Nach einem Gott fragen heißt Thema verfehlen

Re: Nach einem Gott fragen heißt Thema verfehlen

Beitragvon Vollbreit » Do 3. Mai 2012, 09:06

Lumen hat geschrieben:Ich bin ehrlich, laie, vollbreit: sieht schon Scheisse aus, für Christentum.


Ist schon klar, Lumen, Du bist im Besitz der einzigen Wahrheit, vermutlich im Namen des Pluralismus.
:gott:
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Re: Nach einem Gott fragen heißt Thema verfehlen

Beitragvon Lumen » Do 3. Mai 2012, 09:50

Man kann der Meinung sein, dass die Reformation, ihre Ursachen und Folgen nur "Details" sind. Meine Meinung ist die Interpretation der Ereignisse, aber wohl kaum die Ereignisse selbst. Bei einer halbwegs chronologischen Folge kann man schwerlich Fakten "verdrehen". Stine sprach das Lesen an. Schauen wir mal nach: "Im Mittelalter und zu Beginn der frühen Neuzeit war der Anteil der Lese- und Schreibkundigen gering und konzentrierte sich in den Städten sowie an den Höfen und im Klerus. Impulse zur Ausbreitung der Bildung entstanden unter anderem unter Einfluss der französischen Revolution seit dem letzten Jahrzehnt des 18. Jahrhunderts".
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Re: Nach einem Gott fragen heißt Thema verfehlen

Beitragvon laie » Do 3. Mai 2012, 10:56

Lumen hat geschrieben:War dann erst genügend Chaos geschaffen konnte jene systematische himmlische Überwachungsdiktatur mit Denkzwang, Wissensvernichtung und satanischen Verschwörungstheorien die Europäer in einem eisernen Griff behalten.


Nun ich denke ich nicht, daß die Christenheit des weströmischen Reichs die Schuld dafür trägt, daß im 5.Jahrhundert nur noch ein einziges Buch in der Provinz Gallien öffentlich zugänglich war. Die Situation im weströmischen Teil war nicht so günstig wie oströmischen Teil. Im Westen waren es Mönche, die in unendlicher Mühe das wenige bewahrten, was Interesselosigkeit und Zerstörungswut nicht zum Opfer gefallen war. Lange war der Westen zurück. Erst seit dem 13. / 14. Jh. ist Aristoteles und die gängigen arabischen Philosophen Teil der Wissenskultur, vorher kannten das ein paar Spezialisten.

Lumen hat geschrieben:Der totalitäre Terror wurde soweit getrieben, bis dass die extrem mächtige katholische Kirche durch Luther und die Reformation gespalten werden konnte. Das geht halt nicht mal eben so mit Zettel an Kirchen nageln. Da muss man seine Subjekte schon soweit gepresst haben.


Ich denke nicht, daß die katholische Kirche erst so mächtig werden musste und so dermassen ihre Untertanen drangsalieren musste, damit sich dann der Untertan in der Gestalt Luthers erheben musste. Nein, es ist viel unspektakulärer: die katholische Kirche als Machtapparat hatte ihren Höhepunkt mit Papst Bonifaz VIII überschritten. Im 14. Jh. sehen wir innerliche Kirchenspaltungen (Papstpalast in Avignon), theologische Herausforderungen (Wyclif, Hus, Eckhart) und die Abnahme weltlicher Macht (Prozess gegen die Tempelritter in Frankreich, Ohrfeige von Papst Bonifaz). So ist die kirchliche Macht in Österreich im 16. Jahrhundert so geschrumpft, daß die Inquisition dort von weltlichen Gerichten durchgeführt wird. Es sind nicht Dominikaner, die dort Hexen auf den Scheiterhaufen bringen, sondern regionale Gerichte (Stadräte z.B.).

Kurz: Zerfall aller Orten und dazu kommt jetz noch Luther.

Lumen hat geschrieben:Die Geschichte der Menschenrechte hat einen sehr geringen christlichen Anteil,


Du redest einfach nur so oder? Zeige mir einen Passus in der UN Charta, die direkt auf Kyros oder die römische, vorchristliche Kaiserzeit zurückgeführt werden können. Natürlich scheint es im Perserreich und im Römerreich Toleranz gegeben zu haben ("Pax Augusta"), aber im Römerreich galt dies nur für Menschen mit römischen Bürgerrecht. Und das hatten nie alle.

Nein. Wir brauchen uns gar keinen abzubrechen. Der Einfluss christlich-theologischen Gedankenguts auf die Formulierung der Menschenrechte und auf das Völkerrecht ist nicht "sehr gering", sondern sogar überaus gewaltig. Zur Annäherung

Maritain (Maritain war Fachmann für Thomas von Aquin. Er war Botschafter Frankreichs im Vatikan und arbeitete an der Erklärung der Menschenrechte mit. Nicht als Kleriker!)

zum Begriff gerechter Krieg

Ich verschweige allerdings nicht, daß die katholische Kirche in Rom im 19. Jh. und in der ersten Hälfte 20. Jh. kein Interesse an Menschenrechten hatte. Aber das hatte ein Wissenschaftler wie Max Weber auch nicht. "Rationalistische Fanatismen" nannte er sie. (Muss ein Christ gewesen sein. :lachtot: ).
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Re: Nach einem Gott fragen heißt Thema verfehlen

Beitragvon laie » Do 3. Mai 2012, 11:42

ujmp hat geschrieben:Die Nazis haben quasi-religiöse Gefühle angesprochen und die Menschen, die ihren messianischen Botschaften glaubten, waren einfach sehr dumm. Was den Menschen beigebracht werden sollte, ist eine kritische Haltung gegenüber allem, vorallem gegenüber den eignenen Überzeugungen.


Siehst du, genau um das Mißtrauen der eigenen Überzeugung geht es in der Religion. Wir können auch Demut dazu sagen. Denn um in der Nazizeit zu bleiben: hatten dort nicht zuviele keinen Zweifel? War nicht überwältigt von dem "Himmel hier auf Erden", den die eigene "Rasse" geschaffen hatte, kein Gott? Wir reden uns immer leicht, wenn wir sagen, "ja gut, die waren einfach sehr dumm." Sind wir es nicht mehr? Können wir uns da sicher sein?
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Re: Nach einem Gott fragen heißt Thema verfehlen

