Känguru predigt Keuschheit.

Re: Känguru predigt Keuschheit.

Beitragvon Vollbreit » Di 23. Jul 2013, 18:13

Lumen hat geschrieben:Sexualität ist sachlich gesehen eine relativ unspektakuläre Körperfunktion.
Nein, sie ist eben alles andere als das.
Das Problem ist, dass diese Betrachtung, die Du sachlich nennst, zutiefst ideologisch ist und Du nicht erkennst, wieso sie denn überhaupt ideologisch genannt werden könnte.

Lumen hat geschrieben:Natürlich ist Sexualität subjektiv doch etwas mehr als bloß irgendeine Körperfunktion. Wenn wir von menschlicher Nähe sprechen ist das buchstäblich das Nächste was geht. Da muss es schon triftige Gründe geben, dem zu entsagen. Liebe und der ganze Kram — da muss die Chemie stimmen und das ist sicherlich nicht nur ein Sprichwort. Die Wechselwirkungen über Geruch und Körperkontakt sind sehr komplex. Es würde mich eher erstaunen, wenn Sexualität „nur“ eine Turnübung wäre.

Was heißt, es würde Dich wundern? Wer soll das denn entscheiden, wenn nicht Du? Tatsächlich ist es für den einen eine freudlose Turnübung, ein Pflichtprogramm, während es für andere mehr ist, bishin zu den größten Erfahrungen von Einheit, Verschmelzung und alles, was dazwischen ist

Lumen hat geschrieben:Mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit passiert deutlich mehr „unter der Haube“, was für Paare und deren Bindung offenbar sehr wichtig sein kann (sachlich gesehen).
Merkst Du nicht wie steril solche Formulierungen sind? Merkst Du nicht, wie Du in vermeintlicher Objektivierung suchst, was Du für Dich offenbar nicht gefunden hast, nämlich, die Fähigkeit hierauf eine klare Antwort zu geben, vor allem Dir selbst?

Lumen hat geschrieben:Hätten wir noch das „beste Argument“ zum Schluss: Keuschheit würde die Gesellschaft „entsexualisieren“, was angeblich ganz toll wäre. Gut, wenn ich Priester und diverse Skandale weltweit anführe, dann weint Vollbreit direkt wieder und fügt den „Litern Blut“ direkt noch andere Körperflüssigkeiten hinzu, die ich angeblich bemühe, um organisierte Religion in Misskredit zu bringen.
Nein, ich weine eher darüber – nicht wirklich aber, es macht mich tatsächlich etwas betrübt – dass Du zerrbildhafte Projektionen von Menschen hast. Mir zu unterstellen, ich sei ein religiöser Fanatiker, ist so weit von meinem Lebensgefühl entfernt, wie sonst nur was.

Und ich bin mir sicher, dass nicht nur ich dieses Problem mit Dir habe. Betrübt macht es mich deshalb, weil Du zweifelsfrei ein überdurchschnittlich intelligenter Mensch bist und weil es nicht immer leicht ist, die Aggressionen die dahinter stecken, zu tolerieren. Betrübt bin ich, weil es nicht möglich ist, über mehr als ein paar Beiträge mit Dir in Kontakt zu kommen, Du flüchtest sofort wieder in Deine Phantasiewelt, präsentiert als betont unverwickelte Sicht von außen. Schade.
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Re: Känguru predigt Keuschheit.

Beitragvon Vollbreit » Di 23. Jul 2013, 19:05

stine hat geschrieben:
Vollbreit hat geschrieben:Würdest Du Dich in der Selbstwahrnehmung denn als explizit nichtkatholisch ansehen?
Allerdings.

Ups, war mir tatsächlich nicht so klar.

stine hat geschrieben:
Vollbreit hat geschrieben:Wenn man Kinder in einem naturalistischen Setting aufwachsen lässt, sprich, sie nicht aktiv in ihrer Sexualität behindert, beginnen beide Geschlechter im Alter von unter einem Jahr von sich aus zu masturbieren. Und halten das auch weiter durch, wenn sie nicht daran gehindert werden, was aber die Regel ist. Die Kinder werden also nicht etwa dazu angehalten, viel zu früh etwas zu tun, was eigentlich noch nicht dran ist, sondern sie werden im Gegenteil daran gehindert etwas zu tun, was bereits sehr früh im Leben dran ist.
Jawoll, Herr Dr. Kolle! Und das trifft wohl wieder mal auf alle zu, oder?
Was heißt auf alle, ich schrieb ja, auf wen es zutrifft, auf Kinder in einem naturalistischen Setting oder Umfeld. Ich wüsste aber auch nicht, warum Kinder sich von sich aus dieser Queller der Lust und des Wohlempfindens berauben sollten, wenn man sie nicht hindert.

stine hat geschrieben:
Vollbreit hat geschrieben:
stine hat geschrieben:Auf meine Aussagen zu erotischer Werbung oder dem obligatorischen "Seite-drei-Mädchen" wird beispielsweise hier überhaupt nicht eingegangen, so sehr hat man sich schon an die Nacktheit gewöhnt. Klar, alles halb so schlimm, aber wenn sich die eigene Tochter im Tanga auf Facebook präsentiert, dann ist das was anderes, oder?

Und? Warum bist Du so dermaßen unempathsich gegenüber dem Muselmann-Patriarchen, der aufrichtig leidet und für den die Welt in Scherben liegt, weil die Tochter die Ehre der Familien verletzt? Der graduelle Unterschied ist vielleicht erkennbar, aber kannst Du mir mal den prinzipiellen erklären?

Einen prinzipiellen Unterschied gibt es nicht. Ob so etwas Schande über die Familie bringt oder ob man sich darüber Sorgen um die Tochter macht, ist nur eine Sache der Einstellung.
Hm, was meinst Du mit Einstellung? Ich glaube, es ist vollkommen normal sich Sorgen um die Tochter zu machen, ihr das Beste zu wünschen und nicht zu wollen, dass sie Nachteile, Schwierigkeiten, Leid erfährt
Den Unterschied sehe ich darin, dass man, wenn man seine Ehre verletzt sieht (oder die der Familie, für dessen Funktionieren man sich verantwortlich fühlt und es kulturell gesehen, wohl auch ist), nicht primär das Wohl und Glück der Tochter im Blick hat, sondern die eigene Rolle.

