Luther, ein antisemitischer Psychophat

Re: Luther, ein antisemitischer Psychophat

Beitragvon Nanna » So 7. Okt 2012, 22:02

Yeah, in my face! :tomate:

Aber im Ernst: Als Kind aus einer Küng-interessierten katholischen Familie erzählst du mir da nichts neues. Wollte ich das Christentum verteidigen, könnte ich ja gerade das als Beleg dafür anführen, dass es auch innerhalb des religiösen Lagers reformfähige Leute gibt. ;-)
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Re: Luther, ein antisemitischer Psychophat

Beitragvon Lumen » So 7. Okt 2012, 22:22

Nanna hat geschrieben:(...) Wollte ich das Christentum verteidigen, könnte ich ja gerade das als Beleg dafür anführen, dass es auch innerhalb des religiösen Lagers reformfähige Leute gibt. ;-)


Was ich nicht bestreite. Meine Gebetsmühle lautet ja anders, nämlich das bestimmte Religionen autoritäre und totalitäre Systeme sind. Dafür muss man sie systemisch betrachten. Küng's Kritik oder das Topic sind aus meiner Sicht Symptome. Die Ursachen liegen im System. Wir wissen das ja bereits: je weniger Glaube, umso besser. Je mehr Glaube, umso mehr Probleme. Das ist ja fast eine Binsenweisheit, weil jede Religion im Kern giftig ist. Strenger Glaube wird ja mittlerweile gewohnheitsmäßig als fundamentalistisch bezeichnet.
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Re: Luther, ein antisemitischer Psychophat

Beitragvon Nanna » So 7. Okt 2012, 22:52

Ich denke, unser Naturalismus kommt aus unterschiedlichen Ecken. Ich halte ihn als philosophisch-axiomatische Grundannahme über die Welt für zutreffender als andere Kosmologien, du favorisierst ihn, so erscheint es mir, aus einer religionskritischen Sicht heraus. Die Implikation meines Naturalismus ist, dass Religion - offensichtlich - zur Welt gehört und da erstmal ein Denksystem (nach Luhmann mit der Binärcodierung immanent/transzendent, wenn ich mich recht erinnere) ist, da einfach erstmal da ist und dessen Bewertung in einem separaten Schritt erfolgen kann. Die Implikation deines Naturalismus ist, dass Religion der Wahrheit über die Welt im Wege steht und den natürlichen Lauf der Dinge tumorartig behindert, weshalb sie schnellstens und gründlichst eliminiert werden muss, ohne Rücksicht auf Verluste, welche es per definitionem ja in diesem Zusammenhang eigentlich eh nicht geben kann. Daraus entstehen dann bei dir Ansichten wie:

Lumen hat geschrieben:Wir wissen das ja bereits: je weniger Glaube, umso besser. Je mehr Glaube, umso mehr Probleme.

Ohne jetzt näher darauf eingehen zu wollen, dass "wir" da gar nichts bereits wissen, bist du viel zu unspezifisch. Glaube ist im allerweitesten Sinne ein Bündel von Sätzen über die Realität, von denen jeder von uns eines hat. Im engeren religiösen Sinne ist es ein Bündel von Sätzen über sowohl immanente wie auch transzendente Sachverhalte und deren Zusammenhang. Und erst hier treten bestimmte Sonderfälle auf, wo Glaubensinhalte und Glaubenspraktiken bzw. deren Implikationen gefährlich und zu einem Problem werden. Dann müssen wir aber über diese spezifischen Inhalte sprechen, anstatt pauschal von "je Glaube desto blöder" zu sprechen.

Lumen hat geschrieben:Strenger Glaube wird ja mittlerweile gewohnheitsmäßig als fundamentalistisch bezeichnet.

Strenger Glaube vielleicht, insbesondere nach außen gekehrter, aber was ist mit tiefem Glauben? Glaube, der einfach mit tiefer innerer Überzeugung das Verhältnis von Person zu Gott und Welt klärt, aber erstmal noch nichts Spezifisches über das Verhalten anderen Menschen gegenüber aussagt? Sowas erfüllt nicht die Definitionskriterien für Fundamentalismus.
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Re: Luther, ein antisemitischer Psychophat

Beitragvon Zappa » Mo 8. Okt 2012, 08:47

Nanna hat geschrieben:Strenger Glaube vielleicht, insbesondere nach außen gekehrter, aber was ist mit tiefem Glauben? Glaube, der einfach mit tiefer innerer Überzeugung das Verhältnis von Person zu Gott und Welt klärt, aber erstmal noch nichts Spezifisches über das Verhalten anderen Menschen gegenüber aussagt? Sowas erfüllt nicht die Definitionskriterien für Fundamentalismus.


Das ist eine sehr interessante Unterscheidung, die mir auf Anhieb gefällt. Wobei ich eher von tiefem und oberflächlichem Glauben reden würde. Beide können sehr ernst genommen werden (im Sinne von streng), haben aber unterschiedliche Auswirkungen.

Es gibt eine Art tiefer Religiosität, die eher mit der inneren Suche nach Wahrheit und gelebter Religiosität zu tun hat. Diese Religiosität weist auch Selbstzweifel und Skepsis als wesentliche Komponenten auf. Die gnostischen Evangelien fallen mir da auf Anhieb ein. Man würde einen religiös motivierten Einsiedler ja nicht wirklich als Fundamentalist bezeichnen, denn der Kern dieses Begriffes ist es ja die Weisheit nicht nur mit kleinsten Löffelchen gefressen zu haben, sondern diese Art der reduzierten Erkenntnis auch allen anderen aufzwingen zu wollen.

