Kritik der Beeinflussung durch unsere Medien

Re: Kritik der Beeinflussung durch unsere Medien

Beitragvon Nanna » Fr 14. Jan 2011, 23:09

ganimed hat geschrieben:Ich vertrete nämlich die übliche These, dass die angeblich christlichen Werte gar keine christlichen Werte sondern humanistische Werte sind, die historisch gegen die Kirchen erkämpft werden mussten.

Hm, ja und nein. Das zugrundeliegende ethische Empfinden ist historisch wahrscheinlich deutlich älter als alle Religionen der Welt. Das erinnert mich ein bisschen an das Patentieren von Lebenwesen: Man versucht ein Label auf etwas draufzumachen, was einem nicht wirklich gehört, was man aber alleinig kontrollieren möchte. Meiner Meinung nach haben auf ethische Normen (sog. "Werte"), insbesondere solche, die, wie die Menschenrechte als "universell" betitelt werden, keinerlei Weltanschauungssysteme und ihre Propagandisten ein Eigentumsrecht. Es gibt insofern meiner Meinung nach weder christliche noch humanistische Werte, es gibt nur ethische Normen, die entweder Bestandteil der christlichen oder humanistischen Lehre sind oder von beiden beansprucht werden. Wenn jemand die Menschenrechte in ehrlicher Absicht befürwortet, dann ist es mir persönlich herzlich wurscht, wenn seine ideologischen Vorfahren das anders gesehen haben. Distanzierung von deren Positionen würde ich mir allerdings erwarten, einem "Umkehrer" (welche religiöser Begriff) jedoch nicht das Recht absprechen, unterstützenswerte Positionen in seine persönliche Agenda aufzunehmen - ganz im Gegenteil!

ganimed hat geschrieben:Und die heutigen Christen besitzen die Frechheit, ein falsches Etikett an diese humanistischen Werte zu kleben, sie keck als eine Errungenschaft der Christen auszugeben. Und damit alles halbwegs passt, suchen sie sich aus der Kunterbuntbibel auch nur die Stellen heraus, die zu diesen modernen, humanistischen Werten passen (mehr neues Testament als altes, mehr Bergpredigt als Tempelverfluchung). Für mich ein glatter Fall von unverfrorener Geschichtsfälschung und Selbsttäuschung.

Damit unterstellst du den Protagonisten dieser Entwicklung natürlich deinerseits etwas keck, dass sie um diesen Zusammenhang wissen, ihn auch anerkennen und trotzdem böswillig Geschichtsklitterung betreiben. Wie es leider auch hier im Forum in schöner Regelmäßigkeit geschieht, ignorierst du die hohe Eigendynamik weltanschaulicher Systeme. Umfassende und weit verbreitete Ideologien, wie gerade die großen Weltreligionen, haben immer und überall herrschende Vorstellungen inkorporiert, Traditionen aufgegeben und ausgetauscht, ihren eigenen Markenkern bis zur Unkenntlichkeit verändert und so das Label und bestimmte Rahmenvorstellungen über die Zeiten gerettet. Nicht nur die Religion prägt die Menschen, auch die Menschen prägen die Religion. Ein dialektisches System eben.
Wenn du es den jeweiligen Religiösen nun zum Vorwurf machst, dass sie das vorhandene Konglomerat unzähliger gesammelter und fusionierter Kultureinflüsse im Kontext ihrer Lebensrealität interpretiert und angepasst haben wie hunderte Generationen vor ihnen auch schon, dann negierst du nicht nur einen zentralen Vorgang ideologischer Evolution - und damit einen höchst natürlichen Prozess -, sondern machst dir ein großes Stück weit auch die Argumentationsweise von Fundamentalisten zueigen, die nur mit der Vorstellung leben können, dass es eine reine Urform einer Religion geben kann, nur dass sie diese verklären und du sie verteufelst, was aber im Grundes dasselbe Prinzip unter vertauschten Vorzeichen ist.

