Vorwurf: Beihilfe zum Mord

Vorwurf: Beihilfe zum Mord

Beitragvon stine » Di 12. Mai 2009, 08:25

Passt ausgezeichnet in die Humanisten-Diskussion, finde ich.

Jemand, der, um nicht selbst sterben zu müssen, mitgeholfen hat, andere zu töten.
Verjährt das nicht?
Kann man in diesem Falle verzeihen?
Muss man das nicht verzeihen?
Was hätte unsereiner im selben Fall getan?


LG stine
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Re: Vorwurf: Beihilfe zum Mord

Beitragvon LinuxBug » Di 12. Mai 2009, 09:41

Schuld verjährt nicht. Verzeíhen könnten nur die Opfer, wir müssen da gar nichts. Und was wir getan hätten, ist ohne Belang: Wenn wir dasselbe getan hätten, wären wir genauso schuldig, wie jeder andere NS-Verbrecher...

und ich glaub im konkreten Fall geht es um mehr, als Beihilfe "um nicht selbst sterben zu müssen", weil das haben alle anderen in den Arbeits- und Konzentrationslagern auch getan. (Also würd ich dir mal Verharmlosung (bzw. eine eher grenzwertige Provokation) unterstellen, wenn es tatsächlich mehr als eine Mutmaßung sein sollte...)
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Re: Vorwurf: Beihilfe zum Mord

Beitragvon Klaus » Di 12. Mai 2009, 11:09

Dem vom LinuxBug gesagtem ist eigentlich nichts weiter hinzuzufügen. Der Typ ist aber der kleinste der Kleinen beihelfenden Mördern. Die Haupttäter wurden in Deutschland freigesprochen.
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Re: Vorwurf: Beihilfe zum Mord

Beitragvon HF******* » Di 12. Mai 2009, 11:23

Linux Bug hat geschrieben:Schuld verjährt nicht.

Was ist denn Schuld? Mord verjährt nicht, alles andere schon.

Süddeutsche vom 12.05.2009 hat geschrieben:…Der gebürtige Ukrainer war als Rotarmist in deutsche Kriegsgefangenschaft geraten und soll als Hilfswilliger der SS von März bis September 1943 im Vernichtungslager Sobibor Juden von den Zügen in die Gaskammern getrieben haben.…

Das wird wohl erst das Gericht klären müssen, inwieweit sich der Mann in einer Zwangslage befand. Vor der gerichtlichen Feststellung der Fakten hat er zumindest als unschuldig zu gelten, auch wenn manche das gerne anders hätten…

Jedenfalls waren Kriegsgefangene in Deutschland wohl nicht zwangsläufig mit dem Tode bedroht, wobei die Bedingungen der Kriegsgefangenen allgemein wohl teils KZ-ähnliche Zustände hatten, wohl aber auch sehr unterschiedlich waren. Kriegsgefangenenlager = KZ wäre jedenfalls etwas ungenau.

Übrigens: Sind eigentlich nie irgendwelche Sowjets oder Amis vor Gericht gestellt worden wegen der Zustände in ihren Lagern oder andere wegen Morden bei der Vertreibung? Das ist irgendwie nicht bekannt oder wird aus vermeintlich politischer Korrektness nicht transportiert.

Linux Bug hat geschrieben:Wenn wir dasselbe getan hätten, wären wir genauso schuldig, wie jeder andere NS-Verbrecher...
Das war gerade Stines Frage, was ihm überhaupt vorgeworfen wird, wenn er in einer Zwangslage gehandelt hat: Wenn er mit dem Tode bedroht worden ist und nur zur Abwendung einer realen Lebensgefahr gehandelt hat, dann kann er entschuldigt sein und wäre möglicherweise frei zu sprechen.
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Re: Vorwurf: Beihilfe zum Mord

Beitragvon LinuxBug » Di 12. Mai 2009, 13:23

HFRudolph hat geschrieben:Mord verjährt nicht, alles andere schon.

