Ein vereintes Europa

Re: Ein vereintes Europa

Beitragvon Teh Asphyx » So 29. Jan 2012, 13:43

Darth Nefarius hat geschrieben:Die Tendenzen, die von der Regierung Ungarns begrüßt werden, haben Menschen in ihrer Reihe, die öffentlich den Hitler-Schnauzer tragen, bestimmte Flaggen zeigen, den Antisemitismus ausleben. Die EU ist das wesentlich kleinere Übel im Vergleich zu Orban.
Deswegen schrieb ich auch „von dem sie meinen, sie sei die bessere“. Ein Mensch kann ja gar nicht anders als sich den Umständen entsprechend für das zu entscheiden, was vermeintlich eher seinem Interesse dient. Ist dann die Frage, wie es um die korrekte Analyse der Umstände steht und da schenken sich Faschisten und demokratische EU-Politiker meistens nicht viel. Gut möglich also, dass Orban für die Menschen dort – warum auch immer – glaubwürdiger klingt.
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Re: Ein vereintes Europa

Beitragvon Darth Nefarius » Mo 30. Jan 2012, 15:37

Teh Asphyx hat geschrieben:Deswegen schrieb ich auch „von dem sie meinen, sie sei die bessere“. Ein Mensch kann ja gar nicht anders als sich den Umständen entsprechend für das zu entscheiden, was vermeintlich eher seinem Interesse dient. Ist dann die Frage, wie es um die korrekte Analyse der Umstände steht und da schenken sich Faschisten und demokratische EU-Politiker meistens nicht viel. Gut möglich also, dass Orban für die Menschen dort – warum auch immer – glaubwürdiger klingt.

Ja, ich habe dich schon verstanden, du hast aber auch angemerkt, dass du dich da nicht so auskennst, ich habe dir die Eckpunkte genannt. Wenn ich jetzt den zweiten Satz richtig verstanden habe, dann meinst du wohl, dass beide Sorten Politiker sehr ungenau und undifferenziert arbeiten. Nun, das mag sein, allerdings tun das Politiker (wenn sie gut sind) mit Zielsetzung. Dabei würde ich wiederum die Demokraten den Faschisten vorziehen, wenn ich mir schon eine Lüge anhören muss. Diese Entwicklung lief nebenbei nicht parallel zur Schuldenkrise, der Faschismus dort hatte schon ein wenig früher gekeimt, die aktuellen Entwicklungen haben die Situation in Ungarn nur verschärft, aber direkt mussten die Bürger dort sich nicht zwischen Fiskalunion und Faschismus entscheiden, sie haben es schon vor der Schuldenkrise getan.
Damit meine ich, dass Merkel (vereinfacht gesagt) die Ungarn nicht in die Hände Orbans getrieben hat.
Zuletzt geändert von Nanna am Mo 30. Jan 2012, 15:44, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: Ein vereintes Europa

Beitragvon Nanna » Mo 30. Jan 2012, 15:52

Teh Asphyx hat geschrieben:... korrekte Analyse der Umstände ...

Ich halte das für ein Fabelwesen, das viele schon gesichtet haben wollen, aber nie jemand fangen konnte - so wie die Panther, Krokodile und Seeschlangen, die immer zwischen Juni und September irgendeinen Tümpel im Mediengarten bevölkern. Da halte ich es lieber mit einer Erkenntnis, die einer meiner Professoren uns immer einschärft: "JEDES Paradigma, JEDE Perspektive hat seine/ihre Stärken, aber JEDE hat auch blinde Flecken." Anders gesagt, ich halte es für unmöglich, ein Phänomen in seiner Gesamtheit vollständig zu beschreiben und zu analysieren, weshalb die Korrektheit und Vollständigkeit einer Analyse immer eine relative Bewertung bleibt.
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Re: Ein vereintes Europa

Beitragvon Darth Nefarius » Mo 30. Jan 2012, 16:20

Genau! :applaus:
Allerdings kann man durchaus eine Sichtweise präferrieren, wenn man die eigenen Forderungen kennt, was auch Politiker machen.
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Re: Ein vereintes Europa

Beitragvon Teh Asphyx » Mo 30. Jan 2012, 16:47

Nanna hat geschrieben:Ich halte das für ein Fabelwesen, das viele schon gesichtet haben wollen, aber nie jemand fangen konnte - so wie die Panther, Krokodile und Seeschlangen, die immer zwischen Juni und September irgendeinen Tümpel im Mediengarten bevölkern.
Da ist nur ein kleiner Unterschied, rate mal, welcher das ist.

Nanna hat geschrieben:Da halte ich es lieber mit einer Erkenntnis, die einer meiner Professoren uns immer einschärft: "JEDES Paradigma, JEDE Perspektive hat seine/ihre Stärken, aber JEDE hat auch blinde Flecken."
Das ist keine Erkenntnis, das ist antiintellektuelle Verleugnung jeder möglichen Erkenntnis und meines Erachtens gerade deswegen in den Geisteswissenschaften so verbreitet, weil sich damit jeder Mist behaupten lässt und jede noch so unangenehme Situation schönreden. Dann kann man es auch gleich lassen, seinen Kopf anzustrengen.

Nanna hat geschrieben:Anders gesagt, ich halte es für unmöglich, ein Phänomen in seiner Gesamtheit vollständig zu beschreiben und zu analysieren, weshalb die Korrektheit und Vollständigkeit einer Analyse immer eine relative Bewertung bleibt.
Und ich halte es für einen fatalen Fehler so zu denken, weil das zum einen enorm anfällig für Ideologien macht und zum anderen eben jede Suche nach Erkenntnis damit automatisch beendet ist. Tut mir ja leid, aber ich bin einfach zu sehr Philosoph, als dass ich je solch ein Misosoph werden könnte.
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Re: Ein vereintes Europa

Beitragvon Nanna » Mo 30. Jan 2012, 17:27

Da sind wir wieder an dem Punkt, an dem ich dir vorwerfe, in Schwarz-Weiß-Kategorien zu denken und jedes Denken in Graustufen als "schwarz" zu klassifizieren.