Sorge um den anderen, Sorge um sich, das ist in der modernen Analyse eine immer wieder auftretende Differenz, von unerhörter Wichtigkeit.

PS: Sehe gerade, dass meine Antwort, weitreichend, zumindest nach meinem Empfinden, mit der von laie an Lumen zusammenfällt.
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Re: Känguru predigt Keuschheit.

Beitragvon laie » Di 23. Jul 2013, 20:00

@Vollbreit: ja vielleicht. An Lumen habe ich zwei Punkte: zum einen, dass Selbstachtung mutatis mutantur mit der Achtung vor dem Fremden zu tun hat. Daher auch die herausragende Bedeutung der Gastfreundschaft, des Gastmahls. Zweitens, dass sexuelle Enthaltsamkeit nichts mit einer solcherart dialogisch verstandenen Achtsamkeit zu tun hat. Vollständige sexuelle Enthaltsamkeit fügt Achtsamkeit nichts hinzu oder nimmt ihr etwas. Ich meine, dass Lumen diesen zweiten Punkt schön mit seinen Schwänen herausgearbeitet hat, aber sich hier an etwas abgearbeitet hat.
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Re: Känguru predigt Keuschheit.

Beitragvon laie » Mi 24. Jul 2013, 07:31

Von was spreche ich, wenn ich von Selbstachtung und Fremdachtung spreche? Ist es gut mit "alles kann, nichts muss"? Irgendwie nett zueinander sein? Nein, das meine ich nicht. Ich meine eine bestimmte Art der persönlichen Weltzugewandtheit. Es ist im allgemeinen üblich, sich der Welt objektivierend zuzuwenden. Objektivieren tut man, indem sich als Subjekt klar abgrenzt von den Dingen, die nicht zu einem selbst gehören, ein für Wissenschaft und Forschung unerlässliches Verfahren. Das ist die cartesische Spaltung. Das Ich begreift sich als Subjekt; ihm gegenüber steht die restliche Welt, eine Ansammlung von Objekten, die kategorisiert werden können. Aber für den Alltag ist dieser Forscherblick nicht hilfreich. Hier bleiben wir von den Objekten nicht unberührt, tritt das Subjekt mit den Objekten der Welt in Beziehung. Diese Beziehung kann aufgrund der Spaltung zwischen Subjekt und Objekt tendenziell nur die Form oder Struktur der Vereinnahmung, d.h. des Besitzens oder der Verwerfung annehmen.

Können wir diese Spaltung anders als im Haben überwinden? Ja, prinzipiell kann man das. Eine Voraussetzung dafür findet sich nicht nur, aber auch in den drei evangelischen Räten: Armut, Keuschheit, Gehorsam. Alle diese Räte sagen im Prinzip dasselbe: "Verabschiede Dich vom Haben, d.h. versuche nicht die Differenz zwischen Dir und dem anderen dadurch zu heilen, indem Du besitzen willst."

Die Umsetzung fällt jedoch schwer. Nicht umsonst ist der Verzicht auf die Haben-Mentalität die schwerste Aufgabe überhaupt:

Mk. 10, 17 hat geschrieben:Als sich Jesus wieder auf den Weg machte, lief ein Mann auf ihn zu, fiel vor ihm auf die Knie und fragte ihn: Guter Meister, was muss ich tun, um das ewige Leben zu gewinnen?


Mk. 10, 21 hat geschrieben:Da sah ihn Jesus an, und weil er ihn liebte, sagte er: Eines fehlt dir noch: Geh, verkaufe, was du hast, gib das Geld den Armen, und du wirst einen bleibenden Schatz im Himmel haben; dann komm und folge mir nach!


Mk. 10, 22 hat geschrieben:Der Mann aber war betrübt, als er das hörte, und ging traurig weg; denn er hatte ein großes Vermögen.


Sind wir auch "sehr reich?" Können wir uns also glücklicher schätzen als der Mann in diesen Zeilen? Ich denke nicht. Wo beginnt Reichtum und die Fixierung auf das Besitzen? Ab dem Spitzensteuersatz? Nein. Es ist eine Haltung, die beim Hartz IV - Empfänger ebenso zu finden ist wie beim Durchschnittsverdiener und beim Superreichen. Sie hat mit der Menge des Reichtums nichts zu tun. Derjenige, der der Welt nicht im Haben zugewandt ist, wird immer sein Vermögen, seine Talente hergeben und verschleudern, ganz egal wie gross sein Besitz ist. Auf der anderen Seite haben wir die Zeitgenossen, die meinen, sich eine andere Haltung erst ab einem bestimmten Einkommen, ab einer bestimmten Höhe ihres Vermögens leisten zu können. Darth Nefarius hat das in einem anderen thread vor kurzem so formuliert:

Darth Nefarius hat geschrieben:Sobald ich immun gegen jede Krankheit bin und mir anschließend einen Iron-Man-Anzug basteln kann, würde ich mich gewiss um das Leid kümmern.


Das ist ein Trugschluss. Er wird sich um gar nichts kümmern, ausser um sich selbst. Denn er hat Angst davor, von seinem Besitz zu verlieren: seine Gesundheit, sein Reichtum, sein Leben. Hätte er diese Angst nicht, dann würde er nicht erst darauf warten, gegen jede Krankheit immun zu sein, und darauf zu hoffen, irgendwann die Fähigkeiten eines Iron-Man zu haben.
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Re: Känguru predigt Keuschheit.

Beitragvon stine » Mi 24. Jul 2013, 08:03

Seine Talente verschwenderisch anderen zukommen lassen...
Das verstehe ich, aber was hat das mit dem Thema zu tun?

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Re: Känguru predigt Keuschheit.

