Todesstrafe: ist das Leben heilig?

Re: Todesstrafe: ist das Leben heilig?

Beitragvon stine » Mo 9. Feb 2009, 07:42

Es ist schrecklich sich vorzustellen, das überhaupt jemand sein Leben so lassen müßte, weder mit, noch ohne Schmerzen.

Was aber bei der Diskussion nicht vergessen werden darf ist die Tatsache, dass es hierbei nicht um bescheidene, harmlose Mitbürger geht, sondern um Menschen, die sich selbst schuldig gemacht haben und die ihre Opfer selbst nicht nach Schmerzfreiheit fragten, bevor sie sie töteten.
Heckenschützen in USA zB, die wahllos Frauen und Männer auf Supermartktparkplätzen erschossen oder Kriegsverbrecher, die Frauen und Kinder auf dem Gewissen haben. Ganz zu schweigen von den Versuchsärzten im dritten Reich.
Was, wenn nicht die eigene Todesangst, könnte sie wirklich schrecken, bei ihrer eigenen seelischen Abgebrühtheit?

Die Todesstrafe ist nur dann völlig daneben, wenn Systemkritiker öffentlich erschossen werden. Das ist aber gottseidank nur noch in den wenigsten Ländern unserer Welt Usus.
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Re: Todesstrafe: ist das Leben heilig?

Beitragvon Myron » Mo 9. Feb 2009, 08:21

stine hat geschrieben:Was, wenn nicht die eigene Todesangst, könnte sie wirklich schrecken, bei ihrer eigenen seelischen Abgebrühtheit?


Wie viele Befragungen verurteilter Mörder ergeben haben, scheint die Abschreckungskraft der Todesstrafe in Wirklichkeit äußerst schwach zu sein. Die Behauptung, dass die Todesstrafe wirkungsvoll vom Morden abhalte, kann praktisch als widerlegt gelten.
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Re: Todesstrafe: ist das Leben heilig?

Beitragvon stine » Mo 9. Feb 2009, 08:39

Myron hat geschrieben:Wie viele Befragungen verurteilter Mörder ergeben haben, scheint die Abschreckungskraft der Todesstrafe in Wirklichkeit äußerst schwach zu sein.
Klar, wie die kleinen Kinder eben, wenn sie einen strafenden Klapps auf ihren Po bekommen haben: "Das hat ja gar nicht weh getan!"
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Re: Todesstrafe: ist das Leben heilig?

Beitragvon 1von6,5Milliarden » Mo 9. Feb 2009, 15:35

Du willst hier wohl was missverstehen. Ein Klaps auf den Po soll das Kind davon abhalten einen Unsinn noch einmal zu machen.
Die Tötung eines Menschen ist aber nun mal ein absolut finales Mittel. Abschreckung kann hier nicht über eigene Erfahrung wirken.
Abschreckung funktioniert aber am besten über eigene Erfahrung und die meisten Mörder gehen davon aus nicht erwischt zu werden bzw. bedenken die Folgen sowieso nicht.

stine hat geschrieben:Was aber bei der Diskussion nicht vergessen werden darf ist die Tatsache, dass es hierbei nicht um bescheidene, harmlose Mitbürger geht, sondern um Menschen, die sich selbst schuldig gemacht haben und die ihre Opfer selbst nicht nach Schmerzfreiheit fragten, bevor sie sie töteten.
Du knallst hier den primitiven Rachegedanken wieder voll in den Ring.
Auge um Auge, Zahn um Zahn? Alttestamentarische "Gerechtigkeit"? Warum nicht gleich Blutrache oder die negativsten Seiten der Scharia?
stine hat geschrieben:Heckenschützen in USA zB, die wahllos Frauen und Männer auf Supermartktparkplätzen erschossen oder Kriegsverbrecher, die Frauen und Kinder auf dem Gewissen haben. Ganz zu schweigen von den Versuchsärzten im dritten Reich.
Ja und? Was machst du bei Fällen die nicht absolut 100%ig sind, aber im normalen Rechtsalltag immer für eine Verurteilung gut sind?
Wie begründest du Schmerzen, wenn ein Supermarktparkplatz-Killer der absolut perfekte Killer ist und per "perfekte" Treffer seine Opfer "unmerklich" (sie hatten keine Vorahnung, waren "absolut sofort" tot) ermordet hat?
Würdest du dann einen sadistischen Mörder zu Tode foltern?

Oder wäre es nicht besser, wenn der Rechtsstaat sich grundsätzlich nicht auf die Stufen der Mörder stellen würde?
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Re: Todesstrafe: ist das Leben heilig?

Beitragvon ganimed » Mo 9. Feb 2009, 19:48

Ich lese hier bisher fünf Argumente gegen die Todesstrafe heraus:

1) fehlende Revisionsmöglichkeit
In den USA scheint man zumindest eine erhöhte Sorgfalt in entsprechenden Prozessen walten zu lassen. Also eben doch mit jeder Menge Revisionsverfahren, Wartezeiten usw. Deshalb sind dort ja, soweit ich lese, die Kosten für Todesstrafe im Durchschnitt höher als lebenslängliche Haft. Und wenn man dann bedenkt, dass eine langjährige Haftstrafe auch nicht wieder gut zu machen ist, könnte man schon mal abwägen. Ein KO-Argument ist das jedenfalls für mich nicht.

2) der Abschreckungswert ist gleich Null
Ich stimme dem bisher gesagten zu: eine Strafe soll
a) das Gerechtigkeitsempfinden der Gesellschaft befriedigen
b) den Bestraften läutern und zur Besserung bewegen
c) andere potentielle Täter von irgendwas abhalten
(c) klappt, soweit ich lese, nie, auch nicht bei anderen Strafen. (b) klappt bei der Todesstrafe naturgemäß auch nie. Aber (a) bliebe als Sinn übrig. Immerhin.

3) Todesurteile sind unwirtschaftlich
Verfahren mit Todesurteil kosten mitunter mehr als lebenslange Haft (vermutlich aber nicht in China, sondern eher nur in USA). Aber die Kosten sind in einer ethischen Grundsatzdebatte wohl eher nebensächlich.

4) Inhumane Hinrichtung (z.B. Todesspritze wirkt nicht richtig, Schmerzen werden nicht immer vermieden)
Myron hat geschrieben:Wo steht eigentlich geschrieben, dass bei der Hinrichtung keine Schmerzen oder Qualen entstehen dürfen?

Korregiert mich, wenn ich mich übertrieben unmenschlich anhöre, aber wo steht eigentlich geschrieben, dass keine Schmerzen oder Qualen entstehen dürfen? Natürlich muss alles seine Grenzen haben. Aber wieso soll eine Hinrichtung eigentlich unbedingt schmerzlos erfolgen? Ist hier der Gedanke: wenn es das Leben kostet, ist das schon teuer genug? Bei einer lebenslangen Haft kann ja schließlich auch niemand garantieren, dass Schmerzen und Qualen vermieden werden. Wie ich aus klischeehaften Genre-Spielfilmen zu ahnen glaube, geht es in Haftanstalten ja auch nicht immer nett, friedlich und schmerzfrei zu. Absichtliche Qualen sind sicher zu vermeiden und vielleicht kann man an den Hinrichtungsmethoden jeweils immer mal was verbessern. Aber grundsätzlich scheint mir dieser Punkt kein wirkliches Gegenargument zu sein.

