Teh Asphyx hat geschrieben:Nanna hat geschrieben:Da sind wir wieder an dem Punkt, an dem ich dir vorwerfe, in Schwarz-Weiß-Kategorien zu denken und jedes Denken in Graustufen als "schwarz" zu klassifizieren.
Da sind wir wieder bei der Sache, dass wer auf andere Zeigt, mit drei Fingern auf sich selbst zeigt. Du bist schließlich der, der immer sagt entweder Demokratie oder furchtbares Leid, das ist schwarz-weiß-Denken par excellence.
Dann mach doch nicht mit!

Es ist nämlich, wo ich mich jetzt dazu genötigt fühle, auf dein Gegenfingerzeigen zu antworten, noch "schlimmer": Ich sage nicht "Demokratie oder furchtbares Leid", ich sage "Anarchie funktioniert nicht, ergo Herrschaft oder Anomie (=furchtbares Leid)", wobei gilt: "Anomie => sicheres Leid; Herrschaft => möglicherweise weniger Leid".
Ich sage aber auch weiterhin: "Herrschaft oder furchtbares Leid ODER Alternative drei, die bisher keiner formuliert hat (weshalb ich dich immer auffordere, ein alternatives System vorzuschlagen, weil ich ja selber gespannt bin, ob nicht doch irgendwo der heilige Gral der Gesellschaftsordnung herumliegt)."
Teh Asphyx hat geschrieben:Nach Popper müsste es aber so sein, dass man irgendeinen x-beliebigen falsifizierbaren Satz formuliert und den dann empirisch prüft. Da steht mal wieder die ganze Welt auf dem Kopf.
Ja, praktische Wissenschaft funktioniert vom Ablauf her anders. Wenn du aber nach oben siehst: Darum ging es gar nicht. Es ging nur darum, dass Popper sehr gut formuliert hat, dass Wissen, ich wiederhole, "vorläufig und stückwerkhaft" ist und dass wir quantitativ in der Menge der Erkenntnis eingeschränkt sind. Quantitativ bedeutet in dem Zusammenhang aber auch qualitativ, weil wir permanent Gefahr laufen, Dinge zu übersehen bzw. nach den Gesetzen der Statistik sogar mit Sicherheit Dinge übersehen - von denen viele vielleicht unwichtig waren, aber das wissen wir nunmal nicht.
Teh Asphyx hat geschrieben:Ich will mal ein schön einfaches Beispiel geben, nehmen wir das Märchen von des Kaisers neue Kleider. Mein Eindruck ist, während früher das Kind, das bemerkt hätte, dass der Kaiser keine Kleider hat, einfach zum Schweigen gebracht worden wäre, wird heute einfach diese Feststellung relativiert, indem man dann sagt, das Kind hätte ein Paradigma, wo es keine Kleider sieht, aber alle anderen Paradigmen wären genau so viel Wert, also alle, die irgendwelche diversen Kleider meinen zu sehen und es wird dann behauptet, dass die Wahrheit ohnehin nicht feststellbar wäre.
(Hervorhebung durch mich)
Ich bestreite, dass das so ist, zumindest habe ich es so an der Uni bisher nicht wahrgenommen. Wenn wir Paradigmen in einer Vorlesung durchnehmen, dann sind meistens insbesondere die älteren nur wegen der Skizzierung der historischen Entwicklung und des Verständnisses der Kritik in der Vorlesung vorhanden. Es ist auch nicht so, dass irgendwer behaupten würde, dass alle Paradigmen gleichwertig wären. Manche haben größere Geltungsbereiche, andere kleinere, bei manchen muss man lange herumdiskutieren, bis man gewisse Detailschwächen gefunden hat, während andere von angehenden Proseminaristen zerlegt werden, dass die Fetzen fliegen. Du homogenisierst, wenn du diese angeblich propagierte Gleichwertigkeit behauptest. Meist ist das Bewusstsein schon recht hoch dafür, was man mit welchem Ansatz besonders gut herauskriegt, wohingegen eben kein Ansatz (den ich bisher kennengelernt habe) als
theory of everything geeignet ist.