Beitragvon laie » Mi 24. Jul 2013, 08:20

Ganz einfach: Keuschheit gehört zusammen mit Armut und Gehorsam zu den drei evangelischen Räten. Alle drei handeln letztlich von unserer Weltzugewandtheit, die sich entweder im Haben vollziehen kann oder im Sein. Wir reden bei Keuschheit also nicht primär darüber, ob eine bestimmte Sexstellung oder Praktik sündiger ist als eine andere, oder wie oft man darf und ab wann, auch nicht über die statistische Signifikanz der Folgen eines quasi-religiösen Gebots, sondern wie wir grundsätzlich in Beziehung treten.

Keuschheit ist also nur eine Facette im Spannungsfeld zwischen Haben oder Sein.
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Re: Känguru predigt Keuschheit.

Beitragvon NeoTron » Mi 24. Jul 2013, 12:04

laie hat geschrieben:
Mk. 10, 17 hat geschrieben:Als sich Jesus...blablabla

Mk. 10, 21 hat geschrieben:Da sah ihn Jesus blablabla

laie hat geschrieben:Ganz einfach: Keuschheit gehört zusammen mit Armut und Gehorsam zu den drei evangelischen Räten... blablabla


Sind wir hier bei einer Unterabteilung von jesus.de oder bist du hier der örtliche Hausmissionar? Darf hier dann jede(r) mal seine Lieblingsbibelstellen zitieren? Meine "Lieblingsbibelstelle" mit einer Jesus-Aussage ist folgende (Mt 13, 41-42): >>Der Menschensohn wird seine Engel aussenden und sie werden aus seinem Reich alle zusammenholen, die andere verführt und Gottes Gesetz übertreten haben, und werden sie in den Ofen werfen, in dem das Feuer brennt.<< Erinnert mich an den Holocaust.
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Re: Känguru predigt Keuschheit.

Beitragvon stine » Mi 24. Jul 2013, 12:14

Vollbreit hat geschrieben:Ich wüsste aber auch nicht, warum Kinder sich von sich aus dieser Queller der Lust und des Wohlempfindens berauben sollten, wenn man sie nicht hindert.
Schon mal daran gedacht, dass Kinder ihren Körper entdecken ohne damit irgendwelche Lüste in Verbindung zu bringen? Die Kleinsten schmieren auch schon mal mit ihren Ausscheidungen herum, wenn man sie auf dem Topf vergisst, einfach nur weils interessant ist.
"Natürlich" braucht sie niemand darin bremsen, aber irgendwann wirds auch dem Dümmsten peinlich, wenn er in Gesellschaft an seinen Geschlechtsteilen herum spielt und dass ältere Kinder noch freiwillig mit ihren Ausscheidungen spielen, wäre mir auch neu. Kleinen und Kleinstkindern sexuelle Motive zu unterstellen ist einfach absurd. Es ist reine Neugier, was sie treibt.
Dagegen "wissen" größere Kinder, Jugendliche und Erwachsene sehr genau, was sie antreibt. Und hierin liegt auch der Unterschied.

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Re: Känguru predigt Keuschheit.

Beitragvon laie » Mi 24. Jul 2013, 12:49

Neotron hat geschrieben:Darf hier dann jede(r) mal seine Lieblingsbibelstellen zitieren?


Ja, warum denn nicht? Wenn er damit etwas zeigen will und kann. Wenn es zur Verdeutlichung eines Gedankens geht, der mit dem Thema etwas zu tun hat. Was wolltest denn Du uns mit deinem Vers zeigen, was irgendwie mit dem Thema zu tun hat? Das habe ich nicht so recht verstanden.
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Re: Känguru predigt Keuschheit.

Beitragvon NeoTron » Mi 24. Jul 2013, 13:00

laie hat geschrieben:Das habe ich nicht so recht verstanden.


Das tut mir leid für dich. Aber Hauptsache, du verstehst dein Geschwurbel.
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Re: Känguru predigt Keuschheit.

Beitragvon laie » Mi 24. Jul 2013, 13:12

Da mach dir mal keine Sorgen. Was dich betrifft und deine Polemik: Du wolltest halt mal irgendwie dagegen sein, stimmt's? :ja: Oder vielleicht können wir uns ernsthaft unterhalten? Dann sage etwas zum Thema "Weltzuwendung des Menschen". Du bist vielleicht der irrigen Ansicht, dass ein Thema religiös aufgeladen wird und nicht mehr diskutierbar ist, nur weil man mal drei Bibelverse zitiert. Das verleitet dich zur Polemik. Mach nicht sowas. Das Thema wie der Mensch sich der Welt zuwenden kann, ist ein philosophisch-existentialistisches. Da hast du bestimmt auch etwas beizutragen.
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Re: Känguru predigt Keuschheit.

Beitragvon NeoTron » Mi 24. Jul 2013, 13:34

laie hat geschrieben:Du wolltest halt mal irgendwie dagegen sein, stimmt's?

Nein.

laie hat geschrieben:Dann sage etwas zum Thema "Weltzuwendung des Menschen".


Tut mir leid, dich auch hier zu enttäuschen, aber ich habe wirklich keine Lust auf dein Geschwurbel näher einzugehen. Wenn ich das wollte, wäre ich im bereits oben von mir genannten Forum aktiv.
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Re: Känguru predigt Keuschheit.

Beitragvon Vollbreit » Mi 24. Jul 2013, 15:05

stine hat geschrieben:Schon mal daran gedacht, dass Kinder ihren Körper entdecken ohne damit irgendwelche Lüste in Verbindung zu bringen?
Was heißt, schon mal dran gedacht, als Mensch, der in einem Land und einer Zeit lebt, in dem diese Spaltung omnipräsent ist ist, habe ich die „normale“ Einstellung, dass kleine Kinder sexfreie Wesen sind und dass sich das dann irgendwann in der Pubertät ändert, als vollkommen selbstverständlich angesehen, so wie Du und jeder hier im Forum eben auch.

stine hat geschrieben:Die Kleinsten schmieren auch schon mal mit ihren Ausscheidungen herum, wenn man sie auf dem Topf vergisst, einfach nur weils interessant ist.
Natürlich und auch hier werden sie von den Eltern gehindert. Mutter sagt „Bäh, sowas macht man nicht, du bist ja ganz dreckig“, macht ein angewidertes Gesicht, nimmt die Hände des Kindes weg und auch wenn das Kind noch nicht sprechen kann, merkt es, dass bestimmte Dinge sanktioniert werden, es erfolgt eine Reaktion der Eltern.
Und Du hast Recht, Kinder erforschen ganz unschuldig ihren Körper und ihre Welt, probieren, wie es sich anfühlt, wenn sie den großen Zeh in den Mund stecken und im Unterschied dazu, die Bettdecke, nehmen ihren Körper auf diese Art erst mal in Besitz. Und natürlich empfinden sie etwas dabei, kann man Kindern am Gesicht ablesen. Ganz unverstellt weinen sie sofort herzzerreißend, wenn etwas nicht stimmt, dafür strahlen sie über beide Backen, wenn sie in Mutters Armen liegen und sind fähig, die 5 oder 7 Basisemotionen ganz unverstellt auszudrücken.

