Warum gibt es überhaupt Religionen?

Warum gibt es überhaupt Religionen?

Beitragvon Vollbreit » Fr 4. Apr 2014, 08:39

Hier herrscht ja ein breiter Konsens, dass Religionen eine Erfindung des Menschen sind.
Offenbar hat nur der Mensch Religion in sein Leben installiert, das aber ziemlich schnell und bis heute.
Aber warum sind Religionen überhaupt erfunden worden?

Was meint ihr?
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Re: Warum gibt es überhaupt Religionen?

Beitragvon Jounk33 » Fr 4. Apr 2014, 16:38

Kann man so nicht einfach beantworten, weil es sicherlich von Kultur zu Kultur unterschiedlich war weshalb man sich imaginäre Vorbilder erfunden hat.

Wie sowas entstand kann recht einfach gesagt werden. Durch Wahrnehmung von Ereignisen die nicht erklärbar sind. Wie z.B. ein Blitzeinschlag usw.

Spannender halte ich die Frage weshalb eine technologisch fortgeschrittene Kultur eine Religion braucht.
Ich habe mir dazu vor einiger Zeit eine Antwort zurecht gebogen. Also ich wage sogar zu behaupten, dass ohne Religion es nicht zu dem Fortschritt und der Technologie gekommen wäre wie wir sie heute kennen.
Die Pyramiden wurden z.B. aus religiösen Gründen gebaut. Man war der festen Überzeugung, dass nur die sichere Aufnahme des Pharaoh bei den göttern gewährleistet, dass die Nilüberschwemmung weiter statt findet. also momentan ist das die gängige Erklärung für den Sinn der Pyramiden. Wenn das stimmt, dann würde das bedeuten, dass erst durch religiöse Überzeugung die Technologie und die Arbeitsleistung möglich war die es erlaubte so ein bauwerk mit diesen Mitteln zu realisieren.
Das ist jetzt nur ein prominentes Beispiel. Abe rim grunde kann man die Entwicklung aller Kulturen auf Religiosität zurück führen. Auch in Deutschland z.B. begann man im frühen Mittelalter mit der Errichtung von Steingebäuden zuerst bei religiösen Gebäuden und/oder mit Gebäuden für Herrscher. Also in der Vergangenheit hatten fast alle technologischen Errugenschaften entweder einen religiösen oder einen militärischen Hintergrund.

Wenn man heute z.B. unser Geldsystem als Religion annehmen würden, dann werden auch hier die meisten neuen Technologien erst durch diese Religion erklärbar, also der Sinn dazu erschliesst sich nicht ohne einen Glauben an irgendetwas. Es heisst ja nicht für umsonst, dass Geld erst dadurch wertvoll ist weil jeder daran glaubt.

Also um es kurz zu sagen, ohne Glauben an irgendwas keine geistigen und somit auch keine technologischen Fortschritt. Deshalb halte ich Religion auch mittlerweile für nicht mehr so ganz unwichtig. Also ich bin sogar der festen Überzeugung lieber an einen Gott zu glauben den es nicht gibt als an die Macht des Gelxdes zu glauben. Im grunde ist es auch das was die Päpste predigen, nur ist es halt auch komisch, dass sie selbst an die Macht des Geldes mehr glauben als an den Gott den sie anbeten. Deshalb geht diese Form von Kirche/Religion unter.
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Re: Warum gibt es überhaupt Religionen?

Beitragvon stine » Fr 4. Apr 2014, 17:57

Ich denke, dass der Mensch etwas über sich braucht. Wo sich der Mensch selbst zum Schöpfer macht, trägt er viel zu viel Verantwortung mit sich herum.
Religionen dienen dazu, das reale Leben mal loszulassen und sich zu besinnen, dass man nicht selbst der Nabel der Welt ist.
Dass Religionen es bis heute geschafft haben populär zu bleiben liegt sicher daran, dass einige Völker ihren Gott immer noch als Hauptverantwortlichen für ihr Dasein sehen und bei anderen ist aus dem Glauben Respekt vor dem Leben geworden.
Religionen bilden auch nach wie vor unsere moralischen Leitbilder ab.

LG stine
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Re: Warum gibt es überhaupt Religionen?

Beitragvon ujmp » Fr 4. Apr 2014, 20:05

Das Thema hatten wir schon in "Wozu dient der Gottesbegriff" ausführlich behandelt. Ich glaube nicht, dass hier irgendwas Neues dazu gesagt werden wird.
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Re: Warum gibt es überhaupt Religionen?

Beitragvon xander1 » Fr 4. Apr 2014, 20:56

Vielleicht macht sich einer die Mühe und verlinkt das dahin und umgekehrt oder nur in eine Richtung verlinken.
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Re: Warum gibt es überhaupt Religionen?

Beitragvon Vollbreit » Sa 5. Apr 2014, 07:59

Jounk33 hat geschrieben:Kann man so nicht einfach beantworten, weil es sicherlich von Kultur zu Kultur unterschiedlich war weshalb man sich imaginäre Vorbilder erfunden hat.

Wie sowas entstand kann recht einfach gesagt werden. Durch Wahrnehmung von Ereignisen die nicht erklärbar sind. Wie z.B. ein Blitzeinschlag usw.

Ich weiß gar nicht, ob das stimmt. Ich halte es bestenfalls für die halbe Wahrheit.
Blitze, um das Beispiel aufzugreifen, sind älter als das älteste Leben. Alles was lebt ist daran adaptiert, zuckt vielleicht kurz beim Donner, aber das ist kein herausragendes Ereignis.
Die ersten „Götter“ waren ja auch eher Ahnengeister und die ganze Natur schien beseelt, im Sinne eines Animismus, eher nicht als Pantheismus.
Ich würde das also nicht so schnell als überbekannt wegwischen.

Jounk33 hat geschrieben:Spannender halte ich die Frage weshalb eine technologisch fortgeschrittene Kultur eine Religion braucht.
Ich habe mir dazu vor einiger Zeit eine Antwort zurecht gebogen. Also ich wage sogar zu behaupten, dass ohne Religion es nicht zu dem Fortschritt und der Technologie gekommen wäre wie wir sie heute kennen.
Die Pyramiden wurden z.B. aus religiösen Gründen gebaut. Man war der festen Überzeugung, dass nur die sichere Aufnahme des Pharaoh bei den göttern gewährleistet, dass die Nilüberschwemmung weiter statt findet. also momentan ist das die gängige Erklärung für den Sinn der Pyramiden.
Ich halte solche Motivzuschreibungen über die Jahrtausende ehrlich gesagt für gewagt, oft verstehen wir ja nicht mal den eigenen Ehepartner und den können wir sogar noch fragen.

Jounk33 hat geschrieben:Wenn das stimmt, dann würde das bedeuten, dass erst durch religiöse Überzeugung die Technologie und die Arbeitsleistung möglich war die es erlaubte so ein bauwerk mit diesen Mitteln zu realisieren.
Du meinst das damit ein Motiv gegeben war, etwas aus Verehrung oder zum Gütigstimmen zu tun? Denn eine religiöse Überzeugung zu haben, hat für mich vordergründig wenig mit der Notwendigkeit zur technologischen Entwicklung zu tun.
Doch in der Tat kam es ja zu einer Aufteilung von Heiligem, Besonderem und Alltäglichen, Profanen.
Nehmen wir mal an, dieses Gefühl des Besonderen verweist auf ein inneres Empfinden, was nach außen projiziert wird, woher kommt dann dieses innere Empfinden? Vielleicht durch die Pracht der Natur, aber können Tiere diese Naturwunder empfinden? Steht der Bär staunend vor den Wasserfällen und beobachtet das Reh hingerissen Sonnenuntergänge.
Der Mensch tut es, vielleicht erst seit er den Kontrast kennt – romantische Phasen waren ja im Grunde frühe Reaktionen auf die Industrialisierung – vielleicht schon seit Jahrtausenden, aber dann muss er staunen können und das ist etwas anderes, als erschreckt zu sein.