Ich stelle dazu folgende Gegenthese auf: Die Anpassung des eigenen Weltbildes an veränderte Rahmenbedingungen ist ein natürlicher Prozess. Er tendiert zu einem Gleichgewicht, wo dem Individuum die Abweichung von seinen ererbten Glaubenssätzen einerseits und die Angst vor dem Verlust des Anschlusses an das allgemeingesellschaftliche Gedankengut möglichst wenig unangenehme Gefühle bereitet. Der christlich erzogene, aber in einer teilweise durch humanistische Werte geprägten Gesellschaft aufgewachsene Mensch legt also beispielsweise die größten Unsäglichkeiten (rigorose Sexualmoral, Geschlechtertrennung, Dämonenglaube) seines christlichen Erbes ab, weil der soziale Preis zu hoch geworden ist, den derjenige zahlen muss, der an diesen festhält. Gleichzeitig besteht der Wunsch, Verbindung zu seinen traditionellen Wurzeln zu halten und die emotionale Sicherheit des Glaubens zu behalten. Die Folge ist, dass, kognitive Dissonanz lässt grüßen, das als am besten empfundene aus beiden Welten zu einer neuen Version der bisherigen Weltsicht fusioniert wird. Dabei kommt beispielsweise ein humanistisch geprägtes Christentum heraus. Für den Liebhaber klarer Fronten ist das vielleicht nicht das Richtige, aber ich finde, dass es weitaus schlimmeres gibt.
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Re: Kritik der Beeinflussung durch unsere Medien

Beitragvon ganimed » Sa 15. Jan 2011, 00:14

Nanna hat geschrieben:Das zugrundeliegende ethische Empfinden ist historisch wahrscheinlich deutlich älter als alle Religionen der Welt.

Ich behaupte ja nicht, dass Humanisten dieses ethische Empfinden erfunden haben. Natürlich liegen die Grundlagen biologisch irgendwo rum, sozusagen in unseren Sozial-Genen. Ich beziehe mich eher auf den historischen Prozess der kulturellen Etablierung (gesellschaftsfähig machen), der Formalisierung (Rechtsprechung ändern) und der theoretischen Erschließung (philosophische Abhandlungen schreiben). An dieser mühsamen Kleinarbeit, so unterstelle ich mal mit meinem zugegebenermaßen erschreckend dünnen Wissen um die Historie, haben sich in den letzten Jahrhunderten eher Humanisten als Kirchenangehörige beteiligt. Insofern gebührt dem Humanismus, und damit auch seinen atheistischen Teilbereichen, ein wenig mehr Anerkennung, als sie nach meinem Gefühl von Christen gewährt wird. Und insbesondere gebührt ihnen die Freisprechung von diesem lächerlichen Verdacht, dass gottlose Humanisten keine Moral, falsche Wertevorstellungen oder einen Mangel an ethischem Empfinden hätten.

Dein Einwand, dass der gewöhnliche Christ eine solche Geschichtsverdrehung natürlich nicht wissentlich und böswillig begeht, ist völlig berechtigt. Meine Formulierung war falsch und vermutlich einem emotionalen Moment der Entrüstung geschuldet. Ich wundere mich aber dann doch, mit welcher Hartnäckigkeit sich diese christliche Unwissenheit hält.
Stine als Beispiel schrieb ja "Ich fragte ebenso schon mehrmals nach den Alternativen, wenn christliche Wertevorstellung außer Kraft gesetzt wird." Ich fragte sie daraufhin nach einem Beispiel für einen christlichen Wert. Sicher kommt da noch eine erhellende Auskunft, ihre erste Antwort schien mir aber eher ausweichend. Meine etwas ketzerische Unterstellung ist momentan daher, dass sich Stine diese Vorstellung von den "christlichen Werten" erhalten konnte, obwohl sie hier im ständigen Dunstkreis der Brights und massiver Religionskritik mit den einschlägigen Gegenargumenten vertraut sein dürfte. Wenn ich darf, würde ich daher wenigstens Stine einstweilen als keck bezeichnen wollen.

Sorry, Stine, dass ich etwas über dich "herziehe" noch ehe du dich in dieser Sache genauer geäußert hast. Und das soll natürlich auch kein Tribunal werden. Ich suche im Grunde nur nach Bestätigungen für diese These, dass das Gerede über christliche Werte eigentlich keine Grundlage hat.
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Re: Kritik der Beeinflussung durch unsere Medien

Beitragvon Lumen » Sa 15. Jan 2011, 09:07

Das Thema erscheint anscheinend in verschiedenen Topics immer mal wieder. Ich stimme natürlich ganimed zu. Wo wir uns, denke ich, einige sind — das es eine Eigendynamik gegeben hat und die Christen nicht in böswilliger Absicht das Etikett geklaut haben. Aber auch dieser Vorgang hat nicht so schöne Implikationen. Vor diesem Hintergrund und bei allem Verständnis dafür, diese Sache nicht zu vereinfachen, wirken viele Argumentation die ich bisher gehört habe, dann aber doch eher wie eine Ehrenrettung des Christentums.

