Menschenrechte und ihre Begründung

Re: Menschenrechte und ihre Begründung

Beitragvon Fisherman's Fellow » Do 24. Apr 2008, 17:27

Mark hat geschrieben:Aber wie kommt es denn, daß so viele Christen in der Welt trotzdem so militant sind ? Ich habe persönlich schon mit vielen Christen diskutiert, die jederzeit zur Waffe greifen würden um einen Einbrecher präventiv zu erschiessen

Offen gesagt ist mir das auch ein Rätsel. In den USA gibt es gerade in "frommen" Staaten Gemeinden, die Leuten ohne Schusswaffen verbieten, sich dort anzusiedeln.
Ok, wenn ich genau drüber nachdenke, kann ich vielleicht ein paar Anhaltspunkte nennen.
Der erste Weg des Christentums hin zur Gewalt waren die Christenverfolgungen, gefolgt von einer sehr plötzlichen Umwandlung der verfolgten Minderheit zur Quasi-Staatsreligion. Zuerst waren die Köpfe der Christen noch voller Leid und Gewalt, die von der Staatsmacht gegen sie ausgeübt wurde, und plötzlich - innerhalb von wenigen Jahrzehnten - waren sie die Mächtigen. Das ist ihnen überhaupt nicht gut bekommen. Man kann das am Beispiel von Nikolaus von Myra verdeutlichen, unserem "Sankt Nikolaus". Der saß während der diokletionaischen bzw galerianischen Christenverfolgung im Knast und entrann nur knapp dem Tode. Später, unter Konstantin, wurde er zum berühmten Bischof, und in seinen ganz späten Jahren war seine Machtposition so sicher, dass er sozusagen gegen die Heiden "zurückschlagen" bzw deren Abgötterei exekutiv bekämpfen konnte: In einer Nacht- und Nebel-Aktion fackelten seine Leute den größten heidnischen Tempel der Stadt ab.
Angestauter Hass - so zeigten auch viele andere Vorkommnisse dieser Zeit - lässt sich nicht so leicht durch Liebesgebote zähmen, und nachdem das Christentum Staatsreligion geworden war, wurde dieses Gebot sowieso ganz klein geschrieben.
Das Christentum der Spätantike mutet einem so fremdartig an, dass man sich fragt, ob nicht eine Religionsverwechslung vorliegt. Allein, dass es christliche Missionare schafften, germanische Stämme (wenigstens dem Namen nach) zu christianisieren, wobei deren Könige auch weiterhin nicht den netten Brauch aufgaben, den Siegestrank aus der Hirnschale des gegnerischen Häuptlings zu genießen, ist erstaunlich. Was sie definitiv nicht schafften, ist, die germanische Einstellung zum Wert eines Menschenlebens und zur Anwendung von Gewalt aus der Welt zu schaffen.
Sehr trefflich bringt zB Terry Jones (der von den Monty Pythons) in seiner Kreuzzüge-Reportage die psychische Verfassung eines ritterlichen Kreuzzüglers auf den Punkt.
Für die keltisch-germanischstämmigen Völker Europas galt das menschliche Leben lange Zeit als Handelsware, und auch wenn diese Wertigkeit durch die christliche Gottebenbildlichkeit des Menschen verdorben wurde, so blieb das Recht zur Gewaltanwendung (in bestimmten Situationen und an bestimmten Orten) ein wichtiges Merkmal eines freien Mannes - ganz zu schweigen von Edelleuten. Gerade in den angelächsischen und nordischen Ländern, wo sich noch relativ viele solcher Rechtsvorstellungen erhalten haben, merkt man das deutlich.
Darum gab es wohl ab dem frühen Mittelalter eine Spaltung der Christen in normale Volkschristen, die sich aufgrund ihrer unvermeidlich sündigen Lebensweise von einer Absolution bis zur nächsten hinüberretteten, und nonkonormistische Gemeinschaften, Orden, "religii", in denen versucht wurde/wird, das Evangelium möglichst rein zu leben.
Dem Martin Luther gefiel das gar nicht, weil er der Meinung war, dass sich ein verantwortlich lebender Mensch nicht davor drücken darf, sich seine Finger zu beschmutzen (zB durch politische Ämter), und gab die Losung aus: Peccate fortiter - "sündiget tapfer".
Er legitimierte mit seiner "Zwei-Reiche-Lehre" Polizei und Staatsgewalt, selbst wenn sie in Maßen über die Stränge schlägt, denn dem Übeltäter sei nicht mit Liebe und milden Worten beizukommen. Da helfe nur noch die alte Ordnung mit der Peitsche - sozusagen als Zwischenschritt vom Chaos zur einer göttlichen Ordnung der Liebe.
Heute sind wir - was christliche Legitimationsentwürfe betrifft - kaum weiter gekommen. Es gibt das an "germanische" Verhältnisse angepasste Kirchen- und Vergebungskonzept der katholischen Kirche, es gibt die Zwei-Reiche-Lehre in der evangelischen Kirche, und es gibt viele nonkornformistisch-pazifistische Gruppen, denen vorgeworfen wird, dass sie ihre Zahmheit nur darum ausleben können, weil ein "gewaltätiger" Staat sie schützt.