Jounk33 hat geschrieben:Das ist jetzt nur ein prominentes Beispiel. Abe rim grunde kann man die Entwicklung aller Kulturen auf Religiosität zurück führen. Auch in Deutschland z.B. begann man im frühen Mittelalter mit der Errichtung von Steingebäuden zuerst bei religiösen Gebäuden und/oder mit Gebäuden für Herrscher. Also in der Vergangenheit hatten fast alle technologischen Errungenschaften entweder einen religiösen oder einen militärischen Hintergrund.
Ich glaube, dass die Nummer mit dem Krieg als Vater aller Dinge da eher stimmt.
Wo ich zustimme, dass ist der Punkt, der immensen Energie, Sorgfalt und Hingabe, die man aus Gründen der Verehrung investierte, in prachtvolle Bauten, Musik, Gemälde, Theater, aber all das ist schon einen Schritt zu weit.
Was verehrte man da und woher kam dieses Bedürfnis?
Sicher ist auch das Motiv des Handels zu finden. Ich errichte etwas, damit die zuständige Gottheit mich schützt. Aber ist das wirklich ausreichend, Furcht?

Jounk33 hat geschrieben:Wenn man heute z.B. unser Geldsystem als Religion annehmen würden, dann werden auch hier die meisten neuen Technologien erst durch diese Religion erklärbar, also der Sinn dazu erschliesst sich nicht ohne einen Glauben an irgendetwas. Es heisst ja nicht für umsonst, dass Geld erst dadurch wertvoll ist weil jeder daran glaubt.
Ja, unsere ganzes Finanzsystem – und vieles andere - ist eine Übereinkunft, die davon lebt, dass man an das Geld glaubt und die Ideen, die daran hängen.
Das ist schon sehr virtuell.

Jounk33 hat geschrieben:Also um es kurz zu sagen, ohne Glauben an irgendwas keine geistigen und somit auch keine technologischen Fortschritt.
Reicht dazu nicht einfach der Glaube an eine bessere Zukunft. Also kurz, ein Ideal zu haben? Du hast insofern Recht, als Ideale, Phantasie, Liebe, Kunst und Religion (der Glaube) eine gemeinsame Wurzel haben, aber es differenziert sich dann doch aus. Man kann sehr phantasiebegabt sein, ohne religiös sein zu müssen.

Jounk33 hat geschrieben:Deshalb halte ich Religion auch mittlerweile für nicht mehr so ganz unwichtig. Also ich bin sogar der festen Überzeugung lieber an einen Gott zu glauben den es nicht gibt als an die Macht des Gelxdes zu glauben. Im grunde ist es auch das was die Päpste predigen, nur ist es halt auch komisch, dass sie selbst an die Macht des Geldes mehr glauben als an den Gott den sie anbeten. Deshalb geht diese Form von Kirche/Religion unter.
Man sieht in vielen Deiner Posts Kapitalismuskritik durchschimmern, zumindest ist das meine Phantasie. Aber was meinst Du, welche Form von Religion untergeht und warum?
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Re: Warum gibt es überhaupt Religionen?

Beitragvon ujmp » Sa 5. Apr 2014, 08:24

stine hat geschrieben:Ich denke, dass der Mensch etwas über sich braucht. Wo sich der Mensch selbst zum Schöpfer macht, trägt er viel zu viel Verantwortung mit sich herum.

Wenn er darauf kommt, dass sein Schöpfer die Verantwortung auch nicht für ihn übernimmt, da es ihn nicht gibt, nimmt er das gelassener. In der Tat ist es eine Überforderung, sein eigener Gott zu sein. Man muss halt immer dazu sagen, dass Gott ein Märchen ist. Und so viele Menschen glauben übrigens an Gott, weil Märchen mit so viel Leichtigkeit erfunden werden können und es deshalb so viele davon gibt.

stine hat geschrieben:Religionen dienen dazu, das reale Leben mal loszulassen und sich zu besinnen, dass man nicht selbst der Nabel der Welt ist.


Die Religion schafft genau das Umgekehrte. Katastrophen werden beispielsweise als Strafe Gottes für sündhaftes verhalten interpretiert. Auch heute noch, wie z.B. der Hurrikan Katrina in New Orleans. Der Gläubige meint durchaus, dass der das Weltgeschehen begriffen hat, seine Theory of Everything ist Gott. Er lässt nicht wirklich los, er klammert sich an jede x-beliebige Erklärung. Das Nichtwissen ist für ihn die Hölle.

stine hat geschrieben:Dass Religionen es bis heute geschafft haben populär zu bleiben liegt sicher daran, dass einige Völker ihren Gott immer noch als Hauptverantwortlichen für ihr Dasein sehen und bei anderen ist aus dem Glauben Respekt vor dem Leben geworden.

Nein, umgedreht, der Respekt vor dem Leben ist ja erst entstanden, seit die Menschen angefangen haben, es zu verstehen. Gott ist immer die Antwort auf eine nicht zu beantwortende Frage. An dem Staunen aber selbst, dass in dieser Frage liegt, hat Religion keinen Anteil. Religion ist immer ein Stopp, sie betäubt das Fragen mit erdichteten Antworten. Manche Dinge sind so schmerzlich, sie haben gewiss etwas Dichtung verdient - aber man muss halt auch wissen, wie man mit Drogen umgeht.

stine hat geschrieben:
Religionen bilden auch nach wie vor unsere moralischen Leitbilder ab.

Ja - leider!
Zuletzt geändert von ujmp am Sa 5. Apr 2014, 08:30, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: Warum gibt es überhaupt Religionen?

Beitragvon Vollbreit » Sa 5. Apr 2014, 08:27

stine hat geschrieben:Ich denke, dass der Mensch etwas über sich braucht. Wo sich der Mensch selbst zum Schöpfer macht, trägt er viel zu viel Verantwortung mit sich herum.
Das kann sein. Aber ich glaube, das erklärt nicht das Entstehen von Religionen. Ich will das erklären.
Das Empfinden seiner Verantwortung nicht gerecht zu werden setzt ja banalerweise erst einmal voraus, dass man so etwas wie Verantwortung überhaupt empfindet. Verantwortung ist m.E. ein eher spätes Konstrukt, was die Kenntnis sozialer Rollen voraussetzt. Ich muss ja wissen, dass mir als Familienoberhaupt vielleicht eine besondere Verantwortung zukommt, d.h. es muss tradierte Muster geben, die ich sehe, intuitiv oder implizit erkenne, denen ich entsprechen will und die andere von mir erwarten.
Ich muss mich schuldig fühlen können, wenn ich dieser Rolle nicht genügend entspreche.
Aber heißt es nicht, das Schuldempfinden sei erst mit den Religionen gekommen?
Das heißt, das was Du sagst: Ich kann dieser Druck der Verantwortung nicht mehr ertragen und delegiere ihn an überirdische Mächte, wäre doch eher eine Folge von Religion, als ihre Ursache, oder?

stine hat geschrieben:Religionen dienen dazu, das reale Leben mal loszulassen und sich zu besinnen, dass man nicht selbst der Nabel der Welt ist.
Möglich, aber warum sollte man das überhaupt tun? Warum sollte man sich nicht als Nabel der Welt fühlen wollen?

stine hat geschrieben:Dass Religionen es bis heute geschafft haben populär zu bleiben liegt sicher daran, dass einige Völker ihren Gott immer noch als Hauptverantwortlichen für ihr Dasein sehen und bei anderen ist aus dem Glauben Respekt vor dem Leben geworden.
Mag sein, aber das ist eher die andere Seite des Phänomens, was Menschen am Absprung hindert.
Mich interessiert aber der Anfang: Wie kam es eigentlich dazu?

