Marx und der Kommunismus

Re: Marx und der Kommunismus

Beitragvon Dissidenkt » Di 17. Aug 2010, 18:16

anarchistische Revolutionen


Das ist ein contradictio in adiecto. Anarchistische Systemstürze kenne ich eigentlich gar nicht.
Sobald irgendwo ein Machtvakuum entsteht wird dieses von neuen oder alten Eliten besetzt
Das ist nicht nur Wortklauberei, sondern verweist auf ein wichtiges gesellschaftliches Phänomen.
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Re: Marx und der Kommunismus

Beitragvon n0b0dy » Di 17. Aug 2010, 18:20

@Dissidenkt:
Ne, siehe letzter Post von mir. Das Machtvakuum wurde dort nicht von Eliten ausgefüllt, sondern durch die Selbstorganisation der Arbeiter & Bauen.
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Re: Marx und der Kommunismus

Beitragvon Zappa » Di 17. Aug 2010, 18:39

n0b0dy hat geschrieben:Erstens bedeutet der Kapitalismus prinzipiell extreme Ungleichheit ...


Richtig! Ungleichheit ist ein ganz wichtiges Element einer gerechten Gesellschaft. Warum soll der Faule gleich wie der Fleissige behandelt werden? Jeder nach seinen Fähigkeiten und seinem Engagement.


n0b0dy hat geschrieben: ... da wirtschaftliche Macht auch politische Macht heißt ...


Ist sicher ein Problem, aber IMHO prinzipiell beherrschbar. Aber noch einmal: In jedem politischen System gibt es Herrschaft und Macht! Mal ist es der Starke, mal der Wohlgeborene, dann der Reiche, hier der mit dem richtigen Parteibuch und dort der Eloquente, immer aber der Durchsetzungsfähige. Letztere wird kein Gesellschaftssystem der Welt stoppen können und wahrscheinlich hat das mehr Vorteile als Nachteile. Wichtig ist, dass man die kontrollieren kann und das geht am besten in einer parlamentarischen Demokratie. Wenn die Durchsetzungsfähigen erst einmal allen erzählen dürfen, dass Sie ja nur im Interesse aller handeln, wird es gefährlich. Mir ist der korrupte "Demokrat" allemal lieber als der korrupte Kommunist oder Anarchist, weil letztere leider nicht abwählbar sind.

n0b0dy hat geschrieben:b]Zweitens[/b] bedeutet die Krisenhaftigkeit des Systems ...


Falsche Voraussetzung: Der Kapitalismus - insbesondere in seiner Form als soziale Marktwirtschaft - ist unter modernen Bedingungen die am wenigsten krisenanfällige Gesellschaftsform. Der chinesische Weg stellt meiner Meinung nach eine besondere Situation dar, steht aber vor großen Herausforderungen.

n0b0dy hat geschrieben:Viertens meinte schon Marx, dass das Privateigentum "dadurch [existiert], daß es für neun Zehntel nicht existiert". Entsprechend besitzen 10% über 85% des Weltvermögens. Und das nach all den Regulierungsversuchen...


Marx bezog sich auf andere Verhältnisse. Wo ist das Problem heute? Die Markwirtschaft lässt niemanden verhungern oder darben (im Gegensatz zum historischen Kommunismus!). Selbst Bill Gates kann seine Milliarden ja nicht fressen und sieht sich genötigt sein Geld sozialen Zwecken gemäß einzusetzen. Stört dich daran, dass hier ein Privatmensch investiert, soll das lieber ein Kollektiv machen und macht dieses es dann besser?

n0b0dy hat geschrieben: Also erklär mir doch mal wieso Gemeineigentum an Produktionsmitteln notwendigerweise mit Staatsdiktatur oder Altruismus einhergehen müsse.

Das genau erklärt Hayek in meinem eingangs empfohlenen Buch ganz gut ...
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Re: Marx und der Kommunismus

Beitragvon Dissidenkt » Di 17. Aug 2010, 18:49

n0b0dy hat geschrieben:@Dissidenkt:
Ne, siehe letzter Post von mir. Das Machtvakuum wurde dort nicht von Eliten ausgefüllt, sondern durch die Selbstorganisation der Arbeiter & Bauen.


