Nanna hat geschrieben:Die Frage ist doch, da sind wir uns im Groben glaube ich auch einig, dass die Herleitung konsistent und mit den physischen Gegebenheiten übereinstimmend erfolgen muss. Das Problem bestimmter Konstruktionen ist, dass sie sich auf Entitäten beziehen, von denen wir Naturalisten ziemlich sicher sind, dass sie nicht existieren. Meistens ist das Gott, dessen Existenz wir ablehnen und den wir folglich auch nicht als Quelle moralischer Handlungsanweisungen akzeptieren können. Nun gibt es aber auch diesseitige Moralphilosophien, die den Rückgriff auf transzendente Entitäten vermeiden, z.B. die Habermas'sche Diskursethik.
Nein, mir ist keine Moralphilosophie bekannt, die nicht auf bestimmten metaphysischen Konstrukten aufbaut (sei es "das Gute"/"Selbstlosigkeit"/"Die Pflicht"/"Die Tugend(en)"/"Freiheit"/"Der freie Wille",etc.), folglich sind Moral und Ethik als Konstrukte auch nicht konsistent. Du kannst mir gerne die Diskursethik nahebringen, ich bin mri sicher, dass irgendeiner dieser Punkte in Voraussetzungen oder in der Motivation auftreten soll.
Nanna hat geschrieben:Ich würde sagen, dass sämtliche Konstrukte, die sich auf transzendente Entitäten in einem ersten Arbeitsschritt ausgemustert werden können. In einem zweiten würden wir uns dann die immanenten Moralkonzepte ansehen und auf innere Konsistenz und gültige Prämissen prüfen. Von denen, die übrig blieben, könnten wir im Prinzip relativ frei wählen, so wie wir, um bei der Softwaremetapher zu bleiben, auch zwischen Betriebssystemen wählen können.
Inwiefern ist eine allgemeine Mora/Ethik nicht ein auf transzendente Entitäten basierendes Konstrukt? Ich halte sie für genauso ireell wie einen Gott, sie sind nutzlos, nicht begründbar, nicht notwendig oder auf den zweiten Blick erstrebenswert.
Nanna hat geschrieben:Gegenfrage: Ist Logik nicht auch ein Konstrukt, das wir genau und im Prinzip ausschließlich wegen seines praktischen Nutzens verwenden?
Hmm, gute Frage, allerdings basiert es nicht auf transzendenten Vorraussetzungen. Wir gehen ja aus praktischen Gründen von Gleichförmigkeit und Kausalität aus (auch wenn die Antizipation nach Hume formell nicht logisch ist, damit widerspricht er sich aber selbst, wenn er mit Logik argumentiert). kausalität können wir beobachten, Gleichförmigkeit auch, also ist die Logik ein höherwertigeres Konstrukt als die Moral/Ethik, die lediglich ihren vermeindlichen praktischen Nutzen vorzuweisen hat.
Nanna hat geschrieben:Deine Radikalablehnung von Konstrukten ist meiner Meinung nach auf tönernen Füßen gebaut, weil sie genau hier ein Selbstanwendungsproblem hat.
Daher nochmal ein Hinweis auf den zentralen Kern meines vorigen Beitrags: Ich bezweifle, dass wir überhaupt außerhalb von Konstrukten denken können. Die einzige Möglichkeit den Konstrukten zu entkommen wäre, das Denken einzustellen. Von daher läuft es meines Erachtens mehr auf einen Wettbewerb der Konstrukten hinaus und nicht auf eine Radikalverdammung sämtlicher Konstrukte.
Nun gut, dann benutze ich wieder den Begriff Illusion, um nicht die Diskussion auf die Sprache und das Denken auszuweiten. Konstrukte haben meist einen praktischen Nutzen, manche wie die Logik lassen sich auch durch Empirik begründen. Ich bezeichne mal die Konstrukte oder Illusionen als ablehnenswert, die nicht über ihren vermeindlichen praktischen Nutzen in der Begründung hinausgehen. Dazu gehört für mich die Ethik oder die Freiheit, der freie Wille, usw..
Nanna hat geschrieben:Mit korrespondieren meine ich, dass es eine kausale Verbindung zwischen beiden gibt, die aber möglicherweise unscharf sein kann.
Damit könntest du jedes Konstrukt als korrespondierend betrachten. Sie "korrespondieren" doch schon, wenn wir sie in unserem Denken anwenden.
Das reicht nicht als Begründung, um ein Konstrukt zu legitimieren.
