Nanna hat geschrieben:Die erste Frage, die ich mir stelle, ist, ob du absolut ehrlich zu dir selber bist. Du schreibst, dass du "die Religion" (was auch immer das konkret sein soll, der Begriff ist mehr als unklar und vieldeutig) gerne widerlegst, was mir mehr wie eine routinierte Pflichtübung klingt, als wie ein vollständiges Einlassen auf eine harte Kontroverse.
Diesbezüglich kannst du ihm keinen Vorwurf machen. Dass man schon eine gewisse Routine bei Kontroversen hat, bedeutet nicht, dass man sich nicht auf sie einlässt. Im Umkehrschluss müsste er sich immer wieder neue Argumente überlegen, und das scheint mir unnötig, wenn das Argumentationsmuster von Gläubigen und Religiösen auch immer gleich ist ("Man muss auch mal glauben"/"Es gibt Dinge, die sich nicht erklären lassen"/"Wäre das nicht schön"/"Es bietet Trost"/....).
Nanna hat geschrieben:Anders gesagt, geht es dir tatsächlich um das, was eine "Diskussion" im Kern und Wortsinne ist, nämlich ein kritisches Erörtern einer Idee, oder treibt dich insgeheim doch mehr der Impuls, der Religion vor versammelter Mannschaft so richtig eins auf die Nase zu geben?
Wenn die Argumente korrekt sind, ist es irrelevant, was die Intention ist. Das gibt der anderen Seite nicht Recht, sofern sie sich auf die Intention berufen und nicht auf die Sache an sich und die gebotenen Argumente. Ich denke, dass man in einigen äußerst emotionalen Diskussionen es der anderen Seite nie wird recht machen können, außer man bestätigt sie. Er könnte (genauso wie wir) so freundlich und unprätentiös argumentieren wie er will, wenn man gegen jemandes Gott argumentiert, nehmen das die meisten persönlich. Man kann natürlich richtig gemein argumentieren und das gegenüber lächerlich machen, aber letztere Intention muss nicht zwangsläufig dazu führen.
Nanna hat geschrieben:Bist du, ganz ehrlich, offen für Argumente, die der Religion zugute kämen, oder sind proreligiöse Argumente für dich per definitionem ein Widerspruch in sich selbst? Echte Diskussionen werden immer ergebnisoffen geführt.
Nein, Talkshows werden so geführt. Man darf ruhig zu einem Ergebnis kommen und muss die gegenargumente nicht kpnstlich aufwerten, damit es ausgeglichen aussieht.
Wenn man eine dezidierte Position hat ist es selbstverständlich, dass die Gegenargumente (mit denen man sich bei einer dezidierten Haltung auseinandergesetzt hat) einen nicht überzeugen.
Nanna hat geschrieben:Natürlich hat jede Seite ihre festen Überzeugungen, aber im Zweifel müssen die Grundregeln des Diskutierens, also logische Gültigkeit der Gedankenführung, solide Wahl der Prämissen, Transparenz der Argumentation und nicht zuletzt das Einhalten sozialer Höflichkeitsregeln dem rigorosen Durchsetzen der eigenen Meinung vorgehen.
Meinst du wirklich, dass dies bei einer proreligiösen Haltung möglich ist? Habe ich noch nie erlebt, und du?
Nanna hat geschrieben:Ganz ehrlich: Wie oft hast du konkret schon Diskussionen Fehlargumentationen eingestanden oder sogar aufgrund einer Diskussion Teile deines Weltbildes revidiert (und kein "ich würde ja, wenn jemand gute Argumente bringen würde", das ist der Selbstbetrugsstandardspruch Nr.1)?
Ist mir persönlich nicht oft aber doch wenigstens einmal passiert, die Vorwürfe, die du Andilein machst, passen auch zu meiner Haltung, also kann meine Erfahrung u.U. weiterhelfen (es ging darum, dass Emotionen leider etwas äußerst Bestimmendes und weiterhin Wichtiges für den Menschen sind, damals war ich optimistischer bezüglich des Menschen und meinte das Gegenteil, aber die Biologie lässt kein anderes Urteil zu).
Nanna hat geschrieben:Die zweite Frage, die ich mir stelle, ist die, ob du in diesen Diskussionen auch die soziale Situation berücksichtigst. Manch einer, auch hier im Forum, glaubt, dass in einer Diskussion allein das beste Argument siegt (und meistens natürlich dann das eigene...), weil es das beste Argument ist. Das ist nicht die Weise, wie die soziale Wirklichkeit funktioniert. Man kann sich darüber beschweren, oder man kann versuchen, auf der sozialen Klaviatur kompetenter zu werden und eher zu erkennen, in welchen Situationen bestimmte Diskussionen angebracht sind und in welchen nicht.