In unserer übersexualiserten Zeit, bezogen auf die Verfügbarkeit sexueller Reize, dreht sich zwar vieles um Sexualität, gleichzeitig gibt es aber bis in die Sexualwissenschaften einen merkwürdigen Umgang mit ihr. Es wird geforscht, wer mit wem, wie lange und wie oft, was sexuelle Attraktivität ausmacht, es wird gezählt und vermessen, von Hormonen und genitaler Durchblutungssituation geredet, scheinbar offen wird über alles beim Sex geredet, zuzüglich zu dem, dass einem beim Zappen gegen Mitternacht die alte Ledersau „Ruf mich an!“ entgegen brüllt – nur eines wird immer ausgeblendet, dass Sexualität auch erlebt wird, eine Innenseite hat.

Und natürlich probieren Kinder alles aus, aber das, was kein Spaß macht, lassen sie auch schnell wieder bleiben. Masturbation wird beibehalten, wenn das Kind nicht daran gehindert wird, was oft geschieht. Unausgesetzt „an sich herumuzuspielen“, wird bei manchen Eltern so stark negativ sanktioniert, wie Kot in den Mund zu stecken, das ist „Bäh“, das ist „Pfui“ und auch wenn Kinder Worte noch nicht verstehen, die emotionale Bedeutung, verstehen sie sehr gut.
Und nicht alles wird negativ sanktioniert, vieles freut die Mama, macht sie stolz, wird glücklich lächelnd gefördert. Die ersten Zähne, Zeigeversuche, die ersten Worte, da sieht Mama, das alles normal verläuft. Man kennt die stolzen Beschreibung, dass Malte-Olaf schon sprechen kann, die kleine Emma schon die ersten Gehversuche macht, man stelle sich vor, Mutter sitzt in der Krabbelgruppe und sagt, dass der Alexander so süß wichst und dass er dabei immer so selig lächelt, „hier guck mal, ich hab mal sein Gesichtchen geknipst, wenn er gerade an sich rumspielt, ist das nicht goldig?“ Es gibt kein Bäuerchen, was der Berufsmutti keine Erwähnung wert wäre, aber wie oft die Saskia den Finger zwischen den Beinen hat, das hört man nicht und es wirkt auch wie ein Furz beim Festdinner, die heile Kinderwelt mit „sowas“ zu kontaminieren.
Und so ist auch vollkommen klar, die empfinden nichts dabei, die tun das, weil es eben per Armlänge erreichbar ist, aber mechanisch, einfach so, sie könnten auch mit einem Tuch an der Fensterscheibe rubbeln.
So auf einmal, mit 12 oder 14, empfinden Jugendliche dann was, das kommt irgendwie so mit den Hormonen über sie.

Dabei ist es eher so, dass Neugeborene von Beginn an, auf Reize reagieren, manche dieser Reize mögen und als lustvoll erleben, manche Reize als unangenehm empfinden, Kälte, grelles Licht, plötzlicher Lärm, wenn die Mutter nicht schnell genug kommt und so weiter. Diese ersten, angeborenen affektiven Reaktionsdispositionen verdichten sich zu Erlebnisbündeln, guten und schlechten, diese Bündel werden zu dem was bei Freud Triebe sind und so ist das Kind getrieben, die Wiederholung der angenehmen, libidinösen Reize zu suchen, allen voran die paradiesischen Einheit mit Mutter, die einen an der Brust, in den Armen wiegt und Reize, auf die das Kind mit Wut reagiert, die es vermeiden und am liebsten zerstören möchte, es ist vor allem das, was Freud mit dem Todestrieb meint, die aggressive Seite in uns, diese Reize zu meiden. Eros und Thanatos, als Sammelbegriff für die Summe der der positiv und negativ besetzten Affektreaktionen. Sie begegnen uns immer wieder im Leben.

Ein Teil der vom Kind positiv erlebten Affekte werden von Mutter und Vater unterstützt und gefördert, Mutter freut sich, wenn das Kind glücklich ist und sie ist besorgt, wenn das Kind schreit und Mutter nicht deuten kann, warum es schreit. Hier teilen Mutter und Kind Lust und Sorge.
Aber nicht bei allem was das Kind macht, ist das so. Einiges macht dem Kind vielleicht Spaß oder es fordert sein Neugierde heraus, Mutter wittert jedoch die Gefahr schreit „Nein“ oder bringt das Kind aus dem von Mutter antizipierten Gefahrenbereich, damit ihm nichts passiert. Oder das Kind quengelt und weint und Mutter kann aktuell nicht erkennen, warum, oder sie weiß warum, kann den Schmerz aber nicht wegzaubern, weil das Kind eine Mittelohrentzündung hat. Hieraus entwickelt sich ein hochkomplexes Geschehen, was Freud meisterhaft beschreibt, wichtig ist an dieser Stelle nur, dass in der Empfindungswelt des Kindes, manches mit seiner Mitwelt in affektiver Übereinstimmung erlebt wird: Das Kind schreit, weil es Hunger hat und Mutter längeren Zeit weg war, sofort kommt Mutter, gibt dem Kind die Brust, wiegst es und die Welt ist wieder ein Paradies.
Aber manchen wird – aus Sicht des Kindes nicht übereinstimmend erlebt. Das Kind findet die Augen des Hundes vielleicht spannend und will darin einfach mal herumprockeln, Mutter erkennt die Gefahr und trennt die beiden sofort. Enttäuschend und unverständlich für das Kind. Es schreit, weil es diese pochenden Schmerzen hat, Mutter kommt, tröstet auch, kann aber den Schmerz nicht beseitigen. Und das wo Mutter doch alles kann. Wieder Enttäuschung, Frustration, Wut, Hass auf die unfähige Mutter, eine Phase in der Aggression über Liebe dominiert und so gibt es Empfindungen, bei den Mutter und Kind scheinbar nicht kongruent sind. Das Kind kennt solche Situationen tausendfach und so entsteht eine Ambivalenz zwischen Reizen und Verhaltensweise, die dem Kind behagen, die aber von Mutter nicht verstärkt werden, sondern verhindert.