Mark hat geschrieben:es geht mir um die grosse Diversifizierung des Glaubens hier an und für sich, warum führt dieselbe Lehre nicht bei allen zu denselben Einsichten ?

Eine in sich geschlossene christliche Lehre exisitiert nicht. Selbst über die Grundlage aller christlich-religiösen Erfahrung, die Offenbarung, herrschen unterschiedliche Meinungen:
Die Katholiken sagen (zumindest offiziell): Gott offenbare sich in Jesus, in der Bibel und in der kirchlichen Tradition.
Die nichtkatholischen Fundamentalisten sagen: Gott offenbare sich in Jesus und in der Bibel.
Alle übrigen betrachten die Bibel nicht als Offenbarung, sondern nur Jesus.
Und einige, zB die Quäker, legen sich überhaupt nicht fest und sagen, dass sich Gott im inneren Licht offenbare, das einen erleuchte.

Das Einzige, was man als gemeinsamen Nenner aller christlichen Gruppen nennen kann, ist das Bekenntnis: "Christus ist der Herr."

Grüßle,
FF
Benutzeravatar
Fisherman's Fellow
 
Beiträge: 361
Registriert: Mi 30. Mai 2007, 17:19

Re: Menschenrechte und ihre Begründung

Beitragvon HF******* » Do 24. Apr 2008, 17:49

Mark schrieb:
Ja siehste... und wo ist das Problem das ganz genauso auf die Menschenrechte zu übertragen ?

Man müsste wohl die Menschenrechte einzeln begründen...
HF*******
 
Beiträge: 2651
Registriert: Do 19. Okt 2006, 11:59

Re: Menschenrechte und ihre Begründung

Beitragvon Qubit » Do 24. Apr 2008, 21:56

HFRudolph hat geschrieben:
Mark schrieb:
Ja siehste... und wo ist das Problem das ganz genauso auf die Menschenrechte zu übertragen ?

Man müsste wohl die Menschenrechte einzeln begründen...

Nochmal, Menschenrechte sind (wie alle Rechte und Gesetze fernab der Natur an sich) freie Erfindungen des menschlichen Geistes..
Du kannst eine "Selbstbegründung" schaffen, indem du diese Recbte in deinem Kontext begründest. Willst du eine Begründung für denjenigen, der sie befolgt, musst du sie in seinem Kontext "selbstbegründen".. dies ist zB gegeben, wenn er den selben Kontext hat. Generell musst du sie aber "postulieren" in dem Sinne, dass die Rechte in deinem Kontext "selbstbegründet" sind und fordern, dass sie deshalb jeder einzuhalten hat, unabhängig von seinem Kontext.
Wenn man nun fordert, dass Rechte, insbesondere "Menschenrechte", "begründet" sein sollen, dann muss man sich auf etwas beziehen, das den Kontext aller davon betroffenen umfasst.
Bsp. wäre so ein Kontext "Mensch sein". Wer "Mensch" ist, soll gewisse Rechte erhalten, sogenannte "Menschenrechte". Hierzu ist festzulegen(!) was der Kontext "Mensch sein" bedeutet, zB alle Menschenrassen. Soweit der Kontext zutrifft, hat man dann die "Menschrechte" begründet, wovon bsp. Affen ausgeschlossen sind. Ob jemand den Kontext jedoch für sich anerkennt, ist eine Frage der Konvention. Für dich selbst kannst du sie daher i.a. nur "postulieren" ;-)
Benutzeravatar
Qubit
 
Beiträge: 520
Registriert: Fr 29. Jun 2007, 15:44

Re: Menschenrechte und ihre Begründung

Beitragvon HF******* » Fr 25. Apr 2008, 09:37

@Qubit:
Richtig, Menschenrechte sind Wertungen der Menschen. Man kann dann versuchen, die Menschen von diesen Rechten zu überzeugen, indem man für diese Rechte argumentiert, sie also begründet. (Ich weiß jetzt nicht, was "selbst"-begründung sein soll).

