). Aber da haben wir es ja auch wieder mit einer Religion zu tun …
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Re: Ken Wilber

Beitragvon Vollbreit » Do 1. Dez 2011, 16:59

Hi Teh Asphyx,

danke für die Antwort, hast Du gesehen, dass über dem Beitrag den Du beantwortest hattest noch ein erster Teil steht?
Musste ihn splitten, da ich die 20.000 Grenze gesprengt hatte.

Ich versuche Dir heute noch zu antworten, weiß aber nicht genau ob ich es schaffe, habe in den nächsten Tagen berufsbedingt sehr wenig Zeit, die Antwort kommt aber auf jeden Fall.
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Re: Ken Wilber

Beitragvon Teh Asphyx » Do 1. Dez 2011, 17:52

Vollbreit hat geschrieben:danke für die Antwort, hast Du gesehen, dass über dem Beitrag den Du beantwortest hattest noch ein erster Teil steht?

Das habe ich tatsächlich übersehen. Dann werde ich darauf gleich auch noch eingehen (oder vielleicht auch erst morgen) und meinen Beitrag noch mal editieren, eventuell ist damit auch einiges, was ich geschrieben habe hinfällig, mal gucken.

Na gut, den Beitrag kann ich wohl nicht mehr editieren, dann werde ich noch einen weiteren schreiben. Allerdings sollte ich mich heute darauf besinnen, noch ein paar andere dringende Dinge zu erledigen (zum Beispiel endlich mal meine Studienlektüre über den Dalai Lama anfangen, obwohl mir das Thema gerade etwas zum Hals heraushängt, was nicht gerade gegen meine Prokrastination hilft).
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Re: Ken Wilber

Beitragvon Vollbreit » Do 1. Dez 2011, 19:25

Teh Asphyx hat geschrieben:Darüber hatte ich dann gestern Abend auch noch nachgedacht. Das ist in der Tat ein großer Schwachpunkt, den ich auch irgendwie versuchen möchte, zu umgehen, denn nichtsdestoweniger denke ich, dass sie im Grunde recht hat, nur sollte es nicht durch etwas, was als Immunisierungsstrategie gelten könnte, belegt sein.


Inhaltlich ist das auch bedenklich, selbst ehemals wohlmeinende Wegfeährten wie Schmidbauer haben von ihr Abstand genommen, er wirft ihr vor da ein Schwarz/Weiß-Bild zu zeichnen, ich sehe die Gefahr darin, die Patienten zu infantilisieren, dass der Ansatz auch gute Seiten hat, ist klar.

Teh Asphyx hat geschrieben:Das Problem hat ja auch Popper schon bei der Psychoanalyse festgestellt, wobei er auch meinte, dass die Psychoanalyse an sich deswegen nicht abgelehnt werden sollte (was Skeptiker dann ganz gerne mal übersehen, wenn sie sich da auf Popper berufen), sie sei nur noch keine Wissenschaft in seinem Sinne.


Da hat sich inzwischen sehr viel geändert und wer sich gegen die Analyse noch darauf beruft ist knapp 40 Jahre hinter dem Stand der Dinge zurück.

Teh Asphyx hat geschrieben:Der große Impact, der mich dazu bewogen hat, in ihrem Sinne zu merken, kam eigentlich auch schon, als ich „Beelzebubs Erzählungen für seinen Enkel“ von Gurdjieff gelesen habe, auf Alice Miller kam ich erst viel später, aber das hat das noch mal aufgewärmt und dadurch, dass ich gerade angefangen hatte sie zu lesen, als ich aus meiner alten Umgebung raus war, kam sehr viel hoch und es hat mich von einigen Dingen befreit, weil ich sie mir bewusst gemacht habe.


Will ich Dir nicht nehmen.

Teh Asphyx hat geschrieben:Meinst Du Mediation oder Meditation (beides würde ja irgendwie einen Sinn ergeben)?


Meditation.

Teh Asphyx hat geschrieben:Mit dieser Ausrede arbeiten ja die meisten Gurus auch. Und wenn man es dann nicht erfährt, dann liegt es nicht daran, dass es nicht funktioniert, sondern daran, dass man es nicht richtig gemacht hat und nicht fest genug davon überzeugt war … eben das gleiche Problem wie bei Alice Miller oben erwähnt, wobei die Kindheit ja zumindest zum Großteil kommunizierbar ist.


Ja, nur vielleicht sind die Erwartungen da auch manchmal vom Klientel auch überzogen.
Dass Meditation kurzfristig wirkt ist die eine Sache, nach Knieschmerzen und Verspannungen hat man schnell einen Entspannungseffekt der nachgewiesen ist.
Dass Mediation tiefe Persönlichkeitsveränderungen bewirkt, ist auch nachgewiesen und der realistische Zielwert sind hier 10.000 Stunden. Meditation wird also erst „spannend“ wenn sie langweilig wird, dann verlieren aber viele schon die Lust.

Teh Asphyx hat geschrieben:Ich bin gerade echt froh, mich mal mit jemanden unterhalten zu können, der ihre Bücher kennt. Für die meisten ist das Thema eher abschreckend (was man natürlich auch wieder schön mit dem Schutz vor der eigenen Konfrontation mit der Kindheit begründen könnte – und wahrscheinlich auch in vielen Fällen nicht ganz unrecht hat).
Das Beispiel musste ich gerade erstmal raussuchen, weil ich das noch nicht kannte (ich habe bisher nur drei Bücher von ihr gelesen und einige der Briefe auf ihrer Homepage).


Steht ziemlich am Ende von „Das Drama des begabten Kindes“.

Teh Asphyx hat geschrieben:In ihren ersten drei Büchern hat sie sich noch sehr auf die Sprache der Psychoanalyse gestützt, was – wie sie auch selbst dann gemerkt hat – ein Fehler war. Es ist meiner Ansicht nach weniger relevant festzustellen, ob jetzt der Narzissmus des Kindes oder sein oraler Triebwunsch gekränkt wurde, wichtig ist, dass von Seiten der Eltern nicht viel Mühe aufkam, festzustellen, was das Bedürfnis des Kindes war und das Kind sogar verspottet wurde (an solche Kränkungen erinnere ich mich auch noch sehr gut). Das Problem ist ja, dass das Kind mit zwei Jahren nur sehr eingeschränkt dazu in der Lage ist, sich zu artikulieren und ich sehe es schon als Aufgabe der Eltern an, dies einem Kind zu erleichtern.


Völlig richtig, nur ist eine kränkungsfreie Erziehung nicht zu machen.
Wenn Du Dir mal anschaust, wie das Über-Ich aufgebaut ist, es besteht aus drei Schichten, einer ersten sadsitisch-verfolgenden, einer zweiten narzisstisch-idealen und einer dritten realistischen, die die ersten beiden ausbalanciert. Inder ersten Phase der Bildung des Über-Ichs, die bereits im erstem LJ stattfindet, kann das Kind überhaupt nicht verstehen, was für Verbote die Eltern da aussprechen, aus Sicht der Elter sind die vollkommen realistisch, aus Sicht des Kindes willkürlich, sadistisch und hinderlich – weil das Kind es nicht kapieren kann, wenn es dies und das nicht darf.
Das ist aber kein Problem, wenn das Kind einer emotional stabilen, klaren und unaufgeregten (frei von Spitzenaffekten, positiven wie negativen) Umgebung aufwächst.
Kurz und gut, bei allen individuellen Unterschieden die Kinder haben, es braucht eine ganze Menge um eine Kindliche Psyche ernsthaft zu beschädigen – umso trauriger, dass es tatsächlich so oft passiert. Nur, wenn man weiß was für Mengen an chronischer Aggression, chronischem Missbrauch und Kälte da nötig sind, kann man nicht mehr ganz glücklich mit Miller sein.

Teh Asphyx hat geschrieben:„Du sollst nicht merken“ habe ich zwar hier liegen, aber noch nicht vollständig gelesen, deswegen weiß ich gerade nicht, wie weit sie da geht. Von späteren Äußerungen her, scheint sie aber der Ansicht gewesen zu sein, dass diese Gefühle nachlassen, wenn sie erstmal bewusst (zugeordnet) sind. Man solle jedenfalls nicht den Fehler begehen, gleich den „religiösen Akt der Verzeihung“ durchzuführen.


Verstehen und Verzeihen sind zwei Paar Schuhe, keine Frage. Dennoch sind negative Affekte wie chronische Wut und chronischer Hass zerstörend für die eigene Psyche, auch das darf nicht übersehen werden.

Teh Asphyx hat geschrieben:Das mit der Opferidentität sehe ich auch als Gefahr. Letztendlich ist es ja inzwischen auch ein bisschen in Mode gekommen, sich mit der eigenen schweren Kindheit zu entschuldigen, was aber irgendwie nur heuchlerisch sein kann, wenn man es genau nimmt, denn wenn jemand sich tatsächlich über seine Kindheit in dem Maße bewusst wäre, dass er sein Verhalten tatsächlich darauf zurückführen kann, dann sehe ich eigentlich nicht, warum sich die Person noch destruktiv verhalten sollte. Man kann es sich also auch zu einfach machen …


So ist es, übrigens muss das bei den Amis ziemlich weit gegangen sein, Wilber lässt sich in „Boomeritis“ darüber aus, zu welchen Exzessen die Opferkultur dort geführt hat und er ist beileibe nicht der einzige, der das so sieht.
Teh Asphyx hat geschrieben:Für mich ist die Sache relativ klar, dass ich nicht irgendwem die Schuld gebe, für das, was ich jetzt bin, aber für meine Probleme die Ursachen jetzt recht klar sehe und mich dadurch dazu in der Lage fühle, an mir zu arbeiten und das selbstbestimmt, ohne dass ich versuche, irgendein Ideal zu entsprechen – soweit das denn möglich ist.


So sollte es sein.

Teh Asphyx hat geschrieben:Mir ist Alice Miller aber ein bisschen zu fixiert auf die enge Familie gewesen, auch wenn sie im Kern recht hat, gibt es dennoch genauso auch gesamtgesellschaftliche und politische Umstände, die auch nicht ohne sind. Ihre extreme Ablehnung dem Marxismus gegenüber war vielleicht ein Fehler, wenn auch ein verständlicher, denn eine intensivere Auseinandersetzung vor allem mit den Neu-Lesungen seit Althusser hätte ihr da vielleicht noch die eine oder andere Erkenntnis darüber hinaus gebracht. Natürlich meine ich Marxismus hier auch nicht als politische Ideologie, sondern als analytische Methode. Der Begriff ist ja sehr weit gefächert, und auch teilweise mit negativen Konnotationen belegt, weswegen ich da wohl präzisieren sollte.
Ich finde es immer wieder erstaunlich, wie viele Parallelen es immer zwischen Staat-Volk und Erzieher-Kind gibt und ich nehme an, dass beides auch einen ziemlich starken gegenseitigen Einfluss hat.


Die Beziehung von Psychoanalyse und Marxismus war ja über Jahre eine befruchtende, fußte aber mitunter auf falschen Interprtationen der Marxisten, die das Über-Ich zu sehr als den Buhknaben gesehen haben. Das ist aus heutiger Sicht ganz eindeutig falsch, später gerne mehr dazu, bin knapp mit Zeit.

Teh Asphyx hat geschrieben:Mich stimmt etwas bedenklich, dass die gängige Psychotherapie geistige Gesundheit oft an der Arbeitsfähigkeit ausmacht. Jedenfalls hatte ich den Eindruck sowohl bei meinem Therapeuten, als ich in Therapie war als auch, wenn ich irgendwelche Artikel in der Richtung lese.


Ein langes Thema für sich, eigentlich sollte es Liebes- und Arbeitsfähigkeit sein, aber Arbeit kann nicht heißen Ausbeuterei um jeden Preis. Freud ist da tendenziell eher vom Beruf als Berufung ausgegangen, die heutige Therapie ist aber ohnehin die Verhaltenstherapie und deren Weltbild ist da eher auf ein funktionierendes Einpassen in die Gesellschaft angelegt und die Frage ob man passen sollte, fällt leider zu oft falsch.

Teh Asphyx hat geschrieben:Mein Therapeut war zum Beispiel der Ansicht, es fehle mir an Selbstdisziplin und Struktur, nur habe ich dann festgestellt, dass ich ohne das beides viel effizienter in manchen Dingen bin und auf meine Frage hin, wie er sich vorstellt, wenn er mich so einschätzt, wie ich denn dazu gekommen bin, an der Gitarre eine virtuose Spieltechnik zu kultivieren, hatte er auch keine schlüssige Erklärung.
Ein guter Soldat braucht bestimmt Selbstdisziplin, aber damit habe ich eher wenig am Hut. Natürlich kann es auch sein, dass er mich provozieren wollte, damit ich feststelle, dass ich zu dem stehen sollte, was ich richtig mache … ich staune jedenfalls öfter sehr über die Trivialität von vielen Aussagen von Psychotherapeuten und Psychiatern.


Ich würde mal sagen, die gibt es tatsächlich.

Teh Asphyx hat geschrieben:Ich hatte auch mal eine Debatte über Autismus mit ihm und habe einfach mal in Frage gestellt, dass Autisten keine Empathie besitzen würden, weil ich schon öfter erlebt habe, dass Autisten untereinander sehr wohl zu Empathie fähig sind (es gibt sogar eine selbstorganisierte Autistenkommune, wo man richtig schön beobachten könnte, wie gut das klappt), während „Neurotypische“ eben oft gar keine Empathie haben, sondern nur erlernten sozialen Regeln folgen, ohne darüber zu reflektieren und man deshalb meint, sie würden sich so gut verstehen (wobei man die Grenzen ja dann schnell sieht, sobald jemand nicht so ganz mit diesen Regeln konform geht). Er meinte, das ginge gar nicht, weil Empathie durch Sprache entsteht (wobei ich meinte, dass Sprache nur aufgrund von Empathie erlernbar sein kann – man muss sich einfühlen können, um zu den Begriff zu verstehen, der hinter einem gesprochenen Wort steckt – seiner Theorie nach müsste das Wort an sich ja schon eine Bedeutung haben). Ich will ihn jetzt aber nicht schlecht machen, ich sehe ihn trotzdem durchaus als Kompetent an, habe ihn sogar weiterempfohlen, aber dennoch gibt es da Punkte, wo ich sehr kritisch bin.


Dass Empathie durch Sprache entsteht, ist sachlich falsch.
Und ich stimme Dir sehr zu, dass Regeln zu verstehen etwas vollkommen anderes ist, als über die Sinnhaftigkeit von Regeln zu reflektieren und dass die Reflexion über die Sinnhaftigkeit (wenn sie nicht exzessiv wird und zur Lebensuntüchtigkeit führt) bei weitem höher zu bewerten ist.
Die andere Seite ist, dass man von der Gesellschaft mit dem einem stereotypierenden Blick betrachtet wird, auch das darf man nicht verkennen und auch nicht völlig entwerten.
Postkonventionalität zeichnet sich dadurch aus, dass man sich weitgehend an den Regeln der Gesellschaft aus der man kommt orientiert, aber im Einzelfall begründete Ausnahmen für sich in Anspruch nimmt. Aber nicht das dickste Stück vom Kuchen aus Prinzip oder Opposition aus reiner Willkür, oder weil man Regeln als prinzipiell beleidigend oder unter seiner Würde betrachtet.
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Re: Ken Wilber

Beitragvon Vollbreit » Do 1. Dez 2011, 19:29

Teh Asphyx hat geschrieben:Ich muss sagen, dass ich auch bei vielen Menschen, die sich selbst als spirituell sehen, bemängle, dass sie das Intellektuelle zu sehr abwerten. So stark wie bei vielen da die Abneigung ist, während auf der anderen Seite ein total dogmatisches Verbohrt sein in ihren spirituellen Weg da ist, scheint mir das Naheliegendste tatsächlich zu sein, dass die sich vor unangenehmen Wahrheiten verstecken.


Stimmt, das Rationale ist vor allem in der Esobewegung vollkommen entwertet gewesen, in einem Umfang der wirklich mitunter nur dämlich zu nennen ist.

Teh Asphyx hat geschrieben:Das führt letztendlich oft dazu, dass diese Menschen, die meinen, damit einen alternativen Lebensweg zu gehen, sich eigentlich noch stärker in das System verschranken, gerade dadurch, dass sie sich davon auf diese Art vermeintlich distanzieren, wodurch aber die Möglichkeit zu einer richtigen kritischen Auseinandersetzung unterbunden wird.


Jo, da ist was dran.

Teh Asphyx hat geschrieben:Das trifft aber auch auf viele Skeptiker zu, die sich in ihrer naturwissenschaftlichen oder anderer intellektueller Verschachtelung letztlich oft vor der Konfrontation mit sich selbst, mit den inneren Dämonen verstecken. Sie suchen also ihr Heil in der Erkenntnis äußerer Dinge, ignorieren dabei aber die Beziehungen (deswegen muss man zur objektiven, also richtigen, Beobachtung auch die größtmögliche Distanz zu den Dingen haben), die ich aber – auch Bezug nehmend auf die Quantenphysik – für wesentlich realer halte.


Das Problem ist hier, dass nie so ganz geklärt ist, was Objektivität denn überhaupt ist und woran man die erkennt. Einfach zu sagen, es ist objektiv so, dass Rom die Hauptstadt von Italien ist, ist zwar richtig, aber objektive Richtigkeiten sind nicht selten Konventionen und intersubjekjtiv. Mal ist der Pluto ein Planet, mal ist er es nicht. Dann kann man sagen, dass er aber objektiv so und so groß ist, aber das ist ein Maßsystem das man eingeführt hat.
Ich will nicht bestreiten, dass es Sinn macht von Objektivität zu reden, aber ist oft schwieriger damit als man denkt.
Mit der Distanz, ja da wäre Heidegger so eine Adresse, den Du ja auch auf dem Schirm hast, der mehr oder weniger sagt, dass diese Subjekt-Obejkt-Distanz oder –Trennung Quatsch ist, das wir uns, bevor wir diese Distanz überhaupt formulieren können, immer schon eingebunden (geworfen würde er wohl sagen) in Welt vorfinden. Wir gehen immer schon mit Welt um, in diesem Sinne sind Marx, Habermas und Heidegger auf einer Linie.

Teh Asphyx hat geschrieben:Na ja, Quantenphysik scheint ja ohnehin bei Szientizisten als geduldeter „Humbug“ zu gelten, solange man nicht versucht, damit irgendwelche Dinge zu erklären, dann ist es natürlich sofort Quantenmystik … natürlich gibt es da aber andererseits auch einen Missbrauch seitens der Esoterik, das lässt sich aber schnell durchschauen.


Wieso ist Quantenphysik Humbug? Ganz im Gegenteil. Im Grunde versteht keine Sau was da genau vor sich geht, aber Humbug ist das nun nicht. Gibt ja Leute die arbeien täglich damit.

Teh Asphyx hat geschrieben:Ich fand die Kernaussage von „Star Trek - The Next Generation“ ziemlich gut, wenn man den roten Faden mit Q von Anfang bis Ende verfolgt, wo er am Ende dann Picard klar macht, dass die Menschen zwar enorme Fortschritte gemacht haben, die Welt außerhalb von sich selbst zu entdecken, zu erforschen und zu entwickeln, es aber gleichzeitig keinerlei innere Entwicklung gegeben hat und der Mensch nur einen Bruchteil seiner Fähigkeiten kennt.


Da ist sicher auch was dran.

Teh Asphyx hat geschrieben:Mir stellt sich da immer die Frage, inwieweit die Unterscheidung solcher Meme und die spezifische Trennung nicht selbst wieder ein Mem sind, aber das nur am Rande.
Ich musste mich gerade selbst erst informieren, was es damit auf sich hat und habe jetzt das hier als Quelle.
Gut finde ich erstmal, dass keine Stufen definiert werden, die noch nicht erreicht sind. Das sehe ich nämlich durchaus öfter mal bei esoterischen Bewusstseinsstufensystemen und finde das immer etwas bedenklich, dass jemand meint, etwas so genau erklären zu können, was er noch gar nicht erfahren hat, was dann einen Scharlatanerieverdacht in mir auslöst.
Bedenklich finde ich die Jahreszahlen. Die Einschätzung des Bewusstseins der Menschen zu früheren Zeiten basiert ja zum Großteil nur auf Vorstellungen davon und Interpretationen alter Texte aus der jetzigen Sicht heraus. Däniken hat auch den Fehler gemacht, die kognitiven Fähigkeiten der Menschen früherer Zeiten völlig zu unterschätzen und begründet damit irgendwelche Theorien, dass Außerirdische irgendwas gemacht hätten. Letztlich wissen wir überhaupt nichts darüber, zu welch komplexen sozialen Systemen die Menschen früher fähig waren und es gibt immer wieder überraschende neue Erkenntnisse. Ich denke zum Beispiel, dass das Gemeinschaftliche, was erst im grünen Mem so auftaucht, etwas völlig Grundlegendes ist und auch schon im frühesten Stadium vorhanden gewesen sein müsste.


Das stimmt, Habermas hat mal irgendwo geschrieben, dass jemand der in der Steinzeit die Jagd auf eine Mammut oder dergl. koordiniert hat bereits über diese (zentaurische, würde Wilber sagen) Eigenschaft verfügt haben muss. Hier geht es aber eher um den Gesamthintergrund einer Gesellschaft.

Teh Asphyx hat geschrieben:Opferbereitschaft und Holismus passen für mich überhaupt nicht zusammen. Oder es ist mit „Opfer“ nicht „Opfer“ gemeint, sondern irgendetwas, was einfach nicht nur primär dem Eigennutz dient. Das scheint mir aber auch schon wesentlich älter zu sein.


Mit Opfer ist kein rituelles Opfer gemeint, sondern die Bereitschaft sich für andere einzusetzen.
Und dann mussman darauf achten, aus welcher Motivation heraus diese Opfer gebracht werden.
Man kann auch Opfer bringen, im Sinne der Ehre, fürs Vaterland und was weiß ich…

Teh Asphyx hat geschrieben:Was genau wäre denn die pathologische Ausartung des green meme? Ich hab da noch keine konkrete Vorstellung.


Exzessiver Pluralismus, der jede moralische Wertung verfehlt und am Ende alles irgendwie gut findet (außer kaltem, rationalem, „männlichem“ Denken, Schulmedizin und katholischer Kirche) Ehrenmorde, Nazis inklusive. Ist jetzt etwas übertrieben, habe ich aber schon erlebt.
In der Regel Leute mit einer happy go lucky Einstellung, die alles leicht nehmen, außer, wenn es um sie selbst geht, da ist dann alles hochdramatisch.

Teh Asphyx hat geschrieben:Das mit dem Ego nehme ich auch an. Ich denke, dass man sich da auch durchaus unbewusst zu hinreißen lassen kann, einfach dadurch, dass jemand, den man schätzt, auf der Gegenseite ist. Wobei ich schon in erster Linie denke, dass Ken Wilber da vor allem eine Konkurrenz oder Gefahr für seine eigene Theorie drin sieht. Er schrieb da ja selbst, dass die im Ansatz sehr gut sind, letztendlich dann aber doch nicht, weil die dann in eine ganz falsche Richtung gehen und deswegen reicht es völlig, wenn man das mitnimmt, was Wilber gütigerweise selbst schon extrahiert hat (das war die Wirkung, die es auf mich hatte beim Lesen).


Ja, Wilber hat auch sehr selbstkritische und relaistische Momente, in denen er sagt, er sei nicht so gut, wie seine Fans denken, aber auch nicht so schlecht, wie seine Kritiker meinen, das scheint in meinen Augen zu stimmen.

Teh Asphyx hat geschrieben:Ich denke, dass eine Auseinandersetzung mit Foucault und Derrida weiterhin sehr sinnvoll sein kann und man da ruhig sich selbst ein Bild von machen und seine eigenen Schlüsse ziehen sollte.
Bei Autoren wie Umberto Eco, Peter Sloterdijk oder Slavoj Žižek, die ich gerne lese (und die mit Sicherheit auch kein kleines Ego haben), habe ich eher das Gefühl, dass es mir erlaubt ist, auch andere zu lesen, bei Wilber hat mich (wobei ich da zugegeben bisher weitaus weniger gelesen habe) das Gefühl beschlichen, nur das sei wertvoll, was er schon integriert hat, alles andere könne man sich getrost sparen.


Habe ich zumindest anders empfunden. Ich habe viele Autoren gerade wegen Wilber gelesen.

Teh Asphyx hat geschrieben: Und ich denke da durchaus, dass er sich schon mehr als nur ein wenig daran erfreut, dass seine „Jünger“ ihm zu Füßen liegen, ungeachtet dessen, dass natürlich dennoch wertvolle Erkenntnisse in seinen Werken sein können (ich werde mich da auch noch intensiver mit auseinander setzen, er ist für mich also nicht einfach abgestempelt). Dass dann manche seiner „Jünger“ so diskutieren, wie hier (insbesondere dieser Demetrius Dеgеn), kann für Leute wie mich tatsächlich dann sehr abschreckend wirken. Dabei geht es dort ja nicht mal darum, Wilber in Frage zu stellen, sondern nur um die Frage, ob er im strengen Sinne Philosoph ist oder nicht.


Im strengen Sinne Philosoph, das ist so eine Frage für sich.
Dem akademischen Zirkus werfen ja auch Leute wir Precht vor, etwas in sich geschlossen zu sein und gesellschaftlich nicht mehr viel zu sagen zu haben. Hat alles seine Licht- und Schattenseiten.

Teh Asphyx hat geschrieben:Allerdings habe ich ähnlichen Schwachfug auch schon von Alice-Miller-Fanboys erlebt (so meinte mal einer in einer feministischen Diskussion den Feministinnen erklären zu müssen, dass sie alle in Wirklichkeit Probleme aus der Kindheit verdrängen würden, nur weil Miller das über eine einzige Frau gesagt hat, wo es auch konkreten Anlass dazu gab und den Verdacht geäußert hat, dass es durchaus bei einigen Feministinnen auch so sein kann), schätze ihre Werke aber trotzdem.


Darum geht es ja auch, als reifer Mensch, für sich eine Mitte zu finden, zwischen blinder Idealisierung und blinder Verachtung, das man eigentlich einen intellektuell reifen Menschen aus.

Teh Asphyx hat geschrieben:Peinlich finde ich es, wenn es wie in den Amazon-Rezensionen zu Colin Goldners Buch über den Dalai Lama, dann so kommt, dass Buddhisten, die sich gekränkt fühlen, weil jemand darauf hinweist, dass sie nicht immer so friedfertig sind (jedenfalls in Tibet), dann gleich total aggressiv reagieren (einer wurde sogar von Amazon gesperrt wegen unbeherrschten Tonfalls). Aber da haben wir es ja auch wieder mit einer Religion zu tun …


Ich habe allerdings auch so meine Probleme mit Berufskritikern, die ihr Geld und Ansehen damit verdienen, dass die pausenlos entwerten und verreißen, was andere tun.
Goldner ist da zumindest nicht völlig ahnungslos, wenngleich in vielen Fällen alles andere als sachlich und fair und er lebt halt von Skandalen und Esopofern und dergleichen.

So, war jetzt alles etwas schnell dahingefingert, hoffe, es sind nicht zu viele Fehler drin, muss weg.
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Re: Ken Wilber

Beitragvon Teh Asphyx » Sa 3. Dez 2011, 17:00

Bin an meiner Antwort dran, die dauert aber noch. Nur damit Du bescheid weißt. ;-)
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Re: Ken Wilber

Beitragvon Teh Asphyx » Mo 5. Dez 2011, 19:28

Vollbreit hat geschrieben:In „Eros, Kosmos, Logos“ geht Wilber wie gesagt wesentlich differenzierter zumindest mit Foucault um, dort trennt er auch seine frühe und späte Phase, in welcher Foucault ja früheren Arbeiten zum Teil revidiert hat.


Das Buch werde ich mir dann wohl mal in Gänze zu Gemüte führen. Immerhin haben die das auch in der Stadtbibliothek. Meine aktuelle Bücherliste ist nur gerade so lang. Foucault habe ich im Original auch noch nicht gelesen, das habe ich aber auch noch vor. Hat Wilber sich genauer mit Foucaults Bruch auseinander gesetzt? Das wäre nämlich gerade sehr interessant für mich, weil ich das sehr faszinierend finde, dass viele Philosophen ein Früh- und ein Spätwerk haben und mit ihren anfänglichen Ideen gebrochen sind.

