Lumen hat geschrieben:Nanna hat geschrieben:Da ich häufig implizite Annahmen wittere, die expliziert werden müssten, finde ich das ganz positiv, auch wenn der Kommentar vermutlich so nicht gemeint war.
Es war so gemeint, dass die grundsätzlichen Sachen einmal geklärt werden. Ich mache meine Annahmen in der Regel deutlich. Im Gegenteil, du (und auch Vollbreit) neigt dazu, mit versteckten Annahmen zu diskutieren.
Möchtest du da mal eine zitieren?
Lumen hat geschrieben:Der Kirchgänger hat mit religiös motivierten Verbrechen doch erstmal nichts zu tun, daher muss ich ihn nicht ausnehmen, noch muss ich in bereits vollgestellten Themen Erklärungen ranhängen, inwiefern sie durch Tradition, Mitgliedschaft in Organisationen oder Religionsgemeinschaften drinhängen. Soweit kommen wir in der Regel garnicht.
Korrigiere mich bitte, falls ich falsch liege, aber war eine deiner Lieblingsthesen nicht, dass Religiosität
als solche immer eine schiefe Ebene zum Fanatismus darstelle und dass auch moderate, aufgeklärte Religiöse quasi Steigbügelhalter für religiöse Gewalt wären? Denn ich habe irgendwie im Kopf, sowas in der Richtung von dir und auch von Leuten, die du gern zitierst, Dawkins etwa, relativ oft gehört zu haben.
Lumen hat geschrieben:Mein Argument ist wesentlich einfacher und wesentlich expliziter, und was dir dann aber bisher komplett entgangen ist.
Zu gelingender Kommunikation gehören immer zwei...
Lumen hat geschrieben:Man kann nicht pauschal seine Religionsgemeinschaft als besonders moralisch, nächstenliebend oder wie auch immer anpreisen, wenn sich das nach Faktenlage schwer halten lässt. Diese Anpreisung hat verschiedene gesellschaftliche und historische Dimensionen, z.B. die christliche Tradition der Nächstenliebe, die es angeblich gegeben habe und die, implizit, der Kirche eine moralische Autorität zugesteht. Daran habe ich meine Zweifel.
Ich sehe die Tradition der Nächstenliebe durchaus als empirisch zeigbare Linie christlichen Denkens - nicht als essentielles Christentum. Da ich die Wandelbarkeit von Begriffen selber relativ oft thematisiere, stellt es für mich keinen Widerspruch dar, dass z.B. die Prunksucht der Päpste und der Asketismus der Franziskaner von ihren jeweiligen Protagonisten unter demselben Dach angesiedelt wurden. Es sind zwei sehr verschiedene Interpretationslinien mit überschneidenden Motiven, und ich habe keinerlei Bedürfnis, jemandem vorzuschreiben, was er davon als "christlicher" wahrnimmt. Das sollen diejenigen, die sich als Christen bezeichnen, gerne selber mit sich ausmachen.
Dass Gewalt in fast allen Religionen Teil der Historie ist, manchmal sogar ein sehr zentraler, ist unbestritten und zu behaupten, Religion "als solche" sei friedensstifend würde ich schon deshalb ablehnen, weil das eine essentialistische Zuschreibung wäre. Wir wissen im Gegenteil etwa aus der Analyse sozialer Bewegungen, dass Konflikte mit religiösem framing zu den extremsten und eskalationsfreudigsten gehören. Daraus folgt aber nach allen Regeln der Logik eben genau nicht der Umkehrschluss, also dass es radikal pazifistische, selbstlose, asketische, empathische (usw.) Strömungen nicht geben könne. Und ich stimme zwar aus analytischer Sicht nicht zu, aber es würde mich nicht irritieren, wenn Angehörige solcher Strömungen für sich in Anspruch nähmen, eine reinere Form von Religiosität zu leben.
Lumen hat geschrieben:Etwas zu zweifeln bedeutet nicht das Gegenteil der Aussage, wie du fälschlich annimmst. Du Zweifelst meinen Zweifel an, sozusagen, und beförderst somit die originale Aussage, nämlich dass es die „christliche Nächstenliebe“ gibt oder gegeben habe – natürlich belegfrei und argumentfrei. Das wird „per default“ in Deutschland angenommen und wird nirgends belegt. Wenn ein dann z.B. ein Politiker darauf rekurriert, wundert sich niemand. Die lieben Christen – das ist gegeben.