Die Eigenschaft Mensch ist ein Regelungsinhalt dieser Normen, aber keine Begründung für die Rechte.
(Wir geraten in sprachliche Wirrungen).
HF*******
 
Beiträge: 2651
Registriert: Do 19. Okt 2006, 11:59

Re: Menschenrechte und ihre Begründung

Beitragvon Mark » Fr 25. Apr 2008, 11:02

Menschenrechte sind Erfahrungswerte. Sie wurden immer nur auf Grund von Problemen mit den betroffenen Objekten (= Menschen) verändert bzw überhaupt erst entwickelt, wobei die Tendenz zur Formulierung schon aus dem Alltagserleben eines jeden Einzelobjektes (Menschen) resultiert.
Damit sind also die Menschenrechte demokratische Werte. Was braucht man denn bitte noch ? Zweifeln die Religiösen auch die Demokratie an ? Upps..stimmt ja. das tun sie ja wirklich... nur in Amerika lassen sie es nicht sooo raushängen...
Benutzeravatar
Mark
 
Beiträge: 1683
Registriert: Do 30. Nov 2006, 18:19
Wohnort: München

Re: Menschenrechte und ihre Begründung

Beitragvon Fisherman's Fellow » Fr 25. Apr 2008, 13:21

Mark hat geschrieben:Menschenrechte sind Erfahrungswerte. Sie wurden immer nur auf Grund von Problemen mit den betroffenen Objekten (= Menschen) verändert bzw überhaupt erst entwickelt, wobei die Tendenz zur Formulierung schon aus dem Alltagserleben eines jeden Einzelobjektes (Menschen) resultiert.
Damit sind also die Menschenrechte demokratische Werte. Was braucht man denn bitte noch ?

Demokratien?

Das ethische Problem gesaltet sich so:
Wenn 'Menschenrechte' nur auf irgendwelchen (auswechselbaren - jeder Mensch macht andere) Erfahrungen beruhende Rechtsnormen sind, die anerkannt werden, wo auch andere demokratische Werte anerkannt werden, was geschieht dort, wo solche Rechtsnormen nicht anerkannt oder respektiert werden?
Die Antwort scheint mir zu sein: Nichts. Absolut rein gar nichts. Menschenrechte sind dort nicht einmal ein Ideal, erstens, weil die diktatorische Leitkultur des Regimes ihre eigene Philosophie auf gewisse Erfahrungen gründet, zweitens, weil Menschenrechte, wie oben definiert, nur als Rechtsnorm (Gesetz) und nicht als "unantastbare", ideelle Eigenschaft von Menschen begriffen werden, und drittens, weil in dem menschenverachtenden Politsystem, in dem sie nicht gelten, auch keine anderen demokratischen Werte gelten.
Konsequenz: Es ist purer Imperialismus, Menschenrechte in diktatorische Staaten exportieren zu wollen, oder auch nur, diese für diese Gebiete als besser zu bezeichnen als das bestehende System: Als menschengemachte, erfahrungsgestützte Norm haben sie dort schlicht nichts zu suchen.

Du wirst verstehen, dass ich mit so einer Argumentationslinie nur wenig anfangen kann.

Mark hat geschrieben:Zweifeln die Religiösen auch die Demokratie an ?

Nö.

Grüßle,
FF
Benutzeravatar
Fisherman's Fellow
 
Beiträge: 361
Registriert: Mi 30. Mai 2007, 17:19

Re: Menschenrechte und ihre Begründung

Beitragvon HF******* » Fr 25. Apr 2008, 15:05

@Fishermans Fellow: Verstehe die Ausführungen nicht.

Menschenrechte und Diktatur sind in dieser Allgemeinheit unvereinbar.

Fishermans Fellow schrieb:
Konsequenz: Es ist purer Imperialismus, Menschenrechte in diktatorische Staaten exportieren zu wollen, oder auch nur, diese für diese Gebiete als besser zu bezeichnen...

? Besser für wen oder was? Natürlich sind die Menschenrechte für den Diktator nicht besser, sondern für die Menschen... Das wäre dann also ein guter Imperialismus. Mit der Einführung der Menschenrechte endet eine Dikatur früher oder später. Beides verträgt sich nicht.

Als menschengemachte, erfahrungsgestützte Norm haben sie dort schlicht nichts zu suchen.

Von wem sollten Normen denn sonst gemacht werden, als von Menschen? (von Affen vielleicht noch...).
Wenn man sich für das Wohl der Menschen in Diktaturen einsetzt, setzt man sich zwangsläufig für Demokratie und Menschenrechte ein. Das ist eine logische Schlussfolgerung.

In dieser Abstraktion sind die Ausführungen nicht nachvollziehbar. Auf welche Diktatur beziehst Du Dich, den Vatikan?
HF*******
 
Beiträge: 2651
Registriert: Do 19. Okt 2006, 11:59

Re: Menschenrechte und ihre Begründung

Beitragvon HF******* » Fr 25. Apr 2008, 15:13

In einer rechtsstaatlichen Demokratie entscheiden die Menschen über die Werte, da haben Außerirdische nichts mitzureden.