Beitragvon Lumen » Do 3. Mai 2012, 12:21

Verstehe mich nicht falsch, laie. Ich finde deine Ausführungen interessant und schlüssig, aber nicht überzeugend um die These anzuerkennen, dass christliche Werte (praktisch) einen hinreichend positiven Effekt hatten, damit ihre mantrahafte Widerholung in heutiger Zeit gerechtfertigt erscheint. Zum einen haben wir weiter früher in der Diskussionen die biologischen Anlagen der Menschen (und seiner nächsten Verwandten) vorgebracht, die ganz gut zeigen, dass bereits kleine Kinder reziprok altruistische Verhaltensweisen zeigen. Zum anderen haben wir die geschichtliche Dimension nun ganz gut auf dem Tisch. Du hast sehr richtig ausgeführt, dass es "weltliche" Gerichte waren und ganz normale Menschen, die die meisten Gräueltaten durchgeführt haben. Tatsächlich war die katholische Kirche (d.h. der Papst) vom Hexenhammer angewiedert und überhaupt nicht angetan, was sich da verbreitete. Aber genau das illustriert meinen Punkt ganz gut, denn es waren keine fiesen Herrscher, die von oben herab nur falsche Dinge gepredigt haben, sondern eben einfache, ganz normale Christen die durch sehr spezifische Glaubensinhalte und genügend Not irgendwie dazu gebracht wurden, ihre Mitmenschen auf beispiellos grauenhafte Weise zu mißhandeln und zu töten. Aus diesem Grund funktioniert das einfache Deutungsmuster "böse Befehlsgeber, demütige Befehlsempfänger" (oder böse Kirche, gute Gläubige etc.) hier nicht und man muss schon große Umwege und Hilfskonstruktionen aufbauen um in diesem Umgang mit Mitmenschen etwas anderes zu sehen, als genuin christliche Glaubensinhalte. Alles, von perfiden Tötungs- und Folterungsmaschinen, bis zum Beibringen der Höllenqualen lässt sich vernünftig und schlüssig auf religiöse Glaubensinhalte zurückführen, die zu der damaligen Zeit gängig waren. Wenn es nur darum ginge, Leute los zu werden, wäre Kehle durchschneiden humaner und schneller gewesen. Aber ein schneller Tod ohne Leiden hätte nach damaliger Ansicht keinen positiven Effekt auf das Sündekonto gehabt. Dabei sind die wirklich alltäglich grauenhaften Vorstellungen des Christentums hier noch unbesehen. Das ist der Nebeneffekt, wenn man sich mit den relativ offensichtlichen Sachen aufhält, kommt man auf die teilweise noch perfidere und bösartigere Stufe darunter kaum mehr, ohne die Diskussion komplett zu sprengen (Hexen und Kreuzzüge sind plakativ, aber eben nur die Spitze des Eisbergs).
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Re: Nach einem Gott fragen heißt Thema verfehlen

Beitragvon stine » Do 3. Mai 2012, 12:43

Lumen hat geschrieben:"Im Mittelalter und zu Beginn der frühen Neuzeit war der Anteil der Lese- und Schreibkundigen gering und konzentrierte sich in den Städten sowie an den Höfen und im Klerus. Impulse zur Ausbreitung der Bildung entstanden unter anderem unter Einfluss der französischen Revolution seit dem letzten Jahrzehnt des 18. Jahrhunderts".[/i]
Eben, sag ich doch. Bevor die Revolution die Arbeiterklasse vorantrieb, lehrte der Klerus Lesen und Schreiben, Kräuterkunde und Bierbrauen. Dass das erst einmal nicht selbstlos geschah, ist etwas anderes. Aber wer sich einmal zu helfen weiß, ist auch nicht mehr zu bremsen, die Folgen der Allgemeinbildung seiner Schüler hat der Klerus vielleicht unterschätzt.

LG stine
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Re: Nach einem Gott fragen heißt Thema verfehlen

Beitragvon stine » Do 3. Mai 2012, 12:50

Lumen hat geschrieben:...sondern eben einfache, ganz normale Christen die durch sehr spezifische Glaubensinhalte und genügend Not irgendwie dazu gebracht wurden, ihre Mitmenschen auf beispiellos grauenhafte Weise zu mißhandeln und zu töten. Aus diesem Grund funktioniert das einfache Deutungsmuster "böse Befehlsgeber, demütige Befehlsempfänger" (oder böse Kirche, gute Gläubige etc.) hier nicht und man muss schon große Umwege und Hilfskonstruktionen aufbauen um in diesem Umgang mit Mitmenschen etwas anderes zu sehen, als genuin christliche Glaubensinhalte. Alles, von perfiden Tötungs- und Folterungsmaschinen, bis zum Beibringen der Höllenqualen lässt sich vernünftig und schlüssig auf religiöse Glaubensinhalte zurückführen, die zu der damaligen Zeit gängig waren.
Woher weißt du das alles?
Zeitgeschichtliche Romanschreiber des frühen 16. Jahrhunderts?

:aengstlich: stine
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Re: Nach einem Gott fragen heißt Thema verfehlen

Beitragvon Vollbreit » Do 3. Mai 2012, 12:57

laie hat geschrieben:
Lumen hat geschrieben:Die Geschichte der Menschenrechte hat einen sehr geringen christlichen Anteil,


Du redest einfach nur so oder? Zeige mir einen Passus in der UN Charta, die direkt auf Kyros oder die römische, vorchristliche Kaiserzeit zurückgeführt werden können. Natürlich scheint es im Perserreich und im Römerreich Toleranz gegeben zu haben ("Pax Augusta"), aber im Römerreich galt dies nur für Menschen mit römischen Bürgerrecht. Und das hatten nie alle.

Nein. Wir brauchen uns gar keinen abzubrechen. Der Einfluss christlich-theologischen Gedankenguts auf die Formulierung der Menschenrechte und auf das Völkerrecht ist nicht "sehr gering", sondern sogar überaus gewaltig.