Das habe ich nie gesagt, da vermischt du irgendwelche deiner persönlichen Wahrnehmungen von der politischen Kultur in Deutschland mit dem, was ich so gesagt habe. Und fast noch schwerwiegender: Du begehst deinen eigenen Fehler genau im Folgesatz: Erst sagst du, dass ein Zweifel nicht das Gegenteil der bezweifelten Aussage nach sich zöge, und dann behauptest du, dass
mein spezifischer Zweifel aber genau das könne, also die Originalaussage bestärken. Warum solltest du etwas anweifeln können, ohne die gegenteilige Aussage zu stärken und ich nicht? Warum kann ich nicht einfach weder deine Aussage noch irgendwelche Politikerphrasen von der essentiellen Gutheit des Christentums ablehnen? Tue ich nämlich.
Lumen hat geschrieben:In Deutschland...
Auch wenn nationalistische Werbekampagnen mir anderes einreden wollen: Ich bin nicht Deutschland. Hör auf mir den Stuß anderer Leute in den Mund zu legen. Ich stehe hier für mich und für sonst niemanden.
Lumen hat geschrieben:Wenn man argumentiert, der Bonhoeffer hat wegen seines Glaubens Widerstand geleistet, dann muss man auch sagen, dass Millionen trotz Glaubens keinen geleistet haben. Ergo, gehen die zentrale These von der Nächstenliebe und der moralische Anspruch in die Binsen. Das ist der Punkt. 800 tote Kinder und die Umstände sind eben ein weiteres Beispiel. Auch hier: wie kann das Christentum seine mythische Wirkung entfalten, wenn es zu solchen Situationen kommen kann?
Das ist mir doch an dieser Stelle egal. Ich habe nur einen einzigen Punkt, und zwar dass du Bonhoeffer und die Kreuzfahrer auseinander hältst und nicht den friedlichen religiösen Strömungen die Verantwortung für die Taten ihrer hässlichen Geschwister zuschiebst. Etwas anderes wäre es, wenn Bonhoeffer die Kreuzfahrer verteidigt hätte (ich nehme nicht an, dass er das getan hat). Dann kann er
individuell dafür kritisiert werden.
Lumen hat geschrieben:Und genau da, trotz deiner Behauptungen das sei alles Religionskritik von Gestern und Abgehakt, gehst du schon hart in die Eisen. Damit agierst du im Endeffekt wie ein Apologet.
Ich habe niemanden entschuldigt. Ich kann nur nicht verstehen, warum du immer wieder dieselben Themen durchackerst. Wir sind hier in einem Naturalistenforum im Land von Feuerbach und Marx - wer braucht hier bitteschön die Standarddekonstruktion von Religion aus dem 19. Jahrhundert? Das haben wir alle hunderte Male gehört. Ist halt unoriginell und für die akademische Diskussion langweilig, weil hinlänglich bekannt. Ich hätte halt einfach gerne was neues, und das kannst du offenbar nicht liefern.
Lumen hat geschrieben:Ich will dir das nochmal schematisch vor Augen führen.
Person A: Leute, die blaue Hüte tragen sind moralisch absolute Vorbilder. Da gibt’s nichts was man denen vorwerfen kann.
Person B: jemand mit blauem Hut hat 1953 vier Menschen erschossen.
Es wird die Behauptung von A in Zweifel gezogen
Nanna/Vollbreit Antwort: dich interessieren nur Mord und Totschlag!
A stimmt und solle bitte nicht in Zweifel gezogen werden
Diese Auseinandersetzung, die du da skizzierst, haben wir nur nie geführt.
Niemand hier im Forum hat auch nur annähernd Ähnlichkeit mit Person A, nicht mal stine. Es geht hier immer bei Person B los, die ungefragt losquakt, dass sie wieder irgendein vergessenes religiös motiviertes Massaker gefunden hat und ich kann dann halt nicht mehr tun als die Augen zu verdrehen und zu sagen "Jaaa doch... wir haben's schon beim ersten Mal gehört und verstanden."
Vielleicht muss dir das ja mal jemand klar sagen, weil du es vor lauter Blutspritzern auf dem Bildschirm nicht mitgekriegt hast:
Es stimmt hier niemand Person A zu.Lumen hat geschrieben:Es ist doch für alle anderen bestimmt schon ein Running Gag, dass ich immer darauf hinweise, dass es um Glaubenssysteme geht, nicht um Gläubige. Sofern ist dein abstrakter Vorwurf ohne konkrete Beispiele unbrauchbar und auch zu bezweifeln. Es wäre mir in diesem Fall z.B. nicht klar, was der durchschnittliche deutsche katholische Kirchgänger aus deinem Beispiel mit den Geschehnissen in Irland zu tun haben könnte, außer dass er über Beiträge und Mitgliedschaft bestimmte Strukture unterstützt, die das zulassen. Das ist aber eben mindestens der Fall. Er ist nicht gänzlich unbeteiligt.