Ich sehe ein, dass es sinnvoll sein kann, die Änderung von Grundwerten schwieriger auszugestalten, damit möglichst alle demokratischen Gruppen daran interessiert sind, diese Regeln so auszugestalten, dass sie auch darunter leben wollen würden, wenn sie nicht in der Mehrheit sind (Diese Gefahr besthet schließlich in einer Demokratie). Entprechend gibt es wohl auch in allen Demokratien Verfassungen.
HF*******
 
Beiträge: 2651
Registriert: Do 19. Okt 2006, 11:59

Re: Menschenrechte und ihre Begründung

Beitragvon Mark » Fr 25. Apr 2008, 15:27

Fisherman's Fellow hat geschrieben:
Mark hat geschrieben:Menschenrechte sind Erfahrungswerte. Sie wurden immer nur auf Grund von Problemen mit den betroffenen Objekten (= Menschen) verändert bzw überhaupt erst entwickelt, wobei die Tendenz zur Formulierung schon aus dem Alltagserleben eines jeden Einzelobjektes (Menschen) resultiert.
Damit sind also die Menschenrechte demokratische Werte. Was braucht man denn bitte noch ?

Demokratien?

Das ethische Problem gesaltet sich so:
Wenn 'Menschenrechte' nur auf irgendwelchen (auswechselbaren - jeder Mensch macht andere) Erfahrungen beruhende Rechtsnormen sind, die anerkannt werden, wo auch andere demokratische Werte anerkannt werden, was geschieht dort, wo solche Rechtsnormen nicht anerkannt oder respektiert werden?

Dort geschieht genau das gleiche, abhängig von den dort vorherrschenden Rahmenbedingungen.
Fisherman's Fellow hat geschrieben:Die Antwort scheint mir zu sein: Nichts. Absolut rein gar nichts.

Falsch. Es geschieht dort das, was geschieht. Die Menschen lehnen sich nicht auf weil sie ungebildet sind und/oder unorganisiert und/oder fanatisiert etc..
Also leiden sie weiter. Entweder also aus eigener Schuld und/oder aus Schuld derer die dafür Verantwortung tragen (Machthaber, religiöse Führer etc, manchesmal auch sogar der "demokratische Westen" selber !Denn viele Menschen hier denken wir können die Menschenrechte für uns super gut brauchen, aber die Chinesen ? oder Iraner ? die Sudaner ? Die brauchens wohl nicht...)
Fisherman's Fellow hat geschrieben: Menschenrechte sind dort nicht einmal ein Ideal,

Doch, für die gebildeten die wissen wie es anderswo abläuft !
Fisherman's Fellow hat geschrieben:erstens, weil die diktatorische Leitkultur des Regimes ihre eigene Philosophie auf gewisse Erfahrungen gründet, zweitens, weil Menschenrechte, wie oben definiert, nur als Rechtsnorm (Gesetz) und nicht als "unantastbare", ideelle Eigenschaft von Menschen begriffen werden,

Beweis ? Für mich persönlich ist die Tatsache, daß wir nach Jahrtausenden die Menschenrechte entwickeln mussten, weil die Gesellschaft sonst nicht zufrieden und friedlich und lebenswert sein kann, durchaus ein ideeller Wert ! Für Dich nicht ? Wen wunderts.
Fisherman's Fellow hat geschrieben:und drittens, weil in dem menschenverachtenden Politsystem, in dem sie nicht gelten, auch keine anderen demokratischen Werte gelten.
Konsequenz: Es ist purer Imperialismus, Menschenrechte in diktatorische Staaten exportieren zu wollen, oder auch nur, diese für diese Gebiete als besser zu bezeichnen als das bestehende System: Als menschengemachte, erfahrungsgestützte Norm haben sie dort schlicht nichts zu suchen.

Du wirst verstehen, dass ich mit so einer Argumentationslinie nur wenig anfangen kann.

Du wirst nicht verstehen, daß man keinen Gott braucht um Ideale zu haben... nicht solange Du Dich dermaßen selbst täuscht.
Fisherman's Fellow hat geschrieben:

Mark hat geschrieben:Zweifeln die Religiösen auch die Demokratie an ?

Nö.

Grüßle,
FF


Warum ? Hat Gott die Demokratie in der Bibel angekündigt ? So was wie die Koran-Gottesbeweise ?
Benutzeravatar
Mark
 
Beiträge: 1683
Registriert: Do 30. Nov 2006, 18:19
Wohnort: München

Re: Menschenrechte und ihre Begründung

Beitragvon HF******* » Fr 25. Apr 2008, 15:50

Mark hat geschrieben:
Fishermans Fellow hat geschrieben:
Mark hat geschrieben:Zweifeln die Religiösen auch die Demokratie an ?

