provinzler hat geschrieben:Nanna hat geschrieben: Die AfD-Wählerschaft ist nicht homogen, das ist ja gerade der Punkt.
Ich kenne jemand, der als Deligierter die Listenaufstellungen mitgekriegt hat. Ich kenn den aus dem Dunstkreis der Hayek-Gesellschaft. Und der meinte, da wären viele Mittfünfziger gewesen, die hofften mit nem halben Jahr Arbeit im Wahlkampf sich 4 Jahre Abgeordetensalär und anschließende hochdotierte Pension zu verdienen. Und mangels Kandidaten kamen die auch vielerorts zum Zug, um die Listen vollzukriegen. Aufgestellt wurde meist, wer als erster hier gerufen hat. Entsprechend heterogen ist auch schon die politische Einstellung auf dieser "Funktionärsebene".
Keine Fangfrage, sondern wirklich ernst gefragt: Macht dich das eigentlich betrübt, dass es selbst in diesen Kreisen auch schamlosen Opportunismus gibt?
provinzler hat geschrieben:Nanna hat geschrieben:Ansonsten, ja, Skandal, dass ich eine gemäßigte Politik der Mitte unterstütze. Das musste unbedingt mal jemand enthüllen, dass ich so ein fürchterlicher Apparatschik bin.

Ich und manch andrer sind halt der Auffassung, dass ein simples "weiter so" nicht dauerhaft funktionieren wird.
Da sind wir uns auch vollkommen einig. Und ich bin durchaus nicht derjenige, der Probleme grundsätzlich mit Regulierung bekämpfen will. Dass ich hier überhaupt regelmäßig argumentativ für Regulierung eintrete, liegt auch daran, dass ich von gewissen libertären Beinahe-Anarchisten dieses Thema regelmäßig aufgedrängt bekomme.

Die Schwierigkeit, die ich sehe, ist, dass momenta, wie in jeder Krise, unheimlich viele Messiasse (gibt's da einen Plural?) herumlaufen, die ganz genau zu wissen meinen, was in diesem Land sowieso schon immer grundsätzlich anders gehörte. Wenn ich sowas höre, ist mein erster Gedanke meist "Ok, so machen wir's besser schonmal nicht, wer so engstirnig seine Agenda vertritt, hat mit so großer Wahrscheinlichkeit etwas übersehen, dass wir die Version schon mal knicken können". Das heißt, je emotionaler man mich anschreit, dass eh alles scheiße ist und endlich mal nur einer "die Wahrheit" sagen muss ("Wahrheit" ist in dem Kontext meist ein extrem reduktionistisches, pauschalisierendes Weltbild voller Ressistements und hat mit Wahrheit als Erkenntnis im philosophisch belastbaren Sinne überhaupt nichts zu tun), desto weniger nehme ich den Sender solcher Botschaften ernst.
Wenn ich also sage "Vorsicht, die Situation ist komplex, lasst uns zweimal drüber nachdenken, bevor wir Sachen zu Klump schmeißen, die vielleicht noch funktionieren und zu denen wir derzeit keine realistisch gangbare Alternative haben.", dann meine ich damit nicht, dass wir Veränderung aus Prinzip vermeiden sollten oder nicht den Mut zu kühnen Reformen haben sollten. Ich sage nur: Lasst uns pragmatisch sein und den ganzen Eifer mit den Reinheitsfantasien bitte weggepackt lassen. Und wenn ich dann immer wieder vernehme, dass man "das System" von den Schmarotzern reinigen muss, dann klingt das in meinen Augen verdammt grenzwertig, wenn man sich die dahinterliegende Botschaft mal in Ruhe ansieht.