Vollbreit hat geschrieben:Ich habe mich, angefixt durch Wilber, dann irgendwann auf Habermas gestürzt und nachdem ich zunächst kein Wort von dem was Habermas geschrieben hat, auch nur ansatzweise verstanden habe – aber so geht es wohl jedem – kann ich ihn inzwischen flüssig lesen und habe mich gewundert ihn bei Wilber so, wie ich Habermas verstehe, eigentlich nicht wiederzufinden.


Ich hab Habermas anfangs auch gar nicht verstanden und mich würde es auch nicht wundern, wenn er sich so auch ganz gerne vor Kritik immunisieren möchte. Allerdings hat das ja auch ein wenig Tradition in der Frankfurter Schule, mit Adorno ging es mir auch nicht anders. Inzwischen geht das aber gut, ich finde es nur ungemein anstrengend.

Vollbreit hat geschrieben:Also hat man die Wahl, die man ja immer hat: Kloppt man alles in die Tonne, oder schaut man, ob der Mann trotz allem was zu sagen hat. Mein Eindruck ist, dass der Philosoph Ken Wilber nicht zur ersten Garde gehört, aber er uns dennoch einiges zu sagen hat, was durchaus wichtig ist.
Wilbers Kenntnisse in anderen Gebieten sind profund, in der Psychologie wirklich ausgezeichnet und auf dem Gebiet der Spiritualität weiß er wovon er schreibt, weil er sich einfach über Jahrzehnte, bei den mitunter besten Lehrern den Hintern platt gesessen hat. Dass er hier und da, wie jeder Mensch, Fehler macht, mag ich ihm nicht ankreiden, auch wenn man die Fehler ruhig als solche benennen soll.


Das Problem bei mir ist vielleicht auch, dass die meisten positiven Erwähnungen über Ken Wilber, die ich bisher so in meinem weiteren Umfeld vernommen habe, meistens aus der buddhistischen Ecke kamen und das stimmte mich äußerst skeptisch. Denen würde ich nämlich dringend raten, sich auch mal mit anderer Philosophie zu befassen als mit solcher, die sie nur in dem bestätigt, was sie eh schon machen.
Das Vorwort zu „Eros, Kosmos, Logos“ habe ich allerdings bei jemanden gefunden, dessen Aussagen zu vielen Dingen ich sehr schätze.

Vollbreit hat geschrieben:Finde ich interessant, dass Du da für Dich die Waage halten kannst.
Der Ansatz den Wilber verfolgt ist ja seinem Empfinden nach ebenfalls ein monistischer, allerdings gibt es eine Reihe Kritiker, die Wilber an sich freundlich gesonnen sind, die meinen, dass Wilber, ohne es gemerkt zu haben, in Wirklichkeit einen Dualismus vertritt, den er, bewusst oder unbewusst, kaschiert . Ich müsste jetzt zu sehr ins Detail gehen, bin aber der Ansicht, dass diese Kritik, die insbesondere seine Holon-Theorie, mindestens in der Version von „Eros, Kosmos, Logos“ von 1995, betrifft, stimmt.


Ohne bisher viel von Wilber selbst gelesen zu haben, hab ich zumindest bei einigen Sachen in dem Zusammenhang auch solch einen Dualismus festgestellt (Webseiten, die sich mit seinen Werken befassen, Aussagen von seinen „Fans“ …). Hat Wilber sich auch mit dem Rhizom-Modell von Deleuze und Guattari auseinandergesetzt? Ich meine nämlich, dass dieses durchaus als Kritik an seine Holon-Theorie gesehen werden kann (die ich mehr durch Arthur Koestler kenne, aber ich gehe mal davon aus, dass sich substanziell bei Wilber nicht viel verändert hat).
Ob meine Sicht eine monistische oder eine pluralistische ist, bin ich mir noch gar nicht so sicher, das hängt von der Begriffsdefinition ab, aber mit einem Dualismus konnte ich, so weit ich mich zurückerinnere, noch nie viel anfangen.

Vollbreit hat geschrieben:Kann man so und so sehen.
Es scheint tatsächlich so zu sein, dass auf amerikanischen Unis, der postmoderne Ansatz zu jener Zeit in der schlecht verstandenen Variante dominierend war.


Wenn ich bedenke, dass einige Leute Dekonstruktion so ausgelegt haben, dass sie meinten jeden damit mundtot machen zu können, indem sie zum Beispiel sagen „‚Der Himmel ist Blau’ ist keine gültige Aussage bla bla“ obwohl die Dekonstruktion nur sagt, dass diese Aussage außerhalb irgendeines Kontexts ungültig ist. Auf den Kontext kann ja aber leicht geschlossen werden und bei der alltäglichen Kommunikation ist der Kontext oft selbstverständlich. Das würde mich auch in den Wahnsinn treiben, wenn jemand ständig die Gültigkeit einfacher Aussagen in Frage stellen würde.
Außerdem gibt es noch einen Unterschied zwischen einer objektiven und einer absoluten Aussage, was aber oft einfach für synonym gehalten wird.
Bei dem Unterschied kann Habermas vielleicht behilflich sein. Gesetz dem Fall, dass der Himmel gerade unbewölkt ist, es tagsüber ist und auch kein anderes besonderes Himmelsereignis die Farbe des Himmeln verändert, kann man davon ausgehen, dass jeder zustimmen würde, der Himmel sei in diesem Moment blau. In diesem Fall ist das eine objektive Aussage, da das Blaue des Himmels nicht vom jeweiligen Betrachter als Subjekt abhängig ist. Trotzdem bleibt es eine relative Aussage, denn ob „blau“ eine absolute Eigenschaft des Himmels ist, lässt sich letztendlich nicht feststellen (was ist überhaupt ein Himmel im Absoluten?). Außerdem zeigt es auch letztendlich auch nur, dass ein sprachlicher Konsens herrscht, aber immerhin, besser als nichts. Eine subjektive (und natürlich immer noch relative) Aussage wäre „Oh, das ist aber ein schöner Himmel heute!“. Denn da würde nicht unbedingt jeder zustimmen, also ist der Himmel nicht in dem gegebenen Umstand sprachlich als schön definiert, sodass jeder da zustimmen würde.
Letztendlich gebe ich Habermas also Recht in Bezug darauf, dass objektive Wahrheiten kommuniziert werden, aber es sagt noch lange nichts über absolute Wahrheiten aus … allerdings habe ich zu wenig von ihm gelesen, um zu wissen, ob er diese Unterscheidung auch gemacht hat.
Die Dekonstruktion hingegen sehe ich als Praxis um den Kontext überhaupt festzustellen, indem eine Aussage getroffen werden kann. Denke also, dass Habermas und Derrida sind letztendlich da sehr gut ergänzen können, wenn man ihnen mal ein bisschen von der typischen philosophischen Engstirnigkeit nimmt.

Vollbreit hat geschrieben:In diese Richtung gehen viele und ich glaube, dass da ne Menge dran ist, obwohl man auch hier wieder schauen muss, das Kind nicht mit dem Bade auszuschütten. Aber in vielen Bereichen von Philosophie, Psychologie, Soziologie rückt die Beziehung mehr und mehr in den Fokus und sehr viel was aus idealistischen Richtungen kam, wird derzeit neu interpretiert, aus dem Blickwinkel der sozialen Perspektive und des wechselseitigen Austauschs, von Arbeit, Emotionen und Gründen.


Da fängt es für mich schon an, problematisch zu werden. Viele definieren Beziehungen tatsächlich über Austausch (von Dingen, Dienstleistungen etc.) und ich frage mich, ob das nicht ein in „kapitalistischem“ Denken verankerter Fehlschluss ist.

Vollbreit hat geschrieben:Schwer da die Mitte zu finden, zwischen der Tatsache, dass wir irgendwie in unserem eigenen Saft köcheln und Welt immer nur als Subjekt erleben, was, wenn man es nicht auf die Goldwaage legt irgendwie eine Gemeinsamkeit von Wittgenstein und Luhmann sein könnte und auf der anderen Seite dennoch auch eine objektive und gemeinschaftlich geteilte Umwelt postulieren müssen, um einem Solipsismus zu entgehen und uns verständigen zu können, was ungefähr Habermas‘ Position ist.
Ich glaube Wilber spürt da schon beide Seiten, stellt sich aber dem Trend entgegen, alles zu objektivieren, was bei Naturalisten mitunter etwas manische Züge annimmt..


Klingt interessant. Zufälligerweise lese ich gerade „Die Tücke des Subjekts“ von Slavoj Žižek, der in dem Buch meint, dass nahezu alle akademischen Disziplinen zur Zeit versuchen, das cartesianische Subjekt zu überwinden (selbst Denkweisen, die im krassen Gegensatz zueinander stehen) und er versucht darin dieses cogito philosophisch zu verteidigen. Allerdings bin ich erst ziemlich am Anfang des Buches. Den Ansatz finde ich jedenfalls gut, weil ich denke, dass trotz der Idee, dass die Beziehung am Anfang steht, das Subjekt dennoch real ist. Die Beziehungsphilosophie ist für mich ein Ansatz das Subjekt zu verstehen, nicht indem ich das Subjekt am Anfang, sondern am Ende der Beziehung betrachte.
Jeden, der meint, das Subjekt vollständig negieren zu können, würde ich dann doch guten Gewissens zu Frau Miller schicken. ;-)

Vollbreit hat geschrieben:Die Spannung könnte eigentlich befruchtend sein, wo Leute wie Dennett stark auf objektive Parameter setzen, ist jemand wie Habermas (und eigentlich eine starke und einflussreiche Fraktion der Philosophie) recht intersubjektiv unterwegs und Wilber tendenziell subjektbezogen.
Und Wilber ist Evolutionsfreak, hier verstanden, als geistig-psychische Entwicklung.
Nachdem er über Jahre letztlich das Individuum stärker und zur Entwicklung animieren wollte, ist er in den letzten Jahren stärker umgeschwenkt auf die Entwicklung der ganzen Gesellschaft.


Betrachtet er dabei Evolution als etwas, das ein Ziel hat oder geschieht sie einfach?

Vollbreit hat geschrieben:Hier setzt auch seine Kritik an der Postmoderne an, bzw. dem was er als das „mean green Mem“ nennt, gegen das sich seine Kritik richtet. Am ehesten könnte man das als multitolerante linksalternative Gutmenschen übersetzen. An ihnen kritisiert er, dass die gerne möchten, dass ihre pluralistische Sichtweise die weltberherrschende und dominierende sein sollte.
Im Kern nicht schlecht, sagtWilber, da diese Sichtweise eine hoch entwickelte ist, er attestierst den Pluralisten aber eine haarsträubende Unkenntnis über ihren eigenen Entwicklungsweg (und Entwicklungspsychologie im Allgemeinen) und kritisiert scharf den Fehler möglichst schon Kleinkinder mit einem pluralistischen Weltbild zu „versorgen“. Entwicklung, so sagt Wilber und zitiert 10 Millionen Forscher, ist ein stufenweiser Prozess, keine der Stufen kann übersprungen werden, so dass hier Kinder heillos überfordert werden und am Ende – trotz bester Absichten – mehr oder weniger desorientierte Egozentriker herauskommen. Hier ist Wilber stark und liegt meiner Auffassung nach goldrichtig.


Die Ansicht von Wilber finde ich hier auch grundlegend sympathisch. Auch wenn ich das mit den Stufen nicht ganz so sehe (könnte auch eine Linie oder Kurve sein), aber das ist hier ja eher nebensächlich. Grundsätzlich braucht man Kinder auch nicht zum Pluralismus zu erziehen, sondern Kinder einfach nur soziale Bindungen mit mehreren Menschen eingehen lassen und sie werden selbst darauf kommen, dass es mehr als ein Weltbild gibt. So erging es mir auch als Kind, weswegen ich früh kritisches Denken gelernt habe und festgestellt habe, dass es im Bereich des Wissens keine absoluten Autoritäten gibt (schon gar nicht ist jeder Erwachsene einfach so in allen Belangen eine Autorität) und ich also Wege finden musste, sämtliche Aussagen qualitativ zu überprüfen. Und das hat tatsächlich ohne Anleitung bestens funktioniert – aber eben nur dank der Tatsache, dass ich, frei nach einem afrikanischen Sprichwort „ein ganzes Dorf hatte, um mich zu erziehen“ (wobei ich den Begriff „Erziehung“ nicht mag).

Vollbreit hat geschrieben:Ja, folgerichtig, aber wahnhaft, wie zumindest die Gutachter meinen.
Und das ist eben so ein Punkt. Man kann auch Irre verstehen, man kann religiöse und atheistische Fundamentalisten verstehen, aber man muss ihren Irrsinn nicht gutheißen, sondern kann ihn als Irrsinn bezeichnen. Das ist unter Philosophen vielleicht nicht weiter schwierig, das große Problem ist, wie übersetzt man den Krempel fürs Volk?


Ich finde es äußerst schwierig, solch eine Grenze überhaupt zu ziehen. Es ist immer so einfach, die Ursache einfach in einem einzelnen Menschen zu sehen („Er hat eine besonders hohe Gewaltbereitschaft“, „Er ist verrückt“ etc.), aber was macht die Menschen so? Inzwischen gibt es einen Trend, den ich sehr gefährlich finde, das auf genetische/biologische Ursachen zu begründen. Gerade einige Hirnforscher (z.B. Gerhard Roth) machen da viel Mist mit den Interpretationen ihrer Ergebnisse. Natürlich sehe ich einen Unterschied im Gehirn bei jemanden, der vorhat, zu töten, zu jemanden, der das nicht vorhat. Das hätte ich aber auch ohne Messgeräte sagen können. Aber was sagt das aus, außer, dass das Gehirn generell ermöglicht, dass man töten kann (wie soll es auch sonst gehen?)?
Muss nicht eher die Ideologie völlig wahnsinnig sein, die solche Wahnsinnigen produziert? Und damit meine ich natürlich nicht seine Privatideologie, sondern die allgemein herrschende Ideologie.
Immerhin haben wir ein manisch-depressives Wirtschaftssystem, das nur immer wieder mit Spritzen ruhig gestellt wird, ein schizophrenes Zusammenleben und einen Individualismus mit gehörigem Minderwertigkeitskomplex.

Vollbreit hat geschrieben:Und da lauft ihr, die Brights, – und hier nehme ich Dich ausdrücklich aus, weil ich gemerkt habe, dass Dir das bewusst ist – Gefahr einem Irrtum zu erliegen, der darin besteht, dass man meint, man wäre aus dem Schneider, wenn man sich mit spitzen Fingern und gesträubtem Fell von allem was nach Religion, Mystik, Esoterik aussieht einfach nur distanziert.


Ich bezeichne mich eh nicht als Bright, aber ich finde die Idee gut, dass Nichtreligiöse auch eine vertretende Organisation haben, alles darüber hinaus finde ich auch anmaßend. Leider sind Leute unterwegs, die im Namen der Brights tatsächlich auch irgendwelche sehr grenzwertigen Aussagen verbreiten (natürlich nicht durch irgendwas anderes als sich selbst legitimiert), was mich allein schon davon abhält, mich damit zu identifizieren. Aber das Forum finde ich äußerst interessant.

Vollbreit hat geschrieben:So wie das hier (in einigen Beiträgen) läuft, ist das dieselbe Nummer in grün. Wer nichts besseres zu tun hat, als sich über eingetanzten Weizen zu erregen und meint er würde der Welt was Gutes tun, wenn er sein Demeter Gemüse zukünftig vermeidet, hat einfach verschlafen, dass das derselbe soziozentrische Mist ist, den er da praktiziert, den er auf der anderen gerne bekämpfen möchte.


Was tierische Produkte angeht, würde ich sogar zu Demeter greifen, weil die Vorschriften da äußerst streng sind, aber das nur am Rande.

Vollbreit hat geschrieben:Man entgeht religiösem Denken, den Strukturen dieses Denkens, nicht, in dem man alles was aus der Ecke kommt phobisch meidet, sondern, indem man sich darüber erhebt und ein reifes, eigenverantwortliches Individuum wird, das nicht vorher gucken muss, ob seine Handlungen und Ansichten auch von Papa Dawkins oder Dennett abgenickt, um nicht zu sagen abgesegnet, sind. Das ungefähr ist auch Wilbers Meinung wobei ich gleich eingestehen möchte, dass auch Wilber sich prima dazu eignet idealisiert zu werden und die Heldenverehrung in der Ecke leider auch mehr stattfindet, als es gut ist.


Ich finde am bedenklichsten, dass viele atheistische Gruppierungen wie die Skeptiker die gleichen Mittel benutzen um Religion zu diskreditieren, wie die Religion, wenn sie Andersdenkende Diskreditieren möchte. Ich finde, es gehört dazu, wenn man schon wissenschaftliche Methode propagiert, diese dann auch für sich selbst als als Mittel anzuwenden, auch wenn das andere manchmal durchaus witzig ist. Es ist immer das gleiche, der Zweck wird geändert (in was vermeintlich besseres) und darf die selben alten falschen Mittel nun wieder heiligen. Da gehe ich absolut mit Arthur Koestlers Grundsatz konform: „Der Zweck heilig nie die Mittel!“

Vollbreit hat geschrieben:Ich glaube, dass Wilber, sowie die meisten Vertreter dieser Richtungen insgesamt weit weniger kühle Kalkulierer und Verkaufsstrategen sind, als viel mehr in einem hohen Maße Überzeugungstäter.
Ob man das dann besser findet, steht auf einem anderen Blatt und ist eine Sache der eigenen Einstellung.


Ich wollte ihm da auch jetzt keine solche Absicht unterstellen (deswegen auch nur die Tendenz), aber ich nehme mal schon an, dass er da auch erwogen hat, gerade mit einleitenden Worten, sein Werk für bestimmte Leute besonders schmackhaft zu machen (welcher Autor tut das nicht?).


Vollbreit hat geschrieben:
Teh Asphyx hat geschrieben:Darüber hatte ich dann gestern Abend auch noch nachgedacht. Das ist in der Tat ein großer Schwachpunkt, den ich auch irgendwie versuchen möchte, zu umgehen, denn nichtsdestoweniger denke ich, dass sie im Grunde recht hat, nur sollte es nicht durch etwas, was als Immunisierungsstrategie gelten könnte, belegt sein.


Inhaltlich ist das auch bedenklich, selbst ehemals wohlmeinende Wegfeährten wie Schmidbauer haben von ihr Abstand genommen, er wirft ihr vor da ein Schwarz/Weiß-Bild zu zeichnen, ich sehe die Gefahr darin, die Patienten zu infantilisieren, dass der Ansatz auch gute Seiten hat, ist klar.


Immerhin hat sie irgendwann davon Abstand genommen, irgendeine spezielle Therapieform zu empfehlen und sich immer mehr darauf beschränkt, Ausschlussverfahren zu finden, um festzustellen, was nicht geeignet ist.
Mir ist einfach wichtig, dass sie jetzt nicht in der Versenkung verschwindet, sondern dass ihre Erkenntnisse auch in anderen Bereichen anerkannt und bedacht werden. Von vielen Geisteswissenschaftlern wird weiterhin so viel Müll verzapft, das ist schon nicht mehr feierlich und da kämen ihre Ideen gut, um mal aufzuräumen (wobei das wahrscheinlich der Grund ist, warum sie da keinen Einklang findet).

Vollbreit hat geschrieben:Da hat sich inzwischen sehr viel geändert und wer sich gegen die Analyse noch darauf beruft ist knapp 40 Jahre hinter dem Stand der Dinge zurück.


Ja, Esowatch und GWUP sind ja schön dabei, die Psychoanalyse von Freud, Jung und Adler zu kritisieren, dass das alles alte Kamellen sind, ist denen anscheinend egal. Ach ja, Elisabeth Loftus mit ihrer „False Memory Foundation“ (die tatsächlich nichts mit der wissenschaftlichen Beschäftigung mit Erinnerungsfälschung zu tun hat, aber sie ist ja selbst Mitglied im CSICOP) darf dafür auch herhalten, obwohl ich mich frage, welche Relevanz das haben soll.

Vollbreit hat geschrieben:Ja, nur vielleicht sind die Erwartungen da auch manchmal vom Klientel auch überzogen.
Dass Meditation kurzfristig wirkt ist die eine Sache, nach Knieschmerzen und Verspannungen hat man schnell einen Entspannungseffekt der nachgewiesen ist.
Dass Mediation tiefe Persönlichkeitsveränderungen bewirkt, ist auch nachgewiesen und der realistische Zielwert sind hier 10.000 Stunden. Meditation wird also erst „spannend“ wenn sie langweilig wird, dann verlieren aber viele schon die Lust.


Der Nachweis zu letzterem würde mich mal interessieren. Das hab ich jetzt schon öfter auch aus tibetisch-buddhistischen Ecken gehört, aber noch keine Quelle dazu erfahren. Mich würde vor allem interessieren, was genau sich da verändert (der Buddhist sagt ja dann nur, dass man einen erweiterten Altruismus entwickelt, aber das ist mir irgendwie zu schwammig).
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Re: Ken Wilber

Beitragvon Teh Asphyx » Mo 5. Dez 2011, 19:30

Teh Asphyx hat geschrieben:In ihren ersten drei Büchern hat sie sich noch sehr auf die Sprache der Psychoanalyse gestützt, was – wie sie auch selbst dann gemerkt hat – ein Fehler war. Es ist meiner Ansicht nach weniger relevant festzustellen, ob jetzt der Narzissmus des Kindes oder sein oraler Triebwunsch gekränkt wurde, wichtig ist, dass von Seiten der Eltern nicht viel Mühe aufkam, festzustellen, was das Bedürfnis des Kindes war und das Kind sogar verspottet wurde (an solche Kränkungen erinnere ich mich auch noch sehr gut). Das Problem ist ja, dass das Kind mit zwei Jahren nur sehr eingeschränkt dazu in der Lage ist, sich zu artikulieren und ich sehe es schon als Aufgabe der Eltern an, dies einem Kind zu erleichtern.


Vollbreit hat geschrieben:Völlig richtig, nur ist eine kränkungsfreie Erziehung nicht zu machen.


Das ist klar, aber man darf sich als Eltern dann wenigstens entschuldigen und nicht noch im Nachhinein so tun, als wäre man grundsätzlich im Recht gewesen (und solche Exemplare kenne ich mehr als genug, meine Mutter inklusive). Das ist ja erst das Problem.

Vollbreit hat geschrieben:Wenn Du Dir mal anschaust, wie das Über-Ich aufgebaut ist, es besteht aus drei Schichten, einer ersten sadsitisch-verfolgenden, einer zweiten narzisstisch-idealen und einer dritten realistischen, die die ersten beiden ausbalanciert. Inder ersten Phase der Bildung des Über-Ichs, die bereits im erstem LJ stattfindet, kann das Kind überhaupt nicht verstehen, was für Verbote die Eltern da aussprechen, aus Sicht der Elter sind die vollkommen realistisch, aus Sicht des Kindes willkürlich, sadistisch und hinderlich – weil das Kind es nicht kapieren kann, wenn es dies und das nicht darf.
Das ist aber kein Problem, wenn das Kind einer emotional stabilen, klaren und unaufgeregten (frei von Spitzenaffekten, positiven wie negativen) Umgebung aufwächst.


Klingt nach der ausreichend guten Mutter von Winnicott. Wobei Miller ihn eher positiv erwähnt hat bei dem, was ich gelesen habe.

Vollbreit hat geschrieben:Kurz und gut, bei allen individuellen Unterschieden die Kinder haben, es braucht eine ganze Menge um eine Kindliche Psyche ernsthaft zu beschädigen – umso trauriger, dass es tatsächlich so oft passiert. Nur, wenn man weiß was für Mengen an chronischer Aggression, chronischem Missbrauch und Kälte da nötig sind, kann man nicht mehr ganz glücklich mit Miller sein.


Wo fängt eine ernsthafte Beschädigung der Psyche an?

Vollbreit hat geschrieben:Verstehen und Verzeihen sind zwei Paar Schuhe, keine Frage. Dennoch sind negative Affekte wie chronische Wut und chronischer Hass zerstörend für die eigene Psyche, auch das darf nicht übersehen werden.


Zitate (Hervorhebungen in Fettdruck durch mich): „Auch ich bin der Meinung, dass der Hass einen Organismus vergiften kann, aber nur solange er unbewusst ist und auf Ersatzpersonen, also Sündenböcke, gerichtet bleibt. Dann kann er sich nicht auflösen. Wenn ich z.B. die Fremdarbeiter hasse, aber nicht sehen darf, wie meine Eltern mit mir umgingen, als ich ein Kind war, dass sie mich beispielsweise stundenlang als Säugling schreien ließen oder mich nie liebevoll anschauten, leide ich unter einem latenten Hass, der mich lebenslang begleiten kann und verschiedene körperliche Symptome verursachen mag. Wenn ich aber weiß, was meine Eltern mir durch ihre Ignoranz angetan haben und meine Empörung über dieses Verhalten bewusst spüren konnte, habe ich es nicht nötig, meinen Hass auf andere ignorante Personen zu übertragen. Mit der Zeit kann sich mein Hass auf die Eltern abschwächen, kann sich auch zeitweise auflösen, um dann aber durch neue Ereignisse der Gegenwart oder neue Aspekte der Erinnerung wieder aufzuflammen. Doch ich weiß nun, um was es geht. Ich kenne mich nun gut genug, gerade dank der erlebten Gefühle, UND MUSS NIEMANDEN AUS DEM GEFÜHL DES HASSES HERAUS UMBRINGEN ODER SCHÄDIGEN.“

„Anders verhält es sich mit dem BEWUSSTEN, REAKTIVEN Hass, der wie jedes Gefühl abklingen kann, wenn es durchlebt wurde. Wenn wir uns dazu durchringen konnten, klar zu erkennen, dass wir von unseren Eltern unter Umständen auf eine sadistische Art behandelt wurden, regt sich bei uns zwangsläufig die Empfindung des Hasses. Wie gesagt, kann diese sich mit der Zeit abschwächen oder ganz abklingen, doch es handelt sich hier nicht um einen einmaligen Schritt. Das Ausmaß der als Kind erfahrenen Misshandlungen lässt sich nicht auf einmal erfassen. Es bedarf eines längeren Prozesses, in dem immer wieder ein Aspekt der Misshandlung ins Bewusstsein zugelassen wird, so dass auch der Hass nochmals auftreten kann. Aber er ist dann nicht gefährlich. Er ist eine logische Konsequenz dessen, was geschah und erst jetzt vom Erwachsenen vollständig wahrgenommen wird, jedoch vom Kind über Jahre schweigend geduldet werden musste.“
(Quelle)

Auf mich hat das nicht unbedingt die Wirkung, dass sie chronischen Hass kultivieren möchte. Aber ihre Bücher werden in der Hinsicht immer wieder falsch verstanden (gut zu sehen an vielen Leserbriefen: http://alice-miller.com/leserpost_de.php) und ich weiß auch selber, wie schwer es den meisten Menschen fällt, Ursachen zu sehen, ohne dabei Schuldzuweisungen zu machen (weswegen dann der Trend dahin geht, dass man die Schuld nicht bei anderen suchen soll, was zu völlig blödsinnigen Schlussfolgerungen führt und ganz schön am gesunden Selbstwertgefühl kratzt).

Vollbreit hat geschrieben:So ist es, übrigens muss das bei den Amis ziemlich weit gegangen sein, Wilber lässt sich in „Boomeritis“ darüber aus, zu welchen Exzessen die Opferkultur dort geführt hat und er ist beileibe nicht der einzige, der das so sieht.


Meine Mutter behauptet auch, Alice Miller gelesen zu haben und es toll zu finden, handelt aber genau gegenteilig. Und sie ist auch ein Kind der 50er, passt also voll da rein. Das Buch „Elementarteilchen“ von Houellebecq hat mir da ganz gut zu verstehen gegeben, wie diese Generation tickt. Irgendwie scheint mir, dass diese Generation total enttäuscht von sich selbst ist, weil sie dachte, eine bessere Welt aufzubauen und jeder war auf der Suche nach der Selbstfindung und am Ende hat alles nicht geklappt. Weder die Drogen noch all die spirituellen alternativen Lebenswege haben irgendeine Erlösung gebracht, aber andererseits glaubt man trotzdem, sich für die folgende Generation geopfert zu haben (klingt ja auch viel schöner, als wenn man sich selbst eigentlich für reine Ego-Zwecke geopfert hat) und das soll meine Generation jetzt glauben (und bei den meisten funktioniert das mit diesem Glauben ja auch). Das Schlimme ist, dass die wenigstens sich dieses „Versagen“ eingestehen, sondern wir sollen sie jetzt als „heilige Freiheitskämpfer“ sehen, dabei haben sie „uns“ doch nur wieder in die alten konservativen Werte zurückgebracht, die sie damals so abgelehnt haben. Aber bevor ich mich jetzt hiermit zu sehr verzettele, mach ich mal mit dem nächsten Punkt weiter …

Vollbreit hat geschrieben:Die Beziehung von Psychoanalyse und Marxismus war ja über Jahre eine befruchtende, fußte aber mitunter auf falschen Interprtationen der Marxisten, die das Über-Ich zu sehr als den Buhknaben gesehen haben. Das ist aus heutiger Sicht ganz eindeutig falsch, später gerne mehr dazu, bin knapp mit Zeit.