Teh Asphyx hat geschrieben:
Nanna hat geschrieben:Da halte ich es lieber mit einer Erkenntnis, die einer meiner Professoren uns immer einschärft: "JEDES Paradigma, JEDE Perspektive hat seine/ihre Stärken, aber JEDE hat auch blinde Flecken."
Das ist keine Erkenntnis, das ist antiintellektuelle Verleugnung jeder möglichen Erkenntnis und meines Erachtens gerade deswegen in den Geisteswissenschaften so verbreitet, weil sich damit jeder Mist behaupten lässt und jede noch so unangenehme Situation schönreden. Dann kann man es auch gleich lassen, seinen Kopf anzustrengen.

Ich glaube, niemand hat besser als Popper dargelegt, dass Wissen vorläufig und stückwerkhaft ist. Nichts daran ist eine Verleugnung von Erkenntnis, es geht lediglich um das Bewusstsein, dass man nicht mit Sicherheit über die Gesamtheit der Erkenntnis verfügen kann. Nichtsdestotrotz kann man die Grenzen des Wissens erweitern, allerdings muss man sich dann darüber im Klaren sein, dass man damit auch die Menge des bekannten Nichtwissens (also der offenen Fragen) erweitert.

Ich stimme übrigens auch miit Popper überein, dass Politik eine Versuch-Irrtum-Angelegenheit ist (und als solche betrachtet werden sollte): Man probiert verschiedene Lösungen aus, entscheidet sich für die, die die besten Ergebnisse produziert und experimentiert dann weiter. Das ist nahe am schon Jahrmilliarden erprobten Prozess der Evolution angesiedelt, was gewisse prozessurale Erfolge erhoffen lässt. So ist vielleicht auch am ehesten erklärt, warum ich stark mit Churchills Erklärung übereinstimme, dass Demokratie die schlechteste aller Regierungsformen sei (d.h. konstant verbesserungsbedürftig), mit Ausnahme aller, die wir bisher ausprobiert haben (die Fehler der Vergangenheit, aus denen wir gelernt haben) und warum ich Bielefeldts Interpretation der Menschenrechte als durch Leid motivierte Lerngeschichte so sympathisch finde.

Um den Bogen zu den Ungarn zurückzuschlagen: In der Frage "EU versus Orban" ist die EU definitiv das kleinere Übel, zumal es ja eigentlich "Meinungsfreiheit + EU vs. Zensur + Orban" ist -> also nehmen wir die EU und dann schauen wir, wie wir von da aus weiterkommen.

Teh Asphyx hat geschrieben:
Nanna hat geschrieben:Anders gesagt, ich halte es für unmöglich, ein Phänomen in seiner Gesamtheit vollständig zu beschreiben und zu analysieren, weshalb die Korrektheit und Vollständigkeit einer Analyse immer eine relative Bewertung bleibt.
Und ich halte es für einen fatalen Fehler so zu denken, weil das zum einen enorm anfällig für Ideologien macht und zum anderen eben jede Suche nach Erkenntnis damit automatisch beendet ist. Tut mir ja leid, aber ich bin einfach zu sehr Philosoph, als dass ich je solch ein Misosoph werden könnte.

Das finde ich jetzt bizarr: Du behauptest, es könne die eine, wahre Interpretation der Wirklichkeit geben, ich behaupte, jede Interpretation der Wirklichkeit hat mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit Stärken und Schwachstellen. Du plädierst dafür, Phänomene in ihrer Gesamtheit als beschreibbar anzusehen (was dann tatsächlich in einem Einstellen der Erkenntnissuche resultiert), ich plädiere dafür, keinesfalls aufhören zu suchen, keinesfalls letztgültige Wahrheiten zu akzeptieren, weil man immer etwas übersehen haben kann. Wer ist denn hier nun strukturell anfällig für Ideologien? :lookwrong:
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Re: Ein vereintes Europa

Beitragvon Darth Nefarius » Mo 30. Jan 2012, 19:33

Ich sehe das so wie Nanna, Teh Asphyx. Die wahre Ideologie ist es, sich einer absoluten Wahrheit gewiss sein zu können. Das ist der Fehler, der bis jetzt von jeder Ideologie begangen wurde. Diese Form des Nihilismus begründet sich in unserer subjektiven Welt. Uns steht nur die subjektive Beobachterposition zur Verfügung, es gibt keine Objektivität, höchstens Approximationen durch Intersubjektivität. Diese Einstellung ist nicht der Grund, warum jeder Mist behauptet wird, sie lässt dieses Phänomen nur verstehen. Ein Gläubiger ist sich seiner Wahrheiten sicher, er behauptet nicht, dass er religiös argumentiert, weil er ohnehin alles behaupten kann, sondern weil er es al absolut richtig betrachtet. Die Evolution oder der Darwinismus sind nur Modelle, die die Phänomene, die wir beobachten, annähernd korrekt beschreiben, sie sind nicht dafür verantwortlich, dass die Welt so ist. Ebenso ist es mit dieser Einstellung, sie ist nicht der Grund, dass es so viel Mist gibt, sie erklärt, warum es ihn gibt. Wenn man das versteht, legt man sich nicht sofort fest, erhält sich eine Protion Zweifel, die einen weiter zum Denken antreibt, das ist gewiss nicht antiintellektuell (obwohl ich ehrlich gesagt niemals viel mit Leuten anfangen konnte, die sich als Intellektuelle bezeichneten, das waren meistens gerade irgendwelche idealistischen Wirrköpfe, die den Stein der Weisen meinen entdeckt zu haben und in Diskussionsshows breitbeinig in ihrem Sofa ihren Müll erzählen. Die wahren Intellektuellen sind die Wissenschaftler.).
Gerade diese Einstellung, die eine Festlegung nur temporär erlaubt, weil niemals der Zweifel beseitigt wird, niemals die Wahrheit angenommen wird.
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Re: Ein vereintes Europa

Beitragvon Nanna » Mo 30. Jan 2012, 19:59

Darth Nefarius hat geschrieben:Ich sehe das so wie Nanna, Teh Asphyx.

