provinzler hat geschrieben:Nanna hat geschrieben:Ja, woraus denn sonst? Du leitest doch genauso aus deinem Weltbild das Recht ab, mir die Einmischung in das Leben Anderer zu verbieten.
Der Unterschied besteht darin, dass ich mich an den Verzicht auf initiierende Gewalt halte, du jedoch nicht.
Und wenn es nur um dich ginge, wäre es auch kein Problem. Mit einem moralischen Liberalen, bei dem ich davon ausgehen kann, dass er die Freiheiten, die man ihm zugesteht, nicht missbraucht, habe ich kein Problem. Aber ich sehe eben nicht nur dich, sondern auch die dark provinzlers, die sich auch dann noch auf ihre Freiheit berufen werden, wenn sie eben nicht mehr andere Menschen schadlos halten. Es hilft mir nichts, wenn fünf Liberale sich freiwillig und aus Überzeugung anständig verhalten und fünf andere unter dem Deckmantel der Liberalität ihren Mist verzapfen und wir dann keine Mittel mehr haben, ihnen notfalls gewaltsam den Hahn abzudrehen.
provinzler hat geschrieben:Nanna hat geschrieben:Ja, weil kaum ein Wissenschaftler noch einen Zweifel daran hat, dass wir gerade dabei sind, unseren Lebensraum zu ruinieren.
Mit der Aussage wäre ich, mit Verlaub, etwas vorsichtiger. [...] Aussagen a la "2 Grad bis 2100" sind ausschließlich politisch motiviert und sollen den Bürger zahlwillig machen, wirklich seriös sind sie aus den genannten Gründen nicht.
Ja, wobei der IPCC absichtlich an der 2-Grad-Grenze festhält, die wir längst nicht mehr erreichen können, damit die Staaten überhaupt noch etwas tun und nicht resignierende Politiker den Überzeugungskampf gegen kurzsichtige Wählerschaften aufgeben. Von nennenswerten, von der Öl-Lobby unabhängigen, Stimmen, die behaupten, dass unser CO2-Ausstoß unproblematisch wäre, habe ich jedenfalls schon länger nichts mehr gehört. Allenfalls wird noch über den Grad des Problems debattiert, aber wenn wir warten, bis das Experiment Klimawandel abgeschlossen ist, ist es zu spät, weil wir nunmal nur genau einen Durchlauf haben.
provinzler hat geschrieben:Nanna hat geschrieben: Und wenn du dann so tust, als bestünde das Problem nicht und als wäre massiver CO2-Ausstoß kein Problem, muss ich im Interesse des Gemeinwohls in dein Leben eingreifen.
Und schon wieder schreibst du dir die Deutungshoheit zu, was denn nun "Gemeinwohl" ist. Letztlich auch nur ein Euphemismus für "Ich zwing dich zu tun, was ich will, dass du tust".
Was das Gemeinwohl ist, ist von der Diskursgemeinschaft zu definieren. Sinnvoll können für den Einzelnen auch Ansätze wie Rawls' Schleier des Nichtwissens sein. Du darfst gerne deine Definition von Allgemeinwohl vorschlagen, dann lass uns doch darüber Argumentationen austauschen. Eines meines obersten Prinzipien beim Gemeinwohl wäre, dass das Biotop, das wir als biologische Wesen benötigen, in einem für uns vorteilhaften Zustand bleibt oder sich dorthin bewegt. Derzeit scheint unser kollektives Handeln aber genau davon weg zu führen und es muss eine kollektive Anstrengung geben, dorthin zu gelangen. Dass ich den Experten des IPCC bei der Bewertung unseres Lebensraums mehr vertraue als beliebigen Menschen auf der Straße, finde ich naheliegend, ohne diese Menschen abwerten zu wollen.
provinzler hat geschrieben:Nanna hat geschrieben:Doch tut es, alles andere wäre Gleichgültigkeit. Ich würde dich nicht zum Annehmen von Hilfe zwingen, aber ich würde dafür sorgen, dass sie dir zur Verfügung steht, und zwar unabhängig davon, ob du sie wünschtest oder verdient hättest.
Ich habe nix dagegen, wenn du das mit deinen eigenen Mitteln machst und andre Leute überzeugst auf freiwilliger Basis zu spenden. Die Wahrscheinlichkeit, dass du mir für diesen Zweck was rausleiern kannst, ist ziemlich hoch.