Nö.

Grüßle,
FF


Warum ? Hat Gott die Demokratie in der Bibel angekündigt ? So was wie die Koran-Gottesbeweise ?

:lachtot: Schönes Argument, verstehe ich jetzt erst...
HF*******
 
Beiträge: 2651
Registriert: Do 19. Okt 2006, 11:59

Re: Menschenrechte und ihre Begründung

Beitragvon Fisherman's Fellow » Fr 25. Apr 2008, 17:33

HFRudolph hat geschrieben:? Besser für wen oder was? Natürlich sind die Menschenrechte für den Diktator nicht besser, sondern für die Menschen...

Wer gibt Dir denn das Recht, die Menschenrechte auch in einer undemokratischen Ordnung für "besser für die Menschen" zu halten? Sind Menschenrechte also doch mehr als nur ein erfahrungsabhängiges Postulat - also "gut an sich"?
Du musst Dich schon entscheiden.

HFRudolph hat geschrieben:Das wäre dann also ein guter Imperialismus. Mit der Einführung der Menschenrechte endet eine Dikatur früher oder später. Beides verträgt sich nicht.

In etlichen autoritären bzw diktatorischen Staaten wird die Politik der Regierung von den meisten Bewohnern gebilligt. Dein Werte-Imperialismus käme dort gar nicht so gut an.

HFRudolph hat geschrieben:
Als menschengemachte, erfahrungsgestützte Norm haben sie dort schlicht nichts zu suchen.

Von wem sollten Normen denn sonst gemacht werden, als von Menschen? (von Affen vielleicht noch...).

Das ist der Vorteil einer theistischen Werteordnung. Im Christentum erlässt Gott letztlich zwar keine Gesetze, aber er konstituiert Menschenwürde durch seine Gnade, die allen Menschen unverdientermaßen zuteil wird. Und aus dieser Würde (->GG) lässt sich Menschenrecht als Norm "an sich" ableiten.

HFRudolph hat geschrieben:Wenn man sich für das Wohl der Menschen in Diktaturen einsetzt, setzt man sich zwangsläufig für Demokratie und Menschenrechte ein. Das ist eine logische Schlussfolgerung.

Das stimmt häufig, aber nicht immer. Es gibt Situationen, in denen die Menschen Diktatoren wünschen, weil sie einer Demokratie nicht die Lösung ihrer Probleme zutrauen.

Freiheit und Gleichheit! hört man schallen, Der ruhge Bürger greift zur Wehr,
Die Straßen füllen sich, die Hallen, Und Würgerbanden ziehn umher,
Da werden Weiber zu Hyänen. Und treiben mit Entsetzen Scherz,
Noch zuckend, mit des Panthers Zähnen, Zerreißen sie des Feindes Herz.
Nichts Heiliges ist mehr, es lösen Sich alle Bande frommer Scheu,
Der Gute räumt den Platz dem Bösen, Und alle Laster walten frei.
Gefährlich ist's, den Leu zu wecken, Verderblich ist des Tigers Zahn,
Jedoch der schrecklichste der Schrecken, Das ist der Mensch in seinem Wahn.
Weh denen, die dem Ewigblinden Des Lichtes Himmelsfackel leihn!
Sie strahlt ihm nicht, sie kann nur zünden Und äschert Städt und Länder ein.

(Schiller)

HFRudolph hat geschrieben:Auf welche Diktatur beziehst Du Dich, den Vatikan?

Gute Idee! Ich dachte aber an Nazideutschland, die meisten arabischen Länder, China, Russland, Türkei, &c.

Grüßle,
FF
Benutzeravatar
Fisherman's Fellow
 
Beiträge: 361
Registriert: Mi 30. Mai 2007, 17:19

Re: Menschenrechte und ihre Begründung

Beitragvon Klaus » Fr 25. Apr 2008, 17:40

FF hat geschrieben:Gute Idee! Ich dachte aber an Nazideutschland, die meisten arabischen Länder, China, Russland, Türkei, &c.


Seit wann ist denn Russland eine Diktatur? Man sollte sich schon auf die Kategorie Diktatur vorher einigen um nicht aneinander vorbeizureden.
Benutzeravatar
Klaus
 
Beiträge: 4704
Registriert: Mo 11. Sep 2006, 21:43
Wohnort: get off the Net, I´ll meet you in the Streets

Re: Menschenrechte und ihre Begründung

Beitragvon Fisherman's Fellow » Fr 25. Apr 2008, 17:53

Mark hat geschrieben:Falsch. Es geschieht dort das, was geschieht. Die Menschen lehnen sich nicht auf weil sie ungebildet sind und/oder unorganisiert und/oder fanatisiert etc..
Also leiden sie weiter. Entweder also aus eigener Schuld und/oder aus Schuld derer die dafür Verantwortung tragen (Machthaber, religiöse Führer etc, manchesmal auch sogar der "demokratische Westen" selber !Denn viele Menschen hier denken wir können die Menschenrechte für uns super gut brauchen, aber die Chinesen ? oder Iraner ? die Sudaner ? Die brauchens wohl nicht...)