Nein, aber das ist ein Zuschauer bei einem Verkehrsunfall auch nicht. Feinden wir also Autofahrer an, weil sie ein mörderisches System unterstützen?
Mich persönlich interessieren deine Thesen über "Glaubenssysteme" nicht, schon weil deine Rhetorik häufig weit weg ist von einer sachlich-distanzierten Analyse. Entweder werden die emotionalisierenden Schilderungen mit Schockwirkung rausgezogen, oder es wird irgendein stumpfsinniges Bildchen aus irgendeinem Blog ernsthaft mit so einer "Da siehste!"-Äußerung als schlagendes Argument eingebettet, oder es kommen Listen im assertorischen Stil, wo dann aufgezählt wird, was alles so gelte, obwohl es von impliziten Annahmen nur so wimmelt und kein einziger Satz belegt wird (
Beispiel). Und mit belegt meine ich nicht ein intuitives "das sieht man doch", sondern eine knackige wissenschaftliche Quelle.
Lumen hat geschrieben: Du blendest aus, wie deine eigenen Antworten oder die von Vollbreit zu einem Klima beitragen und dein hartes Leugnen, dass Zweifel bei religiösen Behauptungen angebracht ist. Dabei sahst du dich nie genötigt, das, was du implizit verteidigst dann auch durchzufechten (denn damit bist du Behaupter). Da sind deine Erwartungen an mich dann doch recht einseitig.
Ich habe den großen Vorteil, auf einer liberalen Position zu stehen, wo ich außer dem Recht, dir für deinen Quark widersprechen zu dürfen, gar nichts durchfechten muss. Ich kann, im Gegensatz zu dir, meinen Paternalismus in der Hosentasche lassen und muss nicht Religiösen vorschreiben, was gut für sie sei. Das sollen die selber rausfinden. Ich habe gar nichts dagegen, wenn jemand sie da mal irritiert und zum Nachdenken bewegt, aber dann bitte mit etwas mehr Respekt und psychologischem Geschick in der Gesprächsführung - außerdem nicht hier, denn hier laufen gar keine Religiösen herum, die man ein bisschen herausfordern könnte. Wenn du mutig wärst, wärst du bei kath.net und Co. unterwegs.
Nanna hat geschrieben:Aktuell wurde in den USA höchstrichterlich zugelassen, das Firmen religiöse Gefühle und Überzeugungen haben können und aufgrund dessen können sie Angestellten bestimmte Rechte verweigern.
Ja - und was belegt das jetzt, außer, dass fünf alte konservative Männer aus demselben politischen Lager selten gute Entscheidungen für die Frauen eines Land treffen?
Lumen hat geschrieben:Buchstäblich muss nicht der religiöse erklären, warum z.B. die Schöpfung nicht in den Unterricht gehört, nein, andere müssen – laut deiner gesammelten Präsentation hier – komplett darlegen, inwiefern Wissenschaften wahr sind, warum sie gelehrt werden sollten, welche Werte und Annahmen da mit hineinfließen, plus Paradigmenwechsel und so weiter und so fort.
Habe ich nie gesagt. Der Religiöse muss genauso ausführlich belegen, warum seine Schöpfungsmythologie in den
Biologieunterricht gehört und da hat er, denke ich, schlechtere Karten.
Lumen hat geschrieben:Das kümmert nur Gauck, Wulff, Wolff, Koch, Althaus, und wie sie alle heißen herzlich wenig. Die freuen sich, dass jemand wie du ihre unbelegten und nicht mehr rechtzufertigen Ansichten beschützt, indem jeder Zweifel und jede Kritik im Keim erstickt wird.
Wow, ich wusste nicht, was ich für eine Macht habe. Hey... krieg ich'n Dienstwagen und ne Leibrente?