Hierzu finde ich auch Heinsohn lesenswert:
Gunnar Heinsohn hat geschrieben:„Aller Erfolge zum Trotz handeln die Söhne aus der Estremadura hoch suizidal oder eben tollkühn und todesmutig. Nebenher reicht es ja auch noch für ein paar verlustreiche Gemetzel mit rivalisierenden Spaniern: der Kuba-Gouverneur Velazquez gegen Cortes und Almagro – von der Herkunft ein Findelkind – gegen Pizzaro. Der aber hat gleich drei Brüder dabei, die ihm Suzco sichern. Hier handeln Katholiken und keineswegs Mohammed Attas. Vor jedem Angriff beugen sie Haupt und Knie, um kollektiv vom Herrn den Sieg zu erflehen. In Analogie zum Begriffspaar Muslime und Islamisten wären diese Spanier keine Christen, sondern Christianisten gewesen, denn der Gott Kastilien „liebte Tote mehr als Ungläubige“ (Rowdon 1974, 134). Wie gegen die damaligen Spanier mit Bibelversen von der Liebe und der Lebensheiligkeit nichts auszurichten ist, so erweisen sich heute vergleichbare Koransuren als wirkungslos. Da sie sich – jenseits von Israel und Kaschmir – Eroberungen noch nicht vorstellen können, bleiben die Islamisten einstweilen allerdings negative Conquistadoren, die sich nur Strafen und Zerstörungen zutrauen.
Bevor Religionen also für eine zusätzliche Gewaltbereitschaft sorgen können, müssen diejenigen, die für eine Sache tötungs- oder todeswillig gemacht werden sollen, erst einmal vorhanden und dann ohne attraktive Alternative sein. Gleichwohl ist nicht auszuschließen, dass doch ein Fünkchen Eigenkraft in der jüdischen Ethik steckt. Denn mitten im Morden gibt es Verdammungen von Spaniern durch andere Spanier, die dabei nichts weniger als das Völkerrecht auf den Weg bringen: „Was das Naturgesetz betrifft, weise ich darauf hin, dass es dem Menschen [...] verkündet ist [...] durch das Gesetz des Dekalogs, das auf den mosaischen Tafeln geschrieben war. Eigenart des Völkerrechts [...] ist die Tatsache, dass das Menschengeschlecht, wie sehr es auch in verschiedene Völker und Reiche geteilt ist, doch immer eine gewisse Einheit bildet, und zwar nicht nur eine biologische Einheit, sondern auch die Einheit einer gleichsam politischen, durch das Sittengesetz geforderten Gemeinschaft. Das geht aus dem natürlichen Gebot der gegenseitigen Liebe und Hilfsbereitschaft hervor, die sich auf alle, auch die Fremden erstrecken soll, welcher Nation sie auch angehören mögen [3.Mose19: 18/33]“ (Suarez 1965 [1612], 29/67).
Ob einem Stammeshäuptling, einem Assyrerkönig, einem römischen Konsul, einem osmanischen Sultan oder einem peruanischen Inka mitten im siegreichen Austilgen einmal aus den eigenen Reihen zuregrufen worden ist, dass er ein Verbrechen gegen das „Gesetz Gottes“ begehe? Wir wissen es nicht. Mitten in den Großtötungen der Spanier aber gibt es eine solche Stimme. Sie gehörte Antonio Montesino (1485 -1528 ). Vor den Siedlern, die ihn verfluchen, und selbst vor dem Vizekönig Diego Colon (Sohn des Kolombus) predigt der Dominikaner am 21. Dezember 1511 in Santo Domingo/Hispaniola: „Allesamt befindet ihr euch im Stande der Todsünde. [...] Wieso haltet ihr sie solchermaßen unterdrückt und ermüdet, ohne ihnen zu essen zu geben und ihnen ihre Krankheiten zu heilen, die sie sich bei den von euch auferlegten übermäßigen Arbeiten zuziehen, wenn sie euch nicht sterben, oder, besser gesagt, ihr sie nicht umbringt, weil ihr sie Tag für Tag Gold schürfen und ausbeuten lasst? [...] Haben die denn keine vernunftbegabten Seelen? Habt ihr denn nicht die Pflicht, sie zu lieben wie euch selbst [3.Mose 19: 18/34]? (Gutiérrez 1990, 33).“
( G.Heinsohn, Söhne und Weltmacht, Orell-Füssli, 2003, S.99f)


Nun hat auch Heinsohn die Weisheit nicht gepachtet, aber wenigstens ganz gute Gründe.
Wie einflussreich, diese einzelnen Stimmen nun gewesen sind, darüber kann man streiten.
Zuletzt geändert von Vollbreit am Do 3. Mai 2012, 13:16, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: Nach einem Gott fragen heißt Thema verfehlen

Beitragvon Vollbreit » Do 3. Mai 2012, 13:15

Lumen hat geschrieben: Zum einen haben wir weiter früher in der Diskussionen die biologischen Anlagen der Menschen (und seiner nächsten Verwandten) vorgebracht, die ganz gut zeigen, dass bereits kleine Kinder reziprok altruistische Verhaltensweisen zeigen.


Kein gutes Argument, denn ihr Verhalten wird kulturell überformt.

Lumen hat geschrieben: Aber genau das illustriert meinen Punkt ganz gut, denn es waren keine fiesen Herrscher, die von oben herab nur falsche Dinge gepredigt haben, sondern eben einfache, ganz normale Christen die durch sehr spezifische Glaubensinhalte und genügend Not irgendwie dazu gebracht wurden, ihre Mitmenschen auf beispiellos grauenhafte Weise zu mißhandeln und zu töten.


Ja, es gab auch damals schon die ‚Banalität des Bösen‘.
Beispiellos ist das aber keinesfalls, wie uns das 20. Jahrhundert lehrt.
Und es ist auch keine Erfindung des Christentums und auch nicht des Monotheismus (habe das Buch leider nur auf Englisch):

Ken Wilber hat geschrieben: „‘Human sacrifice was practiced by the Aztecs of Mexico, the Mayas of Yucatan, the Incas of Peru, the Tupinambas and Caytes of Brazil, the natives of Guyana, and the Pawnee and Huron tribes oft North America. In societies that had developed urban setlements, such as those of the Aztecs and Mayas, victims were usually taken to a cenctral temple and lain across an altar where priests would cut out their hearts and offer them to the gods. In the less technologically developed societies of Guayana and Brazil, victims would either be battered to death in the open and then dismembered, or tied up and burned to death over a fire ... . The sacrifice was often accompained by cannibalism. In Tenochtitlan (the Aztec capital), the remains of sacrificed victims were taken from the temples and distributed among the populace, who would cook the flesh in a stew. In Guyana and Brazil, limbs of victims were skewered and roastet over a spit before being consumed. The Caytes of the Brazilian coast ate the crew of every wrecked Portuguese vessel they found. The American anthropologist Harry Turney-High writes: ‚A one meal they ate the first bishop of Bahia, two Canons, the Procurator of the Royal Portuguese Treasury, two pregnant women and several children.‘“
...
(Ken Wilber,Boomeritis, Shambhala 2003, S.259)


Er betont, dass die Europäer ihre eigene Barbaren hatten, aber „the correct conclusion would then be, not that this was the conquest of paradise, but the conquest of one group of savages by another group of savages.“