Was hat das mit "Schuld" zu tun? Besitzt Du etwa die Deutungshoheit für die Sudaneser oder Iraner? Das ist doch die Frage. Und mit "Nichts" meinte ich genau das, was Du auszuführen versuchst, nur hänge ich noch eine Schlussfolgerung dran: Wenn Menschenrecht ein reines Postulat ist, das von einer bestimmte Gesellschaft anerkannt wird, von einer anderen aber nicht, dann besitzt die erstere Gesellschaft keinerlei Recht, ihr "Menschenrecht" in die andere Gesellschaft zu exportieren. Denn in der dortigen Leitkultur ist Menschenrecht Gaga, es hat - buchstäblich - keinen Wert.

Meine edlen Gedanken über die Befreiung der dortigen Menschen zeigen nur, dass ich dieser fremden Ordnung meine Vorstellungen aufzwingen will - und diese Aussage gilt unabhängig davon, ob es dort viele Menschen gibt, die sich das wünschen, aber keinen Anteil an der dortigen Leitkultur haben!
Nur wenn ich nachweisen kann, dass Menschenrechte ein höheres Gut (oder gar das beste überhaupt) sind, dann ist solch ein Versuch legitim. Aber nebbich, sie sind ja nur ein erfahrungs- und kontextabhängiges Postulat wie jedes andere auch.


Mark hat geschrieben:
Fisherman's Fellow hat geschrieben: Menschenrechte sind dort nicht einmal ein Ideal,

Doch, für die gebildeten die wissen wie es anderswo abläuft !

Du meinst, die vom Westen Infiltrierten?
So sehen das nämlich die anderen Intellektuellen in diesen Ländern.

Mark hat geschrieben:Beweis ? Für mich persönlich ist die Tatsache, daß wir nach Jahrtausenden die Menschenrechte entwickeln mussten, weil die Gesellschaft sonst nicht zufrieden und friedlich und lebenswert sein kann, durchaus ein ideeller Wert ! Für Dich nicht ? Wen wunderts.

Wo hast Du eigentlich das teleologische Kriterium für eine Höherentwicklung der Menschheit her? Tatsache ist, dass gerade in den westlichen Ländern die Unzufriedenheit am größten, und in der steinzeitartigen Gesellschaft der Jungferninseln am geringsten ist.

Grüßle,
FF
Benutzeravatar
Fisherman's Fellow
 
Beiträge: 361
Registriert: Mi 30. Mai 2007, 17:19

Re: Menschenrechte und ihre Begründung

Beitragvon Fisherman's Fellow » Fr 25. Apr 2008, 17:56

Klaus hat geschrieben:
FF hat geschrieben:Gute Idee! Ich dachte aber an Nazideutschland, die meisten arabischen Länder, China, Russland, Türkei, &c.


Seit wann ist denn Russland eine Diktatur? Man sollte sich schon auf die Kategorie Diktatur vorher einigen um nicht aneinander vorbeizureden.


Russland ist keine Diktatur im strengen Sinne des Wortes, aber eine autoritäre Herrschaft, in der eine ernsthafte Opposition unterdrückt und zT eliminiert wird, und in der genau diese Politik die Mehrheit der Bevölkerung nicht stört.

Grüßle,
FF
Benutzeravatar
Fisherman's Fellow
 
Beiträge: 361
Registriert: Mi 30. Mai 2007, 17:19

Re: Menschenrechte und ihre Begründung

Beitragvon pinkwoolf » Fr 25. Apr 2008, 23:09

Fisherman's Fellow hat geschrieben:Russland ist keine Diktatur im strengen Sinne des Wortes, aber eine autoritäre Herrschaft, in der eine ernsthafte Opposition unterdrückt und zT eliminiert wird, und in der genau diese Politik die Mehrheit der Bevölkerung nicht stört.

Das trifft den Status quo recht genau. Ich gratuliere zu dieser pointierten Formulierung.
Und wie genau sollen wir in der Wolle gefärbten Demokraten diese Staatsform einschätzen?