Ich meine, man stellt sich das vielleicht zu sehr von heute aus vor, aus der Perspektive dauernd mit Reizen versorgt werden zu müssen und unter Langeweile zu leiden.
Dann sieht es so aus als hätten da vor tausenden Jahren ein paar Wilde am Lagerfeuer bei Dosenbier und Würstchen gesessen und nach acht Jahren sagte dann der erste: „Boah jeden Abend dasselbe, ich geh kaputt, komm lass uns mal einen Gott erfinden, das bringt Abwechslung.“ So wird das nicht gewesen sein, aber wie war es dann?
Aus welchem Grund wollten die Menschen Ahnengeister, Gottheiten oder dann irgendwann einen Gott (mit vielen Dienstleistern, Engel, Dämonen, Heilige) haben?

stine hat geschrieben:Religionen bilden auch nach wie vor unsere moralischen Leitbilder ab.
Ja, aber wo kommt die Moral her?
Und warum nimmt sie religiöse Formen an und wird nicht von Beginn an unter den sozialen Wesen verhandelt, die direkt davon betroffen sind?
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Re: Warum gibt es überhaupt Religionen?

Beitragvon Lumen » Sa 5. Apr 2014, 13:46

Ganz vorne angefangen, ist der Mensch mit einer Reihe an kognitiven Eigenschaften ausgestattet, die das Übersinnliche nahelegen.

Da hätten wir unseren Instinkt, überall Muster und Regeln zu erkennen, selbst Gesichter auf dem Mars. Uns sind Teile unserer eigenen Gedankenwelt verborgen, womit wir selbst „sinnvolle“ Muster erzeugen können, die uns einerseits etwas bedeuten, aber andererseits, die uns fremd erscheinen – also wirken, als ob sie von einer „wissenden“ Quelle außerhalb uns selbst stammen. Dieses Prinzip findet sich in Horoskopen, Sterndeutung, Kaffeesatzlesen, Bleigießen bis Tarot Karten und so weiter wieder, wobei irgendein Zeichensystem (und das kann fast alles Mögliche sein) zur Interpretationsfläche eigener Gedanken wird. Dazu gibt es noch etliches mehr zu sagen, aber ich glaube das reicht als Ansatz.

Es gibt auch eine Unzahl an Geisteszuständen, in denen ein Mensch das Gefühl hat, seinen Körper zu verlassen, und noch häufiger, den Eindruck hat, eigene Gedanken kämen von einer externen Quelle.

Unsere Wahrnehmung ist nicht immer gleich, und wir können diese Veränderung selbst wahrnehmen. Im (Tag)traum, unter Drogen oder in Trance sieht es erstmal so aus, als würden wir einen anderen, vorher unbekannten Teil der Wirklichkeit sehen und wenn es völlig fremdartig ist, sogar einen anderen Teil der Wirklichkeit betreten.

Schließlich haben wir eine Vielzahl an Heuristiken, die das Übernatürliche quasi von Geburt an mitgeben.

Wir arbeiten offenbar mit drei „Haltungen“ (stances), mit denen wir die Welt erklärbar machen, argumentiert Daniel Dennett. Das sind, wenn man so will, drei Schablonen oder Container, die vorgeben, wie wir einem Ding begegnen, und die wir dann entsprechend befüllen.

Die „physikalische Haltung“ (physical stance) erlaubt uns, das Verhalten von etwas mithilfe naiver Physik zu erklären: Ein geworfener Stein hat eine Flugbahn. Gegenstände fallen zu Boden. Es gibt sowas wie Wucht und Aufprall und so fort.

Die „Design Haltung“ (design stance) hingegen erlaubt uns, ein komplexes Ding zu verstehen, indem wir uns fragen, wofür es „gemacht wurde“. Wir betrachten bei einer Uhr nicht die physikalischen Interaktionen sondern nehmen eine mentale Abkürzung. Wir wenden diese Denkweise auch auf eindeutig nicht „designtes“ an: Flügel sind zum Fliegen da, Beine zum Laufen und so weiter.

Als dritte Haltung schlägt Dennett die „Intentionale Haltung“ (intentional stance) vor, die einem Ding eine Absicht, Motive und so weiter unterstellt. Diese nutzen wir vorwiegend bei allem was Kreucht und Fleucht, aber auch heute noch, bei sehr komplexen und undurchschaubaren Sachverhalten: Das Wetter macht was es will, die Börse spielt mal wieder verrückt und so weiter.

Die intentionale Haltung hängt noch mit Empathie und der Fähigkeit zusammen, sich in andere Hineinzuversetzen. Damit können wir auch im weniger starken Sinne als unter Drogen oder durch Krankheiten unseren Geist schweifen lassen. Andere Tiere verfügen auch über diese Fähigkeit, wenn auch im begrenzten Maße. Ein Vogel, der eine versteckte Eichel wieder aus dem Versteck holt, weil er gemerkt hat, dass ihn ein anderer Vogel beim Verstecken beoabachtet hat (Intentionalität erster Ordung).

Dazu kommen die Furcht, ein elementarer Überlebensinstinkt, und die relativ grausame Fähigkeit, unsere eigene Nicht-Existenz (also den Tod) zwar zu ahnen, nicht aber zu verstehen.

Die Angst vor dem Dunklen und Unbekannten ist ein relativ elementarer Baustein, denn wenn wir nichts „erkennen“ kann unser Gehirn, unsere stärkste Überlebenswerkzeug nicht arbeiten. Was wir wiederum erkennen, oder zu erkennen glauben wird bezeichnet. In der Umkehr haben wir Angst vor dem nicht-bezeichneten, das uns an den Kragen will. Unsere Vorfahren haben sich lieber geirrt, wenn es ein Rascheln im Busch gab, als zu hoffen, dass da nichts ist.

Schließlich haben Menschen noch eine reiche Innenwelt, denn genau genau genommen spielt sich alles in unserem Körper ab, wo die Information verarbeitet wird. Wir können uns vieles recht gut merken, sodass wir uns Menschen, Dinge, Umstände lebhaft vorstellen können, als wären sie präsent. Genau genommen, argumentiert wiederum Douglas Hofstaedter, simuliert ein Teil unseres Gehirns andere Akteure und damit haben wir sie fast wortwörtlich bei uns, denn unsere „Hardware“ ist fast identisch mit dem „richtigen“ Menschen. D.h. meine Simulation von meiner Mutter in meinem Kopf läuft auf der gleichen grauen Masse, wie sie selbst. Mein mentales Abbild ist zwar ungleich einfacher und arbeitet mit beobachteten Algorithmen, die ich ständig verfeinere (was wir jemanden kennen lernen nennen), aber es ist im Prinzip nicht wirklich anders als meine echte Mutter.

Dann brauchen wir noch Geschichten. Geschichten bewahren wissen auf und sind unterhaltsam, lehrreich und so weiter. Menschen lieben Geschichten. Wir tauschen uns über Geschichten aus, d.h. ordnen Ereignisse anhand einer zeitlichen Abfolge und verknüpfen die Bausteine mit einer Erzählung, wodurch sie merkbar(er) wird.

Obendrauf kommen noch andere kognitive Eigenschaften. Warum haben wir zum Beispiel nicht für jeden Sachverhalt eine eigene Religion gegründet? Eine Religion eigens für die Himmelsphänomene, eine eigens für das Totenreich und so weiter? Das liegt daran, dass der Mensch offenbar von Natur aus ökonomisch denkt, denn das Wissen muss übertragbar und merkbar sein. Eine zentrale Geschichte, wie ujmp meint, eine Theorie Für Alles, erleichtert das ungemein.

Wir haben auch das Bedürfnis einer Gruppe anzugehören und sind höchst soziale Tiere. Hier kommen solche Sachen wie Transzendenz, Identität und „Sinn“ ins Spiel, die über das Individuum hinausgehen.