Ken Wilber hat geschrieben:„Well, the goings-on in paradise were nothing of not exciting. The Aztec empire was what one historian described as ‚a murderously cruel and authoritarian imperial power.‘ Extending across modern central Mexico from coast to coast, it was an empire of warfare and tribute. The sacrificial killings took place on a seasonal basis – four times a year – as well as on special occasions. For approximately half the year the warriors from Tenochtitlan attacked surrounding areas in order to capture sacrificial victims: warriors of other tribes were preferred, since they were more valuable and ths more pleasing to the gods (one cultural-studies historicist marveled at the pluralistic kindness of the Aztec warriors: all this figthing and yet they were very careful not to kill other warriors in battle ...); but slaves, women, and children were also frequently used. Although some estimates put the number of anual human sacrifices at over 100.000, more reliable estimates are in the several thousands.“
„The sacrifices were especially made for Tezcatlipoca, god of earth, and Huitzilopotchtli, tribal deity of the Mexica and god of sun and war. ‚The killings‘, reports Clendinnen, ‚were also explicitly about the dominance of the Mexica and of their tutelary deity: public displays to overawe the watcher, Mexica or stranger, in a state of theatre of power at which the rulers of other and lesser cities, allies and enemies alike, were routinely present.‘
„The executions were usually performed atop the magnificent pyramids built especially for this occasion. ‚The victim walked or was dragged up the temple steps to the platform, was spread-eagled alive across the large killing stone, and was held down by five priests. Four who hold the limbs and one the head. The angle of the plane of the stone meant that the victim‘s chest cavity was arched and elevated. The executioner priest then plunged a knife of flint under the exposed ribs and sawed through the arteries of the heart, which was pulled out and held high as an offering to three gods. ....“
(ebd. S.259f)


Usw. Von Häutungen, aufgespießten Köpfen ist da die Rede und anderen Details.
Diese Rituale, so Joseph Campbell, seien keineswegs einzigartig auf die Azteken oder Amerika bezogen. In China, Mesopotamien und Europa fand man dergleichen. Weltweite Praktiken ungefähr 10.000 v.Chr. in der „guten alten Zeit“.
Ströme von Blut, fremde Krieger, Frauen und Kinder, aber auch mal zwei- bis siebenjährige Kinder aus den eigene Reihen, Niedriggeborene oder Sklaven wurden rituell geopfert.

Ken Wilber hat geschrieben:„Those were common, seasonal sacrifices. What particulary distinguished the Mexica, however, were their great ceremonial slayings (marking the installation of a new ruler, the completion of a new pyramid, or a great war victory). When, in 1487, the Huaxtec launched an unsuccessful revolt, the Mexica gathered up prisoners that numbered somewhat between 20.000 and 80.000 and ritually sacrificed all of them in a four-day period. They were herded into Tenochtitlan; Clendinnen describes ‚the men linked by chords through the warrior perforations in their septums, the maidens and littel boys still too young to have their noses pierced, secured by yokes around their necks, all wailing a pitfil lament.‘ Up the pyramids the were marched: ‚four patient lines stretching the full length of the processional ways and marchaled along the causeways, slowly moving towards the pyramid.'“
(ebd. S.262)
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Re: Nach einem Gott fragen heißt Thema verfehlen

Beitragvon Lumen » Do 3. Mai 2012, 17:41

Ich hab grade wenig Zeit, also demnächst mehr. Es ist unbestritten, dass es auch noch grausamere Religionen als das Christentum gab. In meiner Zeit in diesem Forum kann mich daran erinnern auch mal auf die Spitzenreiter im Grusel, die Mittelamerikaner hingewiesen zu haben. Aber es ist auch ein Symptom für diese Art der Diskussion (und ein erstaulich konsistentes) das immer sehr stark mit roten Herigen gearbeitet wird. Die Grausamkeiten einer mittelamerikanischen Religion validieren nicht den christlichen Weg. Und bei genauem Hinsehen ist der Versuch, das Christentum als das kleinere Übel darzustellen eine deutlich andere Position, als zu behaupten alle (guten) Werte der heutigen Zeit seien aus dem Christentum erwachsen, hätten alles durchtränkt und es gäbe da eine zweitausendjährige Kontinuität des Guten, die nur durch böse Nazi-Schergen und andere Anti-Christen durchbrochen wurde. Bei Christen müssen immer alle andere alles lückenlos darstellen, während sie einfach selbstgefällig annehmen, dass es einen Schöpfergott gibt, der Universen baut, Menschen kreiert und dann gute Werte stiftet. Anstatt mal langsam umzudenken und selber Behauptungen schlüssig zu belegen--und schlüssig vor allem auf vorgetragene Gegenargumente (gute Werte und Vorsatz vs. recht fieses Mittelalter; Kontinuität der Werte bis in die modernen Menschenrechte vs. Nazi-Zeit und Diktatorunterstürzung; usw.). Es fehlt auch die Abgrenzung, warum unsere Werte christlich sein sollten und nicht etwa jüdisch, wenn man schon mit kulturellen Erben hantiert. Läuft das am Ende auf eine Etikett-Frage hinaus? Oder gibt es ein arkanes Kriterium wie "Dauer der Okkupation unter einer bestimmten Flagge"? Auch die Sache mit Erziehung geht nicht auf, denn die Menschen, die den christlichen Glauben angenommen haben, waren ihrerseits bereits erzogen. Warum ist ein Atheist der christlichen Kultur verhaftet, wenn er nachträglich Atheist wird (und seine Kinder später auch so erzieht), aber ein Germane wird sofort durch und durch Christ, sobald er seine Rübe in ein Taufbecken hält? Magisches Denken? Auch ein bereits vorgetragenes Argument. Wir kommen so nicht weiter.
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Re: Nach einem Gott fragen heißt Thema verfehlen

Beitragvon laie » Do 3. Mai 2012, 18:04

Lumen hat geschrieben: Alles, von perfiden Tötungs- und Folterungsmaschinen, bis zum Beibringen der Höllenqualen lässt sich vernünftig und schlüssig auf religiöse Glaubensinhalte zurückführen, die zu der damaligen Zeit gängig waren.


Du hast zuviel Monty Phyton gesehen. Welche Glaubensinhalte waren denn damals gängig (heute dann nicht mehr?), aus denen Tötungs-, Folterungsmaschinen und Beibringen von Höllenqualen schlüssig ableitbar wären? Natürlich kann man gleich bei der Vorstellung an eine Hölle, wo angeblich echtes Feuer brennen soll, beginnen. Um die Grausamkeiten der frühen Neuzeit (bleiben wir einmal in dieser Zeit, hier haben wir sie alle beieinander: Hexenhammer, Indianer, Luther, Las Casas, Goldrausch usw.) hinreichend erklären zu können, brauchen wir keine Höllenstrafen. Dafür reichen Goldgier und Machtstreben.
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Re: Nach einem Gott fragen heißt Thema verfehlen

Beitragvon ujmp » Do 3. Mai 2012, 19:13

laie hat geschrieben:
ujmp hat geschrieben:Die Nazis haben quasi-religiöse Gefühle angesprochen und die Menschen, die ihren messianischen Botschaften glaubten, waren einfach sehr dumm. Was den Menschen beigebracht werden sollte, ist eine kritische Haltung gegenüber allem, vorallem gegenüber den eignenen Überzeugungen.