5) Staat sollte nicht auf die Stufe des Mörders hinabsteigen und selbst morden bzw. niemand hat das Recht zu morden.
Eine Hinrichtung nach einem ordentlichen Gerichtsverfahren ist kein Mord. Sonst wäre die alternative Haftstrafe mit demselben Argument ja Freiheitsberaubung. Mit der kategorischen Ablehnung von "Leben nehmen" habe ich auch in dieser Runde meine Probleme.
Mark hat geschrieben:Es ist ein fundamental wichtiges Signal für alle Mitmenschen, wenn das Leben der Menschen grundsätzlich IMMER respektiert und bewahrt wird.

Klingt erstmal gut und richtig. Eigentlich stimme ich ja zu. Nur angesichts der Realität erscheint mir dieses Signal weltweit kaum Bedeutung zu haben. Zu teilnahmslos sind wir alle angesichts von Krankheits-, Hunger- und Kriegskatastrophen in Afrika und dem Rest der Welt. Leben bewahren scheint so gesehen auch nur ein relativer Wert zu sein.
Außerdem wäre auch die Todesstrafe ein bestimmtes Signal, nämlich eines für ein bestimmtes Gerechtigkeitsverständnis. Ich zumindest empfinde es als tendenziell ungerecht, wenn jemand viele Leute ohne Grund tötet und danach als Strafe eine mehr oder weniger gesicherte und betreute Existenz im Knast führen darf. Das scheint zumindest mir eher die Abwesenheit von Strafe zu sein. Eher ein Ausdruck von Hilflosigkeit bei der einem falsch verstandene Humanität die Hände bindet.

Mein Zwischenfazit: eindeutige Sachargumente sehe ich noch nicht.
Es ist vielleicht wohl doch eher eine emotionale Abwägungsfrage zwischen Gerechtigkeit und Humanität.
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Re: Todesstrafe: ist das Leben heilig?

Beitragvon AgentProvocateur » Di 10. Feb 2009, 01:00

ganimed hat geschrieben:1) fehlende Revisionsmöglichkeit
In den USA scheint man zumindest eine erhöhte Sorgfalt in entsprechenden Prozessen walten zu lassen. [...] Und wenn man dann bedenkt, dass eine langjährige Haftstrafe auch nicht wieder gut zu machen ist, könnte man schon mal abwägen. Ein KO-Argument ist das jedenfalls für mich nicht.

Fakt ist, dass es es immer wieder im Nachhinein neue Erkenntnisse gibt, die zeigen, dass Unschuldige zum Tode verurteilt wurden. Und bei einem Justizirrtum kann man zwar auch eine Haftstrafe nicht ungeschehen machen, aber man kann den Verurteilten rehabilitieren und zumindest teilweise Entschädigung leisten. Dies ist bei einem Hingerichteten nun mal gänzlich ausgeschlossen, denn der ist tot, weg, futsch. Meiner Meinung nach durchaus ein wesentlicher Unterschied und das reicht mir eigentlich schon als KO-Argument. Unschuldig angeklagt werden kann jeder, auch Du, und Du kannst das Pech haben, dass alle Indizien gegen Dich sprechen. Es gibt nie 100%-ige Sicherheit bei einer Verurteilung.

ganimed hat geschrieben:2) der Abschreckungswert ist gleich Null
Ich stimme dem bisher gesagten zu: eine Strafe soll
a) das Gerechtigkeitsempfinden der Gesellschaft befriedigen
b) den Bestraften läutern und zur Besserung bewegen
c) andere potentielle Täter von irgendwas abhalten
(c) klappt, soweit ich lese, nie, auch nicht bei anderen Strafen. (b) klappt bei der Todesstrafe naturgemäß auch nie. Aber (a) bliebe als Sinn übrig. Immerhin.

Ob der Abschreckungseffekt gleich Null ist, weiß ich nicht, jedoch gibt es in Staaten mit Todesstrafe einen gegenteiligen Effekt: jemand, der ein Verbrechen begangen hat, das die Todesstrafe nach sich zieht, bekommt dadurch einen sehr starken Anreiz, weitere Verbrechen zu begehen, denn schlimmer kann es für ihn nicht kommen. Es werden deshalb häufig Zeugen ermordet, um das Verbrechen zu vertuschen.

Und ob a) der Fall ist, ist für mich sehr fraglich (siehe unten).

ganimed hat geschrieben:3) Todesurteile sind unwirtschaftlich
Verfahren mit Todesurteil kosten mitunter mehr als lebenslange Haft (vermutlich aber nicht in China, sondern eher nur in USA). Aber die Kosten sind in einer ethischen Grundsatzdebatte wohl eher nebensächlich.

Genau, die Kosten sind eher nebensächlich.

In China sind Hinrichtungen übrigens wohl eher billiger als Haftstrafen, da man dort nicht unbedingt rechtsstaatlich vorgeht und außerdem die Organe der Hingerichteten teuer verkauft. Der Bau von Organtransplantationszentren hat in den letzten Jahren dort sprunghaft zugenommen. Die Kunden sind meist Leute aus reichen Ländern. Du bekommst jedes gewünschte Organ auf Bestellung, ganz frisch und einsatzfähig, in Deiner Blutgruppe, 1A-Qualität. Ein Anruf genügt, dann wird ein Termin gemacht für die Hinrichtung und für die anschließende Organverpflanzung.

ganimed hat geschrieben:4) Inhumane Hinrichtung (z.B. Todesspritze wirkt nicht richtig, Schmerzen werden nicht immer vermieden)
[...] Korregiert mich, wenn ich mich übertrieben unmenschlich anhöre, aber wo steht eigentlich geschrieben, dass keine Schmerzen oder Qualen entstehen dürfen?

GG Artikel 1. Den müsste man wohl ändern. Was nicht so ganz einfach ist. Dazu bedarf es eines Putsches mit anschließender Etablierung einer Militärdiktatur oder so. Bin aber kein Jurist, die wissen das sicher besser als ich.

ganimed hat geschrieben:5) Staat sollte nicht auf die Stufe des Mörders hinabsteigen und selbst morden bzw. niemand hat das Recht zu morden.
Eine Hinrichtung nach einem ordentlichen Gerichtsverfahren ist kein Mord. Sonst wäre die alternative Haftstrafe mit demselben Argument ja Freiheitsberaubung.

Richtig, eine Hinrichtung (nach Gerichtsverfahren) würde auch ich nicht als "Mord" bezeichnen wollen. Es geht aber hier mE um etwas anderes: um bestimmte humane Grundsätze, die unser Staat sich selber auferlegt hat und zwar gegen jedermann, egal, was dieser getan hat, ihn also immer mit einem gewissen Grundrespekt zu behandeln, der nicht verwirkt werden kann. Das ist mE ein unverzichtbarer Bestandteil einer humanen Gesellschaft, zumindest einer, die ich mir wünsche.

ganimed hat geschrieben:Mit der kategorischen Ablehnung von "Leben nehmen" habe ich auch in dieser Runde meine Probleme.

Es gibt diese kategorische Ablehnung aber so nicht, das ist doch ein Strohmann, ein Pappkamerad, eine Chimäre. Ich sehe einen großen Konsens darüber, dass Notwehr und auch Nothilfe legitim sind, auch wenn sie den Tod eines Menschen bedeuten. Das ist übrigens auch gesetzlich so geregelt.

ganimed hat geschrieben:Außerdem wäre auch die Todesstrafe ein bestimmtes Signal, nämlich eines für ein bestimmtes Gerechtigkeitsverständnis.