Mit diesen Bausteinen kann man Ur-Religionen vor sich sehen, die Geister und Seelen und solche Dinge kennt. Geschichten bewahren wissen auf, aber machen eben auch unsterblich. Bei den Agyptern war das fast wortwörtlich ausgebildet. Ohne Denkmal, kein vernünftiges Jenseits. Wer ein Denkmal hat, bleibt in der kollektiven Erinnerung, ist also unsterblich – weil wir alle ständig Simulationen von anderen wichtigen Akteuren im Kopf laufen lassen. Damit herrscht der König über seinen Tod hinaus: was würde König Sowieso in dieser Situation machen? Auch die Ahnen leben in dieser Spähre. Oma hätte diesen Kuchen bestimmt gemocht.

Wir haben hier auch ein übersinnliches Reich, das scheinbar durch Trace, im Traum und so weiter betretbar ist und wo es bedeutsames Wissen gibt, das wir aus dem Unbewussten ziehen, oder das mittels Mustererkennung bedeutung erhält (wobei beides bei genauem Hinsehen sehr ähnliche Vorgänge sind).
Die ersten Mythologien in Eurasien hatten wohl einen gemeinsamen Ursprung, die proto-indoeuropäische Religion die wir aber nicht kennen, sondern nur spätere und schon ausdifferenzierte Religionen mit vergleichbaren funktionalen Merkmalen. Dazu gehört auch ein Himmelsgott als Herrscher, der aber von anderen Gottheiten umstellt wird (Dis Pater, Zeus, Tyr, Deus, mal auf Klang und Lautverschiebung achten).

Überhaupt ziehen sich durch alle Religionen eine magische Vorstellung durch, wonach es eine Art Symmetrie zwischen dem Natürlichen und Übernatürlichen gibt. Die Sterne hängen damit zusammen, was auf der Erde passiert. Wenn man die Torah anders versteht, und entschlüsselt, kann man das übersinnliche kontrollieren. Ebenso im Okkultismus. Den himmlischen Heerscharen entspricht die Kirche, und gegen sie arbeiten die Heiden (Fehlgeleitete, die an eine Täuschung des Teufels glauben und das für die wahre Religion halten) und im Jenseits ein Heer an Dämonen.

Das heißt, wir haben wohl sehr tiefverwurzelte kognitive Vorstellungen, im Einklang mit unserem Körperbau, vom richtigen und schönen, dass mit Ökonomie und damit Symmetrie zu tun hat. Oben und Unten, Dieseits und Jenseits, die Welt im Kopf gegenüber der Welt da draußen. Um etwas abzuleiten, braucht man mindestens zwei Datenpunkte (heller-dunkler, wärmer-kälter usw.), was wiederum ein natürlicher Hang zum Dualismus ist. Wir können zwei Messpunkte offenbar gut extrapolieren. Wenn etwas „besser“ ist, dann können wir uns das Beste und das Schlechteste vorstellen.

Man kann auch Nachzeichnen, wie das Christentum als Ideengebäude entstand, was das ganze Ding von einer ganz anderen Warte aus zu Fall bringt, d.h. anders als Theologen öffentlich vorgeben, ist ihre Religion nicht einfach inspiriert oder diktiert wurden und das war es dann. Und das wissen Theologen auch. Nichtsdestotrotz möchte man ungern zugeben, das Jahweh laut Bibel nur eine Gottheit von vielen war und zwar deswegen eine Eifersüchtige. Übrigens finden sich auch jene kognitiven Elemente in der Frühzeit des Christen, bzw. Judentums wieder. Man durfte Jahweh nicht beim Namen nennen, denn das brachte Unglück und man hatte Angst davor, also hatte Jahweh eine Vielzahl von anderen Namen. Deswegen heißt der „Gott“. Hier steckt die Idee drin, das Benennen auch Kontrolle und Beschwörung (also Sichtbarwerden) bedeutet, die sich dann in Märchen vom Rumpelstilchen, in den „wahren Namen“ bis hindurch zu modernen Inkarnationen vom Bösewicht, dessen Namen man nicht nennen darf, durchzieht.

Es gibt nochmehr. Man fand heraus, dass Menschen, wenn sie sich beobachtet fühlen, weniger schummeln. Eingedenk fehlender weltlicher Autoritäten, war ein übersinnlicher Oberaufseher auch nützlich für eine Gemeinschaft. Schwer zu imitierende religiöse Rituale beschützen Gemeinschaften und stärken den Gemeinschaftsinn gegenüber Trittbrettfahrern und Ausnutzern.

Größere Menschengruppen funktionieren nicht mehr über „genetische Gefühle der Verwandtschaft“. Das Zusammengehörigkeitsgefühl musste transportiert werden. Anfänglich entstanden Religionen rund um Verwandte, also Stämme die sich für auserwählt hielten und wo ein Vorfahre oftmals entweder direkt selbst ein Gottheit war, oder zumindest einen sehr guten Draht zu den Göttern. Das hängt wieder mit Geschichten zusammen, die erst entstehen und dann weitererzählt werden müssen.

Das mischt sich in der Geschichte auch, denn noch in der Antike dachte man bei „Gott“ nicht zwangsläufig an übersinnliche Wesen. Könige, Pharaonen und so fort konnten gottgleich sein. Genau genommen ist das bei mancher Diktatur noch so gewesen. Erst war es der Stamm, und die ethnische Gruppe, dann die Herkunft, die auch woanders hin transportiert werden konnte. Man konnte stolzer Athener sein, oder Spartaner, dann – natürlich Römer – und sich auch am zugigen englischen Hadrianswall dazugehörig fühlen, mit Staatsreligion und allem Drum und Dran. Da ist es dann kein Wunder, dass dasselbe Gefühl auf die Nation überging und im Zuge dessen Ideologien mit ihren eigenen Heiligen, ihrem eigenen kollektiven Gedächnis (ein Jenseits) mit Führern entstand.

Und das ist immer noch nicht alles, was wir wissen. Zig weitere kognitive Effekte kommen dazu, die sehr schön weitere Elemente erklären. Zum Beispiel der Effekt, dass wir uns seltsame, widersprüchliche oder bizarre Sätze besser merken, als andere, wenn wir glauben, sie seien wichtig. Ein Gehirn kann ewig damit auf Trap gehalten werden, sich über die Dreifaltigkeit Gedanken zu machen. Es ist kompletter Unsinn, aber es gibt einen starken Druck, Bedeutung beizumessen und das setzt sich dann fest (im Vergleich zu einer Aussage die auch bedeutsam ist, aber nicht wundersam). Hier richten sich auch gerne Theologen und Scharlatane ein, und fabrizieren das was Dennett „Deepity“ nennt. Menschen lieben eben Puzzel, vor allem wenn sie denken, dass es höchstwichtig ist, es zu verstehen. Neben Trinität kommen dann Koans und Zen-Weisheiten, oder grieschiche Paradoxa und ähnliches dazu.

Schließlich und endlich gibt es auch die Vermutung, dass unser Denken von Bedeutungen zusammen mit Zwangsstörungen ein Grund ist, warum Religionen so sind wie sind. Reinigungsrituale, Bedeutung von Zahlen gibt es in allen Religionen. Man könnte sagen, dass Zwangsgestörte ihre Krankheit in die Religion reinlegen konnten, etwa wie Viren, die ihre DNA in andere Lebensformen einbauen (auch menschliches Erbgut enthält Anteile, die in grauer Vorzeit von Viren eingebaut wurden).

Und das ist immer noch nicht alles, es gibt z.B. noch den ganzen Batzen der sich um die Verbindung aus Körper und Psyche dreht, also alles psychosmatische. Wenn Worte verletzen können, sind es dann nicht wahrhaftig Zaubersprüche? Und so weiter.

PS: Bei Absatz für Absatz , oder gar Satz für Satz Kommentar bin ich direkt aus dem Thema wieder raus.
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Re: Warum gibt es überhaupt Religionen?