Nanna hat geschrieben:[...]d.h. auch der Schamane, dessen Verständnis vom Blitz unserer Meinung nach weiter von der Wirklichkeit weg ist als das des Physikers, denkt und handelt nicht losgelöst in einer gedanklichen Parallelwelt, sondern ist genauso mit der physischen Realität verbunden wie der Physiker. Beide Interpretationen des Blitzes sind gleichermaßen vom Auftreten des Blitzes abhängig und korrespondieren, man könnte auch sagen: interagieren, sind verbunden, reagieren, auf/mit dem/den Blitz.
Genau das meine ich, mit "korrespondieren" hast du eine schlechte Wahl zur Begründung getroffen. Oder hälst du das Weltbild des Schamanen für ebenso berechtigt wie das des Physikers? Ich nicht, aus genannten Gründen.
Nanna hat geschrieben:Im Grunde ist eine etwas schwammige Verbundenheit mit der physischen Realität damit gemeint. Auch der Physiker hat übrigens kein "wahres" Bild des Blitzes, sondern nur eine sehr präzise Modellvorstellung, die nichtsdestotrotz eine Konstruktion bleibt. Allerdings korrespondiert das Bild des Physikers eben detailreicher mit der Wirklichkeit.
So, und fällt dir kein Problem auf? Nochmal zur Ursprungsfrage: Warum kann ein Bright die Existenz eines Gottes ablehnen, aber nicht die Existenz anderer Illusionen, die genauso stark mit der "Realität" "korrespondieren"?
Im Grunde hast du mir keine Antwort geliefert.
Nanna hat geschrieben:Richtig, aber ich mache ja kein reines Nutzenargument. Religion bezieht sich auf transzendente Entitäten und damit auf Konstrukte, die nicht nur Konstrukte sind, sondern sich darüberhinaus auf Transzendenz berufen. Das tun aber eben nicht alle Gedankenkonstrukte, manche, wie der Naturalismus, kommen auch ohne transzendente Postulate aus.
Doch, im Grunde war dies nur ein Nutzargument. Der Naturalismus und Logik mag ohne Transzendenz auch noch in 3. /4. Begründung auskommen, allerdings nicht die Ethik oder die Idee von Freiheit (wenn wir den vermeindlcihen Nutzen beiseite lassen).
Nanna hat geschrieben:Der Nutzen allein reicht nicht, das Konstrukt muss auch plausibel und konsistent sein. Und da gibt es eben sehr wohl Konstrukte, wie z.B. die Mathematik, die solche Anforderungen problemlos erfüllt und trotzdem ein Konstrukt bleibt. Du setzt meiner Meinung nach voreilig "Konstrukt" mit "frei zusammenfantasiert" gleich, dabei gibt es eben sehr große qualitative Unterschiede zwischen verschiedenen Konstrukten.
Ja, mir ist klar, dass der Nutzen nicht reicht, aber schon beim Schamanen hast du keine weitergehende Begründung für andere Kosntrukte geliefert. Die Mathematik entspricht in sehr präziser Art und Weise unserer Wahrnehmung, der Logik und lässt uns genauer antizipieren. Sie fußt nicht auf Transzendenz. Und man muss die Mathematik eigentlich nicht als Konstrukt bezeichnen, vielmehr eine Art Verhaltensformel zur Verarbeitung von numerischen Informationen, eine Methode. Methoden sind Methoden und keine Konstrukte. Die Ethik würde ich nicht als Methode betrachten, sie ist ein Dogma, das wesentlich unpräziser ist.
Nanna hat geschrieben:Das hat im Prinzip damit zu tun, was ich mit "korrespondieren" meinte. Wenn Softwarebefehle und Elektronenflüsse auf der Leiterplatte konsistent miteinander korrespondieren, funktioniert der Prozess, andernfalls kommt es zu nichtinterpretierbaren Ergebnissen, Endlosschleifen etc.
Diese Endlosschleifen treten auch bei der Moral auf. Vielleicht ist dein Vergleich mit dem PC nicht angebracht, es ist längst nicht jeder Mensch in der Lage, eine Endlosschleife zu erkennen, schließlich existiert die Vorstellung eines Gottes, obwohl wir uns hier einig sind, dass dies eines der unlogischsten Konstrukte ist. Genau das hast du leider mit "korrespondieren" gemeint. Wie gesagt, wenn du damit kommst, lässt sich auch der Gottesglaube erklären und begründen.
Nanna hat geschrieben:Das Problem mit Konstruktionen wie der Moral ist, dass wir hier über wesentlich komplexere Gebilde sprechen als einen im Vergleich doch recht banalen Rechner. Um an der Stelle weiterzukommen, müsstest du vermutlich erst einmal präzisieren, worin du die logische Inkonsistenz sieht.