Naja, ich nenne dieses Gerechtigkeitsverständnis aber eher "Rachebedürfnis". Niemand hat etwas gewonnen, wenn der Staat das Recht hat, Menschen hinzurichten, außer vielleicht einer (in meiner Sicht archaischen) kurzzeitigen Befriedigung einiger weniger Leute. Es ist das uralte "Auge um Auge, Zahn um Zahn" - Prinzip, das aber insgesamt meiner Auffassung nach sehr viel mehr schadet, als es nutzen kann.
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Re: Todesstrafe: ist das Leben heilig?

Beitragvon stine » Di 10. Feb 2009, 07:57

1von6,5Milliarden hat geschrieben:Du knallst hier den primitiven Rachegedanken wieder voll in den Ring.
ganimed nannte es "das Gerechtigkeitsempfinden der Gesellschaft befriedigen". Klingt schon viel besser, oder?
1von6,5Milliarden hat geschrieben:...wenn ein Supermarktparkplatz-Killer der absolut perfekte Killer ist und per "perfekte" Treffer seine Opfer "unmerklich" (sie hatten keine Vorahnung, waren "absolut sofort" tot) ermordet hat?
Der eher schmerzfreie Mord ist sicher selten. Trotzdem ist dabei nicht zu vergessen das nagende Leid der Hinterbliebenen. Das bleibt immer!
1von6,5Milliarden hat geschrieben:Würdest du dann einen sadistischen Mörder zu Tode foltern?
Vielleicht denke ich als Frau einfach anders.
Jedesmal, wenn in den Medien Bilder von vermissten Kindern gezeigt werden, dreht sich mir der Magen um. Das ist Leid pur!
Wenn ein Menschenleben schon zu Beginn vernichtet wird, das muß nun nicht einmal der Tod sein (der ist oft noch gnädiger, als das Weiterleben), dann kann ich wirklich nur schwer drüber stehen, wenn die Täter mit ein paar Jahren davonkommen.

Wir leben leider in einer Gesellschaft, in der den Tätern mehr Augenmerk geschenkt wird, als den Opfern. Das weiß auch inzwischen unsere Jugend, dass Beachtung in der Regel auf Untaten folgt und nicht auf Guttaten. Das spornt an. Teure Integrationsmaßnahmen und psychologische Betreuung des Jugendstrafvollzugs müssen erst den Beweis erbringen, dass Täter "reparierbar" sind.
Den Ansatz, die Täter dazu zu verdonnern, Opfer intregativ zu begleiten und Sozialdienstleistungen auszuführen, finde ich zwar waghalsig, aber noch am besten dazu geeignet das Bewußtsein für die Untat stärker auszuformen.

Um auf die Todesstrafe zurückzukommen: Ich bin nicht zwangsläufig dafür, aber in manchen Fällen finde ich sie gerechtfertigt.
Der Beweis der Schuld muß natürlich hundertprozentig sein.
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Re: Todesstrafe: ist das Leben heilig?

Beitragvon stine » Di 10. Feb 2009, 08:24

Nur so am Rande:
Was wäre die gerechte Strafe in diesem Fall ?
Vielleicht sollte die Mutter ebenfalls Essigreiniger trinken?
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Re: Todesstrafe: ist das Leben heilig?

Beitragvon 1von6,5Milliarden » Di 10. Feb 2009, 10:32

stine hat geschrieben:
1von6,5Milliarden hat geschrieben:Du knallst hier den primitiven Rachegedanken wieder voll in den Ring.
ganimed nannte es "das Gerechtigkeitsempfinden der Gesellschaft befriedigen". Klingt schon viel besser, oder?
Klingt nach einer euphemistischen Verbrämung von die Rache des Pöbels.
Nein, es klingt nicht besser, nur nach fetter verlogener Schminke.
stine hat geschrieben:
1von6,5Milliarden hat geschrieben:...wenn ein Supermarktparkplatz-Killer der absolut perfekte Killer ist und per "perfekte" Treffer seine Opfer "unmerklich" (sie hatten keine Vorahnung, waren "absolut sofort" tot) ermordet hat?
Der eher schmerzfreie Mord ist sicher selten.
Selten schließt die Möglichkeit einer theoretischen Betrachtung nicht aus. Ich warte auf die Antwort.
Und wenn man Jägern und Metzgern glaubt, soll es ganz einfach sein.
stine hat geschrieben:Trotzdem ist dabei nicht zu vergessen das nagende Leid der Hinterbliebenen. Das bleibt immer!
Und? Ändert es sich wirklich? Ja, bei manchen wird wohl der primitive Rachegedanke zu einer Obsession, der vielleicht auch nur den Schmerz des Verlustes überdecken soll, vielleicht aber auch ersetzt. Aber ist dies ein Kriterium für Gerechtigkeit? Ganz sicherlich nicht.
Der Grad des Rachedurstes der Hinterblieben, darf doch nicht die Schwere des Urteils bestimmen.
stine hat geschrieben:
1von6,5Milliarden hat geschrieben:Würdest du dann einen sadistischen Mörder zu Tode foltern?
Vielleicht denke ich als Frau einfach anders.
Bilde dir nichts auf dein Weibchenschema ein.
stine hat geschrieben:Jedesmal, wenn in den Medien Bilder von vermissten Kindern gezeigt werden, dreht sich mir der Magen um. Das ist Leid pur!
böses weil schlechtes Beispiel, denn es ist primär der Aufhetzung (zum Kauf!) durch die Unterschichtenmedien geschuldet. So schlimm jeder einzelne Fall ist, zu deiner Kindheit waren übrigens um ein vielfaches mehr Kinder davon betroffen.
Du kennst sicher das Bild von dem judischen Buben mit erhobenen Armen auf der Bahnhofsrampe auf den Weg zur Vernichtung. Da könnte ich jedesmal röhren. Das Kindchenschema wirkt auch bei Männern, rational betrachtet sehe ich kein extremen Unterschied, ob ein Mörder Kinder oder Erwachsene mordet, aber auch rationale Menschen unterliegen der Natur.
Aber wie konnten diese Mörder der Natur so widerstehen, wie konnten sie zuhausen (zumindest teilweise) den liebend Vater, die sorgende Mutter nicht nur spielen sondern sogar sein, und dann teilweise sogar sadistisch erfreut Kinder morden, zu Tode quälen?
Rational bin ich trotzdem gegen die Todesstrafe, selbst in diesen Fällen, auch wenn die Täter gefühlsmäßig für mich kein Recht auf nichts mehr hätten.
In einem objektiven Gerechtigkeitssystem dürfen Rachegefühle keine Rolle spielen. Schützt auch vor nicht wiedergutzumachenden Irrtümern und Manipulation der Gerechtigkeit.
stine hat geschrieben:Wenn ein Menschenleben schon zu Beginn vernichtet wird, das muß nun nicht einmal der Tod sein (der ist oft noch gnädiger, als das Weiterleben), dann kann ich wirklich nur schwer drüber stehen, wenn die Täter mit ein paar Jahren davonkommen.
Nur weil ein System nicht perfekt ist, plädierst du für ein sicherlich schlechtes System?
Und außerdem ist dieses Argument einfach nur ein dümmliches Scheinargument oder du bist die alttestamentarische Rache und fundamentalistischste Scharia-Version in Person (oder solltes nicht heimlich die BLÖD-Zeitung lesen ;-). Mit ein paar Jahren kommt keiner davon, der wegen Mordes verurteilt wird. Da würde auch die Todesstrafe für Mord nichts ändern. Wer "nur ein paar Jahre" für eine Tat bekommen hat, wurde einfach nicht für ein allerschwerstes Kapitalverbrechen mit maximaler Strafe verurteilt - passt dir da was nicht in dein (oder mein) Weltbild, dann hat dies nichts mit Todesstrafe "ja oder nein" zu tun.
stine hat geschrieben:Wir leben leider in einer Gesellschaft, in der den Tätern mehr Augenmerk geschenkt wird, als den Opfern.
Ja. liegt an der klerikal-feudalen Vergangenheit. Sachschäden bzw. Sachdelikte wiegen fast schwerer (teilweise tatsächlich schwerer) als Delikte an Leib und Leben. Denn nehmen konnte man früher ja nur denen sächliche Werte, die welche hatten, also dem Klerus und (vereinfacht) dem Adel - also denen die weltlich oder religiös herrschten.
stine hat geschrieben:Das weiß auch inzwischen unsere Jugend, dass Beachtung in der Regel auf Untaten folgt und nicht auf Guttaten. Das spornt an.
Ja, dies ist ein großes Problem, quer durch unser System. Egal ob Kind, Schüler, Mitarbeiter oder sonstwo, gelobt wird wenig, Tadel und Strafe scheint oft die einzige Aufmerksamkeit und Zuwendung zu sein, der Lerneffekt daraus ist im Extremfall eine Katastrophe.
stine hat geschrieben:Teure Integrationsmaßnahmen und psychologische Betreuung des Jugendstrafvollzugs müssen erst den Beweis erbringen, dass Täter "reparierbar" sind.
Dies hat damit wiederum fast nichts zu tun, außer in der BILD. Die Crux ist, dass ohne diese Maßnahmen, ein (jugendlicher) Straftäter ja nur noch in einer negativen Gesellschaft wäre.
Einerseits bist du (anscheinend) gegen ausschließliche Aufmerksamkeit bei schlechten Taten, dann darf aber der Strafvollzug nicht human und aufbauend sein.
stine hat geschrieben:Den Ansatz, die Täter dazu zu verdonnern, Opfer intregativ zu begleiten und Sozialdienstleistungen auszuführen, finde ich zwar waghalsig, aber noch am besten dazu geeignet das Bewußtsein für die Untat stärker auszuformen.
Wenn es das Opfer zulässt und damit einverstanden ist, ja.
Ausnahme wäre bei meinem Weltbild natürlich die Begleitung bei Mordopfern. Aber ich glaube jetzt hast du dies nicht so gemeint, auch wenn es in deinem Wleltbild wohl möglich wäre. (Was machst du aber wenn das Opfer "in den Himmel" kommt? :^^: Mörder ins Paradies? )
stine hat geschrieben:Um auf die Todesstrafe zurückzukommen: Ich bin nicht zwangsläufig dafür, aber in manchen Fällen finde ich sie gerechtfertigt.
Der Beweis der Schuld muß natürlich hundertprozentig sein.
Und genau da ist ein weiteres Problem. Wann ist 100%?
Wenn es Zeugen gibt? Aber wann ist auf Zeugen 100% verlass, und wann nicht mehr? Zeugen sind in der Identifizierung - vorallem wenn sie unbeteiligt sind - eigentlich fast immer schlechte Zeugen. Beteiligte Zeuge aber sind meist immer irgendwie befangen - als auch keine guten Zeugen.
Indizien? Auch noch so zutreffende Indizien können u.U. falsch gedeutet werden - und dies sogar ohne Vorsatz (gilt auch für Zeugen).
100%-sichere Verurteilungen haben sich dank DNS-Analyse als Irrtum erwiesen, was bringt die Zukunft?