Das mag lokal und zeitlich begrenzt funktionieren. Dafür finden sich sicherlich noch mehr Beispiele. Ich halte das auch für durchaus erstrebenswert. Aber die Realität zeigt, dass solche Gesellschaften nicht so stabil und wehrhaft sind, wie hierarchisch organisierte.
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Re: Marx und der Kommunismus

Beitragvon n0b0dy » Di 17. Aug 2010, 19:23

@Dissidenkt:
Genau deswegen sollte man sich an einer Synthese bemühen zwischen den leninistischen Revolutionen, die zwar erfolgreich waren, aber extrem autoritär und in Diktatur endeten, und andererseits den anarchistischen, die extrem antiautoritär waren, aber wohl auch deswegen militärisch unterlagen.
Ausgehend vom Staatsverständnis hab ich hier schonmal skizziert, wie man das Dilemma lösen könnte:
"Der Staat ist weder unmittelbares Instrument einer Klasse (ML), noch Staat im Kapitalismus (Sozialdemokratie) oder der Hauptfeind jeder Emanzipation (Anarchisten), sondern mit der Neuen Marx-Lektüre als integraler Bestandteil des Kapitalismus zu begreifen. Insofern hat er im Sozialismus nix zu suchen und kann nicht der Akteur der Transformation sein. Er kann jedoch Freiräume schaffen, um die Selbstorganisation und das Entwickeln neuer Vermittlungsformen von unten zu ermöglichen und zu unterstützen. Ein ähnliches Verständnis des Staates hat sich auch in Venezuela in den letzten Jahren entwickelt. Bei aller berechtigten Kritik an Chavez & co ist die Rätebewegung dort mit den zig Tausenden kommunalen Räten und zunehmend auch höheren Ebenen weltweit einmalig."

Die Zapatistischen autonomen Gemeinden in Mexiko ähneln dagegen eher den anarchistischen Versuchen und sind entsprechend regional begrenzt. Wobei ich gelesen habe, dass sie nicht prinzipiell die Übernahme des Staates ablehnen, sondern sich zumindest mal ansehen wie das in Venezuela so weitergeht usw. :>
Zappa hat geschrieben:Warum soll der Faule gleich wie der Fleissige behandelt werden? Jeder nach seinen Fähigkeiten und seinem Engagement.

Das kritisier ich ja gerade am Kapitalismus, nämlich dass er durch strukturelle Mehrwertabschöpfung systematisch gegen das Leistungsprinzip verstößt! Selbst bei Anne Will letztens musste ein Unternehmen zugeben, dass die eigentliche Arbeit ja seine Mitarbeiter machen und NICHT er.
Zappa hat geschrieben:Ist sicher ein Problem, aber IMHO prinzipiell beherrschbar. Aber noch einmal: In jedem politischen System gibt es Herrschaft und Macht![...] Mir ist der korrupte "Demokrat" allemal lieber als der korrupte Kommunist oder Anarchist, weil letztere leider nicht abwählbar sind.

Macht gibt es tatsächlich überall und diese ist prinzipiell auch nicht abzuschaffen. Problematisch wirds wenn sich Machtstrukturen verfestigen und zu Illegitimer Herrschaft werden. Die parlamentarische Demokratie ist an sich ja kein Wirtschaftssystem, sondern die passende politische Form des Kapitalismus, welche Rahmenbedingungen setzt, in denen sich das Kapital dann austoben kann und wo man für die Zumutungen der Ausbeutung etc. immer wieder die jeweilige Regierung verantwortlich machen kann und so ein lustiges wechselndes Machtspiel zwischen den jeweiligen Parteien zustande kommt ohne die Probleme wirklich dauerhaft zu lösen.
Das Modell der Räte im libertären Kommunismus/Anarchismus zeichnete sich seit Anfang der Tradition, welchen ich auf die Zeit der Pariser Kommune datieren würde, über die anarchistischen Revolutionen bishin zur aktuellen Entwicklung in Venezuela durch das imperative Mandat aus, was Marx hiermit beschreibt: "Beseitigung der Staatshierarchie überhaupt und Ersetzung der hochfahrenden Beherrscher des Volkes durch jederzeit absetzbare Diener, der Scheinverantwortlichkeit durch wirkliche Verantwortlichkeit, da sie dauernd unter öffentlicher Kontrolle arbeiten."(MEW 17, S.544)
Zappa hat geschrieben:Falsche Voraussetzung: Der Kapitalismus - insbesondere in seiner Form als soziale Marktwirtschaft - ist unter modernen Bedingungen die am wenigsten krisenanfällige Gesellschaftsform.