Das scheint mir auch irgendwie am Ziel vorbeizuschießen, wenn man das Über-Ich als Buhmann ausmacht. Ich finde da Žižeks gesellschaftsanalytische Lacan-Interpretationen weitaus differenzierter. Žižek ist überhaupt der Grund, weswegen ich den Marxismus nicht mehr kategorisch ablehne, wie ich das mal eine Zeit lang gemacht habe.

Vollbreit hat geschrieben:Ein langes Thema für sich, eigentlich sollte es Liebes- und Arbeitsfähigkeit sein, aber Arbeit kann nicht heißen Ausbeuterei um jeden Preis. Freud ist da tendenziell eher vom Beruf als Berufung ausgegangen, die heutige Therapie ist aber ohnehin die Verhaltenstherapie und deren Weltbild ist da eher auf ein funktionierendes Einpassen in die Gesellschaft angelegt und die Frage ob man passen sollte, fällt leider zu oft falsch.


Ja, zwischen Beruf und Berufung können Welten liegen. Eine Psychologie, die die herrschenden Verhältnisse nicht in Frage stellt, sondern als Prämisse nimmt, macht meines Erachtens nach damit einen großen Fehler. Die Verhaltenstherapie finde ich deswegen auch sehr bedenklich.
Ich denke, es sollte vor allem darauf ankommen, dass man mit sich selbst (wieder) klarkommt, also dass man sich damit wohl fühlt, man selbst zu sein (dann ist das cartesianische „cogito“ auch kein Feind mehr, den es zu bekämpfen gilt).

Teh Asphyx hat geschrieben:Ich hatte auch mal eine Debatte über Autismus mit ihm und habe einfach mal in Frage gestellt, dass Autisten keine Empathie besitzen würden, weil ich schon öfter erlebt habe, dass Autisten untereinander sehr wohl zu Empathie fähig sind (es gibt sogar eine selbstorganisierte Autistenkommune, wo man richtig schön beobachten könnte, wie gut das klappt), während „Neurotypische“ eben oft gar keine Empathie haben, sondern nur erlernten sozialen Regeln folgen, ohne darüber zu reflektieren und man deshalb meint, sie würden sich so gut verstehen (wobei man die Grenzen ja dann schnell sieht, sobald jemand nicht so ganz mit diesen Regeln konform geht). Er meinte, das ginge gar nicht, weil Empathie durch Sprache entsteht (wobei ich meinte, dass Sprache nur aufgrund von Empathie erlernbar sein kann – man muss sich einfühlen können, um zu den Begriff zu verstehen, der hinter einem gesprochenen Wort steckt – seiner Theorie nach müsste das Wort an sich ja schon eine Bedeutung haben). Ich will ihn jetzt aber nicht schlecht machen, ich sehe ihn trotzdem durchaus als Kompetent an, habe ihn sogar weiterempfohlen, aber dennoch gibt es da Punkte, wo ich sehr kritisch bin.


Vollbreit hat geschrieben:Dass Empathie durch Sprache entsteht, ist sachlich falsch.


Ich meine da auch mal was von einem Spiegelneuron gehört zu haben, das mit Empathie zusammenhängt und auch bei Lebewesen vorhanden ist, die wohl eher nicht zu komplexer Sprache fähig sind.

Vollbreit hat geschrieben:Und ich stimme Dir sehr zu, dass Regeln zu verstehen etwas vollkommen anderes ist, als über die Sinnhaftigkeit von Regeln zu reflektieren und dass die Reflexion über die Sinnhaftigkeit (wenn sie nicht exzessiv wird und zur Lebensuntüchtigkeit führt) bei weitem höher zu bewerten ist.
Die andere Seite ist, dass man von der Gesellschaft mit dem einem stereotypierenden Blick betrachtet wird, auch das darf man nicht verkennen und auch nicht völlig entwerten.
Postkonventionalität zeichnet sich dadurch aus, dass man sich weitgehend an den Regeln der Gesellschaft aus der man kommt orientiert, aber im Einzelfall begründete Ausnahmen für sich in Anspruch nimmt. Aber nicht das dickste Stück vom Kuchen aus Prinzip oder Opposition aus reiner Willkür, oder weil man Regeln als prinzipiell beleidigend oder unter seiner Würde betrachtet.


Auf jeden Fall hilft es immer, wenn man Regeln verstehen darf. Ansonsten ist es meines Erachtens am sinnvollsten, wenn man gar nicht so viele Allgemeinregeln hat, sondern sich mehr auf seine Mitmenschen einlässt (hier finde ich die Gewaltfreie Kommunikation von Marshall Rosenberg interessant, wird übrigens sogar von Autisten freiwillig praktiziert: http://autismus.ra.unen.de/board.php?id=48)

Vollbreit hat geschrieben:Das Problem ist hier, dass nie so ganz geklärt ist, was Objektivität denn überhaupt ist und woran man die erkennt. Einfach zu sagen, es ist objektiv so, dass Rom die Hauptstadt von Italien ist, ist zwar richtig, aber objektive Richtigkeiten sind nicht selten Konventionen und intersubjekjtiv. Mal ist der Pluto ein Planet, mal ist er es nicht. Dann kann man sagen, dass er aber objektiv so und so groß ist, aber das ist ein Maßsystem das man eingeführt hat.
Ich will nicht bestreiten, dass es Sinn macht von Objektivität zu reden, aber ist oft schwieriger damit als man denkt.


Man kann Objektivität denke ich auch nur über intersubjektive Konventionen erreichen. Das ist ja auch der Unterschied zwischen objektiv und absolut (bei Lacan wäre das wohl der Unterschied zwischen dem Symbolischen/Imaginären und dem Realen).

Vollbreit hat geschrieben:Mit der Distanz, ja da wäre Heidegger so eine Adresse, den Du ja auch auf dem Schirm hast, der mehr oder weniger sagt, dass diese Subjekt-Obejkt-Distanz oder –Trennung Quatsch ist, das wir uns, bevor wir diese Distanz überhaupt formulieren können, immer schon eingebunden (geworfen würde er wohl sagen) in Welt vorfinden. Wir gehen immer schon mit Welt um, in diesem Sinne sind Marx, Habermas und Heidegger auf einer Linie.


Heidegger ist ohnehin die pure Bewusstseinsdroge. An Primärliteratur hab ich allerdings bisher neben einzelnen Zitaten nur den „Brief über den Humanismus“ gelesen, da ist also noch einiges an Nachholbedarf. Aber seine Grundideen kenne ich durch Sloterdijk und Umberto Eco schon einigermaßen und gerade ist Žižek in dem Buch, was ich gerade lese, dabei tiefer in die Materie einzudringen (wobei ich da etwas Schwierigkeiten habe, mitzukommen).

Vollbreit hat geschrieben:Wieso ist Quantenphysik Humbug? Ganz im Gegenteil. Im Grunde versteht keine Sau was da genau vor sich geht, aber Humbug ist das nun nicht. Gibt ja Leute die arbeien täglich damit.


Für mich ist es natürlich kein Humbug, aber bei den meisten Skeptikern und vielen Naturalisten habe ich den Eindruck, dass die die Quantenphysik nur deswegen akzeptieren, weil sie auf einen Bereich angewendet wird, der angeblich keine Rolle spielt und ihr Newton’sches Weltbild somit nicht gefährdet. Sobald es darüber hinausgeht kommt gleich die Aussage, dass Mikrokosmos und Makrokosmos aber getrennt werden müssen.

Vollbreit hat geschrieben:Das stimmt, Habermas hat mal irgendwo geschrieben, dass jemand der in der Steinzeit die Jagd auf eine Mammut oder dergl. koordiniert hat bereits über diese (zentaurische, würde Wilber sagen) Eigenschaft verfügt haben muss. Hier geht es aber eher um den Gesamthintergrund einer Gesellschaft.


Aber selbst da, im Prinzip weiß man so wenig über das tägliche Leben vergangener Gesellschaften (man weiß es ja meistens kaum über gegenwärtige Gesellschaften), das ich so konkrete Vorstellungen, die dann oftmals doch sehr triviale Gedanken enthalten, sehr bedenklich finde. Die Idee ist nichtsdestoweniger interessant.

Vollbreit hat geschrieben:Mit Opfer ist kein rituelles Opfer gemeint, sondern die Bereitschaft sich für andere einzusetzen.
Und dann mussman darauf achten, aus welcher Motivation heraus diese Opfer gebracht werden.
Man kann auch Opfer bringen, im Sinne der Ehre, fürs Vaterland und was weiß ich…


Ein Opfer ist für mich aber auch immer mit einem (meist nicht unerheblichen) Nachteil für mich selbst verbunden. Ansonsten ist es einfach ein Einsatz für andere. Es ist also auch mehr, als nur eigene Bedürfnisse zurückzustellen, es ist immer mit einem (direkten oder indirekten) Schaden für mich selbst verbunden. Deswegen finde ich diesen Begriff bedenklich.

„Mourons pour des idées d'accord mais de mort lente
D'accord mais de mort lente“ (Georges Brassens)

Vollbreit hat geschrieben:Exzessiver Pluralismus, der jede moralische Wertung verfehlt und am Ende alles irgendwie gut findet (außer kaltem, rationalem, „männlichem“ Denken, Schulmedizin und katholischer Kirche) Ehrenmorde, Nazis inklusive. Ist jetzt etwas übertrieben, habe ich aber schon erlebt.
In der Regel Leute mit einer happy go lucky Einstellung, die alles leicht nehmen, außer, wenn es um sie selbst geht, da ist dann alles hochdramatisch.


Dann bin ich ja fein raus, ich find ich Schulmedizin zum Teil äußerst nützlich, die Katholiken sind mir allemal lieber als manch andere Gruppierung und ich finde Hitlers Autobahn scheiße (wie jemand, der schonmal auf der A1 gefahren ist, ernsthaft behaupten kann, das wäre eine gute Sache gewesen, ist mir einfach unbegreiflich). ;-)

Vollbreit hat geschrieben:Ja, Wilber hat auch sehr selbstkritische und relaistische Momente, in denen er sagt, er sei nicht so gut, wie seine Fans denken, aber auch nicht so schlecht, wie seine Kritiker meinen, das scheint in meinen Augen zu stimmen.


Ich bin bei solchen Aussagen immer vorsichtig, klingt so nach Floskel, meistens lässt sich ja eher strukturell beim Lesen herausfinden, wie jemand über sich selbst denkt. Aber wenn das zutrifft, dann könnte es ja hinhauen.

Vollbreit hat geschrieben:
Teh Asphyx hat geschrieben:[…] bei Wilber hat mich (wobei ich da zugegeben bisher weitaus weniger gelesen habe) das Gefühl beschlichen, nur das sei wertvoll, was er schon integriert hat, alles andere könne man sich getrost sparen.


Habe ich zumindest anders empfunden. Ich habe viele Autoren gerade wegen Wilber gelesen.


Deswegen auch meine Anmerkung in Klammern. Ich hab da noch nicht wirklich die Kompetenz, das zu beurteilen.

Vollbreit hat geschrieben:Im strengen Sinne Philosoph, das ist so eine Frage für sich.
Dem akademischen Zirkus werfen ja auch Leute wir Precht vor, etwas in sich geschlossen zu sein und gesellschaftlich nicht mehr viel zu sagen zu haben. Hat alles seine Licht- und Schattenseiten.


Precht ist für mich auch grenzwertig. Er verdreht mir manche Begriffe zu viel (wie hier mit der Freiheit: http://www.youtube.com/watch?v=bY6s23aX5rY) oder verzettelt sich unnötig, zum Beispiel wenn er sagt, dass er was weiß ich wie viele mögliche Übersetzungen von „survival of the fittest“ gefunden hat, wobei eigentlich klar wäre, was gemeint ist, wenn man die Zusammenhänge bei Darwin kennt. Das sind sehr merkwürdige Nebelbomben.

Vollbreit hat geschrieben:Darum geht es ja auch, als reifer Mensch, für sich eine Mitte zu finden, zwischen blinder Idealisierung und blinder Verachtung, das man eigentlich einen intellektuell reifen Menschen aus.


Ich denke, das blinde ist da vor allem das Problem.

Vollbreit hat geschrieben:Ich habe allerdings auch so meine Probleme mit Berufskritikern, die ihr Geld und Ansehen damit verdienen, dass die pausenlos entwerten und verreißen, was andere tun.
Goldner ist da zumindest nicht völlig ahnungslos, wenngleich in vielen Fällen alles andere als sachlich und fair und er lebt halt von Skandalen und Esopofern und dergleichen.


Goldner hinterfragt zumindest wenigstens auch die gängige Psychologie und hat auch ein Interesse daran, herauszufinden, was hinter dem ganzen Esoterikzeug steckt, anstatt es nur abzuwerten. Allerdings hab ich auch meine Kritikpunkte an Goldner, ihm könnte ein wenig Lacan nicht schaden. Er sagt zum Beispiel, dass es zwei Arten von (Geld-)Esoterikern gebe, die einen glauben wirklich daran und sind somit psychisch gestört und die anderen täuschen es vor und sind ein Fall für die Staatsanwaltschaft.
Es gibt einen dritten Typen und der ist mit Abstand am häufigsten aufzutreffen und zeigt einer erstaunliche Normalität. Das ist der Typ, der eigentlich daran zweifelt und in dem Glauben des Anderen daran seine „Erfüllung“ sucht. Das ist das gleiche Prinzip wie mit dem Weihnachtsmann, die Eltern tun so als würden sie an ihn glauben in der festen Überzeugung, die Kinder würden es glauben, während die Kinder so tun als würden sie daran glauben, weil sie den Glauben ihrer Eltern nicht enttäuschen wollen, also glaubt eigentlich keiner an den Weihnachtsmann, aber alle benehmen sich so als gäbe es ihn. Diese Art von spirituellen Leuten treffe ich am häufigsten.
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Re: Ken Wilber

Beitragvon Vollbreit » Di 6. Dez 2011, 10:56

Teh Asphyx hat geschrieben:Das Buch werde ich mir dann wohl mal in Gänze zu Gemüte führen. …
Hat Wilber sich genauer mit Foucaults Bruch auseinander gesetzt? Das wäre nämlich gerade sehr interessant für mich, weil ich das sehr faszinierend finde, dass viele Philosophen ein Früh- und ein Spätwerk haben und mit ihren anfänglichen Ideen gebrochen sind.


Weiß ich jetzt gar nicht so genau, ich hab’s gerade nicht hier, schaue aber mal nach und schreibe es Dir.

Teh Asphyx hat geschrieben:Ich hab Habermas anfangs auch gar nicht verstanden und mich würde es auch nicht wundern, wenn er sich so auch ganz gerne vor Kritik immunisieren möchte. Allerdings hat das ja auch ein wenig Tradition in der Frankfurter Schule, mit Adorno ging es mir auch nicht anders. Inzwischen geht das aber gut, ich finde es nur ungemein anstrengend.


Ja, die Art zu schreiben der Frankfurter ist so eine Sache für sich.
Immunisierung ist das aber glaube ich nicht, die sehen sich ja in einer kritischen Tradition.

Teh Asphyx hat geschrieben:Das Problem bei mir ist vielleicht auch, dass die meisten positiven Erwähnungen über Ken Wilber, die ich bisher so in meinem weiteren Umfeld vernommen habe, meistens aus der buddhistischen Ecke kamen und das stimmte mich äußerst skeptisch. Denen würde ich nämlich dringend raten, sich auch mal mit anderer Philosophie zu befassen als mit solcher, die sie nur in dem bestätigt, was sie eh schon machen.
Das Vorwort zu „Eros, Kosmos, Logos“ habe ich allerdings bei jemanden gefunden, dessen Aussagen zu vielen Dingen ich sehr schätze.


Ach, es gibt auch genügend Buddhisten, die Wilber nicht mögen, das ist nicht das Problem.
Brad Warner zum Beispiel.

Teh Asphyx hat geschrieben:Ohne bisher viel von Wilber selbst gelesen zu haben, hab ich zumindest bei einigen Sachen in dem Zusammenhang auch solch einen Dualismus festgestellt (Webseiten, die sich mit seinen Werken befassen, Aussagen von seinen „Fans“ …). Hat Wilber sich auch mit dem Rhizom-Modell von Deleuze und Guattari auseinandergesetzt?


Nach meinem Kenntnisstand nicht.

Teh Asphyx hat geschrieben:Ich meine nämlich, dass dieses durchaus als Kritik an seine Holon-Theorie gesehen werden kann (die ich mehr durch Arthur Koestler kenne, aber ich gehe mal davon aus, dass sich substanziell bei Wilber nicht viel verändert hat).


Richtig, Wilber hat das zumindest begrifflich von Koestler übernommen.

Teh Asphyx hat geschrieben:Ob meine Sicht eine monistische oder eine pluralistische ist, bin ich mir noch gar nicht so sicher, das hängt von der Begriffsdefinition ab, aber mit einem Dualismus konnte ich, so weit ich mich zurückerinnere, noch nie viel anfangen.


Pluralismus und Monismus schließen sich ja nicht unbedingt aus.
Man kann ja für einen Meinungs-Pluralismus eintreten und dennoch der Auffassung sein, dass die Naturgesetze immer und überall gelten und alles mit rechten Dingen zugeht.

Teh Asphyx hat geschrieben:Wenn ich bedenke, dass einige Leute Dekonstruktion so ausgelegt haben, dass sie meinten jeden damit mundtot machen zu können, indem sie zum Beispiel sagen „‚Der Himmel ist Blau’ ist keine gültige Aussage bla bla“ obwohl die Dekonstruktion nur sagt, dass diese Aussage außerhalb irgendeines Kontexts ungültig ist. Auf den Kontext kann ja aber leicht geschlossen werden und bei der alltäglichen Kommunikation ist der Kontext oft selbstverständlich. Das würde mich auch in den Wahnsinn treiben, wenn jemand ständig die Gültigkeit einfacher Aussagen in Frage stellen würde.


Wilber kritisierte vor allem die daraus resultierende kuturelle Beliebigkeit und einen Werte-Pluralismus, der in einen Narzissmus einmündet, was er sehr schön erläutert.

Teh Asphyx hat geschrieben:Außerdem gibt es noch einen Unterschied zwischen einer objektiven und einer absoluten Aussage, was aber oft einfach für synonym gehalten wird.
Bei dem Unterschied kann Habermas vielleicht behilflich sein. Gesetz dem Fall, dass der Himmel gerade unbewölkt ist, es tagsüber ist und auch kein anderes besonderes Himmelsereignis die Farbe des Himmeln verändert, kann man davon ausgehen, dass jeder zustimmen würde, der Himmel sei in diesem Moment blau. In diesem Fall ist das eine objektive Aussage, da das Blaue des Himmels nicht vom jeweiligen Betrachter als Subjekt abhängig ist. Trotzdem bleibt es eine relative Aussage, denn ob „blau“ eine absolute Eigenschaft des Himmels ist, lässt sich letztendlich nicht feststellen (was ist überhaupt ein Himmel im Absoluten?).


Das finde ich bei Habermas auch ganz gut. Im Grunde ist es ja so, dass man wohlmeinend bei Alltagsaussagen dem anderen unterstellt, dass er sagt, was er denkt und denkt, was er sagt und seine Sinne beisammen hat. Solange es keinen Grund gibt daran zu zweifeln tut man das auch nicht, erst wenn begründete Zweifel auftauchen, geht man der Sache nach.
Der Einzelne der eine normale Aussage tätigt steht also in einem Kontext von wechselsetiig unterstellter Normalität.

Teh Asphyx hat geschrieben: Außerdem zeigt es auch letztendlich auch nur, dass ein sprachlicher Konsens herrscht, aber immerhin, besser als nichts.


Ja, genau das ist auch meine Meinung. Vieles was als Objektivität verkauft wird, ist nichts weiter als Intersubjektivität, allerdings kommt so etwas wie echte Objektivität dann ins Spiel, wenn man sich überlegt, wie man erfolgreich zu intersubjektiven Einigungen kommt.
Es macht Sinn anzunehmen, dass eine soziale Gemeinschaft die etwas „blau“ nennt, dies auch tatsächlich sehr ähnlich wahrnimmt.

„Eine subjektive (und natürlich immer noch relative) Aussage wäre „Oh, das ist aber ein schöner Himmel heute!“. Denn da würde nicht unbedingt jeder zustimmen, also ist der Himmel nicht in dem gegebenen Umstand sprachlich als schön definiert, sodass jeder da zustimmen würde.


Und dennoch könnte man den Begriff „schön“ richtig benutzt haben.

Teh Asphyx hat geschrieben:Letztendlich gebe ich Habermas also Recht in Bezug darauf, dass objektive Wahrheiten kommuniziert werden, aber es sagt noch lange nichts über absolute Wahrheiten aus … allerdings habe ich zu wenig von ihm gelesen, um zu wissen, ob er diese Unterscheidung auch gemacht hat.


Absolute Wahrheiten sind Habermas‘ Sache, so wie ich das sehe, nicht.

Teh Asphyx hat geschrieben:Die Dekonstruktion hingegen sehe ich als Praxis um den Kontext überhaupt festzustellen, indem eine Aussage getroffen werden kann. Denke also, dass Habermas und Derrida sind letztendlich da sehr gut ergänzen können, wenn man ihnen mal ein bisschen von der typischen philosophischen Engstirnigkeit nimmt.


Ich glaube am Ende haben die beiden sich auch wieder angenähert, wie Habermas in „Der gespaltene Westen“ sagt.

Teh Asphyx hat geschrieben:Da fängt es für mich schon an, problematisch zu werden. Viele definieren Beziehungen tatsächlich über Austausch (von Dingen, Dienstleistungen etc.) und ich frage mich, ob das nicht ein in „kapitalistischem“ Denken verankerter Fehlschluss ist.


Marx sieht doch das menschliche Miteinander auch als einen Austausch von Arbeit an, den er nur nicht qualifiziert, weil er meint, eine Stunde Arbeit, sei eben immer eine Stunde Arbeit, egal um was es geht. Aber soziale Gemeinschaften sind doch Tauschgemeinschaften, nicht unbedingt von Waren, sondern eben gegenseitigem Umsorgen im weitesten Sinne.

Teh Asphyx hat geschrieben:Klingt interessant. Zufälligerweise lese ich gerade „Die Tücke des Subjekts“ von Slavoj Žižek, der in dem Buch meint, dass nahezu alle akademischen Disziplinen zur Zeit versuchen, das cartesianische Subjekt zu überwinden (selbst Denkweisen, die im krassen Gegensatz zueinander stehen) und er versucht darin dieses cogito philosophisch zu verteidigen. Allerdings bin ich erst ziemlich am Anfang des Buches.


Ich auch. ;)
Ich mag seine wilden Assoziationen und unkonventionellen Gedanken, z.B. die Passage mit Hegels Kantkritik finde ich sehr spannend. Leider habe ich keine Ahnung von Hegel und Kritiker sagen, dass Žižek Hegel falsch interpretiert. Naja, inspirierend ist es schon, auch wenn die Liebe zu Lacan nicht meine ist.
In der Sache mit dem Subjekt, hat Žižek glaube ich Recht, das Subjekt ist schon eine reale Bezugsgrößte und wenn man es fundamental kritisiert, kommt nicht selten komisches Zeug dabei heraus, sowas wie : „Ich bin viel klüger als du, weil ich mir bewusst bin, dass es mich in Wirklichkeit gar nicht gibt.“ Das ist nichts anderes als der nächste performative Selbstwiderspruch.


Teh Asphyx hat geschrieben:Den Ansatz finde ich jedenfalls gut, weil ich denke, dass trotz der Idee, dass die Beziehung am Anfang steht, das Subjekt dennoch real ist. Die Beziehungsphilosophie ist für mich ein Ansatz das Subjekt zu verstehen, nicht indem ich das Subjekt am Anfang, sondern am Ende der Beziehung betrachte.
Jeden, der meint, das Subjekt vollständig negieren zu können, würde ich dann doch guten Gewissens zu Frau Miller schicken.


Ich bin Deiner Meinung.

Teh Asphyx hat geschrieben:Betrachtet er dabei Evolution als etwas, das ein Ziel hat oder geschieht sie einfach?


Beides. Einerseits sieht er so eine Art Omegapunkt, was die Evolution des Bewusstseins angeht und dieser Punkt ist bei ihm 1995 die Erleuchtung.
Zu dieser Zeit sagt er aber auch schon, dass die Entwicklung der Welt immer weitergeht, von der Pferdekutsche bis zum Formel 1 Wagen und das Wesen dieser Geschichte ist stete Veränderung.
Insgesamt sieht Wilber aber in der Evolution tendenziell eien Veränderung zum Besseren, mehr als eine Anpassung.

Teh Asphyx hat geschrieben:Die Ansicht von Wilber finde ich hier auch grundlegend sympathisch. Auch wenn ich das mit den Stufen nicht ganz so sehe (könnte auch eine Linie oder Kurve sein), aber das ist hier ja eher nebensächlich. Grundsätzlich braucht man Kinder auch nicht zum Pluralismus zu erziehen, sondern Kinder einfach nur soziale Bindungen mit mehreren Menschen eingehen lassen und sie werden selbst darauf kommen, dass es mehr als ein Weltbild gibt. So erging es mir auch als Kind, weswegen ich früh kritisches Denken gelernt habe und festgestellt habe, dass es im Bereich des Wissens keine absoluten Autoritäten gibt (schon gar nicht ist jeder Erwachsene einfach so in allen Belangen eine Autorität) und ich also Wege finden musste, sämtliche Aussagen qualitativ zu überprüfen. Und das hat tatsächlich ohne Anleitung bestens funktioniert – aber eben nur dank der Tatsache, dass ich, frei nach einem afrikanischen Sprichwort „ein ganzes Dorf hatte, um mich zu erziehen“ (wobei ich den Begriff „Erziehung“ nicht mag).


Ja, auf einer hohen Stufe sieht Wilber auch gleitende Hierarchien, d.h. der Experte und Lehrer der einen Richtung ist ein blutiger Laie und Schüler der anderen. Das bricht mit einem patriarchalen Weltbild in dem man der (damals vielleicht noch halbwegs berechtigten) Meinung war, es gäbe wenige Autoritäten die (fast) alles wissen, Lehrer, Pfarrer, Ärzte.
Dennoch sieht Wilber auch die Stufe des Gehorsams oder der Integration von Regeln und Rollen als eine der notwendigen an, nur macht er hier nicht halt.

Teh Asphyx hat geschrieben:Ich finde es äußerst schwierig, solch eine Grenze überhaupt zu ziehen. Es ist immer so einfach, die Ursache einfach in einem einzelnen Menschen zu sehen („Er hat eine besonders hohe Gewaltbereitschaft“, „Er ist verrückt“ etc.), aber was macht die Menschen so?


Das sind doch erst mal zwei Paar Schuhe.
Einmal, ist jemand verrückt, ja oder nein und kann man das testen und zweitens, warum ist er so geworden?
Ich finde diese Fragen gerade im Kontext von Spiritualität entscheided, weil ein beliebter Einwadn gegen mystische Erfahrungen der ist, zu behaupten, Mystik sei im Allgemeinen gleichbedeutend mit psychopathologischen Phänomenen, Schizophrenie, Epilepsie und dergleichen.
Zwar gibt es Überschneidungen aber auch signifikante Unterschiede und je mehr man die kennt, umso besser.

Teh Asphyx hat geschrieben:Inzwischen gibt es einen Trend, den ich sehr gefährlich finde, das auf genetische/biologische Ursachen zu begründen. Gerade einige Hirnforscher (z.B. Gerhard Roth) machen da viel Mist mit den Interpretationen ihrer Ergebnisse. Natürlich sehe ich einen Unterschied im Gehirn bei jemanden, der vorhat, zu töten, zu jemanden, der das nicht vorhat. Das hätte ich aber auch ohne Messgeräte sagen können. Aber was sagt das aus, außer, dass das Gehirn generell ermöglicht, dass man töten kann (wie soll es auch sonst gehen?)?