Ja, ob ein (fiktiver Fall, bitte abstrahiere dies so) Mensch der vor 50 Jahren (als 50-Jähriger) entweder zum Tode oder zu (wirklich) lebenslang fälschlich verurteilt wurde, wird heute durch Erkenntnis der Unschuld (durch DNS-Analyse als fiktives Beispiel) weder wieder lebendig, noch bringt es ihm die Jahre, die er bis zum Tode in der Zelle fristen musste zurück. Aber die "Schuld" des Systems ist geringer und wäre die DNS-Analyse schon vor 45 Jahren so weit gewesen, wäre die eine falsche Strafe noch halbwegs reversibel gewesen.
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Re: Todesstrafe: ist das Leben heilig?

Beitragvon stine » Di 10. Feb 2009, 12:13

1von6,5Milliarden hat geschrieben:...Gerechtigkeitsempfinden...klingt nicht besser, nur nach fetter verlogener Schminke.li
Wieso strafen wir dann überhaupt? Geht es nur um den Lerneffekt der Täter?
Das würde mich aber sehr wundern.
Man bräuchte sie dann ja überhaupt nicht wegsperren und könnte sie direkt nach der Tat mit Hilfe psychologischer Betreuung wieder in die Gesellschaft einordnen.
1von6,5Milliarden hat geschrieben:Selten schließt die Möglichkeit einer theoretischen Betrachtung nicht aus. Ich warte auf die Antwort.
Nur weil mancher Mord schmerzfrei ist, soll die Tat eine bessere sein?
Danke, lieber Mörder, dass du mein Kind nicht leiden hast lassen! :down:
1von6,5Milliarden hat geschrieben:böses weil schlechtes Beispiel, denn es ist primär der Aufhetzung (zum Kauf!) durch die Unterschichtenmedien geschuldet. So schlimm jeder einzelne Fall ist, zu deiner Kindheit waren übrigens um ein vielfaches mehr Kinder davon betroffen.
Die Straftaten an Kindern sind für dich schlechte Beispiel?
Was wäre denn ein gutes Beispiel?
Mann bringt Frau um die Ecke, weil sie wieder einmal nichts kochen wollte?
Stimmt, da hätte mancher dann vielleicht weniger Mitleid :( !
1von6,5Milliarden hat geschrieben:Nur weil ein System nicht perfekt ist, plädierst du für ein sicherlich schlechtes System?
Ich plädiere nicht für die Todesstrafe, aber ich kann verstehen, dass manche Straftat danach verlangt. Auch, wenn es nach deinem Dafürhalten nur die Rache der niederen Schichten sein sollte.

Und hundertprozentige SIcherheit hatte man bestimmt in allen Kriegen. Da sah man ja genau, wer was verordnete.
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Re: Todesstrafe: ist das Leben heilig?

