Der Katzenjammer danach

Der Katzenjammer danach

Beitragvon platon » Fr 1. Apr 2011, 16:53

Offizielle Schätzungen der japanischen Regierung schätzen den Gesamtschaden von Erdbeben und Tsunami auf 200-300 Milliarden Dollar. Der durch TepCo verursachte Schaden könnte ein Vielfaches betragen: Wenn Japan keine Automobile mehr exportieren kann, seine Immobilienpreise einbrechen und ausländische Firmen und Staaten ihre Vertreter evakuieren sowie Frachter nicht mehr den Hafen von Tokio anlaufen, dann sind 2, 3 oder 4 Billionen Dollar Schaden schnell erreicht. All das ist von TepCo nicht zu bezahlen, und das bedeutet: Der Markt und seine Spieler sind nicht im Entferntesten in der Lage, für das komplexe Thema Energie gerade zu stehen und je größer sie sind, umso weniger sind sie dazu in der Lage.
Wie formulierte Klaus Töpfer?
Wir sollten aus einer Technik, bei der Ereignisse, die nicht beherrschbar sind, nicht ausgeschlossen werden können, so schnell wie möglich rausgehen. Ein anderes Handeln wäre nicht verantwortlich.

TepCo hat den Glauben an die Marktwirtschaft mehr und schneller ruiniert als Tausende von Globalisierungskritikern und Umweltaktivisten es gekonnt hätten. Wenn es künftig noch so etwas wie Marktwirtschaft geben soll, wird sie sich auf die Lebensbereiche beschränken müssen, in denen Marktteilnehmer nicht mehr ganze Staaten ruinieren können.

Soweit eine Einschätzung von Alexander Dill (Basel Institute of Commons and Economics), die ich mit ihm teile.
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Re: Der Katzenjammer danach

Beitragvon Gandalf » Fr 1. Apr 2011, 18:08

platon hat geschrieben:TepCo hat den Glauben an die Marktwirtschaft mehr und schneller ruiniert als Tausende von Globalisierungskritikern und Umweltaktivisten es gekonnt hätten. Wenn es künftig noch so etwas wie Marktwirtschaft geben soll, wird sie sich auf die Lebensbereiche beschränken müssen, in denen Marktteilnehmer nicht mehr ganze Staaten ruinieren können.


wie? was? - wo Marktwirtschaft? - bei 'nicht-marktwirtschaftlich' kalkulierten Formen der Energiegewinnung/Versorgung?

Hierzu ein Zitat von "Mises-Jüngern", die durchwegs einer - (antisozialistischen) 'freien Marktwirtschaft' anhängen:

http://www.proaurum.de/proaurumMediaSto ... 849892.pdf
Das Problem mit der Atomkraft ist ein Problem des immer weiter um sich greifenden Sozialismus!