Es hat aber eine ganz andre Qualität, wenn du als Raubritter durch die Gegend ziehst, Leuten Geld abpresst und dann nach "politischen Kriterien" verteilst, im Klartext, WÄhlerstimmen kaufen willst.
Ja, und da ist das Problem: Du legst dich selbst als Maßstab an. Aber schau beispielsweise mal nach Haiti: Da wäre unheimlich viel Geld für den Wideraufbau (auch für die Hilfe zur Selbsthilfe, z.B. Wideraufforstungsprojekte, die Landwirtschaft überhaupt wieder möglich machen) vonnöten, es spendet aber keiner, weil es keiner auf dem Schirm hat und es auch gerade irgendwie nicht "in" ist, die Katastrophe ist ja vorbei. Haiti ist nicht das einzige, aber eines der derzeit prominentesten Beispiele dafür, warum freiwillige Hilfsprojekte so schlecht funktionieren, schlechter und vor allem unregelmäßiger häufig noch als staatliche bzw. staatliche geförderte Entwicklungshilfe, wobei auch die noch viel zu sehr daran geknüpft ist, dass das Thema irgendwie sexy ist.
Ich glaube dir ja sogar, dass du als provinzler den Weitblick besitzt, auch für sowas zu spenden, aber du schließt da etwas voreilig von dir auf andere. Und auch deine Aufmerksamkeitsspanne hat ein natürliches Ende.
provinzler hat geschrieben:Nanna hat geschrieben: Wenn deine Unzufriedenheit der Preis dafür ist, dann tut's mir leid, dass du ihn zahlen musst, aber ich halte ihn für das deutlich kleinere Übel.
Dass dich mein Befinden bei dem Versuch mit deine Vorstellungen aufzuzwingen nicht sonderlich interessiert, hast du mir ja nun schon mehrfach mitgeteilt.
In meinem persönlichen Umfeld, z.B. wenn ich in meinem Job Aufgaben delegieren muss, zwinge ich anderen sehr ungern irgendwas auf und versuche lieber, die Leute aktiv zu motivieren. Aber als Politikwissenschaftler weiß ich, dass in politischen Entscheidungsprozessen häufig nur die Wahl zwischen verschieden großen Übeln offen steht und im Vergleich zu einer fragmentierten Gesellschaft erscheint mir der Ärger einiger Unabhängigkeitliebender bei allem Verständnis als genau jenes kleinere Übel. Dass das eine kalte und irgendwem gegenüber auch zwingend rücksichtslose Entscheidung ist, weiß ich selber und ich bin nicht übermäßig stolz darauf, aber meines Erachtens funktioniert die Realität so.
provinzler hat geschrieben:Nanna hat geschrieben:Dein Umfeld ja, die Gesellschaft, in der du lebst, nicht, genausowenig wie die Familie, in die du geboren wurdest. Und solange du dein enges Umfeld selbst bestimmten kannst, verstehe ich nicht, worin dein Problem besteht.
Mein Problem besteht darin, dass mir diese Gesellschaft dauernd meine Mittel abpressen will, für Dinge dich ich gar nicht haben will. Man degradiert meine Arbeitskraft als beliebige Verfügungsmasse für Verbrecher um sich die Zustimmung des Pöbels zu erkaufen.
"Verbrecher" sind Leute, die das Recht brechen, das es ohne Staatlichkeit nicht geben kann. Nur so als kleine Anmerkung auf Seiten der theoretischen Stringenz.