Mit anderen Worten, wann man den Mund halten sollte? Das ist eine unterwürfige Geste, die bei interessanten Persönlichkeiten nicht notwendig ist. Mein Freundeskreis akzeptiert und schätzt Ehrlichkeit und kann mit solchen Aussagen umgehen, labilere Gemüter, denen man alles verschweigen muss, sind für mich keine interessanten Personen. Wenn er aber, wie er es beschreibt, von dieser Sorte herausgefordert wird, ist es legitim auch zu antworten, oder meinst du er sollte kuschen, obwohl sie sich unlängst über "den Atheisten" ihre Meinung haben? Was gibt es da zu verlieren?
Und im Forum sehe ich diese Schranke nicht, unsere soziale Interaktion ist nur auf schriftliche Kommunikation beschränkt, es fallen viele Ebenen weg, besonders die der Abhängigkeit innerhalb einer Schulklasse oder dem Arbeiitsplatz. Wenn mich Diskussionen und Themen nicht interessieren, mache ich nicht mit, so machen das die meisten hier wohl auch.
Nanna hat geschrieben: Außerdem wäre es reichlich irrational, zu glauben, man würde sein eigenes Argument immer rational und objektiv präsentieren. Jeder Mensch hat emotionale Vorlieben und viele eingespielte Routinen, und was dem einen offensichtlich erscheint, ist für den anderen überhaupt nicht ausgemacht.
Ausnahmsweise gebe ich dir da Recht; manchmal setzt man Dinge im Wissen voraus, obwohl man es nicht kann.
Nanna hat geschrieben:Man kann schnell Gefahr laufen, auf seinen eigenen subjektiven Einschätzungen Argumente aufzubauen, die man für perfekt logisch hält, obwohl man intuitiv und ohne es zu merken nur einen kleinen Teil der Realität beleuchtet hat
Objektivität ist nicht möglich.
Nanna hat geschrieben:(das Standardargument gegen Religion mit den Grausamkeiten der Kreuzzüge, Hexenverfolgungen etc. ist so eines, wo der Gewaltaspekt im Kontext von Religion einseitig überinterpretiert wird, was dem Vorbringenden aber häufig als "blanke, rationale Wahrheit" erscheint, obwohl sehr viel emotional geprägte Empörung dabei ist).
Ist diese Empörung etwa nicht angebracht? Die kontrareligiöse Position wird nicht durch den hass auf die Religion sachlich falscher, wenn auch emotionaler. Das Leugnen dieser Untaten kommt der Holocaustleugnung gleich und beides empört Menschen zurecht.
Nanna hat geschrieben: Kritisches Denken verlangt aber gerade, dass man solche eingeübten Muster bei sich selbst hinterfragt und sich nicht so schnell zu verabsolutierenden Meinungen hinreißen lässt.
Man kann sie gerne hinterfragen, aber wenn sie sich bewehren und sachlich nicht falsch sind, kann man sie dennoch beibehalten. Auch der zwweiten Aussage stimme ich zu, aber mit der betonung auf "nicht so schnell".
Nanna hat geschrieben:Die Idee, "die Religion" zu "widerlegen", ist meines Erachtens schon so eine Aussage, die vor Pauschalisierung und, ja, Selbstüberschätzung strotzt
Das stimmt allerdings. Man kann sie sowieso nicht widerlegen, sie ist existent, keine Illusion, auch wenn sie im Kern an einer Illusion festhält. Wir können nur versuchen es zu verstehen, die Religion ausradieren oder zu widerlegen ist nicht möglich. Auch wenn es leicht ist, den religiösen oder wie auch immer gearteten Glauben als irrational darzustellen, hat der Glaube eine gewisse Logik, wenn man die Mechanismen der Psyhe betrachtet und feststellt, dass der Mensch gerne glaubt, was er glauben will. Der (religiöse) Glaube ist ein Selbstschutz für Gemüter, die nicht mit Sterblichkeit, Ungerechtigkeit und Sinnlosigkeit umgehen können. Rationalität und Logik sind nicht die einzigen Maßstäbe, auf die es manchmal ankommt. Wenn man unter anderen Prämissen als die gegenseite argumentiert, wird man sie nie widerlegen können.
Nanna hat geschrieben:Die soziale Situation berücksichtigen bedeutet auch, sich klar darüber zu sein, wie man sinnvollerweise seine Argumente rüberbringt. Wer einen stark religiösen Menschen dazu bringen will, über Religion als solche kritischer zu denken, wird mit einer Rundumwiderlegung der Religion wenig bewegen können.
Man sollte es gar nicht erst versuchen.
Nanna hat geschrieben: Oft erreicht man viel mehr, wenn man sich etwas zurückhält und nur erst mal vorsichtig Zweifel sät und die Leute selbst nachdenken lässt.