Beitragvon Jounk33 » Sa 5. Apr 2014, 14:06

Vollbreit,
Nun Sie haben durchaus Berechtigung historische Spekulation in Frage zu stellen, dann sollten Sie zumindest diese aber auch selbst unterlassen. Ich bemühe mich jedoch meine Ansichten ohne weitere historische Spekulation zu verdeutlichen.

Ja, also ich habe schon zu anderen Theman meine Aufassung geäussert, dass ich der Meinung bin, der Mensch braucht zuerst eine Vorstellung, eine Idee, ein Ideal, oder auch einen Wunsch (kein Bedürfnis) um etwas zu erfinden, also er muss sich etwas vorstellen um es in die Tat umzusetzen. Damit meine ich nicht Techniken die Überleben und Vervielfältigung sichern, damit meine ich stetige Verbesserungen (Erleichterungen die technologisch nicht evolutionär sind), aber auch Kunst und Komfort, oder Sicherheit usw.
Durch Sprache also Wort und Klang, ist es möglich Vorstellungen, Ideale und Wünsche zu vermitteln, zu übertragen, zu vervielfältigen. So kommt es zu grösseren und kollektiven Idealvorstellungen und somit zu Religionen, Moralvorstellungen, Sitten und von mir aus auch Weltanschauungen.
Wer kann sich heute dem Glaube an das Geldsystem entziehen ? Wer kann sagen, ich brauche euer Papiergeld nicht, ich will nur was zu essen und n Dach übern Kopf. Das gibt es , das sind Nischen, aber das ist nicht die Regel. Das was mich aber wundert ist, so wie man früher an die Macht von Göttern und ihrer Vertretern auf Erden glaubte, diese vereherte und sogar bereit war schwere Steine durch die Wüste zu schleppen, so scheinen wir auch heute dem Geld in Buchform und deren Vertretern uns hinzugeben. Wir sind bereit jeden Tag Meilen zu überwinden und seltsame scheinbar sinnlose Dinge den ganzen tag zu tun um am Monatsende die Gunst unseres Gottes und seiner Vertreter gewährt zu bekommen. Also wenn in 3000 Jahre jemand anhand von Funde und Dokumente einen Sinn in den unsrigen Handlungen sucht der hat es vielleicht auch nicht so leicht da einen zu finden und da kommt dann wird da der religiöse Faktor hinzu gedichtet.

Also Glaube halte ich weiterhin für die Haupttriebfeder für die aller meisten menschlichen handlungen, damals wie heute. Ach und der Glaube an eine bessere zukunft, na das ist doch auch nichts anderes als Religion, das ist doch das selbe wie die frohe Botschaft der Christen, an eine Gesellschaft in der niemand Not leidet und jeder für jeden da ist, das Paradies, oder von mir aus Utopia. Schön, dass es solche Gedanken gibt.

Wegen Kapitalismuskritik, das ist keine Kritik am Geld ansich. Ich sehe nur, der Glaube an das Geld hat lange schön funktioniert und es würde auch weiter funktionieren wenn jeder daran glauben würde. Aber das tun viele nicht mehr, viele sind in Situationen in denen es besser ist an andere Dinge andere Werte (Götter) zu glauben. Vor einiger Zeit gab es da keine Alternative zu. Wer was anderes wollte war ein Kommunist oder so. Heute ist das aber anders. Heute gibt es sehr viele schöne alternative Modelle die versuchen andere Ideale als Motivation als kulturelle Mitte zu bieten. Das erinnert mich ein wenig an die Situation damals in Germanien als einige Stämme wie die Sachen den alten Glaube an Odin & co. nicht aufgeben wollten und anderseits Missionare daher kamen und eine echte Alternative boten. Sie boten z.B., das auch Arme und Landlose Rechte und Würde haben, was in alter Vorstellung unmöglich war. Das war der Grund weshalb das Christentum so erfolgreich war. Es bot vielen die durch die alte Götter (den alten glaube) benachteiligt waren vollkommen neue Perspektiven und Lebensgrundlagen, also glaubten die nicht mehr an Odin und Thor, weil das war ihr Sklavenstatus, vielleicht noch ein bisschen eher in Furcht, sondern jetzt an den neuen Herrn Jesu Chistus und dem onmipotenten Vater im Himmel, weil damit hatten sie zumindest eine ganz neue Gemeinschaft die sie als etwas angenehmes wahr nahm. So funktionieren heute in etwa diese alternativen Kapitalismuskritiker. Oder wenn Sie es klassisch wollen, siehe die Titanomachie in Hesiod's Theogonie.
Ich persönlich finde das was momentan so zum thema Kapitalismuskritk abgeht sehr spannend, weil es möglich ist, dass alte Sackgassen nun durch neue Strassen ersetzt weden könnten, wenn nur genug nicht mehr an Geld und die macht dahinter glauben. Also mir persönlich wäre das Recht, weil ich mein Land gerne wieder beackern würde anstatt es an Grossunternehmen zu verpachten.
Also was ich da sehe ist, dass jeder Glaube irgendwann mal (früher oder später) in eine Sackgasse führt aber stets durch anderen glaube und Werte ersetzt wird. ob das nun heute der Fall ist wird sich zeigen, jedenfalls wäre ich auch an einer Umwälzung interessiert.
Ob ein anderer Glaube, ein anderes Wertesystem besser ist als das alte entscheidet im gruinde nur die Intensität des Glaubens daran.

Glaube, Moral, Ideale, müssen keine religiöse Formen annehmen, aber die Macht die sich daraus formt ist eigentlich immer die selbe. Es gibt immer irgendwann administrative Kräfte die das System steuern.

Welche Formen der Religion ich untergehen sehe. Na Religionen die den Anspruch erheben Teil einer Regierung, also fester Bestandteil des Wertesystems, sein zu wollen. Also die christlichen Kirchen wurden so lange bekämpft bis sie diesen Anspruch haben fallen lassen. Der Islam hat diesen Anspruch noch (das spürt man anhand vieler Themen auch hier in Deutschland) und wird deshalb bekämpft, gerade von den Anhängern der momentanen Hauptreligion Wissenschaft und Kapital. Nunja, jedenfalls predigen diese Religionen Werte die aber im gegensatz zu den Lebensumständen der eigenen Vertretern und der Gläubigen stehen, deshalb sehe ich, die Zeit solcher Religionen ist bereits abgelaufen.

Ich mag es nicht besonders wenn man meine Beiträge zerstückelt und dann nur auf einzelne Aussagen einzeln reagiert. Dadurch verfälscht man auch den ganzen Zusammenhang einer Ansicht und so kommt es immer wieder eher zu Rivalitäten anstatt zu interessanten Diskussionen.
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Re: Warum gibt es überhaupt Religionen?

Beitragvon Vollbreit » So 6. Apr 2014, 10:58

@ Lumen:

Danke für Deinen Beitrag.

Eine „Unzahl“ von Geisteszuständen die als außerkörperliche Erfahrungen erscheinen, kann ich so nicht sehen, ich kenne das was Blanke und Metzinger dazu sagen. Aber wann hattest Du denn Deine letzte außerkörperliche Erfahrung? Ich hatte noch nie eine.

Ferner stimmen wir überein, dass es außergewöhnliche Bewusstseinszustände gibt, wir werden vermutlich einen Dissens bezüglich ihrer „Echtheit“ haben.
Deshalb meine Frage: Was würdest Du als grundlegendes Kriterium der Echtheit oder Realität ansehen?
(Was ich meine: Wenn wir träumen, können wir auch Häuser sehen, Dinge anfassen, Angst haben und Lust empfinden, solange wir träumen. Das ist vorbei, wenn auch nicht immer und ganz – bspw. kann ein Albtraum uns auch in der Wachwelt belasten - , wenn wir aufwachen.)


Dennetts Haltungen oder Einstellungen finde ich im Wesentlichen richtig, er sagt damit, dass wir den Weltphänomenen Eigenschaften und Intentionen zuschreiben und diejenige Theorie beibehalten, die uns die Welt am besten erklärt.