Was Deine Kritik an den reduktionistischen Interpretationen von Roth, Singer und anderen angeht, kann ich Dir nur unumwunden zustimmen, inzwischen ist die Messe aber gelesen und Roth hat seine Ansichten weitestgehend revidiert.
Zudem ist in der Philosophie gerade die Ansicht vorherrschend, dass der Kompatibilismus die Diskussion um die Willensfreiheit für sich entschieden hat und der besagt, dass selbst in einem hypothetisch unterstellten absolut determinierten Universum (mit verborgenen Variablen und alleim Zipp und Zapp) die Freiheit des Willens nicht eingeschränkt wäre. Sonderlich glücklich bin ich mit dem Kompatibilismus nicht, weil ich glaube, dass er zwar den gröbsten Unsinn verhindert, aber die Welt halt nicht komplett determiniert ist, da meine Kenntnisse der Quantenphysik aber ausgesprochen gering ist, kann ich das nur mutmaßen.

Teh Asphyx hat geschrieben:Muss nicht eher die Ideologie völlig wahnsinnig sein, die solche Wahnsinnigen produziert? Und damit meine ich natürlich nicht seine Privatideologie, sondern die allgemein herrschende Ideologie.


Glaube ich eigentlich nicht.

Teh Asphyx hat geschrieben:Immerhin haben wir ein manisch-depressives Wirtschaftssystem, das nur immer wieder mit Spritzen ruhig gestellt wird, ein schizophrenes Zusammenleben und einen Individualismus mit gehörigem Minderwertigkeitskomplex.


Also, ich finde, es geht im Großen und Ganzen doch recht gesittet und berechenbar zu. Das Wirtschaftssystem funktioniert doch nach einer recht kühlen Logik, nur der einzelne Mensch gerät halt zwischen die Zahnräder.

Teh Asphyx hat geschrieben:Ich bezeichne mich eh nicht als Bright, aber ich finde die Idee gut, dass Nichtreligiöse auch eine vertretende Organisation haben, alles darüber hinaus finde ich auch anmaßend. Leider sind Leute unterwegs, die im Namen der Brights tatsächlich auch irgendwelche sehr grenzwertigen Aussagen verbreiten (natürlich nicht durch irgendwas anderes als sich selbst legitimiert), was mich allein schon davon abhält, mich damit zu identifizieren. Aber das Forum finde ich äußerst interessant.


Ja, zumindest finde ich hier auch differenzierte Äußerungen als von einigen Vertretern außerhalb, deren fundamentalistisches Gehabe es mir kalt den Rücken runterlaufen lässt.

Teh Asphyx hat geschrieben:Ich finde am bedenklichsten, dass viele atheistische Gruppierungen wie die Skeptiker die gleichen Mittel benutzen um Religion zu diskreditieren, wie die Religion, wenn sie Andersdenkende Diskreditieren möchte.


Exakt das ist auch meine Beobachtung.

Teh Asphyx hat geschrieben:„Ich finde, es gehört dazu, wenn man schon wissenschaftliche Methode propagiert, diese dann auch für sich selbst als als Mittel anzuwenden, auch wenn das andere manchmal durchaus witzig ist. Es ist immer das gleiche, der Zweck wird geändert (in was vermeintlich besseres) und darf die selben alten falschen Mittel nun wieder heiligen. Da gehe ich absolut mit Arthur Koestlers Grundsatz konform: „Der Zweck heilig nie die Mittel!““


Genau, Wasser predigen und Wein trinken ist immer scheinheilig, auch wenn es kein Messwein ist.

Teh Asphyx hat geschrieben:Ich wollte ihm da auch jetzt keine solche Absicht unterstellen (deswegen auch nur die Tendenz), aber ich nehme mal schon an, dass er da auch erwogen hat, gerade mit einleitenden Worten, sein Werk für bestimmte Leute besonders schmackhaft zu machen (welcher Autor tut das nicht?).


Das ist ja die Frage, ob man denen gefallen will, die einen ohnehin lesen, aber so wichtig ist dieser Punkt wirklich nicht.

Teh Asphyx hat geschrieben:Immerhin hat sie [Alice Miller – V.] irgendwann davon Abstand genommen, irgendeine spezielle Therapieform zu empfehlen und sich immer mehr darauf beschränkt, Ausschlussverfahren zu finden, um festzustellen, was nicht geeignet ist.
Mir ist einfach wichtig, dass sie jetzt nicht in der Versenkung verschwindet, sondern dass ihre Erkenntnisse auch in anderen Bereichen anerkannt und bedacht werden. Von vielen Geisteswissenschaftlern wird weiterhin so viel Müll verzapft, das ist schon nicht mehr feierlich und da kämen ihre Ideen gut, um mal aufzuräumen (wobei das wahrscheinlich der Grund ist, warum sie da keinen Einklang findet).


Es waren da glaube ich ehr die Praktiker die sie ignoriert haben, aber ich meine, dass es gute theoretische Gründe dafür gibt. Was Miller dort macht ist m.E. weniger eine aufdeckende, als eine stützende Therapie, das ist an sich kein Problem, nur sieht sie sich ja eher als aufdeckend.
Meinen Hauptvorwirf habe ich ja schon geäußert, der besteht darin, dass eine aufdeckende Therapie immer ein autonomes Ich im Blick hat, das es aus eigener Kraft schaffen kann im Leben Fuß zu fassen, eigenverantwortlich zu leben und seine Probleme selbst zu lösen.
Was Miller macht ist m.E. oft eine Infantilisierung, indem man dem „Opfer“ sagt, wer die Schuldigen sind und es animiert ja nicht zu verzeihen und ihm suggeriert, es selbst könne zu all dem nichts.
Es ist zwar etwas kontrantuitiv, aber letzten Endes gut nachvollziehbar, dass die Integration des Täterpols bei psychodynamischen Ansätzen das ist was heilt und nicht eine Zementierung der Opferrolle.

Teh Asphyx hat geschrieben:Ja, Esowatch und GWUP sind ja schön dabei, die Psychoanalyse von Freud, Jung und Adler zu kritisieren, dass das alles alte Kamellen sind, ist denen anscheinend egal.


Esowatch und GWUP sind Institutionen die ich nicht mal im Ansatz ernst nehmen kann.
Das sind in meinen Augen religiöse Fanatiker im Gewand von Atheisten, jedes Wort über sie betrachte ich inzwischen als eines zu viel.

Teh Asphyx hat geschrieben:Ach ja, Elisabeth Loftus mit ihrer „False Memory Foundation“ (die tatsächlich nichts mit der wissenschaftlichen Beschäftigung mit Erinnerungsfälschung zu tun hat, aber sie ist ja selbst Mitglied im CSICOP) darf dafür auch herhalten, obwohl ich mich frage, welche Relevanz das haben soll.


Es geht ja in analytischen Behandlungen nicht darum, ob die Erinnerungen richtig oder falsch sind, sondern, was es für ein Individuum bedeutet, zu denken und zu fühlen, dass etwas so gewesen ist.
Das sollte sich natürlich nicht zu weit von der gesellschaftlichen Normalität wegbewegen, aber das hatte Freud schon auf dem Schirm, die Äquidistanz zwischen Es, Über-ich und Realität.

Teh Asphyx hat geschrieben:Der Nachweis zu letzterem würde mich mal interessieren. Das hab ich jetzt schon öfter auch aus tibetisch-buddhistischen Ecken gehört, aber noch keine Quelle dazu erfahren. Mich würde vor allem interessieren, was genau sich da verändert (der Buddhist sagt ja dann nur, dass man einen erweiterten Altruismus entwickelt, aber das ist mir irgendwie zu schwammig).


Das Gehirn verändert sich, nachhaltig, wie man heute sagt.
Es tritt glaube ich auch eine höhere Aktivität von Gamma-Wellen auf, andere sagen, dass Delta-Wellen und Alpha- bzw. Beta-Wellen zusammen auftreten.
Puh, wer hat dazu gearbeitet., Tanja Singer glaube ich und bei Goleman in „Gespräche mit dem Dalai Lama“ gibt es da interessante Passagen, bei Wilber auch, schau mal bei 4. November nach:
http://psy.mymcomm.net/MED-DVD/%289%29% ... uch%29.pdf
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Re: Ken Wilber

Beitragvon Vollbreit » Di 6. Dez 2011, 10:57

Teh Asphyx hat geschrieben:Das ist klar, aber man darf sich als Eltern dann wenigstens entschuldigen und nicht noch im Nachhinein so tun, als wäre man grundsätzlich im Recht gewesen (und solche Exemplare kenne ich mehr als genug, meine Mutter inklusive). Das ist ja erst das Problem.


Man kann ja ein Verständnis für die Mutter aufbringen, auch wenn ihr Verhalten falsch war (kommt natürlich auf den Grad an) und gerade auf dem Boden des Verstehens über diese Bindung hinauswachsen und sich sein eigenes Urteil bilden.

Teh Asphyx hat geschrieben:Klingt nach der ausreichend guten Mutter von Winnicott. Wobei Miller ihn eher positiv erwähnt hat bei dem, was ich gelesen habe.


Ich hatte da Kernberg im Hinterkopf.

Teh Asphyx hat geschrieben:Wo fängt eine ernsthafte Beschädigung der Psyche an?


Wenn ein Mensch leidet oder sich selbst und andere in große Gefahr bringt.

Alice Miller hat geschrieben:Zitate (Hervorhebungen in Fettdruck durch mich): „Auch ich bin der Meinung, dass der Hass einen Organismus vergiften kann, aber nur solange er unbewusst ist und auf Ersatzpersonen, also Sündenböcke, gerichtet bleibt. Dann kann er sich nicht auflösen. Wenn ich z.B. die Fremdarbeiter hasse, aber nicht sehen darf, wie meine Eltern mit mir umgingen, als ich ein Kind war, dass sie mich beispielsweise stundenlang als Säugling schreien ließen oder mich nie liebevoll anschauten, leide ich unter einem latenten Hass, der mich lebenslang begleiten kann und verschiedene körperliche Symptome verursachen mag. Wenn ich aber weiß, was meine Eltern mir durch ihre Ignoranz angetan haben und meine Empörung über dieses Verhalten bewusst spüren konnte, habe ich es nicht nötig, meinen Hass auf andere ignorante Personen zu übertragen. Mit der Zeit kann sich mein Hass auf die Eltern abschwächen, kann sich auch zeitweise auflösen, um dann aber durch neue Ereignisse der Gegenwart oder neue Aspekte der Erinnerung wieder aufzuflammen. Doch ich weiß nun, um was es geht. Ich kenne mich nun gut genug, gerade dank der erlebten Gefühle, UND MUSS NIEMANDEN AUS DEM GEFÜHL DES HASSES HERAUS UMBRINGEN ODER SCHÄDIGEN.“

„Anders verhält es sich mit dem BEWUSSTEN, REAKTIVEN Hass, der wie jedes Gefühl abklingen kann, wenn es durchlebt wurde. Wenn wir uns dazu durchringen konnten, klar zu erkennen, dass wir von unseren Eltern unter Umständen auf eine sadistische Art behandelt wurden, regt sich bei uns zwangsläufig die Empfindung des Hasses. Wie gesagt, kann diese sich mit der Zeit abschwächen oder ganz abklingen, doch es handelt sich hier nicht um einen einmaligen Schritt. Das Ausmaß der als Kind erfahrenen Misshandlungen lässt sich nicht auf einmal erfassen. Es bedarf eines längeren Prozesses, in dem immer wieder ein Aspekt der Misshandlung ins Bewusstsein zugelassen wird, so dass auch der Hass nochmals auftreten kann. Aber er ist dann nicht gefährlich. Er ist eine logische Konsequenz dessen, was geschah und erst jetzt vom Erwachsenen vollständig wahrgenommen wird, jedoch vom Kind über Jahre schweigend geduldet werden musste.“
(Quelle)


Teh Asphyx hat geschrieben:Auf mich hat das nicht unbedingt die Wirkung, dass sie chronischen Hass kultivieren möchte. Aber ihre Bücher werden in der Hinsicht immer wieder falsch verstanden (gut zu sehen an vielen Leserbriefen: http://alice-miller.com/leserpost_de.php) und ich weiß auch selber, wie schwer es den meisten Menschen fällt, Ursachen zu sehen, ohne dabei Schuldzuweisungen zu machen (weswegen dann der Trend dahin geht, dass man die Schuld nicht bei anderen suchen soll, was zu völlig blödsinnigen Schlussfolgerungen führt und ganz schön am gesunden Selbstwertgefühl kratzt).


Die zitierten Stellen machen auf mich auch nicht den Eindruck, andere, die ich gelesen haben dann aber schon. Ich würde Hass auch als angemessenes Gefühl ansehen, bei schwerem Missbrauch und ich würde bei jemandem, der nicht vergeben kann nicht darauf pochen, dies tun zu müssen.
Nur gibt es Fälle von phantasiertem Missbrauch der sexuellen oder gewalttätigen Art, die liebsten Eltern können es nicht verhindern, dass sie als mitunter als Monster erlebt werden und es gibt Ursachen wie z.B. frühe Entzündungen mit chronischen Schmerzen, die vom Kind auf eine schlechte Mutter projiziert werden (müssen – weil es Kind die Zusammenhänge nicht begreift), es gibt in einigen Fälle tatsächliche genetisch bedingte Störungen im Neurotransmitterhausghalt (vor allem Serotonin), es gibt ebenfalls genetisch fixierte verschiedene Temperamante und es gibt Eltern, die es schlecht gemacht, aber gut gemeint haben.
Weiterhin finde ich es ärgerlich, dass bei ihr Fälle zum Trauma aufgebauscht werden, bei denen es mir wie Hohn vorkommt, wenn ein Kind dahingehend missverstanden wurde, dass es ein eigenes Eis will, wenn die Eltern beide eins schlecken und das Kind nur mal lecken darf und die beiden über die wütende Geste des Kindes auch noch lachen.
Wenn ich andererseits höre, wie kalt sadistische Eltern ihre Kinder tatsächlich quälen, schlagen und Dinge mit ihnen anstellen, die beim besten Willen keine Kinderseele heil überstehen kann, dann finde ich es eher verwirrend und für Eltern verunsichernd, was Miller schreibt.
Der nächste Punkt ist, dass Miller dadurch mitunter den Narzissmus zementiert, den es eigentlich zu heilen gilt – gerade heute. Die Metabotschaft ist doch: Ach, was hätte alles aus mir werden können, wären meine Eltern nicht so mies gewesen, Schande über sie, nun Welt, sieh zu, dass ich wenigstens anständig entschädigt werde. Diese Haltung ist leider nicht selten.
Ein vorerst letzter Punkt der mir einfällt, ist die Geschichte mit dem Abstillen. Millers Idee ist es, dass frühkindlicher Narzissmus normal ist (ja, das ist er) und dann von selbst aufhört, wenn das Kind eine gewisse Zeit lang all seine narzisstischen Bedürfnisse befriedigt bekommt (was nicht richtig ist). Dazu habe ich mal eine Psychotherapeuten gehört, der ganz andere Erfahrungen gemacht hat. Dakam so eine Mutter, die darauf vertraute, das Ergebnis war, dass sie, die mehrere Kinder hatte, noch einen Sohne hatte, der glaube ich fünf (aber mindestens vier) Jahre alt war und noch immer an der Mutterbrust saugte, der hörte einfach nicht damit auf. Ist das nun eine nicht zu überwindendes Trauma, so einem Kind zuzumuten abgestillt zu werden, wo doch vielleicht das kleine Schwesterchen noch nuckeln darf?

Teh Asphyx hat geschrieben:Meine Mutter behauptet auch, Alice Miller gelesen zu haben und es toll zu finden, handelt aber genau gegenteilig. Und sie ist auch ein Kind der 50er, passt also voll da rein. Das Buch „Elementarteilchen“ von Houellebecq hat mir da ganz gut zu verstehen gegeben, wie diese Generation tickt. Irgendwie scheint mir, dass diese Generation total enttäuscht von sich selbst ist, weil sie dachte, eine bessere Welt aufzubauen und jeder war auf der Suche nach der Selbstfindung und am Ende hat alles nicht geklappt.


Kann sogar sein, dass Deine Mutter Miller gelesen hat, nur ist mir weiterhin unklar, wie man nach Miller sein Kind behandeln soll, damit es nicht zum Missbrauch kommt. Würde man Miller glauben, müssten Eltern ständig in panischer Angst leben, vor dem, was sie alles falsch machen können.
Der Fernseher zu laut, das Kind mal 5 Minuten schreien gelassen und bumms, ein lebenslanges Trauma ist unvermeidlich. Das ist in meinen Augen bestenfalls gut gemeint.
Und was die Generationen und ihre Beschreibungen angeht: Nun, vieles mag da stimmen, vieles aber auch nicht. Meine Eltern sind 68er ohne auch nur im entferntesten 68er zu sein. Die saßen damals nicht mit Blumen im Haar ums Lagerfeuer, haben gekifft und für den Frieden gesungen, auch wenn ich es ihnen gegönnt hätte.

Teh Asphyx hat geschrieben:Weder die Drogen noch all die spirituellen alternativen Lebenswege haben irgendeine Erlösung gebracht, aber andererseits glaubt man trotzdem, sich für die folgende Generation geopfert zu haben (klingt ja auch viel schöner, als wenn man sich selbst eigentlich für reine Ego-Zwecke geopfert hat) und das soll meine Generation jetzt glauben (und bei den meisten funktioniert das mit diesem Glauben ja auch). Das Schlimme ist, dass die wenigstens sich dieses „Versagen“ eingestehen, sondern wir sollen sie jetzt als „heilige Freiheitskämpfer“ sehen, dabei haben sie „uns“ doch nur wieder in die alten konservativen Werte zurückgebracht, die sie damals so abgelehnt haben. Aber bevor ich mich jetzt hiermit zu sehr verzettele, mach ich mal mit dem nächsten Punkt weiter …


Das ist glaube ich nichts, was man bewusst steuern kann. Die gesellschaftlichen Wellen kommen und gehen. Ich glaube, dass es nicht sonderlich schön ist als Versager abgestempelt zu werden, alle Menschen sind immer auch Kinder ihrer Zeit. Einfaches Beispiel: Heute sieht man wie deutsche Soldaten nach Afghanistan Einsätzen mit einer posttraumatischen Belastunsgsstörung wiederkommen und fragt sich, wie frühere Generationen, den viel dramatischeren zweiten Weltkrieg so unbeschadet überstehen konnten. Die Wahrheit kommt heute schrittweise ans Licht, die haben es gar nicht unbeschadet überstanden, da sind zwei oder drei ganze Generation wirklich schwer gezeichnet worden. So ganz nebenbei haben die dann noch das Wirtschaftswunder zustande gebracht, irgendwie weiter funktioniert und sich von den wohl tatsächlich übrig gebliebenen Spießerresten recht gründlich befreit.

Teh Asphyx hat geschrieben:Das scheint mir auch irgendwie am Ziel vorbeizuschießen, wenn man das Über-Ich als Buhman ausmacht. Ich finde da Žižeks gesellschaftsanalytische Lacan-Interpretationen weitaus differenzierter. Žižek ist überhaupt der Grund, weswegen ich den Marxismus nicht mehr kategorisch ablehne, wie ich das mal eine Zeit lang gemacht habe.


Ja, Žižek ist ein ungewöhnlicher Marxist, der im Resultat zu vielen Aussagen kommt, die ich durchaus teilen würde, dennoch werde ich mit dem Kommunismus nicht warm.

Teh Asphyx hat geschrieben:Ja, zwischen Beruf und Berufung können Welten liegen. Eine Psychologie, die die herrschenden Verhältnisse nicht in Frage stellt, sondern als Prämisse nimmt, macht meines Erachtens nach damit einen großen Fehler. Die Verhaltenstherapie finde ich deswegen auch sehr bedenklich.
Ich denke, es sollte vor allem darauf ankommen, dass man mit sich selbst (wieder) klarkommt, also dass man sich damit wohl fühlt, man selbst zu sein (dann ist das cartesianische „cogito“ auch kein Feind mehr, den es zu bekämpfen gilt).


Dem würde ich bedingt zustimmen. Ein paranoider Attentäter wie Breivik kann ja durchaus im Einklang mit sich selbst sein, Terroristen, die sich für ein Ideal opfern, tun das ganz ohne große innere Widerstände, Kinderschänder, Sadisten, hart narzisstische Börsenspekulaten und was weiß ich, sie alle können sich mit sich eigentlich ganz wohl fühlen, nur die Umwelt sich halt nicht mit ihnen.
Ich haltes Selbstverwirklichung für ein großes Ziel in der Psychologie (nebenbei kann ich soagr noch was mit Selbsttranszendenz anfangen), aber man muss schauen, wo jemand steht.
Und mal zurück zu Wilber, er bietet da m.E. hervorragende Orientierungen an. Ein Psychotiker muss erst mal ein stabiles Ich gründen, das ihn durchs Leben trägt.
Ein Narzisst muss zunächst lernen, dass es außer ihm auch andere Menschen auf der Welt gibt, es bringt nichts, dem zu sagen, dass es mal drauf achten soll, sich ein wenige wohlen zu fühlen.
Ein konventioneller Mensch, der wirklich treu und brav alle ihm aufgetragenen Pflichten erfüllt, nun, den müsste man in der Tat mal dazu anregen darüber nachzudenken, ob er das, was er tut eigentlich freiwillig und gerne tut und ob sein Leben nicht evtl. mehr sein könnte – sollte aber akzeptieren, dass gar nicht jeder zwangsbefreit werden will.

Ich meine da auch mal was von einem Spiegelneuron gehört zu haben, das mit Empathie zusammenhängt und auch bei Lebewesen vorhanden ist, die wohl eher nicht zu komplexer Sprache fähig sind.

Richtig.
Ob’s jetzt wirklich die in Mode gekommenen Spiegelneuronen sind, weiß ich nicht, viele meinen heute ja, aber Empathie in einem bestimmten Umfang, der weitreichend ist, ist eine angeborene Disposition, die nonverbal ist und vermutlich durch empathisches Verhalten mit Leben gefüllt werden muss.

Teh Asphyx hat geschrieben:Auf jeden Fall hilft es immer, wenn man Regeln verstehen darf. Ansonsten ist es meines Erachtens am sinnvollsten, wenn man gar nicht so viele Allgemeinregeln hat, sondern sich mehr auf seine Mitmenschen einlässt (hier finde ich die Gewaltfreie Kommunikation von Marshall Rosenberg interessant, wird übrigens sogar von Autisten freiwillig praktiziert: http://autismus.ra.unen.de/board.php?id=48)


Ja, die scheint gut und bewährt zu sein, in der Tat.
Nur regeln Allgemeinregel nicht nur das persönliche Miteinander, sondern viel stärker die unpersönliche Masse, wie man sich verhält wenn man am Straßenverkehr teilnimmt, die Elter der Freundin besucht, in der Warteschlange steht und so weiter.

Teh Asphyx hat geschrieben:Man kann Objektivität denke ich auch nur über intersubjektive Konventionen erreichen. Das ist ja auch der Unterschied zwischen objektiv und absolut (bei Lacan wäre das wohl der Unterschied zwischen dem Symbolischen/Imaginären und dem Realen).
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Da sind wir wohl ziemlich weitreichend einer Meinung.
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Re: Ken Wilber

Beitragvon Vollbreit » Di 6. Dez 2011, 11:00

Teh Asphyx hat geschrieben:Heidegger ist ohnehin die pure Bewusstseinsdroge. An Primärliteratur hab ich allerdings bisher neben einzelnen Zitaten nur den „Brief über den Humanismus“ gelesen, da ist also noch einiges an Nachholbedarf. Aber seine Grundideen kenne ich durch Sloterdijk und Umberto Eco schon einigermaßen und gerade ist Žižek in dem Buch, was ich gerade lese, dabei tiefer in die Materie einzudringen (wobei ich da etwas Schwierigkeiten habe, mitzukommen).


Es ist schwer sich zu Heidegger ein abschließender Urteil zu bilden, viele sagen, ein genialer Kopf mit erbärmlichem Charakter und wir haben immer Schwierigkeiten Menschen beides zuzugestehen.
Ein Nazi, der Heidegger zum Teil war, muss auch immer gleich strohdoof sein, sonst passt das nicht in unsere Schubladen.

Teh Asphyx hat geschrieben:Für mich ist es natürlich kein Humbug, aber bei den meisten Skeptikern und vielen Naturalisten habe ich den Eindruck, dass die die Quantenphysik nur deswegen akzeptieren, weil sie auf einen Bereich angewendet wird, der angeblich keine Rolle spielt und ihr Newton’sches Weltbild somit nicht gefährdet. Sobald es darüber hinausgeht kommt gleich die Aussage, dass Mikrokosmos und Makrokosmos aber getrennt werden müssen.


Also ich haben mit einigen Naturwissenschaftlern diskutiert, ich kenne da eigentlich niemanden, der die Quantenphysik nicht akzeptiert. Es scheint nur so zu sein, dass man sie und die RT bei den meisten Alltagsphänomenen einfach nicht braucht und gerade im Naturalismus ist der Physikalismus ja für viele die Endhaltestelle.
Dabei muss man glaube ich trennen, ob die Welt grundlegend physikalisch ist und wann und wo man die Welt mit den Augen des (Quanten-)Physikers betrachten sollte und wo das nichts bringt, weil es keinen Gewinn an Erkenntnis bringt.
Dennoch hat die Quantenphysik ja auf ihre Art die Grenzen einer Subjekt-/Objekt-Spaltung aufgezeigt, indem objektivierende Messvorgänge die Welt eben nicht unverändert zurücklassen, etwas was nahezu für alle Bereiche gilt, wie man nach und nach herausfand.
Dennoch glaube ich, dass diese Sicht der überall interagierenden Systeme unterm Strich auf keinen letzten Sinn ergibt, denn manche Systeme haben eben ein konsistentes Ich-Bewusstsein, haben Intentionen und meinen etwas Bestimmtes, wenn sie von sich als Subjekt reden.
Es scheint einfach so zu sein, dass beide Perspektiven Sinn ergeben.
In diesem Kontext ist es auch für spirituelle Disziplinen schwierig anzugeben, was die oftmals angestrebte Ichauflösung denn nun eigentlich genau sein soll. Wenn man nicht mehr weiß, wer man ist, wie soll man da noch einfachste Tätigkeiten des Alltags verrichten und sei es nur Wasser schöpfen und Brennholz holen?

Teh Asphyx hat geschrieben:Aber selbst da, im Prinzip weiß man so wenig über das tägliche Leben vergangener Gesellschaften (man weiß es ja meistens kaum über gegenwärtige Gesellschaften), das ich so konkrete Vorstellungen, die dann oftmals doch sehr triviale Gedanken enthalten, sehr bedenklich finde. Die Idee ist nichtsdestoweniger interessant.


Stimmt, man hat oft die Neigung, seinen eigenen unreflektieren Lebenshintergrund auf andere zu projizieren. Aber wenn es stimmt, dass auch das Sein, also die Lebensbedingungen, das Bewusstsein prägen – und ich bin der Meinung, dass das zum Teil richtig ist – kann man schon das eine oder andere ableiten.

Teh Asphyx hat geschrieben:Ein Opfer ist für mich aber auch immer mit einem (meist nicht unerheblichen) Nachteil für mich selbst verbunden. Ansonsten ist es einfach ein Einsatz für andere. Es ist also auch mehr, als nur eigene Bedürfnisse zurückzustellen, es ist immer mit einem (direkten oder indirekten) Schaden für mich selbst verbunden. Deswegen finde ich diesen Begriff bedenklich.


Und gleichzeitig mit einem Gewinn. Kultur bedeutet in einem gewissen Umfang immer Triebverzicht, das macht „Das Unbehagen in der Kultur“ aus, von dem Freud schreibt. Man muss seine egozentrischen Triebwünsche immer ein Stück weit zurückstellen, um am Gewinn durch eine Gemeinschaft zu partizipieren.

Teh Asphyx hat geschrieben:Dann bin ich ja fein raus, ich find ich Schulmedizin zum Teil äußerst nützlich, die Katholiken sind mir allemal lieber als manch andere Gruppierung und ich finde Hitlers Autobahn scheiße (wie jemand, der schonmal auf der A1 gefahren ist, ernsthaft behaupten kann, das wäre eine gute Sache gewesen, ist mir einfach unbegreiflich).


War ja nun auch eher als ein kleine Karikatur der postmodernen Esoszenen gedacht.

Teh Asphyx hat geschrieben:Ich bin bei solchen Aussagen immer vorsichtig, klingt so nach Floskel, meistens lässt sich ja eher strukturell beim Lesen herausfinden, wie jemand über sich selbst denkt. Aber wenn das zutrifft, dann könnte es ja hinhauen.


