Ketzerei in der Schule

Ketzerei in der Schule

Beitragvon ostfriese » Mi 9. Mai 2007, 14:06

Heute hab ich mal spaßeshalber den Aufstand geprobt.

In einer 8. Klasse mit über 30 Schülern sollte ich in einer 5. Stunde Mathe für Religion vertreten und habe mir gedacht: Quatsch, das machst Du anders. Mit einem Katalog von 20 Stichpunkten (Fragen bzw. Thesen) unter der Überschrift "Challenging Religion" bin ich in den Unterricht gegangen und hab kein Blatt vor den Mund genommen: Ich ließ meine Ausführungen in der Forderung nach Abschaffung des Religionsunterrichts an staatlichen Schulen gipfeln.

Die Reaktionen waren eher neugierig-erstaunt als wütend-schockiert, aber es ist ja nicht auszuschließen, dass die Sache ein Nachspiel hat, wenn Eltern davon Wind bekommen.

Interessant war, dass nur ganz wenigen Schülern überhaupt irgendetwas einfiel zu Fragen wie diesen:
- Was soll das Fach Religion in der Schule vermitteln? (Weltreligionen verstehen, Konflikte lösen)
- Wie viele unterschiedliche Religionen gibt es? (einige meinten: fünf!)
- Was verheißen Religionen, was bieten religiöse Riten und Gemeinschaften? ("Ich muss da immer hingehen, aber Spaß macht's nicht!")
- Woher kommen unsere Werte und Normen? ("Die das Grundgesetz gemacht haben, waren halt gläubig...")
- Was ist Fundamentalismus? (Schweigen im Walde...)
- Gibt es Argumente für einen Schöpfer / intelligenten Designer? ("Quatsch, daran kann man nur glauben!")
- Was ist Gott? ("Man soll sich kein Bild machen!")

Offensichtlich ist der Beitrag des Religionsunterrichts zur humanistischen Bildung mehr als dürftig.

Ich hab die Schüler dann noch über die Beweislast bei Existenzbehauptungen aufgeklärt (Russell's teapot, das fliegende Spaghettimonster konnte ich leider vor dem Klingeln nicht mehr unterbringen...), über den Gegensatz von wissenschaftlichem Denken und religiösem Glauben, über Agnostizismus und Atheismus sowie über die wahre Herkunft unserer humanistischen (und mitnichten christlichen) Werte.

Falls die Schüler die Fragezeichen, die über ihren Köpfen hängen geblieben sind, in ihre nächsten Religionsstunden hinein tragen, ist schon viel gewonnen. Einen Versuch war mir die Aktion wert; die eventuellen Konsequenzen werden zeigen, ob wir wirklich in einem liberalen Staat leben oder ob kirchliche Repression immer noch wirksam ist...

Ach, das Witzigste hätte ich beinahe vergessen: Den meisten war der Begriff "Atheist" völlig unbekannt. Da ich ihn zunächst nicht angeschrieben und erläutert hatte, war er nicht von allen verstanden worden. Deshalb fragte ein Schüler nach: "Sind Sie Satanist?" :up:

(Ich erklärte ihnen, dass Satanismus auch nur eine Religion sei, aber das wollten sie mir irgendwie nicht abkaufen...^^)
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Beitragvon Kurt » Mi 9. Mai 2007, 14:17

Respekt! :-)
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Beitragvon ostfriese » Mi 9. Mai 2007, 14:35

Danke! :-)

Und noch eine meiner Kernaussagen hab ich vergessen, wörtlich: "Religiöser Glauben ist nichts anderes als Aberglauben. Nämlich schlichter Unsinn." (natürlich versehen mit dem Hinweis, dass dies meine Privatmeinung sei, die von einer großen Mehrheit der US-amerikanischen Bevölkerung nun so gar nicht geteilt würde, dafür aber von 91% der US-amerikanischen Spitzenforscher...^^)
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Beitragvon [C]Arrowman » Mi 9. Mai 2007, 14:38

Gut gemacht.
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Beitragvon Klaus » Mi 9. Mai 2007, 14:44

Klasse, lass bitte hören, wenn irgendwelche Reaktionen aus der Elternschaft sich einstellen sollten :2thumbs:
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Beitragvon ostfriese » Mi 9. Mai 2007, 14:52

Ja, natürlich! Das war ja der Sinn der Übung: eine Art Mini-Feldversuch, sowohl zeitlich als auch von der Zahl der Probanden her äußerst begrenzt...
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Beitragvon Klaus » Mi 9. Mai 2007, 15:08

Immerhin, mutig ist es allemal.
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Beitragvon SNAFU » Mi 9. Mai 2007, 17:57

Schöner Versuch. Und mutig allemal.
Dass die Reaktionen ehr neugierig als ablehnend waren liegt wohl ehr daran, dass die Schüler in dem alter noch nicht (und nicht mehr) wirklich gefestigt in ihrem Glauben (bzw. Nicht-glauben) sind. Interessant wäre es, wenn du vorher von jedem zwei bis drei Fragen beantworten ließest (An was glaubst du / Wie wichtig ist Religion) und die gleichen Fragen in einem Jahr nochmal gestellt hättest.