Haben wir das auch mal geschafft. :up:

Ich bin aber auch mit dem, was du noch ergänzt hast, auf einer Linie.
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Re: Ein vereintes Europa

Beitragvon Teh Asphyx » Mo 30. Jan 2012, 21:18

Nanna hat geschrieben:Da sind wir wieder an dem Punkt, an dem ich dir vorwerfe, in Schwarz-Weiß-Kategorien zu denken und jedes Denken in Graustufen als "schwarz" zu klassifizieren.
Da sind wir wieder bei der Sache, dass wer auf andere Zeigt, mit drei Fingern auf sich selbst zeigt. Du bist schließlich der, der immer sagt entweder Demokratie oder furchtbares Leid, das ist schwarz-weiß-Denken par excellence.

Aber gut, mal von diesem Unsinn abgesehen werde ich mal auf die Argumente eingehen.

Popper liegt meines Erachtens nach ein wenig falsch, wenn auch nicht ganz falsch. Aber seine ideale Wissenschaft entspricht nicht den praktischen Tatsachen, denn es ist keineswegs so, dass man einfach irgendwelche Versuche startet und guckt, ob es stimmt, sondern man ist durch das, was man wahrgenommen hat, immer schon vorbelastet, das heißt jede These baut sich auf eine Wahrnehmung der Realität auf, ist also dadurch schon immens eingeschränkt. Nach Popper müsste es aber so sein, dass man irgendeinen x-beliebigen falsifizierbaren Satz formuliert und den dann empirisch prüft. Da steht mal wieder die ganze Welt auf dem Kopf.

Ich will mal ein schön einfaches Beispiel geben, nehmen wir das Märchen von des Kaisers neue Kleider. Mein Eindruck ist, während früher das Kind, das bemerkt hätte, dass der Kaiser keine Kleider hat, einfach zum Schweigen gebracht worden wäre, wird heute einfach diese Feststellung relativiert, indem man dann sagt, das Kind hätte ein Paradigma, wo es keine Kleider sieht, aber alle anderen Paradigmen wären genau so viel Wert, also alle, die irgendwelche diversen Kleider meinen zu sehen und es wird dann behauptet, dass die Wahrheit ohnehin nicht feststellbar wäre. Und hier meine ich, dass das Quatsch ist, da man sehr wohl feststellen kann, dass der Kaiser keine Kleider trägt.
Ich frage mich auch ernsthaft, welcher Plan dahintersteckt, solch eine Sichtweise an den Universitäten durchzusetzen (die ja nicht ganz zufällig dem Staat gehören).

Was Ungarn angeht, mag sein, dass die EU für Dich das kleinere Übel ist, aber es ist nicht gesagt, dass die Menschen in Ungarn das auch so empfinden, darauf wollte ich hinaus. Und auch die westlichen Freiheiten können als Repressiv empfunden werden, zum Beispiel wenn Männer nicht mehr einfach so über Frauen herfallen dürfen, wie es ihnen beliebt. Nicht, dass ich das auch nur ansatzweise toll finden würde, aber es wird halt nicht jeder mit Freude die westliche Demokratie wählen.

Uns steht außerdem eben nicht nur die subjektive Beobachterposition zur Verfügung, auch wenn einem das oft so erzählt wird, sondern auch eine praktische Position als Handelnde und in der Praxis lässt sich Wahrheit sehr wohl feststellen. Das führt noch lange nicht dazu, ideologisch zu sein, denn auch hier dient wieder die Praxis als Beweis, ich gehe von diesem Standpunkt aus und hänge trotzdem keiner Ideologie an, noch habe ich mir selbst eine aufgebaut. Skeptizismus/Zweifel führt weitaus eher zu ideologischen Betrachtungen, weil man sich der Wahrheit der Praxis verweigert und irgendwelche Ersatzerklärungen braucht/dafür anfällig wird.

Außerdem ist dieses Skeptikerargument unfair und auch hier wurde es von Dir, Nanna, aus Gründen einer unfairen Rhetorik eingebracht. Damit entzieht man sich nämlich der Aufgabe auf jemandes Standpunkt richtig einzugehen, da man sie schon relativiert hat. Und umgekehrt: Wenn jemand meint, dass er durch Zweifeln an seiner eigenen Position irgendwie allein schon recht hat, dann ist auch die Diskussion unfair. Mir ist lieber jemand steht zu dem, was er sagt und zwar ohne Zweifel. Man kann es auch mal mit der Einstellung versuchen, wie sie Hans Albert formuliert hat: „Bisher habe ich jedenfalls nichts gehört, was mich davon abbringen könnte.“ Denn so in etwa sehe ich das, wenn jemand meint, dass ich falsch liege, dann darf er mich gerne mit guten Argumenten darauf hinweisen, aber irgendwie allein schon eine relativistische Position einzunehmen um damit schon die „Richtigkeit“ der eigenen Position zu behaupten ist – gerade bei dieser Einstellung – hanebüchen.