Siehst du, genau um das Mißtrauen der eigenen Überzeugung geht es in der Religion. Wir können auch Demut dazu sagen. Denn um in der Nazizeit zu bleiben: hatten dort nicht zuviele keinen Zweifel? War nicht überwältigt von dem "Himmel hier auf Erden", den die eigene "Rasse" geschaffen hatte, kein Gott? Wir reden uns immer leicht, wenn wir sagen, "ja gut, die waren einfach sehr dumm." Sind wir es nicht mehr? Können wir uns da sicher sein?


Ich hab in diesem Forum an anderen Stellen schonn mhermals gezeigt, dass gerade Religiöse diese Demut eben nicht haben. Denn die Religion hat auf alles eine Antwort, ein "Wir wissen es nicht" ist ihr völlig fremd. Besonders dem "unfehlbaren" Auftreten der Kath. Kirche ist das fremd. Sich unter eine angenommene "absolute Wahrheit" zu beugen ist Hochmut, nicht Demut, weil es ein selbstherrliches Urteil über die "Wahrheit" beinhaltet. Und das ist dann genau der Punkt, mit dem die Rattenfänger punkten: Die Religion hat die Menschen auf eine Heilserwartung konditioniert, eine Erwartung dass irgend ein religiöses Verhalten, irgend ein unfehlbarer Messias sie erlösen könne. Das gibt es aber nicht. Es ist alles Versuch und Irrtum - und zwar ganz, ganz viel Irrtum. Das ist eine Beobachtung mit der man Frieden schließen sollte, statt immer wieder auf irgendwelche Zampanos reinzufallen.

Und heute hält man Menschen für dumm, die an Hexen glauben. Der geistige Gehalt der völkischen Ideologie war nicht viel anspruchsvoller. Ich find, man sollte die Sache nicht zu kompliziert machen, die Deutschen sind auf Märchenonkels reingefallen. Die Generation, die das betrifft, musste damit klarkommen und hat eine Menge zur ihrer Entlastung erdichtet. Aber das ist alles vergangenes Jahrhundert. Heute würde einer wie Hitler nicht mehr durchkommen, einfach weil die Menschen politisch nicht mehr so ungebildet sind.
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Re: Nach einem Gott fragen heißt Thema verfehlen

Beitragvon stine » Do 3. Mai 2012, 19:51

Das war übrigens die Eingangsfrage:
fritz-ferdinand hat geschrieben:Kann irgendetwas, was ich vor meinem Tod tue, eine negative Konsequenz für mich nach dem Zeitpunkt meines Todes haben?

Ich würde sagen, solange wir nicht wissen, welche Metamorphosen Materie durchmachen muss, bis die Welt untergeht, ist es angesagt sich so zu verhalten, dass man alles zum Besten vorfindet, sollte man in einem nächsten Leben wieder kommen müssen.

:winkgrin:
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Re: Nach einem Gott fragen heißt Thema verfehlen

Beitragvon Vollbreit » Do 3. Mai 2012, 20:42

Lumen hat geschrieben: Und bei genauem Hinsehen ist der Versuch, das Christentum als das kleinere Übel darzustellen eine deutlich andere Position, als zu behaupten alle (guten) Werte der heutigen Zeit seien aus dem Christentum erwachsen, hätten alles durchtränkt und es gäbe da eine zweitausendjährige Kontinuität des Guten, die nur durch böse Nazi-Schergen und andere Anti-Christen durchbrochen wurde. Bei Christen müssen immer alle andere alles lückenlos darstellen, während sie einfach selbstgefällig annehmen, dass es einen Schöpfergott gibt, der Universen baut, Menschen kreiert und dann gute Werte stiftet. Anstatt mal langsam umzudenken und selber Behauptungen schlüssig zu belegen--und schlüssig vor allem auf vorgetragene Gegenargumente (gute Werte und Vorsatz vs. recht fieses Mittelalter; Kontinuität der Werte bis in die modernen Menschenrechte vs. Nazi-Zeit und Diktatorunterstürzung; usw.).


Da müssen wir eine unterschiedliche Wahrnehmung haben.
Du fühlst Dich da irgendwie motiviert anderen permanent etwas erklären zu müssen, was sie gar nicht bezweifeln, nur dass Deine Darstellung von Einseitigkeiten eben nur so trieft.
Du bist es doch, der ständig versucht dem Christentum alle Übel dieser Welt an den Hals zu dichten – und nur ihm und nur diese –, von Kreuzzügen, über Naziverstrickungen bis zum Kinder ficken, in einer Weise die schon nicht mehr nur polemisch zu nennen ist.
Nun, ich will hier nur für mich sprechen, da sowohl laie als auch stine eine je eigene Position vertreten und ganz gut selber klar machen können, worum es ihnen geht.

Ich mache eigentlich nichts anderes, als Deine Behauptungen zu prüfen.
Sind Christen also besonders brutal gewesen? Nö, eigentlich nicht. Das rechtfertigt weder Morde, noch ihre Brutalitäten, aber ansonsten.
Haben nur die Christen mit den Nazis kooperiert, oder besonders intensiv? Nö. Eigentlich waren doch gerade viele Christen im Widerstand, Katholen eher als Evangelen, die Spitze der rkK eher nicht, aber das leugnet doch auch niemand. Ansonsten war natürlich in Deutschland jeder im Widerstand gegen die Nazis, das ist ja bekannt.
Kommt Kindesmissbrauch nur in den Kirchen vor? Nein, dort ist er her unterpräsentiert, wenn man glauben darf, was man so liest. Ort Nummer 1 ist die eigene Familie und dann kommen alle Institutionen, die von der Außenwelt isoliert sind und die ein stark asymmetrisches Machtgefälle haben, auch Kirchen.

Das Rumgewurschtel kommt doch dann aus eurer Ecke.
Da wird aus den Nazis und den Kommunisten noch schnell eine „quasireligiöse“ Vereinigung gemacht, damit man das Wort religiös, was hier nun wirklich nicht passt, noch reinpressen kann, ohne rot zu werden. Und dann erzählt ihr was von „Tatsachen“. Naja.
Überall hatten Christen dann ihre schlimmen Finger drin, aber geprägt haben sie natürlich in Europa gar nichts. Der Widerspruch könnte auffallen.

Aber Du drehst das um und behauptest, alle Welt würde leugnen oder verharmlosen, dass es christliche Kooperation mit den Nazis, sexuellen Missbrauch von Kindern oder Kreuzzüge gab.
Schreib doch mal bitte, wer das hier an welcher Stelle geleugnet hat?
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Beitragvon Nanna » Do 3. Mai 2012, 23:49

Ich habe gerade keine Zeit, mich mit einem längeren Beitrag einzumischen, und ich finde das Gehacke auch nicht produktiv. Eine Kleinigkeit hat mich aber angesprungen, die würde ich gerne kurz klären:

Vollbreit hat geschrieben:Da wird aus den Nazis und den Kommunisten noch schnell eine „quasireligiöse“ Vereinigung gemacht, damit man das Wort religiös, was hier nun wirklich nicht passt, noch reinpressen kann, ohne rot zu werden. Und dann erzählt ihr was von „Tatsachen“. Naja.