Nö, die sind nicht komplexer als Religionen: 1. Die Form ist ein Imperativ. 2. Die Begründung so und so zu handeln entspringt transzendenten Konstrukten (die ich schon genannt habe).
Das war auch schon alles.
Die religion ist so betrachtet sogar komplexer als die Ethik.
Ich sehe logische Inkonsistenz in der Begründung durch vermeindlichen Nutzen und/oder durch Metaphysik.
Nanna hat geschrieben:Geht es um innere Inkonsistenz? Oder geht es darum, dass bestimmte Konstrukte zwar intern logisch sind, aber unmöglich zu erfüllende Anforderungen an die soziale Wirklichkeit formulieren? Dann wäre die zu erwartende Gegenfrage, warum eine Sollen-Aussage ("So wäre es besser") überhaupt sinnvollerweise mit dem status quo übereinstimmen müsste, weil man dann schnell in der Tautologie "Es ist richtig, wie es ist, weil ist, was richtig ist" gefangen wäre.
Was meinst du mit "innere" Inkonsistenz (Inkontinenz
)??
Widersprüche? Die sehe ich auch in mir jeder bekannten Ethik oder Moralvorstellung. Die zweite Frage hängt in gewisser Weise mit der ersten zusammen. Es kann nichts intern logisch sein, wenn es nicht der Wirklichkeit enspricht oder sich auf sie bezieht. Tautologische begründungen sind auch intern nicht logisch.
Nanna hat geschrieben:Bei Religionen sehe ich die logische Problematik im Rückbezug auf [unserer Meinung nach] nicht existente Entitäten, womit die Anwendbarkeit auf die Wirklichkeit enorme Defizite hat und nicht klar ist, warum man ein derart defizitäres Konzept anwenden sollte. Bei immanenten Moralphilosophien wird es aber schon schwieriger.
Ja, aber genauso sit es doch mit jeder Ethik! Ich betrachte die Religion als wesentlich komplexer als jede Moralphilosophie; Jede Religion beinhaltet schon selbst eine Moralphilosophie.
Nanna hat geschrieben:Natürlich kann man sagen, dass beispielsweise Habermas' Postulat, dass Kommunikation nur möglich ist, wenn ihr die gegenseitige Achtung der Gesprächspartner als Personen vorausgeht, kaum mit den Mitteln der Physik nachzuweisen sein wird, aber andererseits bringt Habermas verdammt schlagende Argumentionen, die dafür sprechen, dass er eine "Wahrheit" beschreibt und nicht nur ein willkürliches Konstrukt schmiedet.
Er drückt sich schlichtweg ungeschickt aus, mit "Wahrheit" verläufst du dich in deiner Begründung. Ich bin mir sicher, dass eher Aufmerksamkeit (ganz banal) gemeint ist. Allerdings ist das weit weg von Achtung. Ich kann jemanden zutiefst verachten und im trotzdem genau zuhören, seine Motive, seine Welt und seine Ziele kennen und so mit ihm kommunizieren. Wenn wir also gnädig mit ihm sein wollen, sollte man das so sehen.
Nanna hat geschrieben:Wenn wir in Abwesenheit dieser Anerkennung tatsächlich nicht miteinander reden können, diese Anerkennung also für gelingende Kommunikation (damit ist etwas anderes gemeint, als lediglich Information oder Befehle auszutauschen, nämlich sich ergebnisoffen über Konzepte zu verständigen) notwendige
Nein, Stalin und Churchill haben sich zutiefst verachtet und trotzdem gewisse Einigungen treffen können.
Nanna hat geschrieben:Voraussetzung ist, dann kann ich schwer glauben, dass wir auf dieses Konstrukt verzichten können, wenn wir nicht bereit sind, auch auf Kommunikation zu verzichten.
Wie gesagt, die Geschichte zeigt uns, dass Achtung nicht notwendig ist, um zu kommunizieren und Kompromisse zu schließen. Dieser Habermann scheint mir kein Politiker gewesen zu sein.
Nanna hat geschrieben:Und ich denke, dass es hier um weitaus mehr geht, als um reine Nützlichkeit. Wenn ein konstruierter Baustein bei seinem Wegnehmen einen ganzen sozialen Prozess versemmelt, dann muss er in irgendeiner Weise einem physischen Zustand entsprechen (= mit der physischen Wirklichkeit korrespondieren). Wie gesagt: Ohne Software keine Computernutzung, ohne gelingende Kommunikation übrigens auch kein wissenschaftlicher Fortschritt.
Und nochmal: Wenn du einen religiösen Ritus nicht korrekt ausführst, kannst du auch soziale Probleme bekommen (eine physische Korrespondenz).