Religionen sind vor allem Traditionen, die sich auch durch den „gelebten Glauben“ immer wieder der gängigen Situation stellen und austauschen müssen und sich somit über die Zeiten hinweg ändern. Allerdings sind es keine harmlosen Traditionen, da sie von Wesen her auf eine eigentlich seltsame Sonderform des Wissens aufbauen (nämlich religiöser Glaube). Das Quellenmaterial hat genügend Stoff um praktisch in jede erdenkliche Richtung interpretiert zu werden und dieses „seltsame Wissen“ ist keiner rigorosen Systematik oder Kontrolle unterworfen. Es ist fast so, als würden Tarotkarten-Leger anhand der symbolischen Bedeutung eine Geschichte erfinden, die dann von einer Gemeinde in verschiedenen Abstufungen übernommen und „gewusst“ wird. Die Legitimation ergibt sich aus der Autorität und Tradition. Wenn der jeweilige Prediger selbst die Autorität vermissen lässt, hat er gleichsam die Tradition als Verstärker im Rücken. Mit weniger Tradition braucht man entsprechend stärkere Autoritäten, wie sie in der Geschichte ja namentlich bekannt sind. Ob Jesus eine solche (historische) Autorität war, ist meines Wissens noch umstritten, aber selbst ein Verweis auf eine erfundene Autorität die allerhand Zauberkräfte besaß scheint mir als Erklärung ausreichend zu sein. Mir scheint es so, als gäbe es zwischen Autorität und Tradition noch weitere Verbindungen. Jedenfalls, ab einer bestimmten Stelle zeigen sich selbst-verstärkende und stabilisierende Effekte, wie sie auch bei der Schuh-Mode auf dem Schulhof zu beobachten sind — verkehrtes Symbol auf dem Turnschuh und es kann Auswirkungen haben.

Die Monotheismen haben sich in diese Richtung entwickelt indem sie früh die Nähe zu Herrschern gefunden haben, die dann sofort in dem Glauben angelegte intolerante Tendenzen in praktische Politik umgesetzt haben. Das hat aber nur unter bestimmten Voraussetzungen funktioniert. Das römische Reich hat mutmaßlich die Politik der religiöse Toleranz von Kurasch (Kyros II) übernommen, der das persische Imperium begründete. Er hatte womöglich erkannt, dass es damit weniger Aufstände gibt, auch weil die damaligen Verhältnisse sehr viel regionaler geprägt waren. So konnten sich Obergottheiten auch der selben Religion von Stadt zu Stadt unterscheiden.

Meines Wissens nach waren die frühen Christen im Prinzip Extremisten, in deren Glauben das Anbeten fremder Götter ein schlimmes Vergehen darstellte. Zum einen weigerten sie sich, der römischen Staatsreligion eine minimal-Verehrung zuteil werden zu lassen, zum anderen waren es praktisch Ruhestörer und Aufwiegler, die ständig im Clinch mit anderen Religionsgemeinschaften lagen. Daraufhin wurde der christliche Glaube ausgesondert und verfolgt. Kaiser Konstantin, war den Christen wohlgesonnen und konvertierte auch selbst (halb) zum Christentum und beendete die Verfolgung. Seine Söhne kehrten den Spieß dann sukzessive um und schränkten die Religionsfreiheit ein: entweder Christ oder gar nichts.

Später war dann auch noch die Richtige Sorte Christ von Bedeutung, wie ein gewisser Priscillian festellen musste — der erste verurteilte Ketzer. Die Idee des römischen Kaiser hat sich dann gleichsam gespalten, wovon der Papst eine Hälfte geworden ist. Somit konnte die christliche Religionen ungeachtet der gängigen Herrschaftsformen erhalten und jeweils den Bedingungen anpassen. Dazu wurde die Religion aggressiv verbreitet. Karl „der Große“ hat dafür auch den Völkermord an den Sachsen in Kauf genommen, er selbst —obwohl später selbst erster „neuer“ Kaiser— war der Religion gegenüber hörig.