Churchill bezieht sich allerdings nur auf ihn bekannte patriarchale, weiße, westliche Gesellschaftssysteme, da mag die Demokratie vielleicht von denen, die noch überliefert sind, die beste sein, ist dann nur die Frage welche Demokratie gemeint ist und warum das ausgerechnet ein Brite meint sagen zu können …
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Re: Ein vereintes Europa

Beitragvon Gandalf » Mo 30. Jan 2012, 22:05

Teh Asphyx hat geschrieben: Gut möglich also, dass Orban für die Menschen dort – warum auch immer – glaubwürdiger klingt.


Ein "offner Brief" eines ungarischen Journalisten an seine "westllichen Kollegen" umschreibt es wohl ganz gut:

http://www.budapester.hu/index.php?opti ... &Itemid=27

hier auch zum "Zahlnekrieg": http://www.budapester.hu/index.php?opti ... &Itemid=26
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Re: Ein vereintes Europa

Beitragvon Nanna » Mo 30. Jan 2012, 22:50

Teh Asphyx hat geschrieben:
Nanna hat geschrieben:Da sind wir wieder an dem Punkt, an dem ich dir vorwerfe, in Schwarz-Weiß-Kategorien zu denken und jedes Denken in Graustufen als "schwarz" zu klassifizieren.
Da sind wir wieder bei der Sache, dass wer auf andere Zeigt, mit drei Fingern auf sich selbst zeigt. Du bist schließlich der, der immer sagt entweder Demokratie oder furchtbares Leid, das ist schwarz-weiß-Denken par excellence.

Dann mach doch nicht mit! ;-)

Es ist nämlich, wo ich mich jetzt dazu genötigt fühle, auf dein Gegenfingerzeigen zu antworten, noch "schlimmer": Ich sage nicht "Demokratie oder furchtbares Leid", ich sage "Anarchie funktioniert nicht, ergo Herrschaft oder Anomie (=furchtbares Leid)", wobei gilt: "Anomie => sicheres Leid; Herrschaft => möglicherweise weniger Leid".

Ich sage aber auch weiterhin: "Herrschaft oder furchtbares Leid ODER Alternative drei, die bisher keiner formuliert hat (weshalb ich dich immer auffordere, ein alternatives System vorzuschlagen, weil ich ja selber gespannt bin, ob nicht doch irgendwo der heilige Gral der Gesellschaftsordnung herumliegt)."

Teh Asphyx hat geschrieben:Nach Popper müsste es aber so sein, dass man irgendeinen x-beliebigen falsifizierbaren Satz formuliert und den dann empirisch prüft. Da steht mal wieder die ganze Welt auf dem Kopf.

Ja, praktische Wissenschaft funktioniert vom Ablauf her anders. Wenn du aber nach oben siehst: Darum ging es gar nicht. Es ging nur darum, dass Popper sehr gut formuliert hat, dass Wissen, ich wiederhole, "vorläufig und stückwerkhaft" ist und dass wir quantitativ in der Menge der Erkenntnis eingeschränkt sind. Quantitativ bedeutet in dem Zusammenhang aber auch qualitativ, weil wir permanent Gefahr laufen, Dinge zu übersehen bzw. nach den Gesetzen der Statistik sogar mit Sicherheit Dinge übersehen - von denen viele vielleicht unwichtig waren, aber das wissen wir nunmal nicht.

Teh Asphyx hat geschrieben:Ich will mal ein schön einfaches Beispiel geben, nehmen wir das Märchen von des Kaisers neue Kleider. Mein Eindruck ist, während früher das Kind, das bemerkt hätte, dass der Kaiser keine Kleider hat, einfach zum Schweigen gebracht worden wäre, wird heute einfach diese Feststellung relativiert, indem man dann sagt, das Kind hätte ein Paradigma, wo es keine Kleider sieht, aber alle anderen Paradigmen wären genau so viel Wert, also alle, die irgendwelche diversen Kleider meinen zu sehen und es wird dann behauptet, dass die Wahrheit ohnehin nicht feststellbar wäre.
(Hervorhebung durch mich)

Ich bestreite, dass das so ist, zumindest habe ich es so an der Uni bisher nicht wahrgenommen. Wenn wir Paradigmen in einer Vorlesung durchnehmen, dann sind meistens insbesondere die älteren nur wegen der Skizzierung der historischen Entwicklung und des Verständnisses der Kritik in der Vorlesung vorhanden. Es ist auch nicht so, dass irgendwer behaupten würde, dass alle Paradigmen gleichwertig wären. Manche haben größere Geltungsbereiche, andere kleinere, bei manchen muss man lange herumdiskutieren, bis man gewisse Detailschwächen gefunden hat, während andere von angehenden Proseminaristen zerlegt werden, dass die Fetzen fliegen. Du homogenisierst, wenn du diese angeblich propagierte Gleichwertigkeit behauptest. Meist ist das Bewusstsein schon recht hoch dafür, was man mit welchem Ansatz besonders gut herauskriegt, wohingegen eben kein Ansatz (den ich bisher kennengelernt habe) als theory of everything geeignet ist.

Teh Asphyx hat geschrieben:Ich frage mich auch ernsthaft, welcher Plan dahintersteckt, solch eine Sichtweise an den Universitäten durchzusetzen (die ja nicht ganz zufällig dem Staat gehören).

Solange du im besten marxistischen Sinne den Staat als die Überstruktur begreifst, die der "herrschenden Klasse" zur Sicherung der eigenen Position dient, musst du natürlich solche Verdächtigungen folgern. Ich weiß wirklich nicht, was du an der simplen dichotomischen Sichtweise von Marx so attraktiv findest. Ich als Außenstehender finde es jedenfalls ziemlich eigenartig, dass du eher einen intentionalen, diabolischen Großplan annimmst und eher das ganze weltweite Wissenschaftssystem verdächtigst, als gegenüber der eigenen Sicht misstrauisch zu werden. Nimm es mir bitte nicht übel, wenn das auf mich reichlich schief wirkt.