Anti-Atom ist nicht gleich Sozialismus
In dieser Woche nutzten Sozialisten die Katastrophe in Japan, um auf diese Weise gegen die Freiheit der Bürger ins Feld zu ziehen. Vielfach hat sich die Meinung manifestiert, dass nur extrem sozialistische Parteien wie die Linke, die Grünen oder die SPD gegen Atomkraft wären und alles andere, was rechts des extrem sozialistischen Lagers steht, kapitalistisch und Pro-Atom wäre. So wetterte Linksparteichef Ernst mit der Phrase „Die Erpresser-Konzerne müssen erst verstaatlicht und dann zerschlagen werden“ gegen die Freiheit. Regelmäßige Leser des Marktkommentars sind sich längst bewusst, dass die Bundesrepublik mit ihrer impliziten Staatsquote von über 70%, dem praktischen Sozialismus sehr viel näher ist, als einer halbwegs kapitalistischen Gesellschaft und die Parteienlandschaft alles, jedoch nicht liberal, konservativ oder kapitalistisch, ist. Wie mehrere Studien bereits belegen und wogegen sich die Erzeuger alternativer und regenerativer Energien stets wehren, ist der Fakt, dass Atomkraft nur deshalb eine Chance hat, da diese von Anfang bis Ende durch den Staat subventioniert wird. Atomkraft ist kein Kind der Freiheit, des Liberalismus oder des Kapitalismus. In Realität läuft es in der Atomindustrie wie mit den Banken seit 2008. Gewinne bleiben im Unternehmen und die anfallenden Kosten und Verluste werden sozialistisch durch den Staat auf die Bundesbürger übertragen. So werden in den vermeintlich günstigeren Atomstrom nicht die massiven staatlichen Subventionen in Höhe von 204 Mrd. Euro von 1950 bis 2010 berücksichtigt. Diese setzen sich zusammen aus den direkten Finanzhilfen des Bundes über Forschungsförderung, Kosten für die Atommüllendlager Asse II und Morsleben oder die Stilllegung der ostdeutschen Atommeiler, Steuervergünstigungen in der Energiebesteuerung sowie Zusatzeinnahmen der AKW-Betreiber durch den Emissionshandel.
Nach einer Studie von Greenpeace des vergangenen Jahres wird Atomstrom mit 4,3 Cent je Kilowattstunde vom Steuerzahler subventioniert, während die Umlage zur Förderung erneuerbarer Energien nur 2 Cent je Kilowattstunde beträgt. Diese Energieform muss aus dem Grund stärker als alle anderen Formen subventioniert werden, da sie sonst auf einem freien Markt keine Chance hätte. Geht man noch davon aus, dass ein Betreiber eines Kernkraftwerks Rückstellungen für gering geschätzte 1.000 Jahre Endlagerung seines Atommülls bilden müsste, ist diese Energieform unrentabel und undenkbar. Auch wären die Versicherungsprämien gegen einen Unfall ohne die Gunst des Staates derart hoch, dass diese Energieform in einem freien kapitalistischen System unmöglich wäre. Die Kosten für die Lieferung der Brennstäbe, Kosten im Falle eines Unfalls und die Kosten der Endlagerung für einige tausend Jahre werden also nicht vom Erzeuger getragen, sondern auf den Bürger abgewälzt. Atomkraft ist aufgrund seines enormen Risikos und der Problematik der Endlagerung so ineffizient, dass diese Energieform nur in der Gunst eines starken Staates auf Kosten der Bürger Fuß fassen kann.
Atomenergie wurde und wird sowohl in den USA als auch in Japan subventioniert, ebenso wie in der Bundesrepublik. An dem sozialistischen China, das 40 neue Atomkraftwerke bauen will, ist ersichtlich, dass es eine positive Korrelation zwischen Staatseinfluss und dem Erfolg von Atomkraft gibt.
Grundsätzlich sind Subventionen schlecht, da diese den Markt verzerren, die Produktivität verringern und somit negative Auswirkungen auf den Wohlstand der Menschen haben. Sieben Atomkraftwerke konnten abgeschaltet werden, ohne dass ein Engpass in der Lieferung von Strom entstand, was deutlich zeigt, dass die staatlichen Subventionen zu einer massiven Überproduktion von Energie geführt haben. Angesichts der Ineffizienz von Kernenergie im jetzigen System, die nur durch Subventionen Bestand hat, kann man wohl ausschließen, dass Atomenergie in einer wirklich liberalen und kapitalistischen Gesellschaft, entstehen könnte.


http://www.proaurum.de/proaurumMediaSto ... 929829.pdf
Nachtrag zur Anti-Atom Diskussion
Im letzten Marktkommentar gingen wir ausführlich darauf ein, dass Atomenergie aufgrund ihrer Risiken ohne staatliche Unterstützung viel zu gefährlich und zu kostspielig ist um in einem freien kapitalistischen Land in Konkurrenz mit alternativen Energieformen treten zu können.
Dies wurde in dieser Woche durch eine Meldung der Munich Re bestätigt, indem sie verkündete, dass eine Nuklearkatastrophe nicht versicherbar sei. Wegen der Addition möglicher Schäden sei es für eine Versicherung nicht verantwortbar, diese Risiken zu stemmen. Herkömmliche Modelle könnten eine entsprechende Prämie OHNE STAATSGARANTIE nicht berechnen, weshalb die Folgen einer Nuklearkatastrophe nicht versicherbar sind. Die Tatsache, dass der Betreiber der verunglückten Kernkraftwerke immer noch nicht bankrott ist und jetzt bei Banken 13,1 Mrd. Euro Notkredite beantragt hat, zeigt, dass die Kosten der Katastrophe durch den starken Staat umgelegt werden und Moral Hazard für das Unternehmen, dank des Staates, keine Rolle mehr spielt.
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Re: Der Katzenjammer danach

Beitragvon platon » Fr 1. Apr 2011, 19:34

Richtig, es ist ein Skandal ersten Ranges, dass für jeden Super-GAU die Allgemeinheit gerade steht und die Politik dem zugestimmt hat. In dem Augenblick, wo die Versicherungswirtschaft die AKWs für unversicherbar erklärt hat, hätten die Dinger stillgelegt werden müssen.
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Re: Der Katzenjammer danach

Beitragvon Zappa » Fr 1. Apr 2011, 22:09

@gandalf: Obwohl ich dem Zitat inhaltlich voll zustimme, ist Dir schonklar, das hier der Begriff des Sozialismus missbräuchlich benutzt wird, oder?