=)
Benutzeravatar
pinkwoolf
 
Beiträge: 947
Registriert: Mo 17. Sep 2007, 18:58

Re: Menschenrechte und ihre Begründung

Beitragvon Fisherman's Fellow » Sa 26. Apr 2008, 00:04

pinkwoolf hat geschrieben:Und wie genau sollen wir in der Wolle gefärbten Demokraten diese Staatsform einschätzen?
=)

Das kann ich ja schlecht vorschreiben. Ich habe es nur angeführt, um die Problematik von Normen zu illustrieren, die allein auf Postulaten beruhen. Unsere "Leitkultur" ist von den Menschenrechten geprägt, so dass man dazu neigt, diese für einen hohen Wert an sich zu halten. ("Wo die Menschenrechte gelten, geht es den Menschen gut.")

Das ist aber ein Trugschluss in mehrfacher Hinsicht:

Erstens sind die meisten Russen mehr auf Wohlstand und Sicherheit bedacht als auf Menschenrechte.

Zweitens: Wenn ich im Rahmen meiner Leitkultur eine postulierte, erfahrungsabhängige Norm gut finde, so gibt es keinen Weg, diese auf Ecken der Welt zu übertragen, in der ganz andere Normen gelten. Denn es gibt dann eben keine "höheren Werte", und die subversive oder offensive Versorgung andersartiger politischer oder kultureller/religiöser Systeme mit den von uns liebgewonnenen Normen ist nichts anderes weltanschaulicher Imperialismus.

Drittens vermute ich, dass unsere eigene Gesellschaft gewaltsam auseinanderbrechen könnte (ähnlich wie in den zwanziger und dreißiger Jahren), falls sich die Vorstellung allgemein durchsetzt, dass es keine höheren Werte gibt, und noch irgendein kritischer Faktor hinzukommt (zB Ressourcenknappheit oder soziale Ungleichverteilung).

Grüßle,
FF
Benutzeravatar
Fisherman's Fellow
 
Beiträge: 361
Registriert: Mi 30. Mai 2007, 17:19

Re: Menschenrechte und ihre Begründung

Beitragvon HF******* » So 27. Apr 2008, 15:51

Fisherman's Fellow hat geschrieben:Wer gibt Dir denn das Recht, die Menschenrechte auch in einer undemokratischen Ordnung für "besser für die Menschen" zu halten?

Das widerspricht sich: Wenn Menschenrechte eingeführt werden, dann fällt jede Diktatur auf kurz oder lang. Aus den bereits dargestellten Gründen bin ich ein Vertreter der Demokratie.

Fisherman's Fellow hat geschrieben:Sind Menschenrechte also doch mehr als nur ein erfahrungsabhängiges Postulat - also "gut an sich"?
Du musst Dich schon entscheiden.

"erfahrungsabhängig" habe ich nicht geschrieben. Sofern man eine allgemeingültige Wertung überhaupt treffen kann, bezeichne ich diese als "gut". Allerdings habe ich ein anderes Verständnis von Gut und Böse als relative wertungsbedingte Begriffe, als Du es vermutlich hast. Es gibt kein absolutes Gut, es handelt sich um einen subjektiven Begriff.

Man sollte sich überhaupt einmal Gedanken machen, inwieweit diese religiöse, verabsolutierte Vorstellung von Gut und Böse überhaupt eine wesentliche Ursache von Krieg, Diktatur u. s. w. ist.

Fisherman's Fellow hat geschrieben:In etlichen autoritären bzw diktatorischen Staaten wird die Politik der Regierung von den meisten Bewohnern gebilligt. Dein Werte-Imperialismus käme dort gar nicht so gut an.

Das bestreite ich. Jede Regierung würde sich demokratisch legitimieren lassen, wenn sie die Möglichkeit dazu hätte. Ich unterstelle vielmehr, das in einer Dikatur die Regierenden immer in der Minderheit sind.

Fisherman's Fellow hat geschrieben:Das ist der Vorteil einer theistischen Werteordnung. Im Christentum erlässt Gott letztlich zwar keine Gesetze, aber er konstituiert Menschenwürde durch seine Gnade, die allen Menschen unverdientermaßen zuteil wird. Und aus dieser Würde (->GG) lässt sich Menschenrecht als Norm "an sich" ableiten.

Ist doch Unfug: Warum sollte sich jemand etwas von einem Außerirdischen vorschreiben lassen? Die Christengottheit ist nicht gnädig und es lässt sich aus dem Verhalten dieser Gottheit das staatliche Institut der Menschenwürde nicht ableiten. Dann leite doch mal ab!

Fisherman's Fellow hat geschrieben:Das stimmt häufig, aber nicht immer. Es gibt Situationen, in denen die Menschen Diktatoren wünschen, weil sie einer Demokratie nicht die Lösung ihrer Probleme zutrauen.