Es ist schon okay, sich sein eigenes Urteil zu bilden.

Teh Asphyx hat geschrieben:Precht ist für mich auch grenzwertig. Er verdreht mir manche Begriffe zu viel (wie hier mit der Freiheit: http://www.youtube.com/watch?v=bY6s23aX5rY) oder verzettelt sich unnötig, zum Beispiel wenn er sagt, dass er was weiß ich wie viele mögliche Übersetzungen von „survival of the fittest“ gefunden hat, wobei eigentlich klar wäre, was gemeint ist, wenn man die Zusammenhänge bei Darwin kennt. Das sind sehr merkwürdige Nebelbomben.


Das mag schon sein, ich finde die Tendenz, das es da einen gibt, der alles weiß, hieße er nun, Wilber, Habermas, Precht, Einstein, Derrida, Dennett oder Dawkins ohnehin daneben. Sloterdijk ist ja auch oft quer zu den Akademikern, dafür strafen die ihn mit Nichtachtung und Prechts Meinung ist da einfach, dass man die Lücke zwischen akademischer und eher volksnaher Philosophie, so wie Äußerungen zu konkreten Vorkommnissen nicht zu groß werden lassen sollte.
Und das ist ja gerade der Punkt: Wähle einen bestimmten Kontext und es ist alles Mögliche möglich und wenn es keine Einigung darüber gibt, dass nicht jeder Kontext mit anderen gleichwertig ist, kommt es zu üblen Verwirrungen.

Teh Asphyx hat geschrieben:Goldner hinterfragt zumindest wenigstens auch die gängige Psychologie und hat auch ein Interesse daran, herauszufinden, was hinter dem ganzen Esoterikzeug steckt, anstatt es nur abzuwerten. Allerdings hab ich auch meine Kritikpunkte an Goldner, ihm könnte ein wenig Lacan nicht schaden. Er sagt zum Beispiel, dass es zwei Arten von (Geld-)Esoterikern gebe, die einen glauben wirklich daran und sind somit psychisch gestört und die anderen täuschen es vor und sind ein Fall für die Staatsanwaltschaft.


Das finde ich auch schon vergleichsweise selektiv.
Psychiater oder Anwalt, das impliziert schon, dass es wirklich nichts gibt, was an der Sache dran sein könnte, ich finde, das ist eine oberflächliche Sichtweise. Wo ist denn geklärt, dass ein Bedürfnis nach Transzendenz grundsätzlich verfehlt ist? Dass man immer wieder auch dahinter Bedürfnisse findet, die ihrerseits unbewusst etwas ganz anderes suchen als sie vorgeben, das mag ich gerne eingestehen, nur scheint es mir unangemessen alles auf kindlichen Adualismus zu reduzieren.

Teh Asphyx hat geschrieben:Es gibt einen dritten Typen und der ist mit Abstand am häufigsten aufzutreffen und zeigt einer erstaunliche Normalität. Das ist der Typ, der eigentlich daran zweifelt und in dem Glauben des Anderen daran seine „Erfüllung“ sucht. Das ist das gleiche Prinzip wie mit dem Weihnachtsmann, die Eltern tun so als würden sie an ihn glauben in der festen Überzeugung, die Kinder würden es glauben, während die Kinder so tun als würden sie daran glauben, weil sie den Glauben ihrer Eltern nicht enttäuschen wollen, also glaubt eigentlich keiner an den Weihnachtsmann, aber alle benehmen sich so als gäbe es ihn. Diese Art von spirituellen Leuten treffe ich am häufigsten.


Gut, da haben wir sicher einen unterschiedliche Lebens-/Erfahrungshintergrund, was mich aber überzeugt hat, ist dass man spirituelle Erfahrungen eben tatsächlich machen kann.
Wie man die dann ausdeutet, ist wieder eine Geschichte für sich, ob das eine Durchbruch zur Transzendenz oder zu unbewussten Triebwünschen ist, darauf würde ich mich einlassen, dass es hier und da pathologisch, darauf auf, dass da aber gar nichts zu holen ist, das trifft in meinen Augen nicht zu. Ich bin durchaus dafür, dass man alles was man vorfindet erst mal konventionell erklärt, solange man nicht das stille Dogma unterstellt, dass es einfach nichts geben darf, was man nicht erklären kann und jedem der so etwas erlebt hat, sogleich Betrug oder Irrsinn unterstellt.

Der nächste wichtige Punkt, der da im meinen Augen zu klären ist, ist der, ob denn ein subjektives Überzeugtsein, einen Wert an sich darstellt.
Tenor aller spirituellen Richtungen ist im Grunde, dass es das Ich nicht wirklich gibt. Nun bin ich mit Dir der Meinung, dass man mit solchen vorschnellen Behauptungen sehr vorsichtig sein sollte.
Blickt man aber mal darauf, was denn das Ich konstituiert, so findet man gesellschaftliche Praktiken. Wir behandeln einander und schon das kleinste Kind, als Individuum,durch die Resonanz aus der Umwelt, wird uns unser Anderssein, unser Gesondertsein überhaupt erst einmal bewusst.
Meditative Praxis zielt darauf ab, diese Ichgrenzen infrage zu stellen und zwar dadurch, dass man all das, was das Ich in seinem Selbstbild ausmacht ins Leere laufen lässt. Man bemüht sich aufrecht zu sitzen, zählt stur seine Atemzüge und lässt ansonsten einfach laufen. Körperempfindungen, Gedanken und emotionale Regungen betrachtet man, ohne ihnen nachzugehen, was, saumäßig schwer ist, weil man es einfach gewohnt ist, genau das den ganzen Tag zu tun. Das ist ein sehr interessantes Experiment, weil man mit der Zeit lernt, eine Ebene zu etablieren, auf der es möglich ist, die stille Beobachtung aufrecht zu halten, ohne den Impulsen zu folgen, man lässt einfach kommen, was kommt und schaut zu, wie es von selbst wieder geht. Das ist aber keine Reflexion (wieso denke oder fühle ich eigentlich so, wie ich denke oder fühle), sondern Meditation (da ist was, ich betrachte es und reagiere nicht darauf).
Man zerlegt also das, was man dem Ich zuschreibt (Körpersein, Gefühle und Gedanken zu haben) in seine Bestandteile und schaut, was bleibt. Was lange bleibt ist ein Gefühl des grundlegenden Ichseins, nur irgendwann mag der Punkt kommen, wo man diese Ich-Identität nicht mehr hat. Eigenartigerweise geht damit aber nicht zwingend ein Bewusstseinsverlust einher, sondern ein Zustand großer Klarheit. Man ist nicht mehr der, der atmet, sondern man ist ganz Atem. Gleichzeitig ist die Welt aber nicht verschwunden, sondern man glotzt immer noch auf den Boden vor sich und sieht den auch, nur dieses alles begleitende Gefühl des Ichseins ist weg. Zugleich hat man aber das Empfinden, dass nichts Wesentliches fehlt, man ist nicht unendlich weit weg von der Welt, sondern ganz und gar eins mit ihr.
Das sind Erfahrungen, die man in der Meditation machen kann und spirituelle Lehrer sagen nun, dass Meditation nur so eine Art geschützte Laborsituation ist, die prinzipiell aufs ganze Leben übertragen werden kann (und soll).
Das heißt diese Erfahrung des Nicht-Ich-Seins und gleichzeitig ganz-in-der-Welt-Seins, muss keine kurze Gipfelerfahrung bleiben, sondern kann ausgedehnt werden und sogar irgendwann mal zur gefühlten Grunderfahrung werden, das wäre dann das, das spirituelle Menschen Erleuchtung nennen.
Das führt zu der Einstellung, dass man nicht mehr mit seinem Ich identifiziert ist, sondern mit allem was ist, was von den seichten Interpreten der Esoterikbewegung oft dahingehend missinterpretiert wurde, dass alles irgendwie gleich gut ist und man nur eine gleichgültige Attitüde an den Tag legen müsste und das wäre dann ungefähr Erleuchtung (wo es sich in Wirklichkeit nur im egozentrisches Desinteresse handelt).
Aber im Kontext einer Erleuchtungserfahrung kann die Aussage, dass alles was ist gut ist, schon sinnvoll sein, man muss halt nur den Erfahrungskontoext und die ethischen Implikationen mitbetrachten.
Ist alles schon irgendwie gut, weil ich gerade keine Lust habe mich um jemand anderen als immer nur mich zu kümmern, oder bedeutet das eher, dass alles seine Ursache und Geschichte hat, die ich vielleicht gerade dann am besten überblicke, wenn ich mich von eigenen egozentrischen Verhaftungen frei machen konnte.
Das finde ich zumindest nicht prinzipiell indiskutabel und sollte am Ende „nur“ ein subjektives Empfinden einer grundlegenden Zufriedenheit stehen – das habe ich schon mal angesprochen -, wer will uns, mit welchem Recht sagen, dass dies nicht anzustreben sei.
So ziemlich alles was wir tun, steht unter der Prämisse eine bessere Welt zu schaffen, wobei man in den letzten Jahrhunderten tendenziell unterstellt, eine Veränderung der Welt sei das alles überragende Projekt, eine Veränderung der Psyche hingegen nachrangig. Ich halte diese Gewichtung für einigermaßen unreflektiert, da auch immer wieder belegt wurde, dass entgegen der Annahme, Meditation kein kalter Rückzug ins Private ist, sondern im Gegenteil psychische Entwicklung mit Empathie fördert, was auch einen logischen Sinn ergibt, denn wo ich immer weniger egofixiert bin, eröffnet sich zugleich ein Raum für andere.
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Re: Ken Wilber

Beitragvon Teh Asphyx » Mi 7. Dez 2011, 16:03

Vollbreit hat geschrieben:Weiß ich jetzt gar nicht so genau, ich hab’s gerade nicht hier, schaue aber mal nach und schreibe es Dir.


Okay, meine Freundin hatte allerdings eh vor, das von der Bibliothek mitzubringen in den nächsten Tagen, dann werde ich das eh selbst lesen.

Teh Asphyx hat geschrieben:Ich hab Habermas anfangs auch gar nicht verstanden und mich würde es auch nicht wundern, wenn er sich so auch ganz gerne vor Kritik immunisieren möchte. Allerdings hat das ja auch ein wenig Tradition in der Frankfurter Schule, mit Adorno ging es mir auch nicht anders. Inzwischen geht das aber gut, ich finde es nur ungemein anstrengend.


Vollbreit hat geschrieben:Ja, die Art zu schreiben der Frankfurter ist so eine Sache für sich.
Immunisierung ist das aber glaube ich nicht, die sehen sich ja in einer kritischen Tradition.


An sich habe ich auch nichts gegen eine „elitäre“ Schreibweise. Wenn ich etwas lese, das allein schon vom Vokabular her neues enthält und ich die Sätze erstmal genau untersuchen und verstehen muss, kann ich richtig spüren, wie sich generell etwas in meinem Verständnis erweitert, so als könnte ich spüren, wie sich gerade neue Synapsen in meinem Gehirn bilden.
Allerdings darf man das auch nicht überbewerten, denn es hindert einen nicht daran, Mist zu reden, auch wenn es vielfach verkomplizierter Mist ist (siehe Adornos „Thesen gegen den Okkultismus“ in „Minima Moralia“ – so berechtigt seine Kritik auf manche Vertreter dieser Richtung ist, so ist die Verallgemeinerung, die er da unternimmt wirklich billig, egal wie schön er das alles formuliert hat).
Das halte ich auch gerne dem ganzen Bildungswahn entgegen, ich meine nämlich, dass Bildung völlig überschätzt wird, wenn Leute ernsthaft behaupten, dass eine flächendeckende „gute“ Bildung dazu führen würde, dass keiner mehr „dumme“ Gedanken hätte (oder es keine Ideologie mehr gäbe). Man würde die „dummen“ Gedanken einfach nur viel komplexer artikulieren.

Vollbreit hat geschrieben:Ach, es gibt auch genügend Buddhisten, die Wilber nicht mögen, das ist nicht das Problem.
Brad Warner zum Beispiel.


Klar, aber man kann Wilber dazu benutzen, einfach den buddhistischen Glauben zu festigen (auch wenn er das nicht beabsichtigt) und das wurmte mich etwas. Darauf wollte ich nur hinaus.
Vielleicht liegt das auch daran, dass ich einfach zu viele antiintellektuelle Buddhisten kenne (und der Buddhismus selbst ist ja auch teilweise ein wenig antiintellektuell).

Vollbreit hat geschrieben:
Teh Asphyx hat geschrieben:Ohne bisher viel von Wilber selbst gelesen zu haben, hab ich zumindest bei einigen Sachen in dem Zusammenhang auch solch einen Dualismus festgestellt (Webseiten, die sich mit seinen Werken befassen, Aussagen von seinen „Fans“ …). Hat Wilber sich auch mit dem Rhizom-Modell von Deleuze und Guattari auseinandergesetzt?


Nach meinem Kenntnisstand nicht.


Dann unterstelle ich ihm da einen wirklich bedeutenden Mangel. Ich halte die Holon-Theorie im Sinne einer Baumhierarchie zwar für einen interessanten, aber überholten Ansatz, das Rhizom scheint mir weitaus realistischer, weil es in alle Richtungen offen ist.

Vollbreit hat geschrieben:Pluralismus und Monismus schließen sich ja nicht unbedingt aus.
Man kann ja für einen Meinungs-Pluralismus eintreten und dennoch der Auffassung sein, dass die Naturgesetze immer und überall gelten und alles mit rechten Dingen zugeht.


Meinungen finde ich generell etwas überbewertet, die lenken oft vom Wesentlichen ab (so wie ich jetzt das mean green meme verstanden habe, dürfte ich damit genau das meinen). Ich denke eigentlich, dass Monismus und Pluralismus auf das Selbe hinausläuft, beides aber jeweils auch so interpretiert werden kann, dass Wesentliches ausgeschlossen wird. Zum Beispiel Überdetermination, einerseits ein Monismus, da es um eine Wirkung geht, andererseits ein Pluralismus, weil unzählige Determinanten da sind. Einen reiner Monismus könnte es so interpretieren, dass eine Ursache zu einer Wirkung führt (wobei daraus auch wieder ein Ursache-Wirkung-Dualismus gemacht werden könnte), ein reiner Pluralismus würde vielleicht die eine Wirkung, um die es geht, aus den Augen verlieren.

Vollbreit hat geschrieben:Wilber kritisierte vor allem die daraus resultierende kuturelle Beliebigkeit und einen Werte-Pluralismus, der in einen Narzissmus einmündet, was er sehr schön erläutert.


Müsste ich wohl lesen, damit ich was dazu sagen kann. Ich spüre da gerade ein paar Widerstände in mir, aber die lass ich jetzt erstmal außen vor.

Vollbreit hat geschrieben:Das finde ich bei Habermas auch ganz gut. Im Grunde ist es ja so, dass man wohlmeinend bei Alltagsaussagen dem anderen unterstellt, dass er sagt, was er denkt und denkt, was er sagt und seine Sinne beisammen hat. Solange es keinen Grund gibt daran zu zweifeln tut man das auch nicht, erst wenn begründete Zweifel auftauchen, geht man der Sache nach.
Der Einzelne der eine normale Aussage tätigt steht also in einem Kontext von wechselsetiig unterstellter Normalität.


Ich habe mir trotzdem angewöhnt, einer Sache lieber nachzugehen. Mir scheint eine wechselseitig unterstellte Nicht-Normalität weitaus gesünder. Aber gut, in diesem Sinne ist das schon richtig, klar.

Vollbreit hat geschrieben:Ja, genau das ist auch meine Meinung. Vieles was als Objektivität verkauft wird, ist nichts weiter als Intersubjektivität, allerdings kommt so etwas wie echte Objektivität dann ins Spiel, wenn man sich überlegt, wie man erfolgreich zu intersubjektiven Einigungen kommt.
Es macht Sinn anzunehmen, dass eine soziale Gemeinschaft die etwas „blau“ nennt, dies auch tatsächlich sehr ähnlich wahrnimmt.


Selbst wenn meine Wahrnehmung von blau Deiner Wahrnehmung von rot entsprechen würde, wären wir ja trotzdem gleichermaßen in der Lage dazu, unterschiedliche Lichtfrequenzen gleichermaßen zu unterscheiden und zu benennen. Ich denke, das ist hier das Entscheidende. Bei diesem Punkt werde ich oft nicht verstanden und viele setzen mir dann einen radikal konstruktivistischen Standpunkt entgegen, der meines Erachtens nach eben völlig verfehlt, dass wir trotz allem in der Lage sind, eine externe Sache intersubjektiv gleich zu definieren. Aber der radikale Konstruktivismus in seinen trivialen Formen scheint mir eh eher was für Leute zu sein, die den Film „Matrix“ für tiefschürfend philosophisch halten (womit ich nicht bestreiten will, dass der Film seine Momente hat, aber in philosophischer Hinsicht war ich enttäuscht, weil mir von vielen Leuten mehr versprochen wurde, als der Film gehalten hat).

Vollbreit hat geschrieben:
Teh Ashpyx hat geschrieben:„Eine subjektive (und natürlich immer noch relative) Aussage wäre „Oh, das ist aber ein schöner Himmel heute!“. Denn da würde nicht unbedingt jeder zustimmen, also ist der Himmel nicht in dem gegebenen Umstand sprachlich als schön definiert, sodass jeder da zustimmen würde.


Und dennoch könnte man den Begriff „schön“ richtig benutzt haben.


Das schon, ja. Und es ist auch für den anderen wahrscheinlich nachvollziehbar, was mit „schön“ gemeint ist, auch wenn der Eindruck nicht geteilt wird. Dennoch ist das für mich der signifikante Unterschied zwischen objektiv und subjektiv bei der Kommunikation, ob etwas gemeinsam erlebt werden kann oder nicht.

Vollbreit hat geschrieben:Marx sieht doch das menschliche Miteinander auch als einen Austausch von Arbeit an, den er nur nicht qualifiziert, weil er meint, eine Stunde Arbeit, sei eben immer eine Stunde Arbeit, egal um was es geht. Aber soziale Gemeinschaften sind doch Tauschgemeinschaften, nicht unbedingt von Waren, sondern eben gegenseitigem Umsorgen im weitesten Sinne.


Ein Tausch ist für mich immer Leistung gegen Gegenleistung, ich denke aber, dass eine menschliche Gesellschaft eben nicht darauf aufbauen muss, sondern man kann auf einfach etwas geben, ohne etwas dafür als Gegenleistung zu erwarten. Auf einer gewissen materiellen Basis kann man natürlich sagen, dass ein Mensch so viel wert ist, wie er für die Gemeinschaft leisten kann und das kann mitunter zu einem verheerenden Sozialdarwinismus führen (der ja auch in der aktuellen kapitalistischen Gesellschaftsordnung stattfindet, wobei es absurderweise dann nicht mal um tatsächliche Leistung für die Gemeinschaft geht, sondern um eine rein formelle, die in der Ideologie dienlich ist), aber das halte ich für verfehlt.
Ich weiß nicht genau, wie ich das sprachlich erklären kann, aber ich habe irgendwann die Erkenntnis gehabt, dass ein Mensch seinen Wert dadurch hat, dass „er ist“. Und ich habe daraufhin auch festgestellt, dass dies die einzig wirklich schlüssige Begründung einer Ethik ist. So wenig ich von der christlichen Kirche halte, so denke ich, dass es genau das ist, was Jesus sagen wollte (was mit Nietzsche mehr oder weniger im „Antichristen“ bestätigt hat) und was leider völlig fatal falsch interpretiert wurde.

Teh Asphyx hat geschrieben:Klingt interessant. Zufälligerweise lese ich gerade „Die Tücke des Subjekts“ von Slavoj Žižek, der in dem Buch meint, dass nahezu alle akademischen Disziplinen zur Zeit versuchen, das cartesianische Subjekt zu überwinden (selbst Denkweisen, die im krassen Gegensatz zueinander stehen) und er versucht darin dieses cogito philosophisch zu verteidigen. Allerdings bin ich erst ziemlich am Anfang des Buches.


Vollbreit hat geschrieben:Ich auch. ;)
Ich mag seine wilden Assoziationen und unkonventionellen Gedanken, z.B. die Passage mit Hegels Kantkritik finde ich sehr spannend. Leider habe ich keine Ahnung von Hegel und Kritiker sagen, dass Žižek Hegel falsch interpretiert. Naja, inspirierend ist es schon, auch wenn die Liebe zu Lacan nicht meine ist.
In der Sache mit dem Subjekt, hat Žižek glaube ich Recht, das Subjekt ist schon eine reale Bezugsgrößte und wenn man es fundamental kritisiert, kommt nicht selten komisches Zeug dabei heraus, sowas wie : „Ich bin viel klüger als du, weil ich mir bewusst bin, dass es mich in Wirklichkeit gar nicht gibt.“ Das ist nichts anderes als der nächste performative Selbstwiderspruch.


Es ist echt witzig, als ich von ihm und seinen wilden Assoziationen gehört habe, denen man kaum folgen können soll, dachte ich, da kommt sonst was auf mich zu (das war in einer Arte-Sendung über ihn) und als er dann so erzählt hat, dachte ich cool, der denkt ja wie ich. ;-)
Ich frage mich, wer bestimmen will, wer Hegel richtig und wer falsch interpretiert. Ich kann mir vorstellen, dass seine Interpretationen aber sehr weit vom Mainstream weg sind (ich kenne Hegel auch nicht gerade gut), irgendwo hab ich auch gelesen, dass Žižek eigentlich auch Lacan nur benutzt, um letztendlich Hegel zu interpretieren, er würde den Kern des Ganzen ausmachen. Hegel mit Lacan zu lesen ist dann mit Sicherheit für die meisten Akademiker falsch. Ich habe so etwas ähnliches mit Gurdjieff vor, den ich aus der Esoterik in die Philosophie zurückholen will, wo er auch hingehört.
Selbst wenn die Trennung Subjekt-Objekt künstlich ist und ich und die Welt eins sind, so kann ich letztendlich doch nur eines sicher wissen, nämlich, dass ich bin, weil das die einzige Grundlage der Erfahrung ist. Ich sehe das Problem wirklich da, wo unser Bewusstsein (durch Sprache?) so verändert ist, dass wir glauben können, Subjekt und Objekt wären auf eine Art getrennt, dass man das Subjekt negieren könnte.
Lacan ist gar nicht so übel, finde ich, gerade seine Feststellung, dass es zwei Arten des „Ich“ gibt (was im Französischen mit „moi“ und „je“ noch viel klarer wird) ist sehr aufschlussreich in Bezug auf das Subjekt-Objekt-Problem. Bei ihm scheinen auch die Probleme, die Alice Miller zum Beispiel zurücklässt, sich aufzulösen. Aber dazu muss ich da noch etwas tiefer in die Materie eindringen, denn bisher habe ich an Primärliteratur nur ein Seminar von ihm gelesen.

Vollbreit hat geschrieben:Beides. Einerseits sieht er so eine Art Omegapunkt, was die Evolution des Bewusstseins angeht und dieser Punkt ist bei ihm 1995 die Erleuchtung.
Zu dieser Zeit sagt er aber auch schon, dass die Entwicklung der Welt immer weitergeht, von der Pferdekutsche bis zum Formel 1 Wagen und das Wesen dieser Geschichte ist stete Veränderung.
Insgesamt sieht Wilber aber in der Evolution tendenziell eien Veränderung zum Besseren, mehr als eine Anpassung.


Ich habe da eher eine sehr konsequente Sicht der Evolution, die absolut ohne Zweck ist und sich prinzipiell jederzeit in jede Richtung entwickeln kann.
Mir fällt aber oft auf, dass viele Naturalisten immer wieder so argumentieren, dass sie der Evolution einen Zweck unterstellen, was ja doch wieder auf eine Art Kreationismus hinausläuft, bzw. verändert sich dadurch substanziell nichts. Das ist jetzt in Bezug auf Wilber mal nicht so wichtig aber bei Naturalisten sehe ich das als Inkonsequenz und Fehler.

Vollbreit hat geschrieben:Ja, auf einer hohen Stufe sieht Wilber auch gleitende Hierarchien, d.h. der Experte und Lehrer der einen Richtung ist ein blutiger Laie und Schüler der anderen. Das bricht mit einem patriarchalen Weltbild in dem man der (damals vielleicht noch halbwegs berechtigten) Meinung war, es gäbe wenige Autoritäten die (fast) alles wissen, Lehrer, Pfarrer, Ärzte.
Dennoch sieht Wilber auch die Stufe des Gehorsams oder der Integration von Regeln und Rollen als eine der notwendigen an, nur macht er hier nicht halt.


Ach, hätte er doch nur mal das Rhizom-Modell in Betracht gezogen, das würde einiges vereinfachen. Aber ich habe so eine Ahnung davon, worauf er hinauswill. Ich würde dabei allerdings versuchen jegliches Vokabular, dass auf ein manipulatives oben-unten-Verhältnis hindeutet zu vermeiden. Deswegen mag ich keine Erziehung, Bildung, kein Gehorsam usw. (auch Arthr Koestler war zum Beispiel mit dem englischen „education“ sehr unzufrieden aufgrund der Konnotationen, die auf Manipulation hindeuten).

Teh Asphyx hat geschrieben:Ich finde es äußerst schwierig, solch eine Grenze überhaupt zu ziehen. Es ist immer so einfach, die Ursache einfach in einem einzelnen Menschen zu sehen („Er hat eine besonders hohe Gewaltbereitschaft“, „Er ist verrückt“ etc.), aber was macht die Menschen so?


Vollbreit hat geschrieben:Das sind doch erst mal zwei Paar Schuhe.
Einmal, ist jemand verrückt, ja oder nein und kann man das testen und zweitens, warum ist er so geworden?
Ich finde diese Fragen gerade im Kontext von Spiritualität entscheided, weil ein beliebter Einwadn gegen mystische Erfahrungen der ist, zu behaupten, Mystik sei im Allgemeinen gleichbedeutend mit psychopathologischen Phänomenen, Schizophrenie, Epilepsie und dergleichen.
Zwar gibt es Überschneidungen aber auch signifikante Unterschiede und je mehr man die kennt, umso besser.


Das Problem ist nur, dass sich durch diese Grenzziehung ziemlich viel Mist behaupten lässt. Wenn dann alle Medien titulieren „Die Tat eines Wahnsinnigen“, dann führt man die Menschen damit (absichtlich?) dahin, einer solchen Bedrohung machtlos gegenüber zu stehen. Und selbst die gebildetsten Menschen hier können aufgrund eine solch „unverständlichen“ und „willkürlichen“ Tat nur den Kopf schütteln und sich empören – und anschließend wiederholt sich die Geschichte einfach immer wieder.
Weder Menschen mit mystischen Erfahrungen noch Breivik sind wahnsinnig. Im Prinzip steckt in jedem von uns ein Mystiker und ein Breivik. Die Vorstellung ist aber für viele nicht zu ertragen, deswegen ist es einfach so jemanden als wahnsinnig zu bezeichnen (wahnsinnig ist einzig und allein die Idee, die dahintersteckt, die aber sogar Stoff für einen Bestseller in Deutschland werden kann). Dadurch löst man nur blöderweise das Problem nicht. Und für eine Verständigung zwischen Menschen mit mystischen Erfahrungen und Menschen ohne nützt es auch nicht viel (außer, dass man die Mystiker weg sperren könnte und sie somit nicht mehr „stören“).

Vollbreit hat geschrieben:Was Deine Kritik an den reduktionistischen Interpretationen von Roth, Singer und anderen angeht, kann ich Dir nur unumwunden zustimmen, inzwischen ist die Messe aber gelesen und Roth hat seine Ansichten weitestgehend revidiert.


Blöderweise haben das aber trotzdem inzwischen genug Menschen rezipiert. Und Roth redet trotzdem noch viel Mist, wenn der Tag lang ist (manchmal ist er auch nur rhetorisch unbeholfen und geht fiesen Fragestellungen auf den Leim, aber dennoch …)

Vollbreit hat geschrieben:Zudem ist in der Philosophie gerade die Ansicht vorherrschend, dass der Kompatibilismus die Diskussion um die Willensfreiheit für sich entschieden hat und der besagt, dass selbst in einem hypothetisch unterstellten absolut determinierten Universum (mit verborgenen Variablen und alleim Zipp und Zapp) die Freiheit des Willens nicht eingeschränkt wäre. Sonderlich glücklich bin ich mit dem Kompatibilismus nicht, weil ich glaube, dass er zwar den gröbsten Unsinn verhindert, aber die Welt halt nicht komplett determiniert ist, da meine Kenntnisse der Quantenphysik aber ausgesprochen gering ist, kann ich das nur mutmaßen.