Gar nichts "verjährt". Wir können vergessen, aber wenn etwas "verjährt2, heißt das doch nur, dass wir keinen Sinn mehr darin sehen, die Tat zu verfolgen, aufzuklären, zu bestrafen oder was auch immer. Das hat also einen praktischen Grund, keinen theoretischen...

HFRudolph hat geschrieben:Das war gerade Stines Frage, was ihm überhaupt vorgeworfen wird, wenn er in einer Zwangslage gehandelt hat: Wenn er mit dem Tode bedroht worden ist und nur zur Abwendung einer realen Lebensgefahr gehandelt hat, dann kann er entschuldigt sein und wäre möglicherweise frei zu sprechen.

Ich dachte, zuerst muss man überhaupt nachweisen, dass er die Taten begangen hat, die ihm vorgeworfen werden, also dass er überhaupt als "Hilfswilliger ... Juden von den Zügen in die Gaskammern getrieben" hat. Warum er das gemacht hat, wär für mich egal. Klar, hätt ich wohl mehr Verständnis für ihn wenn er das mit einer Pistole an dem Kopf getan hätte, aber das dies der Fall war, wird sich um einiges schwerer beweisen lassen, als seine (eventuelle) Unschuld, falls die Anklage genügend gegen ihn in der Hand hat um den Prozess überhaupt zu rechtfertigen. (Ich bin mal geneigt anzunehmen, dass dem so ist, bevor ich eine große Verschwörung wittere...)

HFRudolph hat geschrieben:Übrigens: Sind eigentlich nie irgendwelche Sowjets oder Amis vor Gericht gestellt worden wegen der Zustände in ihren Lagern oder andere wegen Morden bei der Vertreibung? Das ist irgendwie nicht bekannt oder wird aus vermeintlich politischer Korrektness nicht transportiert.

Selbst wenn dem so wäre, würde es meiner Meinung nach keinen Unterschied in der Beurteilung dieses Falles machen.
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Re: Vorwurf: Beihilfe zum Mord

Beitragvon HF******* » Di 12. Mai 2009, 13:47

Ich wollte auch nicht behaupten, dass das mit den Amis und Sowjets etwas mit diesem Fall zu tun hätte: Es fällt mir in diesem Zusammenhang nur auf, dass wie so gut wie nichts darüber wissen.

Verjährung ist Verjährung ist Verjährung ist ein praktisches Element des Strafrechts.

Linux Bug hat geschrieben:…Warum er das gemacht hat, wär für mich egal.…

Inwiefern?
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Re: Vorwurf: Beihilfe zum Mord

Beitragvon 1von6,5Milliarden » Di 12. Mai 2009, 14:05

Dem von LinuxBug gesagtem ist in beiden Fällen tatsächlich nicht hinzuzufügem, wohl aber Holgersanmerkungen.

HFRudolph hat geschrieben:
Linux Bug hat geschrieben:Schuld verjährt nicht.

Was ist denn Schuld? Mord verjährt nicht, alles andere schon.
Manchmal solltest du aus deinem juristischen Suppentopf heraussehen, Schuld verjährt tatsächlich nicht (selbst juristisch nicht) wohl aber die Möglichkeit bzw. der Anspruch auf Strafverfolgung und Vollstreckung von Urteilen.
HFRudolph hat geschrieben:Übrigens: Sind eigentlich nie irgendwelche Sowjets oder Amis vor Gericht gestellt worden wegen der Zustände in ihren Lagern oder andere wegen Morden bei der Vertreibung?
Und manchmal solltest du juristischer denken, es gibt keinen Anspruch auf Gleichbehandlung im Unrecht. Auch sonst sollte man etwas vorsichtiger mit dem Wiederholen von Parolen aus der "N-Ecke" sein. Es ändert nichts an der Sache oder an der möglichen Strafwürdigkeit, eine mögliche Ungerechtigkeit berechtigt nicht zu einer anderen Ungerechtigkeit, archaisches Aufrechnen von Ungerechtigkeiten steht selbst anatolischen Dorfwächtern nicht gut zu Gesicht.
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Re: Vorwurf: Beihilfe zum Mord