Es ist überhaupt die einzige Wirtschaftsform, welche durch die chaotische Privatproduktion zyklische Krisen kennt. Selbst im Realsozialismus gab es dies nicht. Dort gabs selbstverständlich genug andere Zumutungen.
Zappa hat geschrieben:Marx bezog sich auf andere Verhältnisse. [...]Stört dich daran, dass hier ein Privatmensch investiert, soll das lieber ein Kollektiv machen und macht dieses es dann besser?

Es ging auch nicht um absoluten Lebensstandard, sondern um die Ungleichheit resultierend aus der Ausbeutung des Kapitalismus, die Marx schon damals recht präzise eingeschätzt hat und was im Vergleich zu heute allen Reformismus-Vorstellungen zu denken geben sollte.
Zappa hat geschrieben:Das genau erklärt Hayek in meinem eingangs empfohlenen Buch ganz gut ...

Kann jetzt auch auf x-Bücher verweisen, das macht aber für ne Argumentation wenig Sinn. Wie gesagt ist die These eigentlich schon durch die Realität widerlegt, nämlich einmal durch die Studien von Elinor Ostrom und andererseits durch die historischen anarchistischen Versuche.
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Re: Marx und der Kommunismus

Beitragvon jami » Do 9. Sep 2010, 02:39

Finde deine Ausführungen im Prinzip sehr gut, differenziert und logisch nachvollziehbar.
Welche meines Ermessens überaus wichtigen Fragen aber noch offen sind: Wie geht man in einem neuen anarchistisch/sozialistisch/kommunistischem Gesellschaftssystem mit dem internationalen Ungleichgewicht sprich mit der Ausbeutung der dritten Welt durch die Industrienationen um? Oder bedeutet das neue System bzw. die neue Ordnung auch automatisch eine komplette Eliminierung aller staatlichen, nationalen Grenzen? Jedoch bestehen ja selbst dann noch erhebliche globale, regionale Ungleichgewichte. Wie könnte man diese beseitigen? Ist es nicht eine Voraussetzung, um mehr Gerechtigkeit auf der ganzen Welt zu schaffen, dass wir in der "1.Welt" unseren Lebensstandard bzw. "Luxus" reduzieren? Wir wären doch bei einer gerechten Umverteilung der Ressourcen der Erde sicherlich die Verlierer! Moralisch und auch sonst ist das für mich kein Problem, aber wie soll man das der Bevölkerung, dem gemeinen Pöbel erklären?
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Re: Marx und der Kommunismus

Beitragvon Mark » Do 9. Sep 2010, 15:51

Dabei fällt mir : ob es wohl ein Sozialismus-Gen gibt ?
:lachtot:
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Re: Marx und der Kommunismus

Beitragvon n0b0dy » Sa 11. Sep 2010, 21:31

jami hat geschrieben:Finde deine Ausführungen im Prinzip sehr gut, differenziert und logisch nachvollziehbar.
Wie geht man in einem neuen anarchistisch/sozialistisch/kommunistischem Gesellschaftssystem mit dem internationalen Ungleichgewicht sprich mit der Ausbeutung der dritten Welt durch die Industrienationen um? Oder bedeutet das neue System bzw. die neue Ordnung auch automatisch eine komplette Eliminierung aller staatlichen, nationalen Grenzen?

Danke für das Lob, ich geb mir Mühe. :up:
Ist die internationale Ausbeutung durch den kapitalistischen Weltmarkt beseitigt, so werden sich die Ungleichgewichte zumindest nicht mehr in der heutigen Weise verstärken. Es ist tatsächlich davon auszugehen, dass mit der Aufhebung des bürgerlichen Staates auch nationale Grenzen tendenziell verschwinden bzw. überflüssig werden. So ist heute schon zu beobachten, dass die Räte in Venezuela sich nicht an die staatlich-territoriale Einteilung halten, sondern sich unabhängig dort bilden, wo die Menschen leben & arbeiten. Das wird jedoch ein langer Prozess sein, der an den Ungleichheiten auch erstmal nichts wesentlich ändern kann. Daher bleibt die Frage nach der globalen Umverteilung imho nach wie vor eine ethische, die aber nicht unabhängig von der jeweiligen Gesellschaftsordnung zu denken ist. Wenn im Zuge einer hypothetischen Weltrevolution die Menschen immer mehr transnational & antikapitalistisch denken, so bin ich guter Dinge, dass man sich auch mit einem gewissen materiellen Verzicht abfinden könnte, um das historische Unrecht von Kapitalismus & Kolonialismus zu mindern. Zumal ohne Wachstumszwang hoffentlich noch andere Werte als bloßer Konsumismus in die Gesellschaft Einzug halten werden.
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