Beitragvon 1von6,5Milliarden » Di 10. Feb 2009, 13:58

stine hat geschrieben:
1von6,5Milliarden hat geschrieben:Selten schließt die Möglichkeit einer theoretischen Betrachtung nicht aus. Ich warte auf die Antwort.
Nur weil mancher Mord schmerzfrei ist, soll die Tat eine bessere sein?
Danke, lieber Mörder, dass du mein Kind nicht leiden hast lassen! :down:
:explodieren: Bitte verdrehe hier nicht die Ausgangslage :veg:
Du hast als Begründung für eine u.U. nicht schmerzfreie Hinrichtung den schmerzhaften Tod der (theoretischen) Opfer gebracht!
Darauf habe ich gefragt, wo bleibt deine Begründung, wenn der Tod gar nicht schmerzhaft war?
Also, ich warte auf eine Begründung darauf, nicht auf eine falsches Ausweichen :kopfwand:


stine hat geschrieben:
1von6,5Milliarden hat geschrieben:böses weil schlechtes Beispiel, denn es ist primär der Aufhetzung (zum Kauf!) durch die Unterschichtenmedien geschuldet. So schlimm jeder einzelne Fall ist, zu deiner Kindheit waren übrigens um ein vielfaches mehr Kinder davon betroffen.
Die Straftaten an Kindern sind für dich schlechte Beispiel? Was wäre denn ein gutes Beispiel?
Ein gutes Beispiel, wäre ein Beispiel welches nicht in und von den Medien missbraucht wird.

stine hat geschrieben:
1von6,5Milliarden hat geschrieben:Nur weil ein System nicht perfekt ist, plädierst du für ein sicherlich schlechtes System?
Ich plädiere nicht für die Todesstrafe, aber ich kann verstehen, dass manche Straftat danach verlangt.
Eine Straftat verlang nach gar nichts. Abgesehen davon, dass die Straftat ja selber nur ein Konstrukt des Menschen ist, auch die die Konsequenzen die man fordern könnte, ergeben sich nicht aus dieser Tat selber, sondern wiederum nur aus den Gedanken der Menschen.
stine hat geschrieben:Und hundertprozentige SIcherheit hatte man bestimmt in allen Kriegen. Da sah man ja genau, wer was verordnete.
Ja und?
Oft ist es so, oft aber auch nicht.
War "Pearl Harbor" tatsächlich ein reines Kriegsverbrechen der Japaner oder wussten die USA doch schon davon? Hat also "die Politik der USA" tausende von eigenen Soldaten geopfert, nur um in den Krieg eintreten zu können oder ist dies doch nur eine Verschwörungstheorie?
Der Kriegsgewinner schafft die historische "Wahrheit", dies steht mal fest. Aber wie viel davon ist gelogen? Wie viel wussten die Alliierte bzw. wussten sie nicht über die Ermordung der Juden?
Das deutsche Volk soll es gewusst haben (ich bin mir sicher, sehr viele haben viel gewusst, noch mehr haben viel geahnt und verdrängt), aber das Ausland soll keinen Schimmer davon gehabt haben? Beides ist nur schwer unter einem Hut zu bringen, also wer hat die entscheidenden Befehle oder Informationen (bei den Alliierten) gegeben bzw. nicht gegeben und warum?
Was wurde (ganz allgemein!) warum angeordnet oder nicht angeordnet? Was war vorauseilender Gehorsam und was "nacheilender Gehorsam"?
War einer schuldig, der einen Erschießungsbefehl weitergegeben hat oder unschuldig? Ist es so leicht? Waren die faktischen Täter unschuldig oder schuldig? Welcher Schreibtischtäter war schuldig, welcher nicht? Nur derjenige der als oberstes den Befehl gegeben hat? Oder doch die ganze Befehlskette? Waren gar nur Hitler und ein paar ganz wenige "Obernazis" schuld?

War an "My Lai" tatsächlich nur der am Ort befehlende Oberstleutnant schuld (oder doch gar nur der verurteilte und begnadigte Oberleutnant?), oder nicht auch höhere Offiziere, die die Stimmung für solche Greueltaten mit geschaffen hatten und viel vorhergehende (eventuell) kleinere Kriegsverbrechen vertuscht hatten und eventuell sogar (inoffiziell) gutgehießen hatten? Waren die ausführenden Soldaten schuldig oder unschuldig?
Nein, selbst im Krieg ist vieles nicht einfach zuzuordnen, aber selbst wenn es so wäre, wofür soll dies eine Begründung liefern?
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Re: Todesstrafe: ist das Leben heilig?

Beitragvon stine » Di 10. Feb 2009, 19:14

1von6,5Milliarden hat geschrieben:Was wurde (ganz allgemein!) warum angeordnet oder nicht angeordnet?

Was ist mit solchen Leuten ?
Hier dürfte Schuld eindeutig gewesen seien.
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Re: Todesstrafe: ist das Leben heilig?

Beitragvon ganimed » Di 10. Feb 2009, 20:34

AgentProvocateur hat geschrieben:
ganimed hat geschrieben:aber wo steht eigentlich geschrieben, dass keine Schmerzen oder Qualen entstehen dürfen?
GG Artikel 1. Den müsste man wohl ändern.

Ich habe nachgeschaut: Artikel 1 : "Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt."
Diese Würde wird deiner Ansicht nach dadurch verletzt, dass man dem Menschen bei einer Hinrichtung Schmerzen zufügt? Und sie wird nicht verletzt, wenn man einen Menschen lebenslang inhaftiert? Das sehe ich irgendwie anders. Solange man rechtsstaatlich mit den Leuten umgeht, ihre Rechte wahrt und jeder gleich behandelt wird, sehe ich die Würde auch durch eine Hinrichtung nicht verletzt. Man hängt den Todeskandidaten ja nun nicht mehr an einen Pranger, damit der Pöbel ihn verhöhnen und verspotten kann. Ich sehe nicht, was Schmerzen mit Würde zu tun haben.

AgentProvocateur hat geschrieben:Naja, ich nenne dieses Gerechtigkeitsverständnis aber eher "Rachebedürfnis". ... Es ist das uralte "Auge um Auge, Zahn um Zahn" - Prinzip, das aber insgesamt meiner Auffassung nach sehr viel mehr schadet, als es nutzen kann.

Der potentielle Nutzen der Todesstrafe wäre wohl, dass dieses Rachebedürfnis befriedigt wird. Was wäre denn der Schaden, den du da siehst, und der angeblich sehr viel größer als der Nutzen ist?

AgentProvocateur hat geschrieben:Es geht aber hier mE um etwas anderes: um bestimmte humane Grundsätze, die unser Staat sich selber auferlegt hat und zwar gegen jedermann, egal, was dieser getan hat, ihn also immer mit einem gewissen Grundrespekt zu behandeln, der nicht verwirkt werden kann. Das ist mE ein unverzichtbarer Bestandteil einer humanen Gesellschaft, zumindest einer, die ich mir wünsche.

Da sind wir uns eigentlich einig. Auch ich wünsche mir diesen Grundrespekt jedem einzelnen gegenüber. Und für mich drückt sich dieser Grundrespekt in der Ordenlichkeit des Gerichtsverfahrens aus. Wenn dabei dann die Todesstrafe verhängt wird, sehe ich diesen Grundrespekt noch nicht verletzt. Ich vermute, wir unterscheiden uns also nur in geschmacklichen Nuancen.

AgentProvocateur hat geschrieben:Und bei einem Justizirrtum kann man zwar auch eine Haftstrafe nicht ungeschehen machen, aber man kann den Verurteilten rehabilitieren und zumindest teilweise Entschädigung leisten. Dies ist bei einem Hingerichteten nun mal gänzlich ausgeschlossen, denn der ist tot, weg, futsch. Meiner Meinung nach durchaus ein wesentlicher Unterschied und das reicht mir eigentlich schon als KO-Argument.

Aber es gibt ja auch immerhin den gegenteiligen Fall. Triebtäter wird zu einer Haftstrafe verurteilt, kommt wegen guter Führung frei und mordet dann erneut. (Solche Fälle gibt es, soweit ich weiß, durchaus). Dann sind die erneuten Opfer auch tot, weg, futsch. Mit der Todesstrafe wäre das in diesen Fällen nicht passiert. Ich finde, das kann man durchaus mal gegenrechnen. Alles eine Frage der Abwägung.

AgentProvocateur hat geschrieben:Unschuldig angeklagt werden kann jeder, auch Du, und Du kannst das Pech haben, dass alle Indizien gegen Dich sprechen. Es gibt nie 100%-ige Sicherheit bei einer Verurteilung.