Insofern, nein, es kann kein "weiter so" geben, aber das
blame game zu spielen, hilft gerade auch niemandem weiter. Deutsche Spießbürger beschimpfen die Griechen als faul und griechische Spießbürger beschimpfen Merkel als Hitler, wem nützt das denn? Das letzte, was die Situation braucht, ist noch ein Idiot, der mit dem Finger zeigt. Es braucht eine ruhige, klare Analyse oder permanente Schuldzuweisungen und eine Perspektive, die für alle Beteiligten Hoffnung bereit hält. Und in dem Kontext habe ich auch kein Problem mit einer schonungslosen Analyse der ökonomischen Situation, ganz im Gegenteil.
provinzler hat geschrieben:Du wirst den deutschen Wähler nicht dauerhaft vermitteln können, dass sie mit 67 in Rente gehen und dafür zahlen, dass die Franzosen mit 60 verrentet werden. Und ich befürchte eine massive und radikale Gegenbewegung, wenn der Bogen weiter so gnadenlos überspannt wird...
Ja, ich auch und ich stimme dir absolut zu. Da braucht es jemanden, der es schafft, den Rentnern in beiden Ländern die Realität zu vermitteln. Also den Franzosen klar macht, dass eine drastische Erhöhung des Renteneintrittsalters ansteht und den Deutschen klar macht, dass sie zu wenig Kinder gekriegt haben und jetzt akzeptieren müssen, dass schlicht keiner da ist, der ihre Luxusrenten finanzieren kann. Und ich sage keinesfalls, dass das eine leichte Aufgabe ist und ohne Konflikte bleiben wird. Es geht um die Art und Weise, wie man es vermittelt. Man kann sagen "Die scheiß Rentner in Frankreich stehlen unser Geld, weg mit denen, keine EU, blabla kreisch zeter" oder man kann versuchen, auch die betroffenen Rentner ernst zu nehmen und von ihnen verlangen, dass sie aus Vernunft mitziehen und solidarisch etwas für ihr Land und ihre Gesellschaft tun, indem sie auf Ansprüche verzichten. Hart wird's so und so, aber am Anfang jedes Liberalismus steht doch, die Menschen ernst zu nehmen, oder nicht?
xander1 hat geschrieben:Nanna hat geschrieben:die geistigen Perlen der AfD-Anhänger
Für mich zählt für was eine Partei steht und nicht mit was andere diese Parteien in den Dreck ziehen wollen.
Wofür eine Partei steht, ist eine Frage der Perspektive und letztlich entscheidet die Diskursgemeinschaft darüber. Übrigens sind diese Äußerungen authentisch von AfD-Anhängern, und wenn du diese Kritik abtust als Nestbeschmutzerei, offenbarst du genau diese Obsession mit Reinheit, die ich oben als so gefährlich geschildert habe.
xander1 hat geschrieben:Etablierte Parteien sind nicht nur gemäßigter, sondern auch anfälliger für legale Korruption, was sich auch Parteispenden nennt oder auch Nebenjobs, die Gehalt liefern, ohne dass man wirklich angemessen dafür arbeitet.
Ja, und intelligente Menschen leiden häufiger unter Schlafmangel und sind statistisch häufiger von Alkoholgenuss betroffen. Das hat nur nichts damit zu tun, dass sie trotzdem die besseren Ideen haben. Dass etwas Negatives mit einer bestimmten Sache assoziiert ist, hat nicht unbedingt eine grundlegende Bedeutung und in deinem Fall geht es am Kern meilenweit vorbei.
xander1 hat geschrieben:DAS ist für mich ein Grund andere Parteien zu wählen, und nicht weil ich was radikaleres will. So wie du es wieder hinstellst mit emotionalisiernder Strategie: "Die anderen sind immer die Schuldigen. Die anderen können nicht richtig denken. Die anderen sind radikal, ich aber nicht."
Ne, das ist eigentlich 1a das, was die AfD im Wahlkampf gemacht hat. Von "sozialem Bodensatz", von restriktiveren Einwanderungsregeln, von einem Rauswurf Griechenlands aus dem Euro, von einem drohenden Verlust des "abendländischen Charakters" der EU bei einer Aufnahme der Türkei undsoweiterundsofort hat die AfD gesprochen. Es ist die AfD, die kräftig Schuldzuweisungen verteilt. Ich vergelte da nur Gleiches mit Gleichem, weil das nicht unwidersprochen stehen bleiben kann.
xander1 hat geschrieben:Wer mit so einer emotionaler Methodik redet, anstelle vernunftbasierte Argumente zu wählen....