Je nachdem wie Mutter so tickt, und die tickt so, wie sie es gelernt hat und die Gesellschaft aus der sie stammt es vorgibt und wie sie diese soziokulturellen Vorgaben interpretiert, wird das für das Kind sexuelle Verhalten entweder aktiv bis brutal verhindert, durch Ermahnungen oder entsprechend eng geschnürte Strampelanzüge oder es wird nicht weiter beachtet - und das Kind weiß bereits, wenn etwas unerwünscht ist, die Bildung des Über-Ich beginnt bereits im ersten Lebensjahr.
Spannungen treten vor allem bei „Find ich gut, aber Mutter nicht“ oder „Findet Mutter gut, aber ich nicht“ Erfahrungen auf. Und natürlich „will“ das Kind Mutter gefallen und sucht sie Einheit mit ihr und reagiert auf Zurückweisungen, wie das im Normalfall umgekehrt der Fall ist, d.h. Mutter will das Beste für ihr Kind und so entwickelt sich das hochkomplexe Spiel weiter, bei dem vor allem Du – oft vollkommen zurecht – hier im Forum darauf hinweist, wie sensibel und bedeutend diese Phasen der Kindheit sind, dass Kinder nicht einfach Automaten sind, in die man oben Milch reinschüttet und die man unter saubermacht und der Rest, wer das macht und wie, ist vollkommen egal.
Hier haben Kinder dann eine Innenwelt, ein Erleben, Mutter ist nicht einfach durch irgendwen, eine Futter- und Wärmequelle zu ersetzen, sondern es kommt u.a. auf die sensible Bindung an, auf die gelungene Phasen der Abtrennung dieser Bindung, Du kennst Bowlby und Winnicott, aber auch sexuelle Erregung und Lust hat eine innere Seite, gehört zur Entwicklung und es ist keineswegs folgendlos, sie zu behindern, genauso wie Du es (vermutlich) nicht als folgenlos ansehen würdest in der Abtrennungsphase des Kindes, ihm die so wichtigen, weil emotional besetzten, Ersatzobjekte, alberne Decken, Kissen oder vollgesabberte Stofftiere, zu entreißen.

stine hat geschrieben:"Natürlich" braucht sie niemand darin bremsen, aber irgendwann wirds auch dem Dümmsten peinlich, wenn er in Gesellschaft an seinen Geschlechtsteilen herum spielt und dass ältere Kinder noch freiwillig mit ihren Ausscheidungen spielen, wäre mir auch neu.
Die Reinlichkeitserziehung ist ein großes Thema bei Freud und Peinlichkeiten werden sozial erlernt. Man muss doch erst mal hören, dass „man“ das nicht macht und man hört es, weil man es macht. Kein Kind fasst zum zweiten Mal auf die heiße Herdplatte, aber mit ihren Körperöffnungen und Ausscheidungen spielen sie weiterhin, vor allem, wenn die Eltern nicht zuschauen.
Aber natürlich lernt auch das Kind „sich zu benehmen“ und das ist auch vollkommen in Ordnung denn die Fähigkeit zum Triebaufschub unterscheidet uns vom Tier und ist einer der Grundpfeiler der Kultur und gleichzeitig des in ihr empfundenen Unbehagens.

stine hat geschrieben:Kleinen und Kleinstkindern sexuelle Motive zu unterstellen ist einfach absurd. Es ist reine Neugier, was sie treibt.
Woher weiß Du das denn? Weil nicht sein kann, was nicht sein darf oder weil das einfach so ist? Warum soll ein Verhalten von Kinder ausgeführt und immer wiederholt werden, wenn es unangenehm ist? Und warum sollte es nicht angenehm sein, entwickeln sich die Nervenbahnen dort erst mit 12? Dann könnten sie ja an der Kniescheibe reiben, tun sie aber nicht.

stine hat geschrieben:Dagegen "wissen" größere Kinder, Jugendliche und Erwachsene sehr genau, was sie antreibt. Und hierin liegt auch der Unterschied.
Richtig, ältere Kinder, Jugendliche und Erwachsen wissen, was sie auch, nicht nur, antreibt, die kleinen werden einfach angetrieben. Kinder verlieren bei aller Begeisterung auch schnell wieder die Lust, die an der Masturbation hingegen nicht. Es sei denn, man hindert sie und in welchem Grad das geschieht, ist eine soziale Frage.

Ich finde es aber gut - und das meine ich ohne jede Ironie -, dass Du Dich auf die Seite dieser Hemmungen stellst, denn so kann man diese überhaupt erst ins Bewusstsein bringen, verdrängt sind sie ja bei so gut wie allen von uns.
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Re: Känguru predigt Keuschheit.

Beitragvon stine » Mi 24. Jul 2013, 15:53

Vielen Dank für deine Ausführlichkeit. Zum Weiterarbeiten am Thema habe ich diesen Satz gewählt:
Vollbreit hat geschrieben:Aber natürlich lernt auch das Kind „sich zu benehmen“ und das ist auch vollkommen in Ordnung denn die Fähigkeit zum Triebaufschub unterscheidet uns vom Tier und ist einer der Grundpfeiler der Kultur und gleichzeitig des in ihr empfundenen Unbehagens.


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Re: Känguru predigt Keuschheit.