Wie gesagt: Das hat der unterschiedliche Erfahrungshorizont, die Intelligenz und die Beschaffenheit der Menschen so ansich, dass sie unterschiedliche Meinungen haben. Genau das wird aber von denjenigen Personen ignoriert, dass andere Menschen durch eine dikatorische Herrschaft unterdrückt werden. Natürlich möchte jeder nur die Diktatur, in der er herrscht. Das Bedeutet Leid und Kampf. Ich bin dagegen und Deine Relativierungen erreichen ein nahezu unerträgliches Maß.

Fisherman's Fellow hat geschrieben:Russland ist keine Diktatur im strengen Sinne des Wortes

Aber der Vatikan.
HF*******
 
Beiträge: 2651
Registriert: Do 19. Okt 2006, 11:59

Re: Menschenrechte und ihre Begründung

Beitragvon Myron » So 27. Apr 2008, 16:13

Klaus hat geschrieben:Seit wann ist denn Russland eine Diktatur? Man sollte sich schon auf die Kategorie Diktatur vorher einigen um nicht aneinander vorbeizureden.


"Diktatur: unumschränkte und unbefristete Gewaltherrschaft über ein Staatswesen durch eine einzelne Person oder eine (aus der jeweiligen sozialen und politischen Struktur sich ergebende) Machtgruppe. Die 'einfache' Diktatur entbehrt jeglicher Legitimität oder gar rechtsstaatlichen Legalität und stützt sich (insbesondere in wenig entwickelten Agrarstaaten und Entwicklungsländern) auf die staatlichen Zwangsorgane, die sich unter dem Befehl eines Despoten oder einer Militärjunta befinden. Die 'cäsaristische' Diktatur legitimiert sich durch die plebiszitäre Akklamation eins Volkes, das durch Manipulation und Agitation zu unwissender und undifferenzierter, meist emotionalisierter 'Zustimmung' verführt wurde. Die mitunter auch in Diktaturen weiterhin bestehenden sonstigen staatlich-politischen Organe und Einrichtungen (Parlament, Parteien, Regierungsapparate, Hohe Gerichte usw.) haben keinen bestimmenden oder kontrollierenden Einfluss auf die politischen Entscheidungsprozesse und dienen lediglich einer nach 'außen' oder 'innen' notwendigen Manifestation von verfassungsmäßiger (Schein-)Legalität."

(Hillman, Karl-Heinz. Wörterbuch der Soziologie. 4. Aufl. Stuttgart: Kröner, 1994.)

Das Regime Putins und seiner neuen Präsidentenmarionette Medwedew ist auf jeden Fall autoritär und nur noch scheindemokratisch. Es weist also schon gewisse Züge einer "cäsaristischen" Diktatur auf.
Benutzeravatar
Myron
Mitglied des Forenteams
Mitglied des Forenteams
 
Beiträge: 4808
Registriert: So 1. Jul 2007, 17:04

Re: Menschenrechte und ihre Begründung

Beitragvon pinkwoolf » So 27. Apr 2008, 20:02

HFRudolph hat geschrieben:Das bestreite ich. Jede Regierung würde sich demokratisch legitimieren lassen, wenn sie die Möglichkeit dazu hätte. Ich unterstelle vielmehr, das in einer Dikatur die Regierenden immer in der Minderheit sind.

Um zum Beispiel Russland zurückzukommen - hier ist die Quasi-Diktatur vom Volk gewollt und legitimiert. Warum dieser Idiot noch das Wahlergebnis fälscht, um ein paar Prozentpunkte mehr zu gewinnen, ist mir ein Rätsel. Gewonnen hätte er sowieso.

Übrigens halte ich, man möge mich dafür steinigen, eine sanfte Form der Diktatur in Russland derzeit für angebrachter als die Demokratie. Gott schütze das Land vor weiteren Jelzins.
Benutzeravatar
pinkwoolf
 
Beiträge: 947
Registriert: Mo 17. Sep 2007, 18:58

Re: Menschenrechte und ihre Begründung

Beitragvon Klaus » So 27. Apr 2008, 20:49

Putin ist ein Potentat, aber kein Diktator, sein Nachfolger im Amt schon mal gar nicht. Russland weiß gar nicht was Demokratie ist, weil es sie in diesem Land niemals gab. Entweder gab es die zaristische Nagaika oder den KGB in jedweder Prägung. Das Volk hat in den weiten Gebieten Russlands eh immer so gehandelt wie es wollte, der Zar, wer auch immer war weit weg und in Sibirien gelten andere Gesetze.
Benutzeravatar
Klaus
 
Beiträge: 4704
Registriert: Mo 11. Sep 2006, 21:43
Wohnort: get off the Net, I´ll meet you in the Streets

VorherigeNächste

Zurück zu Gesellschaft & Politik

Wer ist online?

Mitglieder in diesem Forum: 0 Mitglieder und 10 Gäste

cron