Dein entscheidener Denkfehler scheint mir zu sein, dass du glaubst, die Möglichkeit zu haben, dich aus der Gesellschaft auszuklingen. Ich glaube, das kannst du in Mitteleuropa nichtmal physisch mehr. Egal, wohin du gehst, du wirst auf Straßen fahren, die der Staat gebaut hat und instand hält, du wirst Luft atmen, deren Reinheitsgrad staatliche Stellen überwachen und du wirst mit Menschen zu tun haben, die in ihrer kulturellen, sozialen, wirtschaftlichen und politischen Existenz mit der Staatlichkeit als solcher verwoben sind. Es ist meines Erachtens nicht möglich, sich aus dieser Verwobenheit zu lösen, außer durch Auswanderung - die Frage ist allerdings, wohin? - und es ist auch nicht möglich, die Staatlichkeit abzuschaffen, ohne die Funktionalität des Gesamtsystems dauerhaft - und nicht nur in einer hypothetischen Transitionsphase - zu gefährden. Allenfalls kann man zivilgesellschaftliche Freiräume gegenüber dem Staat schaffen, aber da der Staat die organisatorische Hülle der Gesellschaft ist, müsste man die Gesellschaft entweder desorganisieren (Hobbes' Naturzustand der totalen Herrschaftsfreiheit aber dafür auch totalen Gewalt) oder sie aber auf freiwilliger Basis organisieren, d.h. eine Organisation schaffen, der alle zustimmen können (was im Grunde sowieso die Idee ist, die den meisten Demokratie- und Gesellschaftsvertragstheorien zugrunde liegt, die aber praktisch im Wesentlichen nicht in einer strikten Form umsetzbar zu sein scheint).
Langes Theoriegefasel, kurzer Sinn: Es ist mir keine Gesellschaftsform bekannt, in der es möglich wäre, gleichzeitig Organisation (und damit Verlässlichkeit, Effizienz, Sicherheit) und Freiwilligkeit zu garantieren. Ein höherer Organisationsgrad geht auf Kosten der Freiwilligkeit/Autonomie und umgekehrt. Ich halte das für eine Gesetzmäßigkeit. Und da die meisten von uns nicht bereit sind, einen gewissen Organisationsgrad aufzugeben, wirst du wohl damit leben müssen, dass deine Autonomie nicht vollständig garantiert werden kann. Was nicht gleichbedeutend ist mit einer Missachtung deiner Person. Dass du es so wahrnimmst nehme ich dir nichtmal unbedingt übel, ich finde es nur nicht besonders realistisch oder weise.
provinzler hat geschrieben:Nanna hat geschrieben:Keine Ahnung wie der Eindruck enstanden ist, vielleicht dadurch, dass du keine Gelegenheit auslässt zu betonen, dass du möglichst weit weg willst von jeder Form organisierter Gesellschaft? Du kannst mir aber gern erklären, wie für dich Solidarität mit Schwächeren aussähe, vielleicht gefällt mir dein Ansatz ja. Wäre schön, wenn es ein massenkompatibler Ansatz wäre, denn solange nur du ihn verfolgst, ist er reichlich irrelevant für eine Gesellschaft.
Sei versichert, dass ich im Rahmen meiner Möglichkeiten diesbezüglich allerlei tue und lasse und das schon seit längerem. Das fängt bei der bewussten Konsumentenentscheidung an, geht mit der un- oder unterentgeltlichen Bereitstellung meiner Fähigkeiten für bestimmte Zwecke weiter und hört bei direkten Spenden auf. Umso mehr ärgert es mich, wenn mir Mittel gewaltsam entzogen werden, weil ich auch damit so einiges tun könnte, was ich für sinnvoller halte, als Bankerbonirettungen, mörderische Angriffskriege am Hindukusch und vieles mehr. ICh kann mich gegen diesen Irrsinn leider nicht vernünftig wehren, aber solange man noch darauf verzichtet, mich dafür offen zu sanktionieren, werde ich wenigstens mein Maul auftun.
Du sollst dich ja auch beteiligen, das ist ja in einer Demokratie sogar erwünscht. Es könnte manchmal etwas konstruktiver aussehen, finde ich, aber gut, jeder wie er mag. Zum Rest kann ich nur sagen: Wären alle wie du, wäre Libertarismus kein Problem. Allerdings wäre auch Kommunismus kein Problem, wenn alle Menschen Kommunisten wären. Das Problem ist eben die Verschiedenartigkeit der Menschen und solange der Großteil der Menschen nicht dieselbe Fähigkeit zur freiwilligen Partizipation, Toleranz und Gewaltfreiheit wie du aufbringt, wird es eine Klammer für die Gesellschaft in Form eines staatlichen Regelwerks und Gewaltmonopols brauchen. Das sage ich nicht, weil es mich irgendwie berauscht, sondern weil ich es schlichtweg für derzeit alternativlos halte. Vielleicht werde ich ja eines besseren belehrt und die Gesellschaft entwickelt sich mal entsprechend weiter, wünschenwert würde ich das ja auch finden. Ich glaube nur nicht so recht daran.