Gruß,
Stephan
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Beitragvon Andreas Müller » Mi 9. Mai 2007, 19:23

Super, zu dem Vortrag hätte man headbangen können. :up:
Hoffentlich kriegst du keinen Ärger dafür, obwohl ich fast glaube, dass du sowieso kein Haar an deinen Gegnern lassen würdest.

Meine Profs sind auch alles andere als zurückhaltend. Allerdings äußern sie sich selten über das Thema Religion. Trotzdem sind die Sprüche klasse (Vorsicht: Ab 18):

"Die Theorie hat nur einen Haken: Sie ist scheiße. Man muss immer vorsichtig sein, wenn so ein Faschist eine Theorie aufstellt."
"...dann bringen sich die Männer um und sie heiratet einen Neuen. Den betrügt sie mit unzähligen anderen Männern und erschießt ihn dann, das ganze Magazin leer. Willkommen in der Welt der hohen Literatur."
"Sex, das war eigentlich Nietzsches Religion."
"Das möchte ich mal gerne wissen, was an einem 14-jährigen Dauerwichser so erotisch sein soll."
"Ich hätte die anarchistischen Philosophen für die Leseliste vorschlagen sollen, das kommt davon, wenn man nicht auf mich hört."
"Literatur ist wie Unkraut. Ich glaube, das ist die beste Definition."
"Ihr werdet feststellen, dass morgen irgend so ein katholischer Feiertag ist. Heilig Abend oder sowas. Irgendwas mit Jesus."
"Theologie ist ein Fach, dessen Untersuchungsgegenstand nicht existiert. Vereinfacht die Sache natürlich ganz erheblich."
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Beitragvon Klaus » Mi 9. Mai 2007, 19:26

@Autor :2thumbs:
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Beitragvon Nox » Mi 9. Mai 2007, 19:34

Der Autor hat geschrieben:"Theologie ist ein Fach, dessen Untersuchungsgegenstand nicht existiert. Vereinfacht die Sache natürlich ganz erheblich."
Tja, mit dem Zitat hast du Ostfriese die Show gestohlen - wunderbar auf den Punkt gebracht der Prof. :^^:

@ostfriese:
Wunderbar! Hoffe es geht dir deswegen niemand zu sehr auf die Nerven. Ein wenig Wirbel darum wäre allerdings hilfreich.
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Beitragvon Kurt » Mi 9. Mai 2007, 19:34

Der Autor hat geschrieben:"Theologie ist ein Fach, dessen Untersuchungsgegenstand nicht existiert. Vereinfacht die Sache natürlich ganz erheblich."


Haha, der ist der beste! Genaugenommen ist das sogar das Alleinstellungsmerkmal.
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Beitragvon ostfriese » Mi 9. Mai 2007, 19:57

Autor, Du scheinst ja eifrig mitzuschreiben! ;D

SNAFU, was meine Aktion in der Schule betrifft: Methodisch war sie alles andere als ausgefeilt. Ich hatte ja nur 42 Minuten und musste zum Punkt kommen, um schließlich die beiden wichtigsten Erkenntnisse mitnehmen zu können:

1. Der staatliche Religionsunterricht trägt offenbar weder zur humanistischen Bildung noch zur Vermittlung religiöser Glaubenssätze und Weltanschauungen Wesentliches bei.
2. Jugendliche sind noch nicht in einem festen Gut-böse-Schema gefangen, sondern stehen rationalen Argumenten sowie den hierdurch gestützten Weltanschauungen offen und interessiert gegenüber.

Unabhängig davon, ob ich als Lehrer wegen der Stunde was auf die Mütze kriege, sind Kinder und Jugendliche m. E. sehr vielversprechende Adressaten philosophischer Aufklärung -- das dürfte die Erfahrung heute Mittag gezeigt haben...