Lassen wir die "Tatsachen" mal außen vor, aber zur Frage quasireligiöser Ideologien: Da muss ich den anderen in der Sache (!) beiseitespringen, weil das tatsächlich in Politikwissenschaft und Theologie durchaus eine anerkannte, wenn auch nicht unumstrittene, Sichtweise ist. Ein wichtiger Vertreter der Ansicht, dass es sich bei Faschismus und Kommunismus um "politische Religionen" (sic) handelt, ist Eric Vögelin (noch nie gehört? Hier lang: http://de.wikipedia.org/wiki/Eric_Voege ... Religionen). Bevor die Finger jetzt zum Widerspruch in die Tasten greifen, möchte ich hinzufügen, dass gerade Vögelin eher noch die These von stine und laie von der christlich/religiösen Durchdrungenheit der europäischen Kultur und des religiösen Erbes Europas stützen würde, ich ziehe hier also hier nicht einfach den mir in jeder Hinsicht genehmsten Philosophen zur Deckung heran.

Auch die von den Jakobinern eingeführte politische Ideologie, deren konkrete Ausformungen trotz unterschiedlichster utopischer Inhalte strukturell in vielen Kontexten ähnlich aufgebaut sind (in ihren Begründungs- und Folgerungsmechanismen gleichen sich die Totalitarismen alle sehr, nur der Inhalt und v.a. der Kern des Partikularismus (Religion, Ethnie, Nation, Klasse, etc.) sind austauschbar), übernimmt eine ganze Reihe religiöser Konzepte. Wichtigster Unterschied zwischen Religion und Ideologie ist, dass in der Ideologie propagiert wird, dass durch kollektive Anstrengung das Heil im Diesseits erreichbar sei, wohingegen die Religion das Diesseits als defizitären Ort begreift und dem Individuum Hilfe anbieten will, das Heil im Jenseits zu finden. Deshalb ist Ideologie auch nicht einfach eine Sonderform von Religion, sondern etwas anderes, nimmt aber religiöse Elemente, z.B. die Heilserwartung, in sich auf. Es bricht auch noch lange keinem ein Zacken aus der Krone, nur weil das so (plausibel) ist.

Vollbreit hat geschrieben:Überall hatten Christen dann ihre schlimmen Finger drin, aber geprägt haben sie natürlich in Europa gar nichts. Der Widerspruch könnte auffallen

Sofern das auch an mich ging: Es gibt nicht nur die Sätze "Das Christentum hat Europa geprägt" und "Das Christentum hat Europa nicht geprägt". Natürlich hat es Europa geprägt, stark sogar, aber nicht nur und nicht für alle Zeiten, d.h. Europa wird nicht zwangsläufig immer "christlich" sein, selbst wenn alle Kirchen Museen wären und die öffentliche Rhetorik keinerlei christliches Vokabular mehr kennte. Das Erbe verwäscht und irgendwann ist es so weit verdünnt, dass es nicht mehr korrekt ist, das Label Christentum draufzupappen. Dass christliche Elemente noch anzutreffen sein mögen oder auf dem Entwicklungsweg eine Rolle gespielt haben, wird dadurch weder geleugnet noch überhaupt tangiert.

Was mir an der These von der religiösen Durchdrungenheit nicht passt, ist, dass ich das Gefühl habe, dass mir mit einem rhetorischen Kniff eine christliche Überzeugung untergeschoben werden soll, die mir angeblich nur nicht bewusst ist und dass ich keine Chance habe, mich aus einem alles überspannenden christlichen Diskurs zu lösen. Das impliziert nämlich, dass manche hier eine objektivere Position einnehmen können als ich, was jeder Diskurstheorie von Habermas bis Focault und jeder Wissenschaftstheorie von Popper bis Adorno widerspricht.
In dem Zusammenhang möchte ich aber auch meine Mitbrights hier bitten, nicht Diskussionsteilnehmer ob ihrer religiösen Überzeugungen oder Sympathien für unqualifiziert zu erklären. Wer das erste ad-hominem-Argument aus der Tasche zieht ("den ersten Stein wirft" in einer bekannten religiösen Allegorie) ist auch dafür verantwortlich, dass der rationale Diskurs (der gegenseitige Anerkennung der Diskussionspartner voraussetzt) nicht mehr stattfinden kann.
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Re: Nach einem Gott fragen heißt Thema verfehlen

Beitragvon laie » Fr 4. Mai 2012, 06:34

ujmp hat geschrieben:ch hab in diesem Forum an anderen Stellen schonn mhermals gezeigt, dass gerade Religiöse diese Demut eben nicht haben. Denn die Religion hat auf alles eine Antwort, ein "Wir wissen es nicht" ist ihr völlig fremd.


Da stimme ich dir zu. Pragmatisch gesehen sind viele Gläubige zu fest im Glauben dergestalt, daß sie sich anderen Überzeugungssysteme überlegen wähnen. Diese Krankheit treffen wir freilich in der religionsfreien Welt auch. Auch im Wissenschaftsbetrieb gibt es ja echten Zweifel nur an den Rändern, etwa nullkommanulleins (0,001) Prozent der Wissenschaftler sind solche, die an überlieferten Theorien zweifeln. Der Rest macht business as usual und das besteht nach Thomas Kuhn darin, "Rätsel zu lösen". Ein Rätsel ist dabei ein Aufgabe, von der man weiss, woraus sie besteht und von der man überzeugt ist, dass sie prinzipiell zu lösen ist. Unerklärliches fällt für solche "normalen Wissenschaftler" in den Bereich Unsauber gearbeitet, Meßfehler, Daten unvollständig. Nur schätzungsweise einer unter hunderttausend zweifelt echt an der bisherigen Aufgabenstellung und den Mitteln, sie zu lösen.

Daß also die jeweils gegenwärtige wissenschaftliche Weltsicht ohne Zweifel die richtige ist, davon sind nahezu alle Zeitgenossen überzeugt. Der vielgerühmte Zweifel, den atheistische Menschen ihren Mitmenschen voraus zu haben scheinen, ist eigentlich nur Makulatur, worauf auch Vollbreit schon hingewiesen hat.
Zuletzt geändert von laie am Fr 4. Mai 2012, 06:57, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: Nach einem Gott fragen heißt Thema verfehlen

Beitragvon ujmp » Fr 4. Mai 2012, 06:57

@laie : Das Merkmal des "Glaubens" (im weitesten Sinne) ist m.E. nicht das Problem einer Weltanschauung. Es gibt aber einen fundamentalen Unterschied zwischen Religion und Wissenschaft, und das ist die Frage, worauf dieser Glaube beruht. Wahrhaft Religiöse verstehen diesen Unterschied nicht, ihnen fehlt der Zwang, eine Deckung zwischen ihrer Gedankenwelt und der Realität herzustellen. Es genügt ihnen, dass sich ihre eigenen Gedanken decken. Nur so schaffen sie es lebenslang in sich Klöstern mit sich selbt zu beschäftigen.
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Re: Nach einem Gott fragen heißt Thema verfehlen

Beitragvon laie » Fr 4. Mai 2012, 07:03

ujmp hat geschrieben:Wahrhaft Religiöse verstehen diesen Unterschied nicht, ihnen fehlt der Zwang, eine Deckung zwischen ihrer Gedankenwelt und der Realität herzustellen. Es genügt ihnen, dass sich ihre eigenen Gedanken decken. Nur so schaffen sie es lebenslang in sich Klöstern mit sich selbt zu beschäftigen.