Ich kann auch unschuldig das Opfer eines Gewaltverbrechens werden. Oder ich sterbe beim Überqueren der Straße. Ich finde, dass die Sicherheit (auch meine) oder die Justizsicherheit durch die Abschaffung der Todesstrafe nicht unbedingt nur erhöht wurde, und in einem spürbaren Maße sowieso nicht.

Ich räume ein, ich kann gut damit leben, dass unsere Gesellschaft die Todesstrafe ablehnt. Ich fühle mich da als Wackelkandidat ohne richtige Meinung. Ich bin nicht richtig dagegen, aber auch nicht unbedingt dafür. Wenn die Todesstrafe morgen wieder eingeführt würde in Deutschland, könnte ich vermutlich zwar auch gut damit leben, aber alles in allem neigt sich mein Empfinden vielleicht ein wenig in Richtung lieber keine Todesstrafe. Was ich nur irgendwie vermisse, ist die Klarheit und die zwingenden Argumente gegen die Todesstrafe.
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Re: Todesstrafe: ist das Leben heilig?

Beitragvon AgentProvocateur » Mi 11. Feb 2009, 14:04

ganimed hat geschrieben:Diese Würde wird deiner Ansicht nach dadurch verletzt, dass man dem Menschen bei einer Hinrichtung Schmerzen zufügt?

Nein, sie würde mMn dann verletzt, wenn man die Schmerzen als Bestandteil der Strafe ansehen würde (ist doch egal - der hat das nicht anders verdient - er ist nicht mehr als Mensch, sondern als Monster zu behandeln).

ganimed hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:Naja, ich nenne dieses Gerechtigkeitsverständnis aber eher "Rachebedürfnis". ... Es ist das uralte "Auge um Auge, Zahn um Zahn" - Prinzip, das aber insgesamt meiner Auffassung nach sehr viel mehr schadet, als es nutzen kann.

Der potentielle Nutzen der Todesstrafe wäre wohl, dass dieses Rachebedürfnis befriedigt wird. Was wäre denn der Schaden, den du da siehst, und der angeblich sehr viel größer als der Nutzen ist?

Der Schaden wäre eine Verrohung der Gesellschaft. Einen Nutzen sehe ich nicht, denn ich meine nicht, dass gewisse Rachebedürfnisse (kastriert das Monster; blast ihm das Lebenslicht aus, er hat es nicht anders verdient) befriedigt werden müssen.

ganimed hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:Und bei einem Justizirrtum kann man zwar auch eine Haftstrafe nicht ungeschehen machen, aber man kann den Verurteilten rehabilitieren und zumindest teilweise Entschädigung leisten. Dies ist bei einem Hingerichteten nun mal gänzlich ausgeschlossen, denn der ist tot, weg, futsch. Meiner Meinung nach durchaus ein wesentlicher Unterschied und das reicht mir eigentlich schon als KO-Argument.

Aber es gibt ja auch immerhin den gegenteiligen Fall. Triebtäter wird zu einer Haftstrafe verurteilt, kommt wegen guter Führung frei und mordet dann erneut. (Solche Fälle gibt es, soweit ich weiß, durchaus). Dann sind die erneuten Opfer auch tot, weg, futsch. Mit der Todesstrafe wäre das in diesen Fällen nicht passiert. Ich finde, das kann man durchaus mal gegenrechnen. Alles eine Frage der Abwägung.

Ist aber doch wohl kaum vergleichbar. Wenn man jemanden hinrichtet, dann weiß man, dass er danach tot ist. Wenn man jemanden aus der Haft entlässt, dann weiß man nicht, ob er einen Mord begehen wird. Wenn es starke Indizien dafür gibt, dass er es tun wird, dann wird er normalerweise nicht freigelassen, sondern bleibt in Sicherheitsverwahrung. Dieser Einwand hat also sowieso nichts mit der Todesstrafe zu tun.

ganimed hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:Unschuldig angeklagt werden kann jeder, auch Du, und Du kannst das Pech haben, dass alle Indizien gegen Dich sprechen. Es gibt nie 100%-ige Sicherheit bei einer Verurteilung.

Ich kann auch unschuldig das Opfer eines Gewaltverbrechens werden. Oder ich sterbe beim Überqueren der Straße. Ich finde, dass die Sicherheit (auch meine) oder die Justizsicherheit durch die Abschaffung der Todesstrafe nicht unbedingt nur erhöht wurde, und in einem spürbaren Maße sowieso nicht.

Naja, dazu könnte man sich mal Mord-Statistiken von Staaten mit Todesstrafe und Staaten ohne Todesstrafe ansehen.

Das einzige Argument für die Todesstrafe ist das Rachebedürfnis.
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Re: Todesstrafe: ist das Leben heilig?

Beitragvon ganimed » Mi 11. Feb 2009, 20:48

AgentProvocateur hat geschrieben:Der Schaden wäre eine Verrohung der Gesellschaft.

Wieso ist eine Verrohung der Gesellschaft per se ein Schaden? Ist sie schon jetzt zu roh? Oder entspricht es nur deinem persönlichen Geschmack, dass die Gesellschaft bereits verroht genug ist und keine Steigerung mehr erlaubt wäre? Was ist hier dein Kriterium?
Ich will wohl darauf hinaus, dass Rohheit ja nun nicht ein Schaden an sich ist und es kein universelles Ziel sein muss, alle Rohheit zu unterlassen. Das Optimum für die geistige Gesundheit und das Wohlbefinden scheint mir doch eher dann erreicht, wenn der Mensch so roh sein darf, wie er aufgrund seiner Anlagen, Erziehung und Prägungen nunmal ist. Ein Schaden entstünde also nur, wenn die Menschen durch die Todesstrafe roher würden als sie eigentlich sind. Aber wer wollte das so genau beurteilen? Als nächstes verbietest du die Fußballstadien. (Die fallen mir nämlich sofort beim Stichwort Verrohung ein. Habe mich früher hin und wieder dorthin verirrt. Was man da an Lärm, Sprüchen, Schmähungen, Verhaltensweisen und Gegröhltem so mitbekommt ist für meinen Geschmack auch ein gutes Beispiel für viel zu viel Rohheit. Aber ist eben nur mein Geschmack.)

AgentProvocateur hat geschrieben:Einen Nutzen sehe ich nicht, denn ich meine nicht, dass gewisse Rachebedürfnisse (kastriert das Monster; blast ihm das Lebenslicht aus, er hat es nicht anders verdient) befriedigt werden müssen.

Was ist das denn für ein Argument? Du entscheidest also einfach mal so, dass bestimmte Bedürfnisse nicht befriedigt werden müssen. Und wenn sie dann befriedigt würden, so wäre das demnach kein Nutzen? So einfach geht das aber nicht. Natürlich ist jede Befriedigung eines Bedürfnisses für sich genommen erst einmal ein Nutzen, per Definition. Du kannst höchstens diesen Nutzen in Relation setzen zu dem Schaden. Aber den Nutzen einfach hinfort wischen aufgrund deiner persönlichen Ansichten geht nicht. So objektiv sollten wir an dieser Stelle schon sein.

AgentProvocateur hat geschrieben:Wenn man jemanden aus der Haft entlässt, dann weiß man nicht, ob er einen Mord begehen wird. Wenn es starke Indizien dafür gibt, dass er es tun wird, dann wird er normalerweise nicht freigelassen, sondern bleibt in Sicherheitsverwahrung. Dieser Einwand hat also sowieso nichts mit der Todesstrafe zu tun.