Beitragvon HF******* » Di 12. Mai 2009, 17:03

@1von6,5Milliarden: Wenn strafrechtliche Verfolgbarkeit verjährt ist, gibt es auch keine Schuld mehr. Schuld ist etwas, was zwischenmenschlich in Form des Strafrechts von uns konstruiert wird, um den Zweck einer friedlichen Zivilisation zu ermöglichen. Es gibt nicht einfach so Schuld, wie es Kant postuliert. Das scheint uns manchmal so, weil unser Strafempfinden auf angeborenen emotionalen Aspekten beruht. Wenn unser Racheempfinden also über das Strafrecht hinaus geht, ist das unser persönliches Problem, dies rational zu reflektieren und damit umgehen zu lernen. Wenn das Strafrecht durch ist, ist Schluss mit Schuld - ich räume ein, dass das sicherlich kein juristischer Mainstream ist, auch wenn Du das gern so hättest…

Natürlich muss es in jeder Richtung Strafverfolgung geben. Oder meinst Du, das jetzige Strafverfahren sei Unrecht? Natürlich nicht! Und: Den Rechtsradikalismus-Schuh ziehe ich mir sicherlich nicht an - fällt Dir nichts anderes ein, um mir ans Bein zu pinkeln?
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Re: Vorwurf: Beihilfe zum Mord

Beitragvon LinuxBug » Mi 13. Mai 2009, 10:13

Wikipedia behauptet, dass es keine "Legaldefinition" des Begriffes gäbe (was auch immer das heißen mag :^^: ), heute herrschend sei aber "der von Frank begründete normative Schuldbegriff, wonach Schuld die Vorwerfbarkeit vorsätzlichen oder fahrlässigen Verhaltens bedeutet". Und "Verjährung" ist meines Erachtens nur das Einsehen, dass es keinen praktischen Wert hat, bestimmte Vergehen strafrechtlich zu verfolgen. D.h. ich kann jeder beliebigen Person der Zeitgeschichte vorwerfen*, irgendwas getan zu haben, auch wenn es sicherlich schon verjährt ist und auch kein Gericht verfolgen würde (da man Tote nicht bestrafen kann und meist auch sonst keine Relevanz für eine Verurteilung post mortem besteht.)

Was Kant damit zu tun haben soll, ist mir nicht ganz klar. Wenn du eine metaphysische Diskussion über Moral führen willst, können wir das gerne tun, aber einfach von irgendeiner Definition ausgehen, die nicht einmal "juristischer Mainstream" ist und dann von mir zu erwarten, dass ich sie teile und dementsprechend urteile*, halte ich für ein bisschen anmaßend. :breit:

Natürlich ist es zivilisatorisch gut, dass lediglich Gerichte (zeitweise) verbindliche Schuld zusprechen können, aber das heißt nicht, dass Gerichte (bzw. die Rechtssysteme) perfekt wären und nicht mehr von uns kritisiert werden dürften/müssten/sollten, etc. weshalb wir selber unser Rechtsempfinden nicht mehr artikulieren bräuchten oder worauf auch immer du hinauswillst...

HFRudolph hat geschrieben:Inwiefern?

Weil ich auch unabhängig von der Motivation das Ergebnis verurteilen* kann.

*natürlich nur "moralisch", bin ja kein Gericht...
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Re: Vorwurf: Beihilfe zum Mord

Beitragvon HF******* » Mi 13. Mai 2009, 11:30

Linux Bug hat geschrieben:D.h. ich kann jeder beliebigen Person der Zeitgeschichte vorwerfen*, irgendwas getan zu haben, auch wenn es sicherlich schon verjährt ist und auch kein Gericht verfolgen würde …

Du widersprichst Dir selbst, wenn Du mir vorwirfst, ich habe irrtümlich Deinen Schuldbegriff auf moralischer und nicht strafrechtlicher Ebene verstanden, wenn Du gleichzeitig aber von Vorwerfbarkeit jenseits des Strafrechts sprichst.