Wir stimmen überein, dass wir lebendige (und überaus wichtige!) Repräsentationen von anderen Menschen in uns haben (übrigens mit bedeutenden Unterschieden), Geschichten brauchen und über eine reiche Innenwelt verfügen.


Der Sprung zur Religion ist mir etwas zu abrupt, aber wenn ich Dich richtig verstehe, dann ist Deine These der Religionsentstehung (über Ahnengeister, Magie und so weiter) ziemlich nahe an meiner.

Meine Einstellung ist, dass Religion nicht eine Erfindung aus der hohlen Hand oder aus Langeweile ist, sondern aus der Erfahrung mit inneren Welten, wie Du sagst: Traum, Trance, Drogen, als Medien.
D.h. hier stehen reale, aber wirre, außergewöhnliche, Erfahrungen am Anfang, die gedeutet werden wollen, weil Menschen Wesen sind, die ihre Umwelt verstehen wollen – und relativ beunruhigt sind, wenn sie sie nicht verstehen – und so projizieren sie Deutungsmuster in die äußere und vor allem innere Welt.

Was uns Menschen auch eint, ist ein gewisses Gefühl der Beruhigung, wenn andere unsere Erfahrungen teilen. Wenn wir einen merkwürdigen Schmerz verspüren und denken wir hätten eine tödliche Krankheit, sind wird beruhigt, wenn jemand sagt: „Ach das hatte ich auch schon, das sind Muskelverspannungen, das ist harmlos und verschwindet wieder.“

Auch Innenwelten kann man systematisieren und erklären und wir sind froh und glücklich, wenn jemand Albträume, Neid, Liebeskummer und dergleichen auch kennt.
Daraus entwickelten sich m.E. zum einen Geschichten, die diese Innenwelt erklärten, zum anderen, bei den Hörern dieser Geschichten eine Mischung aus Neid, Bewunderung, Angst, Skepsis und bei einigen der Wunsch diese Erlebnisse auch zu haben. Daraus wiederum entstanden diverse Techniken um diese inneren Welten gezielt und nicht zufällig bereisen und erreichen zu können. Kollektive und individuelle: Tanz, Gesang, Atemtechniken, Tempelschlaf, Rituale, verschiedene Drogen, Meditationen.

Durch diese Techniken wurden die magischen, mythischen, religiösen Geschichten lebendig gehalten, weil immer mal wieder jemand die Erfahrungen bestätigen konnte.
Wie weit stimmst Du mit dieser Darstellung überein?


Unsere Wege trennen sich vermutlich, bei der Deutung der späteren Entwicklung.
Irgendwann kamen die ersten Denker daher, die behaupteten, man könne die religiösen Geschichten auch ganz anders erzählen. Zu Anfang hatten sie noch keine eigene konsistente Geschichte, doch die wurde mit dem wissenschaftlichen Weltbild nachgeliefert. Aber was geschah mit den Innenwelten? Albträume, Neid und Liebeskummer gab es immer noch und wenn das keine Strafen Gottes waren, was dann?

Dichter, Philosophen, und Psychologen lieferten uns prompt die Antworten, später ergänzt durch Ärzte, Biologen, Soziologen und immer weiter ausdifferenziert. Es entstanden neue Mythen, vom Unbewussten, von Neurotransmittern, von sozialen Konstellationen, von Genen und so weiter.
Erklärungen allein machen niemanden satt. Ob mich quälende Albträume jagen oder ich eine außerordentliche Glückserfahrung oder Einheitserfahurng hatte, wichtig ist für den Erlebenden nicht (nur) die Erklärung, sondern die Frage, wie man diese Albträume weg bekommt oder die Glückserfahrung wiederholen kann.

Und so sind die diversen Erklärungen der „Entzauberer“ für mich nachvollziehbar, wenn sie dem reinen Forschergeist, der Neugier entspringen. Wir wollen einfach wissen, wie das alles funktioniert, Du genauso wie ich. Was ich nicht verstehen kann und Dich hiermit fragen möchte, ist, warum Entzauberer an der entscheidenden Stelle abbrechen, anstatt ihre Erkenntisse zu nutzen.
Was ich konkret meine: Nehmen wir an irgendwas reduziert bestimmte Ängste oder fühlt sich einfach gut an. Die einen sagen, das will ich auch erleben und tun es, die anderen untersuchen es, erklären dann – oft mit einem merkwürdigen Triumpfgefühl – das sei doch alles auch nur Gruppendynamik oder Hirnchemie und machen sich auf zur nächsten Entzauberung, anstatt das für sich zu nutzen. Man kann natürlich auch beides tun.

Was nimmt es dem individuellen Erleben, wenn man weiß – und oft sind die Erklärungen auch noch einseitig und müde – dass es für dies und das irgendeine andere Erklärung gibt, als man bisher dachte? Wenn man etwas auf ein beliebiges „das ist doch nur“ reduziert, ist doch die nächste Frage, wie ich dieses Erlebnis, diesen Zustand, diese Erfahrung erreiche bzw. vermeide.
Was gibt oder nimmt es der Liebe, wenn man hört, das sei nur Hirnchemie oder man, wie es idiotischerweise schon geschah, die Liebe sogar pathologisiert?
Was nimmt es Nahtoderfahrungen, bei denen man die Todesangst verliert, wenn man hört, das sei „nur Sauerstoffmangel“ (was nebenbei nicht stimmt).
Was ist die Motivation jemandem, dessen gutes Lebensgefühl möglicherweise auf einer Illusion beruht, von dieser Illusion „heilen“ zu wollen? Damit er sich nachher schlechter fühlt? Was gibt einem die ethische Legitimation dafür?
Wenn es zugespitzt am Ende darum geht, ob man sich für Erkenntnis oder Glück entscheidet, wer sagt, mit welchem Argument, dass man sich für die Erkenntnis zu entscheiden habe?

Das sind alles Frage, die die Frage nach der Wahrheit, wie Du sie verstehst, noch nicht berühren, aber die können wir meinetwegen auch stellen, Du darfst das entscheiden.
Es ist ja wichtig, das zu klären. Ich werde zum einen nicht gerne von anderen für durchgeknallt gehalten, was mich aber insgesamt weniger stört.
Auf der anderen Seite möchte ich auch niemanden verschrecken, so dass andere glauben müssen, der Untergang des Abendlandes stünde bevor.
Ich mute Dir einfach mal zu, dass Du das auseinander hältst.

Du darfst mich gerne als Stellvertreter für die oben skizzierte Einstellung behandeln, die Religion ist da eher ein Subthema, wie gesagt für den Glauben an den Glauben kann ich mich erwärmen, ohne selbst gläubig zu sein, einfach aufgrund der dadurch herzustellenden gesellschaftlichen Ordnung, die ich wichtig finde, aber mein Herz hängt da nicht dran.
Bei der Spiritualität, an der mein Herz viel mehr hängt, meine ich gute Gründe zu haben, haufenweise, aber letzten Ende ist es mir egal, ob jemand z.B. meditiert.
Ich weiß gar nicht ob man das nicht sogar in ein naturalistisches Konzept packen kann, ich meine ja. Man kann sich drüber streiten, ob man letztlich alles was Spiritualität heißt, auf den Neurokonstruktivismus zurückführen kann, von mir aus können wir das tun. Ich bin, was das angeht, völlig pragmatisch.

Aber wenn es auf die theoretische Ebene geht und sozusagen ein Offenbarungseid gefordert wird, bei dem „die andere Seite“, meinetwegen Du, fordert, zu gestehen, dass das alles ein Religions-Magie-Esoterik-Spiritualitäts-Mystik-Mischmasch und reine Erfindung sei und man ja durchaus Elemente daraus, meinetwegen, Meditation, Yoga und Gesang in der Gruppe behalten könne, wenn man nur auf den „Quatsch“ verzichtet, da werde ich immer unartige Widerworte geben, weil ich glaube, das ich gute Argumente habe. Eines behandeln wir gerade, ich glaube, wie Du offenbar auch, dass Religionen aus realen Erfahrungen (wie diese zu deuten sind, ist eine andere Geschichte) abgeleitet werden und ich würde das erweitern, auf weiterhin befeuert wurden.