Lumen hat geschrieben:Da gibt es dann schon eine gewisse Allergie auf meiner Seite wenn ihr beide (du und Vollbreit) dann auch noch, fast nach Drehbuch, die Evolutionstheorie mit hineinzieht. Nach ein paar Beiträgen von euch war es aus meiner Sicht gerechtfertigt, mal die Vermutung in den Raum zu stellen, ihr vertretet entsprechende Ansichten. Ich habe das zwar nie ernsthaft angenommen, aber der Eindruck war doch schon ab und zu mal vorhanden. Wäre in Ordnung gewesen, nur fand ich, sollte man dann mit offenem Visir auch dazu stehen. Dass widerum hätte aber die Bürde umgedreht, Argumente selbst zu untermauern und genau das habt ihr tunlichst, und wohl bis zur Schließung des Forums, vermieden.
Du hast nie wirklich begriffen, worum es uns ging (die Evolutionstheorie und Gott und das ganze Gedöns sind dabei wirklich nur Statisten), und das ist schade, aber wer nicht will, der hat wohl schon.
Lumen hat geschrieben:Nanna hat geschrieben:Aber nein, es gibt kein Christentum im Sinne einer platonischen Idee.
Auch dieser ganze Absatz da drüber wurde nicht bestritten. Nichtsdestotrotz gibt es „das Christentum“ und „das Christliche Abendland“ oder die „christliche Nächstenliebe“ als häufig vorkommende Behauptungen (z.B. in den Reden von Bundespräsidenten) und die wiederum beziehen sich auf etwas, und dieses etwas kann natürlich so in Frage gestellt werden. Und mehr wurde auch nicht unternommen.
Was heißt hier "infrage stellen"? Was stellst du infrage? Was ist denn das "etwas", auf das das Christentum sich bezieht? Jesus von Nazareth? Die Bibel? Gott? Paulus? Ein religiöses Metasystem?
Lumen hat geschrieben:Wieder deine akademische Arroganz. Dabei weißt du nichtmal, wie es auf meiner Seite aussieht und ich ziehe eine gewisse Freude aus dieser Tatsache. Es war bisher mein Eindruck, dass ich noch eher meine Begriffe und Definitionen darlege als andere.
Na, dann mach mal, siehe eins drüber.
Lumen hat geschrieben:Konkret: inwiefern befördert es das Zusammenleben, dass ich z.B. Konzepte wie die „christliche Nächstenliebe“ mittragen soll?
Hat niemand von dir verlangt.
Lumen hat geschrieben:Warum sollte ich es das christliche „branding“ von Moral durch Fernsehpfarrer, Wort zum Sonntag und ähnliche Beiträge kritiklos hinnehmen?
Hat niemand von dir verlangt. Hat aber auch niemand von dir verlangt, dir das Wort zum Sonntag anzusehen.
Lumen hat geschrieben:Wollen wir vorgreifen und mal annehmen, dass du mir zugestehst, damit ein Problem zu haben: Was genau ist dann deine Kritik? Wir drehen uns hier im Kreis.
Hey, das ganze Leben ist ein Kreislauf.
Äh, und nein, ich gestehe dir nicht wirklich zu, damit ein Problem zu haben. Mach dich frei davon, denn wie du schon richtig andeutest: Es ist
dein Problem. Das Wort zum Sonntag ruft nicht zur Gewalt auf, der Fernsehpfarrer auch nicht, "christliche Nächstenliebe" tut es auch nicht. Wenn du dich davon provoziert fühlst, dass andere Leute ihre Riten brauchen, würde ich vorschlagen, dass du das mit dir selber klärst. Und wenn es dich dann immer noch so stört, dann sei halt mutig, und geh zum katholischen Pfarrer oder schreib Gauck einen Brief und frag ihn, wie er die Grausamkeiten, die im Namen der Religion begangen wurden, mit sich vereinbaren kann. Kannst du ja gerne ausführlich begründen.
Lumen hat geschrieben:Nichtsdestrotz spukt diese Ansicht noch immer herum und bis in höchste politische Ebene sieht man sich nicht genötigt, die Tradition der Aufklärung, Wissenschaften und so weiter zu würdigen (und bevor das hier ausufert, lass mich vorgreifen, dass es auch da Schattenseiten gibt und komplexere Themen gibt, z.B. warum überhaupt Traditionen und Gruppen würdigen?)
Ich kann deine Beobachtung, dass das nicht gewürdigt würde, überhaupt nicht teilen. Vor nicht allzu langer Zeit wurde ein überaus populärer christlicher Minister gefeuert, weil er gegen wissenschaftliche Grundregeln verstoßen hat. Nur ein Beispiel dafür,
wie stark das akademische Milieu in Deutschland ist.