Deiner Logik kann ich hier nicht folgen. Mit fast demselben Wortlaut könnte ich ja auch schreiben:
"Wenn man jemanden zum Tode verurteilt, dann weiß man nicht, ob er vielleicht unschuldig ist. Wenn es starke Indizien dafür gibt, dass er unschuldig ist, dann wird er normalerweise nicht hingerichtet, sondern frei gelassen. Dieser Einwand mit der fehlenden Revisionsmöglichkeit hat also sowieso nichts mit der Todesstrafe zu tun." Ich verstehe mein eigenes Geschreibe nicht. :^^:

Ich versuche es nochmal ausführlich mit dem Gegenargument zur fehlenden Revisionsmöglichkeit. Das ursprüngliche Argument gegen die Todesstrafe lautet ja: "wenn sich hinterher heraus stellt, dass ein Verurteilter doch unschuldig war, dann kann man die Todesstrafe nicht mehr rückgängig machen. Durch die Todesstrafe sterben also Unschuldige."
Gegenargument:
1) Bei der Todesstrafe gibt es eine gewisse Gefahr, Unschuldige hinzurichten.
2) Bei der vorzeitigen Entlassung von lebenslang Inhaftierten gibt es eine gewisse Gefahr, neue Opfer zu bekommen.
Wenn ich die Todesstrafe einführe, dann erhöhe ich die Gefahr (1), dass Unschuldige sterben.
Wenn ich die Todesstrafe verbiete, dann erhöhe ich statistisch die Anzahl der Fälle unter (2) und erhöhe also ebenfalls die Gefahr, dass Unschuldige sterben.
Mit welcher Maßnahme man mehr Gefahr erzeugt, müsste man wohl näher untersuchen. Aber tendenziell ist die Gefahr offenbar unvermeidbar. Insofern finde ich, zieht das Argument mit der fehlenden Revisionsmöglichkeit nicht.
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Re: Todesstrafe: ist das Leben heilig?

Beitragvon JustFrank » Mi 11. Feb 2009, 20:59

ganimed hat geschrieben:1) Bei der Todesstrafe gibt es eine gewisse Gefahr, Unschuldige hinzurichten.
2) Bei der vorzeitigen Entlassung von lebenslang Inhaftierten gibt es eine gewisse Gefahr, neue Opfer zu bekommen.
Wenn ich die Todesstrafe einführe, dann erhöhe ich die Gefahr (1), dass Unschuldige sterben.
Wenn ich die Todesstrafe verbiete, dann erhöhe ich statistisch die Anzahl der Fälle unter (2) und erhöhe also ebenfalls die Gefahr, dass Unschuldige sterben.
Mit welcher Maßnahme man mehr Gefahr erzeugt, müsste man wohl näher untersuchen. Aber tendenziell ist die Gefahr offenbar unvermeidbar. Insofern finde ich, zieht das Argument mit der fehlenden Revisionsmöglichkeit nicht.


Schön gesagt, Hammurabi. Damit hätten wir dann also den Staat und den Täter moralisch auf eine Stufe gestellt.

Wenn ein, wie auch immer gearteter Einzeltäter Menschen tötet, handelt er unmoralisch, oder? Wenn ein Staat ebenfalls Menschen tötet, handelt er dann moralischer? Vor allem dann, wenn er dabei tatsächlich Unschuldige erwischt? Muss es nicht das höchste Ziel eines jeden Rechtssystems sein, die Tötung Unschuldiger zu vermeiden? Wenn das System dann aber selbst tötet, um zu verhindern, dass Einzeltäter töten, führt es dieses oberste Ziel dann nicht ad absurdum?
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Re: Todesstrafe: ist das Leben heilig?

Beitragvon AgentProvocateur » Mi 11. Feb 2009, 21:35

ganimed hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:Einen Nutzen sehe ich nicht, denn ich meine nicht, dass gewisse Rachebedürfnisse (kastriert das Monster; blast ihm das Lebenslicht aus, er hat es nicht anders verdient) befriedigt werden müssen.

Was ist das denn für ein Argument? Du entscheidest also einfach mal so, dass bestimmte Bedürfnisse nicht befriedigt werden müssen. Und wenn sie dann befriedigt würden, so wäre das demnach kein Nutzen? So einfach geht das aber nicht. Natürlich ist jede Befriedigung eines Bedürfnisses für sich genommen erst einmal ein Nutzen, per Definition. Du kannst höchstens diesen Nutzen in Relation setzen zu dem Schaden. Aber den Nutzen einfach hinfort wischen aufgrund deiner persönlichen Ansichten geht nicht. So objektiv sollten wir an dieser Stelle schon sein.

Naja, klar muss man den Nutzen in Relation zum Schaden setzen. Nur ist mir schlicht nicht verständlich, inwiefern die Befriedigung eines Rachegelüstes (Nutzen) das Töten eines Menschen (Schaden) rechtfertigen könnte.

Das Strafrecht hat mE durchaus bzw. sollte die Funktion haben, einen Interessensausgleich herzustellen und auch den Rechtsfrieden herzustellen. Jedoch ist es eben dadurch nun mal gegeben, dass Interessen des einen den Interessen des anderen entgegengesetzt werden und letztlich jeder zurückstecken muss, wenn die Interessen völlig gegensätzlich sind. Und wenn man das akzeptiert (also nicht davon ausgeht, dass jemand durch bestimmte Taten völlig rechtlos gestellt werden sollte), dann können extremen Rachegelüste, die dem Lebenswillen eines einzelnen entgegen stehen, nicht entsprochen werden (a man's life is all he has - d.h. ich bewerte dieses Interesse weiter zu leben weit höher als das Recheinteresse).

ganimed hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:Wenn man jemanden aus der Haft entlässt, dann weiß man nicht, ob er einen Mord begehen wird. Wenn es starke Indizien dafür gibt, dass er es tun wird, dann wird er normalerweise nicht freigelassen, sondern bleibt in Sicherheitsverwahrung. Dieser Einwand hat also sowieso nichts mit der Todesstrafe zu tun.

[...] Ich versuche es nochmal ausführlich mit dem Gegenargument zur fehlenden Revisionsmöglichkeit. Das ursprüngliche Argument gegen die Todesstrafe lautet ja: "wenn sich hinterher heraus stellt, dass ein Verurteilter doch unschuldig war, dann kann man die Todesstrafe nicht mehr rückgängig machen. Durch die Todesstrafe sterben also Unschuldige."
Gegenargument:
1) Bei der Todesstrafe gibt es eine gewisse Gefahr, Unschuldige hinzurichten.
2) Bei der vorzeitigen Entlassung von lebenslang Inhaftierten gibt es eine gewisse Gefahr, neue Opfer zu bekommen.
Wenn ich die Todesstrafe einführe, dann erhöhe ich die Gefahr (1), dass Unschuldige sterben.
Wenn ich die Todesstrafe verbiete, dann erhöhe ich statistisch die Anzahl der Fälle unter (2) und erhöhe also ebenfalls die Gefahr, dass Unschuldige sterben.
Mit welcher Maßnahme man mehr Gefahr erzeugt, müsste man wohl näher untersuchen. Aber tendenziell ist die Gefahr offenbar unvermeidbar. Insofern finde ich, zieht das Argument mit der fehlenden Revisionsmöglichkeit nicht.