Und Du hast die Wahl, Du kannst das alles versuchen zu diskreditieren und wirst dafür auch Beifall erhalten oder Du versuchst mich zu verstehen, was für Dich den Vorteil hätte, dass Du auch Deine Argumente prüfen kannst, was Dir leicht fallen sollte, wenn Du Dir dieser so sicher bist. Ich bin mir meiner Argumente auch sicher. Mach doch mal den Test und fordere den „Esoteriker“ heraus. Das kann alles auf der Ebene rationaler Argumente laufen, wie auch sonst in einem Forum? Ich bin nebenbei auch nicht böse, wenn ich eventuelle Irrtümer korrigieren kann und ich bin jederzeit bereit von Dir zu lernen. Ich brauche aber tatsächlich keine Nachhilfe bei den Grundelementen der Naturwissenschaften, mir ist das alles bekannt, natürlich nicht bin in Feinheiten, aber ansonsten habe ich ausreichende Grundkenntnisse in allen Naturwissenschaften, so dass wir gleich zum Eingemachten kommen können.
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Re: Warum gibt es überhaupt Religionen?

Beitragvon Vollbreit » So 6. Apr 2014, 11:27

@ Jounk33:

Ja, ich glaube auch, dass Ideale eine zentrale Rolle im menschlichen Leben spielen.

Der Glaube muss kein religiöser Glaube sein, sondern ist ein grundsätzliches Vertrauen in die Welt und die anderen. Aber Religion ist wohl eine Spielart davon.
Dass es Parallelen zwischen der Religion, dem Glauben an das nie endende Wachstum des Kapitalismus und sonstigen sozialen Konstrukten gibt, sehe ich auch, aber es ist nicht das, worauf ich in diesem Thread hinaus will, weshalb ich hier nur knapp antworte und mich entschuldige, dass meine Antwort auf Deinen ausführlichen Beitrag so spärlich ausfällt.

Was die Rolle der Religionen und Wertesysteme angeht, bin ich anderer Auffassung. Ich meine, dass gerade Religionen den Menschen mit Werten versorgten und ein gesellschaftliches Regulativ darstellten. Diese Rolle kann Religion m.E. in verschiedene Gesellschaftformen auch heute noch spielen, da deren Werte und Normen in aller Regel ohnehin religiös Wurzeln haben.

Ob das nun so ist, weil religiöse Normen auf universelle Normen rekurrieren oder Normen direkt aus der Religion kommen, darüber kann man streiten.
Zuletzt geändert von Vollbreit am So 6. Apr 2014, 11:34, insgesamt 2-mal geändert.
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Re: Warum gibt es überhaupt Religionen?

Beitragvon ujmp » So 6. Apr 2014, 11:31

Vollbreit hat geschrieben: ich kenne das was Blanke und Metzinger dazu sagen.

Der Stapel von Autoren die du kennst, wird ja immer höher. Kannst du mal kurz darstellen, was die beiden zu sagen haben?
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Re: Warum gibt es überhaupt Religionen?

Beitragvon ujmp » So 6. Apr 2014, 16:13

Vollbreit hat geschrieben:Was nimmt es dem individuellen Erleben, wenn man weiß – und oft sind die Erklärungen auch noch einseitig und müde – dass es für dies und das irgendeine andere Erklärung gibt, als man bisher dachte? Wenn man etwas auf ein beliebiges „das ist doch nur“ reduziert, ist doch die nächste Frage, wie ich dieses Erlebnis, diesen Zustand, diese Erfahrung erreiche bzw. vermeide.
Was gibt oder nimmt es der Liebe, wenn man hört, das sei nur Hirnchemie oder man, wie es idiotischerweise schon geschah, die Liebe sogar pathologisiert?

Die Konsequenz daraus ist aber nicht notwendig Rückzug zum Irrationalismus - dies sei dir und deinesgleichen aber unbenommen.

Das Konzept des Reduktionismus ist einfach nur unzulänglich (und du lachst dir ins Fäustchen, wenn seine Ideologen damit ankommen). Dies zu verstehen bedeutet eben auch zu verstehen, wie es wirklich ist, zu verstehen: Reduktionismus, „das ist doch nur“ - ein Modell. Wenn dir irgendetwas wirklich hilft, dann legst du sehr viel Wert auf Wirklichkeit. Und genau dann diskutieren wir auf einer Ebene, die im Grunde die wissenschaftliche ist, wir diskutieren evidenzbasiert. Religiöse und Esoteriker suchen ja permanent nach Evidenz für ihre Theorien. Sie behaupten Evidenz zu haben. Sie irren sich nur meistens und sehr, sehr oft Lügen sie dabei. Was ihnen nicht gefällt, ist die Kritik, - sprich die Frage "Stimmt das wirklich oder ist das nur...?". Wenn es in der Religion etwas gibt, was es Wert ist, ihr zu entnehmen - das gibt es bestimmt - dann hält es auch dieser Frage stand. Und das "nur" kann man ja auch als Chance sehen: es ist evtl. billiger zu haben.
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Re: Warum gibt es überhaupt Religionen?

Beitragvon ujmp » So 6. Apr 2014, 18:17

Vollbreit hat geschrieben:Aber wenn es auf die theoretische Ebene geht und sozusagen ein Offenbarungseid gefordert wird, bei dem „die andere Seite“, meinetwegen Du, fordert, zu gestehen, dass das alles ein Religions-Magie-Esoterik-Spiritualitäts-Mystik-Mischmasch und reine Erfindung sei und man ja durchaus Elemente daraus, meinetwegen, Meditation, Yoga und Gesang in der Gruppe behalten könne, wenn man nur auf den „Quatsch“ verzichtet, da werde ich immer unartige Widerworte geben, weil ich glaube, das ich gute Argumente habe.

Das ist halt alles nur Polemik. Interessant wird es dann, wenn du mit der Sprache rauskommst, was du denn gerne behalten möchtest und warum. Ganz gewiss ist in den Religionen das meiste nur Erfindung. Man muss nur fragen, wie sie auf ihre Ideen gekommen sind, oder auch welche Interessen ihre Erfinder damit verfolgt haben könnten und dann das Naheliegenste annehmen. "Alles Beste vom Öl und alles Beste vom Most und Korn, ihre Erstlinge, die sie dem Herrn geben, habe ich dir gegeben. 13 Die ersten Früchte alles dessen, was in ihrem Lande [wächst], die sie dem Herrn bringen, sollen dein sein. Wer in deinem Hause rein ist, soll davon essen." - die hatten halt Apetit!
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Re: Warum gibt es überhaupt Religionen?

Beitragvon stine » Mo 7. Apr 2014, 14:44

Ich glaube (denke), dass die Bibel und andere religiöse Machwerke sehr viel menschliche Erfahrungen weitergeben, bzw. Erfahrenes und die daraus resultierenden Lebensweisheiten. Deshalb ist sie immer noch passend und man kann noch heute in der Bibel für alle Lebenslagen passende Abschnitte finden. Die verwendeten Gleichnisse sind hervorragend dazu geeignet, sie in jede Zeit zu übertragen.
In der christlichen Religion wird einer für alle ans Kreuz genagelt, damit die anderen ihre Ruhe haben. Das ist doch direkt aus dem täglichen Leben gegriffen. Den Sündenbock, den es immer irgendwie geben muss, damit wieder Ruhe ist. Der Fall Uli Hoeneß ist geradezu beispielhaft dafür, dass einer für alle bestraft werden muss, damit die anderen Ruhe haben.