Mit der Einschreiben in den Tagesablauf und somit fortwährende Beschäftigung mit der „Marke” Christentum, und dem wöchentlicher Abgleich (Kirchensonntag); zudem gegenseitige Kontrolle und gesellschaftlicher Druck war dann das Fortbestehen garantiert. Aber damit wurde dann auch die Grundlage geschaffen, dass sich der Glaube selbst durch Vorformen der „Graswurzel“ Bewegungen verändern musste, allen voran natürlich weil Menschen aufgegangen ist, dass wirkliches Wissen überzeugender ist als jenes „seltsame Wissen“ genannt Glauben.
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Re: Kritik der Beeinflussung durch unsere Medien

Beitragvon stine » Sa 15. Jan 2011, 10:52

ganimed hat geschrieben:
stine hat geschrieben:Ich will es gar nicht bei Sexualmoral belassen....
ganimed: Ich war das nicht!
Bitte ordentlich zitieren!!

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Re: Kritik der Beeinflussung durch unsere Medien

Beitragvon ganimed » Sa 15. Jan 2011, 12:53

Donnerwetter, da habe ich mich ja tatsächlich total vertan. Entschuldigung!

Was für eine Arbeit, da muss ich jetzt ja ganze Verurteilungssysteme neu ordnen. Also, Stine ist unschuldig und xander1 ist tatverdächtig. Das hätte ich mir ja aber auch denken können :)
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Re: Kritik der Beeinflussung durch unsere Medien

Beitragvon 1von6,5Milliarden » Sa 15. Jan 2011, 14:21

Ich habe es mal repariert.
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Re: Kritik der Beeinflussung durch unsere Medien

Beitragvon stine » Sa 15. Jan 2011, 17:33

xander1 hat geschrieben:Darf man kein Atheist mehr sein, wenn einem die allgemeine Dismoral (Wortneuschöpfung) zwischen unterschiedlichen Geschlechtern der Medien zum Himmel stinkt? Muss man Christ werden, wenn man manche Moralvorstellungen im Christentum besser findet, als das was die Medien verbreiten?

Interessant ist doch in diesem Zusammenhang, dass Xander, und wahrscheinlich nicht nur er, wahrnimmt, dass sich ganz allgemein unschöne oder überzogene Gepflogenheiten breitmachen, die er offensichtlich unter religiös geprägten Gruppierungen nicht findet oder sie ihnen so nicht zuordnet.

Wie entstehen denn nun kulturelle Gepflogenheiten?
Kultur ist im weitesten Sinne alles, was Menschen in ihrem Umfeld schaffen und an Werten vermitteln. Ist das an irgendeine Religion gebunden, die überliefertes Wissen in alten Büchern verbreitet, dann gibt es über die Werte und Ethik keinerlei Diskussion und alle Menschen und ihre Kinder und Enkel haben damit feste Rahmenbedingungen. Gibt es diesen kulturellen Rahmen aber nicht und wir sind einfach nur losgelassen, dann bleiben uns zwar die staatlichen Gesetze die aber nicht unser ethisches Handeln an sich prägen, sondern nur in erlaubt oder nicht erlaubt einteilen. Das alleine macht aber noch keinen ethisch handelnden Menschen.
Humanismus wäre eventuell eine kulturelle Alternative, aber er bildet insgesamt keine Interessensgruppe, wie Religionen das tun. Humanismus ist nur eine philosophische Weltanschauung zeitgenössischer Dichter und Denker, aber damit keine Leitkultur und schon gar nicht ein Bildungsprogramm an den Schulen.
Dementsprechend haben aber etablierte Religionen schon früh das Anliegen des Humanismus aufgenommen und in ihre Glaubenssätze integriert oder gar eigene Impulse zur Entwicklung einer humanistischen Leitkultur gegeben. Man kann die Vergangenheit des Christentums immer wieder anprangern, aber dem heutigen Christentum kann man sicher nicht mehr vorwerfen, dass es unmenschlich wäre.
Um nochmal auf das Eingangspost zu kommen: Moral entwickelt sich nicht von selbst. Moral und Gewissen ist eine Sache der Erziehung und der frühkindlichen Prägung und dazu braucht es eine (Leit)Kultur. Und diese ist in der Regel in den überlieferten Religionen und aber auch in neuen Religionen anscheinend am besten vermittelbar.

Ich gebe Xander recht darin, dass Religiöse ihr Leben, dank eines vorgegebenen Rahmens, besser im Griff zu haben scheinen.