Mich stimmt das auch nicht glücklich, vor allem, weil ich den Eindruck habe, dass es darauf abzielt, den Einzelnen für seine Handlungen allein selbst verantwortlich zu machen, weil das so schön in das Justizsystem und auch die ganze staatliche Legitimierung passt.
Ich hatte mal ein Zwiegespräch zwischen Wolf Singer und Julian Nida-Rümelin über genau das Thema gelesen und war total erschrocken. Singer meinte da irgendwas von wegen natürlich ist es trotzdem richtig, dass man Kinder in der Erziehung belohnen und bestrafen müsse und Nida-Rümelin fand es nur wichtig zu sagen, dass man aber trotzdem von einem freien Willen sprechen könne. Erschreckend finde ich, wie diese Rechtfertigung von gewaltsamen Manipulationen von Kindern einfach mal nebenbei stehen bleibt, als wäre es ganz selbstverständlich. Also streiten sich beide letztendlich nur darum, wie man das begründen kann und sind sich nur darüber uneinig. Ich fürchte, es geht da um was ganz anderes, als um den freien Willen, nämlich darum, wie man weiterhin bestimmte Institutionen legitimieren kann.

Vollbreit hat geschrieben:Also, ich finde, es geht im Großen und Ganzen doch recht gesittet und berechenbar zu. Das Wirtschaftssystem funktioniert doch nach einer recht kühlen Logik, nur der einzelne Mensch gerät halt zwischen die Zahnräder.


Aber nur, weil die indirekten Folgen unserer Handlungen im Verborgenen bleiben. Ich weiß nicht, wenn ich Menschen sehe, sehe ich inzwischen fast nur noch wandelnde Selbstwidersprüche.

Vollbreit hat geschrieben:Ja, zumindest finde ich hier auch differenzierte Äußerungen als von einigen Vertretern außerhalb, deren fundamentalistisches Gehabe es mir kalt den Rücken runterlaufen lässt.


Ich bin ja selbst noch total neu hier im Forum, aber ich finde der Admin Nanna macht das ziemlich gut und er hat auch eine sehr offene Einstellung und scheint mir eher den Dialog als den Konflikt mit Andersdenkenden zu suchen. Das nervt zwar ein bisschen, weil er ein verdammter Etatist ist und ich gefälligst will, dass wir uns deswegen gegenseitig an die Gurgel gehen, aber insgesamt bin ich sehr zufrieden hier.
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Re: Ken Wilber

Beitragvon Teh Asphyx » Mi 7. Dez 2011, 16:04

Vollbreit hat geschrieben:Es waren da glaube ich ehr die Praktiker die sie ignoriert haben, aber ich meine, dass es gute theoretische Gründe dafür gibt. Was Miller dort macht ist m.E. weniger eine aufdeckende, als eine stützende Therapie, das ist an sich kein Problem, nur sieht sie sich ja eher als aufdeckend.
Meinen Hauptvorwirf habe ich ja schon geäußert, der besteht darin, dass eine aufdeckende Therapie immer ein autonomes Ich im Blick hat, das es aus eigener Kraft schaffen kann im Leben Fuß zu fassen, eigenverantwortlich zu leben und seine Probleme selbst zu lösen.


Scheint mir irgendwie ein Selbstwiderspruch zu sein (oder man müsste sich ganz allein selbst therapieren). Ich glaube, dass das generell unmöglich ist und eine Illusion, die der superindividualistischen Ideologie entspringt. Das setzt ja voraus, dass man nicht aus Beziehungen hervorgeht, sondern die Beziehungen vom einem ausgehen und man auch die Möglichkeit hat, alleine für sich zu existieren. Vor allem die viel gepriesene Eigenverantwortung stört mich. Verantwortung ist ein Begriff aus der Juristik (hieß ursprünglich im Mittelhochdeutschen „sich als Angeklagter vor Gericht verteidigen“) und hat immer anklagende Konnotationen. Ich habe das Gefühl, dass dieser Begriff völlig unhinterfragt einfach Einzug in die Psychologie gefunden hat, dabei befürchte ich, dass es sich hierbei um einen reinen Herrschaftsdiskurs handelt. Klingt vielleicht krass, aber mir macht das echt Sorgen, dass dieser Begriff an sich absolut unreflektiert bleibt und auch, dass ich auf so extremes Unverständnis von allen Seiten stoße, wenn ich daran etwas auszusetzen habe.

Vollbreit hat geschrieben:Was Miller macht ist m.E. oft eine Infantilisierung, indem man dem „Opfer“ sagt, wer die Schuldigen sind und es animiert ja nicht zu verzeihen und ihm suggeriert, es selbst könne zu all dem nichts.


Nein, sie distanziert sich ganz entschieden davon, irgendwem eine Schuld zuzuweisen, das betont sie auch in allem, was ich von ihr gelesen habe, mehrfach. Sie sagt auch, dass die Eltern selbst auch im Grunde Opfer sind. Sie sagt, dass das auch wichtig ist, zu erkennen.

Vollbreit hat geschrieben:Es ist zwar etwas kontrantuitiv, aber letzten Endes gut nachvollziehbar, dass die Integration des Täterpols bei psychodynamischen Ansätzen das ist was heilt und nicht eine Zementierung der Opferrolle.


Mag sein, dass das in manchen Fällen heilsam sein kann, aber Miller geht es eher darum den Täter-Opfer-Dualismus aufzuheben, deswegen kann sie auch keine Opferrolle zementieren (das kann nur der Leser, der versucht ihre Ansichten trotzdem in einen Täter-Opfer-Dualismus zu pressen und davor hat sie ihre Werke tatsächlich nicht genug geschützt – wobei ich auch noch nicht so recht weiß, wie das gehen kann, dass man sich davor absichert).

Vollbreit hat geschrieben:Esowatch und GWUP sind Institutionen die ich nicht mal im Ansatz ernst nehmen kann.
Das sind in meinen Augen religiöse Fanatiker im Gewand von Atheisten, jedes Wort über sie betrachte ich inzwischen als eines zu viel.


Stimmt, nichtsdestotrotz hat Esowatch in mancher Hinsicht einen informativen Faktor. Ernst nehmen sollte man zumindest aber den Einfluss, den die GWUP zum Beispiel auf die deutschsprachige Wikipedia ausübt. In manchen Einträgen ist das äußerst bedenklich.

Vollbreit hat geschrieben:Es geht ja in analytischen Behandlungen nicht darum, ob die Erinnerungen richtig oder falsch sind, sondern, was es für ein Individuum bedeutet, zu denken und zu fühlen, dass etwas so gewesen ist.
Das sollte sich natürlich nicht zu weit von der gesellschaftlichen Normalität wegbewegen, aber das hatte Freud schon auf dem Schirm, die Äquidistanz zwischen Es, Über-ich und Realität.


Klar, aber auf das Argument wird gar nicht eingegangen. Ich finde sehr bedenklich, wenn einem Menschen, der gerade eine Erinnerung an einen sexuellen Missbrauch durchlebt, gesagt wird, seine Erinnerung sein falsch, es wäre nie so etwas geschehen. Die Bilder können vielleicht verfälscht sein, aber das Gefühl/die körperliche Erinnerung nicht. Das hat mit einem „wissenschaftlich neutralen Standpunkt“ überhaupt nichts zu tun.

Vollbreit hat geschrieben:Das Gehirn verändert sich, nachhaltig, wie man heute sagt.
Es tritt glaube ich auch eine höhere Aktivität von Gamma-Wellen auf, andere sagen, dass Delta-Wellen und Alpha- bzw. Beta-Wellen zusammen auftreten.
Puh, wer hat dazu gearbeitet., Tanja Singer glaube ich und bei Goleman in „Gespräche mit dem Dalai Lama“ gibt es da interessante Passagen, bei Wilber auch, schau mal bei 4. November nach:
http://psy.mymcomm.net/MED-DVD/%289%29% ... uch%29.pdf


Hmm … da stand jetzt aber auch wenig konkretes. Gerade Matthieu Ricard, der mit Tanja Singer zusammenarbeitet hat solch schwammige Aussagen gemacht. Ich halte von ihm recht wenig, er ist meines Erachtens nichts weiter als ein Missionar des tibetischen Buddhismus. Außerdem ist er ein uniformierter Glatzkopf! Klingt vielleicht jetzt blöd, aber mich lässt das ernsthaft an der Seriosität zweifeln (ich bin auch genauso skeptisch, wenn ich Leute sehe, die immer nur Anzug und Krawatte tragen, keine Sorge). Das Problem für mich ist, dass der Dalai Lama und seine Gefolgschaft absolut nicht vertrauenswürdig sind (und ich habe das Buch von Goldner gar nicht gelesen), finde sehr bezeichnend, dass John Cleese den Dalai Lama mal ohne Umschweife gefragt hat, ob er nicht mal daran gedacht hat, eine PR-Firma zu beauftragen, das hat ihn dann auch etwas in Verlegenheit gebracht. Er meinte dann daraufhin zwar, dass er so was nicht brauche, aber es war irgendwie so offensichtlich, dass ich nur dachte „Ertappt!“.
Ich fürchte, was Nietzsche im Antichristen über sich der Wissenschaft nähernde Protestanten gesagt hat, lässt sich heutzutage wunderbar auf diese Ecke des Buddhismus übertragen.

Vollbreit hat geschrieben:Man kann ja ein Verständnis für die Mutter aufbringen, auch wenn ihr Verhalten falsch war (kommt natürlich auf den Grad an) und gerade auf dem Boden des Verstehens über diese Bindung hinauswachsen und sich sein eigenes Urteil bilden.


Gerade dafür plädiert Alice Miller ja.

Vollbreit hat geschrieben:
Teh Asphyx hat geschrieben:Wo fängt eine ernsthafte Beschädigung der Psyche an?


Wenn ein Mensch leidet oder sich selbst und andere in große Gefahr bringt.


Demnach müsste ich schließen, dass bei fast jedem Menschen eine ernsthafte Beschädigung der Psyche vorliegt (woran ich eigentlich auch keinen Zweifel habe).

Vollbreit hat geschrieben:Die zitierten Stellen machen auf mich auch nicht den Eindruck, andere, die ich gelesen haben dann aber schon. Ich würde Hass auch als angemessenes Gefühl ansehen, bei schwerem Missbrauch und ich würde bei jemandem, der nicht vergeben kann nicht darauf pochen, dies tun zu müssen.
Nur gibt es Fälle von phantasiertem Missbrauch der sexuellen oder gewalttätigen Art, die liebsten Eltern können es nicht verhindern, dass sie als mitunter als Monster erlebt werden und es gibt Ursachen wie z.B. frühe Entzündungen mit chronischen Schmerzen, die vom Kind auf eine schlechte Mutter projiziert werden (müssen – weil es Kind die Zusammenhänge nicht begreift), es gibt in einigen Fälle tatsächliche genetisch bedingte Störungen im Neurotransmitterhausghalt (vor allem Serotonin), es gibt ebenfalls genetisch fixierte verschiedene Temperamante und es gibt Eltern, die es schlecht gemacht, aber gut gemeint haben.


Es geht ja nicht darum, die Eltern zu beurteilen. Sie können sonst wie lieb nach irgendwelchen Maßstäben gewesen sein, aber wenn in dem Moment der Entzündung mit chronischen Schmerzen ein Mangel an Empathie herrscht, ist die Projektion nicht verkehrt. Manchmal frage ich mich eher, ob Kinder nicht Zusammenhänge viel besser begreifen, die man sich als Erwachsener erfolgreich ausgeredet hat (das ist jetzt auch unabhängig hiervon gemeint).

Vollbreit hat geschrieben:Weiterhin finde ich es ärgerlich, dass bei ihr Fälle zum Trauma aufgebauscht werden, bei denen es mir wie Hohn vorkommt, wenn ein Kind dahingehend missverstanden wurde, dass es ein eigenes Eis will, wenn die Eltern beide eins schlecken und das Kind nur mal lecken darf und die beiden über die wütende Geste des Kindes auch noch lachen.
Wenn ich andererseits höre, wie kalt sadistische Eltern ihre Kinder tatsächlich quälen, schlagen und Dinge mit ihnen anstellen, die beim besten Willen keine Kinderseele heil überstehen kann, dann finde ich es eher verwirrend und für Eltern verunsichernd, was Miller schreibt.


Ich halte diesen Vergleich für falsch. Ob ein Kind gequält ist, hängt von den Empfindungen des Kindes ab, nicht von der Handlung selbst. Es gibt tatsächlich Kinder, die schwer sexuell missbraucht werden, aber später trotzdem gut klarkommen und andere, denen nach gewöhnlichen Maßstäben kaum was angetan wurde, die es aber als schrecklich erlebt haben. Das gehört auch zum nicht merken dürfen, wenn ich als Kind schon meine Gefühle nicht einfach erleben darf, sondern sie dadurch legitimiert sein müssen, dass andere sie für angemessen befinden. Das war nämlich bei mir der Knackpunkt. Ich hab blöderweise verhältnismäßig recht lockere Eltern von der Sorte, wo Freunde schon mal sagen „Hey, Deine Eltern sind ja voll cool drauf“, was auch bestimmt seine Richtigkeit hat, das Problem ist nur, dass es natürlich andere viel schlimmer haben als ich und ich mich deswegen nicht beschweren sollte und somit habe ich eine starke Tendenz dazu entwickelt, mein Leid ständig runterzuspielen, bis das ganze irgendwann in Depressionen und Panik-Attacken ausartete.
Der Stärkegrad einer Misshandlung ist immer aus der Sicht des Erlebenden zu betrachten.

Vollbreit hat geschrieben:Der nächste Punkt ist, dass Miller dadurch mitunter den Narzissmus zementiert, den es eigentlich zu heilen gilt – gerade heute.


Ich sehe da eher das Gegenteil, sie bietet überhaupt erst die Möglichkeit an, den Narzissmus zu überwinden.

Vollbreit hat geschrieben:Die Metabotschaft ist doch: Ach, was hätte alles aus mir werden können, wären meine Eltern nicht so mies gewesen, Schande über sie, nun Welt, sieh zu, dass ich wenigstens anständig entschädigt werde. Diese Haltung ist leider nicht selten.


Habe ich beim Lesen eher gegenteilig empfunden, es scheint mir eher darum zu gehen, dass man eben weder sich selbst, noch irgendwem anders Vorwürfe macht, sondern über die Erkenntnis über diesen Zustand hinauswachsen kann.

Vollbreit hat geschrieben:Ein vorerst letzter Punkt der mir einfällt, ist die Geschichte mit dem Abstillen. Millers Idee ist es, dass frühkindlicher Narzissmus normal ist (ja, das ist er) und dann von selbst aufhört, wenn das Kind eine gewisse Zeit lang all seine narzisstischen Bedürfnisse befriedigt bekommt (was nicht richtig ist). Dazu habe ich mal eine Psychotherapeuten gehört, der ganz andere Erfahrungen gemacht hat. Dakam so eine Mutter, die darauf vertraute, das Ergebnis war, dass sie, die mehrere Kinder hatte, noch einen Sohne hatte, der glaube ich fünf (aber mindestens vier) Jahre alt war und noch immer an der Mutterbrust saugte, der hörte einfach nicht damit auf. Ist das nun eine nicht zu überwindendes Trauma, so einem Kind zuzumuten abgestillt zu werden, wo doch vielleicht das kleine Schwesterchen noch nuckeln darf?


Das habe ich bei ihr aber auch ganz anders verstanden. Für sie ist es eher so, dass es eine gesunde Form von Narzissmus und eine gestörte Form davon gibt und letztere tritt dann auf, wenn das Kind seine Gefühle und Interessen nicht richtig äußern darf, bzw. ein Mangel an Empathie von den Eltern ausgeht. In dem Fall führt es dazu, dass der Narzissmus ein Ventil braucht, bei vorhandener Empathie wird das Kind sich gesund entwickeln.
Die Mutter in dem Beispiel scheint da irgendwas massiv falsch verstanden zu haben. Allerdings fehlen mir da die weiteren Zusammenhänge um dazu was sagen zu können.

Vollbreit hat geschrieben:Kann sogar sein, dass Deine Mutter Miller gelesen hat, nur ist mir weiterhin unklar, wie man nach Miller sein Kind behandeln soll, damit es nicht zum Missbrauch kommt. Würde man Miller glauben, müssten Eltern ständig in panischer Angst leben, vor dem, was sie alles falsch machen können.
Der Fernseher zu laut, das Kind mal 5 Minuten schreien gelassen und bumms, ein lebenslanges Trauma ist unvermeidlich. Das ist in meinen Augen bestenfalls gut gemeint.


Quatsch, das Trauma entsteht doch nicht dadurch, dass das Kind Leid erfährt, sondern dadurch, dass es dieses Leid nicht fühlen darf. Es gibt Ansätze wie die Antipädagogik (die auch mit GfK nach Rosenberg arbeitet, und von Esowatch als Kindesmisshandlung bezeichnet wird) und im englischen Sprachraum Attachment Parenting, die sehr wohl damit in Einklang gehen und die Erfahrungsberichte, die ich da kenne (von Eltern, die da wirklich konsequent sind) sind durchweg positiv (wird aber immer wieder von Leuten schlecht gemacht, die sich nicht vorstellen können, dass Kinder ohne absichtlichen Zwang und Gewalt aufwachsen können). Der Unterschied zwischen antiautoritäter Erziehung und Antipädagogik ist der, dass Kinder bei der Antipädagogik nicht allein gelassen werden und Grenzen auch nicht als negativ angesehen werden, sondern das Kind damit konfrontiert wird, dass jeder Mensch Bedürfnisse hat und der Konflikt mit den Bedürfnissen anderer die Grenze des Auslebens der eigenen darstellt (wo dann über gewaltfreie Kommunikation ein Konsens gesucht wird, das ganze dürfte Habermas eigentlich sehr gefallen). Das begreifen Kinder sogar erstaunlicherweise entgegen üblicher Erwartungen äußerst früh.

Vollbreit hat geschrieben:Und was die Generationen und ihre Beschreibungen angeht: Nun, vieles mag da stimmen, vieles aber auch nicht. Meine Eltern sind 68er ohne auch nur im entferntesten 68er zu sein. Die saßen damals nicht mit Blumen im Haar ums Lagerfeuer, haben gekifft und für den Frieden gesungen, auch wenn ich es ihnen gegönnt hätte.


Ich bin in einem Stadtteil von Bremen aufgewachsen, das so richtig 68er-verseucht war. Also hab ich den Mist wirklich volle Kanne abbekommen.

Vollbreit hat geschrieben:Das ist glaube ich nichts, was man bewusst steuern kann. Die gesellschaftlichen Wellen kommen und gehen. Ich glaube, dass es nicht sonderlich schön ist als Versager abgestempelt zu werden, alle Menschen sind immer auch Kinder ihrer Zeit.


Aber ich kann mir vorstellen, dass es sich für viele im Nachhinein wie ein Versagen anfühlt und das lieber versucht wird zu kaschieren, indem man sich immer wieder selbst beweihräuchert, anstatt sich dieser Enttäuschung offen zu stellen und zu akzeptieren.

Vollbreit hat geschrieben:Einfaches Beispiel: Heute sieht man wie deutsche Soldaten nach Afghanistan Einsätzen mit einer posttraumatischen Belastunsgsstörung wiederkommen und fragt sich, wie frühere Generationen, den viel dramatischeren zweiten Weltkrieg so unbeschadet überstehen konnten. Die Wahrheit kommt heute schrittweise ans Licht, die haben es gar nicht unbeschadet überstanden, da sind zwei oder drei ganze Generation wirklich schwer gezeichnet worden. So ganz nebenbei haben die dann noch das Wirtschaftswunder zustande gebracht, irgendwie weiter funktioniert und sich von den wohl tatsächlich übrig gebliebenen Spießerresten recht gründlich befreit.


Es zeigt auf jeden Fall, dass der Krieg nicht mehr so stark idealisiert wird wie früher. Das sehe ich durchaus als positiv, dass man inzwischen auch öffentlich vom Krieg beschädigt zurückkommen darf und die Kriegssituation nicht mehr idealisieren muss. Aber das ist trotzdem nur ein kleiner Schritt.
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Re: Ken Wilber

Beitragvon Teh Asphyx » Mi 7. Dez 2011, 16:05

Vollbreit hat geschrieben:Ja, Žižek ist ein ungewöhnlicher Marxist, der im Resultat zu vielen Aussagen kommt, die ich durchaus teilen würde, dennoch werde ich mit dem Kommunismus nicht warm.


Nach Althusser, den Žižek wohl sehr schätzt, war es auch ein Fehler von Lenin anzunehmen, das kommunistische Manifest hätte noch Gültigkeit nach der Wende, die bei Marx stattgefunden hat, nachdem er den Hegelianismus überwunden hat. Marx kam allerdings nicht mehr dazu, ein neues politisches Buch zu schreiben, weswegen dann Althusser versucht hat, strukturell aus Marx Spätwerken seine Methode herauszulesen und die dann auf die politische Wissenschaft anzuwenden. Er kam dadurch interessanterweise auf etwas, was viel mehr nach Poppers offener Gesellschaft als nach Kommunismus klang, nämlich, dass Ideologie gesellschaftlich nur in kleinen Schritten abgebaut werden kann, aber nicht von heute auf morgen revolutionär überwunden. Das floss unter anderem auch stark in Foucaults politischer Theorie hinein.

Vollbreit hat geschrieben:Dem würde ich bedingt zustimmen. Ein paranoider Attentäter wie Breivik kann ja durchaus im Einklang mit sich selbst sein, Terroristen, die sich für ein Ideal opfern, tun das ganz ohne große innere Widerstände, Kinderschänder, Sadisten, hart narzisstische Börsenspekulaten und was weiß ich, sie alle können sich mit sich eigentlich ganz wohl fühlen, nur die Umwelt sich halt nicht mit ihnen.


Breivik war definitiv nicht zufrieden. Sein Manifest zeigt das ja auch. Nur hat er einen latenten Hass auf den Islam projiziert und auf alle, die den Islam irgendwie unterstützen. Er war ganz sicher nicht im Einklang mit sich selbst.
Ich glaube nicht, dass jemand, der sich wirklich mit sich selbst wohl fühlt, es nötig hat, anderen zu schaden. Das schließt sich einfach aus. Aber man kann auch der Illusion unterlegen sein, man sei mit sich selbst im Reinen.

Vollbreit hat geschrieben:Ich haltes Selbstverwirklichung für ein großes Ziel in der Psychologie (nebenbei kann ich soagr noch was mit Selbsttranszendenz anfangen), aber man muss schauen, wo jemand steht.
Und mal zurück zu Wilber, er bietet da m.E. hervorragende Orientierungen an. Ein Psychotiker muss erst mal ein stabiles Ich gründen, das ihn durchs Leben trägt.


Da stimme ich ihm vorbehaltlos zu. Ausgerechnet von Ayn Rand gibt es da da ein passendes Zitat: „To say ‚I love you’ first one must be able to say the ‚I’“

Vollbreit hat geschrieben:Ein Narzisst muss zunächst lernen, dass es außer ihm auch andere Menschen auf der Welt gibt, es bringt nichts, dem zu sagen, dass es mal drauf achten soll, sich ein wenige wohlen zu fühlen.
Ein konventioneller Mensch, der wirklich treu und brav alle ihm aufgetragenen Pflichten erfüllt, nun, den müsste man in der Tat mal dazu anregen darüber nachzudenken, ob er das, was er tut eigentlich freiwillig und gerne tut und ob sein Leben nicht evtl. mehr sein könnte – sollte aber akzeptieren, dass gar nicht jeder zwangsbefreit werden will.


Beim Narzissten kann die GfK als Kommunikation bestimmt sehr hilfreich sein. Ein Mensch, der eher übertrieben pflichtbewusst ist und darunter leidet könnte allerdings auch gewaltfrei formulierte Bedürfnisse anderer als Überforderung sehen, weil für ihn ein geäußertes Bedürfnis schon zu sehr mit einer implizierten Aufforderung verknüpft ist. So eine Person müsste überhaupt erstmal in der Lage sein, zu merken und da hast Du völlig recht, dass man ihn nicht zu seinem Glück zwingen sollte.

Vollbreit hat geschrieben:Ich meine da auch mal was von einem Spiegelneuron gehört zu haben, das mit Empathie zusammenhängt und auch bei Lebewesen vorhanden ist, die wohl eher nicht zu komplexer Sprache fähig sind.

Richtig.
Ob’s jetzt wirklich die in Mode gekommenen Spiegelneuronen sind, weiß ich nicht, viele meinen heute ja, aber Empathie in einem bestimmten Umfang, der weitreichend ist, ist eine angeborene Disposition, die nonverbal ist und vermutlich durch empathisches Verhalten mit Leben gefüllt werden muss.


Sehe ich ähnlich, ja.

Vollbreit hat geschrieben:Ja, die scheint gut und bewährt zu sein, in der Tat.
Nur regeln Allgemeinregel nicht nur das persönliche Miteinander, sondern viel stärker die unpersönliche Masse, wie man sich verhält wenn man am Straßenverkehr teilnimmt, die Elter der Freundin besucht, in der Warteschlange steht und so weiter.


Ich kenne noch keine Realerfahrung in der Hinsicht, aber ich vermute, dass wer in der GfK geübt ist, in der Regel kaum Schwierigkeiten haben wird, empathisch zu erfassen, welches Verhalten gerade vom Gegenüber erwünscht und welches unerwünscht ist. Ist schwierig festzustellen, weil die meisten ja die Regeln hier gelernt haben, aber bei den Autisten in dem Forum ist es tatsächlich auch ein Experiment um in Situationen klarzukommen, wo es um das Erfassen allgemeiner Regeln geht, die für einen Autisten so ohne weiteres nicht unbedingt zu erfassen sind.

Vollbreit hat geschrieben:Es ist schwer sich zu Heidegger ein abschließender Urteil zu bilden, viele sagen, ein genialer Kopf mit erbärmlichem Charakter und wir haben immer Schwierigkeiten Menschen beides zuzugestehen.
Ein Nazi, der Heidegger zum Teil war, muss auch immer gleich strohdoof sein, sonst passt das nicht in unsere Schubladen.


Ich gehe da mit Hannah Arendt, die meinte, dass er kein Nazi war, aber zu den Intellektuellen gehört, die ohne es zu merken, da was zu beigesteuert haben. Aber abgesehen davon waren die Nazis alles andere als strohdoof, Hitler hätte bestimmt keinen Schulzwang eingeführt, wenn sich das Regime auf einen Mangel an Bildung aufgebaut hätte, das Erschreckende ist, dass man eben „intelligent“ und Nazi sein kann.

Vollbreit hat geschrieben:Also ich haben mit einigen Naturwissenschaftlern diskutiert, ich kenne da eigentlich niemanden, der die Quantenphysik nicht akzeptiert. Es scheint nur so zu sein, dass man sie und die RT bei den meisten Alltagsphänomenen einfach nicht braucht und gerade im Naturalismus ist der Physikalismus ja für viele die Endhaltestelle.
Dabei muss man glaube ich trennen, ob die Welt grundlegend physikalisch ist und wann und wo man die Welt mit den Augen des (Quanten-)Physikers betrachten sollte und wo das nichts bringt, weil es keinen Gewinn an Erkenntnis bringt.
Dennoch hat die Quantenphysik ja auf ihre Art die Grenzen einer Subjekt-/Objekt-Spaltung aufgezeigt, indem objektivierende Messvorgänge die Welt eben nicht unverändert zurücklassen, etwas was nahezu für alle Bereiche gilt, wie man nach und nach herausfand.
Dennoch glaube ich, dass diese Sicht der überall interagierenden Systeme unterm Strich auf keinen letzten Sinn ergibt, denn manche Systeme haben eben ein konsistentes Ich-Bewusstsein, haben Intentionen und meinen etwas Bestimmtes, wenn sie von sich als Subjekt reden.
Es scheint einfach so zu sein, dass beide Perspektiven Sinn ergeben.
In diesem Kontext ist es auch für spirituelle Disziplinen schwierig anzugeben, was die oftmals angestrebte Ichauflösung denn nun eigentlich genau sein soll. Wenn man nicht mehr weiß, wer man ist, wie soll man da noch einfachste Tätigkeiten des Alltags verrichten und sei es nur Wasser schöpfen und Brennholz holen?