Teh Asphyx hat geschrieben:Was Ungarn angeht, mag sein, dass die EU für Dich das kleinere Übel ist, aber es ist nicht gesagt, dass die Menschen in Ungarn das auch so empfinden, darauf wollte ich hinaus. Und auch die westlichen Freiheiten können als Repressiv empfunden werden, zum Beispiel wenn Männer nicht mehr einfach so über Frauen herfallen dürfen, wie es ihnen beliebt. Nicht, dass ich das auch nur ansatzweise toll finden würde, aber es wird halt nicht jeder mit Freude die westliche Demokratie wählen.

Sehr richtig. Genau deshalb bin ich ja so misstrauisch gegenüber Formen der direkten Demokratie und deshalb begrüße ich auch den Druck, den die EU auf Ungarn ausübt. Die EU soll natürlich nicht intervenieren und die ungarische Gesellschaft mit Gewalt umbauen, aber sie soll zumindest der liberalen Minderheit genug Luft zum Atmen verschaffen, auf dass sie wachse.

Teh Asphyx hat geschrieben:Uns steht außerdem eben nicht nur die subjektive Beobachterposition zur Verfügung, auch wenn einem das oft so erzählt wird, sondern auch eine praktische Position als Handelnde und in der Praxis lässt sich Wahrheit sehr wohl feststellen.

Wenn du Wahnvorstellungen hast und der Ansicht bist, dass dein Handeln darüber entscheidet, welches Wetter morgen ist, dann kannst du deine praktische Position in die Tonne kloppen. Das ist ein Extrembeispiel, aber fast jeder Mensch hat irgendwo seine eingebildeten Kausalitäten, die er entweder gewohnheitsmäßig nicht prüft oder nicht prüfen kann. Insbesondere bei komplexen Zusammenhängen (und im Falle gesellschaftlichen Fragen reden wir so gut wie nie über etwas anderes) nehmen wir alle Komplexitätsreduktionen vor, die die Wirklichkeit verzerren. Häufig "sehen" wir dann noch Ursache-Wirk-Zusammenhänge, die nach unserem Geschmack sind (und diese sind SEHR stark: http://www.sueddeutsche.de/wissen/biolo ... -1.1265019). Das Problem ist, dass keiner von uns da raus kann. Die einzige Möglichkeit, wurde von Darth Nefarius schon angesprochen, wäre die Annäherung über intersubjektives Testen der Annahmen und, wo es geht, empirische Überprüfung durch Experimente etc.

Dein Kaiser-Beispiel wirkt so bestechend, weil es so überdreht einfach ist. Aber schon bei einfachen Fragen, deren Antwort viele für offensichtlich halten, z.B. ob Guttenberg oder Wulff "nackt" sind (unredlich gehandelt haben, als Amtsträger untragbar sind o.ä.) gehen die Meinungen rapide auseinander, je nachdem, wie jeder Einzelne das geschmacklich und analytisch bewertet. Mit welcher "Praxis" soll sich denn da nun zweifelsfreie Wahrheit feststellen lassen?

Teh Asphyx hat geschrieben:Das führt noch lange nicht dazu, ideologisch zu sein, denn auch hier dient wieder die Praxis als Beweis, ich gehe von diesem Standpunkt aus und hänge trotzdem keiner Ideologie an, noch habe ich mir selbst eine aufgebaut. Skeptizismus/Zweifel führt weitaus eher zu ideologischen Betrachtungen, weil man sich der Wahrheit der Praxis verweigert und irgendwelche Ersatzerklärungen braucht/dafür anfällig wird.

Ich habe keine Ahnung, was du genau mit "Wahrheit der Praxis" meinst. Ist es eine "Wahrheit der Praxis", dass eine Brücke stehenbleibt, wenn man die Vorgaben der Statik beachtet? Und wenn es um so eine funktionalistische Sichtweise gehen sollte: Inwiefern ist das dann etwas anderes als meine experimentelle, vortastende Politik?

Teh Asphyx hat geschrieben:Außerdem ist dieses Skeptikerargument unfair und auch hier wurde es von Dir, Nanna, aus Gründen einer unfairen Rhetorik eingebracht. Damit entzieht man sich nämlich der Aufgabe auf jemandes Standpunkt richtig einzugehen, da man sie schon relativiert hat. Und umgekehrt: Wenn jemand meint, dass er durch Zweifeln an seiner eigenen Position irgendwie allein schon recht hat, dann ist auch die Diskussion unfair.

Na jetzt mal langsam: Ich habe nur bezweifelt, dass es eine "korrekte Analyse der Umstände" geben kann, die du so vollmundig allen möglichen Leuten abgesprochen und dir selbst damit implizit zugesprochen hast. Ironischerweise hast du dich ja auch nicht mit dem Standpunkt der Faschisten und Demokraten auseinandergesetzt, sondern einfach behauptet, die hätten es nicht so mit der "korrekte[n] Analyse der Umstände", was jetzt auch nicht gerade faire Rhetorik ist. Aber du hast ja dankenswerterweise schon erklärt, wie das mit dem Fingerzeigen funktioniert...

Inhaltlich ist mir aber immer noch nicht klar, warum jetzt genau das Skeptikerargument unfair ist. Man kann übrigens unabhängig von der grundsätzlichen Annahme, dass Wissen vorläufig ist, auf die Positionen anderer eingehen. Ich habe mich in meiner Erinnerung jedenfalls noch nie mit dem Hinweis "Sind ja eh alles nur Meinungen..." vor einer inhaltlichen Diskussion gedrückt.