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Re: Kritik der Beeinflussung durch unsere Medien

Beitragvon 1von6,5Milliarden » Sa 15. Jan 2011, 17:59

stine hat geschrieben:
xander1 hat geschrieben:Darf man kein Atheist mehr sein, wenn einem die allgemeine Dismoral (Wortneuschöpfung) zwischen unterschiedlichen Geschlechtern der Medien zum Himmel stinkt? Muss man Christ werden, wenn man manche Moralvorstellungen im Christentum besser findet, als das was die Medien verbreiten?

Interessant ist doch in diesem Zusammenhang, dass Xander, und wahrscheinlich nicht nur er, wahrnimmt, dass sich ganz allgemein unschöne oder überzogene Gepflogenheiten breitmachen, die er offensichtlich unter religiös geprägten Gruppierungen nicht findet oder sie ihnen so nicht zuordnet.
Ist nicht interessant, zeigt nur das sehr verschrobene Weltbild mancher Personen. So etwas mag aber auch für manche Leute interessant sein - im Sinne von lukrativ.
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Re: Kritik der Beeinflussung durch unsere Medien

Beitragvon Nanna » Sa 15. Jan 2011, 18:26

stine hat geschrieben:Interessant ist doch in diesem Zusammenhang, dass Xander, und wahrscheinlich nicht nur er, wahrnimmt, dass sich ganz allgemein unschöne oder überzogene Gepflogenheiten breitmachen, die er offensichtlich unter religiös geprägten Gruppierungen nicht findet oder sie ihnen so nicht zuordnet.


Widerspruch zur These, dass diese Gepflogenheiten sich "breitmachen". Den Widerspruch lasse ich Sarah Churchwell führen, die am Beispiel des sich angeblich in jüngerer Zeit inflationär verstärkten Klatsches und der damit angeblich einhergehenden Volksverdummung demonstriert hat, dass es sich dabei um einen Mythos handelt, der ähnlich alt wie die Klage der Alten über die Jugend ist, die es auch schon seit Jahrtausenden gibt.

http://www.sueddeutsche.de/kultur/ueber ... -1.1045285
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Re: Kritik der Beeinflussung durch unsere Medien

Beitragvon stine » Sa 15. Jan 2011, 20:09

"Ich habe überhaupt keine Hoffnung mehr in die Zukunft unseres Landes, wenn einmal unsere Jugend die Männer von morgen stellt. Unsere Jugend ist unerträglich, unverantwortlich und entsetzlich anzusehen."
(Aristoteles, gr. Philosoph, 384-322 v. Chr.)

Auch dieser Spruch, den man Aristoteles in die Schuhe schiebt hat in jeder Generation seine Berechtigung. Man nennt das Evolution oder das Vorwärtskommen der Menschheit. Wenn das aber jeder Generationswechsel seit 400 v Chr. mit sich bringt, darf man ruhig annehmen, dass da was Wahres dran ist.

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Re: Kritik der Beeinflussung durch unsere Medien

Beitragvon ganimed » Sa 15. Jan 2011, 21:03

So jetzt mal ganz vorsichtig: Stine, richtig?
stine hat geschrieben:Gibt es diesen kulturellen Rahmen aber nicht und wir sind einfach nur losgelassen, dann bleiben uns zwar die staatlichen Gesetze die aber nicht unser ethisches Handeln an sich prägen, sondern nur in erlaubt oder nicht erlaubt einteilen.

Die christlichen Werte sind deiner Meinung also ein kultureller Rahmen? Und Humanisten oder Atheisten haben selber keinen kulturellen Rahmen?
Nenn doch mal, wenn du schon keinen christlichen Wert beim Namen nennen willst, ein ethisches Handeln der Christen, das durch deren kulturellen Rahmen geprägt wurde.

Man kann es kulturellen Rahmen oder Werte nennen, ich will nach wie vor darauf hinaus, dass die christlichen Werte (oder deren kultureller Rahmen) eigentlich humanistische Werte (oder deren kultureller Rahmen) heißen müsste, unter anderem weil Humanisten diese Werte (diesen kulturellen Rahmen) eben doch haben.
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Re: Kritik der Beeinflussung durch unsere Medien

Beitragvon stine » Sa 15. Jan 2011, 21:28

ganimed hat geschrieben:Man kann es kulturellen Rahmen oder Werte nennen, ich will nach wie vor darauf hinaus, dass die christlichen Werte (oder deren kultureller Rahmen) eigentlich humanistische Werte (oder deren kultureller Rahmen) heißen müsste, unter anderem weil Humanisten diese Werte (diesen kulturellen Rahmen) eben doch haben.