Nö, die Gefahr ist nicht unvermeidbar, denn es ist ja nicht richtig, dass, wie Du zu behaupten scheinst, es keine Alternative zwischen Todesstrafe und (wieso eigentlich "vorzeitigen"?) Freilassen eines als sehr rückfallgefährdeten angesehenen Menschen gibt, denn die gibt es und die wird auch durchgeführt, wie oben bereits erwähnt: die Sicherheitsverwahrung. Dort ist eine weitere Gefährdung nicht gegeben, aber gleichzeitig ist eine Rehabilitierung bei neuen Erkenntnissen jederzeit möglich. Dein Argument zieht also hier ganz und gar nicht.

Ach übrigens: mir ist völlig unklar, wie Du eigentlich zu Deiner Einstellung kommst, wenn ich mal bedenke, dass Du glaubst, Menschen hätten gar keine Einflussmöglichkeiten auf ihre Handlungen, alles sei durch den Urknall vorherbestimmt. Wie kannst Du dann überhaupt Menschen ihre Handlungen vorwerfen? Das ist unlogisch. Oder willst Du das gar nicht, möchtest Du also gar nicht nach Schuld (d.h. nach dem Begehen einer Tat) urteilen, sondern nur nach (angenommener, bzw. statistischer) Gefährlichkeit, also letztlich nach statistischen Kriterien mal schnell jemanden hinrichten, weil der vielleicht mal ein Mörder werden könnte? Das wäre dann aber nicht so gut für den Rechtsfrieden, glaube ich.
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Re: Todesstrafe: ist das Leben heilig?

Beitragvon ganimed » Mi 11. Feb 2009, 21:39

JustFrank hat geschrieben:Wenn ein Staat ebenfalls Menschen tötet, handelt er dann moralischer?

Ja, das tut er. Weil die Tötung des Staates nach einem fairen Prozess mit der Autorität der Justiz erfolgt. Ziel ist hierbei die Strafe zum Erhalt und zum Schutz der Gesellschaft und ihrer Prinzipien. Der Mörder kann für seine Tat all das nicht vorbringen.

JustFrank hat geschrieben:Wenn das System dann aber selbst tötet, um zu verhindern, dass Einzeltäter töten, führt es dieses oberste Ziel dann nicht ad absurdum?

Das wäre so, stimmt. Aber natürlich tötet das System nicht aus diesem Grund. Es tötet mit dem Ziel, eine gerechte Strafe zu vollziehen. Die mögliche Folge, dass der Hingerichtete keine weiteren Opfer mehr findet, ist nur eine Folge, nicht das Ziel. Bei der Abwägung, ob die Todesstrafe gut oder schlecht ist, sollte man diese und andere Folgen aber durchaus einberechnen.
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Re: Todesstrafe: ist das Leben heilig?

Beitragvon ganimed » Mi 11. Feb 2009, 21:57

dann können extremen Rachegelüste, die dem Lebenswillen eines einzelnen entgegen stehen, nicht entsprochen werden (a man's life is all he has - d.h. ich bewerte dieses Interesse weiter zu leben weit höher als das Racheinteresse

Der Begriff "exteme Rachegelüste" scheint mir hier doch ein wenig überzogen. Darf ich dann auch "extremer Lebenschützerinstinkt" und "extreme Angst vor dem Tod" sagen? Wenn Stine, ich und viele andere Menschen in manchen Fällen eine Gewalttat als so schwer empfinden, dass uns lebenslange Haft nicht als adäquat, nicht als gerecht erscheint, dann ist das sicher kein billiger Racheinstinkt. Dann ist das ein Gerechtigkeitsempfinden. Je schwerer die Tat desto schwerer die Strafe.
Du bewertest das Leben des Delinquenten höher als dieses Gerechtigkeitsempfinden. Nichts dagegen einzuwenden. Aber es erscheint mir eben nur eine Bewertung zu sein. Ein Ausdruck der inneren Werte und ihrer Abwägung gegeneinander. Geschmacksnuance aber kein Grundsatz.

AgentProvocateur hat geschrieben:Nö, die Gefahr ist nicht unvermeidbar, denn es ist ja nicht richtig, dass, wie Du zu behaupten scheinst, es keine Alternative zwischen Todesstrafe und (wieso eigentlich "vorzeitigen"?) Freilassen eines als sehr rückfallgefährdeten angesehenen Menschen gibt

Was ist mit dem Freilassen von nicht rückfallgefährdet angesehenen Menschen, die dann aber doch rückfällig werden? Willst du wirklich behaupten, dass das Rechtssystem ohne die Todesstrafe sicher ist? Dass also keine unschuldig Verurteilten leiden und dass es keine entlassenen Exhäftlinge gibt, die wieder neue Gewalttaten begehen? Ich glaube nicht. Wenn also im jetzigen System ebenfalls Unschuldige leiden und sterben, wieso sprechen die gleichen Übel dann plötzlich gegen die Todesstrafe? Mir scheint vielmehr, die genannten Nachteile sind eine inhäränte Eigenschaft jeglicher menschlicher, fehlerbehafteter Justiz.
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Re: Todesstrafe: ist das Leben heilig?

Beitragvon Elis » Mi 11. Feb 2009, 22:27

Darf der Staat zum Vollzug einer vermeintlich gerechten Strafe töten? Wie die vorangegangenen Diskussion zeigt, ist diese Frage nicht lösbar.
Was ist "der Staat"? Eine abstrakte Instanz, MUSS abstrakt und rational sein. Stafe bei Diebstahl, Gewaltverbrechen etc. kann m. E. nach nur dazu dienen, um eine Art Läuterungsprozess in Gang zu setzen. Gefängnis + evt. Sicherheitsverwahrung bei aussichtslosen Fällen ist zum Schutz der Bevölkerung erforderlich. Im Idealfall müsste man einen Mörder dazu bringe, die Schwere seiner Tat einzusehen und auch so zu empfinden. Quasi, damit es ihm gewissenstechnisch richtig dreckig geht. Sowie ihn soweit zu bringen, dass er keine Gefahr mehr für die Bevölkerung darstellt. Im Idealfall, wohlgemerkt. Zu beidem ist der Staat nicht fähig und die Bevölkerung vermutlich auch nicht, ohne entweder eine weitere Straftat zu begehen, oder zumindest gegen Artikel 1 GG zu verstossen. Soweit ist unsere Gesellschaft offenbar noch nicht, dass sie einen angemessenen Umgang findet, der den Täter bei sehr schweren Straftaten bestraft und das Rachempfinden der Opfer angemessen befriedigt.
Wenn einer hergeht und Menschen aus dem Hiterhalt so zum Spass abknallt, oder Opfer entführt, foltert, vergewaltigt etc., dann fehlt uns, oder den meisten (gottseidank?) der Mechanismus, diese zu verstehen. Somit bleibt die Tat ausserhalb unseres persönlichen und emotionalen Erfahrungs- und Erlebnishorizonts, ist etwas Andersartiges, löst Entsetzen, Ekel, Wut etc. aus und kann vom Empfinden her nur mit der vermeintlich höchsten Strafe, der Auslöschung der Existenz, geahndet werden.
Wenn ich von schlimmen Dingen lese oder im TV sehe, dann ruft auch in mir gelegentlich etwas "Kopf ab".
Die Totesstrafe ist für mich also emotional nachvollziehbar. Rational stellt sie sich mir jedoch als eine Ohnmachtsbekundung gegenüber unfasslicher Verbrechen dar.

Letztendlich stellt sich für mich auch die Frage, wie wie unseren Staat eigentlich definiert haben wollen.
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