Die Frage ist dann natürlich, ob solche Tätigkeiten dann überhaupt noch nötig sind … aber das geht jetzt in den Bereich des rein Spekulativen. Was halt kaum jemand akzeptiert ist, wenn die Quantenphysik als Erklärungsmodell nicht auf den Mikrokosmos beschränkt bleibt. Die Frage ist, inwieweit die Quantentheorie nicht doch für Alltagsphänomene zu gebrauchen wäre, da wir ja auch dort an gewisse Erklärungsgrenzen kommen, die nur von vielen Naturalisten gerne geleugnet oder runtergespielt werden.

Vollbreit hat geschrieben:Stimmt, man hat oft die Neigung, seinen eigenen unreflektieren Lebenshintergrund auf andere zu projizieren. Aber wenn es stimmt, dass auch das Sein, also die Lebensbedingungen, das Bewusstsein prägen – und ich bin der Meinung, dass das zum Teil richtig ist – kann man schon das eine oder andere ableiten.


Meinst Du das Sein oder das Seiende?
Auf jeden Fall ist da was dran, ich denke zum Beispiel, dass die Frauenbewegung zu einem Großteil auch den technischen Möglichkeiten der Zeit zu verdanken ist. Aber dass die Frau unterdrückt war hat nichts damit zu tun, dass es diese technischen Möglichkeiten vorher nicht gab, da es schon früher mehrere Matriarchate gab (nicht nur personell sondern auch strukturell). Auch sehe ich die Frauenbewegung nicht so sehr als Befreiung aus patriarchalen Strukturen, sondern nur als Bewegung zu der Möglichkeit, dass Frauen ebenso an diesen Herrschaftsverhältnissen teilhaben dürfen. Allerdings hat Lacan mit seinem Satz, dass die Frau nicht existiert dann etwas dazu beigetragen, was einen Teil der Frauenbewegung noch mal verändert hat, weswegen ich zum Beispiel Judith Butler äußerst interessant finde. Da geht es nicht mehr darum, Frauen mit ihren Bedürfnissen (was auch immer weibliche Bedürfnisse sein sollen) im Patriarchat zu integrieren, sondern tatsächlich über die Differenz hinauszuwachsen.

Teh Asphyx hat geschrieben:Ein Opfer ist für mich aber auch immer mit einem (meist nicht unerheblichen) Nachteil für mich selbst verbunden. Ansonsten ist es einfach ein Einsatz für andere. Es ist also auch mehr, als nur eigene Bedürfnisse zurückzustellen, es ist immer mit einem (direkten oder indirekten) Schaden für mich selbst verbunden. Deswegen finde ich diesen Begriff bedenklich.


Vollbreit hat geschrieben:Und gleichzeitig mit einem Gewinn. Kultur bedeutet in einem gewissen Umfang immer Triebverzicht, das macht „Das Unbehagen in der Kultur“ aus, von dem Freud schreibt. Man muss seine egozentrischen Triebwünsche immer ein Stück weit zurückstellen, um am Gewinn durch eine Gemeinschaft zu partizipieren.


Hm, von Kultur halte ich blöderweise nicht allzu viel (von gesellschaftlichem Zusammenleben aber schon). Kultur ist vielleicht die verhängnisvollste Lüge über das Zusammenleben, die der Imperialismus hervorgebracht hat (und das meine ich jetzt nicht polemisch überspitzt, sondern todernst). Und der Gewinn für einen selbst beim Opfer ist ebenso eine Lüge desselben. In einem auf Empathie basierenden Zusammenleben wäre diese Form von Selbstverleugnung nicht nötig und jeder würde trotzdem einen Gewinn am Anderen haben. Ich halte die Abkehr von der Egozentrik für einen fatalen Fehler (nicht verwechseln mit Egoismus oder gar Egomanie, ich meine damit lediglich, dass man sich im Klaren ist, dass bei einem selbst und somit auch beim Anderen das eigene Begehren im Zentrum des Handelns steht, denn nur auf dieser Erkenntnis lässt sich Empathie kultivieren), der immer nur der Herrschaft einiger über vieler dienen kann. Die Grausamkeit des Realsozialismus war das perfekte Beispiel dafür. Der westliche Kapitalismus hat da ganz eigene interessante Formen dieser Herrschaft entwickelt, die vielleicht die perverseste Form ist, die die Welt je gesehen hat, indem einem die Illusion gegeben wird, man würde sich selbst verwirklichen und seinem Begehren nachgehen, um einen letztlich die Möglichkeit zu rauben, tatsächlich seinem Begehren nachzugehen. Und mein Kritikpunkt an spirituelle Bewegungen (allen voran der Buddhismus) und Esoterik ist nicht wie bei den Skeptikern, dass es sich dabei um Spinner halten würde (was eben nicht der Fall ist), sondern dass sie ohne es zu wissen, obwohl sie sich für alternativ halten, genau in dieses Verhältnis reinspielen und ebenso dazu dienen diese Illusion aufzubauen. Deswegen sprechen alle davon, dass jeder Mensch nach Glück streben würde.
Für mich stellt sich immer noch die Frage in Bezug auf diesen Thread, ob Ken Wilber da einen Weg raus sucht, oder einen gefunden hat, der da genau wieder reinführt.

Teh Asphyx hat geschrieben:Precht ist für mich auch grenzwertig. Er verdreht mir manche Begriffe zu viel (wie hier mit der Freiheit: http://www.youtube.com/watch?v=bY6s23aX5rY) oder verzettelt sich unnötig, zum Beispiel wenn er sagt, dass er was weiß ich wie viele mögliche Übersetzungen von „survival of the fittest“ gefunden hat, wobei eigentlich klar wäre, was gemeint ist, wenn man die Zusammenhänge bei Darwin kennt. Das sind sehr merkwürdige Nebelbomben.


Vollbreit hat geschrieben:Das mag schon sein, ich finde die Tendenz, das es da einen gibt, der alles weiß, hieße er nun, Wilber, Habermas, Precht, Einstein, Derrida, Dennett oder Dawkins ohnehin daneben. Sloterdijk ist ja auch oft quer zu den Akademikern, dafür strafen die ihn mit Nichtachtung und Prechts Meinung ist da einfach, dass man die Lücke zwischen akademischer und eher volksnaher Philosophie, so wie Äußerungen zu konkreten Vorkommnissen nicht zu groß werden lassen sollte.
Und das ist ja gerade der Punkt: Wähle einen bestimmten Kontext und es ist alles Mögliche möglich und wenn es keine Einigung darüber gibt, dass nicht jeder Kontext mit anderen gleichwertig ist, kommt es zu üblen Verwirrungen.


Dagegen, dass Precht versucht, für den Normalsterblichen verständlich zu sein, habe ich nichts. Die Grenzwertigkeit betrifft seine Inhalte. Da habe ich das wohl missverstanden.
Was die Riege der Kollaborateure … äh … Mainstream-Akademiker zu jemanden sagt, interessiert mich eher herzlich wenig, bzw. sehe ich es schon fast als Hinweis auf Qualität, wenn da einer abgelehnt wird.

Vollbreit hat geschrieben:Das finde ich auch schon vergleichsweise selektiv.
Psychiater oder Anwalt, das impliziert schon, dass es wirklich nichts gibt, was an der Sache dran sein könnte, ich finde, das ist eine oberflächliche Sichtweise. Wo ist denn geklärt, dass ein Bedürfnis nach Transzendenz grundsätzlich verfehlt ist? Dass man immer wieder auch dahinter Bedürfnisse findet, die ihrerseits unbewusst etwas ganz anderes suchen als sie vorgeben, das mag ich gerne eingestehen, nur scheint es mir unangemessen alles auf kindlichen Adualismus zu reduzieren.


Ich finde ihn da auch etwas unklar, weil er auf der anderen Seite auch behauptet, ein Interesse an dem Bedürfnis nach Transzendenz zu haben (irgendwo habe ich das Gerücht vernommen, dass er selbst mal Zen praktiziert hätte). Da gleichzeitig so abwertend zu sein scheint mir etwas paradox.

Vollbreit hat geschrieben:Gut, da haben wir sicher einen unterschiedliche Lebens-/Erfahrungshintergrund, was mich aber überzeugt hat, ist dass man spirituelle Erfahrungen eben tatsächlich machen kann.


Das würde ich auch niemals abstreiten. Ich kenne auch genug Leute, die mir solche Erfahrungen glaubwürdig berichten konnten.
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Re: Ken Wilber

Beitragvon Teh Asphyx » Mi 7. Dez 2011, 16:06

Vollbreit hat geschrieben:Wie man die dann ausdeutet, ist wieder eine Geschichte für sich, ob das eine Durchbruch zur Transzendenz oder zu unbewussten Triebwünschen ist, darauf würde ich mich einlassen, dass es hier und da pathologisch, darauf auf, dass da aber gar nichts zu holen ist, das trifft in meinen Augen nicht zu. Ich bin durchaus dafür, dass man alles was man vorfindet erst mal konventionell erklärt, solange man nicht das stille Dogma unterstellt, dass es einfach nichts geben darf, was man nicht erklären kann und jedem der so etwas erlebt hat, sogleich Betrug oder Irrsinn unterstellt.


Selbst wenn es ein Durchbruch zu den Triebwünschen ist, ist es ja interessant. Allerdings weigern sich manche doch sehr vehement gegen eine solche Auffassung, weil sie unbedingt wollen, dass es etwas echt übernatürliches war.
Aber ich kenne halt auch Menschen – deswegen meine These des dritten Typen –, die tatsächlich über einen anderen auf solche Erfahrungen kommen, also dadurch dass man sich selbst so sehr wünscht, dass der andere eine spirituelle Erfahrung hat (zum Beispiel bei gemeinsamer Meditation) bekommt die andere Person auch für den, der es wünscht, diese Erfahrung.
Dieses Phänomen scheint mir überhaupt erst ausschlaggebend dafür zu sein, dass Menschen mit Interesse an Spiritualität sich ganz oft eine Gruppe gleich gesinnter suchen, nicht anders bei Religion. Das hieße, dass auch der Glaube und die Spiritualität keine Sache im Menschen selbst sind, sondern eine intersubjektive Erfahrung, etwas, was eigentlich auf der Beziehungsebene stattfindet. Und wer das als Transzendenz des Ich auffasst, liegt auch nicht falsch damit, denn es ist dann ja das pure Erlebnis dessen, dass das Ich immer auch im Anderen ist.
Ich erlebe diese Transzendenz übrigens regelmäßig durch die Musik.
Ich finde, eine sehr einfache Art, eine Transzendenz des Ich zu erleben (und das ist auch mein stärkster Einwand gegen einen radikalen Konstruktivismus) ist, irgendetwas anzusehen und festzustellen, dass die Wahrnehmung dieses Etwas nicht in mir, sondern außerhalb von mir stattfindet. Wenn ich gerade beim Schreiben den Bildschirm betrachte, dann ist meine Wahrnehmung im Bildschirm und nicht in meinen Augen oder in meinem Gehirn (trotz dessen, dass da biologisch gerade etwas passiert). Nicht ich konstruiere, dass etwas um mich herum ist, sondern da ist etwas, außerhalb von mir, was mein Bewusstsein bewirkt. Mein Bewusstsein befindet sich also immer zwischen mir und den Dingen, die ich wahrnehme und ist somit selbst eine Beziehung, die die biologischen Vorgänge in meinem Gehirn bewirkt.

Vollbreit hat geschrieben:Der nächste wichtige Punkt, der da im meinen Augen zu klären ist, ist der, ob denn ein subjektives Überzeugtsein, einen Wert an sich darstellt.
Tenor aller spirituellen Richtungen ist im Grunde, dass es das Ich nicht wirklich gibt. Nun bin ich mit Dir der Meinung, dass man mit solchen vorschnellen Behauptungen sehr vorsichtig sein sollte.
Blickt man aber mal darauf, was denn das Ich konstituiert, so findet man gesellschaftliche Praktiken. Wir behandeln einander und schon das kleinste Kind, als Individuum,durch die Resonanz aus der Umwelt, wird uns unser Anderssein, unser Gesondertsein überhaupt erst einmal bewusst.
Meditative Praxis zielt darauf ab, diese Ichgrenzen infrage zu stellen und zwar dadurch, dass man all das, was das Ich in seinem Selbstbild ausmacht ins Leere laufen lässt. Man bemüht sich aufrecht zu sitzen, zählt stur seine Atemzüge und lässt ansonsten einfach laufen. Körperempfindungen, Gedanken und emotionale Regungen betrachtet man, ohne ihnen nachzugehen, was, saumäßig schwer ist, weil man es einfach gewohnt ist, genau das den ganzen Tag zu tun. Das ist ein sehr interessantes Experiment, weil man mit der Zeit lernt, eine Ebene zu etablieren, auf der es möglich ist, die stille Beobachtung aufrecht zu halten, ohne den Impulsen zu folgen, man lässt einfach kommen, was kommt und schaut zu, wie es von selbst wieder geht. Das ist aber keine Reflexion (wieso denke oder fühle ich eigentlich so, wie ich denke oder fühle), sondern Meditation (da ist was, ich betrachte es und reagiere nicht darauf).


Du sprichst konkret von Achtsamkeits-Meditation, richtig? Es gibt ja auch Energie-Meditation aus dem Tao Yoga, damit hab ich mich nämlich mehr (praktisch) befasst und da gibt es doch ein paar signifikante Unterschiede.
Das Problem bei mir, als ich Achtsamkeits-Meditation ausprobiert habe, war, dass ich da fast eine Panik-Attacke bei bekommen habe, weil da alles durcheinander lief und kein Fokus da war. Mich erinnerte das sehr an den Effekt von THC oder Alkohol, möglich dass es auch deswegen gut in der Schmerz- und Stress-Therapie zu gebrauchen ist, stellt dann aber letztlich nichts weiter als eine Ersatzdroge dar. Es lag allerdings auch klar an der Anleitung, dass das so aus dem Ruder lief (nicht an der Person, die es angeleitet hat, sie hat es nach bestem Gewissen gemacht, sondern an völlig falsch gelehrten Techniken).

Vollbreit hat geschrieben:Man zerlegt also das, was man dem Ich zuschreibt (Körpersein, Gefühle und Gedanken zu haben) in seine Bestandteile und schaut, was bleibt. Was lange bleibt ist ein Gefühl des grundlegenden Ichseins, nur irgendwann mag der Punkt kommen, wo man diese Ich-Identität nicht mehr hat. Eigenartigerweise geht damit aber nicht zwingend ein Bewusstseinsverlust einher, sondern ein Zustand großer Klarheit. Man ist nicht mehr der, der atmet, sondern man ist ganz Atem. Gleichzeitig ist die Welt aber nicht verschwunden, sondern man glotzt immer noch auf den Boden vor sich und sieht den auch, nur dieses alles begleitende Gefühl des Ichseins ist weg. Zugleich hat man aber das Empfinden, dass nichts Wesentliches fehlt, man ist nicht unendlich weit weg von der Welt, sondern ganz und gar eins mit ihr.


Die Beschreibung erinnert mich auch an einen THC-Rausch, von meiner Erfahrung her (ist schon sehr lange her, dass ich so was zu mir genommen habe, der Grund, dass ich ganz schnell damit aufgehört habe, hat was damit zu tun, dass ich gemerkt habe, dass der Rausch nur eine Illusion war, der mich echte transzendente Erfahrungen über die Musik sogar verbaut hat).
Ich kann verstehen, dass so eine Erfahrung etwas faszinierendes, anziehendes und auch süchtig machendes hat, aber ich weiß nicht … irgendwas wurmt mich da (was wie gesagt auch mit eigener Erfahrung und weniger mit intellektueller Herablassung zu tun hat).

Vollbreit hat geschrieben:Das sind Erfahrungen, die man in der Meditation machen kann und spirituelle Lehrer sagen nun, dass Meditation nur so eine Art geschützte Laborsituation ist, die prinzipiell aufs ganze Leben übertragen werden kann (und soll).
Das heißt diese Erfahrung des Nicht-Ich-Seins und gleichzeitig ganz-in-der-Welt-Seins, muss keine kurze Gipfelerfahrung bleiben, sondern kann ausgedehnt werden und sogar irgendwann mal zur gefühlten Grunderfahrung werden, das wäre dann das, das spirituelle Menschen Erleuchtung nennen.
Das führt zu der Einstellung, dass man nicht mehr mit seinem Ich identifiziert ist, sondern mit allem was ist, was von den seichten Interpreten der Esoterikbewegung oft dahingehend missinterpretiert wurde, dass alles irgendwie gleich gut ist und man nur eine gleichgültige Attitüde an den Tag legen müsste und das wäre dann ungefähr Erleuchtung (wo es sich in Wirklichkeit nur im egozentrisches Desinteresse handelt).


Vor allem habe ich das Gefühl, dass die meisten ihr Ich aufgeben wollen, bevor sie sich selbst überhaupt entdeckt haben. Das ist dann am Ende mehr Selbsttäuschung als Erleuchtung (ich weiß nicht, ob das nur Zufall ist, aber fast alle Buddhisten, die ich kennengelernt habe, die sich so nannten, hatten einen starken Hang zum Alkohol). Da will man wohl irgendwie gleich das Kind mit dem Bade ausschütten. Das ist wahrscheinlich auch ein Problem daran, dass man diese Erfahrungen, die es anzustreben gilt, nicht intersubjektiv ausdrücken kann (und das oft auch ausdrücklich ablehnt).

Vollbreit hat geschrieben:Aber im Kontext einer Erleuchtungserfahrung kann die Aussage, dass alles was ist gut ist, schon sinnvoll sein, man muss halt nur den Erfahrungskontoext und die ethischen Implikationen mitbetrachten.


Hm, ich hatte eigentlich immer den Eindruck, dass es eher darum geht, solche Werturteile gar nicht mehr zu haben.

Vollbreit hat geschrieben:Ist alles schon irgendwie gut, weil ich gerade keine Lust habe mich um jemand anderen als immer nur mich zu kümmern, oder bedeutet das eher, dass alles seine Ursache und Geschichte hat, die ich vielleicht gerade dann am besten überblicke, wenn ich mich von eigenen egozentrischen Verhaftungen frei machen konnte.
Das finde ich zumindest nicht prinzipiell indiskutabel und sollte am Ende „nur“ ein subjektives Empfinden einer grundlegenden Zufriedenheit stehen – das habe ich schon mal angesprochen -, wer will uns, mit welchem Recht sagen, dass dies nicht anzustreben sei.
So ziemlich alles was wir tun, steht unter der Prämisse eine bessere Welt zu schaffen, wobei man in den letzten Jahrhunderten tendenziell unterstellt, eine Veränderung der Welt sei das alles überragende Projekt, eine Veränderung der Psyche hingegen nachrangig. Ich halte diese Gewichtung für einigermaßen unreflektiert, da auch immer wieder belegt wurde, dass entgegen der Annahme, Meditation kein kalter Rückzug ins Private ist, sondern im Gegenteil psychische Entwicklung mit Empathie fördert, was auch einen logischen Sinn ergibt, denn wo ich immer weniger egofixiert bin, eröffnet sich zugleich ein Raum für andere.


Ich denke nur, dass das am Problem in der jetzigen Gesellschaft vorbei zielt, da die Menschen gar nicht Ego-Fixiert sind, sondern auf einen nicht existenten Anderen, wobei aber die Fixierung ein Handeln auslöst, das aussieht wie reine Egomanie. Ich sehe das Problem viel eher darin, dass es so wenig Empathie gibt, weil es kein richtiges Ego mehr gibt und ein weiterer Versuch, vom Ego wegzukommen, ist da eher kontraproduktiv. „Ego cogito, ergo sum“ und „Life is real only then, when ‚I am’“.
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Re: Ken Wilber

Beitragvon Nanna » Sa 10. Dez 2011, 12:55

Teh Asphyx hat geschrieben:Ich bin ja selbst noch total neu hier im Forum, aber ich finde der Admin Nanna macht das ziemlich gut und er hat auch eine sehr offene Einstellung und scheint mir eher den Dialog als den Konflikt mit Andersdenkenden zu suchen. Das nervt zwar ein bisschen, weil er ein verdammter Etatist ist und ich gefälligst will, dass wir uns deswegen gegenseitig an die Gurgel gehen, aber insgesamt bin ich sehr zufrieden hier.

Danke für das Lob. Wenn du so sehr Wert darauf legst, dass ich meine staatsbürgerliche Contenance ablege, kannst du ja mal einen entsprechenden Thread eröffnen und versuchen, mich ein bisschen zu provozieren. Funktioniert zwar selten, aber vieleleicht kommst du ja noch zu deinem Streitgespräch, um die Sache hier quasi abzurunden. ;-)
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Re: Ken Wilber

Beitragvon Vollbreit » Mo 12. Dez 2011, 08:30

Teh Asphyx hat geschrieben: Das halte ich auch gerne dem ganzen Bildungswahn entgegen, ich meine nämlich, dass Bildung völlig überschätzt wird, wenn Leute ernsthaft behaupten, dass eine flächendeckende „gute“ Bildung dazu führen würde, dass keiner mehr „dumme“ Gedanken hätte (oder es keine Ideologie mehr gäbe). Man würde die „dummen“ Gedanken einfach nur viel komplexer artikulieren.


Lustig, hab eben nen link bekommen, indem jemand dasselbe vorträgt.

Teh Asphyx hat geschrieben:Klar, aber man kann Wilber dazu benutzen, einfach den buddhistischen Glauben zu festigen (auch wenn er das nicht beabsichtigt) und das wurmte mich etwas. Darauf wollte ich nur hinaus.
Vielleicht liegt das auch daran, dass ich einfach zu viele antiintellektuelle Buddhisten kenne (und der Buddhismus selbst ist ja auch teilweise ein wenig antiintellektuell).


Ja, der Buddhismus zielt in eine andere Richtung als auf den Verstand.

Teh Asphyx hat geschrieben:Dann unterstelle ich ihm da [Deleuze/Guattari – V.] einen wirklich bedeutenden Mangel. Ich halte die Holon-Theorie im Sinne einer Baumhierarchie zwar für einen interessanten, aber überholten Ansatz, das Rhizom scheint mir weitaus realistischer, weil es in alle Richtungen offen ist.


Mag sein, ich kenne es ehrlich gesagt auch nicht.

Selbst wenn meine Wahrnehmung von blau Deiner Wahrnehmung von rot entsprechen würde, wären wir ja trotzdem gleichermaßen in der Lage dazu, unterschiedliche Lichtfrequenzen gleichermaßen zu unterscheiden und zu benennen. Ich denke, das ist hier das Entscheidende. Bei diesem Punkt werde ich oft nicht verstanden und viele setzen mir dann einen radikal konstruktivistischen Standpunkt entgegen, der meines Erachtens nach eben völlig verfehlt, dass wir trotz allem in der Lage sind, eine externe Sache intersubjektiv gleich zu definieren.


Doch, verstehe ich, ist ziemlich genau die Sicht von Wittgenstein und seinem Käfer in der Kiste.
Ist aber m.E. nicht zu Ende gedacht, was aber von Thema wegführt und entsetzlich viel Schreibkram ergibt, können wir ja mal im Hinterkopf behalten.

Teh Asphyx hat geschrieben: Teh Ashpyx hat geschrieben:„Eine subjektive (und natürlich immer noch relative) Aussage wäre „Oh, das ist aber ein schöner Himmel heute!“. Denn da würde nicht unbedingt jeder zustimmen, also ist der Himmel nicht in dem gegebenen Umstand sprachlich als schön definiert, sodass jeder da zustimmen würde.

Vollbreit hat geschrieben:Vollbreit:
Und dennoch könnte man den Begriff „schön“ richtig benutzt haben.


Das schon, ja. Und es ist auch für den anderen wahrscheinlich nachvollziehbar, was mit „schön“ gemeint ist, auch wenn der Eindruck nicht geteilt wird.


Jepp!

Teh Asphyx hat geschrieben:Dennoch ist das für mich der signifikante Unterschied zwischen objektiv und subjektiv bei der Kommunikation, ob etwas gemeinsam erlebt werden kann oder nicht.


Ich glaube ich weiß, was Du meinst, aber auch da könnte man noch viel zu sagen … ich erspare es uns.

Teh Asphyx hat geschrieben: Ich weiß nicht genau, wie ich das sprachlich erklären kann, aber ich habe irgendwann die Erkenntnis gehabt, dass ein Mensch seinen Wert dadurch hat, dass „er ist“.


Vielleicht so: Die Würde des Menschen in unantastbar.

Teh Asphyx hat geschrieben:Es ist echt witzig, als ich von ihm und seinen wilden Assoziationen gehört habe, denen man kaum folgen können soll, dachte ich, da kommt sonst was auf mich zu (das war in einer Arte-Sendung über ihn) und als er dann so erzählt hat, dachte ich cool, der denkt ja wie ich.
Ich frage mich, wer bestimmen will, wer Hegel richtig und wer falsch interpretiert.


Eine nicht ganz unberechtigte Frage, aber es gibt da schon Kriterien, nämlich wirklich am Text zu bleiben. Richtig toll erklärt hat das mal Rainer Stach, im ersten Teil seiner großartigen Kafka Biographie (um mal bei der freien Assoziation zu bleiben).

Teh Asphyx hat geschrieben:Ich kann mir vorstellen, dass seine Interpretationen aber sehr weit vom Mainstream weg sind (ich kenne Hegel auch nicht gerade gut), irgendwo hab ich auch gelesen, dass Žižek eigentlich auch Lacan nur benutzt, um letztendlich Hegel zu interpretieren, er würde den Kern des Ganzen ausmachen. Hegel mit Lacan zu lesen ist dann mit Sicherheit für die meisten Akademiker falsch. Ich habe so etwas ähnliches mit Gurdjieff vor, den ich aus der Esoterik in die Philosophie zurückholen will, wo er auch hingehört.


Was kannst Du denn von Gurdjeff empfehlen, ich habe „Begegnungen mit bemerkenswerten Menschen“ hier, aber bei den zwei drei Versuchen das zu lesen, ist der Funke nie übergesprungen.

Teh Asphyx hat geschrieben:Selbst wenn die Trennung Subjekt-Objekt künstlich ist und ich und die Welt eins sind, so kann ich letztendlich doch nur eines sicher wissen, nämlich, dass ich bin, weil das die einzige Grundlage der Erfahrung ist. Ich sehe das Problem wirklich da, wo unser Bewusstsein (durch Sprache?) so verändert ist, dass wir glauben können, Subjekt und Objekt wären auf eine Art getrennt, dass man das Subjekt negieren könnte.


Heidegger macht das Fass ja gerade andersrum auf. Der negiert das Subjekt sehr radikal, aber eben vor dem Hintergrund seiner lebensweltlichen und vorsprachlichen Eingebundenheit. Heidegger sagt die sprachliche Subjekt-Objekt-Spaltung ist das, was ein isoliertes Subjektsein überhaupt erste ermöglicht, was sonst so gar nicht gegeben ist, weil das Subjekt (Dasein) eben immer schon mit Welt umgeht und in Welt geworfen ist.

Teh Asphyx hat geschrieben:Lacan ist gar nicht so übel, finde ich, gerade seine Feststellung, dass es zwei Arten des „Ich“ gibt (was im Französischen mit „moi“ und „je“ noch viel klarer wird) ist sehr aufschlussreich in Bezug auf das Subjekt-Objekt-Problem.


Etwas ähnliches findest Du auch bei Wilber, in „Integrale Pychologie“.

Teh Asphyx hat geschrieben:Bei ihm scheinen auch die Probleme, die Alice Miller zum Beispiel zurücklässt, sich aufzulösen. Aber dazu muss ich da noch etwas tiefer in die Materie eindringen, denn bisher habe ich an Primärliteratur nur ein Seminar von ihm gelesen.


Was mir dabei wichtig ist, ist, ob sich die Probleme dann auch tatsächlich auflösen, also psychisch erlebbar oder ob das ein semantischer Trick ist.

Teh Asphyx hat geschrieben:Ich habe da eher eine sehr konsequente Sicht der Evolution, die absolut ohne Zweck ist und sich prinzipiell jederzeit in jede Richtung entwickeln kann.


Ja, damit bist Du nicht alleine, das ist eine der Meinungen die glaube ich momentan recht stark sind, im Grund ist es die Variante Evolution ist richtungslose Anpassung.
Ich sehe es etwas anders, bin da aber eher Außerseiter.

Teh Asphyx hat geschrieben:Mir fällt aber oft auf, dass viele Naturalisten immer wieder so argumentieren, dass sie der Evolution einen Zweck unterstellen, was ja doch wieder auf eine Art Kreationismus hinausläuft, bzw. verändert sich dadurch substanziell nichts. Das ist jetzt in Bezug auf Wilber mal nicht so wichtig aber bei Naturalisten sehe ich das als Inkonsequenz und Fehler.