Aber Religionsunterricht gibt es an den Schulen; zudem ist er im gymnasialen Zweig fast ausschließlich humanistisch geprägt.
Da ich den Inhalt des Ethikunterrichtes nicht kenne, weiß ich nicht, in welchem Bildungsraster die Werte einer Gesellschaft sonst noch so intensiv vermittelt werden würden. Alles andere ist doch pure Wissens- aber keine Wesensvermittlung.
Ohne Religion gibt es keinen Religionsunterricht und dann wahrscheinlich auch nicht mehr die ethische Alternative für Ungetaufte.

ganimed hat geschrieben: Und Humanisten oder Atheisten haben selber keinen kulturellen Rahmen?
Sie haben immer noch den Rahmen einer christlichen Umgebung und sind sogar meist selbst aus dieser Wurzel entsprungen.
Sie können nicht beweisen, dass sie die selben Werte hätten, wenn es die christliche Kultur nicht gäbe. Es ist mE nur eine Behauptung.


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Re: Kritik der Beeinflussung durch unsere Medien

Beitragvon musicman » So 16. Jan 2011, 07:16

ganimed hat geschrieben:Sorry, Stine, dass ich etwas über dich "herziehe" noch ehe du dich in dieser Sache genauer geäußert hast. Und das soll natürlich auch kein Tribunal werden. Ich suche im Grunde nur nach Bestätigungen für diese These, dass das Gerede über christliche Werte eigentlich keine Grundlage hat.


Als Bestätigung könnte gelten, dass wenn wir uns die 10 Gebote näher anschauen und sie mit Regeln vergleichen, die sich bei anderen Kulturen entwickelt haben, wir feststellen werden, dass sie sich sehr ähnlich sind, lassen wir diejenigen einmal weg, die sich direkt auf den christlichen Gott beziehen. Wenn man so will, hat sich der Verhaltenskodex auf Gebieten die historisch christlich geprägt sind, trotz und nicht wegen des Christentums so entwickelt wie er ist.

Ich bin kein Ethnologe und kann keine wissenschaftliche These anbieten, aber meine persönliche Erfahrungen bestätigen dies.

Die Familie meiner Frau sind Samburu, ein Stamm in Ostafrika/Kenya. Der Tripe ihrer Familie stammt aus einem abgelegenen Gebiet, das für die Kolonisatoren in Kenya, zuerst Muslims dann Christen ökonomisch nicht interessant war, es fand dort keine Missionierung statt. Noch meine Schwiegereltern hatten, wie sie mir berichteten, bis zum jungen Erwachsenenalter keine konkrete Vorstellung von christlichen oder muslimischen Religionsinhalten, natürlich hatten sie davon gehört, aber es hatte für sie eine Bedeutung, wie wenn uns jemand sagt, irgendein Stamm am Amazonas glaubt an Emil.
Für ein Jahr führte ich das Leben eines Samburu auf traditionelle Weise (musste ich, sonst hätte mir mein Schwiegervater meine Frau nicht verkauft) und bekam so einen kleinen Einblick in die Gedankenwelt dieses Volkes.

Lange Rede kurzer Sinn, die wesentlichen Regeln des Zusammenlebens weisen keinen marginalen Unterschied auf, zu einer angeblich aus den christlichen Geboten entstandenen Moral. Hier wie da gilt das Tötungsverbot außer bei Notwehr oder im Krieg, die Alten sollen geehrt werden und last but not least, du klaust meine Kamele nicht und ich laß die Finger von deinen Frauen.

Den Label der Moral haben sich die Christen - zu sagen unter den Nagel gerissen wäre jetzt etwas zu drastisch, aber angeeignet haben sie ihn sich schon ohne zu fragen.

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PS Bevor sich jemand entrüstet, ich habe sie vorher gefragt, aber Tradition ist Tradition
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Re: Kritik der Beeinflussung durch unsere Medien

Beitragvon Lumen » So 16. Jan 2011, 11:32

Interessante Story, musicman :)

Ich würde es so fassen: alle Menschen teilen bestimmtes soziales Verhalten, dass sich zum Teil sogar in unseren Artverwandten wiederfindet, also wahrscheinlich schon in unseren gemeinsamen Vorfahren vorhanden war (hier ein kurzes Video dazu). Das Christentum kann diese Werte höchstens noch verfeinert haben. Da verweise ich dann auf die Jahrhunderte, in denen Christen an allen erdenklichen Schalthebeln saßen und hätten demonstrieren können, was es mit ihren christlichen Werten auf sich hat.