P(ikante)S: Unsere Schule ist nach der "Heiligen" Elisabeth benannt, dieses Jahr wird die Dame 800 Jahre alt...^^
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Beitragvon Andreas Müller » Mi 9. Mai 2007, 20:04

Autor, Du scheinst ja eifrig mitzuschreiben


Ja, ich bin fleißig. Ich habe eine eigene Mappe nur für solche satirischen Kommentare. :up:

Und einen Bereich auf meiner Website:
http://freenet-homepage.de/terry_rotter/Unsinkbare_Universitaet.html
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Beitragvon Falk » Mi 9. Mai 2007, 20:19

Mich interessiert vor allem, was der vertretene Reli-Lehrer von sowas hält. :)

Meine Schulzeit liegt ja noch recht unlange zurück, insofern kann ich deine Beobachtungen aus eigener Erfahrung bestätigen. Ich selbst hatte z.B. bis in die elfte Klasse evangelischen Religionsunterricht - ich bin zwar nicht religiös erzogen worden, und hielt Religiösität schon früh (wie früh weiß ich freilich nicht) für absurd, habe mich aber dennoch nie mit Religionskritik befaßt oder den Lehrgegenstand in nennenswerter Weise hinterfragt. Das war halt Reli, so wie Geschichte Geschichte und Mathe Mathe war.

So hat sich bei uns auch niemand groß echauffiert, wenn polemische Gegenstimmen kamen (den einen oder anderen frühreifen Rebellen hat man ja meist schon dabei, und sei es nur aus Spaß und Profilierungsbedürfnis). Die wenigen Mitschüler, von denen ich religiöse Verletztheit erwartet hätte, saßen allesamt bei den Katholiken. In Eisenach, will sagen, in der ehemaligen DDR, gibt es vielleicht noch nicht mal diese wenigen.

Ich meine, daß "Weltanschauung" ein Konzept ist, das vor, sagen wir, der 10. Klasse gar nicht existiert - überzogen gesagt. Da sind Bibelgeschichten einfach interessant. "Wissenschaftsgeschichten" aber wohl auch. Das scheint mir tatsächlich ein guter Ansatzpunkt.
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Beitragvon ostfriese » Mi 9. Mai 2007, 20:44

Falk hat geschrieben:Mich interessiert vor allem, was der vertretene Reli-Lehrer von sowas hält. :)

Sie wird nicht begeistert sein, dass ich unkollegialerweise vor Schülern die Bedeutung ihres Unterrichtsfachs herabgewürdigt habe (eigentlich ja nicht, vielmehr hab ich die Bedeutung der angeschnittenen Themen sogar akzentuiert; dass die Schüler vorher nicht mal ansatzweise sagen konnten, wofür Religion in der Schule gut sein soll, muss sich die Kollegin wohl eher selbst zuschreiben...). Aber dasselbe hab ich auch schon mit meinem eigenen Fach (Mathe) in meinem eigenen Grundkurs getan, da ich im Gegensatz zu all meinen anderen Kollegen die Auffassung vertrete, dass der Mathe-Zwang für alle bis zum Abi menschenrechtsverletzend ist... :veg:

Falk hat geschrieben:Ich meine, daß "Weltanschauung" ein Konzept ist, das vor, sagen wir, der 10. Klasse gar nicht existiert - überzogen gesagt. Da sind Bibelgeschichten einfach interessant. "Wissenschaftsgeschichten" aber wohl auch. Das scheint mir tatsächlich ein guter Ansatzpunkt.

Ich bedaure aber gerade, dass dieses Konzept uns erst so spät im Leben begegnet, während das gesellschaftlich noch immer akzeptierte Bekenntnis-Alter bei 14 liegt. Dies ist ja einer der Gründe, weshalb ich für das Unterrichtsfach Philosophie (spätestens ab Klasse 3) plädiere.
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Beitragvon Andreas Müller » Mi 9. Mai 2007, 21:05

da ich im Gegensatz zu all meinen anderen Kollegen die Auffassung vertrete, dass der Mathe-Zwang für alle bis zum Abi menschenrechtsverletzend ist


Mein Held, komm lass dich klonen. :respekt:

Ich finde außerdem, man sollte den Schulsport nach der Grundschule in ein Wahlfach umwandeln.
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Beitragvon Klaus » Mi 9. Mai 2007, 21:14

Der Autor hat geschrieben:Ich finde außerdem, man sollte den Schulsport nach der Grundschule in ein Wahlfach umwandeln.


Sport Pflichtfach für alle, ohne Sport kein Bachelor oder Magister, 1. Staatsexamen=Marothon in 4,5Stunden. So geht das.
Beim Matheunterricht stimme ich aber zu.
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Beitragvon Andreas Müller » Mi 9. Mai 2007, 21:17

Sport Pflichtfach für alle, ohne Sport kein Bachelor oder Magister


So eine Übermensch-Züchterei. Pure Folter, von irgend so einem Ex-Feldwebel rumgehetzt zu werden. Da ess ich lieber Kuchen und trinke Liberté.
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Beitragvon Klaus » Mi 9. Mai 2007, 21:28

Das hat was mit Gesundheit zu tun, =)
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