Teh Asphyx hat geschrieben:Mir ist lieber jemand steht zu dem, was er sagt und zwar ohne Zweifel. Man kann es auch mal mit der Einstellung versuchen, wie sie Hans Albert formuliert hat: „Bisher habe ich jedenfalls nichts gehört, was mich davon abbringen könnte.“ Denn so in etwa sehe ich das, wenn jemand meint, dass ich falsch liege, dann darf er mich gerne mit guten Argumenten darauf hinweisen, aber irgendwie allein schon eine relativistische Position einzunehmen um damit schon die „Richtigkeit“ der eigenen Position zu behaupten ist – gerade bei dieser Einstellung – hanebüchen.

Ja, auf jeden Fall. Aber was hat das mit unserer Diskussion zu tun?

Teh Asphyx hat geschrieben:Churchill bezieht sich allerdings nur auf ihn bekannte patriarchale, weiße, westliche Gesellschaftssysteme, da mag die Demokratie vielleicht von denen, die noch überliefert sind, die beste sein, ist dann nur die Frage welche Demokratie gemeint ist und warum das ausgerechnet ein Brite meint sagen zu können …

Ich dachte, es kommt nur darauf an, die Wahrheit zu sagen... ;-)

Mir ist im Übrigen bewusst, welche Schwächen die repräsentative Demokratie hat, mir sind aber auch die Schwächen von deliberativen oder Rätedemokratien bekannt. Mein Angebot, darüber mal ausführlich in einem eigenen Thread zu reden, steht natürlich weiterhin. Ich bin nur der Meinung, dass du da den Anfang machen solltest, weil du mir irgendwie die steilere These zu haben scheinst.
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Re: Ein vereintes Europa

Beitragvon Teh Asphyx » Mo 30. Jan 2012, 23:17

Nanna hat geschrieben:Na jetzt mal langsam: Ich habe nur bezweifelt, dass es eine "korrekte Analyse der Umstände" geben kann, die du so vollmundig allen möglichen Leuten abgesprochen und dir selbst damit implizit zugesprochen hast. Ironischerweise hast du dich ja auch nicht mit dem Standpunkt der Faschisten und Demokraten auseinandergesetzt, sondern einfach behauptet, die hätten es nicht so mit der "korrekte[n] Analyse der Umstände", was jetzt auch nicht gerade faire Rhetorik ist. Aber du hast ja dankenswerterweise schon erklärt, wie das mit dem Fingerzeigen funktioniert...

Momentchen mal, dann hast Du mich hier wohl missverstanden, ich meinte lediglich, dass sich beide Seiten in der Hinsicht nicht viel schenken. Erzähl mir jetzt bitte nicht, dass die EU-Demokraten ganz doll selbstkritisch die Situation analysieren. Was da momentan mit dem Euro alleine abläuft, ist wirklich eine einzige Farce. Ich habe nie behauptet, dass ich das besser machen würde, ich würde mich aber auch auf ein solches Wirtschaftssystem gar nicht erst einlassen. Wenn das darauf hinausläuft, dass ich mich dann wohl für besser halte … vielleicht bin ich es ja einfach auch? Muss man auch mal in Betracht ziehen. ;-)

@ Gandalf

Danke für die Artikel. Vor allem der erste ist sehr amüsant.
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Re: Ein vereintes Europa

Beitragvon Nanna » Mo 30. Jan 2012, 23:35

Teh Asphyx hat geschrieben:
Nanna hat geschrieben:Na jetzt mal langsam: Ich habe nur bezweifelt, dass es eine "korrekte Analyse der Umstände" geben kann, die du so vollmundig allen möglichen Leuten abgesprochen und dir selbst damit implizit zugesprochen hast. Ironischerweise hast du dich ja auch nicht mit dem Standpunkt der Faschisten und Demokraten auseinandergesetzt, sondern einfach behauptet, die hätten es nicht so mit der "korrekte[n] Analyse der Umstände", was jetzt auch nicht gerade faire Rhetorik ist. Aber du hast ja dankenswerterweise schon erklärt, wie das mit dem Fingerzeigen funktioniert...

Momentchen mal, dann hast Du mich hier wohl missverstanden, ich meinte lediglich, dass sich beide Seiten in der Hinsicht nicht viel schenken.

Ich glaube, dass wir hier über zwei Sachen reden. Einmal über eine annähernd korrekte Analyse der Umstände, dir für praktisches Handeln ("Alltagsentscheidungen") ausreichen - was vielleicht sowas wie deine "Wahrheit der Praxis" ist - und einmal über eine objektiv korrekte Analyse der Umstände, wo wir wieder schnell im Bereich von Wissenschafts- und Erkenntnistheorie sind.

Teh Asphyx hat geschrieben:Erzähl mir jetzt bitte nicht, dass die EU-Demokraten ganz doll selbstkritisch die Situation analysieren.

Alle? Sicher nicht. Einige? Sicherlich. Man wird nicht gewählt, weil man der größte Idiot ist, gewisse intellektuelle Qualitäten sind auch in den Regierungen und Parlamenten vertreten. Man muss auch aufpassen, dass man sich da keine Illusionen macht, was deren Gestaltungsspielraum angeht. Was da alles an unterschiedlichen Interessen befriedigt und an strategischen Kompromissen gemacht werden muss, was mangels Zeit und Analyseressourcen abgeschätzt und auf gut Glück versucht werden muss... ich wundere mich nicht, dass parlamentarische Demokratie manchmal ziemlich messy wirkt (und muss dann lachen, wenn sich Leute von direkter Demokratie, sprich, massiver Ausweitung der Beteiligten, Vereinfachung versprechen). Und natürlich wird auch nicht immer genau das gesagt, was man denkt, schließlich geht die Botschaft an ganz unterschiedliche Öffentlichkeiten mit unterschiedlichen Erwartungen. Das Politikergeschwurbel hat durchaus System, das ist nicht einer Charakterschwäche geschuldet. Ich behaupte sogar, dass Leute, die "Klartext" reden, kaum eine Chance im Politikbetrieb haben, und zwar ganz egal, welcher Natur der Klartext ist. Irgendwem pinkelt man immer ans Bein...