Das wurde gelinde gesagt verpatzt. Womöglich durch die Erfindung des Buchdrucks wurde die Situation dann allmählich pluralistisch und es gab dann erst einmal Religionskriege. Danach setzte das Zeitalter der Aufklärung an. Die christliche Tradition wurde ja gerade eben dadurch gebrochen, dass nicht mehr göttlich legitimierte Autoritäten (oder Schriften) den Ton angeben sollen, sondern die „Vernunft“ (im damaligen Gebrauch) herangezogen werden sollte. Da sich Menschen von Natur aus nicht gerne umbringen und dank Empathie, vielleicht Spiegelneuronen auch so was die „Goldene Regel“ verstehen, wie oben beschrieben, ergab damit etwas neues, was auf keinen Fall mehr „christlich“ zu nennen ist.

Wobei „die Aufklärung“ nicht mit einer Stimme sprach, sondern es durchaus viele Widersprüche und Uneinigkeit zwischen den einzelne Protagonisten gab. Nur gelang im Zuge dieses Zeitalters vergangene Traditionen oder auch angeborene Neigungen in den Menschenrechten zu formulieren, die seitdem gültig sind und nicht(!) die zehn Gebote.

Wenn die gleiche Strenge herrschen würde, wie die im Umgang mit dem Nationalsozialismus, gäbe es für den Christenquatsch eine ordentliche Schelte. Dieser Blödsinn wurde vor nicht ganz dreihundert Jahren in den Mülleimer der Geschichte geworfen. Es haben sich Staaten auf sekulären Regeln gegründet die seither gelten. Das ist nicht alles perfekt, aber das Christentum ist nicht mehr oder weniger relevant als die Ideen der Antike (auf die z.B. der Humanismus zurückgreift). Das Christentum hat nur deshalb noch immer diese Bedeutung, weil da ordentlich Geld und Macht drin steckt und noch immer die Werbetrommel gewirbelt wird — den Griechen mangelt es ja an Geld um ihre Antiken Ideale zu bewerben :D
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Re: Kritik der Beeinflussung durch unsere Medien

Beitragvon Zappa » So 16. Jan 2011, 11:56

musicman hat geschrieben:PS Bevor sich jemand entrüstet, ich habe sie vorher gefragt, aber Tradition ist Tradition


Was hatt se denn gekostet :erschreckt:
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Re: Kritik der Beeinflussung durch unsere Medien

Beitragvon stine » So 16. Jan 2011, 12:41

musicman hat geschrieben:Lange Rede kurzer Sinn, die wesentlichen Regeln des Zusammenlebens weisen keinen marginalen Unterschied auf, zu einer angeblich aus den christlichen Geboten entstandenen Moral. Hier wie da gilt das Tötungsverbot außer bei Notwehr oder im Krieg, die Alten sollen geehrt werden und last but not least, du klaust meine Kamele nicht und ich laß die Finger von deinen Frauen.
Ändert aber nichts an der Tatsache, dass die Regeln kulturell weitergegeben werden müssen.
Welche Einrichtung dafür siehst du da bei uns?

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Re: Kritik der Beeinflussung durch unsere Medien

Beitragvon musicman » Mo 17. Jan 2011, 07:07

Bei uns besteht diesbezüglich ein Vakuum, die Religion/Kirche ist einerseits nicht mehr die von der Mehrheit anerkannte Instanz die Werte vermittelt, andererseits besteht keine gesellschaftliche Institution, die diese Funktion im selben Maße übernommen hätte.
Erzwingen kann man es aber auch nicht, das wäre als würde man sagen, kommt lasst uns wieder an Wotan glauben, damals war die Welt noch in Ordnung - das geht nicht. Rein säkulare Institutionen scheinen diese Funktion aber nicht vollständig ausüben zu können, jedenfalls sieht es momentan nicht danach aus, es besteht kein gesellschaftsübergreifender Konsens, welche Werte elementar wichtig sind, ausser bei Aldi ein Schnäppchen zu machen - um es mal überspitzt zu formulieren. Vielleicht ist der Preis der Freiheit der Verlust der Orientierung und es wird noch eine gewisse Zeit dauern, bis sich wieder etwas Neues entwickelt, vielleicht übernimmt aber auch über kurz oder lang der Islam vermehrt die bisherige Funktion der RKK, in punkto Dynamik ist er ihr jedenfalls weit überlegen und viele Leute sehnen sich nach Orientierung. Ich rede jetzt nicht von den nächsten 10 Jahren aber, in einem Zeitraum von 2-3 Generationen wäre das im Bereich des Möglichen, ich nehme an, es wird sich daran entscheiden ob die Wirtschaft hält, solange die Leute satt sind, neigen sie weniger zu Extremen.