Beitragvon Vollbreit » Mi 24. Jul 2013, 17:14

stine hat geschrieben:Vielen Dank für deine Ausführlichkeit. Zum Weiterarbeiten am Thema habe ich diesen Satz gewählt:
Vollbreit hat geschrieben:Aber natürlich lernt auch das Kind „sich zu benehmen“ und das ist auch vollkommen in Ordnung denn die Fähigkeit zum Triebaufschub unterscheidet uns vom Tier und ist einer der Grundpfeiler der Kultur und gleichzeitig des in ihr empfundenen Unbehagens.


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Ja, das ist die Seite, die es auch gibt und die wichtig ist. Die Lösung der vielen Tabus um den Bereich der Sexualität heraum, liegt aber eben nicht darin, sich für Kultur, Über-Ich, Gehorsam zu entscheiden oder für Natur, Es (Trieb) und affektive Willkür, sondern das anspruchsvolle Projekt ist eine Integration beider Bereiche.

Dazu können m.E. auch Experimente mit Phasen der sexuellen Enthaltsamkeit zählen.
Da die sexuelle Energie ungeheuer stark ist, kann es Sinn machen, diese bewusst zu nutzen und mal zu schauen, was passiert, wenn man eine Zeit lang sexuell enthaltsam lebt. Nutzt man diese Energie dann für spirituelle oder künstlerische Zwecke, kann das eine sehr intensive Erfahrung sein, doch wo diese Praktiken fehlen bleibt in meine Augen nur der Weg in verschroben neurotischen Symptomatiken.

Wer Nachts um 3:00 Uhr baden muss, weil er seit der intensiven Dusche um 22:00 schon wieder so dreckig ist, danach 30 Minuten die Wanne schrubbt und desinfiziert, um dann Morgens erst mal die ganze Wohnung zu saugen, ist schließlich schon 12 Stundne her, der hat sicher Angst vor Schmutz und Bakterien, vielleicht aber noch viel mehr, vor den dreckigen Gedanken, die ihn immer wieder überfallen. Da wird dann gerubbelt, bis die Haut aufplatzt, leider an der falschen Stelle.
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Re: Känguru predigt Keuschheit.

Beitragvon Vollbreit » Mi 24. Jul 2013, 17:25

@ laie:

Ich hatte den Eindruck und glaube, Du hast ihn bestätigt, dass das was Du als Selbst- und Fremdachtung bezeichnest, mit der Dominanz der Aufmerksamkeit entweder nur für sich oder für andere zusammenfällt.
Man kann andere nicht respektieren, ohne sich selbst zu respektieren und umgekehrt.

Die Gefahr des Dienstes am anderen besteht darin, dass sie zum leeren Ritual oder schlimmer, ein Mittel zum Zweck wird.
Dass sich Fragen des Respekts für sich und andere nicht mit der Frage nach Keuschheit überschneiden, sehe ich auch so.
Die Frage des Respekts in der Sexualität ist hingegen wichtig, weil es eine in die Lage versetzt Grenzen zu erweitern und in Eigenregie zu schützen.
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Re: Känguru predigt Keuschheit.

Beitragvon stine » Mi 24. Jul 2013, 17:27

Vollbreit hat geschrieben:Wer Nachts um 3:00 Uhr baden muss, weil er seit der intensiven Dusche um 22:00 schon wieder so dreckig ist, danach 30 Minuten die Wanne schrubbt und desinfiziert, um dann Morgens erst mal die ganze Wohnung zu saugen, ist schließlich schon 12 Stundne her, der hat sicher Angst vor Schmutz und Bakterien, vielleicht aber noch viel mehr, vor den dreckigen Gedanken, die ihn immer wieder überfallen. Da wird dann gerubbelt, bis die Haut aufplatzt, leider an der falschen Stelle.

Da lässt wieder mal Profressor Freud grüßen: Alles hat seinen triebgesteuerten sexuellen Hintergrund, nicht wahr?
Das ist der Grund, warum ich Freud in vielen Punkten anzweifle. Der Mensch ist doch nicht das Bündel seiner niederen Instinkte. Ich denke, das Leben ist etwas komplizierter.

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Re: Känguru predigt Keuschheit.

Beitragvon Vollbreit » Mi 24. Jul 2013, 17:57

Mach Dir mal keine Sorgen, die Psychoanalyse ist kompliziert.

Für Freud ist Sexualität nicht nieder und vor allem geht sie weit über das, was im Bett geschieht, hinaus.
Der Drang zu Sexualität, Aggression, Macht und so weiter läuft ja unausgesetzt mit, das will Freud u.a. sagen. Da stimmt dann schon was Darth sagt, der Mensch ist eben immer auch Naturprodukt, ein Wesen von der Evolution gebastelt, interpretierbar auch im Kontext seiner biologischen Vorläufer und da geht es eben um Gemeinschaft, Umsorgung, Sexualität, Dominanz, Aggression und so etwas.

Freud sagt einfach nur, dass das als Motiv immer auch da ist und man es nicht weg bekommt und wenn man meint, es wegbekommen zu haben, es im Grunde nur gehemmt, verdrängt oder sonst was ist, was es zwar gibt, aber Freud zufolge nicht gesund ist.

Der Irrtum, dem Freud nie verfallen ist, dafür viele seiner Nachfolger, liegt nun darin, den falschen Umkehrschluss zu ziehen und zu meinen, wenn man nur vollkommen ungehemmt seinen Trieben freien Lauf ließe, sei alles in Ordnung und man selbst topgesund. Hier würden dann sehr viele Einspruch anmelden, Kant, Marx, Freud auch.

Es hat sich herausgestellt, dass Neurosen zwar eklig sind und man im Vergleich zur Leichtigkeit der Störung stark unter ihnen leidet, aber nicht sehr schlimm, was die Grundstörung angeht. Eine neurotische Psyche ist sehr gut organisiert.
Alle Versuche linker Theoretiker, die Übel der Welt auf eine neurotischen Hemmung durch überstarke Väter (oder ein lastendes Über-Ich) zurückzuführen, wurden widerlegt und mit dem Verstehen der Psychodynamik und Pathologie schwerer Persönlichkeitsstörungen, erkannte man (u.a. Lasch, A. Mitscherlich, Kernberg), dass die abwesenden Väter, die Unterstrukturierung der Psyche, die mangelnde Impulskontrolle und die spezifischen Über-Ich Pathologie, die auf eine verkümmertes Über-Ich deutet, das sehr viel größere Problem ist.