Zweifel ist der natürliche Feind des Glaubens. Aber wie willst du das bezüglich dieses Themas anstellen? Man kann nie so subtil werden, dass es einerseits auffällt und andererseits Früchte trägt. Kaum reichen zweifelnde Kommentare, wird man als Atheist enttarnt; sind sie jedoch zu subtil, kommt der Religiöse kaum auf den gedanken, es könnte dem Glauben widersprechen. Und ist man zu beharrlich, kommt es zu Situationen, die du beschrieben hast.
Nanna hat geschrieben:Versiert zu diskutieren bedeutet eben auch, seine Argumente rhetorisch geschickt anzubringen und sie für das Gegenüber annehmbar zu machen.
Bei Gläubigen sind das nur Argumente, die sie bestätigen. Ich sehe es nicht so, dass man es der Gegenseite möglichst angenehm machen muss. Aber das ist eine Frage des Stils.
Nanna hat geschrieben:Denn man kommuniziert ja nicht nur den "rationalen" Inhalt, sondern auch andere soziale Signale wie Achtung bzw. Missachtung, Über- bzw. Unterordnung, Hilfsbereitschaft bzw. Rücksichtslosigkeit usw.
Das stimmt. Wenn ich zwischen Über- und Unterordnung entscheiden muss, fällt mir die Wahl nicht schwer.
Nanna hat geschrieben:Wenn man zu rabiat vorgeht, kann es schnell sein, dass das Gegenüber nur noch "Ich bin schlauer als du und du hast das jetzt zu kapieren" hört, deshalb muss man sehr auf seine nonverbale Kommunikation und auf das achten, was man möglicherweise zwischen den Zeilen versteckt.
Das kenne ich, allerdings reicht dazu auch schon ein Blick. Ein paar verzweifelte dumme Puten hatten mal in meiner Schulzeit eine Diskussion versucht vom Zaun zu brechen, weil ich entsprechend meinem Blick sie für "dumm oder so" halte. Die Klassenlehrerin war natürlich eine ganz soziale, konnte mir aber letztlich nichts nachweisen, weil ich nichts zugab und auch nichts entsprechendes behauptete. Abgesehen davon habe ich auch nichts verloren, weil ich 1. keinen Nutzen von einer freundlicheren beziehung zu denen erhalten hätte, 2. sie sich damit selbst ins Abseits geschossen haben, weil sie anfingen bei allen möglichen Leuten Dinge zu kritisieren, die auf ihre eigene Oberflächlichkeit und ihre Defizite deuten ließen, weswegen sie es sich mit der Lehrkraft ordentlich verscherzten. Danach hatte ich bist zum Abi Ruhe. Dass diese Hühner es allerdings so weit gebracht haben (wenn auch nur gerade so), hat mich schon erstaunt, lässt mich aber eher an dem Anspruch der gesellschaft als an meiner Einschätzung über sie zweifeln.
Nanna hat geschrieben:Im Übrigens ist es völlig egal, ob es dabei um Religion, Politik, Kunst, Popkultur oder die Qualität von Zylinderkopfdichtungen geht und ich breche hier auch keine Lanze für die Religion.
Es ist eben nicht egal. Denke an deine eigenen Worte bezüglich Emotionalität und soziale Bedeutung. Kaum ein Konflikt kann so eskalieren wie einer bezüglich des Glaubens oder hast du schonmal von den Kunstkriegen gehört? Es wird wohl auch deiner Erfahrung entsprechen, dass zuerst die Religion, dann die Politik, dann die Kunst, dann um die Popkultur und dann noch um Zylinderkopfdichtungen emotional am geladensten sind.
Nanna hat geschrieben:Mir geht es rein um die Metaebene: Bevor man über inhaltliche Sachen spricht, muss man erstmal klären, wie man überhaupt darüber sprechen kann. Und, sorry, das in aller Offenheit, das Problem liegt nie nur bei der Umwelt
Dein Bild von der Gegenseite ist reichlich idealisierend. Hast du schonmal diesen Mattussek in den Talkshows bezüglich des Glaubens diskutieren sehen? Wie willst du es dem recht machen, außer dass du sagst "ja du und der Katholizismus haben in allen Punkten recht"? Es ist nicht so, dass ich mir versuche auch mal von solchen Diskussionen etwas bezüglich des Stils abzugucken, aber wenn nichtmal Moderation einem solchen Wesen beikommt, ist eine Diskussion aussichtslos.
Ich habe darauf geantwortet, nicht weil es auf mich bezogen war, sondern weil ich eine ziemlich gegensätzliche Position habe. Ich denke, Nanna, dass ich dir gegenüber höflich genug war und deinen Ansprüchen genügte, auch wenn ich auf das eine oder andere klare Wort nicht verzichten konnte.