Teh Asphyx hat geschrieben:Was da momentan mit dem Euro alleine abläuft, ist wirklich eine einzige Farce. Ich habe nie behauptet, dass ich das besser machen würde, ich würde mich aber auch auf ein solches Wirtschaftssystem gar nicht erst einlassen. Wenn das darauf hinausläuft, dass ich mich dann wohl für besser halte … Muss man auch mal in Betracht ziehen. ;-)

Kann man. Allerdings befindest du dich in deinem Sessel im philosophischen Salon natürlich auch in einer unheimlich bequemen Position. Wärst du Bundeskanzler, würdest du solche Aussagen keine 24 Stunden durchhalten, ohne sämtliche Mehrheiten kollossal zu zermahlen. Es ist das eine, aus sicherer Entfernung zu theoretisieren (oder auf dem Sofa zu sitzen und dem Fernseher zu erzählen, was der Fußballtrainer alles falsch macht) und das andere, es wirklich besser zu machen. Muss man halt darüberhinaus in Betracht ziehen. ;-)
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Re: Ein vereintes Europa

Beitragvon Gandalf » Di 31. Jan 2012, 07:44

Nanna hat geschrieben:Kann man. Allerdings befindest du dich in deinem Sessel im philosophischen Salon natürlich auch in einer unheimlich bequemen Position. Wärst du Bundeskanzler, würdest du solche Aussagen keine 24 Stunden durchhalten, ohne sämtliche Mehrheiten kollossal zu zermahlen. Es ist das eine, aus sicherer Entfernung zu theoretisieren (oder auf dem Sofa zu sitzen und dem Fernseher zu erzählen, was der Fußballtrainer alles falsch macht) und das andere, es wirklich besser zu machen. Muss man halt darüberhinaus in Betracht ziehen. ;-)


Für einen Bundeskanzler(in) die sich strikt dem Grundgesetz - und dem Willen des Volkes (was zu fragen, wäre, regelmäßig gefragt und ignoriert wird) 'verpflichtet' wäre, würde sich diese Frage gar nicht stellen.
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Re: Ein vereintes Europa

Beitragvon Nanna » Di 31. Jan 2012, 10:08

Natürlich würde es das. Es fängt da an, dass das Grundgesetz einen ziemlich weiten Handlungs- und Interpretationsspielraum lässt und hört da auf dass es kein Volk gibt, sondern nur 80 Mio. Leute mit widersprechenden Meinungen. Es gibt daher auch keinen "Willen des Volkes", sondern nur teilweise stark variierende Mehrheitsmeinungen zu unzähligen Themen. Das Handwerkliche am Politikbetrieb mag dir profan erscheinen, das ändert aber nichts daran, dass davon sehr viel abhängt und sehr viele Entscheidungen von solchen Geben-und-Nehmen-Rechnungen dominiert werden. Ein IKEA-Regal kriegst du ohne Schrauben und Sechskantschlüssel auch nicht aufgebaut, egal wie fertig es auf der Verpackung aussehen mag.
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Re: Ein vereintes Europa

Beitragvon Zappa » Di 31. Jan 2012, 18:35

Teh Asphyx hat geschrieben: Aber seine ideale Wissenschaft entspricht nicht den praktischen Tatsachen, denn es ist keineswegs so, dass man einfach irgendwelche Versuche startet und guckt, ob es stimmt, sondern man ist durch das, was man wahrgenommen hat, immer schon vorbelastet, das heißt jede These baut sich auf eine Wahrnehmung der Realität auf, ist also dadurch schon immens eingeschränkt.


Im Prinzip bin ich mit @Nanna einer Meinung, wollte nur noch mal diese Bemerkung aufgreifen, weil Die deine Eingangsthese, die diesen Disput verursachte, besonders eindrucksvoll widerlegt, wenn man Sie weiterspinnt. Nicht nur die Thesen, die ein Wissenschaftler hat sind theorielastig, sondern auch die "Messergebnisse", weil die natürlich in der Phase einer wissenschaftlichen Stagnation im Licht der Ausgangsthese interpretiert werden. Es gibt also gar keine reinen, unbelasteten Messwerte, sondern auch die sind immer durch Interpretationen, Anschauungen und Ausgangsthesen verunreinigt. Die Falsifikation läuft nach TS Kuhn eher krisenhaft ab, wenn ein Theoriegebäude langsam durch ein neues ersetzt wird, ansonsten sind sogar Naturwissenschaftler ziemlich gut darin Messergebnis interpretatorisch "grade zu biegen". Noch viel mehr gilt das natürlich für nicht experimentelle Wissenschaften oder gar Religionen, Politik und die Alltagsmeinung mit all Ihren "Beobachtungen", "Wahrnehmungen", "Interpretationen" und Theoremen. Das ist alles meilenweit von einem vollkommenen Verständnis der "Wirklichkeit" entfernt.

Mal abgesehen davon, dass einige ernstzunehmende Wissenschaftler der Meinung sind, dass die Idee einer vollkommenen und in sich nicht widersprüchlichen oder selbstbezüglichen Erklärungen der Wirklichkeit nicht möglich ist (Heisenberg, Gödel und ein paar Philosophen).
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Re: Ein vereintes Europa

Beitragvon Gandalf » Di 31. Jan 2012, 21:07

Nanna hat geschrieben:Natürlich würde es das. Es fängt da an, dass das Grundgesetz einen ziemlich weiten Handlungs- und Interpretationsspielraum lässt ...