Nanna hat geschrieben:Sorry, aber ich glaube: Nein, das können wir wirklich nicht, das lässt diese physische Welt, in der wir offenbar existieren, schlichtweg nicht zu. Der Einigungsprozess wäre ja bereits von Gedankenkonstrukten gepflastert. Das Weltbild der Wissenschaft, falls es so etwas überhaupt gibt, kommt ja selbst schon nicht ohne ontologische Grundannahmen und damit Metaphysik aus.
Einigung ist durchaus möglich, wir müssen nicht in letzter Konsequenz das gleiche unter dem Kompromiss verstehen (es gibt immer Interpretationsspielraum), aber zu sagen wir 95% einer Meinung in einem bestimmten Punkt sein. Nach nichts anderem habe ich gefragt, von anderem gehe ich nicht aus.
Und ja, ich denke schon, dass es ein Weltbild der Wissenschaft gibt, welche metaphysischen Annahmen soll es denn bitte beinhalten?
Nanna hat geschrieben: Natürlich hast du vollkommen Recht mit deiner Forderungen nach dem Eliminieren unlogischer Faktoren, das Problem ist nur, dass das, was in einem Kontext unlogisch ist, in einem anderen Sinn machen kann.
Gewisse Dinge "machen" niemals "Sinn". In Frankreich ist eine Gottesvorstellung genausowenig Sinn wir in China. Beim Schlafen genausowenig wie beim Autofahren.
Logik ist Situationsunabhängig.
Nanna hat geschrieben:Mit gewissen Unstimmigkeiten und Ambiguitäten muss man meiner Meinung nach einfach leben und die Streichung präskriptiver Eigenschaften aus dem Denksystem ist, meine ich, weder sinnvoll noch überhaupt möglich. Schon die Aussage "Wir sollen die Sollens-Eigenschaften streichen" ist ja in sich höchst inkonsequent und inkohärent.
Aber wieso einen Widerspruch dulden und den anderen nicht? Das "Sollen" zu streichen ist nebenbei kein Befehl oder keine Aufforderung, sondern ein Konzept, ein Vorschlag, der nicht beansprucht mehr zu sein (sofern du dich auf meine Kritik in anderen Beiträgen beziehst).
Nanna hat geschrieben:Schreib bitte noch "Bedauern" mit auf die Liste.
Dein Hochmut ist unangebracht. Ich kann durchaus das Bild der Menschen von mir erkennen und verstehen, es nutzen. Aber es interessiert mich nicht in erster Priorität, höchstens in zweiter, wenn ich einen Nutzen erstrebe.
Nanna hat geschrieben:Ich habe das selbst über mittlerweile Jahre so gehandhabt, dass ich alles, was mir zwischen die Finger kam, dekonstruiert und in Einzelbestandteile zerlegt habe, bis ich irgendwann festgestellt habe, dass mich das weder glücklich macht noch auf Dauer herausfordert.
Och, wie weit bist du denn gekommen? Bis zum Nihilismus? Mich macht es sehr zufrieden, ein logischeres Weltbild zu besitzen als andere, ich habe dadurch (bewusst metaphyisch ausgedrückt) "inneren Frieden", mein "Nirvana" (Stichwort: Nihilismus) gefunden. Mir bereitet Unlogik Schmerzen.
Nanna hat geschrieben:Die wirklich harte Nuss ist es, Konzepte herzustellen, die tatsächlich sowohl praktisch wie auch theoretisch was aushalten und die auf eine Weise konstruiert sind, die sie transparent und dekonstruierbar macht, ohne dass sie sich als Betrug herausstellen und nicht wieder zusammensetzen lassen.
Das wäre der zweite Schritt, wie es Nietzsche schon festgestellt hat. Bei mir sind einige dieser Konstrukte Empirismus, Egoismus, Utilitarismus.
Das ist aber wesentlich einfacher als schlechte Konstukte als solche zu entlarven. Wenn ich beispielsweise den Theismus als schlechtes Konstrukt identifiziere, ist der "A-theismus" schon quasi die Folge daraus.
Nanna hat geschrieben:Weniger Illusionen, ja, das kann ich mitgehen, das finde ich sinnvoll, Entzauberung von Illusionen und Umwandlung in transparente, im wahrsten Sinne "sinnvolle" Konstrukte, das stelle ich mir dagegen als (sogar einzigen) gangbaren Weg vor.
Gut, dann sind wir uns in diesem Punkt sogar einig. Allerdings unterscheidet sich unsere Wahrnehumung der "sinnvollen" Illusionen.