Wir haben es also mit einer psychischen Hierarchie des Organisationsniveaus zu tun, das psychische Abwehrmechanismen, sexuelle Entwicklung, moralischen Entwicklung, die Fähigkeit ein kohärentes Selbst- und Fremdbild zu haben, beinhaltet. Neurosen sind eindeutig auf einem höheren Organisationsniveau, als schwere Persönlichkeitsstörungen, aber dennoch sind es pathologische Zustände, definiert durch das Leid des Individuums.
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Re: Känguru predigt Keuschheit.

Beitragvon Lumen » Mi 24. Jul 2013, 18:59

Vollbreit hat geschrieben:
Lumen hat geschrieben:Sexualität ist sachlich gesehen eine relativ unspektakuläre Körperfunktion.

Nein, sie ist eben alles andere als das. Das Problem ist, dass diese Betrachtung, die Du sachlich nennst, zutiefst ideologisch ist und Du nicht erkennst, wieso sie denn überhaupt ideologisch genannt werden könnte.
Lumen hat geschrieben:Natürlich ist Sexualität subjektiv doch etwas mehr als bloß irgendeine Körperfunktion. Wenn wir von menschlicher Nähe sprechen ist das buchstäblich das Nächste was geht. Da muss es schon triftige Gründe geben, dem zu entsagen. Liebe und der ganze Kram — da muss die Chemie stimmen und das ist sicherlich nicht nur ein Sprichwort. Die Wechselwirkungen über Geruch und Körperkontakt sind sehr komplex. Es würde mich eher erstaunen, wenn Sexualität „nur“ eine Turnübung wäre.

Was heißt, es würde Dich wundern? Wer soll das denn entscheiden, wenn nicht Du? Tatsächlich ist es für den einen eine freudlose Turnübung, ein Pflichtprogramm, während es für andere mehr ist, bishin zu den größten Erfahrungen von Einheit, Verschmelzung und alles, was dazwischen ist
Lumen hat geschrieben:Mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit passiert deutlich mehr „unter der Haube“, was für Paare und deren Bindung offenbar sehr wichtig sein kann (sachlich gesehen).

Merkst Du nicht wie steril solche Formulierungen sind? Merkst Du nicht, wie Du in vermeintlicher Objektivierung suchst, was Du für Dich offenbar nicht gefunden hast, nämlich, die Fähigkeit hierauf eine klare Antwort zu geben, vor allem Dir selbst?


Ich fasse das kurz zusammen. Du bist der Meinung, dass meine Ansicht „zutiefst ideologisch“ sei, und greifst (recht aggressiv) vor, dass ich unfähig wäre, dies auch so anzuerkennen. Dabei zitierst du einen Eingangssatz, der lediglich der Einstieg in das Territorium war, was danach mit etwas mehr Nuance und Gegenpol erkundet wird. Der folgende Teil wird nefariouserweise zu einem getrennten Sachverhalt, der erneut einzeln bewertet wird. Es folgen weitere recht starke Wertung (und unbegründete) Annahmen, dass ich nicht wüsste, dass eine Formulierung steril war. Gefolgt von „Psychologisierungen“ und Unfähigkeiten, die ich angeblich hätte. Keine Sorge, es bekümmert mich kein Stück, aber ich finde deine Behauptungen doch schon recht krass. In jedem Fall eine andere Qualität als meine gelegentlichen Sticheleien (die ja sogar mit fliegenden Fahnen daher kommen).

Dabei entspricht die Aussage von dir „Tatsächlich ist es für den einen“ genau dem Gebiet, dass ich zwischen „Turnübung“ und „größtmöglicher Nähe“ abgesteckt habe. Weitere Gegenpaare sind, zum einen Horomone und Chemie (die „sterile Seite“), und zum anderen, dass Sexualität die für Paare offenbar wichtig ist (die „nicht sterile Seite“).

Ich könnte schreiben, dass „ich gerne schwimmen gehe, vor allem im Sommer“ (was stimmt), oder schreiben, dass „offenbar viele Menschen schwimmen gehen, vor allem Sommer“ (was wohl offenbar auch stimmt, und mich mit einschließt). Ist es deswegen steril oder eine „vermeintliche Objektivierung“. Weder noch, es ist eine Einschätzung eines Zustandes oder einer Beobachtung, die ich danach ja sogar noch erkläre, wie sie (gemeinhin) durch Induktion zustande kommt. Wären die Badeseen und Schwimmbäder leer müsste ich meine Einschätzung überdenken (die kann immer noch richtig sein, aber einige wichtige „Daten“ die mich mal induktiv zu dem Schluss führten, fallen weg).

Dazu kommt, dass ich meinen Text eigentlich recht locker geschrieben habe. Es ist augenscheinlich keine bierernste Abhandlung. Da sind immerhin Sätze wie „Es würde mich eher erstaunen, wenn Sexualität ‚nur‘ eine Turnübung wäre“ oder „unangenehme Eigenschaften mancher Erreger, sich diese spezielle Körpernähe zunutze zu machen“. Das nennt sich Understatement.

Die Frage wäre dann, warum du (also Vollbreit) hier „meta“ gehst und nicht beim Thema bleibst.


Vollbreit hat geschrieben:Nein, ich weine eher darüber – nicht wirklich aber, es macht mich tatsächlich etwas betrübt – dass Du zerrbildhafte Projektionen von Menschen hast. Mir zu unterstellen, ich sei ein religiöser Fanatiker, ist so weit von meinem Lebensgefühl entfernt, wie sonst nur was.

Ich bin was andere Leute angeht eigentlich ziemlich arglos. Ich weiß aber, dass du offenbar andere, arkane, Methoden hast, zu Einsichten zu gelangen. Daher habe ich präventiv auf Induktion hingewiesen, damit wir zumindest mal irgendeinen Ansatz haben. Wenn ich also las, dass Keuschheit sexuelle Übergriffe eindämmen würde, kamen mir sofort die diversen Skandale in den Sinn, was diese Behauptungen dann –folglich— fragwürdig erscheinen ließe. Das hat dich aber in anderen Zusammenhängen bisher nie gekümmert, daher habe ich das bereits einbezogen.