Religiöse Sachgeschichten sind überliefertes Kulturgut. Sie vermitteln das, was Menschen sonst in jeder Generation neu erfinden müssten. Religion richtig eingesetzt, kann Menschen zum Krieg führen oder zur Demut zwingen, denn es gibt immer den Einen im Himmel, der unangefochten in der Mitte steht und einen auf Erden, der genau weiß, was der da oben möchte.
Ich könnte mir vorstellen, dass die Geschichte vom "liebenden" Gott-Vater irgendwann auch das Ende Gottes ist. Wenn niemand mehr Angst haben muss, das Falsche zu tun, dann hat Religion, wie wir sie kennen, ihren SInn verloren. Es tritt die Wohlfühl-Religion in den Vordergrund und was damit erreicht wird, kann auch ein Wellness-Paket in Oberursel bewirken.

LG stine
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Re: Warum gibt es überhaupt Religionen?

Beitragvon Vollbreit » Mo 7. Apr 2014, 17:54

stine hat geschrieben:Ich könnte mir vorstellen, dass die Geschichte vom "liebenden" Gott-Vater irgendwann auch das Ende Gottes ist. Wenn niemand mehr Angst haben muss, das Falsche zu tun, dann hat Religion, wie wir sie kennen, ihren SInn verloren. Es tritt die Wohlfühl-Religion in den Vordergrund und was damit erreicht wird, kann auch ein Wellness-Paket in Oberursel bewirken.
Kann ich mir auch gut vorstellen, um ein Über-Ich zu installieren, braucht man im Grunde keinen Gott.
Gesellschaftlich wünschenswert ist ja, dass sich die Menschen auch dann anständig verhalten, wenn sie wissen, dass sie nicht überwacht werden.
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Re: Warum gibt es überhaupt Religionen?

Beitragvon laie » Do 10. Apr 2014, 15:30

Ich vermute eine mehr oder minder stark ausgeprägte Grundreligiosität im Menschen, gewissermassen eine "Universalie". Diese Universalie möchte ich gar nicht an bestimmte konkrete Religionen oder Bekenntnisse binden, sondern zunächst einfach annehmen, dass das blosse Wissen, wo man steht, wer man ist, und wie man etwas macht, also grundlegende kausale Überzeugungen, dem Menschen offenbar nicht ausreicht. Der Mensch hat also vermutlich einen gewissen geistigen Appetit nach Vertrauen und Geborgenheit, wobei dieses Streben natürlich nicht zur Dreifaltigkeit führen muss, sondern sich im Gegenüber erschöpfen kann. Aber schon hier ist weder dieses Streben noch sein Wohin aus blossen kausalen Überzeugungen, die einer haben mag, ableitbar. Eigentlich müssten ja die blossen kausalen Überzeugungen, die sich einer von der Welt macht, völlig ausreichen.
Lumen hat geschrieben:Wir arbeiten offenbar mit drei „Haltungen“ (stances), mit denen wir die Welt erklärbar machen
. Tun sie aber offenbar nicht. Stattdessen hat der Mensch Hunger nach Sinn, nach Vertrauen, nach Geborgenheit. Natürlich haben die mannigfaltigsten Strömungen diesen Appetit gestillt oder sich bemüht, mit Gewalt, als Herrschaftsinstrument usw. Aber das ist glaube ich eine andere Frage. Jedenfalls kenne ich keinen Menschen, der sich im Leben ausschließlich mit blossen kausalen Überzeugungen zufrieden gibt.

Und was die Entstehung der Religion angeht, der Religiosität angeht: ich bin skeptisch gegenüber quasi-evolutionistischen Ansichten, wonach Religiosität und ihre jeweilige Materialisation in den diversen konkreten Religionengewissermassen eine Art notwendiger Evolutionsschritt waren, jetzt aber ein gleichsam überflüssiges Glied oder Organ, ein Antagonismus seien. Das wird meiner Meinung nach der Sache nicht gerecht. Religiosität, religiöser, spiritueller Appetit wird nicht erfunden, sie ist vielmehr immer schon da und darum sind auch Religionen nicht einfach nur etwas "Erfundenes", sondern Ausdruck dieser prinzipiell unstillbaren Sehnsucht. Diese Sehnsucht macht uns, denke ich, genauso aus wie wissenschaftliche Neugier. Unstillbar ist sie nicht, weil sie maßlos wäre, sondern weil wir uns ohne sie gar nicht denken können. Man hat ja lange Zeit gemeint, man müsste nur irgendwelche wissenschaftlichen Fakten zusammentragen, dann würde auch der letzte Hinterwäldler von seinem Schlummer auf der Kirchenbank erwachen. Nun, das ist offensichtlich nicht geschehen.
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Re: Warum gibt es überhaupt Religionen?

Beitragvon Vollbreit » Do 10. Apr 2014, 17:38

laie hat geschrieben:Ich vermute eine mehr oder minder stark ausgeprägte Grundreligiosität im Menschen, gewissermassen eine "Universalie". Diese Universalie möchte ich gar nicht an bestimmte konkrete Religionen oder Bekenntnisse binden, sondern zunächst einfach annehmen, dass das blosse Wissen, wo man steht, wer man ist, und wie man etwas macht, also grundlegende kausale Überzeugungen, dem Menschen offenbar nicht ausreicht.
Vielleicht weiß man auch gar nicht, wer man ist und wo man steht, wenn man nicht weiß, was man glaubt.

laie hat geschrieben:
Lumen hat geschrieben:Wir arbeiten offenbar mit drei „Haltungen“ (stances), mit denen wir die Welt erklärbar machen
. Tun sie aber offenbar nicht. Stattdessen hat der Mensch Hunger nach Sinn, nach Vertrauen, nach Geborgenheit.
Ich würde sagen, das eine (was Dennett beschreibt) ist die kognitive Regulation, aber Religionen bedienen ja nicht allein das kognitive, sondern auch das emotionale und wertgebende Element.

laie hat geschrieben:Jedenfalls kenne ich keinen Menschen, der sich im Leben ausschließlich mit blossen kausalen Überzeugungen zufrieden gibt.
Das ist der Punkt.

laie hat geschrieben:Religiosität, religiöser, spiritueller Appetit wird nicht erfunden, sie ist vielmehr immer schon da und darum sind auch Religionen nicht einfach nur etwas "Erfundenes", sondern Ausdruck dieser prinzipiell unstillbaren Sehnsucht.
Was meinst Du in diesem Zusammenhang mit „immer schon“?
Es muss ja doch beim Individuum eine Bereitschaft oder Voraussetzung da sein, die Tiere nicht haben.

laie hat geschrieben:Diese Sehnsucht macht uns, denke ich, genauso aus wie wissenschaftliche Neugier.
...und kommen ziemlich sicher aus der gleichen Quelle.

laie hat geschrieben:Unstillbar ist sie nicht, weil sie maßlos wäre, sondern weil wir uns ohne sie gar nicht denken können.
Aber was kennzeichnet Deiner Meinung nach denn den Atheisten, der kann ja ohne?
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Re: Warum gibt es überhaupt Religionen?

Beitragvon ujmp » Do 10. Apr 2014, 19:03

Vollbreit hat geschrieben:
laie hat geschrieben:Ich vermute eine mehr oder minder stark ausgeprägte Grundreligiosität im Menschen, gewissermassen eine "Universalie". Diese Universalie möchte ich gar nicht an bestimmte konkrete Religionen oder Bekenntnisse binden, sondern zunächst einfach annehmen, dass das blosse Wissen, wo man steht, wer man ist, und wie man etwas macht, also grundlegende kausale Überzeugungen, dem Menschen offenbar nicht ausreicht.
Vielleicht weiß man auch gar nicht, wer man ist und wo man steht, wenn man nicht weiß, was man glaubt.

Es gibt keinen vernünftigen Anlass zu diesen Annahmen, sie sind völlig aus der Luft gegriffen.
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