Der juristische Schuldbegriff im Sinne der Vorwerfbarkeit bezieht sich einerseits auf das Nichtvorhandensein von Schuldausschlussgründen und andererseits auf die Bemessung des Strafmaßes im vorgegebenen Strafrahmen. Der strafrechtliche Schuldbegriff ist im Ergebnis die Zusammenfassung des gessellschaftlichen Straferfordernisses. Ein komplett Geisteskranker ist deshalb schuldunfähig, weil es für eine Strafe gegen ihn keinen sinnvollen Zweck erfüllen kann.
Ich denke, dass ich Dich schon richtig verstanden habe, dass Du von Schuld jenseits des Strafrechts ausgehst. Das ist zwar juristischer Mainstream, meistens allerdings weltanschaulich-religiös motiviert. Die meisten Juristen sind aus religiösen Gründen nicht in der Lage, Recht komplett utilitaristisch zu reduzieren.

Wenn Du darauf hinaus wolltest, dass Du zum sonstigen Vorwurf berechtigt bist, dass Du etwa jemandem eine verjährte Tat vorwerfen kannst, die bereits verjährt ist, z. B. einen Betrüger einen Betrüger zu nennen, dann bewegst Du Dich auf dünnem Eis, weil das nicht wirklich mit dem Rehabilitierungsgedanken und der Verjährung vereinbar ist, die gerade einen Rechtsfrieden herstellen soll.

Wenn also Christian Klar vorbei geht und Du rufst: „Da ist ja wieder der Mörder!“, dann könnte man durchaus darüber nachdenken, ob das eine strafbare Beleidigung ist - weil es der Diffamierung dient - oder ob es eine legitime Tatsachenbehauptung ist. Und dementsprechend wäre wohl eine verjährte Tat einer Straftat nach verbüßter Strafe gleich zu stellen - das ist meine Meinung , auch das sieht die Justiz möglicherweise ganz anders.

Du kannst jemandem vorwerfen, die falsche Partei gewählt zu haben oder ein häßliches Auto zu fahren. Diese Art von Vorwerfbarkeit hat aber mit dem strafrechtlichen Schuldbegriff wenig zu tun, auf den Du ja nun doch hinaus wolltest, wenn ich Dich richtig verstehe… auf der Ebene bewegt sich der moralische „Vorwurf“ einer verjährten Tat.
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Re: Vorwurf: Beihilfe zum Mord

Beitragvon HF******* » Fr 15. Mai 2009, 13:59

Wenn Demjanjuk SS-Mann war, wie kann er dann gleichzeitig Kriegsgefangener gewsen sein? Spätestens mit dem Eintritt in die SS muss doch die Kriegsgefangenschaft geendet haben. Dann aber hätte er auch nicht in einem KZ mitwirken müssen!?
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Re: Vorwurf: Beihilfe zum Mord

Beitragvon 1von6,5Milliarden » Sa 16. Mai 2009, 17:04

HFRudolph hat geschrieben:@1von6,5Milliarden: Wenn strafrechtliche Verfolgbarkeit verjährt ist, gibt es auch keine Schuld mehr.
Natürlich, auch juristisch. Aber dies führte hier zu weit.
HFRudolph hat geschrieben: Und: Den Rechtsradikalismus-Schuh ziehe ich mir sicherlich nicht an - fällt Dir nichts anderes ein, um mir ans Bein zu pinkeln?
Ach hab dich nicht so, wo habe ich dies getan? Wenn ich dich darauf hinweise, dass du einfach keine Argumente des rechten Randes falsch aber genau in deren Sinn und üblicher Anwendung benutzen solltest, dann werfe ich dir noch nicht Rechtsradilismus vor, ich mache dich - tatsächlich(!) - nur darauf aufmerksam.
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