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Re: Kritik der Beeinflussung durch unsere Medien

Beitragvon stine » Mo 17. Jan 2011, 07:24

Ich würde sagen, du hast mein Problem, welches ich gebetsmühlenartig hier wiederhole, erkannt, musicman!
Und nun?

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Re: Kritik der Beeinflussung durch unsere Medien

Beitragvon musicman » Mo 17. Jan 2011, 09:06

Vielleicht ist es gar kein Problem - und wenn dann fur für uns - sondern ein Prozeß der stattfindet, Kulturen kommen und gehen, das ist an sich normal, wir würden es aus unserer Sicht, ja auch nicht als Problem bezeichen, daß die Kultur der Wikinger in Grönland unterging, weil sie nicht in der Lage waren sich den Bedinungen anzupassen ( siehe J. Diamond, Kollaps), sondern als eine Entwicklung, die aus bestimmten Gründen stattfand.
Wir müssen zeitlich aber gar nicht so weit zurück, nehmen wir einfach mal mein Anfangs erwähntes Beispiel, die Samburus. Diese Kultur ist unumkehrbar dem Untergang gewidmet, wie auch die der Massais, ganz einach weil heute der Platz fehlt für eine nomadische Lebensweise. Um das mal zu veranschaulichen, vor 50 Jahren lebten in Kenya ca 7 Mio. jetzt geht es auf die 40 Mio zu. Es kommt zwangsweise zur Kollision mit Kikuus und anderen Ethnien, die sesshaft Landwirtschaft betreiben und sich dadurch der Moderne wesentlich besser anpassen können.
Da können die machen was sie wollen, der Platz reicht nicht mehr für die traditionelle Lebensweise und wird in wenigen Jahren nur noch Folklore sein und wer weiß, vielleicht finden in 50 Jahren bei uns in den Kirchen Gottesdienste statt wie heute Trachtenabende in der Gemeindehalle und die Touristen nehmen es amüsiert zur Kenntnis.
Alles möglich und um auf Deine Frage zurück zu kommen, eine Antwort weiß ich nicht, aber ich nehme an der Wandel hat begonnen und spätestens wenn die Stones nicht mehr auf Tour gehen ist unsere Ära vorbei. :wink:

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Re: Kritik der Beeinflussung durch unsere Medien

Beitragvon stine » Mo 17. Jan 2011, 10:49

musicman hat geschrieben:... vielleicht finden in 50 Jahren bei uns in den Kirchen Gottesdienste statt wie heute Trachtenabende in der Gemeindehalle und die Touristen nehmen es amüsiert zur Kenntnis.
Ist doch eh schon so.
Schau dir mal den Kirchentourismus an! Das Innenleben der Sultan-Hassan-Moschee wird noch lange nicht so viel abgelichtet werden und von Ungläubigen begangen, wie der Petersdom in Rom, aber das ist auch nur eine Frage der Zeit.
Kirchen sind längst reines Kunsterbe geworden.
Aber darum geht es eigentlich auch gar nicht.
Es geht um den philosophischen Werteunterricht an den Schulen. Er würde auch weiterhin gebraucht werden, da viele Eltern sich gar nicht mehr die Mühe machen, den Kindern beizubringen, was Ehrlichkeit und Rücksichtnahme für eine Kultur bedeuten. Schön zu sehen in der Realwelt, wie humanistische Schulen ihre Kinder in die Pause entlassen im Gegensatz zu den noch existierenden Privatschulen der Kirchen. Vielleicht hast du aber Recht: Und eine Kultur, die sich auf Rücksichtnahme spezialisiert hat muss zwangsläufig untergehen. Ich schrieb ja schon mal: Gut erzogen heißt nicht unbedingt lebenstüchtig und durchsetzungsfähig zu sein.

Um auf das Thema zurückzukommen: Die Einflussnahme durch die Medien zeigt mit Sicherheit andere Wichtigkeiten auf, als es ein philosophischer Religionsunterricht heute tut.

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