Na, dann drück dich ausnahmsweise mal nicht, und argumentier doch selbst mal. Bislang stehen deine dürftigen Behauptungen von wegen "vernunftbasierter Argumente" gegen einen ziemlichen Textkorpus von mir, wo ich meine Positionen detailliert dargelegt habe - nicht nur hier, sondern auch im Rest des Forums. Bitte, ich bin hier, man kann mit mir reden und argumentieren.
fopa hat geschrieben:Du scheinst mir eher das nachzubeten, was in unseren "ausgewogen berichtenden" öffentlich-rechtlichen Medien gepredigt wird.
Das Medien eine bias haben, habe ich durchaus reflektiert. Aber warum glaubst du eigentlich, dass ich ein gleichgeschalteter Mediengläubiger wäre? Weil jemand, der eine ähnliche Meinung hat, wie sie in Mainstream-Medien u.a. vertreten wird, ja schon per default keinen eigenen Verstand haben kann?
fopa hat geschrieben:Die gemäßigte Politik der Mitte (was immer du darunter verstehst) zu unterstützen, ist eine Sache. Eine andere ist es, Parteien und vor allem deren personelle Vertreter oder Anhänger (Menschen) aufgrund ihrer (legitimen) Meinung herabzuwürdigen.
Lass dir mal von den Libertären und AfD-Freunden hier den Wert einer guten Polemik erklären.

Und ich glaube nicht, dass ich die AfD hier in irgendeiner Form dämonisiert habe. Aber interessant, wie dünnhäutig manch einer hier wird. Störe ich etwa die Erlösungsfantasien?
fopa hat geschrieben:Dass diese Partei derzeit an der Realität zurechtgeschliffen würde, sehe ich nicht. Dein Eindruck mag dadurch entstanden sein, dass die politische Meinungsbildung linksorientierter Politiker und Journalisten Früchte trägt und viele früher als radikal geltende Positionen salonfähig gemacht hat.
Ein Etablierungsprozess läuft selbstverständlich in zwei Richtungen ab. Black Metal oder Punk z.B. haben ja auch nicht nur den Geschmack der Gesellschaft verändert, sondern sind über die Jahre selbst auch von den Konsumgewohnheiten der Mehrheitsgesellschaft geglättet worden.
fopa hat geschrieben:Ich empfinde das Programm der AfD als vollkommen legitim und in keiner Weise undemokratisch, auch wenn ich in den meisten Punkten anderere Ansichten habe. Dasselbe gilt für die prominenten Vertreter der Partei.
In Bezug auf die LINKE kann ich genau das wiederholen.
Und wo genau habe ich gesagt, dass die AfD undemokratisch wäre? Ich finde viele ihrer Botschaften bescheuert und populistisch, aber das schöne an der Demokratie ist ja, dass man bescheuert und demokratisch gleichzeitig sein kann und das dank Meinungsfreiheit sogar in der Öffentlichkeit. Und genauso kann ich das andersherum zum Ausdruck bringen, ohne selbst undemokratisch zu sein. Man muss sich nicht lieb haben in einer Demokratie, aber man muss die Anderen als Personen achten. Ich würde den AfDlern nie den Mund verbieten oder auf die Idee kommen, ihnen Bürgerrechte wegzunehmen, trotzdem halte ich einen signifikanten Anteil für reaktionäre, selbstgerechte Spießer. Ist ok, die haben auch ihre Existenzberechtigung. Ich finde nur nicht, dass ihr Beitrag zum politischen Diskurs besonders vielversprechend ist. Und wer sich davon schon dehumanisiert fühlt, ist ein schlimmerer political-correctness-Gesinnungsterrorist als alle rot-grünen Gutmenschen zwischen Flensburg und Rosenheim.