..lässt es nicht (mehr)!

Das Letzte klarstellende Urteil zur Klage der Euro-Gegner war schon lange überfällig. Es gilt ein Parlamentsvorbehalt' für den Haushalt.

Was da Merkel beim jüngsten Gipfel beschlossen wurde ist ein Hohn auf unsere Verfassung(en): http://www.faz.net/aktuell/politik/schu ... 31953.html

GR lässt sich von kei.en "Polit.Kommissar" regieren und bei uns wäre es Hochverrat, wenn es die Kanzlerin oder Schäuble zuliese (auch wenn sie schon viel zu viel zugelassen haben)

Nicht umsonst sind Libertäre wie der tschechische Präsident Vaclav Klaus gegen dieses 'Ermächtigungsgesetz' und machen da nicht mit. Und das ist u.a. auch der Grund warum die Sozis im EU-Paralment und unsere linkspopulistische Presse so sauer auf Ungarn sind, die sich dem Ganzen im Vorfeld nicht aussezten wollen).

Der finale ESM-Vertrag - Ende von Demokratie und Parlamentsvorbehalt:

http://www.freiewelt.net/blog-3949/der- ... nunft.html
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Re: Ein vereintes Europa

Beitragvon Nanna » Di 31. Jan 2012, 21:34

Ok, da habe ich mich missverständlich ausgedrückt: Mir ging es darum, dass Aussagen à la "Ich würde mich auf so ein Wirtschaftssystem gar nicht erst einlassen" weit weg von der Wirklichkeit sind, weil der Bundeskanzler grundsätzlich nicht die Macht hat, darüber zu entscheiden. Das Wirtschaftssystem, das wir derzeit haben, ist auch definitiv grundgesetzkonform, das meinte ich mit Handlungsspielraum. Ich gebe zu, das erschließt sich aus dem Kontext nicht so präzise.

Natürlich hast du und hat auch Teh Asphyx recht damit, dass vieles, was derzeit zur Krisenbewältigung ausprobiert wird, in vielerlei Hinsicht grenzwertig ist. Um trotzdem eine Lanze für die Politiker zu brechen: Ich möchte mit denen nicht tauschen. Die haben die unkomfortable Situation, in etwas hineingerauscht zu sein, was sie nicht überblickt haben und jetzt überblicken sie nicht, wie sie da wieder rauskommen (und sie haben eben auch nur einen begrenzten Entscheidungsspielraum). Ich sehe zwar auch mit großer Sorge, dass die EU derzeit mit hoher Geschwindigkeit nur auf Sicht mitten durch den Nebel gefahren wird, aber "da Richtige" respektive besser "etwas Richtiges" zu tun halte ich im Moment auch für eine harte Nuss.
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Re: Ein vereintes Europa

Beitragvon Teh Asphyx » Mi 1. Feb 2012, 20:36

Nanna hat geschrieben:Ich glaube, dass wir hier über zwei Sachen reden. Einmal über eine annähernd korrekte Analyse der Umstände, dir für praktisches Handeln ("Alltagsentscheidungen") ausreichen - was vielleicht sowas wie deine "Wahrheit der Praxis" ist - und einmal über eine objektiv korrekte Analyse der Umstände, wo wir wieder schnell im Bereich von Wissenschafts- und Erkenntnistheorie sind.


Okay, ich erkläre es noch mal gaaaaaanz ruhig und laaaaangsam, damit jeder das auch versteht.
Wenn ich von einer korrekten Analyse spreche, dann meine ich, dass man nicht an seinem Verstand zweifeln, sondern ihn einsetzen soll, nämlich um die Umstände untersuchen und zu analysieren und dies darf dann gerne durch etwaige andere inhaltlich kritisiert und verbessert werden, damit man sich im Ergebnis der Analyse möglichst den tatsächlichen Umständen annähert. Aber diese Kritik sollte wirklich auf der inhaltlichen Ebene stattfinden (wobei man ruhig auch, was das eigene Interesse bei der Analyse angeht mit offenen Karten spielen sollte und dies auch vom anderen verlangen dürfen) und das sollten sich hier einige mal hinter die Ohren schreiben! Der Prozess selbst, das ist die korrekte Analyse und die gibt es. Wer lieber auffordern will, am Verstand zu zweifeln, gehört, wie Schopenhauer gerne sagte „ins Tollhaus“. Ich habe nie behauptet, dass es unbedingt zum einzig korrekten Ergebnis kommen muss.
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Re: Ein vereintes Europa

Beitragvon Nanna » Mi 1. Feb 2012, 21:21

Vielen Dank für deine Mühe. Wir sind halt nicht alle so schnell...

Darf ich der Vollständigkeit halber anmerken, dass ein formallogisch noch so korrektes Verfahren wertlos ist, wenn die Ausgangsbedingungen nicht realitätskonform definiert sind? Festzustellen, was realitätskonform ist, ist jedoch tatsächlich keine triviale Aufgabe. Von dir stammt schließlich die Nennung des Hume'schen Verrückten, der in einer Welt lebt, die er ausgehend von selektiven Wahrnehmungen und daraus gebildeten Prämissen zwar "korrekt analysiert", dies in aber trotzdem zu falschen Schlüssen über die Wirklichkeit führt.
Diese Falle im Hinterkopf präsent zu haben, muss keineswegs in Resignation münden, sondern kann eine wertvolle Versicherung gegen voreilige Selbstzufriedenheit darstellen. Es kommt halt immer drauf an, was man draus macht.
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