Was hier beschrieben wird ist der Auswuchs eines politisch-kapitalistischen Komplexes, einer kleptokratischen Kollaboration von meist männlichen Mitspielern "die sich kennen" und denen nichts heilig ist außer dem eigenen Profit. Mit Sozialismus hat das nichts zu tun, wohl aber mit dem Missbrauch von staatlicher Planwirtschaft und Bürokratie, die ich nicht nur deshalb sehr kritisch betrachte. Ich würde also eher von Kollektivismus als Sozialismus reden.
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Re: Der Katzenjammer danach

Beitragvon Nanna » Sa 2. Apr 2011, 02:18

In der Politikwissenschaft nennt man sowas übrigens gerne etwas blumig "rent-seeking in the shadow of the state". Mit Kollektivismus hat das eigentlich genauso wenig zu tun wie mit Sozialismus, zumindest solange man eine halbwegs ursprüngliche (marxistische) Definition anlegt. Klientelismus und Nepotismus dürften eher passende Fachausdrücke sein und dein Ausdruck "kleptokratische Kollaboration" gefällt mir in dem Zusammenhang auch ziemlich gut. Letztlich geht es um feudale Strukturen, also um etwas, was sowohl von echten Liberalen wie echten Sozialisten ("echt" hier = ursprünglichen Definitionen folgend) abgelehnt wird. Kleine Personengruppen profitieren allein von ihrer Position, das nennt der Liberale "Kartell" und der Sozialist "kapitalistischer Ausbeuter" und begeistert sind beide nicht davon.

Ich finde übrigens, dass es schon eine ziemliche Ironie der Geschichte ist, dass ausgerechnet die liberale Partei in Deutschland als Lobbyistenverein enden musste.
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Re: Der Katzenjammer danach

Beitragvon Shevek » Sa 2. Apr 2011, 10:11

Nun ja, die SPD als extrem sozialistische Partei ....., da gibts denke ich nicht mehr viel hinzuzufügen.

Ansonsten ist es offensichtlich so: Die Kosten werden verstaatlicht, die Gewinne privatisiert, und so lohnt sich das Ganze.

Ist aber doch nichts neues, das erzähle andere schon seit Jahrzehnten.
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Re: Der Katzenjammer danach

Beitragvon platon » Sa 2. Apr 2011, 11:18

Shevek hat geschrieben:Nun ja, die SPD als extrem sozialistische Partei .....,

Und da ziehst Du nach Hamburg?
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Re: Der Katzenjammer danach

Beitragvon Shevek » Sa 2. Apr 2011, 12:41

platon hat geschrieben:
Shevek hat geschrieben:Nun ja, die SPD als extrem sozialistische Partei .....,

Und da ziehst Du nach Hamburg?

Wieso?
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Re: Der Katzenjammer danach

Beitragvon Zappa » Sa 2. Apr 2011, 12:47

Nanna hat geschrieben:In der Politikwissenschaft nennt man sowas übrigens gerne etwas blumig "rent-seeking in the shadow of the state". Mit Kollektivismus hat das eigentlich genauso wenig zu tun wie mit Sozialismus ...


OK, hast recht. Der von dir zitierte Begriff passt wesentlich besser. Den nehme ich mal in mein Vokabular auf.
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Re: Der Katzenjammer danach

Beitragvon platon » Sa 2. Apr 2011, 19:58

Shevek hat geschrieben:Wieso?

Fühlst Du Dich unter dem Terrorregime einer "extrem sozialistischen Partei" denn wohl? Also mir wäre da gar nicht wohl.
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Re: Der Katzenjammer danach

Beitragvon Shevek » Sa 2. Apr 2011, 21:42

Mal davon abgesehen, dass Hamburg recht lange keine SPD-Regierung hatte, verstehst du mein Posting jetzt so, dass ich der Meinung, die SPD sei eine "extrem sozialistische Partei" zustimme?
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Re: Der Katzenjammer danach

Beitragvon 1von6,5Milliarden » Sa 2. Apr 2011, 21:59

Shevek hat geschrieben:Mal davon abgesehen, dass Hamburg recht lange keine SPD-Regierung hatte,
hmm ja, 10 Jahre. Bild
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Re: Der Katzenjammer danach

Beitragvon Shevek » Sa 2. Apr 2011, 22:12

Innerhalb dieser 10 Jahre bin ich hier her gezogen.
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Re: Der Katzenjammer danach

Beitragvon platon » Sa 2. Apr 2011, 23:44

Shevek hat geschrieben:verstehst du mein Posting jetzt so, dass ich der Meinung, die SPD sei eine "extrem sozialistische Partei" zustimme?

Ach Quatsch, das war ein Spaß! :mg:
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