Gibt's das? Im Ernst, auch im Kloster ist ja die "echte Welt" nicht aussen vor. Auch dort erfährt der Mensch den Schmerz, wenn ihm ein Schrank auf den Fuss rutscht. Man kann vielleicht die Hoffnung haben, wenn man ins Kloster geht, dort drinnen nur mit sich und seinem Geschlechtsteil spielen zu können, aber diese Hoffnung wird wohl ausnahmslos illusorisch sein.
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Re: Nach einem Gott fragen heißt Thema verfehlen

Beitragvon laie » Fr 4. Mai 2012, 07:13

Was mir an der These von der religiösen Durchdrungenheit nicht passt, ist, dass ich das Gefühl habe, dass mir mit einem rhetorischen Kniff eine christliche Überzeugung untergeschoben werden soll, die mir angeblich nur nicht bewusst ist und dass ich keine Chance habe, mich aus einem alles überspannenden christlichen Diskurs zu lösen. Das impliziert nämlich, dass manche hier eine objektivere Position einnehmen können als ich, was jeder Diskurstheorie von Habermas bis Focault und jeder Wissenschaftstheorie von Popper bis Adorno widerspricht.


Nein, nein: Niemand kann ausserhalb von dir eine objektivere Position einnehmen und keinem kommt alleinige Deutungshoheit zu. Du kannst natürlich weiterhin der Meinung sein, das Christentum habe nur einen vernachlässigbaren Einfluß auf die europäische, aufgeklärte Geisteswelt gehabt.
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Re: Nach einem Gott fragen heißt Thema verfehlen

Beitragvon Vollbreit » Fr 4. Mai 2012, 09:20

@ Nanna:

Man kann Begriffe immer so und so verwenden, auch den der politischen Religion oder der Quasireligion.

Wenn man sie breit fassen will, dann bedeuten sie ja gerade, dass es in explizit nichtreligiösen Ansätzen, religiöse Elemente gibt. Du führst es selbst aus:

Nanna hat geschrieben: Auch die von den Jakobinern eingeführte politische Ideologie, deren konkrete Ausformungen trotz unterschiedlichster utopischer Inhalte strukturell in vielen Kontexten ähnlich aufgebaut sind (in ihren Begründungs- und Folgerungsmechanismen gleichen sich die Totalitarismen alle sehr, nur der Inhalt und v.a. der Kern des Partikularismus (Religion, Ethnie, Nation, Klasse, etc.) sind austauschbar), übernimmt eine ganze Reihe religiöser Konzepte. Wichtigster Unterschied zwischen Religion und Ideologie ist, dass in der Ideologie propagiert wird, dass durch kollektive Anstrengung das Heil im Diesseits erreichbar sei, wohingegen die Religion das Diesseits als defizitären Ort begreift und dem Individuum Hilfe anbieten will, das Heil im Jenseits zu finden.


Was aber nur bedingt stimmt.
Es gibt fast immer eine Religion fürs Volk, die entsprechend schlicht ist, vergleichbar mit der Demokratie fürs Volk, die von dem Einzelnen nichts fordert Demokrat zu sein, im Sinne eines aktiven Verständnisses der demokratischen Verfassung, sondern nur, sich an die für alle verbindlichen und verständlichen Spielregeln zu halten (oft ohne den Sinn dahinter zu erfassen).

Niemand wird jedoch in einer Demokratie davon abgehalten, die Demokratie besser zu verstehen und so wird auch niemand davon abgehalten sich näher mit Religionen zu befassen. Nicht alle Aspekte von Religionen sind mit einer reinen Jenseitigkeit behaftet. Die meisten Anweisungen betreffen ja doch das Diesseits und das ins Jenseits wirkende Sündenkonto kann ja auch abgearbeitet werden, mitunter in letzter Sekunde. Auch Diskussionen um die Theodizee befassen sich mit dem Diesseits und die Mystik in nun von expliziter Diesseitigkeit.

Nanna hat geschrieben:Deshalb ist Ideologie auch nicht einfach eine Sonderform von Religion, sondern etwas anderes, nimmt aber religiöse Elemente, z.B. die Heilserwartung, in sich auf. Es bricht auch noch lange keinem ein Zacken aus der Krone, nur weil das so (plausibel) ist.


Das sehe ich ja auch so.
Typisch ideologisch ist eben die eigenen Stärken mit den Schwächen der anderen zu vergleichen, das kann nun jeder.
Anspruchsvoller und unideologisch wäre es die eigenen Stärken und Schwächen mit den Stärken und Schwächen der anderen zu vergleichen.
Intellektuell zu sein, heißt immer wieder Selbstkritik zu üben, die eigene Position und Denkweise immer wieder in Frage zu stellen. Ob das allein nun seligmachend ist, das weiß ich nicht, ich habe da begründete Einwände, ich glaube mit Intellektualität allein ist im wörtlichen Sinne kein Staat zu machen.

Nanna hat geschrieben:Das Erbe verwäscht und irgendwann ist es so weit verdünnt, dass es nicht mehr korrekt ist, das Label Christentum draufzupappen.


Ja, natürlich.
Wann das der Fall ist, darüber mag man streiten, ich habe an einem solchen Streit kein Interesse, weil es mir völlig egal ist.

Nanna hat geschrieben:Was mir an der These von der religiösen Durchdrungenheit nicht passt, ist, dass ich das Gefühl habe, dass mir mit einem rhetorischen Kniff eine christliche Überzeugung untergeschoben werden soll, die mir angeblich nur nicht bewusst ist und dass ich keine Chance habe, mich aus einem alles überspannenden christlichen Diskurs zu lösen.