Da muss ich die Naturalisten mit denen ich bisher die Ehre hatte mal in Schutz nehmen, das hat nach meiner Erfahrung von denen noch niemand vertreten.

Teh Asphyx hat geschrieben:Ach, hätte er doch nur mal das Rhizom-Modell in Betracht gezogen, das würde einiges vereinfachen. Aber ich habe so eine Ahnung davon, worauf er hinauswill. Ich würde dabei allerdings versuchen jegliches Vokabular, dass auf ein manipulatives oben-unten-Verhältnis hindeutet zu vermeiden.


Das hieße, wenn ich es mal überspitzen darf, dem guten Ken die Eier abzuschneiden. Der ist Hierarchie-Freak durch und durch, allerdings muss man ihm zugute halten, dass er auf Kritik, die er offensichtlich erhalten hat reagiert und nachgebessert hat. Dabei hat er immer mehr Feinheiten eingeführt, erst war das pure Hierarchie, dann erkannte er – wie Du auch schon gesagt hast – dass nicht jede Entwicklung gleichmäßig verläuft und hat nachgebessert, dann hat er das Verhältnis von individueller und kollektiver Entwicklung untersucht, wieder nachgebessert, dann versuchte er in der Tat eine Brücke zum Naturalismus zu bauen, das war EKL und die Holon Theorie, leider misslungen, dann ist er zu einem Modell übergegangen was die Wirklichkeit bei Entwicklungsvorgängen ziemlich gut abbildet, sein AQAL Modell (alle Quadranten, alle Level), dazu kam aber noch das was er Entwicklungslinien nennt, also die Erkenntnis, dass Kognition, Emotion, Ästhetik, Moral und 25 andere Linien sich halbwegs unabhängig voneinandern entwickeln können, er hat die Typen noch mit reingenommen (kann man Temperamente nennen) und die Zustände (Schlafen, Wachen, Tiefschlaf, außergewöhnliche Bewusstseinszustände) und da ist kurz gesagt jede Menge drin, der Nachteil ist aus meiner Sicht, das es recht unpraktikabel ist. Ich habe mal versucht damit zu arbeiten und ich kenne Wilbers Werk glaube ich sehr gut und bin da auch nicht ungeschickt, wie auch immer, ich habe es dann wieder gelassen, weil es zu ausschweifend war und mir auch Wilberianer nicht sagen konnten, woran nun genau ich die ästhetischen Entwicklung von jemandem erkennen kann, also auch welchem Entwicklungs-Level er ist.

Teh Asphyx hat geschrieben:Deswegen mag ich keine Erziehung, Bildung, kein Gehorsam usw. (auch Arthr Koestler war zum Beispiel mit dem englischen „education“ sehr unzufrieden aufgrund der Konnotationen, die auf Manipulation hindeuten).


Das eintüten in Hierarchiesysteme und andere Schubladen ist nicht unbedingt ein Akt des Gehorsams, sondern eine Orientierung und bei Wilber ein Fetisch. Ich kenne die Vorbehalte dagegen, aber ich habe da immer wenig Bauchschmerzen. Jedes System muss zusammenfassen und wird niemals dem Einzelnen in seiner Individualität vollkommen gerecht. Das ist so, aber dafür sind es ja auch zusammenfassende Systematisierungen. Wenn ich Blutgruppe A habe, beschreibt das ja nicht mein ganzes Sosein, behauptet aber auch niemand. Aber das scheint ne Neigungssache zu sein, ich liebe den Krempel.

Teh Asphyx hat geschrieben:Das Problem ist nur, dass sich durch diese Grenzziehung ziemlich viel Mist behaupten lässt. Wenn dann alle Medien titulieren „Die Tat eines Wahnsinnigen“, dann führt man die Menschen damit (absichtlich?) dahin, einer solchen Bedrohung machtlos gegenüber zu stehen. Und selbst die gebildetsten Menschen hier können aufgrund eine solch „unverständlichen“ und „willkürlichen“ Tat nur den Kopf schütteln und sich empören – und anschließend wiederholt sich die Geschichte einfach immer wieder.


Okay aber wir müssen uns ja die Medien nicht zum Vorbild nehmen und es gibt da eine Fülle seriöser Forscher die sich Jahrzehnte lang den Hintern aufgerissen haben auch dem Gebiet und das muss man sagen, Wilber kennt sie alle.

Teh Asphyx hat geschrieben:Weder Menschen mit mystischen Erfahrungen noch Breivik sind wahnsinnig.
Im Prinzip steckt in jedem von uns ein Mystiker und ein Breivik.


Juoah, da könnte was dran sein. Dennoch Potenz ja, aber die Frage ist, was gelebt wird, was dominiert. Und da bin ich froh, dass es heute sehr genaue Kriterien gibt, um die Frage Psychose (auch atypische) oder nicht zu klären, das ist wirklich ungemein hilfreich.

Teh Asphyx hat geschrieben:Die Vorstellung ist aber für viele nicht zu ertragen, deswegen ist es einfach so jemanden als wahnsinnig zu bezeichnen (wahnsinnig ist einzig und allein die Idee, die dahintersteckt, die aber sogar Stoff für einen Bestseller in Deutschland werden kann). Dadurch löst man nur blöderweise das Problem nicht. Und für eine Verständigung zwischen Menschen mit mystischen Erfahrungen und Menschen ohne nützt es auch nicht viel (außer, dass man die Mystiker weg sperren könnte und sie somit nicht mehr „stören“).


Das ist ein weites Feld. Aber wenn man gute Kriterien hat (und die hat man) und jemand macht eine mystische Erfahrung und die machen Menschen, kann man nach dem Ausschlussverfahren vorgehen und wenigstens sagen, okay, das klingt komisch, aber immerhin hat der Kerl alle Tassen im Schrank und das ist ein großer Gewinn für den Dialog.
Die andere Gefahr ist nämlich, Wilber hat das Elevationismus genannt, ist auch in EKL, dass man jeden prärationalen Mist zur spirituellen Weisheit aufbrezelt und an dieser herrlichen Verwirrung litt die Esoterik-Welle in erhöhtem Maße.

Teh Asphyx hat geschrieben:Blöderweise haben das aber trotzdem inzwischen genug Menschen rezipiert.


Stimmt, juckt mich aber ehrlich gesagt nicht.

Teh Asphyx hat geschrieben:Und Roth redet trotzdem noch viel Mist, wenn der Tag lang ist (manchmal ist er auch nur rhetorisch unbeholfen und geht fiesen Fragestellungen auf den Leim, aber dennoch …)


Also, es ist natürlich etwas frech einem rennommierten Forscher, der Roth in der Tat ist, so etwas zu unterstellen, aber da wir unter uns sind … der Mann hat soviel dummes Zeug erzählt, dass er das allemal verdient hat, aber ich respektiere, dass er sich im Dialog nicht verweigert und seine Meinung geändert hat.

Teh Asphyx hat geschrieben:Mich stimmt das [Kompatibilismus – V.] auch nicht glücklich, vor allem, weil ich den Eindruck habe, dass es darauf abzielt, den Einzelnen für seine Handlungen allein selbst verantwortlich zu machen, weil das so schön in das Justizsystem und auch die ganze staatliche Legitimierung passt.


Du bist da wirklich anstrengend an dem Punkt.

Teh Asphyx hat geschrieben:Ich hatte mal ein Zwiegespräch zwischen Wolf Singer und Julian Nida-Rümelin über genau das Thema gelesen und war total erschrocken. Singer meinte da irgendwas von wegen natürlich ist es trotzdem richtig, dass man Kinder in der Erziehung belohnen und bestrafen müsse und Nida-Rümelin fand es nur wichtig zu sagen, dass man aber trotzdem von einem freien Willen sprechen könne. Erschreckend finde ich, wie diese Rechtfertigung von gewaltsamen Manipulationen von Kindern einfach mal nebenbei stehen bleibt, als wäre es ganz selbstverständlich.


Das Gespräch ist natürlich legendar in seinem surrealen Charakter, falls wir dasselbe meinen.
Wie auch immer, ich verstehe was Du meinst, aber Nida-Rümelin hatte Recht. Erst haben Singer und Co. behauptet, der Mensch habe keinen freien Willen (zwischendurch auch immer wieder mal kein Ich) und darum sei das Strafrecht zu ändern. Darauf haben einige Verständlicherweise den Kopf geschüttelt die beiden denen es im Scheinwerferlicht vielleicht etwas heiß wurde ins Gebet genommen und dann hieß es, der Mensch könne zwar nichts für seine Handlungen, müsse aber dennoch bestraft werden, von wegen gesellschaftlicher Ordnung und Abschreckung und so.
Schon da wird der wache Leser den Selbstwiderspruch erkennen, der jemand der nicht anders kann (weil der Fleischklumpen unter seiner Mütze ihn fernsteuert, der KANN eben auch nicht anders, Strafe hin oder her. Und wenn er auf Strafe reagiert, dann KANN er auch anders. Das war weder der erste noch der letzte Fehler in der Kette von Fehlern, aber das war die Situation die Du meintest.
Schließlich kamen dann die Kompatibilisten, die ich überhaupt nicht leiden mag, aber ich habe das Thema bis zur Schmerzgrenze diskutiert und musste am Ende eingestehen, dass die Jungs richtig liegen. Nun muss ich also um der Vernunft willen dem Kompatibilismus das Wort reden, die Kritik die mich mit den Inkompatibilisten noch verbindet ist die, dass der Komp. eine Philosophie „der sicheren Seite“ ist, aber nach meinem gegenwärtigen Kenntnisstand die einzige die sich widerspruchsfrei formulieren lässt. Das gute ist, es hat den Hirnforschern den Zahn gezogen, im Bezug auf ihre allzu weitreichenden Schlussfolgerung und die Frage nach dem freien Willen.

Teh Asphyx hat geschrieben:Also streiten sich beide letztendlich nur darum, wie man das begründen kann und sind sich nur darüber uneinig. Ich fürchte, es geht da um was ganz anderes, als um den freien Willen, nämlich darum, wie man weiterhin bestimmte Institutionen legitimieren kann.


Nein, darum ging es denen nicht, das liest Du da rein, auch wenn ich die Kritik, die Du an der Stelle anbringen möchtest verstehe und zum Teil sogar teile, aber denen ging es um was anderes. Es sind nicht alles klammheimliche Ideologen, da kannst Du schnell auf einen paranoiden Trip geraten.

Teh Asphyx hat geschrieben:Aber nur, weil die indirekten Folgen unserer Handlungen im Verborgenen bleiben. Ich weiß nicht, wenn ich Menschen sehe, sehe ich inzwischen fast nur noch wandelnde Selbstwidersprüche.


Das meine ich ja. Das System funktioniert perfekt, nur leider leiden die Menschen darunter, also wir.

Teh Asphyx hat geschrieben:Ich bin ja selbst noch total neu hier im Forum, aber ich finde der Admin Nanna macht das ziemlich gut und er hat auch eine sehr offene Einstellung und scheint mir eher den Dialog als den Konflikt mit Andersdenkenden zu suchen. Das nervt zwar ein bisschen, weil er ein verdammter Etatist ist und ich gefälligst will, dass wir uns deswegen gegenseitig an die Gurgel gehen, aber insgesamt bin ich sehr zufrieden hier.


Wasich bis jetzt von Nanna gelesen habe, ist aller Ehren wert, ja.

Teh Asphyx hat geschrieben: [Eigenverantwortung -V.] Scheint mir irgendwie ein Selbstwiderspruch zu sein (oder man müsste sich ganz allein selbst therapieren). Ich glaube, dass das generell unmöglich ist und eine Illusion, die der superindividualistischen Ideologie entspringt. Das setzt ja voraus, dass man nicht aus Beziehungen hervorgeht, sondern die Beziehungen vom einem ausgehen und man auch die Möglichkeit hat, alleine für sich zu existieren.


Nein, ganz und gar nicht, weder setzt es das voraus, noch ist es Ziel.
Das Ziel ist realistischen Beziehungen eingehen zu können, statt idealisierend oder entwertend verzerrter.

Teh Asphyx hat geschrieben: Vor allem die viel gepriesene Eigenverantwortung stört mich. Verantwortung ist ein Begriff aus der Juristik (hieß ursprünglich im Mittelhochdeutschen „sich als Angeklagter vor Gericht verteidigen“) und hat immer anklagende Konnotationen. Ich habe das Gefühl, dass dieser Begriff völlig unhinterfragt einfach Einzug in die Psychologie gefunden hat, dabei befürchte ich, dass es sich hierbei um einen reinen Herrschaftsdiskurs handelt. Klingt vielleicht krass, aber mir macht das echt Sorgen, dass dieser Begriff an sich absolut unreflektiert bleibt und auch, dass ich auf so extremes Unverständnis von allen Seiten stoße, wenn ich daran etwas auszusetzen habe.


Du stößt auf Unverständnis, weil nicht alles und jedes unter der Perspektive des Herrschaftsdiskurses betrachtet werden muss, auch wenn man es so betrachten kann, nur sollte man ein Gespür für den angemessenen Kontext entwickeln. Nicht jeder, der nicht allzeit darauf anspringt ist ein unbewusster Unterdrücker.
Das ist eine sehr unheilvolle Allianz, z.B. dieser ganzen Herrschaftsdiskurs von Marx bis Miller, die einen Opferstatus zementiert, deren Tenor immer lautet: Du kommst da niemals raus und wenn du behauptest es sei anders, zeigt das in Wirklichkeit nur, wie unbewusst und verblendet du bist!
Was soll das, wieso sollte ich das glauben? Das ist schlicht eien petitio principii oder eben eine Doppelbindung, der Form: Siehst du, dass du ein ewiges Opfer bist, oder siehst du nicht mal das?
Die wirkliche Alternative, dass man kein schlimmes Trauma erlebt hat, oder es überwinden kann, dass man sich trotz Kapitalismus frei fühlt, oder es erreichen kann, wird kategorisch ausgebelndet.
Das ist Ideologie in Reinform.
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Re: Ken Wilber

Beitragvon Vollbreit » Mo 12. Dez 2011, 08:35

Teh Asphyx hat geschrieben:Nein, sie distanziert sich ganz entschieden davon [Opferstatus – V.], irgendwem eine Schuld zuzuweisen, das betont sie auch in allem, was ich von ihr gelesen habe, mehrfach. Sie sagt auch, dass die Eltern selbst auch im Grunde Opfer sind. Sie sagt, dass das auch wichtig ist, zu erkennen.


Das weitet den Opfermodus ja nur aus. Das Problem ist, dass es einzig und allein die Lösung zu Millers Bedingungen gibt, die zählt. Anerkenne Deinen erlebten Missbrauch oder du musst ihn an deine Kinder weitergeben.
Es muss aber nicht immer Missbrauch vorliegen und nicht jedes Trauma ist den Eltern anzulasten, es kann auch ein vereiterter Zahn oder sonst was sein.

Teh Asphyx hat geschrieben:Mag sein, dass das in manchen Fällen heilsam sein kann, aber Miller geht es eher darum den Täter-Opfer-Dualismus aufzuheben, deswegen kann sie auch keine Opferrolle zementieren (das kann nur der Leser, der versucht ihre Ansichten trotzdem in einen Täter-Opfer-Dualismus zu pressen und davor hat sie ihre Werke tatsächlich nicht genug geschützt – wobei ich auch noch nicht so recht weiß, wie das gehen kann, dass man sich davor absichert).


Aufzuheben indem sie ihn universell macht. Alles Opfer, ohne Ausnahme, die einen erkennen es, die anderen verleugnen es. Das ist ein wenig dick aufgetragen.

Teh Asphyx hat geschrieben:Klar, aber auf das Argument wird gar nicht eingegangen. Ich finde sehr bedenklich, wenn einem Menschen, der gerade eine Erinnerung an einen sexuellen Missbrauch durchlebt, gesagt wird, seine Erinnerung sein falsch, es wäre nie so etwas geschehen.


Genau so, wird es ja auch nicht gemacht.

Teh Asphyx hat geschrieben:Die Bilder können vielleicht verfälscht sein, aber das Gefühl/die körperliche Erinnerung nicht.


Oh doch, es gab den unseligen Trend in der Therapie eine Zeit lang jedem eine sexuellen Missbrauch ans Bein zu nageln, der einmal in seinem Leben an eine Banane gedacht hat. Die sugeestiven Effekte von Therapeuten sind nicht zu unterschätzen, so wie eine Zeit lang jeder Zweite eine multiple Persönlichkeit hatte und irgendwann mal alles ein Trauma war.

Teh Asphyx hat geschrieben:Außerdem ist er ein uniformierter Glatzkopf! Klingt vielleicht jetzt blöd, aber mich lässt das ernsthaft an der Seriosität zweifeln (ich bin auch genauso skeptisch, wenn ich Leute sehe, die immer nur Anzug und Krawatte tragen, keine Sorge).


Ich fürchte, die Welt wird sich auch zukünftig nicht danach richten, ob sie in Deine Normierungsvorstellungen passt. Wie sollte man denn aussehen, um vor Deinen Augen Gnade zu finden?

Teh Asphyx hat geschrieben:Es geht ja nicht darum, die Eltern zu beurteilen. Sie können sonst wie lieb nach irgendwelchen Maßstäben gewesen sein, aber wenn in dem Moment der Entzündung mit chronischen Schmerzen ein Mangel an Empathie herrscht, ist die Projektion nicht verkehrt.


Darum geht es nicht.
Was ich meine ist folgendes: Ein Kind mit chronischen Schmerzen erlebt diese als Aggression.
Es ist die Aufgabe der Mutter den Einbruch von Aggressionen diverser Art zu verhindern, in diesem Fall kann sie es aber nicht leisten, auch wenn sie das Kind hätschelt und lieb und grenzenlos empathsich ist. Das Kind erlebt nun eine versagende, schlechte Mutter und internalisert dieses Bild, ohne dass die Mutter irgendwas falsch gemacht hätte.

Teh Asphyx hat geschrieben:Manchmal frage ich mich eher, ob Kinder nicht Zusammenhänge viel besser begreifen, die man sich als Erwachsener erfolgreich ausgeredet hat (das ist jetzt auch unabhängig hiervon gemeint).


Kinder haben die Fähigkeit sich die Welt zurechtzuerklären, aber eben nach kindlichen Maßstäben. Das ist auch nicht anders zu erwarten und ebenfalls kein Fehler, es kann nur in bestimmten Fällen zu Komplikationen führen.

Teh Asphyx hat geschrieben:Ich halte diesen Vergleich für falsch. Ob ein Kind gequält ist, hängt von den Empfindungen des Kindes ab, nicht von der Handlung selbst. Es gibt tatsächlich Kinder, die schwer sexuell missbraucht werden, aber später trotzdem gut klarkommen und andere, denen nach gewöhnlichen Maßstäben kaum was angetan wurde, die es aber als schrecklich erlebt haben.


Das ist richtig und darum sage ich ja auch, wer leidet, leidet und das muss man ernst nehmen und therapieren. Aber man muss schauen woran jemand in Wirklichkeit leidet und da liegt der Fokus darauf, wie realistisch oder unrealistisch Beziehungen erlebt werden.

Teh Asphyx hat geschrieben:Das gehört auch zum nicht merken dürfen, wenn ich als Kind schon meine Gefühle nicht einfach erleben darf, sondern sie dadurch legitimiert sein müssen, dass andere sie für angemessen befinden.


Das ist richtig und in vielen aufdeckenden Therapien geht es ja darum für das Kind, das man mal war (und zum Teil noch ist) Verständnis aufzubringen, auch mit ihm empathisch zu sein. Empathie ist keine Einbahnstraße und gut versteht man andere nur, wenn man sich selbst versteht und anders herum.

Teh Asphyx hat geschrieben:Das war nämlich bei mir der Knackpunkt. Ich hab blöderweise verhältnismäßig recht lockere Eltern von der Sorte, wo Freunde schon mal sagen „Hey, Deine Eltern sind ja voll cool drauf“, was auch bestimmt seine Richtigkeit hat, das Problem ist nur, dass es natürlich andere viel schlimmer haben als ich und ich mich deswegen nicht beschweren sollte und somit habe ich eine starke Tendenz dazu entwickelt, mein Leid ständig runterzuspielen, bis das ganze irgendwann in Depressionen und Panik-Attacken ausartete.
Der Stärkegrad einer Misshandlung ist immer aus der Sicht des Erlebenden zu betrachten.


Ich will Dir um Gottes Willen Deine therapeutischen Erfolge, die Du hoffentlich hattest nicht madig machen und wenn Miller Dir zusagt, will ich Dir auch sie nicht entwerten. Lockerheit kann ja auch bedeutet, keine Grenzen gesetzt zu bekommen und das kann verwirren, weil es als chronisches Desinteresse vom Kinder erlebt werden kann. Wer alles darf, bekommt keine Beachtung, das verwirrt und kann Panik erzeugen. Wenn Du das nun weißt, schön, aber nun liegt der Ball bei Dir.
Deiner Mutter nun zu sagen: Du bist falsch!, was bringt das Dir oder ihr?
Du weißt nun, dass Du keine Beachtung bekommen hast – falls es das ist – und kompensatorisch viel brauchst – die bekommt man übrigens, wenn man betont anders ist – und es gibt ein gute Gründe, dass sich das im Laufe der Zeit auswächst, weil Du es nun weißt. Den Feinschliff kriegst Du schon hin, im Notfall noch mal mit Therapie und die klare Linie, die Dir momentan fehlt, bedeutet nichts anderes als Deine eigenen Bedürfnisse kennenzulernen, niemand will Dich da in ein Korsett zwängen, auch wenn Du das momentan noch so erlebst.

Ich sehe da eher das Gegenteil, sie bietet überhaupt erst die Möglichkeit an, den Narzissmus zu überwinden.


Wenn ich mich ungerecht von der Welt behandelt fühle, dann hänge ich in dieser egozentrischen Perspektive fest, egal ob die beschuldigten Mutter, Vater Staat , der Chef, der Kapitalismus oder ein sonstiger Adressat ist.
Dass ich tatsächlich mal schlecht behandelt wurde, kann sein, aber warum willst Du daran für alle Zeiten festhalten. Es ist schon gut zu weinen und zu schimpfen und aus seinem Herzen keine Mördergrube zu machen – Wohl dem, der dazu fähig ist – aber Du musst aus dem Muster raus, dass die Welt es immer schon schlecht mit Dir meinte und das ewig so weitergeht.
Ist aber hier keine Therapiestunde, darum breche ich das hier mal wieder ab.

Teh Asphyx hat geschrieben:Habe ich beim Lesen eher gegenteilig empfunden, es scheint mir eher darum zu gehen, dass man eben weder sich selbst, noch irgendwem anders Vorwürfe macht, sondern über die Erkenntnis über lesen Zustand hinauswachsen kann.


Wenn das so bei Dir angekommen ist, ist das gut, darum geht es in der Tat.

Teh Asphyx hat geschrieben:Das habe ich bei ihr aber auch ganz anders verstanden. Für sie ist es eher so, dass es eine gesunde Form von Narzissmus und eine gestörte Form davon gibt


Das ist richitg.

Teh Asphyx hat geschrieben:und letztere tritt dann auf, wenn das Kind seine Gefühle und Interessen nicht richtig äußern darf, bzw. ein Mangel an Empathie von den Eltern ausgeht.


Das ist bedingt richtig, das ist eine der Varianten die pathologischen Narzissmus verursacht.

Teh Asphyx hat geschrieben:In dem Fall führt es dazu, dass der Narzissmus ein Ventil braucht, bei vorhandener Empathie wird das Kind sich gesund entwickeln.


Ja, ist nicht ganz falsch und nicht ganz richtig.

Teh Asphyx hat geschrieben:Quatsch, das Trauma entsteht doch nicht dadurch, dass das Kind Leid erfährt, sondern dadurch, dass es dieses Leid nicht fühlen darf.


Nein, das ist grob falsch. Die Hauptursache für path. Narzissmus ist Aggression und zwar nicht einmalige sondern chronische. Das kann chronische Missachtung sein, ein Kind das nicht als Kind geliebt wird, sondern für seine Leistungen bewundert, so ein Vorzeigepüppchen, das zeigen muss, was es kann, wenn mal Besuch da ist, es ist leider oft die Erfahrung andauernden Gewalt in Form von Schlägen, Sadismus oder Prügelszenen denen das Kind als völlig verängstigter Zeuge dauernd ausgesetzt ist.

Teh Asphyx hat geschrieben:Es gibt Ansätze wie die Antipädagogik (die auch mit GfK nach Rosenberg arbeitet, und von Esowatch als Kindesmisshandlung bezeichnet wird) und im englischen Sprachraum Attachment Parenting, die sehr wohl damit in Einklang gehen und die Erfahrungsberichte, die ich da kenne (von Eltern, die da wirklich konsequent sind) sind durchweg positiv (wird aber immer wieder von Leuten schlecht gemacht, die sich nicht vorstellen können, dass Kinder ohne absichtlichen Zwang und Gewalt aufwachsen können).


Das will ich gerne eingestehen und lass uns Esowatch vergessen.
Neill hat es vorgemacht und Erfolge gehabt, aber so lebt niemand und bei dem Versuch Deiner Eltenr ist ja auch was schief gegangen.

Teh Asphyx hat geschrieben:Der Unterschied zwischen antiautoritäter Erziehung und Antipädagogik ist der, dass Kinder bei der Antipädagogik nicht allein gelassen werden und Grenzen auch nicht als negativ angesehen werden, sondern das Kind damit konfrontiert wird, dass jeder Mensch Bedürfnisse hat und der Konflikt mit den Bedürfnissen anderer die Grenze des Auslebens der eigenen darstellt (wo dann über gewaltfreie Kommunikation ein Konsens gesucht wird, das ganze dürfte Habermas eigentlich sehr gefallen). Das begreifen Kinder sogar erstaunlicherweise entgegen üblicher Erwartungen äußerst früh.


Das ist aber auch Kern konventioneller Erziehung, dass man dem Thorsten nicht einfach das Schüppchen über die Omme ziehen darf. Ich will diese Ansätze gar nicht klein reden, aber sie sind halt nicht sehr verbreitet.


Teh Asphyx hat geschrieben:Aber ich kann mir vorstellen, dass es sich für viele im Nachhinein wie ein Versagen anfühlt und das lieber versucht wird zu kaschieren, indem man sich immer wieder selbst beweihräuchert, anstatt sich dieser Enttäuschung offen zu stellen und zu akzeptieren.


Ja, aber Du kannst niemanden zu dieser Einsicht zwingen, der nicht will oder kann und hast auch nicht die Aufgabe die Welt zu retten, sondern erst mal nur Dich.

Vollbreit hat geschrieben:Ja, Žižek ist ein ungewöhnlicher Marxist, der im Resultat zu vielen Aussagen kommt, die ich durchaus teilen würde, dennoch werde ich mit dem Kommunismus nicht warm.

Teh Asphyx hat geschrieben:Nach Althusser, den Žižek wohl sehr schätzt, war es auch ein Fehler von Lenin anzunehmen, das kommunistische Manifest hätte noch Gültigkeit nach der Wende, die bei Marx stattgefunden hat, nachdem er den Hegelianismus überwunden hat.


Ich habe immer Schwierigkeiten, wenn es darum geht, den Marxismus/Kommunismus von seiner real existierenden Variante zu säubern. Aber auch das ein eigenes Thema.

Teh Asphyx hat geschrieben: Aber man kann auch der Illusion unterlegen sein, man sei mit sich selbst im Reinen.


Aber wer beurteilt, wer mit sich selbst im Reinen ist, wenn nicht man selbst?

Teh Asphyx hat geschrieben:Da stimme ich ihm vorbehaltlos zu. Ausgerechnet von Ayn Rand gibt es da da ein passendes Zitat: „To say ‚I love you’ first one must be able to say the ‚I’“


Stimmt. :-)

Teh Asphyx hat geschrieben:Beim Narzissten kann die GfK als Kommunikation bestimmt sehr hilfreich sein.


Würde ich eher nicht glauben, da ein Narzisst sich nicht drauf einlassen würde, wenn, dann eher um zu manipulieren.

Teh Asphyx hat geschrieben:Die Frage ist, inwieweit die Quantentheorie nicht doch für Alltagsphänomene zu gebrauchen wäre, da wir ja auch dort an gewisse Erklärungsgrenzen kommen, die nur von vielen Naturalisten gerne geleugnet oder runtergespielt werden.


Hm, da bin ich überfragt.
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