Teh Asphyx hat geschrieben:Ich frage mich auch ernsthaft, welcher Plan dahintersteckt, solch eine Sichtweise an den Universitäten durchzusetzen (die ja nicht ganz zufällig dem Staat gehören).
Solange du im besten marxistischen Sinne den Staat als die Überstruktur begreifst, die der "herrschenden Klasse" zur Sicherung der eigenen Position dient, musst du natürlich solche Verdächtigungen folgern. Ich weiß wirklich nicht, was du an der simplen dichotomischen Sichtweise von Marx so attraktiv findest. Ich als Außenstehender finde es jedenfalls ziemlich eigenartig, dass du eher einen intentionalen, diabolischen Großplan annimmst und eher das ganze weltweite Wissenschaftssystem verdächtigst, als gegenüber der eigenen Sicht misstrauisch zu werden. Nimm es mir bitte nicht übel, wenn das auf mich reichlich schief wirkt.
Teh Asphyx hat geschrieben:Was Ungarn angeht, mag sein, dass die EU für Dich das kleinere Übel ist, aber es ist nicht gesagt, dass die Menschen in Ungarn das auch so empfinden, darauf wollte ich hinaus. Und auch die westlichen Freiheiten können als Repressiv empfunden werden, zum Beispiel wenn Männer nicht mehr einfach so über Frauen herfallen dürfen, wie es ihnen beliebt. Nicht, dass ich das auch nur ansatzweise toll finden würde, aber es wird halt nicht jeder mit Freude die westliche Demokratie wählen.
Sehr richtig. Genau deshalb bin ich ja so misstrauisch gegenüber Formen der direkten Demokratie und deshalb begrüße ich auch den Druck, den die EU auf Ungarn ausübt. Die EU soll natürlich nicht intervenieren und die ungarische Gesellschaft mit Gewalt umbauen, aber sie soll zumindest der liberalen Minderheit genug Luft zum Atmen verschaffen, auf dass sie wachse.
Teh Asphyx hat geschrieben:Uns steht außerdem eben nicht nur die subjektive Beobachterposition zur Verfügung, auch wenn einem das oft so erzählt wird, sondern auch eine praktische Position als Handelnde und in der Praxis lässt sich Wahrheit sehr wohl feststellen.
Wenn du Wahnvorstellungen hast und der Ansicht bist, dass dein Handeln darüber entscheidet, welches Wetter morgen ist, dann kannst du deine praktische Position in die Tonne kloppen. Das ist ein Extrembeispiel, aber fast jeder Mensch hat irgendwo seine eingebildeten Kausalitäten, die er entweder gewohnheitsmäßig nicht prüft oder nicht prüfen kann. Insbesondere bei komplexen Zusammenhängen (und im Falle gesellschaftlichen Fragen reden wir so gut wie nie über etwas anderes) nehmen wir alle Komplexitätsreduktionen vor, die die Wirklichkeit verzerren. Häufig "sehen" wir dann noch Ursache-Wirk-Zusammenhänge, die nach unserem Geschmack sind (und diese sind SEHR stark:
http://www.sueddeutsche.de/wissen/biolo ... -1.1265019). Das Problem ist, dass keiner von uns da raus kann. Die einzige Möglichkeit, wurde von Darth Nefarius schon angesprochen, wäre die Annäherung über intersubjektives Testen der Annahmen und, wo es geht, empirische Überprüfung durch Experimente etc.
Dein Kaiser-Beispiel wirkt so bestechend, weil es so überdreht einfach ist. Aber schon bei einfachen Fragen, deren Antwort viele für offensichtlich halten, z.B. ob Guttenberg oder Wulff "nackt" sind (unredlich gehandelt haben, als Amtsträger untragbar sind o.ä.) gehen die Meinungen rapide auseinander, je nachdem, wie jeder Einzelne das geschmacklich und analytisch bewertet. Mit welcher "Praxis" soll sich denn da nun zweifelsfreie Wahrheit feststellen lassen?