Zum Teil ist das mehr als ein rhetorischer Kniff.
Ich habe bspw. überhaupt keine religiöse Erziehung genossen. Atheistisch im besten Sinne, aber nicht antitheistisch, sondern Religion spielte in meiner Erziehung im Grunde überhaupt keine Rolle.
War auch zu Hause kein Thema, außer dass bei uns das frömmlerische Getue der Katholiken nicht gut angesehen war, aber nicht weil sie katholisch waren, sondern wegen der vermuteten Doppelmoral.
Formal bin ich Evangele, was bei den Evangelen (in Deutschland) mehr als bei Katholen so aussieht, dass man selten bis nie eine Kirche von innen sieht. Auch den Besuch Weihnachts- und Ostermessen gab es bei uns nicht. Ob Konfirmationsunterricht oder nicht, wurde mir frei gestellt, ich bin dann nicht konfirmiert worden, weil ich nicht zum Unterricht gegangen bin.
Ich bin zudem Stadtkind, da war das überhaupt kein Problem.
Garniert wurde das Ganze damit, dass ich in meiner Jugend naturwissenschaftliche Bücher verschlungen habe und dann irgendwann mal die Bibel zur Hand nahm, um zu schauen, ob da wirklich so dummes Zeug drin steht und mich kopfschüttelnd fragte, warum intelligente und erwachsene Menschen ernsthaft an so etwas glaube können, was doch wirklich in nahezu allen Punkte widerlegt war, von der Schöpfung bis zur Auferstehung und allem dazwischen.

Aber dennoch habe ich kein Problem damit anzuerkennen, dass unsere Gesellschaft auch christlich geprägt ist. Das muss man ja gar nicht affirmativ oder mit einem Ausschließlichkeitsanspruch belegen, sie ist auch von der frz. Revolution geprägt, halb katholisch und halb evangelisch, zudem wissenschaftlich, wirtschaftlich, durch die 68er Bewegung und so weiter, zurück sicher bis zu dem Griechen, Ägyptern und Urgermanen.

Es ist aber halt auch eine ganze Menge Christentum drin, vor allem vermutlich bei den Werten.

Nanna hat geschrieben:Das impliziert nämlich, dass manche hier eine objektivere Position einnehmen können als ich, was jeder Diskurstheorie von Habermas bis Focault und jeder Wissenschaftstheorie von Popper bis Adorno widerspricht.


Du hast doch selbst irgendwo geschrieben, Du seist – leider – einige Jahre religiös erzogen worden.
Was meinst Du denn, wie es dazu kam? Das ist für viele der Normalfall und doch gelebter Ausdruck dieser Prägung. Du kannst ja sagen, dass Du mit diesen Vorstellungen nichts anfangen kannst und sie hinter Dir lassen möchtest, aber das macht doch überhaupt nur Sinn, auf dem Boden dieser Prägung.
Und selbst ich atheistisches Kind habe ja in die Bibel als Vergleichswerk geguckt und nicht in den Koran oder das kommunistische Manifest.

Nanna hat geschrieben:In dem Zusammenhang möchte ich aber auch meine Mitbrights hier bitten, nicht Diskussionsteilnehmer ob ihrer religiösen Überzeugungen oder Sympathien für unqualifiziert zu erklären. Wer das erste ad-hominem-Argument aus der Tasche zieht ("den ersten Stein wirft" in einer bekannten religiösen Allegorie) ist auch dafür verantwortlich, dass der rationale Diskurs (der gegenseitige Anerkennung der Diskussionspartner voraussetzt) nicht mehr stattfinden kann.


Was mich angeht, so gehen meine religiösen Überzeugungen auch heute noch schwer gegen Null.
Was mich stark interessiert ist Mystik, aber eben mehr als Erfahrungswissenschaft, denn als Glaube.
Das ist aber eine andere Geschichte.
Die Wende in meinem Verhältnis zur Religion ist bei mir durch ein Buch von Deschner eingetreten.
Ich habe eine Zeit lang mit einer gewissen Lust Enthüllungs- und Empörungsbücher gelesen, über dieses und jenes z.T. auch über Religion. Ranke-Heinemann, ein Buch über „Die katholische Mafia“ (Mettner oder so), den Drewermann-Ausschluss und noch ein paar andere, mal bessere, mal schlechtere, mal genauer mal oberflächlicher, unsystematisch und eher so zur Belustigung, um auf die Doofen herabzublicken. Die übliche narzisstische Befriedigung. Dann las ich von Deschner und seinem mehrbändigen Opus, ich glaube irgendwo im 2001 Verlag. Fand ich spannend, wollte aber erst mal reinschnuppern und kaufte mir „Abermals krähte der Hahn“. Auch ein dickes Ding, das ich nicht ohne Lust zu lesen begann, eine Lust die schnell verflog, weil ich das Buch von Seite zu Seite unglaubwürdiger fand.
Da gab es nun wirklich nichts, was auch nur entfernt nach Kirche roch und auch nur ansatzweise richtig gelaufen sein soll. Das fand ich dann ein wenig zu dick aufgetragen, zu einseitig und die Lust verging mir. Es taugte auch nicht als Munition gegen die Kirchenleutchen, weil ich Deschner selbst nicht mehr ernst nehmen konnte.
Ich lernte zu differenzieren – hoffe ich zumindest – dass es berechtigte Kritik und billige Polemik gibt und natürlich auch ganz einfach hasserfüllte Pamphlete. Insofern war ich mit dem Thema Dawkins auch schnell durch, auch wenn ich einen gewissen Sinn in seinen Büchern sehe und mich sogar freue, wenn es einigen gelingt mit dem „Gotteswahn“ aus einer ängstlichen Umklammerung religiöser Erziehung zu entkommen, habe ich schon erlebt.

Nur, das ist die andere Seite, die gerne unterschlagen wird: Das Spektrum der Normalchristen ist sehr breit und ich kenne in der Tat Fundamentalisten (nicht militant, aber wirklich fundamental – nur entgegen dem Klischee sehr intelligent), ich kenne U-Boot Christen, Leute die irgendwie glauben, ansonsten, so weit ich das erkennen kann, ein völlig normales Leben führen, ich kenne Leute die wirklich täglich in die Kirche rennen – ich habe mal vor Jahren, in den Ferien eine kath. Kirche geputzt, war eine nette Erfahrung – und auch Leute die intelligent, weltoffen, locker und ganz selbstverständlich kirchlich engagiert sind, ohne irgendwie penetrant zu sein.

Entgegen dem Klischee haben ja auch Christian Pfeiffer (et al.) herausgefunden, dass die Christen in Deutschland überdurchschnittlich wohlhabend und gebildet sind. Nicht zuletzt haben die Ansichten von Kernberg oder Habermas und einige andere mich dazu gebracht, meine einseitig religionskritische Einstellung ein wenig zu ändern, nüchtern muss man einfach sagen, dass religiös zu sein, vermutlich sogar eher ein Vorteil als ein Nachteil ist.
Man muss das Thema schon grob verzerren und einseitig auf die naturwissenschaftliche „Faktenlage“ verkürzen, um zu einer anderen Ansicht zu kommen.
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