Ich habe ehrlich gesagt garkeine Ahnung wer du bist, welche Aussage von dir ernst oder schnippisch gemeint war. Ich nehme nur das an, was du selbst bekundet hast (auch dass du eine Frau wärst, hattest du selbst angedeutet). Ich habe keine Meinung in die eine, oder andere Richtung. Ich habe auch keine Vorgefasste Haltung über Psychologen, Afrikanistik-Experten, Geisteswissenschaftler und Soziologen, oder Pfarrer (oder deren Töchter). Ich denke auch nicht dass du ein religiöser Fanatiker wärst. Ich habe, wie wohl jeder, Erwartungen, aber anders als viele, keine pauschale Bewertung. Den „bewusst“ Gläubigen, den ich persönlich begegnet bin, um ein Beispiel zu nennen, waren immer sehr nette Leute. Ich bringe das Thema meinerseits bei ihnen auch nicht auf den Tisch und weiß meine Ansichten dem Anlaß und der Person entsprechend zu dosieren.

Um mal wieder zum Thema zurückzukehren. Ich kann ja der Meinung sein, dass „Ampeln immer dann Rot sind, wenn ich es eilig habe“. Ich kann entscheiden, wie wichtig „Wahrheit“ in dem Fall für mich ist. Wobei ich hier bitte im alltäglichen Sinne bleiben möchte und kein Bock habe auf arkane oder wissenschaftlich exakte Abhandlungen. Das bedeutet im konkreten Fall. Ist es mir daran gelegen, etwas zu verstehen, und meine Ansichten mit den Beobachtungen in Einklang zu bringen, könnte ich genauer aufpassen, und auch beginnen, „Grün“ zu zählen.

Ich kann aber genausogut eingestehen, dass ich mich einfach ärgern möchte, weil ich mal wieder rumgetrödelt habe, und rote Ampeln einfach dankbar sind, ihnen die Schuld zu geben. Wenn ich aber in ein Forum gehe, und die Behauptung vortrage, dass sich das Universum gegen mich verschwört, und Ampeln verstellt, um mich zu ärgern, werde ich gute Gründe für die Behauptung brauchen.

Auf den vorliegenden, oder die vielen vergleichebare Fälle einzugehen: Angenommen jemand behauptet, ein „Herrscher sei sehr gut gewesen“. Dann kann man das ja so finden, aber irgendwo hängt das an Einzelbeobachten, Daten, Fakten und dann deren Einschätung und Gewichtung fest. Wenn also dann ein Lumen vorbei kommt und darauf hinweist, dass dieser Herrscher ja doch viele Kriege führte und in seinem Kerker mehr als eine Person auf Nimmerwiedersehen verschwand, dann kann darauf die Antwort ja nicht sein „Du immer mit deinen Leichen! Das zählt nicht“. Die vernünftige Antwort wäre A) „das stimmt nicht (die Daten/Fakten/Behauptung ist unwahr, geschichtsgefälscht, von seinen Feinden behauptet worden)“ oder B) „Ok, das stimmt, aber macht in der Gewichtung nichts aus, weil X Kriege und Y Tote im Vergleich zu Z trotzdem noch positiv bleibt“.

Da ich oft das gefühl habe, dass dieses Grundverständnis irgendwie fehlt, und dann belustige Antworten kommen, habe ich das bereits antizipiert.

Vollbreit hat geschrieben:Und ich bin mir sicher, dass nicht nur ich dieses Problem mit Dir habe. Betrübt macht es mich deshalb, weil Du zweifelsfrei ein überdurchschnittlich intelligenter Mensch bist und weil es nicht immer leicht ist, die Aggressionen die dahinter stecken, zu tolerieren. Betrübt bin ich, weil es nicht möglich ist, über mehr als ein paar Beiträge mit Dir in Kontakt zu kommen, Du flüchtest sofort wieder in Deine Phantasiewelt, präsentiert als betont unverwickelte Sicht von außen. Schade.

Ich weiß wohl selbst sehr gut, wenn ich mal etwas angriffslustig in ein Thema reinstürze. Ich nehme weder meine eigenen Behauptungen sonderlich ernst, noch die anderer Leute. Kaum jemand ändert seine Meinung auf der Stelle, sondern lernt im besten Fall nur neue Fakten (und Einschätzungen) dazu die im besten Fall nach und nach verarbeitet und integriert werden.

Was du mit Phatasiewelt meinst, verstehe ich nicht. Ebenso nicht, was eine „betont unverwickelte Sicht von außen“ sein soll. Kann ja stimmen, oder auch nicht. Allerdings ist das alles nicht mehr das Thema hier. Insofern du es nicht kurz und knapp erläutern kannst, schlage ich PM (oder bei öffentlichem Interesse) entweder eigenes Thema vor, oder vielleicht passt es auch hier rein.
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Beitragvon laie » Mi 24. Jul 2013, 20:07

Vollbreit hat geschrieben:Ich hatte den Eindruck und glaube, Du hast ihn bestätigt, dass das was Du als Selbst- und Fremdachtung bezeichnest, mit der Dominanz der Aufmerksamkeit entweder nur für sich oder für andere zusammenfällt.


Das scheint mir keine adäquate Wiedergabe meines Standpunkts zu sein. Selbst- und Fremdachtung fällt für mich eben nicht mit einer "Dominanz der Aufmerksamkeit" "entweder" nur für sich "oder" für andere zusammen.

Vollbreit hat geschrieben:Man kann andere nicht respektieren, ohne sich selbst zu respektieren und umgekehrt.


das trifft eher meinen Standpunkt, wie ich ihn weiter oben angedeutet habe:

laie hat geschrieben: ... dass Selbstachtung mutatis mutantur mit der Achtung vor dem Fremden zu tun hat. Daher auch die herausragende Bedeutung der Gastfreundschaft, des Gastmahls. ... mit einer solcherart dialogisch verstandenen Achtsamkeit (sic!)


Lumen hat geschrieben:... nefariouserweise...


Geil!
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