Dazu passt dazu ein Interview (in der Zeit glaub ich) eines Islamwissenschaftlers aus Münster, der ebenfalls die oberflächliche Religiosität (Religion als Halt mit klaren Regeln und Vorgaben) als Fehlinterpretation und falsche Anwendung ansieht. Insbesondere, da sich diese Art der Religiosität natürlich hervorragend politisch missbrauchen lässt. Für ihn ist das ein wesentliches Problem des politischen Islamismus. Würden diese Leute durch intensives Streben den Weg nach der Wahrheit oder Liebe etc. pp. suchen, würden die nicht aufgepeitscht und marodierend durch die Gegend ziehen.
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Re: Luther, ein antisemitischer Psychophat

Beitragvon Vollbreit » Mo 8. Okt 2012, 10:57

Es gibt da auch noch weitere sinnvolle Differenzierungen.
Ein Glaube kann tatsächlich auch fundamental sein, ohne gewalttätig sein zu müssen.
Die Amish gehören in diese Kategorie.

Man kann tief gläubig sein (bspw. der Überzeugung sein, es gäbe irgendeine Form von Übersinnlichem) ohne notgedrungen religiös sein zu müssen.

Der Zusammenhang von Gewalt und Religion ist mindestens ein doppelter:

Zum einen gibt es religiös motivierten Terror, der irgendeinen Glauben extrem und letztlich als so verstandene Legitimation für Gewalttaten ausdeutet und demgemäß handelt.
Da sind Moslemextremisten nicht die einzigen, besetzen aber bei der Kombination von Aktualität, Menge und Wucht sicher den Spitzenplatz.

Der andere Punkt, den man auch nicht vernachlässigen sollte, ist der, dass Religion (aber auch andere Weltanschauungen) als Pseudolegitimation herhalten müssen um den Wunsch nach Gewalt, Macht und Dominanz vor sich und anderen zu begründen. Hier könnte man den exotischen Begründungscocktail von Breivik beispielhaft nennen.

Es könnte sein, dass eine genügend große Zahl an hormonell bedingt nervösen jungen Männern auf einem Haufen (ohne soziale Rollenzuweisung) bereits ausreicht, um Gewalt zu produzieren.
Heinsohn, der diese youth bulge These hier verbreitet hat, vertritt die Auffassung die Aggression wäre da (und würde mit einem Lebensalter von 15-30 und männlichem Geschlecht korrelieren), der Grund würde, da beliebigt, je nach Bedarf, nachgeliefert.
Dafür spricht auch, dass selbst bestens sozialisierte Menschen, also nehmen wir in diesem Kreis mal eine Gruppe von anerkannten Spitzennaturwissenschaftlern, in erschreckend simplen gruppenpsychologischen Experimenten zu einem Rudel „wilder Tiere“ werden würde. Man müsste nur die Anweisung geben, für die nächsten Stunden offen über das zu reden, was einem gerade in den Sinn kommt und zu beobachten, wie das allgemein Verhalten ist.
Diese simplen Anweisungen reichen um sofort intensive Gruppenregressionen auszulösen, bei denen Misstrauen und Aggression dominieren und sich typische Muster bilden, die diese Aggressionen eindämmen (die Bion beschrieben hat).

Diese Pseudolegitimierung wäre sowohl bei Massenregressionen als auch bei Menschen der Fall, deren Persönlichkeitsstruktur nicht geeignet ist, einen solidarisches oder Gruppenbewusstsein auszubilden. Es ist im Einzelfall schwer zu sagen, was hier Ursache und was Wirkung ist, aber man kennt begünstigende und hemmende Faktoren für das Auftreten solcher Strukturen sehr gut.

Mit anderen Worten, wir haben ein breites Spektrum mehrerer, sich durchdringender Cluster, in denen Regression, Religiosität, Fundamentalismus, Gewalttätigkeit, Friedfertigkeit usw. einander durchdringen, überlagern und unterschiedliche und dynamische Schnittmengen bilden.

Das macht die ideologische Verengung der (obendrein zirkulären) Kurzformel, der wahre Religiöse sei stets ein gewaltbereiter Fundamentalist, so offensichtlich.
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Re: Luther, ein antisemitischer Psychophat

Beitragvon 1von6,5Milliarden » Mo 8. Okt 2012, 12:36

Lumen hat geschrieben:Strenger Glaube wird ja mittlerweile gewohnheitsmäßig als fundamentalistisch bezeichnet.
Es ist in etwa die ursprüngliche Definition bzw. zumindest eher analog zur ursprünglichen Definition. Fundamentalismus und Fundamentalisten haben erst einmal mit Gewaltbereitschaft nichts zu tun, sie sind ursprünglich protestantische, konservativ-orthodoxe, bibeltreue Christen in den USA. Da sind solche ja auch heute noch gut vertreten. Es kommt bei der Einschätzung deiner Anmerkung natürlich wieder darauf an, wie man "strenger Glaube" definiert und auf was du da das Gewicht gelegt hast. Denn nach der Ursprungsdefinition waren es ja nur bestimmte Christen, nicht alle (Katholiken) oder gar Andersgläubige (Moslems, Juden, Hindus ...). Selbst reine politische Einstellungen können ja ungeachtet eines religiösen Glaubens heute als fundamentalistisch bezeichnet werden. Aber auch da ist Gewalt immer noch keine Voraussetzung, auch wenn mir ebenso bei (vor allem) religiösem Fundamentalismus schon die Nähe zu Gewalt einfällt und sie diese Kategorisierung "erleichtert".
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