Teh Asphyx hat geschrieben:Das führt noch lange nicht dazu, ideologisch zu sein, denn auch hier dient wieder die Praxis als Beweis, ich gehe von diesem Standpunkt aus und hänge trotzdem keiner Ideologie an, noch habe ich mir selbst eine aufgebaut. Skeptizismus/Zweifel führt weitaus eher zu ideologischen Betrachtungen, weil man sich der Wahrheit der Praxis verweigert und irgendwelche Ersatzerklärungen braucht/dafür anfällig wird.
Ich habe keine Ahnung, was du genau mit "Wahrheit der Praxis" meinst. Ist es eine "Wahrheit der Praxis", dass eine Brücke stehenbleibt, wenn man die Vorgaben der Statik beachtet? Und wenn es um so eine funktionalistische Sichtweise gehen sollte: Inwiefern ist das dann etwas anderes als meine experimentelle, vortastende Politik?
Teh Asphyx hat geschrieben:Außerdem ist dieses Skeptikerargument unfair und auch hier wurde es von Dir, Nanna, aus Gründen einer unfairen Rhetorik eingebracht. Damit entzieht man sich nämlich der Aufgabe auf jemandes Standpunkt richtig einzugehen, da man sie schon relativiert hat. Und umgekehrt: Wenn jemand meint, dass er durch Zweifeln an seiner eigenen Position irgendwie allein schon recht hat, dann ist auch die Diskussion unfair.
Na jetzt mal langsam: Ich habe nur bezweifelt, dass es eine "korrekte Analyse der Umstände" geben kann, die du so vollmundig allen möglichen Leuten abgesprochen und dir selbst damit implizit zugesprochen hast. Ironischerweise hast du dich ja auch nicht mit dem Standpunkt der Faschisten und Demokraten auseinandergesetzt, sondern einfach behauptet, die hätten es nicht so mit der "korrekte[n] Analyse der Umstände", was jetzt auch nicht gerade faire Rhetorik ist. Aber du hast ja dankenswerterweise schon erklärt, wie das mit dem Fingerzeigen funktioniert...
Inhaltlich ist mir aber immer noch nicht klar, warum jetzt genau das Skeptikerargument unfair ist. Man kann übrigens unabhängig von der grundsätzlichen Annahme, dass Wissen vorläufig ist, auf die Positionen anderer eingehen. Ich habe mich in meiner Erinnerung jedenfalls noch nie mit dem Hinweis "Sind ja eh alles nur Meinungen..." vor einer inhaltlichen Diskussion gedrückt.
Teh Asphyx hat geschrieben:Mir ist lieber jemand steht zu dem, was er sagt und zwar ohne Zweifel. Man kann es auch mal mit der Einstellung versuchen, wie sie Hans Albert formuliert hat: „Bisher habe ich jedenfalls nichts gehört, was mich davon abbringen könnte.“ Denn so in etwa sehe ich das, wenn jemand meint, dass ich falsch liege, dann darf er mich gerne mit guten Argumenten darauf hinweisen, aber irgendwie allein schon eine relativistische Position einzunehmen um damit schon die „Richtigkeit“ der eigenen Position zu behaupten ist – gerade bei dieser Einstellung – hanebüchen.
Ja, auf jeden Fall. Aber was hat das mit unserer Diskussion zu tun?
Teh Asphyx hat geschrieben:Churchill bezieht sich allerdings nur auf ihn bekannte patriarchale, weiße, westliche Gesellschaftssysteme, da mag die Demokratie vielleicht von denen, die noch überliefert sind, die beste sein, ist dann nur die Frage welche Demokratie gemeint ist und warum das ausgerechnet ein Brite meint sagen zu können …
Ich dachte, es kommt nur darauf an, die Wahrheit zu sagen...

Mir ist im Übrigen bewusst, welche Schwächen die repräsentative Demokratie hat, mir sind aber auch die Schwächen von deliberativen oder Rätedemokratien bekannt. Mein Angebot, darüber mal ausführlich in einem eigenen Thread zu reden, steht natürlich weiterhin. Ich bin nur der Meinung, dass du da den Anfang machen solltest, weil du mir irgendwie die steilere These zu haben scheinst.